»Bei allen Wüstenflöhen, die je in den Decken meiner Großmutter genächtigt haben, du würdest es mir leichter machen, wenn du nicht dauernd blinzeln würdest, Weib!«, fluchte Harun.
Auf seiner Stirn perlte Schweiß, obwohl durch das offene Fenster ein angenehm kühler Lufthauch hereinwehte. Wenn er nicht gerade fluchte, Robin beschimpfte oder bedrohte, sie in die tiefsten Abgründe der Hölle wünschte, dann hatte er die Lippen vor Konzentration zu einem dünnen Strich zusammengepresst, der hinter seinem sorgsam gestriegelten weißen Bart nahezu verschwand. Robin beobachtete interessiert, wie sich dicke Schweißtropfen in den Falten auf seiner Stirn sammelten und wie durch ein Kanalsystem zu seiner Nasenwurzel geleitet wurden, von wo aus sie auf sein Gewand und seine Hände herabtropften. Manche landeten auch in der hölzernen Schale, die er auf Robins Knien abgestellt hatte, und in der sich eine schwarze, wie Pech glänzende Paste befand.
Harun kniete seit einer geraumen Weile vor Robin, die auf der Bettkante saß. Durch seine enorme Größe befand sich sein Gesicht dennoch ein gutes Stück über ihr und sein riesiger weißer Turban schien den Himmel auszufüllen wie ein Vollmond, den jemand mit kleinen goldenen Glöckchen verziert hatte. Ab und zu tauchte er einen dünnen Holzspan in die Paste auf Robins Knien und versuchte, damit eine dünne schwarze Linie über ihre Wimpern zu ziehen. Der Sinn dieses Vorhabens war ihr bis jetzt nicht klar geworden und Harun hatte sich nicht erst die Mühe gemacht, ihn ihr zu erklären. Überhaupt wirkte er an diesem Morgen... anders.
Robin konnte den Unterschied nicht benennen. Er war redselig und aufgekratzt wie immer. Wechselweise munterte er sie mit Lob auf oder belegte sie mit den wütendsten Flüchen. Mal malte er ihr ihre eigene Zukunft in Farben aus, die noch deutlich schwärzer waren als die Paste auf ihren Knien, und dann wieder machte er ihr vollkommen überzogene Komplimente. Und dennoch spürte Robin, dass irgendetwas an ihm anders war. Von dem riesigen, schwerfälligen Mann ging eine Spannung aus, die fast greifbar war.
Vielleicht lag es aber auch nur an ihr. Robin war müde. Ihr Oberschenkel schmerzte und ihre Hand- und Fußgelenke brannten an den Stellen, die sie mit ihrem sinnlosen Widerstand wundgescheuert hatte. Obwohl sie mit aller Macht dagegen ankämpfte, musste sie doch ständig an den vergangenen Tag und die grauenhafte Szene zurückdenken, die mitzuerleben Omar sie gezwungen hatte. In zumindest einem Punkt hatte er Recht gehabt: Ihre Strafe war schlimmer gewesen, als sie es sich jemals hätte ausmalen können. Und sie war noch lange nicht zu Ende. Zu dem Gesicht des sterbenden Kriegers, das sie in ihren Träumen quälte, waren nun auch noch Rustans gellende Schreie gekommen, die sie wahrscheinlich nie wieder vergessen würde.
Den Rest des vergangenen Tages hatte sie wie in Trance verbracht. Sie erinnerte sich kaum noch daran, dass die beiden Dienerinnen zu ihr gekommen waren, um ihr zu essen zu bringen und ihr dabei zu helfen, sich zu waschen und frische Kleider anzulegen. Die Nacht hatte kein Ende genommen. Sie hatte geschlafen, aber es war kein erquickender Schlaf gewesen und er hatte nicht lange gedauert. Aus der Hölle ihrer Albträume war sie ein paar Mal in die nicht minder schlimme Realität der Erinnerungen herüber- und wieder zurückgeglitten, und sie fühlte sich so gerädert, als hätte sie mindestens eine Woche im Sattel verbracht.
»Bei allen Dämonen der siebten Hölle, Mädchen, hörst du mir überhaupt zu?«, raunzte Harun sie an.
Robin blinzelte - wobei sie nicht ohne Schadenfreude bemerkte, wie der Wimpernstrich, den Harun in diesem Moment zog, deutlich länger ausfiel und in eine andere Richtung führte, als ihm lieb sein konnte -, schüttelte den Kopf und sagte ehrlich: »Nein.«
Harun al Dhin seufzte tief, legte den Holzspan aus der Hand, tunkte einen Tuchzipfel in die neben ihm stehende Wasserschale und entfernte den missglückten Strich von Robins Augenlid. Es war nicht das erste Mal, dass er das tat. »Beim Barte des Propheten, was habe ich nur getan, um so bestraft zu werden?«, jammerte er.
»Ich frage mich, was ich getan habe, um mit dir bestraft zu werden«, parierte Robin.
»Ist es in eurem Land eine Strafe für eine Frau, wenn sie besser aussieht?«, wollte Harun wissen.
»Warum sollte ich wohl besser aussehen, wenn mir jemand mit einem Holzspan Dreck um die Augen schmiert?«, fragte Robin. »Warum habe ich mich eigentlich heute Morgen gewaschen?«
Harun zog die Hand zurück; konzentriert begutachtete er einen Moment lang sein Werk und nickte dann zufrieden. »Nun, du dornenreichste unter den schönen Wüstenrosen«, antwortete er, während er den Span wieder zur Hand nahm und Robins Gesicht mit der kritischen Pose eines Künstlers musterte, »wisse, dass die dunklen Striche um deine Augen ihren Glanz betonen und deinen Blick sinnlicher und geheimnisvoller erscheinen lassen. Im Übrigen«, fügte er in leicht beleidigt klingendem Tonfall hinzu, »stammt dieser Dreck, wie du ihn zu belieben nennst, vom fernen Kandahar. Ein kleines Gefäß davon ist kostbarer als ein kräftiger Sklave. Natürlich könnte Omar Khalid mich auch ordinäre Lidschminke aus Fett und Ruß auftragen lassen. Doch für dich ist ihm das Teuerste gerade gut genug!«
»Ja. Damit er noch mehr aus mir herausschlägt, wenn ich gleich wie ein Stück Vieh unten auf dem Markt verschachert werde.«
Harun lächelte verzeihend. »Dieser Markt wird mit einem Viehmarkt nicht viel gemein haben, Schwester der Morgenröte.«
Robin zog eine Grimasse, aber diesmal achtete sie darauf, das Augenlid dabei nicht zu bewegen. Nicht, dass sie Harun irgendetwas schuldig war - schon gar keinen Gehorsam -, aber ihr war klar, dass ihr Benimmlehrer diese Prozedur bis Sonnenuntergang fortsetzen würde, wenn sie ihn dazu zwang. Harun al Dhins Geduld entsprach durchaus seiner gewaltigen Größe und Körperfülle.
Endlich schien Harun mit dem Erreichten zufrieden zu sein. Er legte den Span nach einem letzten prüfenden Blick in Robins Gesicht aus der Hand, ließ sich zurücksinken und seufzte so tief, als hätte er soeben eine stundenlange schwere körperliche Anstrengung hinter sich gebracht. »Allah möge mir verzeihen«, sagte er, »aber das ist alles, was ich zustande bringe. Man müsste schon ein Magier sein, um aus diesem Bauerntrampel eine Königin zu machen.« Er winkte Aisha mit einer müde wirkenden Geste heran. »Übernimm du den Rest, meine Liebe. Meine Kräfte sind erschöpft.«
Aisha kam gehorsam heran, ein winziges Glasfläschchen mit einem wohlriechenden Parfüm in der linken und ein kaum weniger kostbares Seidentuch in der rechten Hand. Harun rutschte auf den Knien ein Stück zur Seite und Aisha nahm seinen Platz ein. »Nimm die Arme hoch«, befahl sie.
Robin gehorchte und die Sklavin stieß einen leisen, erschrockenen Schrei aus. »Schaut nur, Herr!«, rief sie. »Man hat ihr die Achseln nicht rasiert. Was ist das für ein Haus? In diesem Borstendickicht duftet sie nach frischem Kameldung, nicht nach Parfüm.« Ihr Blick wurde strafend. »Heißt waschen für dich etwa, dass du dir mit einem feuchten Tuch ein wenig das Gesicht abtupfst, Christin?«
Harun lachte leise. »Manche Männer mögen so etwas, Liebes. Wie ich immer sage: Das Wesen der Ungläubigen ist unergründlich. So wie ihre Religion. Sie behaupten ja auch, dass der Prophet Jesus Gottes Sohn sei. So ein Unsinn, nicht wahr?«
»Was soll das?« Robin versuchte, Aishas Hand zur Seite zu schlagen. Aber die Sklavin wich ihrem Hieb mit überraschender Leichtigkeit aus und packte ihrerseits Robins Handgelenke, um sie kraftvoll niederzudrücken. Robin keuchte überrascht auf. Sie versuchte sich loszumachen und schließlich gab Aisha sie widerstrebend frei - wie die Mutter ein Kind, das sie zu fest gedrückt hatte.
»Was soll das?«, fragte sie zornig, an Harun gewandt. »Niemand wird die paar Haare unter meinen Armen zu sehen bekommen.«
Harun lachte leise. »Ich fürchte, mein liebes Kind - wer immer dein neuer Herr sein wird, wird noch sehr viel mehr zu sehen bekommen. Und zu riechen. Aisha hat Recht. Wir wollen doch nicht, dass dein neuer Herr am Ende glaubt, er teile das Lager mit einem Kamel oder einer Ziege, nicht wahr?«
»Jeder Mann, der es nötig hat, eine Frau zu kaufen, sollte froh sein, wenn er ein Kamel oder eine Ziege bekommt«, erwiderte Robin trotzig.
