26

Wir schrieben die neunzehnte Ahn, eine Ahn vor der zwanzigsten Ahn, der goreanischen Mitternacht.

Ich war auf sträfliche Weise unvorsichtig. Ich hatte an Miles aus Vonda gedacht und an seine Sklavin, die ehemalige Lady Florence aus Vonda. Ich freute mich über ihr Glück und beneidete ihn ein wenig.

»Halt!« sagte da eine drohende Stimme.

In der Nähe eines Holzstapels auf einer Pier wirbelte ich herum. Ich befand mich in einer ziemlich einsamen Ecke. Gelegenheit, mein Schwert zu ziehen, hatte ich nicht. Der andere bohrte mir seine Klingenspitze bereits in den Unterleib. Vorsichtig wich ich zurück, bis ich mit dem Rücken am Holz stand.

»Du bist mir also gefolgt, Miles aus Vonda«, sagte ich. Er schwieg.

»Die Maske ist überflüssig«, fuhr ich fort. »Es ist hier dunkel, und wir sind allein.«

Das Schwert wurde einige Zoll weit zurückgezogen. »Nimm die Hände an die Seite und knie langsam nieder.«

Ich gehorchte.

»Und langsam, behutsam, legst du deinen Schwertgurt mitsamt der Klinge auf den Boden.«

Langsam ließ ich mir den Gürtel von den Schultern gleiten und legte ihn mit der Waffe auf die Bohlen.

»Du bist nicht Miles aus Vonda«, sagte ich, denn seine Stimme war mir fremd. »Wer bist du?« fragte ich. »Ein Räuber?«

Er schwieg. Ich behielt sein Schwert im Auge.

»Ich habe etwas Geld bei mir«, fuhr ich fort, »das gebe ich dir. Du brauchst mich nicht zu töten.«

»Sei kein Dummkopf«, antwortete er. »Wo ist er?«

»Wer?«

»Der Topas!«

»Du bist der Kurier von Ragnar Voskjard!« rief ich. Es mußte der Mann sein, der mir, um sich während der Durchsuchung der Taverne des Cleanthes zu schützen, den Topas in den Beutel geschoben hatte. Ich war im Inneren der Taverne nicht mehr durchsucht worden, weil ich – wie auch einige andere – kurze Zeit vorher schon außerhalb des Lokals nach dem Topas abgeklopft worden war. Vermutlich war der Kurier ein wichtiger Mann und seine Identität ein gut behütetes Geheimnis.

»Wo ist der Topas?« fragte er nachdrücklich.

»Du warst es, nicht wahr, der in mein Haus eindrang, es durchsuchte und die Lady Beverly eingehend nach dem Topas befragte!«

»Ich fand ihn dort nicht«, sagte er drohend.

»Aber du erhieltest etwas für eine Mühen«, erinnerte ich ihn. »Du brachtest Lady Beverly dazu, dich um deine Gunst anzuflehen, die du ihr dann höflicherweise nicht vorenthieltest.«

»Sie war nicht unattraktiv«, sagte er.

»Eine freie Frau zu vergewaltigen ist ein schlimmes Verbrechen«, sagte ich.

»Ich kenne mich mit Frauen aus«, antwortete er. »Sie war eine geborene Sklavin.«

»Dazu kann ich nichts sagen«, erwiderte ich.

»Lady Beverly wandte sich dann aber von dir ab und verständigte die Wächter von Port Cos, die ebenfalls dein Haus und deinen Garten absuchten – aber nichts fanden.«

»Du bist gut informiert«, stellte ich fest.

»Wo ist der Topas?« fragte er.

»In Sicherheit«, antwortete ich. Auf keinen Fall brauchte er zu wissen, daß ich den Stein, einem Plan folgend, Policrates persönlich ausgehändigt hatte.

»Möchtest du auf der Stelle sterben?«

»Wenn du mich tötest, wie willst du dann den Topas finden?«

Er zog das Schwert ein Stück zurück. »Ich habe dich beobachtet«, sagte er. »Dabei war ich sehr geduldig. Aber du führtest mich nicht zu dem Topas. Ich kann nicht ewig warten. Es gibt Leute, denen ich eine Antwort schulde.«

»Wenn ich dir den Stein aushändige, welcher Wert hätte dann mein Leben für dich?«

»Keinen.«

»Unter diesen Umständen verstehst du sicher, daß ich nicht begierig bin, dir den Stein zu überlassen.«

»Aber auch ich muß vielleicht sterben«, sagte er drohend, »wenn ich den Topas nicht ans Ziel bringe.«

»Du bist wirklich in keiner beneidenswerten Lage – wie ich.«

»Und da hätte ich wenig zu verlieren, wenn ich dich umbrächte.«

»Diese Tatsache ist mir nicht entgangen«, räumte ich ein.

»Es gibt aber eine einfache Lösung für unsere Schwierigkeiten«, meinte er, »eine Lösung, die im Interesse von uns beiden ist.«

»Indem du mich nämlich verschonst, wenn ich dir den Topas gebe.«

»Natürlich.«

»Aber welche Garantie hätte ich, daß du dich an eine solche Abmachung hältst?«

»Ich gebe dir mein Wort«, sagte er.

»Mit allem gebotenen Respekt muß ich anmerken«, sagte ich, »daß Piraten und alle, die sich mit ihnen verbünden, nicht gerade wegen ihrer Ehre bekannt sind.«

»Hast du eine andere Wahl?« fragte er und hob das Schwert.

