Es verging mehr als eine Stunde, bis Omar und Mussa die Reste der Karawane wieder zusammengebracht und eine erste Bestandsaufnahme gemacht hatten. In Anbetracht dessen, was hätte passieren können, fiel sie geradezu harmlos aus, aber sie war erschreckend genug: Zwei von Omars und sechs von Mussas Kriegern waren tot oder einfach verschwunden, und dasselbe galt für mehr als ein Dutzend Kamele. Von den Übriggebliebenen - ob Mensch oder Tier - waren zahlreiche verletzt, einige davon so schwer, dass nicht sicher war, ob sie die Reise fortsetzen konnten. Darüber hinaus hatte der Sturm mehr als die Hälfte ihrer Wasservorräte und fast ihre gesamten Lebensmittel mit sich gerissen. War das der Preis, den Omar für die gebrochene Rose von Melikaes Brunnen bezahlen musste?
Immer wieder sah Robin sich nach Harun um, aber sie konnte ihn nirgends entdecken. Sie war ganz sicher, Harun al Dhin noch in ihrer unmittelbaren Nähe gesehen zu haben, ganz kurz bevor der Sturm über sie hereingebrochen war. Selbst wenn der Khamsin ihn mit all seiner Kraft erfasst hätte, hätte sein Körper irgendwo in der näheren Umgebung sein müssen. Doch weder von seinem Reittier noch von ihm war die geringste Spur zu entdecken.
Robin versuchte, sich mit dem Gedanken zu trösten, dass es nach diesem Höllensturm von nichts und niemandem eine Spur geben konnte. Vielleicht hatte er hinter der nächsten Düne Schutz gesucht oder einen Felsvorsprung entdeckt, den sie von hier aus nicht sehen konnte. Bei aller Angst, die sie empfand, erschien ihr der Gedanke, dass Harun al Dhin ausgerechnet einem Sandsturm zum Opfer gefallen sein sollte, einfach absurd.
»Du siehst besorgt aus, meine Liebe«, sagte eine Stimme hinter ihr.
Robin drehte sich um und sah in Omars Gesicht hoch. Der Sklavenhändler sah sie mit tiefer Anteilnahme an und Robin spürte sofort wieder das Nagen ihres schlechten Gewissens. »Harun«, sagte sie nur.
»Er ist verschwunden, ich weiß«, antwortete Omar leise. »Er ist nicht der Einzige.«
»Aber er kann nicht tot sein«, murmelte Robin. Erst der Klang ihrer eigenen Stimme machte ihr klar, wie nahe sie der Verzweiflung war.
»Glaube mir, mein Kind, hier in der Wüste ist der Unterschied zwischen Leben und Tod nicht einmal so groß wie...«
Er brach ab. Im ersten Moment dachte Robin, er hätte den Satz bewusst nicht zu Ende gesprochen. Dann aber sah sie wieder in sein Gesicht, und ihr wurde klar, dass etwas nicht stimmte. Omar hatte den Kopf in den Nacken gelegt und blickte nach oben, zum Rand des Felsenkamms hinauf. Robin drehte sich auf der Stelle herum und sah in dieselbe Richtung.
Die Klippe war nicht mehr leer. Über ihnen, wie aus dem Nichts aufgetaucht, stand eine Reihe schwarz gewandeter Reiter. Und sie musste Omar nicht fragen, um zu wissen, um wen es sich bei diesen Männern handelte.
Die Assassinen hatten sie gefunden.
Einen Augenblick lang war sie vor Schrecken wie gelähmt. Es kam ihr vor, als liefe das Geschehen plötzlich unnatürlich langsam ab, während ihre Gedanken geradezu rasten. Das Auftauchen der Männer, vor denen sie so lange, so weit, und unter so entsetzlichen Entbehrungen davongelaufen waren, kam ihr im ersten Augenblick nicht nur absurd, sondern einfach... ungerecht vor. So unfair konnte das Schicksal nicht sein! Es konnte sie doch nicht all das erleiden und überstehen lassen, nur um sie im allerletzten Augenblick doch noch so hart zu treffen.
Omar, der wie sie einen Herzschlag lang reglos dagestanden und die Reihe der schwarz gekleideten Reiter angestarrt hatte, sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein, drehte sich halb herum - und fuhr noch einmal und noch heftiger zusammen.
Als Robin sich ebenfalls umwandte, konnte sie ihn verstehen. Nicht nur auf der Klippe über ihnen, sondern auch auf dem Dünenkamm hinter ihnen war eine lang auseinander gezogene Reihe vollkommen in Schwarz gekleideter Reiter erschienen. Auch ihre Pferde waren ausnahmslos schwarz. Ein gutes Drittel der Assassinen löste in diesem Moment kurze, sonderbar geschwungene Bögen von den Sätteln und legte Pfeile auf. Die restlichen Männer zogen Säbel oder brachten lange, mit schwarzem Pferdehaar geschmückte Speere in Angriffsposition. Alles ging in unheimlicher Lautlosigkeit vonstatten. Nicht einmal das Schnauben eines Pferdes oder ein Hufscharren waren zu hören und auch auf ihrer Seite herrschte ein fast atemloses Schweigen.
