KAPITEL VIERZEHN
»Stehenbleiben, oder ich schieße!« schrie Dave, als ihm plötzlich klar wurde, daß eine normale Waffe Manovitch nicht beeindrucken würde. Er mußte ihm eine kleine Demonstration von ihrer Fähigkeit geben. Dave zielte und drückte ab. Der Revolver bockte. Ein Verschlag ging in Flammen auf; brennende Holzstücke flogen durch die Luft. Innerhalb von Sekunden brannte der Ventilator samt Verschlag so wütend und ungestüm, wie je ein Scheiterhaufen für eine Hexe gebrannt hatte.
»Nicht schießen«, schrie die Gestalt und kam mit erhobenen Händen hinter dem Luftschacht hervor. »Um Himmels willen, nicht schießen.«
»Treten Sie vor!« schrie Dave, mit einem flauen Gefühl in den Eingeweiden. »Legen Sie sich flach auf das Dach, Arme und Beine weit von sich gestreckt.«
Die schwarze Gestalt gehorchte. Rajeb stellte sich neben Dave und ging, während Dave ihm Deckung gab, auf den Unbekannten zu. Der Schacht brannte lichterloh; eine riesige Flammenzunge zuckte gen Himmel. Das silbrige Licht des Erzengels im Osten wurde von dieser roten Fackel ergänzt. Durch die beiden Lampen war es auf dem Dach taghell.
»Scheiße!« schrie Rajeb, »es ist Mort Darthy – ein verfluchter Einbrecher.«
»Verdammt«, murmelte Dave. »Irgendwie wußte ich, daß es nicht Manovitch war.«
»Ihr hättet mich fast getötet«, schrie Mort. »Ihr hättet mich fast lebendig verbrannt, ihr Bastarde.«
»Du solltest nicht draußen herumlaufen und einbrechen, Darthy«, sagte Rajeb, »dann würdest du auch nicht in so was reingeraten. Wir dachten, du wärst ein Terrorist. Eigentlich sind wir uns noch nicht ganz sicher. So wie es aussieht, könntest du der Mann sein, hinter dem wir her sind.«
»Ich hab’ nichts getan. Ich hab’ nur…« Er verstummte. »Ich wollte nur frische Luft schnappen.«
»Klar«, knurrte Dave, der sehr enttäuscht war. »Ein ehrlicher Mann wie du.«
Mort betrachtete ihn von unten und sagte: »Ein Yank? Wieso schießt ein verfluchter Yank auf mich? Wir sind hier nicht in deinem verdammten New York. In diesem Land braucht man einen Grund, um Menschen umzulegen. Und was hast du denn da in der Hand? Ein verdammtes Raketenabschußgerät?«
Der brennende Verschlag knackte und prasselte; die alte Farbe verschwand in einer hübschen blauen Flamme. Von der Straße her drangen Geräusche herauf. Mittlerweile waren Polizeiwagen mit einer Spezialeinheit, ein Krankenwagen und mehrere Feuerwehrautos eingetroffen. Rajeb ging zum Dachrand und rief: »Alles in Ordnung, wir haben ihn verhaftet. Jemand sollte das Feuer löschen.«
Die Feuerwehrmänner fuhren Leitern aus, rollten Schläuche ab und krochen über das Dach. Kurze Zeit später war das Feuer unter Kontrolle. Die uniformierte Polizei nahm Mort Darthy in ihre Obhut, und Dave überließ es Rajeb, ihnen die Einzelheiten der Verhaftung zu erklären. Lloyd erschien auf der Bildfläche. Er sah müde aus. Schließlich tauchte auch Danny auf.
»Besser spät als nie«, brummte Dave. »War dein Großvater etwa bei der Siebten Kavallerie?«
»Laß es gut sein«, sagte Danny. »Ich bin so schnell wie möglich gekommen. Ich mußte noch auf Stan warten.«
Dave mußte sich widerwillig eingestehen, daß Danny die Gegend nicht kannte und deshalb auf seinen Fahrer angewiesen war.
»Gut, aber vergiß nicht, weshalb wir hier sind, Danny. Ich schätze, du machst dir mit deiner Prinzessin eine schöne Zeit, aber wir sind hier nicht auf Urlaub, sondern sollen arbeiten.«
»Reiz mich nicht. Tut mir leid, daß ich mich verspätet habe.
Jesus, glaubst du wirklich, ich wollte mir das Ganze entgehen lassen?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Dave.
Danny ging schmollend davon. Lloyd kam. »Sieht so aus, als hätten wir den falschen Teufel geschnappt.«
»Genau. Das war unser alltäglicher Räuber-Vergewaltiger-Mörder-Teufel – nichts Besonderes«, sagte Dave.
