4

Das Mädchen bewegte sich unruhig. Sie hatte die Beine angezogen. Sie trug das knappe Sklavengewand Ta-Teera und einen Metallkragen. Sie lag in einem Winkel der Schänke auf einer Sklavenmatte. Ich hatte sie dort angebunden.

Mit untergeschlagenen Beinen saß ich hinter einem der niedrigen Tische des Lokals und kaute an einer Brotrinde. Der Schänkenraum war verlassen; die letzten Gäste waren am frühen Morgen hinausgeworfen worden.

»Das macht zehn Kupfer-Tarsk«, hatte der Mann gestern abend gesagt und eine Schale Sul-Brei vor mich hingestellt. Ich hatte nicht widersprochen und bezahlt.

»Du kannst mich nicht hinauswerfen!« hatte eine freie Frau den Wirt angebrüllt.

»Du hast schon für die gestrige Nacht nicht bezahlt«, antwortete er. »Gib mir dafür das Geld und gleich für heute mit, sonst mußt du die Schänke verlassen.«

»Ein Silber-Tarsk für eine Übernachtung!« rief sie. »Das ist unerhört! Unehrenhaft! Wucher! Du hast nicht das Recht, solche Preise zu nehmen!«

Andere, die am Tresen des Wirts standen, fielen in diese Klage ein. Wir befanden uns in der Schänke des Strobius in Lara, am Zusammenfluß des Olni und des Vosk. Zahlreiche Flüchtlinge aus Vonda drängten sich hier. Viele hundert waren aus Vonda geflohen, die meisten auf dem Fluß nach Süden. Sie hatten viel Geld bezahlt für die Fahrten mit Barken, Ruderbooten, Galeeren und sogar Lederkanus.

»Das sind nun mal meine Preise!« sagte Strobius.

»Sleen!« tobte mehr als einer.

»Man holt eben heraus, was man kriegen kann«, hatte ein Bursche an meinem Tisch gegrinst.

»Ich bin eine freie Frau aus Vonda!« klagte die Frau am Tresen.

Ich hob den Sul-Brei an die Lippen. Die Maske, die ich trug, bedeckte nur den oberen Teil meines Gesichts.

Es wurde laut an die Tür des Lokals geklopft. Wächter öffneten eine kleine Sichtluke und schauten hindurch. Dann ließen sie eine neue kleine Flüchtlingsgruppe eintreten. Für sie – wie schon für viele andere Gäste – gab es keine Zimmer mehr, doch auch sie würden einen ganzen Silber-Tarsk für die Nacht zahlen müssen, auch wenn sie sie nur im Korridor verbrachten. Die Schänke des Strobius galt

ie nicht als sonderlich gutes Lokal, aber s war groß und fest gebaut. Außerdem war sie eines der wenigen Gasthäuser, die in der Stadt noch offen hatten. Viele verzweifelte Flüchtlinge hatten in Lara gar nicht erst an Land gehen dürfen, sondern waren weiter flußabwärts getrieben worden. Und hier und dort trieben Flußpiraten ihr Unwesen auch in der Stadt – sie hatten es besonders auf Frauen abgesehen.

Außer mir trugen viele andere Männer Masken. Ich stellte den Sul-Brei wieder auf den Tisch. Er war nicht besonders gut, aber wenigstens heiß.

»Ich bin eine freie Frau aus Vonda!« rief die Frau am Tresen. »Du kannst mich nicht hinauswerfen!«

Oneander aus Ar, der Salz- und Lederkaufmann, hatte im Beutelager vor Vonda eine Maske getragen – wie auch etliche andere. Damit war er vielleicht gut beraten gewesen. Immerhin hatte er Handel treiben wollen mit Lara, einer Mitgliedstadt der Salerianischen Konföderation. Das brachte ihm in Ar oder den Besitzungen Ars keine Freunde. Außerdem war er – das hatte ich in Erfahrung gebracht – am Südufer des Olni von Flußpiraten überfallen worden und hatte sich und seinen Männern das Überleben gesichert, indem er den Angreifern Waren und Sklaven überließ. Daher war es kein Wunder, daß er sein Gesicht zu verhüllen trachtete. Er wollte dem Zorn der Ar-Bewohner entgehen und gedachte zweifellos auch seinen Kummer und seine Scham zu verbergen, die ihm der unangenehme Ausgang seines geschäftliches Vorstoßes in den Norden gebracht hatte.