»Auf dein Kamel!«, befahl Omar. Er sprach nicht laut, sondern in jenem gehetzten Flüsterton, der nur wenige Schritte weit zu hören war, aber so zwingend klang, dass sie unwillkürlich gehorchte. Mit einem einzigen Satz kletterte sie auf den Rücken des Tieres und schlug ihm die flache Hand auf den Hals, woraufhin sich das Kamel mit einem unwilligen Ruck erhob.
Ihr Aufsitzen schien ein Signal zu sein. Nahezu alle Söldner sowie die meisten von Omars Kriegern, stiegen ebenfalls auf ihre Tiere und zogen ihre Waffen. Es war nicht nötig, dass Omar einen Befehl gab oder Mussa seine Söldner einwies. Die Männer stellten sich rasch und auf routinierte Weise am Fuße der Felswand zu einem dicht gestaffelten Halbkreis auf und machten sich zur Verteidigung bereit. Niemand versuchte zu fliehen - und wohin auch? Es gab kein Davonlaufen mehr. Ihre Flucht war hier zu Ende, so oder so.
Omar bedeutete ihr, hinter den Kriegern Schutz zu suchen, und Robin drehte gehorsam ihr Kamel herum, verhielt aber dann noch einmal und sah sich nach Nemeth und ihrer Mutter um. Die beiden befanden sich jedoch schon auf halbem Wege zu der Gruppe der Verteidiger, sodass Robin und Omar die Letzten waren, die am Fuße der Felswand ankamen. Die Männer öffneten respektvoll ihre Reihen. Omar nahm seinen Platz in der vordersten Reihe ein, winkte seinem Leibwächter zu, sich neben ihn zu stellen, und befahl Robin, bis ganz an den Felsen hin zurückzuweichen. Wie in Trance gehorchte sie.
Dann richtete sie sich etwas im Sattel auf und beschattete die Augen mit der Hand, um wieder zu den Assassinen hinzusehen. Die Reihe der unheimlichen, fast substanzlos erscheinenden Schatten hatte sich nicht bewegt und dennoch erregte eine der nachtfarbenen Gestalten Robins besondere Aufmerksamkeit. Sie wusste nicht, was an dieser Gestalt sie in den Bann zog...
Es war ein großer, breitschultriger Mann auf einem riesigen pechschwarzen Hengst, auf dessen Brust ein goldener Funke blitzte. Robin blinzelte und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Sie brannten und waren noch gerötet vom Sand. Sie musste sich täuschen.
Und in wenigen Augenblicken würde sie sowieso Klarheit haben, dachte sie bitter. Die Assassinen erwachten aus ihrer Erstarrung. Ihr Anführer hob seinen Säbel über den Kopf und deutete dann mit der Waffe auf Omar, wie es ihr schien. Außer dem leisen Klirren von Waffen und dem Knirschen von Sattelleder und harten Pferdehufen auf Sand blieb die Gruppe der Angreifer unheimlich still, auch als sie sich erst langsam, dann immer schneller werdend in Bewegung setzte. Mehr denn je sahen sie wie Geister aus, die die Wüste ausgespien hatte. Selbst ihre Pferde verhielten sich vollkommen ruhig. Man hörte kein Wiehern, kein Schnauben, nur das schneller werdende Trommeln der Hufe. Im Sattel spürte Robin die Vibrationen, die durch den Sand liefen, als die schwarze Woge den Hügelkamm herunterschwappte und auf sie zuraste. Der stattliche Reiter, den Robin für ihren Anführer hielt, war jetzt zwischen den anderen verschwunden.
»Bleibt hinter mir«, sagte Robin, an Saila und Nemeth gewandt, die ihr Kamel unmittelbar an den Felsen herangelenkt hatten. Das Tier war nervös und hatte Angst.
Ein peitschender Laut und das Sirren zahlreicher Pfeile machte es ihr unmöglich, Sailas Antwort zu verstehen. Unwillkürlich duckte sie sich, als die ersten Pfeile heranzischten, und griff dorthin, wo sie als »Bruder Robin« ihr Schwert getragen hätte. Im selben Moment spannte sie den linken Arm an und hob ihn ein wenig, so als hätte sie dort einen Schild. Doch sie war weder bewaffnet, noch gab es irgendeinen Schutz außer des dünnen Mantels, den sie trug.