»Es ist eine Schande«, sagte Lloyd, »aber ich bin froh, daß Sie am Ball sind, Lieutenant. Soviel ich gehört habe, hätte es sich leicht um Manovitch handeln können. Ich bin sicher, daß noch mehr als ein falscher Alarm ausgelöst werden wird.«
»Ich hoffe nicht – es zermürbt den Geist.«
Dave war deprimierter, als sein Verhalten erkennen ließ. Das Problem war, daß ihm Vorfälle wie dieser Manovitch keinen Jota näher brachten. Das hier war kein Fall, in dem man die polizeilichen Ermittlungsmethoden anwenden, gewissenhaft Spuren studieren, die Beine einsetzen und winzigste Ergebnisse sammeln konnte und so Zentimeter um Zentimeter vorankam. Sie würden Manovitch nur durch Zufall finden – oder er sie. Lloyd hatte recht. So etwas wie heute könnte ihm noch tausendmal passieren, und er wäre seiner Beute noch kein Stück näher gekommen.
Lloyd fuhr ihn ins Hotel zurück, wo er sofort Vanessa anrief. Er mußte ihre Stimme hören. Dave berichtete ihr, was in den letzten beiden Tagen geschehen war, einschließlich seiner nächtlichen Eskapade.
»Ich bin froh, daß ich nicht bei dir bin«, sagte sie, »ich bin keine Frontkämpfer-Frau.«
»Das ist gut«, antwortete Dave.
»Aus deinem Tonfall schließe ich, daß es dir nicht gelungen ist, Manovitch zu schnappen.«
Dave glitt zwischen die Laken und stellte sich vor, wie ihr langer, warmer Körper neben ihm lag. »Ich habe auch nicht vor, ihn zu schnappen – ich möchte ihn nur vom Angesicht des Planeten pusten.«
»Okay, dann werde ich die Frage anders formulieren: Gehe ich recht in der Annahme, daß du ihn nicht vom Angesicht des Planeten gepustet hast?«
Dave seufzte: »Nein, es war ein Dieb, der nachts über die Dächer kriecht und Polizisten an der Nase herumführt, die ihn für eine tote Seele halten.«
»Also das ist passiert«, sagte Vanessa. »Du hast… du hast ihn doch nicht lebendig verbrannt, oder?«
»Nein – ich kann es nicht tun, obwohl es gewünscht wird – ich kann nicht erst schießen und dann fragen. Das ist nicht meine Art. Ich bin ein guter Cop…«
»Mutter Teresa.«
»Ja, Mutter Teresa, wenn es dir gefällt. Aber ich kann einen Mann nicht in Brand setzen, nur weil die entfernte Möglichkeit besteht, daß er der gesuchte Teufel ist. Manovitch werde ich ohne Umschweife ins Vergessen schicken, aber ich kann keine unschuldigen Menschen verbrennen; nicht einmal Kriminelle.«
»Und deshalb liebe ich dich, Dave Peters. Aber ich habe auch Angst. Manovitch würde dich ohne zu zögern umbringen. Er wird Tausende von Unschuldigen töten, wenn er glaubt, daß er dich damit schnappen kann, bevor du ihn schnappst. Deine Ritterlichkeit könnte dein Ende sein.«
»Nun, ich hatte heute nacht gute Rückendeckung.«
»War Danny auch dabei?«
»Danny?« schnaubte Dave. »Er hat rumgebumst. Rajeb Patel war bei mir. Ein guter Mann. Besser als Danny, wenigstens im Augenblick. In Dannys Kopf wimmelt es von Dessous.«
»Geh nicht zu hart mit ihm ins Gericht, Dave«, sagte Vanessa. »Du hast immer gesagt, Danny sei ein guter Cop. Er ist nur im Augenblick mit seinen Gedanken woanders. Das kann den Besten passieren.«
»Aber weshalb muß er gerade jetzt den Kopf verlieren?«
»Er hat sich die Zeit nicht ausgesucht – und ich glaube, daß er sein Herz und nicht seinen Kopf verloren hat.«
»Soweit es mich betrifft, hat er beides verloren. Verfluchter Bruder Tuck. Weshalb kann er nicht wie der wirkliche Bruder Tuck sein und sich ausschließlich um seinen Wanst kümmern?«
»Wahrscheinlich stellte der wirkliche Bruder Tuck Chorknaben nach«, sagte Vanessa.
