18

»Haltet den Dieb!« rief der rundliche Mann, dem die Roben um den Leib schlackerten.

Ein fixer kleiner Bursche huschte von ihm fort, eine pralle Börse in der Hand, deren Schnur er durchgeschnitten hatte. In der Rechten schwenkte der kleine Mann einen langen Dolch.

Männer traten zur Seite, um den Dieb durchzulassen.

»Aufhalten!« rief der rundliche Mann keuchend und stolperte ungeschickt hinter dem Fliehenden her. Einen Ballen Repfasern auf dem Rücken tragend, verfolgte ich die Szene.

Als der Fliehende in meine Nähe kam, setzte ich den Ballen ab und schob ihn ihm abrupt in den Weg. Er prallte dagegen, stolperte darüber und rollte auf den Holzdielen der Pier ab. Ich stürzte mich auf ihn. Auf dem Rücken liegend, hieb er mit der Klinge nach mir, doch ich umfaßte sein Handgelenk mit beiden Händen und zerrte ihn hoch. Die Börse ließ er dabei fallen. Zweimal wirbelte ich ihn am Handgelenk herum und schleuderte ihn, getrieben von großem Anschwung, in einen Berg Nagelfässer, die etwas seitlich gelagert waren. Sie ergossen sich über ihn. Als ic h ihn wieder zu mir zerrte, war er schon ziemlich benommen und blutete auch aus einigen Wunden. Splitter steckten in seiner Tunika und in seinem Gesicht. Mit beiden Händen brach ich ihm das Handgelenk und trat das Messer zur Seite, das zu Boden fiel. Anschließend drehte ich ihn zu mir herum. Seinen Unterarm umklammernd, starrte er mich aus weit aufgerissenen Augen an. Ein Knochenstück ragte durch die Haut. Ich versetzte ihm einen energischen Tritt, und er brüllte vor Schmerzen. Ich drehte ihn um, packte ihn am Nacken, drängte ihn zum Kai, wo ich sein Fußgelenk packte und ihn kopfüber ins Wasser stürzen ließ. Er schwamm sofort zur Küste und watete gleich darauf hastig aus dem Wasser. Zweimal schrie er noch auf. Als er dann zwischen den Stützen der nächsten Pier im flachen Wasser stand, schlug er sich verzweifelt gegen die Beine, in dem Bemühen, zwei Flußaale loszuwerden, die sich festgebissen hatten. Torkelnd, breitbeinig, ging er wieder an Land.

»Wo sind die Wächter, ihn zu verhaften!« japste der Beleibte, der die Kastenfarben Weiß und Gold trug und offensichtlich Kaufmann war.

»Es gibt in Victoria keine Wächter«, sagte ich. »Zwei Kupfer-Tarsks, für jeden von euch«, sagte der Kaufmann zu zwei Hafenarbeitern in der Nähe, »wenn ihr den Kerl einfangt, fesselt und zu mir bringt.«

Hastig machten sich die beiden an die Verfolgung.

Obwohl etliche Männer herumstanden, hatte niemand den Versuch gemacht, die Börse des Kaufmanns zu stehlen, die in der Nähe lag. Die meisten Menschen, die in Victoria leben, sind ehrlich.

Einer reichte dem Kaufmann seinen Besitz zurück.

»Wie heißt du, Mann?« wandte er sich dann an mich.

»Jason.«

»Aus Victoria?«

»Hier lebe ich zur Zeit«, antwortete ich.

Der Mann lächelte. Am Fluß gibt es viele Fremde, die nicht seßhaft werden; sie kommen aus ganz Gor. »Du hattest schon einmal Schwierigkeiten mit Wächtern?« fragte er.

»In Tancreds Furt und Fina – ein wenig«, sagte ich.

»Ich bin Glyco aus der Kaste der Kaufleute von Port Cos. Du bist ein mutiger Bursche. Ich bin dir dankbar für deine Hilfe.«

»Es war nichts Besonderes«, sagte ich.

Der jammernde Dieb wurde uns von den beiden Hafenarbeitern vorgeführt. Er litt große Schmerzen und konnte kaum noch stehen. Aus den Resten seines Hemdes hatte man eine Handfessel für ihn gedreht. Die Männer drückten ihren Gefangenen vor dem Kaufmann auf die Knie.

Der Dicke wandte sich zu mir um. Er nahm einen Silber-Tarsk aus dem Beutel und reichte ihn mir.