Von dieser Salve blieb sie verschont. Etliche Pfeile fanden ihr Ziel und streckten eine Hand voll von Mussas Kriegern nieder. Doch die Bogenschützen der Assassinen schienen längst nicht so gut zu sein, wie sie nach all den Geschichten über sie befürchtet hatte. Bei weitem nicht jeder Pfeil war ein Treffer, und anderseits fiel Robin auf, wie häufig gleich mehrere Pfeile dasselbe Ziel trafen, sodass Mussas Söldner von jeweils zwei oder drei Geschossen aus den Sätteln geschleudert wurden. Sie war sich nicht sicher, ob das Zufall oder eine besondere Strategie war, um ihr Ziel mit Sicherheit auszuschalten. Doch gleich wie, es gab Omar und seinen Männern Gelegenheit, ihrerseits ihre Bögen zu ziehen und den Angriff zu erwidern.
Mehr als nur ein Assassine stürzte getroffen aus dem Sattel oder fiel schwer zu Boden, als sein Pferd von einem Pfeil durchbohrt wurde. Und Robin bemerkte auch noch etwas anderes: Die Pferde der Angreifer waren in denkbar schlechtem Zustand. Einige von ihnen strauchelten beim Ritt die Düne hinab, andere wurden von ihren Reitern mit Gewalt in de Angriff getrieben. Die Hufe der Tiere versanken tief im Sand, und Robin sah, wie ein Pferd einfach zusammenbrach, ohne von einem Pfeil getroffen worden zu sein. Die Assassinen hatten das Unmögliche vollbracht und sie eingeholt, aber sie mussten dabei fast ihre gesamte Kraft und vor allem die ihrer Pferde aufgebraucht haben.
Als die vordersten Reihen der beiden ungleichen Gruppen aufeinander trafen, wurde Robin schlagartig bewusst, in welcher Gefahr sie sich befand. Sowohl Omar als auch sie waren bisher ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass ihr keine Gefahr drohte - immerhin waren diese Assassinen hier, um eine ganz besondere Beute zu machen, nämlich sie. Aber wie sollten sie wissen, wer sie war? Robin trug Männerkleidung und hatte noch dazu gerade mit Omar geredet, wie jemand, der ihm sehr vertraut war. Sie war ein hervorragendes Ziel für jeden Pfeil oder jeden Speer, noch dazu, wo sie unbewaffnet war.
»Bleibt, wo ihr seid!«, schrie sie Saila zu. »Sie werden euch nichts tun, aber versucht nicht zu fliehen!«
Robin schlug dem Kamel mit der flachen Hand aufs Hinterteil und riss mit der anderen die Zügel herum. Das Tier reagierte nicht wie das Schlachtross, das sie gewohnt war, sondern mit einem ärgerlichen Blöken. Eher schwerfällig drehte es sich dann herum und setzte sich in Bewegung. Robin, die zwei Jahre lang mit Begeisterung den Reiterkampf geübt hatte, ging wie von einer inneren Kraft getrieben in den Gegenangriff über, - auch wenn sie keine Waffe und nicht einmal einen Schild hatte, war das wahrscheinlich immer noch besser, als tatenlos dazusitzen und darauf zu warten, von einem Pfeil getroffen zu werden.
Eingedenk dessen, was Salim sie gelehrt hatte, sprengte sie nicht blindlings los, sondern suchte sich schon aus der Entfernung einen Gegner. Sie überlegte, wie sie sich den Vorteil, auf dem Kamel viel höher zu sitzen, dem Assassinen gegenüber zunutze machen konnte; noch dazu würde der Mann kaum damit rechnen, von einem unbewaffneten Angreifer attackiert zu werden.
Unmittelbar neben ihr sank einer von Mussas Söldnern, von einem Pfeil am Hals getroffen, aus dem Sattel, und im buchstäblich allerletzten Augenblick bemerkte auch der Assassine, auf den sie es abgesehen hatte, die neue Gefahr. Er riss sein Pferd mit einem brutalen Ruck herum und hob gleichzeitig seinen Speer. Robin duckte sich blitzschnell unter der Waffe weg, doch nicht schnell genug. Der Stahl ritzte ihren linken Arm. Der Schmerz fühlte sich unwirklich an, und sie spürte, wie warmes Blut an ihrem Oberarm herunterlief.
Dann prallten beide Tiere aufeinander. Das Pferd wurde zur Seite geschleudert und begrub seinen Reiter unter sich, aber auch Robins Kamel geriet ins Straucheln und stürzte. Ehe Robin mit zu Boden gerissen wurde, stieß sie sich mit aller Kraft aus dem Sattel, landete zusammengekrümmt im weichen Wüstensand und schnellte, indem sie den Schwung ihres Sprungs nutzte, wieder in den Stand. Ohne innezuhalten stürmte sie auf den gestürzten Reiter zu; schließlich hatte Salim sie gelehrt, mit leeren Händen zu kämpfen. Sie glaubte zwar nicht, dass sie einem gut ausgebildeten und trainierten Krieger, wie es die Assassinen zweifellos waren, gewachsen sein würde, aber was sie dachte und was sie tat, das waren plötzlich zweierlei Dinge.