»Du urteilst vorschnell über Dinge, von denen du nichts weißt, Robin.«
»Wo ich herkomme, ist es üblich, um eine Frau zu werben«, setzte Robin nach. »Es gilt als edel, ihr Herz zu erobern, nicht sie anmalen zu lassen wie eine Puppe oder sie wie eine solche zu kaufen.«
Haruns strahlendes Lächeln gefror. »Hier auch, mein liebes Kind«, sagte er. »Glaube mir, hier auch. Nicht alle Männer meines Volkes sind so wie Omar.«
Es war etwas in diesen Worten und auch in der Art, wie er sie ansah, das Robin einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Zweifellos waren sie als Beruhigung gedacht, aber ihr machten sie Angst.
»Und wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass einer von denen, die nicht so sind, mich von Omar kauft?«, fragte sie.
»Das liegt ganz bei Omar selbst«, antwortete Harun. »Ich weiß, dass er ein gieriger und gnadenloser Mann ist, aber ich weiß auch, dass er ein Mann von großer Klugheit und Vorsicht ist. Ich hoffe, seine Klugheit wird seine Geldgier im Zaum halten.«
»Was... meint Ihr damit?«, fragte Robin.
Harun rutschte etwas näher, streckte den Arm aus und griff nach ihrer Hand. Behutsam zog er sie ein Stück zu sich heran und drehte sie so, dass der schmale goldene Ring an ihrem Mittelfinger im Sonnenlicht aufblitzte, das durch das Fenster hereinströmte. »Die Kunde von dem Christenmädchen, das unter... sagen wir: sehr sonderbaren Umständen an Land gespült wurde und nicht nur schön wie eine Königstochter, sondern auch so tapfer und stolz wie ein wilder Wüstenkrieger ist, hat sich herumgesprochen. Es gibt... mehrere Interessenten. Ich hoffe für dich - und für Omar Khalid -, dass er dem Richtigen den Zuschlag gibt.«
Robin riss die Hand zurück, drückte den Ring gegen die Brust und legte wie beschützend die andere darüber. Sie war ein wenig erschrocken über ihre Heftigkeit, aber dennoch glaubte sie ein mildes, aber zufriedenes Lächeln in seinem Blick zu erkennen. »Was hat es mit diesem Ring auf sich?«, fragte sie. »Wieso ist er für jedermann so wichtig?«
»Für dich denn nicht?«, wollte Harun wissen.
»Doch«, antwortete Robin. »Er ist... das Letzte, was mir von einem guten Freund geblieben ist.«
»Es muss ein wirklich guter Freund gewesen sein«, meinte Harun.
»Ist er denn so wertvoll?«
Harun hob die Schultern. »Ich bin kein Schmuckhändler. Aber ich glaube nicht, dass er sehr kostbar ist. Nicht, was seinen Wert in Gold angeht. Aber deine Augen leuchten, wenn du ihn nur ansiehst. Wer hat ihn dir gegeben?«
»Ein Freund«, sagte Robin ausweichend.
Zu ihrer Überraschung gab sich Harun mit dieser Antwort zufrieden. Er nickte. »Ein Freund, so. Dann besitzt du das wertvollste Gut, das ein Mensch auf dieser Welt überhaupt haben kann. Glaube mir, mein Kind, alle Edelsteine und alles Gold der Welt können nicht das Wissen aufwiegen, dass es einen Menschen gibt, der dich liebt. Wer war er?«
Das zweite Mal kam die Frage so unerwartet und in so beiläufigem Ton, dass Robin sie um ein Haar nun doch beantwortet hätte. Erst im letzten Moment biss sie sich auf die Lippen, ballte die linke Hand zur Faust und verbarg sie in ihrem Schoß, bevor sie den Blick hob und Harun ansah. »Ein Freund,« wiederholte sie. »Ein sehr guter Freund. Aber jetzt seid Ihr mir eine Antwort schuldig.«
Harun schmunzelte. »Bin ich das?«
»Ja«, sagte Robin überzeugt.
»Nun, das kommt auf die Frage an«, erwiderte er. »Was willst du wissen?«
»Wer sind die Söhne Ismaels?«, fragte Robin. Sie sah aus den Augenwinkeln, wie Aisha neben ihr ganz leicht zusammenfuhr, doch Haruns Gesicht blieb völlig ausdruckslos. Das Lächeln auf seinen Lippen änderte sich nicht und auch der Ausdruck in seinem Blick blieb der gleiche: eine Mischung aus sanftem Spott und leicht ungeduldiger, gütiger Herablassung. Auch einen Funken echter Zuneigung meinte sie darin zu lesen.
»Die Söhne Ismaels«, wiederholte er. »Woher hast du dieses Wort?«
»Ihr enttäuscht mich«, antwortete Robin so schroff wie möglich. »Ich habe Euch bereits einmal danach gefragt. Aber jetzt ist dieses Wort wieder mehrmals in meiner Gegenwart gefallen und es scheint den Menschen Angst zu machen. Deswegen muss ich wissen, was es bedeutet!«
Harun nickte langsam. »Ich verstehe deine Wissbegier, aber ich verstehe erst recht die Angst in den Herzen der Menschen. Deshalb solltest du nicht über sie reden.«
»Warum?«, fragte Robin. »Wenn es doch nur böse Geister sind... Was macht es dann, über sie zu reden? Ich bin kein Kind mehr, das glaubt, den Namen eines Geistes auszusprechen hieße, ihn heraufzubeschwören.«
Harun blieb ernst. »Du sprichst von Dschinn?« Er schüttelte den Kopf. »O nein, das sind sie nicht. Glaube mir, die Söhne Ismaels sind wirklich. Und die Menschen fürchten sie zu Recht. Sie haben viele Namen. Hashashin, Assassinen, die Söhne Ismaels, die Kinder des Alten vom Berge, die Haschischesser...« Er machte eine flatternde Handbewegung, als hätte er die Aufzählung noch beliebig fortsetzen können. »Wer ihre Freundschaft erringt, der braucht nichts und niemanden auf dieser Welt mehr zu fürchten. Doch wer sie sich zu Feinden macht, dem ist der Tod gewiss.«
»Und wie erringt man ihre Freundschaft?«, fragte Robin. Haruns Worte hatten ihr einen kalten Schauer über den Rücken gejagt, obwohl sie sich gar nicht erklären konnte, warum. Er hatte ihr längst nicht alles über diese geheimnisvollen Söhne Ismaels erzählt, was er wusste, aber sie spürte auch, dass er dieses Thema nicht weiter vertiefen würde.
Plötzlich lachte Harun, als hätte sie etwas sehr Dummes gefragt. »Sie verschenken sie, mein Kind, so wie jeder Mensch. Du kannst nichts tun, um sie dir zu erkaufen.«
»Und was habe ich mit ihnen zu schaffen?«, fragte Robin.
»Du?« Harun wirkte ehrlich überrascht. »Wie kommst du auf einen solch närrischen Gedanken, Mädchen?«
Robin hob die Hand. »Es hat etwas mit diesem Ring zu tun«, überlegte sie. »Naida hat gesagt...«
»Naida ist ein dummes, altes Weib, das zu viel redet und zu wenig denkt«, fiel ihr Harun ins Wort. »Lass mich diesen Ring noch einmal ansehen.«
Gehorsam streckte Robin die Hand aus. Harun betrachtete das Schmuckstück noch länger als das erste Mal, dann schüttelte er nur den Kopf und ließ sich wieder zurücksinken. »Wie schon gesagt: Ich verstehe nicht viel von solchen Dingen. Nur, was man eben so hört und was...«, er lachte leise, »... geschwätzige alte Weiber ihren Kinder abends am Feuer erzählen, um ihnen Angst zu machen. Die Schriftzeichen auf diesem Ring mögen denen ähneln, die die Assassinen benutzen, aber das ist auch schon alles.«
»Dafür, dass Ihr nicht viel von solchen Dingen versteht, wisst Ihr eine Menge«, gab Robin lächelnd zurück.
»Ich verstehe vielleicht nicht viel von geheimnisvollen Ringen voll rätselhafter Schriftzeichen«, erwiderte Harun. »Doch wenn dieser Ring einem Assassinen gehörte, dann wärest du nicht hier.«
»Wieso?«
»Weil niemand so dumm wäre, eine Frau als Sklavin verkaufen zu wollen, die dem Alten vom Berge versprochen ist«, sagte Harun. »Und nun genug. Wir haben noch viel zu...«
Er unterbrach sich, als die Tür aufgerissen wurde und Naida hereingestürmt kam. Sie trug das gleiche befleckte Kleid vom vorigen Tag und auch ihr Gesicht wirkte noch ebenso grau und eingefallen und von den Entbehrungen der letzten Tage gezeichnet. Aber ihr gesundes Auge flammte wütend auf, als sie erkannte, dass Robin noch nicht fertig angekleidet und geschminkt war. »Was geht hier vor?«, herrschte sie Harun an. »Ihr solltet schon lange fertig sein! Omar erwartet das Mädchen! Der letzte Gast ist soeben eingetroffen. Ihr werdet nicht dafür bezahlt, Eure Zeit zu vertrödeln!«
»Bevor Ihr eingetreten seid, Allerehrwürdigste«, antwortete Harun gereizt, »waren wir der Vollkommenheit schon einmal näher. Äußere Schönheit ist nicht ohne innere Ruhe zu erreichen, müsst Ihr wissen.«
»Verhöhnt Allah nicht, indem Ihr eine Ungläubige vollkommen nennt«, antwortete Naida zornig. »Was ist die größte Schönheit, wenn der richtige Glaube fehlt?«
Harun bedachte die alte Sklavin mit einem langen Blick und erwiderte dann in fast freundlichem Ton: »Wie Recht Ihr doch habt, erhabene Herrin des Hauses. Auch ich konnte schon oft beobachten, wie im gleichen Maße, in dem die Schönheit einer Dame verblasst, ihre Festigkeit im Glauben zunimmt.«
Naida funkelte ihn wütend an. Mühsam beherrscht stieß sie hervor: »Beeilt Euch. Der Herr erwartet Euch am Brunnen im hinteren Hof.«
»War es nötig, Naida zu beleidigen?«, fragte Robin, nachdem die Sklavin das Zimmer wieder verlassen hatte.