»Nun, wenn Danny nicht für mich da sein kann, muß ich halt ohne ihn weitermachen; im Augenblick würde ich den Penner am liebsten in die Staaten zurückschicken.«
»Das wirst du nicht tun«, flüsterte Vanessa. »Also halte dich nicht selbst zum Narren, Dave.«
Dave wußte, daß sie recht hatte, aber er war wütend auf Danny und schwelgte in dem Gedanken, daß er der Lieutenant war und Danny der Sergeant, und daß er ihn – falls sich die Situation zwischen ihnen verschlimmerte – verdammt noch mal nach Hause schicken würde.
Als Rajeb Patel in sein Apartment zurückkam, saß Daphne am Küchentisch.
»Möchtest du Tee?« fragte sie. Sie trug den gesteppten rosa Morgenmantel, den er so sehr haßte. Sie sah darin immer so matronenhaft aus, wenn sie sich ärgerte, und nicht viel besser, wenn sie sich nicht ärgerte. Er wagte ihr nicht zu sagen, was er von dem Morgenmantel hielt, da Daphne nicht zu den Frauen gehörte, die Kritik vertrugen.
»Warum nicht? Danke.«
Als er den dampfenden Becher in der Hand hielt, fragte er sie: »Weshalb bist du um fünf Uhr morgens schön wach?«
»Weil ich mir Sorgen um dich gemacht habe, weshalb sonst«, erwiderte sie wütend. Sie nippte an ihrem Tee, als wolle sie so schnell wie möglich fortgehen und sei verwirrt darüber, daß sie noch ein Gespräch führen mußte.
»Du machst dir Sorgen um mich?« Er grinste.
Sie funkelte ihn an. »Manchmal bist du sehr schwer von Begriff, Raj.«
Sein Lächeln erlosch. »Tut mir leid. So bin ich nun mal. Ich kann nicht jemand anderes sein. Ich kann nicht das sein, was du erwartest, Daphne, ich kann nur so sein, wie ich bin. Falls du denkst, du könntest mich verändern – vergiß es. So funktioniert das nicht. Die Menschen können einander nicht ändern. Sie können kleine Kompromisse schließen, aber sie können nicht jemand anderer sein. Du mußt diese Dinge unbeschwerter angehen, oder es funktioniert bei mir nicht. Tut mir leid, wenn es dich so sehr stört.«
Sie brach in Tränen aus. Sie liefen über ihr sommersprossiges Gesicht und tropften auf den Morgenmantel. Er stand auf und umarmte sie. Ihr Atem roch sauer und schal, aber das störte ihn nicht. Nichts Intimes störte ihn.
»Was willst du, Mädchen? Ich war Polizist, als wir uns kennenlernten. Ich will nichts anderes sein. Ich weiß nicht, wie es ist, jemand anderer zu sein. Ich würde dir nie sagen, daß du deinen Beruf aufgeben sollst, oder? Du würdest mir den Schädel einschlagen, wenn ich es täte. Ich wage noch nicht einmal, dich auf Kleinigkeiten hinzuweisen…«
Sie löste den Kopf von seiner Schulter, rotnasig und schniefend, die Wangen voller getrockneter Tränenspuren. »Was für Kleinigkeiten?« fragte sie mißtrauisch.
»Nun, Sachen, die mir auf die Nerven gehen, so wie dich auch an mir manches stört.«
»Was für Sachen?«
»Zum Beispiel dieser Morgenmantel«, platzte er heraus. »Ich hasse ihn.«
Sie schaute verwirrt an sich hinunter.
»Meine Mutter hat ihn mir vor fünf Jahren zu Weihnachten geschenkt.«
»Das ist doch egal, oder? Ich hasse ihn trotzdem. Ich würde ihn selbst dann scheußlich finden, wenn der Dalai Lama ihn gesegnet oder die drei Weisen aus dem Morgenland ihn Jesus zum Geburtstag geschenkt hätten. Ich würde ihn immer noch hassen. Du sieht damit aus, als wärst du gerade einer Seifenoper entsprungen, die im Slum spielt.«
»Ach, wirklich?« schrie sie, zog den Morgenmantel aus und warf ihn auf den Boden. »Gut, du kannst Putzlappen daraus machen, wenn du willst. Mach schon.«
Er griff gierig nach dem beleidigenden Kleidungsstück, das er sofort mit einer Schere bearbeiten wollte, aber sie war schneller. »Wenn ich es mir recht überlege, möchte ich ihn weitertragen, und das werde ich auch, verdammt noch mal.«
»Scheiße – ich war so nahe dran«, murmelte er. Dann sagte er: »Verdammt, es ist doch nur ein Morgenmantel.«
Er schnappte ihn sich, rannte zum Fenster, öffnete es und warf den Mantel hinaus. »Geschafft. Jetzt siehst du wie Aschenbrödel aus und nicht wie eine von ihren verfluchten häßlichen Schwestern.«