»Ich zeige dir, wo ich den Topas versteckte habe.«

»Erhebe dich langsam!« befahl er. »Und geh langsam. Laß dein Schwert liegen.«

Ich richtete mich vorsichtig auf und begann behutsam und unbewaffnet zwischen den auf den Piers gelagerten Waren auszuschreiten. Er blieb hinter mir, und das blanke Schwert war kampfbereit erhoben. Wäre ich auf ihn losgegangen, hätte er mich niederschlagen können, ehe ich auch nur in seine Nähe kam. Und ich wagte ihm nicht wegzulaufen, da er mich vermutlich mit seiner Klinge noch erreicht hätte, ehe ich außer Reichweite war.

»Langsam, Langsam!« sagte er warnend.

»Hier ist das Versteck.« Und wirklich hatte ich den Stein dort verstaut gehabt. Natürlich hatte ich ihn später aus dem Versteck wieder herausgeholt, ehe ich ihn in die Festung des Policrates brachte. Vorsichtig griff ich nach einem der schweren rechteckigen Granitblöcke, die etwa sechs mal sechs mal achtzehn Zoll maßen und in einer Art Pyramide inmitten anderer Baumaterialien aufgestapelt lagen. Der ursprüngliche Käufer war aus dem Vertrag ausgestiegen, und die Steine sollten nun hier den Winter über neben dem Lagerhaus des Steinbruchs liegen, bis im Frühling ein guter Auktionspreis zu erzielen war. Das vorübergehende Festliegen der Steine und ihr Gewicht und ihr geringer Preis hatten mich bewogen, hier das ideale Versteck für den Topas zu sehen. Es lag überdies kaum mehr als vierhundert Meter von der Arbeitsvermittlung des Hafens entfernt, die ich morgens oft aufsuchte, um Beschäftigung zu finden.

»Niemand würde vermuten, daß der Topas hier versteckt ist«, sagte ich nachdenklich.

»Hast du ihn noch?« fragte der Mann hinter mir. Er war groß und hager. Auf den ersten Blick hatte ich ihn für Miles aus Vonda gehalten.

Mir ging auf, daß ich nicht mehr viel Zeit hatte. Vorsichtig bewegte ich einen anderen Stein. Dann nahm ich einen dritten in die Hände und gab mir den Anschein, als müsse ich mich damit abmühen.

»Du willst mich verschonen, wenn ich dir den Topas gebe«, sagte ich.

»Ja, ja!« rief er.

»Hier ist er«, sagte ich.

Er schlug mit der Klinge zu, und ich stieß im Umdrehen den Granitblock hoch, um den Hieb abzublocken. Funken sprühten, Gesteinssplitter flogen in alle Richtungen. Ich trat den Mann von dem Stein fort, den ich noch in den Händen hielt. Er torkelte rückwärts. Ich wartete, bis er aufrecht stand, bis er das Gleichgewicht zurückgewonnen hatte. Dann schleuderte ich von unten herauf den Granitblock in seine Richtung. An der linken Schulter wurde er getroffen. Er japste und wirbelte, von dem Stein gedreht, herum. Ich stürzte mich auf ihn, hielt aber inne, als er sich schnell herumdrehte. Sein Schwertstoß war um etwa einen Fuß zu kurz. Ich trat einen Schritt zurück. Er rückte nicht vor. Er atmete schwer. Sein linker Arm hing leblos herab. Vermutlich war seine ganze linke Schulter gelähmt.

»Ach, der Stein war doch nicht da«, sagte ich. »Ich scheine mich geirrt zu haben.«

Keuchend und taumelnd kam er auf mich zu. Ich machte kehrt und ergriff schnellfüßig die Flucht. Geschickt kehrte ich zu den Holzstapeln zurück, bückte mich und nahm das Schwert auf, das ich dort zurückgelassen hatte. Als ich mich umwandte, sah ich ihn langsam, mühsam folgen. Als er gewahrte, daß ich meine Klinge erhoben hatte, blieb er stehen. Diese Reaktion überzeugte mich, daß der Mann nicht aus Victoria stammen konnte. In Victoria glaubte man, daß ich mich mit dem Schwert nicht auskannte. Wäre er aus der Stadt gewesen, hätte er mich wohl trotz seiner Schmerzen angegriffen.

»Verräterischer Sleen!« fauchte er.

»Nicht ich habe heimtückisch mit dem Schwert zugeschlagen«, bemerkte ich.

»Sleen!« wiederholte er.

»Holla, zu Hilfe!« rief ich laut. »Heda, was tust du da? Wer bist du! Verschwinde von hier! Wir gestatten es nicht, daß sich auf diesen Piers Diebe herumtreiben!«

Der Mann erbebte vor Zorn und trat einen Schritt vor.

»Fort mit dir, du Dieb!« rief ich. »Fort!«

»Sei still, du Dummkopf!« sagte der Mann.

»Dieb! Dieb!« rief ich. »Hier stiehlt man nicht ungestraft, Bursche, du bist hier in Victoria!«

»Was geht hier vor!« rief eine Stimme weiter hinten an der Pier.

»Hilfe! Hilfe!« rief ich. »Ein Dieb!«

Ich schaute über die Schulter zurück und sah eine Laterne näher kommen. Zwei Männer näherten sich mit Sklaven.

»Sleen!« sagte der Mann mit der Maske, dann machte er kehrt und floh mit schnellen Schritten.

»Bist du das, Jason?« fragte einer der Näherkommenden.

»Ja«, erwiderte ich und steckte das Schwert fort.

»Was ist?«

»Ich habe da einen Mann auf den Kais herumschleichen sehen«, sagte ich. »Bestimmt führte er nichts Gutes im Schilde.«

»Er scheint fort zu sein«, sagte der erste Mann.

»Ja. Vorhin war er drüben beim Steinlager. Er machte sich am Granit zu schaffen, an der festliegenden Ladung.«

»Dort gibt es aber nichts Wertvolles zu finden«, meinte der zweite Mann.

»Da hast du recht«, sagte ich.

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