Harun machte ein abfälliges Geräusch. »Ich ziehe eine ehrliche Beleidigung jederzeit der Heuchelei vor«, sagte er. »Naida hasst mich. Und offen gesagt, erfreut sie sich auch nicht unbedingt meiner Wertschätzung. Im Übrigen wird eine Anspielung auf ein paar Falten in ihrem Gesicht sie gewiss nicht umbringen.« Sein Grinsen verstärkte sich. »Das wird schon eher Omar Khalid erledigen, wenn wir uns nicht sputen. Eile dich, meine Liebe.«
Die letzten Worte galten Aisha, die sich bereits daran gemacht hatte, Robins Gesicht, Hals und Hände rasch mit dem parfumgetränkten Tuch abzutupfen. Robin sog ein paar Mal scharf die Luft zwischen den Zähnen ein, als sie auch die wunden Stellen an ihren Handgelenken nicht ausließ.
»Jetzt schau dir nur ihre Haut an, meine Liebe«, schwärmte Harun, als Aisha endlich von ihr abließ und einen Schritt zurücktrat. »So zart und hell wie ein frisch aufgeblühter Zitronenbaum. Wir haben ein kleines Wunder vollbracht, bei Allah!«
»Wir müssen ihre Narbe verdecken«, sagte Aisha stirnrunzelnd. Sie warf Harun einen fragenden Blick zu, den dieser mit einem angedeuteten Kopfnicken beantwortete, ging rasch zu dem kleinen Tischchen neben der Tür und nahm etwas aus einer kleinen Truhe, die Harun am Morgen mitgebracht hatte. Als sie zurückkam, lag ein schweres Kollier aus Gold und tiefrot funkelnden Granatsteinen in ihren Händen. Robin riss verblüfft die Augen auf.
»Das ist...«
»Nur eine Leihgabe«, unterbrach sie Harun hastig, und auch ein bisschen nervös, wie es ihr vorkam. »Auch, wenn es natürlich gegen deine angeborene Schönheit verblassen muss.«
»Ist der Schmuck... echt?«, murmelte Robin ungläubig. Was diesen Punkt anging, so erging es ihr nicht anders als Harun: Sie verstand nichts von Gold, Geschmeide und Edelsteinen. Aber man musste kein Goldschmied sein, um zu erkennen, dass das, was Aisha da so beiläufig in Händen hielt, ein Vermögen wert war.
»Omar würde mich vierteilen lassen, ließe ich dich mit falschem Geschmeide vor seine Käufer treten«, antwortete Harun. Er wartete, bis Aisha Robin das Kollier angelegt und den winzigen Verschluss in ihrem Nacken geschlossen hatte, dann stand er ächzend auf und maß Robin mit einem selbstzufriedenen Blick. »Du solltest dich nur selbst sehen können! Keine Blume aus den wunderbarsten Gärten von Damaskus könnte sich mit deiner Schönheit messen, Ungläubige.« Er seufzte. »Wenn ich nur daran denke, wie du ausgesehen hast, als wir uns das erste Mal begegnet sind. Bei Allah, ich will mich nicht selbst loben, doch wir haben ein Wunder an dir vollbracht. Omar wird zufrieden sein.«
Robin erhob sich und ging mit langsamen Schritten auf den Spiegel zu, der an der gegenüberliegenden Wand hing. Im ersten Moment war sie regelrecht erschrocken. Das Gesicht, das ihr entgegenblickte, war kaum mehr ihr eigenes, - jedenfalls nicht das, woran sie sich erinnerte. So ungern sie es zugab, Harun und Aisha hatten tatsächlich ein Wunder vollbracht. Sie trug eine rote, durchscheinende, weit gebauschte Hose aus Seide und perlenbestickte Pantoffeln, die sie unter anderen Umständen als albern bezeichnet hätte. Ihre Fußknöchel zierten Kettchen mit winzigen goldenen Glöckchen, die jede ihrer Bewegungen mit einem hellen Klingeln begleiteten, und auf ihren Hüften lag ein zierlicher, mit hauchfeinen Goldplättchen geschmückter Gürtel.
Das Oberteil, das Aisha ihr angezogen hatte, war wieder eines dieser merkwürdigen Hemden, das nicht einmal bis zum Rippenbogen reichte und zudem noch tief ausgeschnitten war. Es bestand aus einem samtigen roten Stoff; die kunstvollen Goldstickereien kratzten am Brustansatz ein wenig, doch brachten sie das Kollier darüber noch mehr zur Geltung. Am meisten erstaunte Robin aber der Anblick ihrer eigenen Augen, die, eingerahmt von dünnen schwarzen Linien, plötzlich fremd erschienen, schön, exotisch und auch aufreizend. Ihr Haar war länger geworden, hatte sie es doch, seit sie an jenem schicksalhaften Tag in die Komturei der Templer gekommen war, kurz getragen. Es reichte ihr jetzt fast bis an die Schultern und war so sauber gewaschen und gebürstet, dass es wie Seide schimmerte.
Wehmütig dachte sie an Salim und daran, wie er kurz vor ihrem Eintreffen in Genua das letzte Mal mit einem scharfen Dolch ihre Haare zu einem ungeschickten Pagenschnitt zurechtgestutzt hatte. Könnte er sie jetzt sehen, dann würde er auch ihre Haarfarbe nicht mehr mit der Farbe von Pferdeäpfeln vergleichen... Aber wahrscheinlich würde er etwas anderes finden, an dem er herumnörgeln konnte. Gelobt hatte er ihr Aussehen viel zu selten.
Robin spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllen wollten, als sie an Salim dachte, und verscheuchte die Erinnerung hastig. Unterdessen ließ sie den Blick weiter nach unten und auf die merkwürdigen roten Ornamente wandern, die Aisha mit einem feinen Pinsel auf ihren Bauch gemalt hatte. Vorsichtig, fast als hätte sie Angst, sie zu berühren und ihren Zauber damit zu zerstören, strich sie mit den Fingerspitzen über die verschlungenen Linien, die ihren Nabel umspielten. Die rötlich-braune Farbe des Hennas schien tief in ihre Haut eingedrungen zu sein, fast wie eine Tätowierung, aber Aisha hatte ihr beim Leben ihrer Mutter geschworen, dass die Farbe bald wieder verblassen würde. Robin war nicht einmal sicher, ob sie das wollte.
»Jetzt verlieb dich nur nicht in dein eigenes Spiegelbild«, warnte Harun. »Es wird Zeit, dass dein zukünftiger Herr dich kennen lernt. Wenn Allah uns gnädig ist, wird Omar seine Reichtümer in nur einer Stunde dank dir verdoppelt haben - und er ist beileibe kein armer Mann.«
»Und deine Belohnung wird wohl entsprechend ausfallen?«, neckte ihn Robin. Allerdings ging sie davon aus, dass Harun ihren Wert maßlos übertrieb.
»Belohnung?« Harun sah sie über den Spiegel hinweg stirnrunzelnd an. Dann schüttelte er den Kopf. »Nun, das ist eine Frage des Standpunktes. Immerhin hat Omar Khalid mir versprochen, mich am Leben zu lassen, wenn ich dich in einen halbwegs ansehnlichen Zustand versetze.«
Er lachte und Robin kam gar nicht erst dazu, darüber nachzudenken, ob er einen Scherz gemacht hatte oder die Wahrheit sprach, denn Aisha war hinter sie getreten und Harun wedelte auffordernd in Richtung Tür. Fast fühlte Robin sich jetzt wieder wie eine Gefangene, die abgeführt werden sollte. Der Gedanke weckte zugleich ihr schlechtes Gewissen. Von allen hier war Harun al Dhin vielleicht derjenige, aus dem sie am wenigsten schlau wurde, aber vermutlich auch der, der ihr Misstrauen am wenigsten verdient hatte. Mit einem letzten, fast wehmütigen Blick in den Spiegel drehte sie sich herum, um ihm aus dem Zimmer zu folgen.
Sie wurde die Treppe hinuntergeführt, jedoch nicht auf den Hof. Stattdessen brachte man sie in eine kleine Kammer, deren Fenster mit dunklem Stoff verhängt waren, sodass sie zwar Stimmen und Musik vom Hof her hören konnte, aber niemanden zu Gesicht bekam. Es war kühl hier drinnen. Ein fremdartiger, durchaus angenehmer Geruch hing in der Luft, und von weiter her drang ein Durcheinander von Geräuschen und Stimmen zu ihr, das ein sonderbar vertrautes Gefühl in Robin erweckte. Sie versuchte vergebens, die kalten Schauer zu unterdrücken, die einer nach dem anderen ihren Rücken herabliefen. Es war die pure Angst: All ihr Mut, all ihre tapferen Vorsätze und all das, was sie selbst geglaubt und sich immer wieder mit Erfolg eingeredet hatte, waren dahin. Ihr Schicksal würde sich heute erfüllen. Nicht irgendwann, nicht in ein paar Tagen, sondern jetzt, hier, innerhalb der nächsten Minuten.
Nach einer Weile wurde die Tür geöffnet und Naida trat ein. Robin warf einen Blick an der alten Sklavin vorbei auf den Gang hinaus und erkannte, dass dort eine ganze Abteilung von Omars Kriegern aufmarschiert war. Omar schien entweder gehörigen Respekt vor ihr und ihrer Entschlossenheit zur Flucht zu haben oder anderem Ärger vorbeugen zu wollen. Bevor sie jedoch eine entsprechende Frage stellen konnte, schob Naida die Tür mit dem Fuß hinter sich zu, und im selben Augenblick öffnete Harun die Vorhänge, sodass die kleine Kammer von blendender Helligkeit überflutet wurde. Das Fenster führte tatsächlich auf den Hof hinaus, aber nicht auf den mit dem Springbrunnen, den Robin schon kannte, sondern auf einen winzigen, vollkommen leeren ummauerten Flecken.