Zunächst schien ihr das Schicksal auch gewogen zu sein. Das verletzte Pferd hatte sich aufgerappelt und humpelte davon, aber der Reiter lag reglos und mit verdrehten Gliedern im Sand. Er war ohnmächtig oder tot. Robin bückte sich nach seinem Speer, hob ihn auf und ging dann ein zweites Mal in die Knie, um den Krummsäbel des Assassinen an sich zu nehmen. Rings um sie herum tobte die Schlacht bereits mit aller Gewalt. Sie sah eine Bewegung aus den Augenwinkeln, duckte sich und spürte den Luftzug, mit dem das Schwert über sie hinwegzischte. Ohne nachzudenken, stieß sie dem Angreifer das stumpfe Ende des Speeres in den Unterleib, machte einen halben Schritt zur Seite, um ein weiteres Mal, jetzt mit dem Speerschaft, zuzuschlagen. Erst als der Angreifer bewusstlos zu Boden ging, stellte sie fest, dass es kein Assassine gewesen war, sondern einer von Mussas Söldnern.
Doch ihr blieb keine Zeit, Bedauern zu empfinden. Immer mehr und mehr Assassinen schienen wie aus dem Nichts ringsumher aufzutauchen. Die Verteidiger, mittlerweile hoffnungslos in der Unterzahl und auch in keinem wesentlich besseren Zustand als die Angreifer, hatten keine Chance. Binnen weniger Augenblicke war die Hälfte der Söldner und nahezu Omars gesamte Wachtruppe ausgeschaltet. Dasselbe Schicksal würde auch ihr widerfahren: Gleich drei der vollkommen in Schwarz gekleideten Angreifer stürmten auf sie zu.
Robin schleuderte dem Ersten ihren Speer entgegen - er ging fehl, als der Mann einen blitzschnellen Ausfallschritt nach links machte -, bückte sich wieder nach dem bewusstlosen Reiter und versuchte, seinen Schild aufzuheben. Aber diesmal war sie zu langsam. Gerade als sie die Hand durch die Schlaufe steckte und sich wieder aufrichten wollte, war einer der Assassinen heran und versetzte ihr einen harten Tritt gegen die Schulter.
Robin schrie vor Schmerz auf, fiel rücklings in den Sand und ließ das Schwert los. Der Assassine war über ihr - und dann verschwunden. Statt ihr seinen Speer in die Brust zu stoßen, was er ohne weiteres gekonnt hätte, rannte er einfach weiter, um sich einen anderen Feind zu suchen. Und auch die beiden anderen schienen jegliches Interesse an ihr verloren zu haben.
Zwei hämmernde Herzschläge lang blieb Robin verwirrt auf dem Rücken liegen und fragte sich, wieso sie überhaupt noch lebte - und dann hörte sie das schrille, entsetzte Schreien eines Kindes!
Blitzschnell war sie auf den Füßen, wirbelte herum und schrie vor Entsetzen auf.
Der Kampf war fast zu Ende. Überall lagen Männer im Sand, die von Pfeilen niedergestreckt oder von Schwerthieben getötet worden waren, und nur die wenigsten von ihnen trugen das matte Schwarz der Assassinen. Nur ganz dicht an der Felswand hatte sich noch eine kleine Gruppe Verteidiger zusammengeschart - und mitten unter ihnen entdeckte sie Mussa, der Nemeth ergriffen hatte und sie als lebenden Schild vor sich hielt.
Der Beduine schrie irgendetwas, das sie nicht verstand. Sein Dolch lag auf der Kehle des Kindes und für einen kurzen, entsetzlichen Augenblick glaubte Robin erneut zu fühlen, wie kalter Stahl durch ihre eigene Kehle schnitt. Die Zeit schien plötzlich langsamer zu vergehen, ihre Glieder wurden von unsichtbaren Fesseln gehalten, während ihre Gedanken immer schneller und umso hilfloser rasten. Verzweifelt rannte sie los - und wusste zugleich, dass sie keine Chance hatte, Mussa rechtzeitig zu erreichen.
Irgendetwas traf sie so wuchtig in die Seite, dass sie stolperte und mit einer zweiten Gestalt verknäult in den Sand stürzte. Die Sonne über ihr schien zu blinzeln, als zwei Pfeile dicht über sie hinwegzischten, und noch im Fallen verfolgte Robin hilflos die Spur der Geschosse und begriff, dass sie auf Mussa gezielt waren, der sich hinter das Mädchen duckte. Eine Linie aus hellrotem, leuchtendem Blut rann an der Kehle des Kindes hinab, dann schlug Robin so wuchtig in den Sand, dass sie einen Moment lang benommen liegen blieb.