Ich hatte vor dem Essenszelt des Beutelagers gewartet. Im Westen war der Himmel rotgefärbt: dort brannte Vonda.

»Bist du Oneander aus Ar?« fragte ich den Burschen, der aus dem Zelt kam.

»Nein«, antwortete er.

»Ich glaube aber, du bist Oneander aus Ar«, beharrte ich.

»Sprich nicht so laut!« hatte er geantwortet und sic h umgesehen. »Du Dummkopf!«

Daraufhin hatte ich ihn an der Tunika gepackt und zu mir herangezogen.

»Setz die Maske ab!« forderte ich.

»Will mich denn niemand schützen?« rief er.

»Was geht hier vor?« fragte ein Wächter.

»Ich glaube, dies ist Oneander aus Ar«, sagte ich.

»Ich hatte schon gehört, daß er im Lager sei«, antwortete der Wächter. »Bist du es?«

»Ja«, sagte der Mann zögernd. Er war sichtlich wütend.

»Nimm die Maske ab!« befahl ich. »Sonst tue ich es für dich!«

Zornig nahm er die Maske ab.

»Tatsächlich Oneander!« sagte der Wächter unangenehm berührt.

»Laß mich nicht mit ihm allein!« rief Oneander aus Ar.

Aber der Wächter hatte sich bereits abgewandt und war gegangen.

»Wer bist du?« fragte Oneander nervös

»Früher war ich Seidensklave«, antwortete ich. »Vielleicht erinnerst du dich. Vor einigen Monaten begegneten wir uns in Ar auf der Straße, in der Nähe des Ladens von Philebus. Du schicktest mir zwei Sklaven auf den Hals.«

»Bring mich nicht um!« flüsterte er.

»Ich habe gehört, du seist bei Lara überfallen worden und habest Sklaven und Waren verloren.«

»Am Südufer des Olni«, sagte er. »Ja, es stimmt.«

»Es war gut von dir«, bemerkte ich, »dich und deine Männer zu retten.«

»Ich habe viel verloren«, bemerkte er.

»Was ist wohl das Schicksal deiner Waren und Sklaven?«

»Sie gehören nicht mehr mir«, stellte er fest. »Sie sind jetzt im Besitz der Flußpiraten, nach dem Recht des Schwertes und der Macht.«

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»Stimmt«, äußerte ich. »Aber was meinst d – was wird aus ihnen?«

»Nicht anzunehmen, daß sie in Lara oder weiter nördlich verkauft werden«, sagte er. »Normalerweise setzen die Flußpiraten ihre Güter und Beutesklaven irgendwo am Fluß ab, in einer der zahlreichen Flußstädte.«

»Was für Städte sind das?« fragte ich.

»Es gibt da zwei Dutzend«, sagte er. »Vielleicht Ven, Port Cos, Iskander, Tafa – wer weiß?«

»Der Mann, der dich überfiel, der Piratenhäuptling«, fragte ich, »wer war das?«

»Die Flußpiraten haben sich zu vielen Banden zusammengeschlossen. «

»Wer war der Mann?«

»Kliomenes, ein Leutnant des Policrates«, antwortete er.

»In welcher Stadt verkauft er seine Beute?«

»Da gibt’s ein Dutzend Möglichkeiten«, meinte Oneander. »Ich weiß es nicht.«

Ich packte ihn an der Tunika und schüttelte ihn durch.

»Ich weiß es nicht! Ich weiß es nicht!«

Ich ließ ihn nicht los.

»Bitte töte mich nicht«, flehte er.

»Na schön«, hatte ich gesagt und ihn losgelassen. Anschließend hatte ich mich umgedreht und war zu den Tarngehegen des Beutelagers gegangen, in der Hoffnung, einen Tarnflieger zu finden, der mich auf Umwegen in die Nähe Laras brachte.