»Zieh das an!«, herrschte Naida sie an.
Robin erkannte erst jetzt, dass die alte Sklavin eine Art Kaftan aus dem durchscheinenden roten Stoff, aus dem auch ihre Hose gefertigt war, über dem unverletzten Arm trug. Sie versteifte sich innerlich. Schon Naidas herrischer Ton weckte ihren Trotz, und sie hatte gute Lust, sich zu widersetzen, aber ein warnender Blick Haruns hielt sie davon ab. Gehorsam, wenn auch nicht ohne Naida mit fast verächtlichen Blicken zu messen, legte sie das Kleidungsstück an. Hinzu kam noch eine Art Kopftuch, das bis weit auf ihren Rücken hinabreichte und aus ebenfalls rotem, jedoch dichterem Stoff gefertigt war, sowie ein gleichfarbiger Schleier, auf dem winzige Goldplättchen aufgenäht waren, die bei jeder noch so kleinen Bewegung klimperten und klirrten. Als Robin endlich alle nacheinander von Naida gereichten Kleidungsstücke angelegt hatte, war sie bis auf den schmalen Streifen über ihren Augen vollständig verhüllt. Dennoch kam sie sich jetzt ausgelieferter und hilfloser vor denn je.
Harun schien ihre Veränderung jedoch zu gefallen, denn er nickte zufrieden. In seinen Augen erschien ein sanftes, Mut machendes Lächeln, als sie seinem Blick begegnete. »Du wirst sehen, mein Honigpferdchen, dass es viel geschickter ist, seine Schönheit langsam und ein bisschen widerspenstig den Blicken frei zu geben, als gleich alles zu zeigen. So wirst du das Verlangen nach dir in Omars Gästen wecken - und natürlich ihre Gier, was wiederum Omar Khalids Geldbeutel füllen wird.«
Naida lachte leise. »Sich nur widerstrebend zeigen... damit wird sie keine Schwierigkeiten haben.«
Harun schenkte der alten Sklavin einen langen, ärgerlichen Blick und wandte sich wieder mit demselben, fast väterlichen Ausdruck im Gesicht an Robin. »Das wirst du nicht, nicht wahr? Du weißt, wie viele Leben davon abhängen, dass Omar dir nicht zürnt.«
»Und wer sagt Euch, dass mir das nicht egal ist?«, fragte Robin.
Harun schüttelte mit einem angedeuteten Lächeln den Kopf. »Ich«, sagte er. »Darüber hinaus würde sich sein Zorn vielleicht nicht nur gegen dich und die Knaben unten im Keller richten, sondern auch gegen mich, der ich dein Lehrer war. Also, in Allahs Namen, bedenke wohl, was du tust. Ich werde Omar nun davon unterrichten, dass du so weit bist. Mag er entscheiden, wann der passende Augenblick gekommen ist, dich vor seine Gäste zu führen.«
Während er sich herumdrehte und die Kammer verließ, dachte Robin flüchtig daran, dass jetzt der unwiderruflich allerletzte Augenblick wäre, noch einmal einen Fluchtversuch zu wagen, zumal hier im Zimmer nur Aisha und die alte Sklavin als Wachen zurückgeblieben waren. Das Fenster war nicht vergittert und der winzige Hof draußen, so weit sie erkennen konnte, völlig leer. Selbst die gut zwei Meter hohen Mauern, die ihn umschlossen, stellten für Robin kein unüberwindliches Hindernis dar. Aber wie weit würde sie schon kommen, am helllichten Tage und in diesen Kleidern? Und selbst wenn ihr wider aller Wahrscheinlichkeit die Flucht noch einmal gelingen sollte - Harun hatte völlig Recht. Omar würde keinen Augenblick zögern, seinen Zorn an den Sklaven auszulassen. Niemand hatte ihr bisher sagen wollen, was aus Rustan geworden war oder ob er überhaupt noch lebte. Und Omars Worte waren auch in diesem Punkt völlig unmissverständlich gewesen: Nemeth wäre die Nächste, und sie würde er zu Tode peitschen lassen.
Sie konnte keinen Fluchtversuch wagen. Die Fesseln, mit denen Omar sie gebunden hatte, waren unsichtbar, aber fester als der härteste Stahl.
Die Musik, die zu ihr aus einem anderen Teil des Hofes herüberwehte, kam ihr mit einem Male unendlich traurig vor, und nicht zum ersten Mal an diesem Tag saß plötzlich ein bitterer Kloß in ihrem Hals, der ihr das Atmen erschwerte. Es gelang ihr nicht, ihre Fantasie davon abzuhalten, sich die Männer auszumalen, die jetzt dort draußen saßen, sich von Omars Sklavinnen bewirten ließen und vermutlich schon voller Vorfreude auf den einzigen und ganz besonders kostbaren Posten warteten, der an diesem Tag zur Versteigerung anstand. Vielleicht rieben sie sich schwitzende Hände an Hosenbeinen trocken, machten derbe Scherze oder stellten sich vor, was sie mit ihrer Neuerwerbung anfangen konnten. Auf jeden Fall aber waren es Männer, für die sie nicht viel mehr sein würde als ein kostbares Pferd in ihren Ställen.
Sie wünschte sich, sie würde noch ein einziges Mal Salim sehen können, ihn noch einmal berühren, noch einmal seine Stimme hören. Ohne dass sie etwas dagegen tun konnte, kam ein leises, trauriges Seufzen über ihre Lippen.
»Fang jetzt nicht auch noch zu heulen an, du nichtsnutziges Geschöpf!«, herrschte Naida sie an. »Die Schminke wird verlaufen und deine Wangen mit schwarzen Streifen verzieren, törichtes Ding! Wir haben keine Zeit mehr, um dich wieder herzurichten. Ganz zu schweigen davon, dass Tränen deine Augen rot und hässlich machen!«
»Lasst sie in Frieden«, sagte Aisha - mit dem Ergebnis allerdings, dass Naida mit einer wütenden Bewegung herumfuhr und sich ihr Zorn nun auf Haruns Sklavin entlud.
»Schweig, du dummes Weib! Siehst du nicht, was sie vorhat? Anscheinend ist sie wild entschlossen, nichts auszulassen, womit sie meinem Herrn schaden kann.«
Robin sah das Aufblitzen in Aishas Augen und setzte gerade dazu an, etwas zu sagen, um den drohenden Streit im Keim zu ersticken. Auch wenn Aisha nicht gerade ihre Freundin war, so wollte sie doch nicht, dass Naida die Gelegenheit ergriff, um ihre unübersehbar gereizte Laune nun an ihr auszulassen.
Bevor sie jedoch ein Wort sagen konnte, ging die Tür auf und Harun kam zurück. »Es ist so weit«, verkündete er, und in seiner Stimme klang fast so etwas wie Stolz mit. »Die Gäste sind versammelt und alle warten begierig darauf, die kostbarste Blüte aus den Gärten Hamas zu sehen.«
Die Musik auf dem Hof brach in diesem Moment ab und auch die Stimmen, die die fremdartigen Töne bisher murmelnd untermalt hatten, wurden leiser und verstummten dann ganz. Sicher war es nur Zufall, aber die Szene hätte kaum besser verlaufen können, hätte Harun sie sorgsam arrangiert.
Harun streckte die Hand aus und nickte auffordernd. Robin bedachte seinen ausgestreckten Arm nur mit einem verächtlichen Blick, was Haruns Lächeln aber sonderbarerweise nur noch eine Spur wärmer werden ließ. Dann trat sie dennoch gehorsam neben ihn und setzte sich in Bewegung, als Harun seine gewaltige Körperfülle ächzend herumwälzte und den Flur hinunterging. Robin war nicht überrascht, dass sie draußen von fast einem Dutzend Kriegern erwartet wurde. Die Hälfte der Männer ging vor ihnen her, der Rest in dichtem Abstand hinter ihnen.
»Hab keine Angst«, flüsterte Harun neben ihr. »Dir wird nichts geschehen. Omar Khalid gehört zu den Männern, die keine Gelegenheit auslassen, um ihre Macht zu demonstrieren.«
Ein leises Gefühl von Übelkeit begann sich von ihrem Magen aus in ihrem ganzen Körper auszubreiten, und ihr Herz klopfte mit jedem Schritt schneller, den sie sich der Tür und damit dem Hof näherten. Als sie aus dem Haus heraustraten, rauschte das Blut in ihren Ohren, und sie musste sich mit aller Macht beherrschen, um sich nicht mit dem Handrücken über die Augen zu fahren; eine Geste, die Naida ganz bestimmt wieder zum Anlass genommen hätte, sie zu maßregeln.
Draußen erwartete sie eine Überraschung. Sie befanden sich jetzt auf dem zweiten, größeren Hinterhof. Robin hatte erwartet, dass vor oder neben dem Springbrunnen vielleicht eine kleinere Version des obszönen Podestes aufgebaut worden wäre, wie sie es vom Sklavenhof her kannte. Das war jedoch nicht der Fall. Außer Omar selbst und einer kleinen Gruppe von Sklavinnen, die Musikinstrumente sowie Schalen mit Obst und silberne Trinkbecher hielten, befanden sich nur noch drei weitere Personen hier. Es waren drei Männer, wie sie unterschiedlicher kaum sein konnten.
»Hab keine Angst«, raunte Harun ihr zu, als sie unwillkürlich im Schritt verhielt. »Niemand wird dir zu nahe treten. Bleib ganz ruhig und sprich nur, wenn du etwas gefragt wirst.«
»Wer sind diese Männer?«, flüsterte Robin unter ihrem Schleier.