Der Schatten, der Robin zu Boden gerissen hatte, regte sich. Es war niemand anders als Omar. Noch während sie vergeblich versuchte, die Kontrolle über ihren Körper zurückzuerlangen, sprang er hoch. In einer fließenden Bewegung glitt seine Hand zum Gürtel und schnellte dann vor. Sonnenlicht brach sich auf Metall und nur einen Augenblick später ertönte ein gurgelnder, halb erstickter Schrei. Robin hob mühsam den Kopf, blinzelte sich den Sand aus den Augen und sah, wie Nemeth - wimmernd vor Angst, aber anscheinend unverletzt - aus der Höhe des Kamelsattels herab in den Sand fiel, während Mussa schwankend dasaß und beide Hände um seinen Hals gekrampft hatte. Zwischen seinen Fingern ragte der Griff des Dolches hervor, den Omar geschleudert hatte. Er versuchte etwas zu sagen, aber über seine Lippen kam nur blutiger Schaum. Einen Moment lang saß er noch da, starrte Omar aus hervorquellenden Augen ebenso ungläubig wie entsetzt an, dann kippte er langsam zur Seite, seine Arme sanken herab und in der nächsten Sekunde schlug er schwer in den Sand.
Endlich kam auch Robin wieder auf die Beine. Sie sah, wie Omar seinen Säbel aus dem Gürtel riss und sich ins Kampfgetümmel stürzte und wie sich schon wieder zwei Assassinen zu ihr umwandten und im selben Augenblick bereits das Interesse an ihr verloren. Auch wenn sie es sich nicht erklären konnte - die Männer schienen ganz genau zu wissen, wer sie war.
Nichts davon spielte im Augenblick eine Rolle. Ohne auch nur einen Gedanken an die Gefahr zu verschwenden, in die sie sich begab, rannte sie zu Nemeth und fiel neben dem Kind auf die Knie; fast gleichzeitig kam auch Saila angelaufen. Sie humpelte und auch ihr Gesicht war blutig - sie schien jedoch nicht schwer verletzt zu sein.
Nemeth begann leise zu wimmern, als Robin sie an der Schulter berührte. Sie wollte sie herumdrehen, aber ein einziger Blick aus Sailas Augen ließ sie innehalten. Mit klopfendem Herzen sah sie zu, wie Saila ihre Tochter auf die Arme nahm und dann wie ein kleines Kind an die Brust presste.
»Ist sie...?«
Saila schüttelte den Kopf. Sie sah sie nicht an. »Sie lebt«, sagte sie. »Allah hat sie verschont.«
Wieder befielen Robin bei den Worten Sailas leise Schuldgefühle, hatte sie doch ihr Versprechen, die beiden beschützen zu wollen, nicht einlösen können. Sie drehte sich auf den Knien herum, um nach Omar und den anderen zu sehen. Der Kampf war nahezu vorüber. Er war gnadenlos gewesen, aber wie bei jedem Hinterhalt hatte die eigentliche Schlacht nur Augenblicke gedauert. Nur Omar und eine Hand voll Krieger verteidigten sich noch. Der ehemals weiße Sand ringsum war von Hufen zerwühlt, und von dunklen Flecken, zerbrochenen Waffen, toten Menschen und Tieren übersät. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass etliche der reglosen Körper die weiten, schwarzen Gewänder der Assassinen trugen, aber die überwiegende Zahl waren Söldner oder die Männer aus Omars Leibwache.
Auch Omar selbst war verwundet. Aus seinem Oberschenkel ragte der abgebrochene Schaft eines Pfeils, und sein Gesicht war blutüberströmt. Dennoch dachte er nicht daran, sich in sein Schicksal zu ergeben, sondern erwehrte sich gerade in dem Moment, in dem Robin sich herumdrehte, mit zwei wuchtigen Schwerthieben der Angriffe eines Assassinen. Mit einem Fußtritt schleuderte er den Mann zu Boden und humpelte mit schmerzverzerrtem Gesicht zurück, als gleich zwei weitere Angreifer auf ihn eindrangen.
Dann, ganz plötzlich, war es vorbei. Wie auf ein unhörbares Zeichen hin senkten die Assassinen ihre Speere und Schwerter, und wichen ein paar Schritte von den Verteidigern zurück.
»Worauf wartet Ihr?«, schrie Omar. Wütend schwang er seinen Säbel, machte einen Schritt nach vorn und versuchte, nach einem der Assassinen zu schlagen. Der schwarzgewandete Angreifer wich mit einer fast spielerischen Bewegung aus und Omar fand nur mit Mühe sein Gleichgewicht wieder. Sein verletztes Bein war kaum noch in der Lage, das Gewicht seines Körpers zu tragen.
»Kommt nur her!«, schrie Omar. »Was ist mit euch, ihr Feiglinge? Habt ihr Angst, einen verwundeten Mann anzugreifen? Erschöpft sich euer Mut darin, aus dem Hinterhalt zu morden?«
Die Assassinen wichen ein weiteres Stück zurück und dann teilten sich ihre Reihen, um einem einzelnen Reiter auf einem riesigen pechschwarzen Hengst Platz zu machen. Robin erkannte auf Anhieb den schwarz gekleideten Hünen wieder, den sie schon zuvor als den Anführer des Assassinenheeres eingestuft hatte. Auf der Brust seines Pferdes blitzte ein goldenes Schmuckstück, dessen Anblick den Schatten einer Erinnerung in ihr wach rief, ohne dass sie den Gedanken fassen konnte.