Daphne starrte ihn an. Sie wußte nicht, ob sie wütend oder entsetzt sein sollte. Plötzlich prustete sie los. »Du blöder Hund«, schrie sie, »du dämlicher Idiot.«
Rajeb, der sich stets so schnell beruhigte wie er sich aufregte, lachte laut. »Stimmt. Wir sind wie Kinder, die sich um ein bescheuertes Spielzeug balgen. Komm.« Er ging zu ihr. Sie trug jetzt nur noch ein ausgeschnittenes T-Shirt – eines von der langen Sorte, die sie als Nachthemd benutzte. Vorn darauf war ein Bild von Bugs Bunny, der eine Möhre kaute und fragte: »Is was, Doc?«
Rajeb küßte sie bedächtig, roch den Schlaf, der noch in ihr steckte, und sie schmolz dahin. Ihre Düfte erregten ihn. Sie besaß tausend Gerüche, von denen keiner wie der andere war, einige schwach, andere stark, und fast jeder von ihnen machte ihn an. Er preßte sich an sie, und die Berührung ihres warmen Körpers löste eine Erektion aus. Dann griff er nach unten und zog ihr das T-Shirt über den Kopf, enthüllte ihren wohlgeformten Körper, zwickte sie in das kleine Babyspeckröllchen an ihrer Taille, mit dem er sie so gern aufzog. Er beugte sich vor, küßte ihre Brustwarzen und erfreute sich wieder einmal an der Geographie ihres Körpers, an den Sommersprossen, die wie Sternbilder über die Hänge ihres Busens verstreut waren. Dies war ein Land, das nur er erforschen durfte, und dieses Privileg erregte ihn.
Er liebte ihre Konturen, die mit Fehlern behafteten wie die glatten, reinen Hautpartien. Das kleine Muttermal hier, die winzige Narbe dort, all das hatte er entdeckt. Er kannte ihren Körper besser als seinen eigenen. Er kannte jeden Spalt, jedes Tal, jeden Hügel. Er kannte den dunklen Wald, in dem sich unaussprechliche Freuden verbargen. Er kannte die tiefen, faltigen, schlüpfrigen Orte, wo sich Freuden in Ekstasen verwandelten, wo für kurze Zeit Phantasien Wirklichkeit wurden. Er wußte, wo die Orchidee wuchs, deren versteckte Blüten ihm gehörten, deren Blätter er mit sanften, zarten Fingern erforschte.
»Einen Moment«, flüsterte sie in sein Ohr, »mein Hintern tut weh, er stößt gegen den Tischrand.«
Ihm wurde klar, daß er sie zu kräftig gegen den Tisch drückte, und er ließ sie frei. Sie ging zum Bett, warf sich auf die Laken und wälzte sich auf dem Rücken, das T-Shirt immer noch bis in die Achselhöhlen hoch gerollt, die sie sich aus Prinzip nicht rasierte. Bei diesem Anblick schoß ihm, wie immer, ein Blitz des Verlangens durch die Lenden, bis er vor Lust fast außer sich war.
»Komm schon.« Sie lächelte, während er sich aus seinen Sachen kämpfte. »Beeil dich, ich halte es nicht mehr aus.«
Schließlich war die Rüstung abgelegt und der Ritter nackt. Er warf sich neben sie. Sie preßte ihn mit dem Rücken auf die Matratze und ließ sich langsam, mit gespreizten Beinen, auf ihm nieder. »Ich weiß nicht, wer wen aufspießt«, murmelte sie, »aber es gefällt mir. Ich komme mir wie eine tropische Frucht vor, warm und feucht.«
Sie wußte, daß ihre Worte seine Erregung steigerten.
»O Gott«, flüsterte er und schloß die Augen, als sie ihre Brüste über sein Gesicht senkte. »Wie schön du bist…«
Sie bewegten sich in einem intuitiven, instinktiven Rhythmus, dem Rhythmus der Natur.
Glücklicherweise gelangten beide zum Höhepunkt, bevor das Telefon läutete.
»Hier Patel«, brummte er in sein Handy. »Was ist?«
»Ich wollte mich nur bedanken«, sagte Dave Peters am anderen Ende. »Sie haben Ihre Sache heute nacht hervorragend gemacht.«
»Sie kennen ja nur die Hälfte«, erwiderte Rajeb und schaute zu Daphne auf, die immer noch auf ihm hockte und ihn angrinste. »Nur die Hälfte, Kumpel.«
»Ich weiß zwar nicht, was das heißen soll, trotzdem vielen Dank.«
»Nichts zu danken«, sagte Rajeb.
Auf der Straße entdeckte eine Obdachlose den fortgeworfenen Morgenrock und kam zu dem Schluß, daß sie Geburtstag haben mußte.