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»Du hast dich deinen Gefühlen auf wirklich eindrucksvolle Weise hingegeben, Lady Gina«, sagte ich. In einem Winkel des Essenszeltes lagen wir zwischen anderen Paaren im Stroh. Sie hatte mich beim Essen bedient, und ich hatte ihr befohlen, mir auf das Stroh zu folgen.

»Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß es solche Gefühle gibt«, antwortete sie.

»Du mußt doch unzählige wonnetrunkene Sklavinnen erlebt haben«, bemerkte ich. »Schließlich warst du Sklavenhändlerin.«

»Ja«, antwortete sie, »aber bis eben hatte ich keine Ahnung, was sie wirklich empfanden.« Sie lächelte. »Kein Wunder, daß die fiebernden kleinen Dirnen auf ihre Sklavenkragen so stolz sind.«

»Nun weißt du es – in dem Ausmaß, wie du es zur Zeit empfinden kannst.«

»Gibt es denn mehr?«

»Was es bedeutet, eine sich in allem unterwerfende Sklavin zu sein, kannst du in diesem Augenblick noch nicht annähernd ermessen«, sagte ich.

»Ich beginne es zu ahnen«, sagte sie. »Was du mir angetan hast, ist unumstößlich. Ich kann nie wieder dieselbe stolze freie Frau sein, die ich früher war.«

Ich zuckte die Achseln. Mir bedeutete das nic hts.

»Dabei bin ich viel zu unansehnlich als Sklavin«, sagte sie schluchzend.

»Bist du noch nicht mit ihr fertig?« fragte eine barsche Stimme.

Verblüfft hoben wir den Blick. Am Rand des Strohs stand ein großer, ungeschlachter Kerl im Gewand der Tarnpfleger. »O doch«, sagte ich lächelnd, stand auf und trat einen Schritt zur Seite.

»Taugt sie was?«

»Ja«, sagte ich. »Sie ist ziemlich gut. Und wer weiß, wie gut sie noch wird, wenn sie erst versklavt ist und sich in den Händen des richtigen Herrn befindet.«

»Natürlich«, sagte er und musterte sie erneut. Ein seltsam sanfter, weicher Ausdruck stand in den Augen der Lady Gina, die zu dem Fremden aufblickte. Ursprünglich kam sie mir sehr hilflos und verwundbar vor. Es war, als habe sie sich von grundauf gewandelt.

»Sie ist wunderschön«, sagte er.

»Ja«, sagte ich – denn es war vielleicht wahr, urplötzlich, mit der Erkenntnis und der Hinnahme ihrer wahren Natur und ihres wahren Standes.

Ihr stockte der Atem, und sie begann zu zittern.

Der Mann versetzte ihr einen Tritt. »Mach dich bereit, Frau aus Vonda!«

Ich ließ die beiden allein und wanderte zwischen den Tischen hindurch, zwischen den Soldaten und Kaufleuten und anderen Personen und den nackten, angeketteten Vondanerinnen, die hier im Essenszelt bedienten. »Unsere Streitkräfte sind bereits nach Norden marschiert«, sagte ein Mann. »Die Truppen aus Lara können erst in zwei Tagen hier sein«, bemerkte ein anderer. »Und dann finden sie hier nur noch die Asche Vondas!« lachte ein dritter. »Für Handelskarawanen ist es ein gefährliches Pflaster«, äußerte ein Mann. »Viele sind angegriffen worden«, sagte ein anderer. »Es heißt, die Flußpiraten sind die schlimmsten von allen«, schaltete sich jemand ein. »Mit dem Abzug der Truppen aus Lara werden sie frech. Sie sind sogar ins eigentliche Lara vorgestoßen und haben sich dann auf ihre Galeeren zurückgezogen.« – »Vielleicht bewegt das die Lara-Soldaten zur Umkehr«, hoffte jemand, »zum Schutze der eigenen Stadt.« – »Nein«, widersprach ein anderer, »sie haben sich anders festgelegt.« – »Sie sollen auf den Märkten am Fluß verkauft werden«, sagte jemand, an dem ich vorbeiging. Ich begriff den Sinn der Bemerkung nicht. Frauen aus Vonda konnten nicht gemeint sein. Es wäre schwierig, sie auf die Flußmärkte zu schaffen, die unten am Vosk lagen, hinter Lara, außerdem ließen sich im Süden vermutlich höhere Preise erzielen. Die meisten weiblichen Gefangenen würden wohl auf den Sklavenblöcken Ars landen.

