21. KAPITEL


Jemand fächelte ihr kühle Luft ins Gesicht. Vielleicht zum ersten Mal seit einer Million Jahren oder mehr lag sie nicht auf hartem Stein oder scheuerndem Sand, als sie erwachte, sondern auf einem weichen, kühlen Stoff, und sie roch keinen verbrannten Fels oder die Ausdünstungen eines Kamels, sondern süßen Blumenduft. Und schon im nächsten Moment war ihr klar, dass sie sich im Paradies befand. Das musste so sein, denn etwas berührte kühl und feucht ihre Lippen, und dann benetzte Wasser - Wasser! - ihren ausgedörrten Gaumen. Ganz zweifellos war sie gestorben, und Gott hatte entschieden, dass sie in ihrem kurzen Leben genug gelitten und erduldet hatte, um mit den ewigen Freuden des Paradieses belohnt zu werden.

Robin öffnete die Augen, blinzelte und sah dann noch einmal und genauer hin. Das unbeschreiblich köstliche Gefühl kalten Wassers auf ihren gerissenen Lippen blieb. Aber wenn das hier wirklich das Paradies war, dann musste der Wächter vorne an seinem Tor entweder sehr unaufmerksam sein oder die ganze Geschichte lief nach anderen Spielregeln ab, als sie und der Rest der Welt bisher angenommen hatten. Das halb verschleierte Gesicht, das auf sie herabsah, gehörte weder Petrus noch dem Erzengel Gabriel, sondern niemand anders als Aisha.

Robin fuhr mit einem Ruck hoch, aber die Araberin drückte sie mit sanfter Gewalt auf das Kissen zurück, auf dem sie erwacht war. Erneut begann sie, mit einem kleinen Schwamm ihre Lippen zu betupfen. Alles in Robin schrie danach, ihr diesen Schwamm aus den Händen zu reißen und ihn zur Gänze in den Mund zu stecken, um ihn bis auf den letzten Tropfen auszusaugen. Aber sie beherrschte sich und beließ es stattdessen dabei, die wenigen kostbaren Tropfen zu genießen, die den Weg über ihre Lippen fanden und ihren Gaumen und ihre ausgedörrte Zunge benetzten.

»Du bekommst gleich Wasser«, sagte Aisha. »Aber du musst ein wenig Geduld haben. Du dummes Ding!« Sie schüttelte den Kopf, und ihre Augenbrauen zogen sich tadelnd zusammen. »Wer hat dir gesagt, dass du draußen in der Sonne stehen bleiben sollst? Was hattest du vor - dich umzubringen?«

Robin zog es vor, nicht auf diese Frage zu antworten und auch nicht darüber nachzudenken. Vermutlich wäre die Antwort ein Ja gewesen.

»Wo ist...?«

Aisha zog das Schwämmchen zurück, als Robin zu sprechen versuchte, drehte es herum und betrachtete es einen Moment stirnrunzelnd. Robins Durst erwachte zu unmäßiger Gier, als sie das Schwämmchen sah, das dunkel vor Wasser war; doch dann erschrak sie, denn auch ihr eigenes Blut und kleine Hautfetzchen waren daran haften geblieben. Zum ersten Mal seit Tagen fragte sie sich, welchen Anblick sie wohl bieten mochte.

»Wenn du nach diesem Kind, an das du ja zweifellos dein Herz verschenkt hast, und nach seiner Mutter fragen wolltest«, antwortete Aisha, während sie den Schwamm auf ein kleines Tischchen neben dem Bett legte und mit der anderen Hand nach einem Stapel säuberlich zusammengefalteter weißer Tücher griff, der neben einer bis an den Rand mit Wasser gefüllten Schale darauf stand, »dann kann ich dich beruhigen. Sie sind in Sicherheit, und es geht ihnen wesentlich besser als dir. Im Gegensatz zu dir waren sie nämlich nicht so närrisch, mit aller Gewalt herausfinden zu wollen, wie viel ein Mensch aushält, bevor ihn die Sonne tötet.«

Sie tauchte das Tuch ins Wasser, wrang es mit quälend langsamen Bewegungen über der Schale wieder aus und betupfte dann Robins Stirn und Wangen. Es war wie die Berührung eines Engels. Robin schloss die Augen und genoss für einen Moment nichts anderes als die herrliche Kühle.

»Wenn du mir versprichst, nicht zu gierig zu schlucken, bekommst du jetzt Wasser«, versprach Aisha.

Robin nickte. Sie hoffte, dass sie ihr Wort halten würde. Aisha sah sie so misstrauisch an, als hätte sie ihre Gedanken gelesen, die in diesem Moment wohl deutlich sichtbar auf ihrem Gesicht geschrieben standen. Und anstatt ihr einen Becher mit Wasser zu reichen, wie Robin gehofft hatte, gestattete sie ihr nur, einen Zipfel des Tuches in den Mund zu stecken und auszusaugen. Erst als sie Zunge und Gaumen hinlänglich befeuchtet hatte, nahm sie ihr das Tuch ab und setzte einen kleinen silbernen Becher an ihre Lippen.

Trotz aller guten Vorsätze trank Robin so hastig, dass sie sich prompt verschluckte und ins Husten geriet. Aisha schüttelte tadelnd den Kopf, nahm das Tuch und wischte ihr das verschüttete Wasser von Kinn und Hals. Anschließend schob sie ihr den Arm unter Nacken und Schultern, damit sie sich aufrichten und so bequemer trinken konnte. Robin leerte den Becher mit kleineren, noch immer gierigen Schlucken.

»Mehr!«, verlangte sie.

Aisha schüttelte den Kopf und stellte den Becher neben die bis zum Rand gefüllte Wasserschale auf dem Tisch. »Gleich«, sagte sie. »Nur ein paar Augenblicke.« Sie seufzte tief. Ein sonderbar milder Ausdruck erschien in ihren wunderschönen Augen, etwas, das Robin noch nie darin gesehen und das zu erblicken sie bis zu diesem Moment auch für vollkommen ausgeschlossen gehalten hätte. »Nach allem, was mein Herr mir über dich erzählt hat, warst du sehr, sehr tapfer. Aber auch sehr dumm. Dabei bist du doch fast noch ein Kind.«

»Immerhin bin ich erwachsen genug, dass sich so genannte erwachsene Männer um mich schlagen«, antwortete Robin.

Aisha ließ ein helles Lachen erklingen. »Oh, glaub mir, meine Kleine«, sagte sie. »Wenn es um Frauen geht, dann benehmen sich so genannte erwachsene Männer oft genug wie Kinder.« Sie lachte noch immer, sah Robin einen Moment lang abschätzend an und füllte den Becher ein zweites Mal mit Wasser, um ihn ihr zu reichen.

Robin leerte ihn ebenso gierig und schnell wie den ersten und sogleich spürte sie, wie ihr Magen zu rebellieren begann. Ihr Körper schrie noch immer nach Wasser - und würde vermutlich auch bis in alle Ewigkeit nicht mehr damit aufhören. Aber wenn sie zu schnell und vor allem zu hastig trank, dann würde sie die kostbare Flüssigkeit möglicherweise wieder von sich geben, und allein der Gedanke an die damit verbundene Peinlichkeit hielt sie davon ab, auf der Stelle nach einem dritten Becher zu verlangen. Aisha hätte ihn ihr vermutlich sowieso nicht gewährt.

Stattdessen stemmte sie sich mühsam auf die Ellbogen hoch und schwang dann sehr behutsam die Beine von dem Bett, in dem sie aufgewacht war. Sie wartete darauf, dass ihr schwindelig wurde, aber als das nicht geschah, hob sie vorsichtig den Kopf und sah sich um.

Sie hätte selbst nicht sagen können, was sie erwartet hatte: Das Zimmer war auf jeden Fall eine Enttäuschung. Es war winzig, hatte nur ein schmales Fenster, das von nichts anderem als weißem Sonnenlicht erfüllt war, und enthielt mit Ausnahme des Bettes, auf dem sie erwacht war, des kleinen Tischchens daneben und eines einzelnen Schemels keinerlei Mobiliar. Die Tür war verschlossen, und sie konnte, zumindest auf dieser Seite, keinen Riegel erkennen.

»Wo bin ich?«, fragte sie.

»In dem ersten Raum mit Schatten und einem Bett, den wir gefunden haben.« Offensichtlich hatte Aisha nur auf eine Frage gewartet, in deren Antwort sie einen Tadel unterbringen konnte. »Keine Sorge - deine Gemächer werden ein wenig komfortabler sein.«

Robin sah sie fragend an, aber der warme, fast mütterliche Ausdruck in Aishas Augen war schon wieder verschwunden. Sie war nicht einmal mehr wirklich sicher, ob er tatsächlich da gewesen war.

»Und wie lange...?«

Wieder schüttelte Aisha den Kopf. »Nicht sehr lange«, sagte sie. »Keine Sorge - du hast nicht viel verpasst. Allenfalls das Morgengebet. Aber ich nehme ohnehin nicht an, dass du daran teilnehmen wolltest.«

Es dauerte einen kurzen Moment, bis Robin ganz begriff, was sie gerade gehört hatte. »Morgengebet? War ich etwa...?«

»Du warst ohnmächtig, und danach hast du geschlafen, ja«, bestätigte Aisha. »Wir haben die ganze Nacht abwechselnd an deinem Lager Wache gehalten.«

»Wir?«

Aisha nickte. »Dein zukünftiger Gemahl und ich«, antwortete sie. Ihre Stimme wurde eindeutig spöttisch, als sie fortfuhr: »Aber keine Angst. Ich war die meiste Zeit anwesend und habe über deine Tugend gewacht.«

»Mein... zukünftiger Gemahl?«, wiederholte Robin vorsichtig.