»Du brauchst mir nichts zu geben«, sagte ich. »Es war nicht weiter wichtig.«

»Nimm das Geld als Zeichen meiner Dankbarkeit.«

Ich griff zu. »Vielen Dank«, sagte ich. Einige der Umstehenden spendeten dem Mann auf goreanische Weise Beifall, indem sie sich gegen die Schultern schlugen. Er war sehr großzügig. Für die meisten Goreaner ist eine solche Münze ein großer Betrag. Meistens wird er mit hundert Kupfer-Tarsks gleichgesetzt, die in den meisten Orten jeweils zehn bis zwanzig kleine Tarsks wert sind. Zehn Silber-Tarsks machen im allgemeinen ein Goldstück aus, wie es von den großen Städten ausgegeben wird. Allerdings muß gesagt werden, daß es in diesen Dingen nur geringe Übereinstimmung gibt, denn es hängt viel von den Realgewichten der Münzen und ihren Anteilen an Edelmetallen ab, wie sie von den amtlic hen Prägestempeln ausgewiesen werden. Manchmal werden Münzen auch durchgetrennt oder abgespant. Oft kommen über bestimmte Münzen auch üble Gerüchte in Umlauf – so machen sich Münzenhändler Waagen wie Gerüchte zunutze. Eines der wichtigsten Geldstücke auf Gor ist die goldene Tarnscheibe aus Ar, auf die viele andere Städte ihre Goldstücke abstellen. Andere allgemein bekannte Münzen sind der Silber-Tarsk aus Tharna, die goldene Tarnscheibe aus Ko-ro-ba und der goldene Tarn von Port Kar, der vordringlich am westlichen Vosk verbreitet ist, in der Gegend des Tamber-Golfes und einige hundert Pasangs nördlich und südlich des Vosk-Deltas.

Nun wandte sich der Kaufmann dem Dieb zu. »Ich werde ihn nach Port Cos bringen lassen, vor die Prätoren«, sagte er.

»Bitte, Herr!« flehte der Dieb. »Nicht vor die Prätoren!«

»Hängst du so sehr an deinen Händen?« fragte der Kaufmann. Mir fiel auf, daß das linke Ohr des Diebes bereits eine Kerbe aufwies. Dieses Sühnezeichen stammte offensichtlich nicht aus Victoria.

»Bitte, Herr, laß Gnade walten!« flehte der Dieb.

»Er hat schon einen ziemlich miesen Tag hinter sich«, legte ich ein gutes Wort für ihn ein.

»Dann sollten wir ihm gleich die Kehle durchschneiden!« rief jemand.

Der Dieb begann zu jammern. »Nein! Nein!« flehte er.

»Was schlägst du vor?« fragte mich der Kaufmann.

»Überlaß ihn mir«, sagte ich.

»Nein, bitte, Herr!« wimmerte der Dieb.

»Er gehört dir«, entschied der Kaufmann.

Ich zerrte den Burschen hoch und schob ihm den Silber-Tarsk in den Mund, so daß er nicht sprechen konnte. »Geh zu einem Arzt«, sagte ich, »der sich um deine Hand kümmert. Sie scheint gebrochen zu sein. Und morgen bist du nicht mehr in Victoria.« Dann drehte ich ihn um und versetzte ihm einen wohlgezielten Tritt, der ihn über den Pier stolpern ließ.

»Du mußt Wächter sein«, sagte der Kaufmann.

Die Männer blickten dem davonhumpelnden Dieb nach.

»Du bist großzügig«, sagte der Kaufmann.

»Er war keine Frau«, sagte ich. »Außerdem hat er nicht meine Börse gestohlen.«

Der Kaufmann lachte.

Ich blickte hinter dem Fliehenden her. Ich nahm nicht an, daß ehrliche Bürger Victorias von ihm noch etwas zu befürchten hatten.

»Noch etwas, Mann«, sagte der Kaufmann. »Ich bin geschäftlich in Victoria. Ich suche einen Mann aus Port Cos, einen Krieger namens Callimachus.«

Es erstaunte mich, diesen Namen zu hören. Es war der Name des Mannes, der mich vor einigen Wochen vor der Klinge des Piraten Kliomenes gerettet hatte.

»Abends trinkt er oft in der Taverne des Tasdron«, gab ich Auskunft. »Dort findest du ihn vielleicht.«

»Vielen Dank, Mann«, sagte der Kaufmann, drehte sich lächelnd um und verschwand zwischen den Kisten und Ballen auf der engen Pier.

»Habt ihr heute gar nichts zu tun?« fragte der Mann, bei dem ich an diesem Tage angestellt war.

»O doch, Herr«, sagte ich grinsend und setzte meine Arbeit fort.

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