Harun verdrehte zwar in gespielter Verzweiflung die Augen, antwortete aber trotzdem, halblaut und fast ohne die Lippen zu bewegen: »Der alberne Geck dort hinten, in dem grünen Gewand, ist Yussuf al-Mansur, Wesir am Hofe Al Maliks, des Herrschers von Hama; dein christlicher Bruder daneben ist Fra Gaston de Naillac, ein Gesandter der Johanniter-Ritter, und der Dritte ist Asef Arslan.«
Robin bemerkte nur beiläufig, dass Harun es ausließ, Arslans Herkunft oder Titel zu erklären. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, die beiden anderen zu mustern. Al-Mansur als albernen Gecken zu bezeichnen war zweifellos noch untertrieben. Er trug einen grünen Kaftan, dazu Seidenhosen, die mit auffälligen bunten Blumenmustern bestickt waren, und Reitstiefel. Sein Turban war ganz ähnlich wie der Haruns mit goldenen Nadeln und Edelsteinen verziert. Er hatte ein hageres Gesicht mit einem schwarzen Spitzbart, der ihm den Ausdruck einer missmutigen Ziege verlieh.
Arslan war dagegen vollkommen in Schwarz gekleidet. Auch ein Teil seines Gesichtes verbarg sich hinter einem schwarzen Tuch, sodass sie nur seine Augen und die schmale Hakennase sehen konnte. Aber mehr interessierte sie auch nicht, denn Robins ganze Konzentration galt dem Mann, den Harun als ihren »christlichen Bruder« bezeichnet hatte.
Es war tatsächlich ein Ritter, gleichzeitig aber der Älteste und Auffälligste der drei. Auf seiner hellen Haut zeigten sich die roten Flecken eines beginnenden Sonnenbrandes, der spätestens am nächsten Tag wirklich übel werden würde. Offenbar war er entweder noch nicht lange in diesem Land oder vermied es normalerweise, das Haus zu verlassen. Er hatte durchdringende blaue Augen und weißblondes Haar, das sich an der Stirn schon deutlich zu lichten begann. Er war barhäuptig, trug orientalische Gewänder und hatte ein Langschwert umgegürtet, wie es christliche Ritter bevorzugten, - die Bluse, die unter seinem offenen Mantel zu sehen war, zierte das rote Kreuz der Johanniter.
Es erschien Robin mehr als ungewöhnlich, dass sich ein Christ - noch dazu ein Kreuzritter - so offen hier zeigte, aber weder Harun noch Omar oder einer der beiden anderen Gäste schienen Anstoß daran zu nehmen. Fra Gastons Blicke - der ebenso wie alle anderen das Gespräch unterbrochen hatte und sie neugierig und mit gerunzelter Stirn anstarrte - gefielen ihr nicht, und auch sein Gesicht und seine gesamte Erscheinung waren ihr alles andere als sympathisch, aber dennoch erfüllte sie sein bloßer Anblick mit einer wilden, verzweifelten Hoffnung. Ganz gleich, wer oder was dieser Mann war: Er war ein Angehöriger ihres Volkes, ein Edelmann, der zweifellos aus keinem anderen Grund gekommen war, um sie aus der Sklaverei freizukaufen.
Wieder war es, als hätte Harun ihre Gedanken gelesen, denn er murmelte: »Arslan wird den Zuschlag bekommen. Aber mach dir keine Sorgen - ich kenne ihn. Er ist ein aufrechter Mann, der dir nichts zuleide tun wird.«
»Arslan?« Robins Blick irrte unwillkürlich zu dem ganz in Schwarz gekleideten Araber. Auch er starrte sie mit unverhohlener Neugier an und es fiel ihr schwer, Haruns Worten Glauben zu schenken. Sein Blick war so kalt wie Eis.
Omar machte eine wedelnde, ungeduldige Handbewegung. »Harun al Dhin! Worauf wartet Ihr?«, rief er. »Kommt her und stellt meinen edlen Gästen den kostbaren Schatz vor, den das Schicksal mir zugespielt hat.« Er lächelte gekünstelt. »Wie wir alle wissen, habt Ihr ja eine besonders geschmeidige Zunge, wenn es darum geht, die Vorzüge eines Weibes zu schildern.«
Harun räusperte sich unbehaglich und für einen winzigen Moment verfinsterte sich sein Gesicht. Omar schien mit seinen Worten auf etwas anzuspielen, das dem riesig gebauten Mann äußerst peinlich war, dessen Hintergründe aber nur er und Harun al Dhin kannten. Dennoch beschleunigte er seine Schritte ein wenig, blieb zwei Meter vor Omar und seinen Gästen stehen und legte Robin in einer vertrauten Geste eine riesige Hand auf die Schulter, bevor er nach einem abermaligen Räuspern begann: »Werte Gäste, geehrte Herren, unser großzügiger Gastgeber und Wohltäter, Omar Khalid, schmeichelt mir mit diesen Worten, und ich will ihm gerne zu Diensten sein. Aber es ist nicht nötig. Ganz ohne Zweifel habt Ihr selbst schon erkannt, welch edles Geschöpf da vor Euch steht. Was immer ich sage, vermag den schieren Glanz ihrer Schönheit nur zu trüben.«
Seine Finger zupften Robins Kopftuch ein wenig zur Seite und griffen nach einer Haarsträhne.
»Seht nur dieses Haar: So fein wie Seide und so leuchtend, als seien die zarten Strahlen der Morgensonne in ihm versponnen worden. Dies ist kein Mädchen, wie Ihr es kennt, mit dunkeln Haaren und sanftem Gemüt.« Seine Worte wurden flüssiger und das nervöse Lächeln war jetzt ganz von seinem Gesicht verschwunden. Robin fühlte sich jedoch mit jedem Wort, das sie hörte, erbärmlicher. Sie hatte das Gefühl, angepriesen zu werden wie eine besonders schöne Zuchtstute.
»In jungen Jahren«, fuhr Harun fort, der allmählich in Fahrt geriet, »traf ich einmal einen Leoparden, einen schlanken Jäger, unübertroffen in seiner Flinkheit und Schläue. Auch er hatte ein goldenes Fell, auch wenn es durchsetzt war mit schwarzen Flecken. Und ganz so wie dieser Leopard ist auch dieses Mädchen. Nicht ruhig und duldsam wie die dunkelhaarigen Schönen, die Ihr bisher kennen gelernt habt. Sie ist wie ein Raubtier, das gezähmt werden will... wild und sinnlich zugleich.«
Harun zog das weite Kopftuch von ihrem Haupt. Robin fühlte sich beklommen und ausgeliefert. Bisher waren ihr Schleier und Kopftuch wie eine Demütigung vorgekommen, ein Gefängnis, das sie mit sich herumtrug. Jetzt hatte sie das Gefühl, ihres letzten Schutzes beraubt worden zu sein. Ganz wie Harun es angekündigt hatte, richteten sich nun alle Blicke auf sie und ihr Gesicht. Ganz besonders unangenehm war ihr die Aufmerksamkeit des dicklichen Wesirs, der sie schier mit den Augen zu verschlingen schien. Aber auch in Gastons Blicken war etwas, das ihr ganz und gar nicht gefiel. Sie gestattete sich immer noch nicht, irgendetwas anderes zu glauben, als dass dieser Mann vom Orden der Johanniter hier hergeschickt worden war, um das Christenmädchen freizukaufen, von dem man gehört hatte. Aber das, was sie sah, sprach dagegen.
»Bewege dich, Mädchen, damit die hohen Herren sich von deiner natürlichen Anmut und Eleganz überzeugen können«, sagte Harun. Sehr viel leiser, und nur für ihre Ohren bestimmt, fügte er hinzu: »Versuche dieses eine Mal, nicht zu watscheln wie eine fußkranke Ente.« Er machte eine Geste in Richtung der Sklavinnen. Im nächsten Augenblick ertönte eine leise Trommel, begleitet von einem klagenden, sonderbar wehmütig klingenden Saiteninstrument und dem regelmäßigen Rhythmus von Schellen.
Robin kämpfte eine einzige Sekunde mit sich selbst. Sie konnte stehen bleiben oder sich ganz bewusst ungeschickt anstellen, und sei es nur, um Omar den Spaß zu verderben, aber das wäre im Moment nicht besonders klug. Widerwillig, aber so gut sie es vermochte, machte sie die von Aisha beigebrachten Tanzschritte, hielt dabei jedoch einen möglichst großen Abstand zwischen sich und Omars Gästen ein.
»Omar Khalid«, begann der dickliche Wesir, ohne den gierigen Blick seiner Augen dabei jedoch von Robins Gestalt zu lösen. »Der Tanzlehrer der Ungläubigen vergleicht das Mädchen mit einer gefährlichen Raubkatze. Könnte es sein, dass es genau jenes Weib ist, das Eurer Obhut entsprungen ist und so viel Aufregung in der Stadt verursacht hat?«
»Das war nur ein Gerücht«, behauptete Omar. In seiner Stimme war jene Glätte und Selbstsicherheit, die den geübten Lügner verriet. »Ihr wisst, wie viel die Leute reden und wie wenig Wahres daran ist.«
»Weiß ich das?«
»Der Anführer des Sklavenaufstandes wurde hingerichtet«, erinnerte Omar.