Die Araberin stand auf. Die winzigen Goldplättchen, die den Schleier vor ihrem zerstörten Gesicht verzierten, klimperten im Takt der Bewegung. »Hast du wirklich schon vergessen, warum du hierher gebracht wurdest? Der Herr über diese Festung hat gewiss nicht seines und das Leben so vieler Männer aufs Spiel gesetzt, weil er eine neue Küchensklavin gesucht hat.« Sie machte eine einladende Handbewegung. »Wer kräftig genug ist, so viele Fragen zu stellen, der wird wohl auch Treppen steigen können, nehme ich an?«

Robin schluckte die scharfe Antwort, die ihr auf der Zunge lag, herunter und erhob sich vorsichtig. Bislang hatte sie sich gesträubt zu glauben, dass sie tatsächlich einen halben Tag und die ganze Nacht hier gelegen haben sollte, aber anscheinend hatte Aisha die Wahrheit gesagt. Sie fühlte sich noch immer matt und ein wenig unsicher auf den Beinen und jede Faser ihres Körpers schmerzte, aber ihre Kräfte waren zurückgekehrt. Die Erschöpfung, die sie nun spürte, und vermutlich auch noch für viele Tage spüren würde, war eher wohliger Art. »Wohin bringst du mich?«

»In Eure neuen Gemächer, Gebieterin«, antwortete Aisha spöttisch.

Ihre neuen Gemächer... Robin fröstelte. Den Harem, hatte Aisha wohl gemeint. Robin gestand sich ein, dass sie nicht genau wusste, was sie unter diesem Begriff zu verstehen hatte. Doch hatte sie so viele Halbwahrheiten, Geschichten und Andeutungen darüber gehört, dass sie ihn schon jetzt fürchtete. Nach einem letzten, sehnsüchtigen Blick auf die Schale mit Wasser nickte sie andeutungsweise in Aishas Richtung und folgte ihr.

Die Tür führte auf einen kleinen, von einem hüfthohen steinernen Geländer umgebenen Balkon hinaus. Zumindest in einem Punkt hatte Aisha die Unwahrheit gesagt: Dies war ganz bestimmt nicht das erste Zimmer mit einem Dach und einem Bett, das sie gefunden hatte, denn es befand sich in einem abgelegenen Teil der Bergfestung. Weit unter ihr lag der Hof, auf den sie und die anderen aus dem Tunnel getreten waren. Es war nur ein schmaler Graben zwischen den unterschiedlich hohen Wällen der Festung, die, von hier aus betrachtet, einen viel wehrhafteren Eindruck machte als von außen.

Robin, in deren Brust trotz allem noch das Herz eines Ritters schlug, der Gebäude stets nach Gesichtspunkten von Verteidigung und Wehrhaftigkeit betrachtete, erkannte sofort, dass dieser Graben für jeden Angreifer, dem es gelang, den äußeren Wall zu überrennen oder sich durch den Tunnel Einlass zu verschaffen, zur tödlichen Falle werden musste. Die Zinnen des Festungswalls waren hoch und mit Schießscharten versehen, deren Schussfeld sich gegenseitig überlappte. Soweit sie es von hier oben aus beurteilen konnte, gab es nur einen einzigen, äußerst stark befestigten Eingang zur inneren Burg. Masyaf, dachte sie, war nicht nur eine sagenumwobene Festung, sondern auch eine, die kaum zu erobern war.

»Du hast später noch Zeit genug, dich umzusehen«, drang Aishas Stimme in ihre Gedanken. Sie klang leicht ungeduldig. »Jetzt komm. Wir haben nicht mehr allzu viel Zeit, wenn wir dich bis zum Abend in einen halbwegs ansehnlichen Zustand versetzen sollen.«

Robin war nicht sonderlich erpicht darauf, in einen ansehnlichen Zustand versetzt zu werden - nicht, nachdem sie nun wusste, wozu diese Zeremonie dienen sollte. Aber der kurze Blick in die Runde hatte ihr nicht nur viel über Masyaf verraten, sondern ihr vor allem eines gezeigt: Auch wenn Aisha und sie die einzigen lebenden Wesen in weitem Umkreis zu sein schienen - denn sie konnte weder Wächter noch einen der schwarz gekleideten Krieger hinter den Zinnen oder unten auf dem Hof erkennen -, so wäre der Versuch einer Flucht in diesem Moment und von diesem Ort aus doch vollkommen aussichtslos. Sie hob müde die Schultern und hoffte, dass Aisha diese Geste als Fügsamkeit in ihr Schicksal auslegte. In Wahrheit war sie jetzt mehr denn je entschlossen, von diesem unheimlichen Ort zu fliehen.

Vorerst jedoch führte sie Aisha über eine schmale, aus dem natürlich gewachsenen Felsen gemeißelte Treppe hinauf. Sie erreichten einen hellen, säulengeschmückten Kreuzgang und von dort aus einen massigen Turm. Jetzt stieß sie zum ersten Mal auch wieder auf Haruns Krieger. Zwei der Männer standen völlig reglos vor dem einzigen, niedrigen Tor des Turmes, trotz der mörderischen Hitze in ihre schwarzen Gewänder gehüllt und mit verschleierten Gesichtern. Selbst jetzt, wo ihr ihre Sinne keine bösen Streiche mehr spielten und sie nicht mehr halb wahnsinnig vor Angst und Durst war, kamen ihr die beiden Assassinen noch immer mehr wie Gespenster denn wie lebende Menschen vor.

Auf einen Wink Aishas hin öffnete eine der Wachen die Tür, um sich unverzüglich wieder auf ihren Posten zurückzuziehen. Der Mann sah nicht in ihre Richtung, als Aisha durch das Tor trat und Robin mit einem ungeduldigen Wedeln der Hand aufforderte, ihr zu folgen.

»Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte sie. »Zu diesem Turm haben allein die Frauen des Scheichs und ihre Dienerinnen Zugang. Kein Mann kommt jemals hierher. Nicht einmal Sheik Sinan selbst.«

Robin war im ersten Moment irritiert. Dann aber begriff sie, dass Aisha die Blicke, mit denen sie die beiden Männer gemustert hatte, nicht verborgen geblieben waren. Sie hatte sie jedoch offensichtlich vollkommen falsch gedeutet. Gut. Ihr sollte es recht sein. Ohne zu antworten, trat sie hinter Aisha durch das Tor und folgte ihr eine schmale, gewendelte Treppe hinauf. Kühles Halbdunkel hüllte sie ein, als die Wächter hinter ihnen die Tür wieder schlossen.

Auch hier stammte das einzige Licht von schmalen, schräg nach oben durch die Wände getriebenen Schlitzen, durch die flirrende Sonnenstrahlen hereinfielen. Robin begriff, dass dieser Turm einzig nach Verteidigungsgesichtspunkten erbaut war und seine Architekten keinen besonderen Wert auf Komfort gelegt hatten. Die Treppe führte zu mindestens einem halben Dutzend Etagen hinauf, zu der jeweils eine einzelne Tür Zugang bot, die sie allesamt passierten. Nur ein einziges Mal ging eine dieser Türen in eine andere Richtung. Sie war nicht ganz geschlossen, sodass Robin einen flüchtigen Blick auf den Wehrgang der angrenzenden Mauer erhaschte, aber nicht erkennen konnte, was dahinter lag.

Es war sehr still. Der Turm hatte entweder keine anderen Bewohner oder seine Mauern waren so dick, dass sie jedes Geräusch verschluckten wie ein Schwamm ein paar Tropfen Feuchtigkeit.

Endlich erreichten sie ihr Ziel, das im obersten Stockwerk des Turmes liegen musste. Aisha zog einen großen, kunstvoll geschmiedeten Schlüssel unter ihrem Gewand hervor. Robin fuhr bei diesem Anblick ganz leicht zusammen, denn mehr noch als alles andere machte er ihr klar, dass sie wieder eine Gefangene war. Schließlich öffnete Aisha die Tür und bedeutete Robin mit einer übertriebenen Geste, an ihr vorbeizugehen.

Robin hatte ein kleines Zimmer erwartet, eine Zelle, allenfalls einen Raum, wie sie ihn in Omar Khalids Sklavenhaus bewohnt hatte, doch das genaue Gegenteil war der Fall. Die gesamte Etage schien nur aus einem einzigen großen Zimmer zu bestehen, an dessen Decke mehrere duftige Vorhänge in lauschigen Bögen befestigt waren, mit denen man es vermutlich unterteilen konnte. Es war sehr hell hier drinnen. Auf der einen Seite, die zum Hof hin lag, gab es eine Reihe großer Fenster. Sie hatten keine Gitter, und das war zwanzig oder gar dreißig Meter über dem Boden auch gar nicht notwendig, da allein schon die Höhe der Fenster jeden Fluchtversuch ausschloss. Robin war dennoch erleichtert beim Anblick der unvergitterten Fenster. Dafür bedauerte sie es umso mehr, dass sich in der nach außen hin gelegenen Seite nur tief ins Mauerwerk eingelassene Schießscharten befanden.

»Ich verstehe immer weniger, was unser Herr an dir findet«, sagte Aisha kopfschüttelnd, als Robin an ihr vorbeiging. »Du hast zwar keine nennenswerten Höcker, aber dafür stinkst du wie ein Kamel.« Ein abfälliges Lächeln huschte ihr über das Gesicht. »Ach ja, ich vergaß ja, wo du aufgewachsen bist. In eurem so genannten Ritterorden gilt es ja als Tugend, ungewaschen zu sein und zu stinken, nicht wahr?«

Robin schluckte die Antwort herunter, zu der sie schon angesetzt hatte. Aishas Spott war ihr umso unverständlicher, als sich die Araberin gerade noch so mütterlich besorgt gezeigt hatte. Was wollte sie nur damit erreichen?

»Worauf wartest du?«, fragte Aisha ungeduldig, als sie sich nicht rührte, sondern sie nur wortlos ansah.

»Was soll ich denn hier?«, fragte Robin. »Ist das euer... Harem?«

Aisha sah sie einen kurzen Moment lang verblüfft an, dann begann sie schallend zu lachen. Ganz offensichtlich hatte Robin eine ziemlich dumme Frage gestellt.