Auch Omar hatte den schwarzen Riesen entdeckt und humpelte mit zusammengebissenen Zähnen einen weiteren Schritt in seine Richtung. »Komm her, du Aasgeier!«, schrie er. »Wagst du es, zu kämpfen wie ein Mann, oder ziehst du es vor, mich von deinen Meuchelmördern niedermachen zu lassen und dabei zuzusehen?«
Der Reiter hielt an. Zwei, drei endlos scheinende Herzschläge lang blickte er nur wortlos auf Omar hinab. Sein Gesicht war schwarz verhüllt wie das all seiner Männer, und trotzdem schien Robin irgendetwas daran vertraut zu sein. Etwas, das... aber das war Unsinn. Sie verscheuchte den Gedanken.
Der Anführer der Assassinen hob die Hand und Robin sah ungläubig zu, wie sich eine weitere Gestalt aus den dünn gewordenen Reihen der Verteidiger löste, direkt hinter Omar trat und mit seinem Krummschwert ausholte. Es war niemand anders als Omars eigener Leibwächter!
Jemand stieß einen Warnschrei aus, und Omar versuchte noch herumzuwirbeln, aber es war zu spät. Noch bevor er die Bewegung halb zu Ende gebracht hatte, traf ihn der Säbel mit der Breitseite am Kopf. Omar brach zusammen, und auch die wenigen Überlebenden aus Mussas Söldnerheer sowie Omars Wache ließen endgültig ihre Waffen fallen und ergaben sich in ihr Schicksal. Voller Entsetzen und Hass starrten sie Omars Leibwächter - den Verräter! - an, aber niemand wagte es, seine Waffe gegen ihn zu erheben oder auch nur einen Laut zu sagen.
Auf einen weiteren Wink des Berittenen hin sammelten die Assassinen rasch die fallengelassenen Waffen der Verteidiger ein und trieben sie vor sich her, bis sie mit den Rücken gegen die Felswand dastanden. Der schwarze Riese im Sattel sah schweigend und reglos zu, dann saß er ganz langsam ab, wandte sich um und kam auf Robin zu. Voller Unglauben, ja entsetzt, sog sie die Luft ein, als er die linke Hand hob und das Tuch löste, hinter dem sich bisher sein Gesicht verborgen hatte. Und dennoch war sie nicht wirklich überrascht.
»Harun?!?«, hauchte sie.
»Die korrekte Anrede müsste lauten: Sheik Harun Rashid al Dhin Sinan«, verbesserte sie Harun lächelnd. »Aber wir kennen uns jetzt schon so lange, dass wir auch ruhig bei Harun bleiben können, wenn du möchtest.« Er weidete sich einige Momente lang ganz offen an Robins fassungslosem Gesichtsausdruck, dann machte er eine halbe Drehung und winkte Omars Leibwächter heran. Der Krieger näherte sich gehorsam und deutete eine Verbeugung an, und plötzlich fiel Robin auf, wie wenig er sich von den anderen Assassinen unterschied.
»Das hast du gut gemacht, Faruk«, sagte Harun. »Gib Acht, dass niemand Omar Khalid etwas zuleide tut. Ich will noch mit ihm reden.«
Der Verräter drehte sich rasch herum und ging zu dem bewusstlosen Omar zurück. Harun wandte sich mit einer Lässigkeit, die seinem bisherigen Auftreten Hohn sprach, wieder zu Robin um.
»Sheik Sinan?«, wiederholte Robin schleppend, und immer noch in einem Ton tiefsten Unglaubens. »Du bist... Ihr seid der... der Alte vom Berge?«
Harun lächelte. »Tatsächlich bin ich in einem Alter, in dem man nicht mehr gerne über selbiges spricht, Wüstenrose«, sagte er. »Aber ja, es ist wahr. Manchmal nennt man mich auch so.«
»Dann warst du... ich meine... Ihr...«
Harun griff unter seinen breiten Gürtel und zog einen Sesamkringel darunter hervor. Grinsend biss er ein Stück davon ab und kaute lautstark. »Sie schmecken eigentlich ganz gut«, murmelte er mit vollem Mund. »Wenn auch ein wenig trocken.«
Robin löste den Blick mühsam von Haruns Gesicht und starrte den Sesamkringel zwischen seinen Fingern an. Langsam, ganz allmählich nur, begann sie zu begreifen.
»Was glaubst du, wie zwei Sesamkringel und ein Dolch wie von Geisterhand wohl in ein bewachtes Zimmer kommen? Ich selbst habe sie auf die Fensterbank gelegt. Ein Risiko, wie ich eingestehen muss, aber ein kalkuliertes, und ich wusste, dass Omar schließlich nur Augen für dich hatte.« Er seufzte. »Ich dachte allerdings, wenigstens du hättest an jenem Abend begriffen, wer ich wirklich bin. Schließlich trägst du meinen Ring.«
»Aber wie...« Robin schüttelte hilflos den Kopf. »Ich meine... warum...?«
Harun vertilgte den Rest seines Sesamkringels und ließ sich vor ihr in die Hocke sinken. Sein Blick glitt flüchtig über Saila und das weinende Kind, das sie in den Armen trug. »Ich hoffe doch, sie sind unversehrt«, sagte er.