Wieder regte sich das Mädchen, das in der Ecke lag. Ein Knie war angezogen. In ihrem knappen Gewand bot sie einen verlockenden Anblick. Ich fragte mich, ob sie bereits das rauhe Gewebe der Sklavenmatte unter sich spürte. Ich nahm es nicht an.

»Ich bin eine freie Frau aus Vonda!« hatte die Frau am Tresen gestern abend gerufen. »Du kannst mich nicht hinauswerfen!«

»Entweder bezahlen oder auf die Straße!« hatte Strobius geantwortet.

»Du kannst mich doch nicht auf die Straße setzen!«

Ich hatte einen weiteren Schluck meines Sul-Breis zu mir genommen.

Die Frau am Tresen war verschleiert gewesen, wie es bei Goreanerinnen üblich ist, besonders in den hohen Kasten und den großen Städten. Daß auch die Goreaner sich gelegentlich maskieren, hat verschiedene Gründe. Oneander hatte eine Maske getragen, weil er den Zorn der Männer aus Ar wegen seiner Geschäfte mit Lara fürchtete und wohl auch wegen der Scham über seinen Fehlschlag. Auch jetzt in der Schänke waren etliche Männer maskiert, vermutlich um ihre Identität zu verschleiern. Es waren unruhige Zeiten. Es mochte von Nachteil für sie sein, erkannt zu werden - beispielsweise als Männer von Reichtum oder hoher Stellung, die nun in Schwierigkeiten steckten. Einige waren vielleicht zur Erpressung eines Lösegelds gefangengehalten worden. Andere wollten womöglich in Lara nicht erkannt werden, weil sie sich wegen des Niedergangs der Stadt Vonda schämten – oder ihrer Flucht aus dieser Stadt. Auch Geächtete tragen zuweilen Masken.

»Ich bin eine freie Frau!« rief die Verschleierte.

»Dieser Zustand könnte sich als vorübergehend erweisen«, erwiderte der Wirt.

»Ich weiß nicht, wohin ich mich wenden soll. Und die Stadt draußen ist für mich nicht sicher genug.«

»Du schuldest mir einen Silber-Tarsk für die letzte Nacht«, sagte er. »Und wenn du bleiben willst, wird ein zweiter fällig.«

»Ich habe das Geld nicht«, schluchzte sie.

»Dann muß ich dich hinauswerfen.«

»Nimm mein Gepäck«, sagte sie, »meine Koffer!«

»Kein Interesse.«

Ich hatte die Absicht, mir am nächsten Morgen eine Transportmöglichkeit auf dem Fluß zu besorgen, stromabwärts. Mein Anliegen ließ sich nicht in Lara erledigen, sondern nur weiter westlich auf dem Fluß. Übrigens waren nicht allzu viele Flüchtlinge in Lara geblieben, das dem Kriegsschauplatz viel zu nahe war. Es lag innerhalb des Aktionsradius der Tarn-Kavallerie, wie sie mit so schrecklichen Folgen auf den Feldern und Hügeln südlich von Vonda zum Einsatz gekommen war. Kleine Schiffe sorgten für die Verbindung zwischen Lara und den benachbarten Städten weiter unten am Fluß, zum Beispiel Weißwasser und Tancreds Furt.

»Du kannst mich nicht hinauswerfen!« rief sie.

»Sei froh«, erwiderte Strobius, »daß ich dich nicht entkleiden und als Sklavin verkaufen lasse!«

»Was geht hier vor?« hatte ich gefragt und war aufgestanden und zum Tresen gegangen.

»Wir schicken sie fort«, sagte Strobius. »Sie schuldet mir zwei Silber-Tarsks.«

»Ich glaube, der Betrag stimmt so«, sagte ich und legte zwei Silbermünzen auf den Tisch.

»In der Tat«, erwiderte Strobius, wischte die Münzen vom Tresen in seine Hand und steckte sie irgendwo unter seine Schürze.

»Da hast du dein Geld, Mann!« sagte die freie Frau herablassend zu Strobius, der sich grinsend vor ihr verbeugte.