»Nein«, sagte sie. »Jemand in deinem Zustand käme nicht einmal in die Nähe des Harems.« Sie schüttelte den Kopf. »Ginge es nach mir, wärest du überhaupt nicht hier, gleich ob gewaschen oder ungewaschen. Aber es steht mir nicht zu, die Entscheidungen meines Herrn in Zweifel zu ziehen.« Sie seufzte, und ihre Stimme wurde fast wehleidig. »Mir obliegt nur die Aufgabe, dich in einen halbwegs vorzeigbaren Zustand zu versetzen. Auch wenn ich nicht weiß, warum Allah mich einer solch schweren Prüfung unterzieht, denn ich fürchte, ich werde daran scheitern.«

Robin war inzwischen zu dem Entschluss gekommen, dass es nicht lohnte, auf Aishas Sticheleien einzugehen. Die Araberin spielte eine Rolle, das hatte sie mittlerweile begriffen. Ihr war nur noch nicht klar, wann sie ihr wahres Gesicht offenbart hatte: Vorhin, als sie sie wie eine Mutter ihr krankes Kind in den Arm genommen und zärtlich ihr Gesicht abgetupft hatte, oder jetzt, als es ihr so offensichtliche Freude bereitete, an ihr herumzumäkeln. Statt zu antworten und Aisha einmal mehr die Gelegenheit zu einer Stichelei zu geben, machte sie einen großen Schritt an ihr vorbei und ließ den Blick durch den Raum schweifen.

Im Gegensatz zu seiner erstaunlichen Größe fehlte nahezu jegliches Mobiliar. Den Boden bedeckte ein kunstvolles Mosaik und die dünnen, prachtvoll verzierten Vorhänge, die in wolkigen Bögen unter der Decke schwebten, wären in ihrer Heimat ein Vermögen wert gewesen. Dafür fehlten allerdings Bilder, Teppiche oder anderes Schmuckwerk an den Wänden; sie waren im schlichten sandfarbenen Ton des Gesteins belassen worden, als wollten sie den Betrachter nicht vergessen lassen, dass er sich in einer uneinnehmbaren Festung befand.

So war es denn auch kein Wunder, dass sie weder eine Fluchtmöglichkeit entdeckte noch irgendetwas, was sich als Waffe hätte benutzen lassen. Ihr Blick glitt suchend über einen Tisch und zwei niedrige, lehnenlose Hocker, die vor einem der großen Fenster standen, und blieb schließlich auf etwas haften, was wie eine große steinerne Pferdetränke aussah. Was ein solch riesiger Steintrog im vierten oder fünften Stock für einen Sinn machen sollte, konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Das einzig Rätselhafte, was ihr sonst noch auffiel, war ein dichter, bauschiger Vorhang, der einen Bereich an der Südseite abtrennte.

Als sie jenseits des Vorhangs ein Geräusch wahrnahm, wäre sie am liebsten gleich dort hingeeilt, um ihm sein Geheimnis zu entreißen - aber sie ahnte, dass Aisha das nicht gestatten würde. Sie hatte durchaus nicht vergessen, wie fest Haruns Leibsklavin zuzupacken verstand; wahrscheinlich hatte sie trotz aller gegenteiligen Beteuerungen über die Rolle der Frauen in diesem Land eine ähnliche Kampfausbildung genossen wie die Schatten, die das Leben des Sheiks mit ihrem eigenen zu schützen bereit waren.

Statt ihre Neugier zu befriedigen, trat sie mit schnellen Schritten an eines der Fenster und blickte hinaus. Was sie sah, ließ sie vor Erstaunen den Atem anhalten. Nach dem wehrhaften Äußeren Masyafs hatte sie erwartet, auch in seinem Inneren etwas Ähnliches zu erblicken: ein verschachteltes Labyrinth aus Türmen, Erkern, Zinnen, Wehrgängen und Schießscharten, einzig dazu bestimmt, dem Ansturm jedes nur vorstellbaren Feindes zu trotzen.

Doch der Anblick, der sich ihr bot, war das genaue Gegenteil. Die Fenster führten auf den großen, asymmetrisch angelegten Innenhof der Burg hinaus, aber es war nicht wirklich ein Hof, sondern ein blühender Garten, in dem Palmen und bunte Büsche wuchsen, Wildblumen in allen nur erdenklichen Farben und Arten, blühende Sträucher und uralte, Früchte tragende Bäume. Ein betörender Duft wehte zu ihr hinauf, sie hörte Vögel singen und das unendlich süße Geräusch von plätscherndem Wasser, das von den künstlich angelegten Bächen und Springbrunnen dort unten heraufdrang. Der Garten war verlassen, aber es gehörte nicht viel Fantasie dazu, sich lustwandelnde Menschen darin vorzustellen, verliebte Paare, die Hand in Hand gingen, spielende Kinder oder einfach nur Müßiggänger, die das Übermaß an Leben und Farbe genossen, das hier, im Herzen der heißesten und tödlichsten Wüste, die sie sich nur vorstellen konnte, auf sie wartete.

Selbst die Mauern und Gebäude, die diesen Garten Eden einschlossen, standen im deutlichen Kontrast zu den düsteren Außenbereichen Masyafs. Sie waren hoch und endeten in zinnenbesetzten Kronen, aber das war auch schon die einzige Ähnlichkeit. Es gab zahlreiche Fenster, Balkone und luftige Säulengänge und alles war aus weißem Marmor gefertigt, der in der Sonne schimmerte wie frisch gefallener Schnee. Robin hörte Aishas Schritte hinter sich, aber sie blieb einfach stehen und betrachtete das unglaubliche Bild unter sich. Sie wagte nicht zu blinzeln, aus Angst, das Trugbild könnte verschwunden sein, wenn sie die Lider wieder hob.

»Gefällt dir, was du siehst?«, fragte Aisha.

Robin machte sich erst gar nicht die Mühe zu antworten. Sie wagte es nicht, den Zauber des Moments zu stören.

»Jetzt verstehst du vielleicht besser, wieso Haruns Männer ihm so treu ergeben sind«, murmelte Aisha. »Welcher Mann gäbe nicht seine Seele, um in diesem Paradies leben zu können?«

So verstört und entkräftet Robin noch war - so konnte sie nicht anders, als Aisha innerlich zuzustimmen. Trotzdem fragte sie: »Was hat er davon, wenn er genau dieses Leben verliert?«

Aisha schüttelte heftig den Kopf. Robin spürte die Bewegung, obwohl sie nicht in ihre Richtung sah. »Du verstehst nichts, Ungläubige«, behauptete sie. Es klang nicht abfällig, sondern wie eine unabänderliche Feststellung. »Das ist nur ein Vorgeschmack dessen, was auf die Söhne Ismaels wartet, wenn ihr Leben auf dieser Welt zu Ende geht. Das Paradies und immer währende Freude.«

Und das glaubst du wirklich? dachte Robin. Der Anblick berührte sie noch immer zutiefst, und dennoch hatten Aishas Worte den Zauber gebrochen. Plötzlich tat ihr die Araberin nur noch Leid. Begriff sie denn nicht, welch fürchterlicher Täuschung sie aufsaß und dass der Garten dort unten, so wunderbar er auch war, nichts anderes als eine blühende Oase inmitten der Wüste war? Haruns Versprechen war nicht mehr wert als der Sand, durch den sie in den letzten Tagen geritten waren.

Mit einem Mal befiel sie eine Traurigkeit und sie trat vom Fenster zurück. Der Zauber des Augenblicks war zerstört. »Was erwartet dein Herr von mir?«, fragte sie Aisha.

»Zuallererst einmal, dass du dich wäschst«, antwortete Aisha.

Robin schüttelte den Kopf. »Ich meine es ernst, Aisha«, beharrte sie. »Ich werde niemals seine Gemahlin werden.«

»Ich meine es auch ernst«, erwiderte Aisha. »Denn er wird schreiend davonlaufen, wenn er dich so sieht. Und das wollen wir doch beide nicht, oder?«

Mit einer herrischen Geste schnitt sie ihr jede weitere Entgegnung ab und klatschte in die Hände. Robin war nicht überrascht, als der Vorhang auf der anderen Seite des Zimmers zur Seite geschlagen wurde und zwei verschleierte Frauen dahinter heraustraten. Eine von ihnen trug ein Tablett mit einem goldenen Krug und einem Trinkgefäß aus dem gleichen Material, daneben eine Schale mit Obst, die Arme der anderen waren mit sauberen, kostbaren, Kleidern beladen.

Freudig überrascht war sie, als sie die dritte Gestalt erkannte, die einen Moment später hinter dem Vorhang heraustrat und mit hüpfenden Schritten an den beiden Sklavinnen vorbeieilte. »Nemeth!«, rief sie.

Das Mädchen lachte hell auf, beschleunigte seine Schritte und warf sich mit solchem Ungestüm in Robins ausgebreitete Arme, dass es sie fast von den Füßen gerissen hätte. Im letzten Moment erst fand Robin das Gleichgewicht wieder, dann presste sie Nemeth lachend an sich.

»Ich bin ja so froh, dich zu sehen!«, sagte sie. »Und dir geht es auch wirklich gut? Dir fehlt nichts?«

»Niemand hat mir etwas getan«, versicherte Nemeth. Ihre Augen leuchteten glücklich. »Im Gegenteil. Harun ist der netteste Mensch, den du dir vorstellen kannst, und du wirst nicht glauben, wer...«

»Das reicht jetzt«, unterbrach sie Aisha. Robin sah verwirrt zu Haruns Leibsklavin hoch, doch Aisha deutete sogleich eine besänftigende Geste an, und ihre Augen, der einzige Teil ihres Gesichtes, der über dem goldverzierten Schleier sichtbar war, lächelten. »Wir haben wirklich noch eine Menge vor uns. Du musst etwas trinken. Und vor allem essen, damit dir nicht die Kräfte versagen und du ohnmächtig wirst, wenn du ins heiße Bad steigst.«

»Bad?«, wiederholte Robin verständnislos.

Aisha nickte, und Nemeth fügte mit einem leisen, ein wenig schadenfrohen Kichern hinzu: »Sie hat Recht, weißt du? Du riechst wirklich ein bisschen wie ein Kamel.«

»Hast du schon einmal gehört, wie ein Kamel schreit, wenn man es an den Ohren hochzieht?«, erwiderte Robin und setzte eine übertrieben drohende Miene auf. Nemeth antwortete nur mit einem weiteren Kichern, aber Aishas Stirn umwölkte sich ärgerlich.