»Ja, ja, ich habe den abgetrennten Kopf über Eurem Tor gesehen«, sagte al-Mansur in nachdenklichem Tonfall. »Und ich kenne auch die Geschichte über den verrückten Sklaven in Frauenkleidern, die Ihr meinem Herrn vorgetragen habt. Doch wenn ich dieses Weib so sehe, dann kommen mir Zweifel, ob der richtige Kopf über Eurem Tor hängt.«
»Yussuf al-Mansur, seid Ihr etwa ein Mann, der sich vor Frauen fürchtet?«, gab Omar mit einem süffisanten Lächeln zurück. »Ihr wisst, welches Vergnügen es Eurem Herrn bereitet, wilde Pferde zuzureiten. Glaubt Ihr etwa, er würde eines einfachen Weibes nicht Herr werden? Sicher, sie ist eine... ungewöhnliche Frau. Doch gerade darin liegt ihr Reiz, und deshalb beläuft sich der Mindestpreis, den ich für sie verlange, auf tausend Denar.«
Sowohl der schwarz gekleidete Araber als auch Fra Gaston zeigten keinerlei Reaktion, aber der Wesir riss in gespieltem Schrecken die Augen auf und japste nach Luft. »Tausend...?«
»Das ist der Mindestpreis«, sagte Omar lächelnd. Er sah die beiden anderen nacheinander durchdringend an. »Aber ich bin sicher, Eure beiden Konkurrenten erkennen den Schatz, den ich ihnen anbiete, und werden nicht zögern, seinen wahren Gegenwert zu zahlen.«
»Gier ist schon so manchem schlecht bekommen«, sagte al-Mansur. »Woher sollen wir wissen, dass all die Geschichten stimmen, die Ihr über dieses Weib erzählt? Am Ende habt Ihr sie selbst in die Welt gesetzt, um den Preis in die Höhe zu treiben.«
Robin war sich völlig darüber im Klaren, dass sie etwas wirklich Dummes tat. Aber sie konnte nicht anders. Selbst, wenn es sie das Leben kostete - sie konnte nicht einfach dastehen und wort- und tatenlos mit ansehen, wie man sie verschacherte wie einen Sack Mehl. Ohne auf Haruns entsetztes Keuchen zu achten, drehte sie sich mitten im Tanzschritt herum, trat auf den Wesir zu und nahm mit einer zornigen Bewegung das Rubinkollier ab, das Aisha ihr angelegt hatte. Mit dem Zeigefinger der rechten Hand zeichnete sie die Narbe an ihrer Kehle nach. »Es gab schon einmal einen Mann, der glaubte, dass er mich beherrschen könnte«, sagte sie, langsam, in stockendem Arabisch, aber so laut und in so scharfem Ton, dass der dickbäuchige Wesir ganz instinktiv einen erschrockenen halben Schritt zurückwich. »Als ihm dies nicht gelang, versuchte er, mich zu töten, doch wie Ihr seht, haben Gott und mein Schwertarm mich beschützt. Trotzdem hat nur einer von uns diese Begegnung überlebt.«
Yussufs Schrecken war jetzt nicht mehr gespielt. Er wich einen weiteren Schritt zurück, starrte die Narbe an Robins Hals an, und machte dann noch einmal einen halben, fast entsetzt aussehenden kleinen Hüpfer rückwärts. »Bei Allah, Omar Khalid, das ist kein Weib, sondern ein wildes Tier, das Ihr uns da anbietet! Mein Herr will Frauen, die ihm Freude bereiten in seinem Harem, und keine Irren, die ihm nach dem Leben trachten. Schließt diese Bestie fort, oder besser noch, tötet sie, wie man es mit einem tollwütigen Hund tut!« Und damit raffte er seinen langen Kaftan und verließ fast fluchtartig den Brunnenhof.
Omar starrte ihm wortlos hinterher, ehe er sich mit einer langsamen, erzwungen ruhigen Bewegung wieder herumdrehte und Robin mit einem Blick maß, dessen Ausdruck an Hass grenzte.
»Bei Allah, Robin, oder meinetwegen auch bei deinem Gott«, raunte ihr Harun ins Ohr, »denk an die Knaben in Omars Kerker. Und an deine kleine Freundin!«
Robin ließ den Schleier wieder sinken, presste die Lippen zusammen und schluckte alles andere herunter, was ihr noch auf der Zunge gelegen hatte. Sie hätte sich am liebsten geohrfeigt, sich so wenig in der Gewalt zu haben, und ihr Herz begann wieder stärker zu klopfen. Omar Khalid starrte sie immer noch fast hasserfüllt an, aber es war seltsam - zugleich schien sie in seinen Augen auch so etwas Ähnliches wie Stolz zu bemerken.
»Bitte verzeiht, meine Herren«, sagte Omar schließlich an die beiden übrig gebliebenen Kaufinteressenten gewandt. Er schüttelte den Kopf und zwang ein Lächeln auf seine Lippen. »Yussuf al-Mansur ist ein Dummkopf und Feigling, wie wir alle wissen. Sein Herr wird ihn auspeitschen lassen, wenn er von seinem Benehmen hört.«
Um die Lippen des schwarz gekleideten Arabers spielte ein flüchtiges Lächeln, das aber weniger Omars Worten zu gelten schien. Robin hatte das sichere Gefühl, dass ihm ihr Auftritt gefallen hatte. Im Gesicht des Johanniter-Ritters hingegen war nicht die geringste Regung zu erkennen. Seine Augen blieben weiter unverwandt auf Robin geheftet.
Wieder fühlte sie sich unter den Blicken dieser durchdringenden, fast stechend blauen Augen unwohl. Da war etwas im Blick des Johanniters, das sie schaudern ließ.
»Der Ring!«, verlangte Arslan. »Zeig mir den Ring, von dem mir berichtet wurde.«
Omar Khalid machte eine entsprechende Geste und Harun ergriff ihr Handgelenk und zwang sie, den Arm auszustrecken, damit der schwarz gekleidete Araber die Finger nach ihrer Hand ausstrecken und den schmalen Goldring begutachten konnte, den sie daran trug. Seine Haut war warm und rau wie Sandpapier, und sie spürte, welche Kraft in seinen so zerbrechlich aussehenden Fingern lag; dennoch war er nicht grob, ja, sie hatte fast das Gefühl, dass er sich alle Mühe gab, sie so sanft wie möglich zu berühren.
Auf dem schmalen Ausschnitt seines Gesichtes, der nicht von dem schwarzen Gesichtstuch verdeckt war, erschien ein Ausdruck höchster Konzentration. Arslan ließ sich eine Menge Zeit, um den Ring zu begutachten, ehe er schließlich wieder einen Schritt zurücktrat und ein Nicken andeutete, das wohl Zufriedenheit ausdrücken sollte.
Bevor er etwas sagen konnte, ergriff der Johanniter das Wort: »Was ich bisher gesehen habe, Omar Khalid, überzeugt mich zwar davon, dass sich unter diesem Schleier eine wahre Wildkatze verbirgt - aber ist sie auch tatsächlich so schön und edel, wie Ihr behauptet? Ich meine: Ich müsste schon mehr sehen, um beurteilen zu können, ob sie in der Tat eine fränkische Edeldame ist, wie Ihr in Eurem Schreiben behauptet habt, oder vielleicht nur eine Marketenderin, die vom Schiff gefallen und von einem Fischer aus dem Meer gezogen worden ist.«
Der Sklavenhändler hatte wohl auch mit diesem Einwurf gerechnet; er sagte nichts, sondern machte nur eine knappe Handbewegung in Haruns Richtung, und der riesige Mann trat an Robins Seite und streifte ihr geschickt den Kaftan von den Schultern. Robin versteifte sich unter ihren Kleidern, entschlossen, sich zur Wehr zu setzen, sollte ihr übergewichtiger Lehrmeister versuchen, sie noch weiter zu entkleiden.
»Woher kommst du?«, fragte der Johanniter - in Robins Muttersprache.
»Ich war an Bord eines Schiffes und bin...« Robin erinnerte sich im letzten Moment daran, dass das Verhältnis zwischen Templern und Johannitern alles andere als gut war, auch wenn beide auf der Seite der Christen kämpften. Mehr als einmal hatte sie Abbé und die anderen von den uneinsichtigen und intriganten Brüdern des Johanniterordens sprechen hören, und ein einziger Blick in Gastons Gesicht reichte, um dieses Vorurteil zu bestätigen. Darüber hinaus wäre es wohl auch nicht besonders klug gewesen, ihr Geheimnis zu enthüllen, hätte ein Tempelritter vor ihr gestanden.
»Es war eine kleine Kogge aus Venedig«, verbesserte sie sich und wechselte dabei ins Arabische. »Wir sind in dichten Nebel geraten. In der Ferne konnten wir den Lärm einer Seeschlacht hören. Ich weiß nicht, wer gegen wen gekämpft hat. Aber es war meine eigene Schuld. Ich war neugierig, habe mich zu weit über die Reling gebeugt, und da bin ich über Bord gefallen.«
Der Johanniter starrte sie weiter mit durchdringenden Augen an. Sein Gesicht zeigte keine Regung. Es war unmöglich zu sagen, ob er ihr die Geschichte glaubte.
»Nun, Fra Gaston«, sagte Omar, »das dürfte Eure Zweifel wohl ausräumen. Sie hat edle Manieren und ist von gutem Blut. Ich bin sicher, dieses Mädchen wird sich am Königshof von Jerusalem...«
Der Johanniter unterbrach Omar mit einer herrischen Geste. »Fra ist ein Ehrentitel, mit dem mich nur Ordensbrüder oder zumindest Christen ansprechen dürfen«, sagte er scharf. »Und was die Behauptung angeht, dieses Mädchen sei von edlem Geblüt...« Er deutete ein Achselzucken an. »Sie spricht zumindest, als wäre sie auf einem Bauernhof groß geworden, und nicht an einem Adelshof.«
»Das mag daran liegen, dass sie unsere Sprache nur unvollkommen beherrscht«, wandte Harun ein. »Gewiss wird ihr ihre eigene Sprache glatter von der Zunge gehen. Aber bedenkt, dass sie erst vor wenigen Tagen überhaupt begonnen hat, Arabisch zu lernen.«
»Hundert Denar wären ein angemessener Preis für sie«, beharrte Gaston. »Sie könnte die Zofe einer Prinzessin werden. Kaum mehr.«
Auf absurde Weise ärgerte sich Robin über Gastons Versuch, ihren Preis auf ein Zehntel herunterzuhandeln. Aber vielleicht gehörte das ja auch nur zu der Rolle, die Gaston spielte. Wenn man ihn tatsächlich hierher gesandt hatte, um ein Christenmädchen aus der Hand eines muselmanischen Sklavenhändlers zu befreien, dann wäre es äußerst ungeschickt, sein Interesse zu deutlich zu zeigen - das hätte schließlich den Preis nur in die Höhe getrieben und seine Aufgabe unnötig erschwert.