»Sei bedankt«, fuhr die Frau fort und blickte zu mir auf.

»Keine Ursache.«

»Ich bin dir dankbar.«

»Vielleicht möchtest du mir an meinem Tisch Gesellschaft leisten. Es gibt kaum etwas anderes als Sul-Brei, aber ich könnte dir eine Schale bestellen.«

»Unter den gegebenen Umständen muß man sehen, wie man auskommt«, erwiderte sie.

»Hast du Wein?« fragte ich Strobius.

Er lächelte. »Ja«, antwortete er.

»Möchtest du gern Wein?« fragte ich die Frau.

Die Augen über dem Schleier funkelten. Vermutlich hatte sie sich seit einiger Zeit keinen Wein leisten können. »Ja«, erwiderte sie, »es wäre mir eine große Freude, deinen Wein zu trinken.«

»Bitte geh zum Tisch«, sagte ic h, »dann sorge ich für das Nötige.«

»Schön«, sagte sie und wandte sich ab.

»Sul-Brei«, sagte Strobius, »kostet zehn Kupfer-Tarsks. Für zwei Becher Wein nehme ich vierzig Kupfer-Tarsks.«

»In Ordnung«, sagte ich.

Gleich darauf brachte ein Helfer ein Tablett mit dem Sul-Brei und dem Wein zum Tresen. Ich bezahlte den Wirt.

»Ach, noch etwas«, sagte ich. »Hättest du ein Päckchen Tassa-Pulver für mich?«

Er grinste und griff unter den Tisch. »Ja«, sagte er.

»Wieviel schulde ich dir?«

»Für die da«, antwortete er und deutete mit einer Kopfbewegung zu meinem Tisch hinüber, »ist das Pulver frei. Mit einer Empfehlung des Hauses.«

»Sehr gut«, sagte ich.

Das Mädchen drehte sich unruhig auf der Sklavenmatte. Sie schien zu spüren, daß der Morgen nahe war.


Ich blickte mich um. Das Lokal war verlassen. Überall die Spuren einer hastigen Evakuierung. Angeblich stand ein Angriff durch Tarnkämpfer aus Ar bevor. Die Evakuierung der Schänke war ein Teil der Evakuierung von ganz Lara gewesen. Inzwischen waren die Straßen wieder leer und still. Ich vermutete, daß sich nur noch wenige Leute in Lara aufhielten.

Ich beobachtete das Mädchen, dessen Fingerspitzen vorsichtig über das Gewebe der Matte fuhren. Plötzlich, erwachend, fuhr sie auf.

»Wo bin ich?« fragte sie.

»In der Schänke des Strobius«, antwortete ich, »in Lara.«

»Was ist los?«

»Du warst berauscht«, antwortete ich.

Sie schüttelte den Kopf und sah mich an. Ich nahm nicht an, daß sie mich schon deutlich wahrnahm.

»Du hättest meinen Wein nicht trinken dürfen«, sagte ich.

»Wo sind meine Sachen?«

»Dein Gepäck und deine Habe habe ich fortgeworfen, verbrannt oder sonstwie vernichtet«, sagte ich. »Bis auf die Ta-Teera, die du jetzt trägst, und den Kragen.«

»Ich trage einen Sklavenkragen?« flüsterte sie ungläubig und schüttelt den Kopf. »Ich erinnere mich an dich. Du hast für meine Übernachtung bezahlt und mir Wein eingeschenkt.«

»Ja.«

»Es war ein Mittel darin.«

»Selbstverständlich!«

»Gib mir den Schlüssel zu dem Kragen!« rief sie brüsk und sprang auf.

»Knie nieder!« fuhr ich sie an.

Entsetzt gehorchte sie.

»Die Ta-Teera wie auch den Kragen habe ich bei deinen Sachen gefunden«, sagte ich. »Wirklich ungewöhnliche Besitztümer für eine freie Frau.«

»Im Haus von Tima hatte ich mit freien Sklavenhändlerinnen zu tun«, antwortete sie. »Von Zeit zu Zeit benötigte ich solche Objekte bei meiner Arbeit.«

»Ich verstehe«, sagte ich.