»Genug mit dem Unsinn«, sagte sie. Sie deutete mit einer unwilligen Geste auf den Tisch, auf dem die Sklavin mittlerweile ihre Last abgeladen hatte. »Iss. Und trink. Aber schling nicht.«

Das ließ sich Robin nicht zweimal sagen. Auch wenn in den letzten Minuten so viele unterschiedliche Eindrücke und Überraschungen auf sie eingestürmt waren, dass sie das qualvolle Brennen in ihrer Kehle beinahe vergessen hatte; so meldete sich jetzt ihr Durst mit aller Macht zurück. Sie beherrschte sich, so gut es ging. Aisha runzelte missbilligend die Stirn, während Robin - zuerst gierig, dann etwas zurückhaltender - die gesamte Obstschale leerte. Dabei spülte sie mit Unmengen von Wasser nach und war selbst dann noch durstig, als der Krug bis auf den letzten Tropfen geleert war. Sie warf Aisha einen bettelnden Blick zu, den diese jedoch nur mit einem Kopfschütteln beantwortete. Im Stillen musste sie der Araberin Recht geben. Sie fühlte sich jetzt schon, als müsste sie jeden Moment platzen, und wenn sie noch mehr aß oder trank, würde ihr das ganz bestimmt nicht gut bekommen.

Erst als sie sowohl die Obstschale als auch den Krug vollkommen geleert hatte, fiel ihr wieder auf, dass Nemeth auf der anderen Seite des Tisches Platz genommen hatte und sie die ganze Zeit über angeblickt hatte. Schuldbewusst sah sie auf die leere Obstschale hinab und wollte etwas sagen, aber das Mädchen schien ihre Worte vorausgeahnt zu haben und schüttelte hastig den Kopf.

»Das macht nichts«, sagte sie. »Wir bekommen hier genug zu essen.«

»Ist das wahr?«, vergewisserte sich Robin.

»Ganz bestimmt«, versicherte Nemeth in lebhaftem Ton. »Stell dir nur vor, es gibt hier immer so viel zu essen, wie du nur haben willst, frisches Obst, und Fleisch, und Gemüse, und klares, kaltes Wasser, sogar genug, dass man darin baden kann!«

»Ach?«, sagte Robin.

»Ja«, fügte Aisha hinzu. »Und daran führt nun auch wirklich kein Weg mehr vorbei.«

»Also gut«, murrte Robin. »Aber dein Gebieter wird nicht besonders erfreut sein, wenn mir etwas zustößt.«

»Zustößt?« Aisha zog die linke Augenbraue hoch.

»Soviel ich weiß, sind mehr Leute an den Folgen eines Bades gestorben als je in irgendeinem Krieg«, antwortete sie. Das war zwar hierzulande eine vollkommen sinnlose Bemerkung und nur dazu angetan, Aisha zu reizen. In Bezug auf Robins Heimat jedoch kein völliger Unsinn, wenn man bedachte, wie rasch man sich dort mit nassem Haar einen Schnupfen oder gar eine Lungenentzündung holen konnte. Doch wie sollte sie das einem Menschen erklären, der vermutlich nicht einmal wusste, was das Wort Kälte tagsüber überhaupt bedeutete?

Aisha ersparte sich eine Antwort und gebot Robin mit einer unwilligen Geste aufzustehen. »Zieh dich aus«, verlangte sie.

»Wie?«

»Du sollst die Lumpen ablegen, die du da trägst«, sagte Aisha. »Ich werde sie verbrennen lassen. Komm!«

Während Robin begann, ihre Kleider abzulegen, führte Aisha sie zu dem steinernen Trog, der in der Mitte des Zimmers stand. Als sie näher kamen, entdeckte Robin an seinen Außenseiten hübsche Figuren, die man in den Stein gemeißelt hatte: Männer und Frauen, die bequem lagen und speisten. Über den Köpfen der Speisenden rankten sich Weinreben und auf einer Seite waren kantige Buchstaben in den Stein hineingehämmert worden, deren Bedeutung Robin jedoch fremd war, sie vermutete, dass es sich um Latein handelte, denn sie sahen völlig anders aus als die verschlungenen arabischen Schriftzeichen, die sie in Hama gesehen hatte. Der Trog war zu einem guten Viertel mit Wasser gefüllt, das vor Hitze dampfte, und daneben standen einige Krüge mit offensichtlich kaltem Wasser, deren bloßer Anblick unangenehme Erinnerungen in Robin weckte.

»Wieso ist das Wasser heiß?«, fragte sie.

»Nun, es gehört zu den Vorzügen von Burgen, die hoch über Tälern liegen«, antwortete Aisha spitz, »dass man seine Gäste schon von weitem kommen sieht und Vorbereitungen treffen kann. Bei einigen ist das allerdings nicht nötig. Man kann sie riechen.«

Robin fühlte, wie Wut in ihr aufstieg; sie fand, dass Aisha den Scherz allmählich übertrieb. Widerwillig legte sie auch noch den Rest ihrer Kleider ab und versuchte ihre Blöße mit den Händen zu bedecken. Aisha schüttelte dazu nur den Kopf und versetzte dem Kleiderstapel neben Robin einen Tritt. »Bringt das weg!«, befahl sie den beiden Sklavinnen. »Und verbrennt es.«

In Anbetracht der prachtvollen Kleider, die die beiden Frauen auf der anderen Seite des Troges abgelegt hatten, empfand Robin ein flüchtiges Bedauern. In den zurückliegenden beiden Jahren hatte sie sich daran gewöhnt, fast ununterbrochen Männerkleidung zu tragen. Vor allem war sie viel praktischer als Frauenkleider - und sie war ein Teil des Lebens geworden, das Robin geführt hatte. Ein Teil dessen, was sie inzwischen war.

»Worauf wartest du?«, fragte Aisha.

Robin blickte zweifelnd auf das dampfend heiße Wasser hinab. »Soll ich etwa... da hineinsteigen?«, fragte sie.

Aisha zog die Augenbrauen zusammen. »Selbstverständlich«, antwortete sie. »Hast du etwa noch nie eine Badewanne gesehen, du Dummkopf?«

»Nein«, antwortete Robin wahrheitsgemäß. Sie hatte oft und gerne gebadet, aber stets nur in Bächen oder Flüssen, allenfalls in einem Zuber, in dem Salim sie mit kaltem Wasser übergossen hatte, niemals jedoch in einem Gefäß wie diesem, in dem sie vermutlich gekocht werden sollte wie ein Fisch.

Aisha verdrehte die Augen. »Dann wird es Zeit, dass du es lernst.« Ohne viel Federlesens ergriff sie Robin am Arm und zwang sie mit erstaunlicher Kraft, in das immer noch dampfend heiße Wasser zu steigen.

Das Gefühl war anders, als sie erwartet hatte. Im allerersten Moment dachte sie, dass das heiße Wasser sie verbrühen würde, doch wenige Sekunden später schon empfand sie es als ungemein wohltuend. Verwirrt ließ sie sich weiter in das nach Kräutern und Rosenöl duftende Wasser sinken und biss die Zähne zusammen, als sich all die unzähligen kleinen Kratzer und Schrammen, die sie sich während ihres Ritts durch die Wüste zugezogen hatte, schmerzhaft in Erinnerung brachten. Auf Aishas Geheiß hin gab Nemeth getrocknete Blütenblätter und eine ölige Essenz, von der ein betäubend schwerer Duft ausging, ins Wasser. Zum ersten Mal im Leben begann sie zu begreifen, was das Wort Luxus bedeutete.

Aisha schickte die beiden Sklavinnen fort und verschwand dann für einen Moment hinter dem Vorhang. Als sie zurückkam, hatte sie sich umgezogen. Sie trug jetzt ein knappes Kleid mit kurzen Ärmeln und bunten Stickereien; Robin verspürte einen flüchtigen Stich von Neid, als sie sah, wie perfekt sich Aishas schlanker Körper darunter abzeichnete.

Sie war deutlich fraulicher als Robin, ohne dabei füllig zu sein, und wieder, wie schon beim ersten Mal, als sie die Araberin gesehen hatte, beneidete sie sie für einen Moment um diesen Körper. Ihr eigener Leib, den sie durch das leicht ölige Wasser hindurch betrachtete, hielt einem Vergleich nicht Stand. Ihre Brüste waren klein und flach, ihre Hüften schmal und ihre Schultern- und Oberarmmuskeln sowie ihre Waden durch die unzähligen Stunden, die sie mit Salim geritten und das Kämpfen gelernt hatte, viel zu muskulös. Kein Wunder, dass man sie zwei Jahre lang ohne weiteres für einen jungen Mann gehalten hatte. Sie verstand immer weniger, wieso Harun ausgerechnet sie begehrte, wo er eine doch solch unvergleichliche Schönheit wie Aisha haben konnte.

»Du solltest deine Kleider ebenfalls ausziehen«, sagte Aisha, an Nemeth gewandt. »Ich werde sie auch verbrennen lassen.«

»Aber das ist das einzige Kleid, das ich habe!«, protestierte Nemeth.

»Zieh dich aus!«, befahl Aisha, schärfer und diesmal mit einem ärgerlichen Blick.

Das Mädchen hielt ihm nur einen Herzschlag lang Stand, dann begann es schüchtern, sich ebenfalls zu entkleiden. Dabei sah sie unsicher von Robin zu Aisha und wieder zurück. Robin fuhr leicht zusammen, als sie sah, wie dünn und ausgemergelt Nemeth war. Die Entbehrungen des Rittes durch die Wüste waren an ihr nicht spurlos vorübergegangen, so wenig wie die Tage, die sie in Omars Sklavenverlies verbracht hatte. Man konnte jede einzelne Rippe durch ihre Haut schimmern sehen und ihr Körper war über und über mit Schrammen, blauen Flecken sowie verschorften Wunden bedeckt, jetzt als sie Nemeth nackt und zitternd vor Unsicherheit und Scham vor sich stehen sah, begriff sie erst, welches Wunder es im Grunde war, dass das Kind die Flucht durch die Wüste überhaupt lebend überstanden hatte.