»Ihr seid mein Gast, Gaston de Naillac«, begehrte Omar auf, »doch das gibt Euch nicht das Recht, mich zu beleidigen. Jedes Pferd in meinen Ställen ist mehr wert als hundert Denar. Seid Ihr blind? Wie könnt Ihr nur die Schönheit dieses Geschöpfes derart missachten?!«
»Beenden wir dieses unwürdige Gefeilsche«, mischte sich Arslan ruhig ein. Er streifte de Naillac mit einem Blick, in dem eine Verachtung lag, wie sie größer nicht sein konnte, um sich dann mit einem angedeuteten Lächeln und einem knappen Kopfnicken an Omar Khalid zu wenden: »Mein Herr, Sheik Sinan, hat mich ermächtigt, die verlangten tausend Denar zu bezahlen. So, wie es zwischen Euch vereinbart war.«
Robin, die abwechselnd Arslan und Omar ansah, hatte das Gefühl, dass der Sklavenhändler zusammenfuhr und für einen ganz kurzen Moment etwas erblasste, dann aber hatte er sich wieder in der Gewalt. »Ihr habt den Betrag bei Euch, nehme ich an?«
Ein knappes Lächeln spielte um die Lippen des schwarz gekleideten Arabers. »Selbstverständlich nicht«, sagte er.
»Es wäre zu gefährlich, eine so große Summe bei sich zu tragen. Ihr wisst doch, geehrter Omar Khalid: Je schlechter die Zeiten werden, desto schlechter werden auch die Menschen. Und die Zeiten sind sehr schlecht.«
Omar wollte etwas sagen, aber Arslan fuhr rasch und mit leicht erhobener Stimme fort: »Ich kann sie jedoch bis zur Stunde des abendlichen Gebetes vorlegen. Bis dahin sollte Euch mein Wort genügen.«
»Sheik Sinan?«, mischte sich der Johanniter ein. Seine Augenbrauen zogen sich zu einem steilen V zusammen, während er den Schwarzgekleideten mit neuem, nicht gerade freundlichem Interesse musterte. »Sheik Raschid es-Din Sinan?«
»Ihr kennt meinen Herrn?«, fragte Arslan.
»Ich habe von ihm gehört«, erwiderte Gaston ausweichend. »Versteht mich jetzt bitte nicht falsch, mein Freund - aber ich habe noch nie gehört, dass sich Euer Herr sonderlich für Frauen interessiert.«
»Die Geschichten über den Harem des Scheichs sind so zahlreich wie die Sandkörner der Wüste!«, sagte Harun empört. »Vielleicht hattet ihr Ungläubigen bisher nur zu viele von diesen Körnern in den Ohren, wenn Ihr noch nichts davon vernommen habt. Diese zarteste Rose von Hama würde gewiss einen Ehrenplatz...«
»Schweig, Fettkloß!«, unterbrach ihn Omar. Er schenkte Harun einen bösen Blick und wandte sich dann mit einem um Verzeihung heischenden Lächeln wieder an den Johanniter. »Wollt Ihr Euer Angebot vielleicht noch einmal überdenken?«
Der Ritter schien zu zweifeln. Sein Blick glitt unschlüssig zwischen Robin und Arslan hin und her. Sein Stirnrunzeln vertiefte sich. Schließlich wandte er sich in ihrer Muttersprache an Robin: »Was genau war das Ziel Eurer Reise?«
Robin hätte in diesem Moment ihre rechte Hand für eine überzeugende Antwort gegeben. Sie konnte unmöglich die Wahrheit sagen. Nicht in Gegenwart Omars und der beiden anderen Araber, und noch viel weniger gegenüber dem Johanniter. Auch wenn er aus demselben Land stammte wie sie und den gleichen Glauben hatte, so war ihr doch klar, dass es schreckliche Folgen hätte, würde ihr Geheimnis offenbar. Nicht nur für sie, sondern auch und gerade für die Templer. Er führe ausgerechnet ein Johanniter, dass es in den Reihen der ach so ehrwürdigen und glaubenssicheren Tempelritter eine Frau in Männerkleidern gegeben hatte, dann würde das dem Orden großen Schaden zufügen. Ganz abgesehen davon würde sie sich selbst damit den direkten Weg auf den Scheiterhaufen weisen. Sie musste schweigen, wenigstens in diesem Moment - auch wenn das für sie möglicherweise bedeutete, im Harem eines Scheichs zu landen.
»Was ist, Mädchen?«, wiederholte Gaston, nun auf Arabisch, aber lauter und ungeduldiger, als sie nicht sofort antwortete. »Was war das Ziel Eurer Reise?«
»Das weiß ich selbst nicht genau«, sagte Robin ausweichend. »Mein Vater ist ein Pilger. Er wollte die heiligen Stätten in Outremer besuchen.« Möglicherweise war das nicht einmal gelogen, nach dem wenigen, was ihre Mutter ihr je über ihren Vater erzählt hatte.
»Und wie hieß er? Zu welchem Adelsgeschlecht gehörtest du, wenn du denn wirklich von edler Abstammung bist, wie dieser Halsabschneider hier behauptet? Und wie war der Name des Schiffes, auf dem ihr gesegelt seid?«
»Genug!«, unterbrach ihn Omar. »Fragen könnt Ihr das Mädchen immer noch, wenn Ihr es ersteigert habt. Seid Ihr nun bereit, mit dem Gebot des edlen Asef Arslan mitzuhalten, oder nicht?«
Jetzt endlich zeigte sich auf dem Gesicht des Johanniters so etwas wie eine Regung. Er schien einen schweren inneren Kampf auszufechten, aber schließlich - wenn auch mit deutlichem Widerwillen - nickte er. »Ich biete ebenfalls tausend Denar... und einen.« Er warf dem Araber ein ebenso zynisches wie überheblich-siegessicheres Lächeln zu, aber Omar schüttelte nur den Kopf.
»Ich bitte Euch, mein Freund«, sagte er. »Für einen Denar werde ich nicht mein gutes Verhältnis mit Sheik Sinan aufs Spiel setzen. Ihr müsst schon etwas mehr bieten, wenn Ihr dieses wunderschöne Geschöpf erwerben wollt.«
»Dann müsste das Mädchen auch etwas mehr reden«, erwiderte Gaston gereizt.
Plötzlich lag eine Spannung in der Luft, die fast mit Händen zu greifen war. Robin war sich sicher, dass es längst nicht mehr um sie ging, sondern um etwas ganz anderes; etwas, das längst über eine Kleinigkeit wie den Erwerb einer Sklavin hinausging. Obwohl sich diese beiden Männer vielleicht noch nie zuvor im Leben gesehen hatten, spürte sie jedoch, dass zwischen ihnen eine uralte Feindschaft schwelte, die nur auf einen Anlass wartete, um wieder auszubrechen.
Arslans nächste Worte bestätigten sie in ihrem Verdacht nur. »Ihr kennt meinen Herrn«, sagte der schwarz gekleidete Araber leise. »Ihr wisst, für wen ich hier stehe.« Dem Tonfall nach war es vielmehr eine Feststellung als eine Frage, und der Johanniter nickte kaum merklich. »Und Ihr wollt trotzdem gegen mich bieten?« Arslan schüttelte andeutungsweise den Kopf, als könnte er nicht glauben, was er da hörte. »Was glaubt Ihr, wie weit Ihr mit dem Mädchen kommen würdet, wenn mein Herr entschiede, sie wirklich besitzen zu wollen?«
Der Johanniter hielt seinem Blick stand. »Der Kalif wünscht auch nicht, dass es ein christliches Königreich in Outremer gibt, und doch besteht es«, erwiderte er ruhig. »Ihr solltet wissen, dass sich die meisten Wünsche nie erfüllen, Arslan. Ich biete eintausend und einen Denar für das Mädchen.« Ohne Arslans oder auch Omars Reaktion abzuwarten, drehte er sich wieder zu Robin herum und fuhr sie an: »Nenn mir deinen vollen Namen und den deiner Familie!«
Mit einem Mal war sich Robin endgültig sicher, dass sie sich eingangs getäuscht hatte. Warum auch immer Gaston hier war: Er war nicht ihr Freund. War es seine gefühllose Stimme, die Eiseskälte, die sie in seinem Blick las: Ganz plötzlich war ihr klar, dass sie um keinen Preis in die Gewalt dieses Mannes gelangen durfte.
»Ihr habt Recht«, sagte sie, leiser, mit gesenktem Blick und nicht einmal gespielter Niedergeschlagenheit in der Stimme - auch wenn sie einen völlig anderen Grund hatte als den, den Gaston und die anderen annehmen mochten. »Ich bin... nicht, wofür ich mich ausgegeben habe.«
»Was soll das heißen?«, fragte Omar.
»Ich bin nicht von edlem Geblüt«, sagte Robin. »Ich stamme aus einem kleinen Dorf in Friesland. Meine... meine Sprache...« Unruhig scharrte sie mit den Füßen im Sand. »Ich bin nur ein einfaches Mädchen. Vor den Heiden glaubte ich mich verstellen zu können... mehr zu gelten, als ich bin... aber Ihr habt mich durchschaut. Es tut mir Leid.«
Gastons Augen zogen sich misstrauisch zusammen, aber die Omars weiteten sich in schierem Entsetzen. Seine Hand schnellte hoch, als wollte er sie schlagen, aber dann hatte er sich wieder in der Gewalt. »Sie lügt!«, sagte er. »Sie hat es mir sogar gestanden. Sie hat gesagt, sie würde alles tun, um sich an mir zu rächen. Sie will mir nur das Geschäft verderben, so einfach ist das. Sie lügt!«
»Daran habe ich keinen Zweifel«, entgegnete der Johanniter ruhig. »Ich frage mich nur, was an ihrem Gerede Lüge ist.« Er schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht der Mann, der sich die Mühe geben wird, dieses Lügengespinst zu zerreißen.«
»Ihr habt ein Angebot abgegeben«, beharrte Omar. Er klang fast ein bisschen störrisch. »Das könnt Ihr nicht einfach zurückziehen.«
»Und Ihr habt versucht, mir einen Esel als edle Zuchtstute zu verkaufen, Omar Khalid«, sagte Gaston ruhig. »Damit ist das Geschäft hinfällig. Und das ist noch großzügig von mir.«
Omars Blick schien den Johanniter aufspießen zu wollen, während Arslan ein leises Lachen ausstieß.