Robin nickte. Harun maß sie nun mit einem langen und besorgten Blick. Eine steile Falte erschien zwischen seinen sorgsam gezupften Augenbrauen, als er ihren zerfetzten Ärmel und das Blut darunter gewahrte. Zu Robins Erleichterung stellte er jedoch keine entsprechende Frage, sondern sagte: »Ich fürchte, es wird noch lange dauern, bis Aisha aus dir eine Tänzerin macht - falls es ihr überhaupt je gelingt. Du warst einfach zu lange mit diesen ungewaschenen Rittern zusammen.«
Robin ignorierte seine Worte. »Warum ich? Was wollt Ihr... ausgerechnet von mir?«, murmelte sie.
»Der Ring«, entgegnete Sheik Sinan ernst.
»Der Ring?« Robin hob zögernd die Hand und drehte den goldenen Ring an ihrem Finger. Ihr eigenes Blut war in die eingravierten Schriftzeichen gedrungen und hob die verschlungenen Buchstaben deutlicher hervor, sodass sie ihr plötzlich wie ein Fluch vorkamen. »Aber was... bedeutet das?«
»Dort steht mein Name«, antwortete Harun. Er lächelte flüchtig. »Und da du diesen Ring trägst, muss du wohl mein Eigentum sein. Niemand würde es wagen, ihn zu fälschen, glaube mir.«
»Aber...«
»Und du hast es die ganze Zeit über gewusst, nicht wahr?«
Harun und Robin wandten im selben Moment die Köpfe um. Ein ärgerlicher Ausdruck huschte über Haruns Gesicht, während Robin etwas länger brauchte, um die Stimme als die Omars zu erkennen.
»Omar?« Sie stand auf. Harun machte eine Bewegung, wie um sie daran zu hindern, zuckte aber dann nur mit den Schultern und erhob sich ebenfalls. Wieder fiel ihr auf, wie unglaublich elegant und lautlos sich dieser Koloss von einem Mann zu bewegen imstande war; nur dass seine Eleganz jetzt von einer anderen Art zu sein schien als die, die ihr schon in Omar Khalids Haus an ihm aufgefallen war.
Omar hatte sich zitternd auf die Knie hochgestemmt, als sie und Harun zu ihm traten. Er streifte Harun nur mit einem flüchtigen Blick und starrte dann Robin an. Sein Gesicht war eine Maske aus Schmerz und Leid und das, was sie in seinen Augen las, ließ sie innerlich erschauern.
»Du hast es die ganze Zeit über gewusst, nicht wahr?«, wiederholte er bitter. »Ihr kennt euch. Ihr habt euch schon immer gekannt. Ist es nicht so? Hat es dich amüsiert?«
»Was?«, flüsterte Robin.
»Gestern Nacht. Hast du still vor dich hingelacht, nachdem ich gegangen bin? Hast du dich über den Narren lustig gemacht, der vor dir im Staub gekrochen ist und bereit war, sein Leben für dich wegzuwerfen?«
»Aber ich wusste doch nicht...«, setzte Robin an.
»Hör auf!«, unterbrach sie Omar. Er deutete mit seiner blutverschmierten Hand auf die Toten, die den Sand ringsum bedeckten. »Ich hoffe, du bist zufrieden. Die wenigen, die treu zu mir gestanden haben, sind tot, aber du lebst, und das, obwohl du Männerkleidung getragen hast und von den anderen nicht zu unterscheiden warst. Sie haben dich verschont. Mach mir nichts vor!«
Robin schwieg betroffen. Sie wollte widersprechen, aber sie fand nicht die richtigen Worte. Zugleich war sie auch zutiefst verletzt, dass der Mann, der ihr ewige Liebe geschworen hatte, ihr einen solchen Verrat zutraute. Andererseits - wie konnte er etwas anderes vermuten? Sie wusste ja längst selbst nicht mehr, was und vor allem wem sie noch glauben konnte.
Harun hatte bis jetzt schweigend zugehört. Nun trat er an Omars Seite und sah mitleidlos auf ihn herab. »Für einen Mann, der versucht hat, mir mein eigenes Eigentum zu verkaufen, der nun vor mir am Boden liegt wie ein Wurm, den ich unter dem Absatz meines Stiefels schon zur Hälfte zerquetscht habe, für einen solchen Mann nimmst du den Mund immer noch ganz schön voll, finde ich. Was ist das - Mut oder einfach nur Unverfrorenheit? Oder Verzweiflung?«
Statt zu antworten, griff Omar blitzschnell nach dem Dolch, den er unter seinem Gürtel verborgen trug. Noch ehe er dazu kam, Harun anzugreifen, machte der vermeintlich so schwerfällige Mann einen Schritt zur Seite und trat Omar aus der gleichen Bewegung heraus mit solcher Gewalt vor die Hand, dass Robin hören konnte, wie Knochen brachen. Der Dolch flog in hohem Bogen davon, und Omar krümmte sich wimmernd und presste die gebrochene Hand gegen den Leib.