Auch Aisha betrachtete Nemeth lange und eingehend, und was sie sah, schien ihr genauso wenig zu gefallen wie Robin. Sie maß Nemeth scheinbar endlos lang mit gerunzelter Stirn, dann verschwand sie mit schnellen Schritten hinter dem Vorhang. Als sie zurückkam, hielt sie ein zusammengerolltes weißes Bündel in den Händen. »Du kannst ins Wasser steigen, sobald die Ungläubige mit dem Bad fertig ist«, sagte sie. »Und danach ziehst du das hier an.«

Sie warf Nemeth das Bündel zu. Das Mädchen fing es geschickt auf und schien im ersten Moment nicht genau zu wissen, was es damit anfangen sollte. Dann aber riss sie ungläubig und erfreut zugleich die Augen auf. Was Aisha ihr zugeworfen hatte, war ein prachtvolles, eng geschnittenes Kleid aus einem weißen Stoff, der unter den schräg hereinfallenden Strahlen der Sonne schimmerte wie Porzellan. Saum und Ärmel waren mit feinen Goldstickereien verziert, und um die Taille zog sich eine aufgestickte Bordüre aus ebenfalls goldenen Rosen, Blättern und Blüten.

»Das... das ist wirklich... für mich?«, flüsterte sie ungläubig.

»Jetzt bilde dir nicht zu viel darauf ein«, murrte Aisha. »Mir ist es ja gleich, wie du herumläufst. Aber die Dienerin der zukünftigen Lieblingsfrau unseres Herrschers sollte nicht wie eine Bettlerin aussehen.«

Robin musste sich beherrschen, damit sich kein Lächeln auf ihre Lippen stahl, während Nemeth die Worte gar nicht gehört zu haben schien. Bewundernd starrte sie das weiße Kleid in ihrer Hand an und strich immer wieder mit den Fingerspitzen darüber, als müsste sie es anfassen, um auch zu glauben, was sie sah.

»Jetzt hör auf, mit deinen schmutzigen Fingern daran herumzukneten«, sagte Aisha. »Das Kleid wird deinen Geruch schon noch früh genug annehmen.«

Als Robin sah, wie verstört Nemeth plötzlich wirkte, schüttelte sie ärgerlich den Kopf. »Gib es auf, Aisha«, sagte sie. »Du bist nicht so hartherzig, wie du tust.«

Der Zorn, der jetzt in Aishas Augen aufblitzte, war echt, als sie zu Robin herumfuhr. »Aber du anscheinend noch dümmer, als ich geglaubt habe!«, schnappte sie. »Glaubst du, ich tue das alles hier, weil es mir Spaß macht?« Sie machte eine wedelnde Handbewegung zum Fenster. »Du hast die Aprikosenbäume dort draußen gesehen und den Duft ihrer Blüten gerochen, oder? Vielleicht ist es in dem Land, aus dem du kommst, ja so üblich, dass eine Frau wie ein Stallbursche stinkt. Bei uns jedenfalls nicht. Hier hast du nun die Wahl, wie eine liebliche Blüte zu duften, die die Sinne der Männer betört.«

Robin hatte sich vorgenommen, nicht mehr auf Aishas ständige Nörgelei an ihrem Äußeren, ihrem Benehmen und ihrem Geruch einzugehen, und das warme Wasser und die Entspannung taten das ihre, sodass sie sich wohlig entspannt gefühlt hatte. Jetzt aber spürte sie plötzlich eine unterschwellig drohende Gefahr, etwas, was Aisha nicht auszusprechen wagte, wovor sie sie aber vielleicht mit diesen Worten warnen wollte.

»Ich habe noch nie besonderen Wert darauf gelegt, die Sinne irgendwelcher Männer zu betören«, murmelte sie.

Statt etwas zu entgegnen, bemerkte Robin, wie Aisha einen flüchtigen, verschwörerischen Blick mit Nemeth tauschte. Und Nemeth, die Aishas Blick erwidert hatte, drehte sich rasch wieder um und begann leise zu kichern.

»Genug jetzt!«, sagte Aisha streng. Sie bedeutete Robin mit einer Geste, aufzustehen.

Am liebsten hätte sie die Aufforderung einfach nicht beachtet. Ihr Körper schrie nach Ruhe, und das warme Wasser mit den Essenzen ließ ihre Glieder noch schwerer werden. Erst als Aisha die Hand ausstreckte und Robin unzweifelhaft klar machte, dass sie sie nötigenfalls auch mit Gewalt aus dem Becken zerren würde, stemmte sie sich umständlich hoch und kletterte ungeschickt heraus. Das Wasser, das sie dabei verspritzte, machte den Mosaikfußboden so schlüpfrig, dass sie um ein Haar gestürzt wäre, was Nemeth zu einem weiteren, schadenfrohen Kichern veranlasste.

Was folgte, war für Robin ebenso erniedrigend wie neu und wohltuend. Aisha und auch Nemeth schrubbten ihr mit einem rauen Tuch die Glieder trocken. Abgestorbene Haut und Schorf lösten sich in kleinen weißen sowie rotbraunen Kringeln und einige der gerade erst im Verheilen begriffenen Wunden brachen wieder auf und begannen zu bluten.

Aisha nahm wenig Rücksicht darauf. Erst als Robin vollkommen trocken war, kümmerte sie sich um ihre Verletzungen, tupfte das Blut weg oder legte schmale weiße Verbände an, wo es nötig war. Robin ließ alles klaglos mit sich geschehen. Sie fühlte sich schläfrig. Wie durch einen Schleier und als ob es gar nicht mit ihr, sondern mit einer Fremden geschähe, bemerkte sie, wie Aisha sie in einen langen Mantel aus weichem Stoff hüllte und dann zum Fenster führte, um im hellen Sonnenschein ihr Haar trocken zu bürsten.

Aisha sparte dabei nicht mit Komplimenten, sowohl was die Farbe als auch was die Länge ihres Haars und dessen feine Struktur anging - und das, obwohl sie unter ihrem Schleier selbst eine Haarpracht trug, die Robin mit einem Gefühl von blankem Neid erfüllte. Es fiel ihr zunehmend schwerer, sich auf die Worte der Araberin zu konzentrieren. Alles drehte sich um sie auf eine angenehme, einlullende Art, gegen die sie sich nun nicht mehr wehrte. Halb benebelt fragte sie sich, ob es einfach nur die Entspannung war, mit der ihr Körper nach den Strapazen der letzten Tage auf das warme Bad reagierte, um ihr die dringend benötigte Ruhe zu verschaffen.

Auf diese Weise verging sicher eine halbe Stunde. Aisha, deren Stimme immer mehr und mehr zu einem Teil der natürlichen Nebengeräusche zu werden schien, bürstete Robins Haar geduldig und so lange, bis es trocken war. Schließlich schimmerte es tatsächlich ein wenig wie gesponnenes Gold im Sonnenlicht. Dann führte sie sie zurück zum Tisch, wo Nemeth mehr als ein Dutzend kleiner Fläschchen, Tiegel und Schalen voller Puder und Farbe sowie allen nur vorstellbaren Schminkutensilien aufgebaut hatte.

Der Anblick durchbrach die Benommenheit ein wenig, die von Robin Besitz ergriffen hatte, denn er erinnerte sie nachhaltig wieder daran, warum sie eigentlich hier war und weshalb sich Aisha solche Mühe mit ihrem Äußeren gab.

»Warum tut ihr das?«, murmelte sie.

»Damit du deinem zukünftigen Gemahl gefällst«, antwortete Aisha. »Soweit ich weiß, kennt er dich mehr in Männerkleidern und mit einem Messer in der Hand als in dem Körper, den Allah dir bei deiner Geburt geschenkt hat.«

»Ich werde das nicht tun.« Robins Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Sie fühlte sich immer benommener, nicht jedoch schläfrig. Vielmehr befand sie sich in einer Stimmung, in der ihr eigentlich alles gleich war, in der sie nichts mehr erschrecken noch erfreuen konnte. Es war ein weiches Dahinschweben, in dem alles, was ihr je widerfahren war und vielleicht noch mit ihr geschehen würde, zunehmend an Bedeutung verlor.

»Du... hast mir etwas gegeben, nicht wahr?«, murmelte sie.

Aisha schüttelte den Kopf. »Du unterschätzt die Wirkung der Strapazen, die du in den letzten Tagen durchlitten hast. Anders als wir bist du die Wüste nicht gewöhnt - es ist ein Wunder, dass du die letzten Tage überhaupt so unbeschadet überstanden hast.«

»Das ist keine Antwort auf meine Frage«, stellte Robin fest. Sie war nicht ganz sicher, ob Aisha sie tatsächlich anlächelte oder nicht. Es spielte auch keine Rolle.

»Es wäre nicht im Sinne deines künftigen Gemahls«, sagte die Araberin mild, »wenn du ihm nicht bei vollem Verstand gegenübertreten würdest.«

»Ich werde Harun trotzdem nicht heiraten«, murmelte Robin. Sie war nicht einmal sicher, ob sie es wirklich sagte oder sich nur vorstellte, es zu sagen.

Es war ihr fast unmöglich, irgendetwas anderes zu tun, als fast teilnahmslos abzuwarten, während Aisha die Schminkutensilien zur Hand nahm und sich damit mit ebenso geduldigen wie geübten Bewegungen an ihrem Gesicht zu schaffen machte. Einmal zuckte sie zusammen und sog scharf die Luft ein, als sie ihr mit einem kleinen Lappen über die gerissenen Lippen tupfte. Aber der Schmerz verging so schnell, wie er gekommen war, und auch er schien irgendwie nicht zu ihr zu gehören, sodass er sie nicht wirklich berührte.