»So einfach ist das nicht, Fra Gaston«, sagte Omar, plötzlich wieder kalt und in einem Ton, der keinem anderen Zweck diente als dem, den Johanniter herauszufordern und zu beleidigen. »Ihr seid in mein Haus gekommen, Ihr habt geboten und Ihr werdet nicht gehen, bevor Euer Gebot nicht überboten wurde oder Ihr es einlöst.« Er machte eine Handbewegung und wie aus dem Nichts erschienen vier bewaffnete Krieger auf dem Hof.
Der Ritter streifte sie mit einem fast verächtlichen Blick. »Ihr glaubt nicht wirklich, ich wäre mit einem Beutel voller Geld in Euer Haus gekommen, oder?«, spottete er. »Bei Gott, Ihr genießt einen gewissen Ruf, Omar Khalid. Für wie dumm haltet Ihr mich?«
»Bisher habe ich Euch zumindest für einen Ehrenmann gehalten«, entgegnete Omar.
Gaston schüttelte den Kopf. »Nach dem, was ich gerade erfahren habe, hat dieses Wort aus Eurem Mund einen sonderbaren Klang, mein Freund. Im Übrigen stehe ich unter dem Schutz des Stadtherrn Al Malik al Mustafa Omar und genieße den Ruf eines Gesandten, denn ich habe dem Neffen des ehrwürdigen Sultans von Damaskus und Kairo ein wichtiges Schreiben vom Großmeister unseres Ordens zu überbringen. Ich verstehe Euren Zorn, dass Euch ein vermeintlich gutes Geschäft misslungen ist, doch bewahrt Ruhe und behaltet vor allem Euren Verstand, und beschert nicht noch mehr Unglück auf Euer Haus herab, indem Ihr Hand an einen Gesandten legt.«
»Das wagt Ihr nicht!«, sagte Omar. Seine Stimme zitterte vor unterdrückter Wut.
Der Johanniter verneigte sich knapp. »Friede sei mit Euch, Omar Khalid.«
Einen Moment lang hielt er Omars Blick noch gelassen stand, dann legte er in einer wie zufällig wirkenden Geste die Hand auf das Schwert, das er unter dem Mantel trug, drehte sich auf dem Absatz herum und verließ den Hof. Die Krieger, die sich ihm auf Omars Geste hin in den Weg gestellt hatten, rührten sich im ersten Augenblick nicht. Gaston ging jedoch ruhig und ohne zu zögern weiter und kurz bevor er ihre Reihen erreicht hatte, wichen die Männer zur Seite und ließen ihn durch. Omar ballte wütend die Fäuste. Seine Lippen waren zu einem schmalen, fast blutleeren Strich geworden, und Robin konnte tatsächlich hören, wie er vor Wut mit den Zähnen knirschte.
»Friede sei mit Euch...«, wiederholte Arslan nachdenklich. Er schüttelte kaum merklich den Kopf und seufzte. »Ich fürchte, Euren Frieden habt Ihr soeben verwirkt, Omar Khalid.«
»Was soll das heißen?«, schnappte Omar.
»Ich hätte Euch für klüger gehalten«, erwiderte der Schwarzgekleidete. »Ich bin mit einem sehr großzügigen Angebot gekommen, für etwas, das ohnehin uns gehört. Aber Ihr habt es ausgeschlagen und versucht, mit mir zu feilschen. Mir scheint, dass Allah Euch zürnt und das Glück Euch verlassen hat. Ich werde nun gehen, um meinem Herrn zu berichten, was hier vorgefallen ist.«
»Etwas, das ohnehin Euch gehört?« Omar versuchte zu lachen, aber es misslang. »Das ist absurd. Das Mädchen wurde vom Meer angespült und ist eine Ungläubige. Welchen Anspruch wollt Ihr wohl...?«
»Ihr vergesst den Ring, Omar Khalid«, unterbrach ihn Arslan.
»Wer weiß, wo sie ihn herhat«, sagte Omar abfällig. Er streifte Robin mit einem nervösen Blick und baute sich herausfordernd vor dem fast einen Kopf kleineren Araber auf. »Wahrscheinlich hat sie ihn gestohlen.«
»Dann muss ich den meinen wohl auch gestohlen haben«, sagte Arslan. Er hob die linke Hand und Robin erschrak bis ins Mark, als sie das goldene Funkeln an seinem Ringfinger gewahrte.
Sie war zu weit entfernt und die Bewegung zu schnell, als dass sie mehr als ein flüchtiges Aufblitzen sehen konnte, und doch war sie nicht einmal einen Sekundenbruchteil im Zweifel, dass dieser Ring dem, den Salim ihr gegeben hatte, wie ein Zwilling dem anderen glich.
Aber was bedeutete das? Wer war dieser Mann? Was hatte es mit diesem Ring auf sich und wer war der geheimnisvolle Sheik Raschid es-Din Sinan, dessen bloße Erwähnung den Johanniter in Zorn versetzte und Omar schiere Todesangst einjagte? Und wenn dieser Ring wirklich das war, wofür sowohl Omar als auch Arslan und der Johanniter ihn zu halten schienen - wie war dann Salim an ihn geraten? All das zusammen ergab keinen Sinn!
»Arslan, das wagt Ihr nicht!«, sagte Omar. Auf seinem Gesicht hatte sich wieder die schon fast gewohnte hochmütige Miene breit gemacht, und er stand in drohender Haltung vor seinem Gegenüber, die Hand auf dem Schwert, die andere bewusst locker neben sich hängend. Aber es gelang ihm trotz aller Anstrengung nicht ganz, die Furcht aus seinem Blick zu bannen.
»Wen der Glanz des Goldes einmal geblendet hat, der schwört zumeist der Tugend der Weisheit ab«, antwortete Arslan ruhig. »Ich kann Euch versichern, Omar Khalid, hättet Ihr das Mädchen sofort zu meinem Herrn gebracht, statt zu versuchen, es ihm zu verkaufen, dann hätte der Scheich Euch wahrscheinlich reichlicher entlohnt, als Ihr es auch nur zu erträumen vermögt. Doch ihm verkaufen zu wollen, was ihm gehört, und dann noch sein großmütiges Angebot abzulehnen...« Arslan schüttelte bedauernd den Kopf. »Das war nicht klug.«
Omars Gesicht verdüsterte sich noch weiter. »Ihr wollt mir drohen? In meinem eigenen Haus?« Wie beiläufig blickte er zu den vier Kriegern hin, die wenige Schritte hinter ihm standen, aber Arslan wiederholte nur sein bedauerndes Kopfschütteln.
»Omar, wollt Ihr Eure Lage wirklich noch verschlimmern, indem Ihr nun auch noch das heiligste aller Gesetze verletzt, das Gastrecht?« Er wartete einen winzigen Augenblick lang, bevor er fast sanft fortfuhr: »Aber vielleicht könnt Ihr ja meinen Herrn mit einem Geschenk noch gnädig stimmen.«
»Ich bin kein erfolgreicher Kaufmann, weil es in meinem Wesen liegt, Geschenke zu machen oder mich einschüchtern zu lassen«, entgegnete Omar stolz.
Arslan musterte ihn abschätzend. »Man mag Euch zurecht einen Dummkopf nennen, Omar Khalid, doch Euch einen Feigling zu heißen, das hieße Euch Unrecht zu tun. Mein Herr wird Euch ein Zeichen schicken, wenn er über das Schicksal des Mädchens entschieden hat. Und über Eures.«
Damit ging er. Omars Wächter wichen ebenso respektvoll vor Arslan zurück wie zuvor vor dem Johanniter - nur, dass es diesmal keines besonderen Befehles ihres Herrn bedurft hätte.
Als er in den dunklen Hauseingang trat, der zur anderen Seite und zum Ausgang führte, schien er augenblicklich mit den Schatten zu verschmelzen, als hätte er zuvor nur für wenige, flüchtige Momente menschliche Gestalt angenommen. Robin blinzelte verwirrt. Natürlich beruhte diese Täuschung auf einem optischen Phänomen, das mit dem matten Schwarz seiner Gewänder zu tun hatte. Dennoch lief ihr ein kurzer, eisiger Schauer über den Rücken.
Erst nachdem der Schwarzgekleidete verschwunden und auch noch eine geraume Weile verstrichen war, erwachte Omar aus seinem brütenden Starren, drehte sich mit einem Ruck zu ihnen herum und sah erst sie, dann Harun al Dhin und schließlich wieder Robin auf eine Art an, die ihr einen neuerlichen Schauer über den Rücken laufen ließ. Was sie in Omars Augen las, das war eindeutig Wut, Zorn und Enttäuschung... und doch hatte sie zugleich das Gefühl, dass er nicht so verängstigt war, wie Arslan es offenbar erwartet hatte. Sie fragte sich, ob Omar bereits andere, weiter reichende Pläne hatte. Vielleicht war ja das, was sie gerade miterlebt hatte, nur Bestandteil einer viel größeren Scharade gewesen.
Aber sie hatte das Gefühl, dass sie die Antwort auf diese Frage schon sehr bald bekommen würde - und dass sie ihr nicht gefallen würde.