»Kenne ich dich?« fragte sie.

»Tust du das?«

»Du trägst eine Maske – da bin ich natürlich im Nachteil.«

»Es stimmt, daß du wesentlich entblößter bist«, stellte ich fest.

Sie errötete. »Kennst du mich?« fragte sie.

»Ja, aus Vonda.«

Sie zuckte ärgerlich die Achseln. »Da könntest du einer von tausend sein«, sagte sie.

»Bin ich aber nicht.«

»Nein, vermutlich nicht.«

Ich ging zu ihr und kauerte mich neben ihr nieder.

»Du hast meinen Namen hier in der Schänke gehört«, sagte sie.

»Ja«, antwortete ich, »aber auch so habe ich dich sofort erkannt.«

»Trotz des Schleiers?«

»Ja.«

Sie wich ein wenig vor mir zurück. »Wie heiße ich denn?«

»Du bist Lady Tendite aus Vonda«, erwiderte ich, »die frühere Assistentin der Sklavenhändlerin Lady Tima aus Vonda, Inhaberin des Hauses von Tima.«

»Wer bist du?« fragte sie angstvoll.

Ich nahm die Maske ab.

»Erinnerst du dich an mich?« fragte ich. »Ich war einmal Seidensklave. Ich heiße Jason.«

Ein Ausdruck des Erkennens erschien in ihren Augen. »Nein«, flüsterte sie. »Nein!« Sie versuchte sich zu wehren, doch ich drängte sie zurück, und bald lag sie hilflos vor mir. »Nein«, flüsterte sie, »nein, nein.«

»Doch«, flüsterte ich ihr ins Ohr. »Doch.«


Lady Tendite lag ausgestreckt auf der Sklavenmatte.

»Du wirst mir helfen, den verhaßten Kragen loszuwerden, nicht wahr?« schnurrte sie, legte mir die Arme um den Hals und drückte ihre Lippen auf die meinen.

»Bittet Darlene mich darum?«

»Darlene!« rief sie und lehnte sich aufgebracht zurück.

»Ist das nicht der Name, der auf dem Kragen steht?«

»Ja.«

»Bittet Darlene mich darum?«

»Ja«, schnurrte sie und küßte mich erneut.

»Die Bitte wird abgeschlagen«, antwortete ich.

Wütend drückte sie sich auf die Knie hoch und zerrte an dem Kragen. »Du Sleen!« fauchte sie.

Ich lächelte sie an. Sie hatte eine aufreizende Figur. Kein Wunder, daß Männer Frauen zu ihren Sklavinnen machen.

»Sleen! Sleen!« schluchzte sie.

»Still!« rief ich abrupt.

Erschrocken sah sie mich an.

»Verlaß die Matte nicht«, befahl ich und stand auf. Langsam ging ich zu einem der schmalen, vergitterten Fenster. Fünf bewaffnete Männer liefen die Straße entlang.

»Bestimmt Flußpiraten«, sagte ich.

Sie stöhnte auf und versuchte sinnloserweise ihre Blöße zu bedecken. Ich drehte mich zu ihr um. »Glaubst du, in den Fesseln der Piraten würde dir Schamhaftigkeit gestattet sein?« Ich kehrte zu ihr zurück. »Sie kommen nicht«, sagte ich. »Ich glaube eher, sie sind im Begriff, Lara zu verlassen.«

»Warum?«

»Und doch rieche ich keinen Rauch«, stellte ich fest. »Interessant.«

»Was geht hier vor?« wollte sie wissen.

»Kannst du dir das nicht denken?«

»Nein.«

Ich faßte sie an den Armen und warf sie unter mir auf den Rücken.

»Meine liebe Lady Tendite – oder ›Darlene‹, wie ich dich auch nennen könnte, ich glaube, wir können an diesem Ort nicht allzu lange verweilen.«

»Was meinst du?«

»Und du wirst ihn ein wenig eher verlassen als ich«, sagte ich.