Irgendwann war Aisha fertig und anscheinend zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Bemühungen. Sie musterte Robin noch einmal kritisch, stand dann auf und verschwand wieder hinter dem Vorhang, um mit einem großen Spiegel aus poliertem Silber zurückzukommen. Wortlos hielt sie ihn so hin, dass Robin, nachdem sie aufgestanden war, sich selbst darin betrachten konnte.

Es war nicht das erste Mal, dass sie Mühe hatte, in der Gestalt im Spiegel sich selbst zu erkennen, aber vielleicht war ihr die Veränderung noch nie so dramatisch vorgekommen wie jetzt. Sie hatte sich selbst nicht gesehen, als sie am vergangenen Tage die Festung betreten hatte. Doch es gehörte nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, welchen Anblick sie geboten hatte, ausgezehrt, von der Hitze verbrannt, halb verhungert und mehr als halb verdurstet, in Fetzen gehüllt, die längst die Farbe der Wüste angenommen hatten, durch die sie geritten waren.

Von alledem war jetzt nichts, aber auch gar nichts mehr zu entdecken. Aisha hatte ein wahres Wunder vollbracht. Robin trug eine weite, rote Hose, mit goldenen Blüten und Blättern bestickt, sowie einen Gürtel, der aus filigran gearbeiteten Kettengliedern in Form ineinander geschlungener Rosen bestand. Dazu ein gleichfarbiges Oberteil und um die dünne Narbe an ihrem Hals zu verdecken, hatte Aisha ihr einen hauchzarten roten Seidenschal umgelegt. Sie trug zierliche rote Pantoffeln an den Füßen und jeder Schritt wurde vom leisen Klingeln goldener Glöckchen begleitet, die als Schmuck an einer dünnen Fußkette um ihre rechte Fessel hingen.

Ihr Gesicht schließlich schien vollends das einer Fremden zu sein. Irgendwie war es Aisha gelungen, sowohl die Spuren des Sonnenbrandes als auch all die winzig kleinen Schrammen und Kratzer so zu überschminken, dass sie tatsächlich verschwunden zu sein schienen. Und selbst ihre Lippen sahen nicht mehr aus wie vereiterte Narben auf dem Handrücken eines uralten Mannes, sondern glänzten nun in einem weichen, sinnlichen Rotton.

»Das ist...«, begann sie. Ihre Stimme versagte. Sie hatte nie zu denen gehört, die in ihr eigenes Spiegelbild verliebt waren, und trotzdem war es ihr jetzt unmöglich, sich davon loszureißen. Der Anblick weckte einen Schmerz in ihr, von dem sie geglaubt hatte, ihn irgendwann im Laufe der zurückliegenden Zeit überwunden zu haben. Auch wenn sie es sich nie selbst eingestanden hatte: Wie oft hatte sie sich insgeheim gewünscht, dass Salim sie so sehen könnte, nicht als verkleideter Ritter, nicht in schmutzigen Kutten oder Kettenhemden, sondern als das, was sie trotz allem immer noch war: als Frau.

»Du bist wunderschön«, sagte Nemeth hinter ihr.

Das war zu viel. Robin versuchte, sich mit verzweifelter Kraft dagegen zu wehren, aber es gelang ihr nicht. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und ihre Kehle zog sich zu einem bitteren Kloß zusammen, der ihr das Atmen fast unmöglich machte.

»Jetzt sieh dir an, was du angerichtet hast, du dummes Kind!«, schimpfte Aisha. »Sie wird noch ihre ganze Schminke ruinieren! Was soll ich jetzt tun? Ich kann von vorne anfangen!«

»Das wird wohl nicht nötig sein«, sagte eine Männerstimme.

Robin fuhr wie von einem Skorpion gestochen herum und riss entsetzt die Augen auf. Ihr Herz machte einen Sprung bis in ihren Hals hinauf und sowohl die Tränen als auch die Erinnerung an Salim, aber auch die verlockende Benommenheit waren hinweggefegt.

Hinter dem Vorhang, hinter dem anfangs Nemeth und die Sklavinnen gewartet hatten und Aisha ein paar Mal verschwunden war, war die massige Gestalt Sheik Sinans hervorgetreten.

»Du hast wunderbare Arbeit geleistet, meine Liebe«, lobte Harun. »Und die paar Tränen machen ein solches Gesicht höchstens noch schöner.«

Robin spürte, wie sie am ganzen Leib zu zittern begann. War Harun die ganze Zeit über dort gewesen? Hatte er alles gehört, und vor allem - gesehen!

»Es tut mir Leid, Gebieter«, sagte Aisha. »Bitte verzeiht mir, aber...«

Harun unterbrach sie mit einer wedelnden Geste seiner linken, schwer beringten Hand. »Da ist nichts, was dir Leid tun müsste«, sagte er. »Wie gesagt: Ich bin sehr zufrieden. Wenn man bedenkt, wie sie heute Morgen noch ausgesehen hat, hast du mehr als ein Wunder vollbracht. Aber nun geh und lass uns allein. Und du«, fügte er mit einem Lächeln in Nemeths Richtung hinzu, »auch.«

»Aber wieso?«, fragte Nemeth verständnislos.

Haruns Lächeln wurde noch etwas milder. »Weil es bei uns üblich ist, dass man eine Braut und ihren Bräutigam allein lässt, zumindest am Abend ihrer Vermählung«, antwortete er.

Vermählung!! Kaltes Entsetzen packte Robin. Sie wich einen Schritt zurück und blieb erst unfreiwillig stehen, als sie gegen den Tisch stieß. Sie würde diesen Mann nicht heiraten. Sie wollte lieber sterben, ehe sie zuließ, dass er sie auch nur berührte!

Aisha nickte gehorsam und zog sich zurück. Nemeth zögerte noch einen Moment und warf Robin einen fast Hilfe suchenden Blick zu, aber sie konnte dem Mädchen nicht helfen. Sie war es, die in diesem Moment Hilfe brauchte. Aber es war niemand da.

Harun wartete, bis auch das Fischermädchen den Raum verlassen hatte. Dann machte er einen Schritt auf Robin zu, blieb aber sofort wieder stehen, als sie erschrocken zusammenfuhr und sich an der Tischkante entlang zur Seite schob. Für einen ganz kurzen Moment hatte sie das Gefühl, eine zweite Gestalt hinter Harun zu erblicken. Dann aber sah sie etwas, das ihr Herz noch härter schlagen und ihre Verzweiflung noch tiefer werden ließ: Der mit einem Vorhang abgeteilte Bereich des Raumes hinter Sheik Sinan war keineswegs leer. Vielmehr beherbergte er ein gewaltiges, mit seidenen Kissen und bunt bestickten Decken und Laken bedecktes Himmelbett, das zu allem Überfluss auch noch mit Rosenblüten bestreut war. Der Anblick einer Streckbank oder irgendeines anderen Foltergerätes hätte sie in diesem Moment nicht in tiefere Verzweiflung stürzen können.

»Niemals«, sagte sie. Nur dieses eine Wort, aber Harun verstand wohl, was sie meinte, denn er blieb, wo er war, und ein bedauernder Ausdruck mischte sich in das Lächeln, mit dem er sie die ganze Zeit über betrachtet hatte.

»Man hat mir nicht zu viel von dir erzählt«, sagte er in einem Ton, der ebenso nachdenklich wie die Wahl seiner Worte sonderbar war. »Du bist sehr tapfer. Wenn es irgendetwas gibt, was deinen Mut noch übertrifft, dann ist es dein Stolz, nicht wahr?«

Robin wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Ihr Herz klopfte immer noch bis zum Hals. Ihre Finger zitterten. Schritt für Schritt schob sie sich weiter an der Tischkante entlang, fuhr plötzlich herum und war mit drei, vier weit ausgreifenden Schritten beim Fenster und mit einem Fuß schon auf der niedrigen Brüstung.

»Komm keinen Schritt näher!«, warnte sie. Ihre Stimme bebte, und sie konnte selbst die Angst darin hören, aber auch eine Entschlossenheit, die Harun ebenso spüren musste wie sie.

»Du meinst es wirklich ernst, scheint mir«, sagte Harun bedauernd.

»Ja«, antwortete Robin. »Ich sterbe lieber, bevor ich zulasse, dass Ihr mich auch nur anrührt.«

»Aber das hatte ich niemals vor, mein liebes Kind«, sagte der Alte vom Berge sanft.

Robin blinzelte. Im allerersten Moment war sie nicht sicher, ob sie ihn wirklich verstanden hatte. Dann aber war sie überzeugt davon, dass es sich bei diesen Worten nur um eine neue Grausamkeit handeln konnte, eine List, um sie vom Fenster wegzulocken.

»Nein, natürlich nicht«, sagte sie spöttisch. »Ihr habt lediglich das Leben Dutzender Eurer Männer riskiert, Euch mit dem mächtigsten Sklavenhändler von Hama angelegt und einen kleinen Krieg vom Zaun gebrochen, um meiner habhaft zu werden.« Ihre Stimme war plötzlich voll bitterem Hohn. Sie wusste selbst nicht, woher sie die Kraft dazu nahm. »Und das alles nur, weil Ihr nichts von mir wollt!«

Harun lachte. »Oh, mein liebes Kind«, sagte er. »Es ist mir durchaus ernst gewesen, als ich dich mit einer Leopardin verglichen habe. Aber weißt du, mit dem Alter kommt manchmal auch die Weisheit und es würde mir niemals einfallen, mit einer säbelschwingenden Wilden ein Bett zu teilen.«

»Aber warum habt Ihr mich dann...?«

»Vielmehr war es der Wunsch meines Sohnes, dich zu heiraten«, fuhr Harun fort. Es schien ihm immer schwerer zu fallen, nicht vor Lachen einfach laut herauszuplatzen. Und dann tat er es doch, lange, schallend und ausdauernd, als er den Ausdruck vollkommener und fassungsloser Verblüffung auf Robins Gesicht bemerkte.