»Soll ich ihn töten?«, fragte Faruk.
Harun winkte ab und beugte sich spöttisch zu Omar hinunter. »Das Morden solltest du den Mördern überlassen, mein Freund«, sagte er. »Ich erdumme mich schließlich auch nicht, mich im Sklavenhandel zu versuchen. Ein sehr weiser Mann hat einmal gesagt, jeder werde mit der Fähigkeit geboren, eine einzige Sache außerordentlich gut zu können, aber die Tragödie des Lebens sei, dass die meisten niemals herausfinden, was ihre Begabung ist. Ich bin von Allah mit gleich zwei Gaben gesegnet und deshalb wohl ein Auserwählter. Ich vermag es, zu täuschen sowie Männer durch meine Worte so sehr an mich zu binden, dass sie alles für mich zu tun bereit sind. Ich glaube, deine Gabe besteht darin, in Windeseile Karawanen zu organisieren. Dein schneller Aufbruch aus Hama hat selbst mich überrascht, das muss ich gestehen.«
Omar blickte verbittert auf die Toten, die den Sand ringsum bedeckten. »Das sehe ich.«
»Weißt du, dein großer Fehler war, nicht zu glauben, dass wir Assassinen...«, Harun zögerte einen Moment, als müsste er nach den richtigen Worten suchen, »... anders sind. Du konntest den Sultan täuschen und du wärest sicher auch den ebenso fanatischen wie hoffnungslos fantasielosen Templern entkommen. Was du nicht bedacht hast, das war, dass ein Assassinenführer keinen Moment zögert, seine Männer in den sicheren Tod zu schicken, wenn es ihre Aufgabe erfordert - und sie keinen Moment, diesem Befehl zu folgen. Sie alle wurden einzig und allein auserwählt, um für ihre Aufgabe zu sterben, denn sie wissen, dass sie mit den unendlichen Freuden des Paradieses dafür belohnt werden.«
»Aber Ihr... Ihr werdet alle sterben«, murmelte Robin. »Eure Pferde...«
Harun unterbrach sie mit einem Lächeln. »Das war ein kluger Plan, ich gestehe es. Unsere Pferde haben uns bis hierher gebracht, aber sehr viel weiter werden sie wohl nicht durchhalten. Von hier aus gibt es kein Zurück mehr.«
»Aber wozu dann das alles?«, murmelte Robin.
Harun alias Sheik Rashid Sinan lächelte breit. »Kein Zurück mehr zu Pferde, das ist wahr«, sagte er. »Aber jetzt haben wir genug Kamele und Wasserschläuche, um wieder nach Masyaf zurückkehren zu können. Und dennoch... hättet ihr nur einen halben Tag mehr Vorsprung gehabt, dann wäret ihr meinen Männern vielleicht entkommen. Der Sandsturm hätte eure Spuren getilgt - und hätte er statt ein paar Stunden einen Tag gedauert, dann wären meine Männer darin zugrunde gegangen.« Er wandte sich wieder an Omar. »Du siehst, du hättest entkommen können. Doch Allah wollte es nicht.«
»Verspotte mich nicht und missbrauche nicht Allahs Namen«, zischte Omar. Sein Gesicht hatte nun auch jeden Rest an Farbe verloren. Er zitterte, und kalter Schweiß bedeckte seine Stirn. Seine Hand musste entsetzlich schmerzen. »Bringt es endlich zu Ende und gebt Eurem verräterischen Freund den Befehl, mich zu töten.«
Harun deutete ein Kopfschütteln an. »Du wirst uns begleiten«, sagte er. »Ich werde später über dein Schicksal entscheiden. Vor einem Mann, der von Kindesbeinen an mit Geschichten über die Schatten und ihre Allmacht aufgewachsen ist und es dennoch wagt, uns herauszufordern, vor einem solchen Mann habe ich Respekt. Und vor allem war ich schon immer der Meinung, dass jeder Mann eine zweite Chance verdient. Du hattest einmal die Gelegenheit, einen gewaltigen Fehler zu begehen, und du hast sie ergriffen. Ergreifst du sie ein zweites Mal, bist du tot.« Er richtete sich auf. »Versorgt seine Wunden, und begrabt unsere Toten.«
»Und die Gefangenen?«, fragte Faruk.
»Tötet sie«, sagte Harun. »Für Männer, die lieber ihre Waffen fortwerfen, als ihr Leben für die Sache ihres Herrn zu opfern, habe ich keine Verwendung. Ich wünsche, dass wir in einer Stunde für den Aufbruch bereit sind.«