»Ich verstehe das nicht«, sagte sie und stöhnte auf, als ich in sie eindrang. Sie versuchte mich fortzuschieben, es gelang ihr aber nicht. Im nächsten Moment klammerte sie sich an mich.

»Ausgezeichnet, Darlene«, sagte ich.

»Was weckst du in mir?« flüsterte sie.

»Ahnst du es nicht?«


»Du hast gesiegt, Jason«, flüsterte sie, neben mir liegend, den Kopf auf den ausgestreckten Arm gelegt. »Du hast mich dazu gebracht, dir völlig zu erliegen, ohne Vorbehalt, hilflos, wie eine Sklavin.«

»Als freie Frau«, antwortete ich, »ahnst du nicht, was es bedeutet, wenn sich eine Sklavin der Fülle ihrer Gefühle hingibt.«

»Doch, ich ahne, was es bedeutet«, flüsterte sie, »der Gnade eines Herrn ausgeliefert zu sein, voll und ganz und nach dem Buchstaben des Gesetzes.«

»Findest du diese Gedanken gut?« fragte ich.

»Ich muß sie mir aus dem Kopf schlagen«, sagte sie. »Ich darf es nicht einmal wagen, ihnen nachzuhängen.«

»Warum?«

»Sie sind viel zu weiblich.«

»Und das paßt nicht zu einer stolzen freien Frau?« fragte ich.

»Ja.«

»Eher wären sie für eine Sklavin geeignet?«

»Ja«, sagte sie lächelnd. »Einer solchen Frau ist es gestattet, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein.«

»Ich würde eher sagen, sie hat keine andere Wahl.«

Sie wandte mir ihr Gesicht zu. »Du wirst mir nicht helfen, den Kragen loszuwerden, nicht wahr?« fragte sie und streichelte mir die Schulter.

»Nein«, sagte ich.

»Du weckst seltsame Gefühle in mir, Jason«, bemerkte sie.

»Ach?«

»Ich bin es gewöhnt, daß die Männer tun, was ich will.«

»Da würde ich vorschlagen, Lady Tendite«, erwiderte ich, »daß du dich daran gewöhnst, den Wünschen der Männer nachzukommen!«

»Was tust du?« fragte sie. Ich hatte in der Nähe Männerstimmen und das Klappern von Waffen vernommen. Ich zerrte sie zur Tür der Schänke. Ich öffnete das Sichtfenster und schaute hinaus. Soweit erkennbar, war die Straße leer. Ich schloß das Fenster wieder und hob die schweren Riegel. Dann öffnete ich die Tür und schaute hinaus. Niemand zu sehen. Lady Tendite hielt ich am Oberarm fest. Sie war barfuß und trug zu ihrem Kragen die knappe Ta-Teera. Ich schleuderte sie die wenigen Stufen hinab. Ein Stück vor der Schänke fiel sie auf Hände und Knie nieder, rappelte sich nach einem Moment der Benommenheit auf und sah sich um. Schon schloß ich die Tür wieder und ließ die schweren Sicherungsbalken in die Halterungen fallen. Sie lief zur Tür und hieb mit den Fäusten dagegen. »Laß mich ein!« rief sie. »Laß mich ein!«

Ich verließ den großen Gastraum der Schänke und begab mich in das Obergeschoß, um mir von einem der vorderen Fenster einen Überblick über die Straße zu verschaffen. Ich hörte sie noch immer gegen die Eingangstür hämmern. »Laß mich hinein, Jason!« schluchzte sie.

Aus dem Fenster blickend, sah ich sie schließlich in die Mitte der Straße laufen. Sie wandte sich unsicher hierhin und dorthin. Sie schluchzte.

»Halt, Sklavin!« rief eine Stimme. Männer waren in der Straße aufgetaucht. Wie vermutet, trugen sie die Uniformen Ars.

Verzweifelt machte das Mädchen kehrt, doch schon wurde ihr der Weg abgeschnitten. Die Männer der Patrouille umringten ihre Beute, fesselten sie und setzten ihren Weg fort. Nach etwa zwanzig Metern schaute das Mädchen noch einmal zurück und sah mich am Fenster stehen. Aber schon wurde sie weitergezerrt.

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