»Euer... Sohn!«, hauchte sie. »Ich... ich verstehe nicht...«

»Ja, das scheint mir auch so«, sagte Harun. »Auch wenn du es selbst nicht weißt, Robin, aber du musst wohl so etwas wie eine Berühmtheit sein. Die Kunde von dem Bauernmädchen, das sich selbst von einem Schnitt durch die Kehle nicht davon abhalten ließ, sich in den Templerorden einzuschleichen und all diese tapferen und klugen Ritter dergestalt an der Nase herumzuführen, dass sie am Ende sogar an einem Kreuzzug teilnehmen durfte, ist bis ans Ohr meines Sohnes gedrungen. Und da er genauso ist, wie auch ich früher war, bevor es Allah gefallen hat, mich an diesen Ort zu bringen, und ich - zugegeben - an Gewicht ein wenig...«, er hüstelte verlegen, »... zugelegt habe, gab es für ihn natürlich fortan keinen größeren Wunsch, als dieses Weib zu seiner Frau zu nehmen.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Aber was rede ich. Ich glaube, ihr kennt euch schon.«

Und damit trat er endgültig zur Seite und gab den Blick auf den abgetrennten Raum hinter dem Vorhang frei. Und auf eine ganz in Schwarz gekleidete Gestalt, die bisher hinter ihm verborgen gewesen war.

Robins Herz machte keinen weiteren Sprung bis in ihren Hals hinauf. Es blieb einfach stehen.

Jedenfalls schien es ihr so. Sie war nicht fähig, zu denken, irgendetwas zu tun, nicht einmal zu atmen. Endlose Augenblicke lang stand sie einfach da und starrte den schlanken, bronzehäutigen Tuareg-Krieger an. Salim seinerseits erwiderte ihren Blick ebenso reglos, mit unbewegtem Gesicht und genau wie sie, ohne zu atmen oder zu blinzeln. Nur in seinen Augen konnte sie die Andeutung eines Lächelns erkennen.

»Salim?«, flüsterte sie.

Salim rührte sich immer noch nicht. Er starrte sie nur an.

»Salim?«, flüsterte sie noch einmal. Hatte Harun sich eine neue Grausamkeit für sie ausgedacht, war dies ein weiteres, böses Spiel, das er sich mit ihr erlaubte? Oder war es vielmehr sie selbst, die sich nicht gestattete, zu glauben, was ihre Augen ihr zeigten?

»Nun, immerhin scheinst du dich noch an seinen Namen zu erinnern«, sagte Harun spöttisch. Sein Blick wanderte zwischen Robin und seinem Sohn (seinem Sohn?) hin und her, und unter dem schwarzen Gewand hüpfte sein Bauch sichtbar auf und ab, so schwer fiel es ihm, nicht erneut vor Lachen laut und schallend herauszuplatzen. »Aber weißt du, mein liebes Kind, das hier ist keines unserer Märchen, in dem du dreimal den Namen eines Dschinns rufen musst, damit er erscheint.«

Nicht, dass Robin verstanden hätte, was er damit meinte, oder ihm auch nur zuhörte. Salim. Es war Salim. Sie täuschte sich nicht. Es war kein böser Zauber. Keine weitere Grausamkeit. Der schlanke Krieger, der hinter Harun hervorgetreten war, war kein anderer als Salim, der Mensch auf der Welt, der ihr mehr bedeutete als alles andere.

Langsam löste sie sich von ihrem Platz am Fenster und ging auf den Tuareg zu. Salim kam ihr nicht entgegen, sagte nichts und rührte keine Miene. Nur die Wärme in seinen Augen nahm zu und mit jedem Schritt, den Robin sich ihm näherte, schlug ihr Herz heftiger, zitterten ihre Hände und Knie stärker.

»Aber... aber wieso sein... sein Sohn?«, flüsterte sie ungläubig.

Es war Harun, der antwortete. »Oh, er ist nur einer von vielen«, gestand er. »Um ehrlich zu sein, ich weiß selbst nicht genau, wie vielen. Aber er ist mir zweifellos näher als die anderen.«

»Aber du bist doch... ein Sklave«, murmelte sie fassungslos. Sie hatte das Gefühl, Unsinn zu reden. Sie plapperte einfach nur, um etwas zu sagen, ohne wirklich zu wissen, was sie sagte. »Bruder Abbés Sklave.«

»Der Orden der Tempelritter und wir sind schon seit langem in Freundschaft verbunden«, erklärte Harun mit leicht gereiztem Ton. Vielleicht war er es nicht gewohnt, dass jemand, mit dem er sprach, nicht einmal in seine Richtung sah. »Es lag nur nahe, dass ich denjenigen meiner Söhne, der eines Tages womöglich mein Nachfolger wird, ins Land der Ungläubigen schicke, damit er bei unseren Verbündeten ihre Lebensweise und ihre Art zu denken kennen lernt. Es war allerdings nicht vorgesehen, dass er sich in ein Bauernmädchen verliebt. Und schon gar nicht in eine Wildkatze.«

Zwei Schritte vor Salim blieb Robin stehen, maß ihren alten Freund mit einem langen Blick von Kopf bis Fuß, als traute sie sich immer noch nicht zu glauben, was sie sah, und hob schließlich die linke Hand, an deren Mittelfinger der schmale, goldene Ring des Sarazenen blitzte. »Dann ist das hier...?«

»Alles, was er dir geben konnte, als ihr draußen auf dem Meer getrennt wurdet«, antwortete Harun an Salims Stelle. »Für dich mag es nur ein Schmuckstück gewesen sein, eine Erinnerung, aber glaube mir, kein Schwert, kein Schild und keine Rüstung hätte dich besser zu beschützen vermocht.«

»Soll das heißen...«, Robin sog scharf die Luft ein, »... soll das heißen, du hast die ganze Zeit über gewusst, wo ich bin?«, flüsterte sie.

»Schon von dem Moment an, in dem die Fischer dich aus dem Meer gezogen haben«, gestand Harun.

Wieso schwieg Salim noch immer?, dachte sie. Wieso sagte er nichts?

»Aber du...«

»Nicht einmal ich kann zaubern oder die Zeit zurückdrehen«, unterbrach Harun sie. »Masyaf ist weit von Hama entfernt. Ich bin sofort aufgebrochen, als ich erfahren habe, was geschehen ist, aber Omar Khalid war schneller.« Er hob die Schultern. »Vielleicht ist es gut so, wie es gekommen ist. Allahs Wege sind verschlungen.«

»Aber... aber du...«

»Aber nun«, sagte wiederum Harun, »ist es, glaube ich, an der Zeit, meiner eigenen Ermahnung zu folgen und euch allein zu lassen. Vielleicht findest du ja deine Sprache wieder und kannst mehr sagen als aber du, wenn ihr allein seid.« Er schüttelte den Kopf. »Ich werde dich jetzt jenem Tunichtgut von einem Sohn überlassen, der dich aus rätselhaften Gründen das Kämpfen gelehrt hat wie einen Mann. Kein Wunder, dass ich als dein Tanzlehrer bei dem Versuch, aus dir wieder eine Dame zu machen, nur versagen konnte. Soll er doch sehen, wie er mit einem solchen Mannweib zurecht kommt, nachdem er seit Wochen Heiden wie Moslems im ganzen Land aufgescheucht hat, nur um es wiederzusehen.«

Er wartete noch einen Moment lang vergebens auf eine Antwort, dann zuckte er mit einem enttäuschten Gesichtsausdruck die Schultern und ging. Robin nahm es kaum wahr. Erst als die Tür mit einem dumpfen Laut ins Schloss fiel, erwachte sie ganz allmählich aus ihrer Erstarrung. Und plötzlich geschah etwas Seltsames. Mit einem Mal war ihr klar, wo sie war. Wer sie war. Zum allerersten Mal im Leben stand sie Salim ganz augenscheinlich als Frau gegenüber, eingehüllt in die prachtvollsten Kleider, die sie sich nur vorstellen konnte. Doch plötzlich war ihr die Situation, der Moment, den sie wie nichts anderes herbeigesehnt und für den sie ihr Leben gegeben hätte, fast peinlich.

Auch Salim wirkte irgendwie beklommen, beinahe schüchtern. Er starrte sie an wie eine Fremde.

»Du hättest mir ein Zeichen schicken können«, sagte sie.

Salim schüttelte traurig den Kopf. »Ich habe es versucht«, antwortete er.

Allein der Klang seiner Stimme, so vertraut und doch so unendlich lang vermisst, ließ sie erschauern. Sie standen sich zwei Schritte gegenüber und doch hatte weder sie noch er die Kraft, diese Distanz zu überwinden. Vielleicht, weil sie Robin plötzlich wie etwas Heiliges vorkam, etwas unendlich Kostbares, genau wie der ganze Augenblick, der nie wiederkommen würde.

»Ich habe überall an der Küste nach dir gesucht«, sagte er. »Aber alles, was ich gefunden habe, war ein verlassenes und offenbar ausgeraubtes Dorf, in dem der zerrissene Waffenrock eines Templers lag.«

»Aber Harun...«

»Hat mich zu sich bringen lassen«, unterbrach sie Salim. Er sprach leise, flüsterte fast, und im Tonfall einer Verteidigung. Wieder schüttelte er bedauernd den Kopf und plötzlich schien er nicht mehr die Kraft zu haben, Robins Blick Stand zu halten.