Als ich das Essenszelt durch den Eingang verließ, rempelte mich ein großer Mann an. Er trug eine Maske. »Paß doch auf, wohin zu trittst!« sagte er ärgerlich. Ich trat zurück, antwortete aber nicht. Ich war wütend. Es wollte mir scheinen, als wäre er gegen mich gelaufen und nicht umgekehrt. Plötzlich verharrte er und schaute mich eine Sekunde lang an. Anscheinend glaubte er mich zu kennen. Auch ich hatte den vagen Eindruck, ihn schon einmal gesehen zu haben. Ohne ein weiteres Wort drängte er sich an mir vorbei und betrat das Zelt. Er war allein. Ich wußte ihn nicht unterzubringen. Ich wandte dem Essenszelt den Rücken und begab mich zu den Tarn-Gehegen. Ich hoffte dort eine Transportmöglichkeit in die Nähe Laras zu finden. In meinem Besitz befanden sich noch fünf Silber-Tarsks, eine beträchtliche Summe. Ich war ziemlich sicher, einen Tarnkämpfer, vielleicht aus einer neutralen Stadt, überzeugen zu können, mich auf Umwegen in die Umgebung Laras zu bringen.

Offenbar waren erst kürzlich einige Tarns aus dem Westen eingetroffen. Zum Teil schienen sie Flüchtlinge befördert zu haben. Ich sah Verwundete. Hier und dort hockten kleine Gruppen von Männern und schauten betrübt ins Leere. Frauen sah ich nicht, auch keine Sklavinnen. Einige trugen das Gold und Weiß der Kaufleute, einige auch Masken. Sie saßen an wärmenden Feuerstellen.

»Was sind das für Leute?« fragte ich einen der Tarnpfleger.

»Meistens Kaufleute«, antwortete er. »Opfer der Flußpiraten bei Lara.«

»Einige tragen Masken«, äußerte ich.

»Trotzdem sind uns die meisten bekannt«, sagte der Mann. »Trotz der Masken. Dort, ohne Masken, sitzen Splenius und Zarto. Du kennst Zarto, den Eisenhändler?«

»Nein«, antwortete ich.

»Er hat seine sämtlichen Wagen mit Eisenbarren verloren«, erklärte der Mann. »Neben ihm sitzt Horemius, maskiert. Ihm wurden acht Steingewichte Parfüm geraubt. Und weiter links, in der braunen Maske, das ist Zadron, der Silberhändler. Er hat so gut wie alles verloren. Der Mann in der roten Maske ist Publius, ebenfalls Silberhändler. Ihm blieb lediglich der Silbergurt über seiner Schulter.«

»Ich sehe bei diesen Leuten keine Frauen, keine Sklaven«, stellte ich fest.

»Es gab heftige Kämpfe«, erklärte der Mann. »Um mit dem Leben davonzukommen, mußten sie ihre Waren und Sklaven aufgeben.«

»Sie kommen alle aus Lara und Umgebung?«

»Ja. Sie hatten nicht gewußt, daß die Lara-Soldaten nach Osten ausrücken und die Piraten das so kühn ausnützen würden.«

»Sind das alle Betroffenen?« fragte ich gespannt.

»Nein«, antwortete der Mann. »Einige sind zum Essenszelt gegangen.«

»Gehörte ein Mann namens Oneander dazu, ein Salzund Lederhändler?«

»Ja«, sagte der Mann.

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