»Er wusste offensichtlich, wer du warst und wo du warst«, fuhr er nach einer Weile leise fort. »Glaub mir, ich wäre sofort nach Hama geeilt, um dich zu befreien, aber mein Vater hat es nicht zugelassen.«

Als Robin auch darauf nicht antwortete, hob er die Schultern. »Er hatte wohl Angst vor einer Falle, da er nicht wollte, dass die Verbindung zwischen den Templern und den Assassinen bekannt wird. Deshalb hat er seine alte Verkleidung als Tanzlehrer wieder angenommen, um dir in Omar Khalids Haus nahe zu sein. Den Rest der Geschichte kennst du ja. Aber er hat die Wahrheit gesagt: Du warst keinen Moment in Gefahr. Seit du Omars Haus betreten hast, standest du unter dem Schutz meines Vaters und aller seiner Krieger.«

»Davon habe ich aber nicht viel bemerkt«, bekannte Robin ärgerlich. »Schließlich hätte ich spätestens bei meiner Flucht und diesem Sklavenaufstand ein bisschen Hilfe gebrauchen können.«

»Aber die hattest du doch«, sagte Salim verwundert. »Oder meinst du etwa, du wärst mit all den Sklaven sonst auch nur unbemerkt auf den Hof hinausgelangt? Fast wäre dabei sogar die Tarnung deines treusten Leibwächters aufgeflogen.«

»Mein treuster Leibwächter?«, fragte Robin verwundert. »Meinst du etwa deinen Vater?«

Salim schüttelte halb bejahend und halb verneinend den Kopf. »Den auch. Aber in diesem speziellen Fall meine ich den Mann, der mit einem Wurfstern den Bluthund tötete, der dich zerfleischt hätte, wenn du auf deiner Flucht vor Omar wirklich auf dich alleine gestellt gewesen wärst.« Er lachte leise auf. »Was hätte ich dafür gegeben, wenn Faruk dich in diesem Moment gleich nach Masyaf hätte bringen dürfen! Aber mein Vater hatte beschlossen, Arslan zu schicken, um dich auszulösen und dabei mehr über die Pläne der Johanniter zu erfahren.«

Faruk ihr treuester Leibwächter? Robin war wie vor den Kopf geschlagen. In ihr tobten die unterschiedlichsten Gefühle, während ihr Verstand verzweifelt versuchte, so etwas wie Ordnung in das Chaos ihrer Gedanken zu bringen. Aber da gab es etwas, das die ganze Zeit in ihr genagt hatte, seit sie Salim hinter Harun stehend entdeckt hatte - und das sie jetzt einfach klären musste, auch wenn sie damit alles zu zerstören drohte, was vom Zauber des Augenblicks noch geblieben war.

»Warum hast du es mir nie gesagt?«, fragte Robin. Es fiel ihr schwer, zu sprechen. Das war nicht das, was sie sagen wollte. Es war nicht das, was sie in diesem Moment sagen sollte. »All die endlosen Stunden. Zwei Jahre lang. Und ich habe dich für einen Sklaven gehalten.«

»Mehr oder weniger war ich das auch«, antwortete Salim. »Mein Vater und die Templer haben vor langen Jahren ein Bündnis gegen Sultan Saladin geschlossen. Er ist ihr gemeinsamer Feind, musst du wissen. Auch wenn Bruder Abbé und die anderen es nie zugeben würden: Sie wissen genau, dass er vielleicht in der Lage wäre, das Königreich der Christen zu vernichten und auch die Burg meines Vaters zu schleifen.«

»Und deine Verkleidung als Tuareg?«

»Oh, das ist keine Verkleidung.« Salims Finger strichen nervös über das schwarzblaue Gewand, das er trug, und sein Blick irrte überall hin, nur nicht in Robins Richtung. »Meine Mutter war eine Tuareg-Prinzessin, und ich wurde sowohl in den Zelten der Tuareg als auch auf den Burgen der Assassinen erzogen.«

»Wie praktisch«, sagte Robin. Warum klang ihre Stimme so bitter? Ihre Brust wollte zerspringen vor Freude, aber irgendetwas in ihr erlaubte ihr dieses Gefühl zugleich auch nicht. »Und wie passe ich in eure Politik? Ich bin keine Prinzessin. Nur ein kleines Bauernmädchen - und eine Betrügerin.«

»Eine Betrügerin?« Salim runzelte die Stirn. »Spielst du damit etwa auf Omar Khalid an - und auf das, was sich zwischen euch entwickelt hat in der Zeit in Hama und während eurer gemeinsamen Flucht vor den Männern meines Vaters?«

Robin starrte ihn einen Moment lang fassungslos an. »Dein Vater scheint dich ja hervorragend informiert zu haben.«

»Ich wollte im Bilde sein, wie es dir im Haus des Sklavenhändlers ergeht«, sagte Salim mit fast ausdrucksloser Stimme. »Ich musste einfach wissen, ob du dort in Gefahr bist...« Er lachte traurig auf. »Aber das scheint ja ganz und gar nicht der Fall gewesen zu sein. Ganz im Gegenteil. Wie es aussiehst, hast du dich mit Omar Khalid prächtig amüsiert.«

»Mach dich nicht lächerlich«, sagte Robin heftig. »Nennst du es etwa amüsieren, wenn ich zusehen muss, wie Dutzende unschuldiger Menschen bestialisch gequält werden, nur weil einer aus ihrer Mitte einen hartherzigen und hochmütigen Sklavenhändler betrügen wollte? Nennst du es etwa amüsieren, wenn ich weggeschlossen werde wie ein teures Spielzeug, um anschließend meistbietend als Sklavin verkauft zu werden? Nein, Salim. Ich habe mich nicht amüsiert. Aber ich habe auch lernen müssen, dass selbst ein grausamer Mann wie Omar Khalid von großer Sanftmut und Poesie sein kann.«

»Sanftmut und Poesie?«, fragte Salim ungläubig. »Ist das etwa alles, was dir zu dem Sklavenhändler einfällt?«

»Aber, nein«, sagte Robin sanft, und dann schüttelte sie den Kopf. »Es ist nur so... dein Vater versprach, ihm eine zweite Chance zu geben... und ich finde, er hätte sie verdient, nach allem, was er auch an Gutem getan hat. Ich werde ihm nie vergessen, dass er Nemeth gerettet hat, indem er seinen Verbündeten, diesen ekelhaften Mussa, mit einem Messerwurf niederstreckte.«

»Und jetzt fragst du dich...?«

»Jetzt frage ich mich, ob dein Vater zu seinem Wort stehen wird.«

Salim nickte langsam. »Wenn er sein Wort gegeben hat, wird er es auch halten. Vielleicht nicht unbedingt aus Menschlichkeit... Aber es könnte sein, dass er noch... Pläne mit ihm hat.« Er stockte und sein Blick flackerte so unruhig und auf eine Weise, wie Robin es noch nie bei ihm bemerkt hatte. »Doch wie steht es mit dir? Wird der Sklavenhändler auch von dir eine zweite Chance bekommen?«

Robin spürte, wie sich ihre Augen gegen ihren Willen mit Tränen füllten. »Aber, Salim. Du solltest es besser wissen. Ich...« Sie brach ab und starrte aus dem Fenster hinaus, auf den Garten Eden unter ihnen, der ein Paradies versprach, das es für sie nicht geben würde - weder hier noch irgendwo anders -, wenn sie es nicht endlich schaffte, ihr Herz sprechen zu lassen statt ihres verwirrten Verstands, der nicht mehr ein und aus wusste nach all dem Durcheinander der letzten Wochen.

»Was sollte ich besser wissen?«, fragte Salim schließlich.

»Dass... dass zwischen Omar und mir nichts weiter war als Verzweiflung, die nach einem Ausweg suchte, wo keiner war. Und ich bitte dich, Salim, ich bitte dich wirklich: Lass es dabei bewenden. Lass uns nicht mehr über Omar reden, sondern lieber über das, was uns das Schicksal hier in diesem Augenblick schenkt...«

Salim starrte sie eine Weile schweigend an. Sein Gesicht glich in diesem Moment einer Bronzestatue, die Robin erst vor kurzem im Haus des Sklavenhändlers gesehen hatte und die für sie der Inbegriff der Ausdruckslosigkeit gewesen war. Doch schließlich nickte er und lächelte auf diese unbeschreiblich scheue und gleichzeitig selbstsichere Art, die sie an ihm kannte - und so liebte.

»Vielleicht ist es wirklich das Schicksal, das uns diesen Augenblick schenkt«, sagte er. »Vielleicht ist es aber auch nichts weiter als die Macht meines Vaters, die uns hier zusammengeführt hat.«

»Dein Vater.« Robin nickte langsam, während sie an Harun dachte, diesen Mann mit den vielen Gesichtern, der so fröhlich sein konnte, so perfekt den Gecken zu spielen vermochte - und doch ein grausamer und weithin gefürchteter Herrscher war. »Welche Rolle spielt er in diesem Spiel?«

Salim schürzte die Lippen und deutete ein Achselzucken an. »Mein Vater wünscht, dass wir beide ein Paar werden«, erklärte er trocken, »um das Bündnis mit den Templern noch weiter zu stärken. Das ist wichtig, weißt du, denn alles deutet darauf hin, dass es schon bald wieder einen neuen Krieg zwischen dem leprakranken und schwachen König Balduin und Sultan Saladin geben könnte. Die Templer haben noch Großes mit dir vor, und Bruder Abbé war über die Maßen erleichtert, als er von deiner Rettung erfuhr - wobei er übrigens alles getan hat, um die Johanniter von deiner Spur abzubringen, denn sie könnten mit ihren Ränkespielen dir und den Templern mehr Schaden zufügen als selbst Sultan Saladin.« Wieder hob er die Schultern und bemühte sich, ein möglichst gleichgültiges Gesicht aufzusetzen. »Ach so, und ganz nebenbei liebe ich dich auch noch.«

»Ach?«, fragte Robin spitz. »Was hat man dir denn geboten, um ein flachbrüstiges Mannweib mit Pferdeäpfelfarbenem Haar zu heiraten?«

Einen Atemzug lang wirkte Salim fast verletzt, aber dann grinste er plötzlich breit, suchte das erste Mal wieder den Blick ihrer Augen und sagte: »Es tut mir Leid, Robin. Ich hatte Unrecht mit diesem Vergleich. Ein Bad und die heiße Sonne der Wüste sind deinem Haar gut bekommen, wie man sieht.« Sein Grinsen wurde noch breiter. »Ich finde, es hat jetzt die liebreizende Farbe von Pferdeäpfeln, den man mit einem ganzen Krug Honig übergossen hat.«

Robin starrte ihn eine geschlagene Sekunde lang fassungslos an - und dann versetzte sie ihm eine schallende Ohrfeige. Mit einem einzigen Satz war sie endgültig bei ihm, schlang die Arme um seinen Hals und erstickte seinen überraschten Ausruf mit einem Kuss von solcher Inbrunst, dass ihre gesprungenen Lippen zu schmerzen begannen.

Aber was machte das schon?


ENDE

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