15. KAPITEL


Robin war weniger als eine Stunde geblieben, um zu entscheiden, welche Kleidung und welcher Schmuck auf die Reise mitgenommen werden sollten. Noch bevor Naida und ein schweigsamer Krieger sie ebenso eilig wie grob in ihr Zimmer zurückgeführt hatten, war Omar hinausgestürmt. Er hatte dabei weder sie beachtet noch den immer panischer wimmernden Harun al Dhin, der nach einer Pfauenfeder verlangte, um sich damit am Gaumen kitzeln und den vergifteten Kringel vielleicht wieder erbrechen zu können.

Während Robin in ihrem Zimmer über die bevorstehende Reise und den überhasteten Aufbruch nachdachte, begann das Haus rings um sie herum erst zu erwachen, um sich unversehens in einen regelrechten Hexenkessel zu verwandeln. Das Zeichen, das die Assassinen dem Sklavenhändler geschickt hatten, war mehr als deutlich, und dennoch hielt sie Omars Reaktion für nicht besonders klug. Hätte sie zu entscheiden gehabt, dann wäre sie hier geblieben, wo sie waren, hätte die Wachen verdoppelt oder gar verdreifacht und ansonsten einfach abgewartet, was weiter geschah. Eine der ersten Regeln, die Salim ihr über die Kriegskunst beigebracht hatte, war, dass ein Verteidiger in einer Festung - und sei sie noch so schwach - immer noch besser aufgehoben war als ein wehrloses Opfer auf der Flucht. Die Leichtigkeit, mit der der Assassine Omar seine Botschaft mitten ins Herz seines schwer bewachten Hauses gesandt hatte, hätte dem Sklavenhändler eigentlich klar machen müssen, wie lächerlich die Vorstellung war, er könnte die Stadt verlassen - noch dazu mit einer ganzen Karawane -, ohne dass die Männer des Alten vom Berge es bemerkten.

Die beiden schweigsamen Dienerinnen halfen ihr beim Packen. Ihre Kleider waren bereits zu zwei großen Bündeln geschnürt und dann in zwei grobe Wollsäcke gestopft worden. Ihr gesamter Schmuck verschwand in einem Kästchen aus rotem Holz mit schimmernden Bronzebeschlägen, das ebenfalls in einem der beiden Kleidersäcke versenkt wurde. Trotz all der wunderschönen und sicher zum Teil kostbaren Kleider, aus der ihre Garderobe mittlerweile bestand, war Robin jetzt wieder als Mann kostümiert - was auf ihren eigenen Vorschlag hin geschehen war. Sie trug eine dunkelgraue, weit gebauschte Hose mit einem schlichten Gürtel, dazu ein schwarzes, hemdartiges Obergewand und einen schwarzen Turban mit einem Gesichtsschleier, wie er auch bei Männern nicht unüblich war. Robin hätte viel darum gegeben, mit einem Säbel ihre aufwendige Verkleidung vervollständigen zu können, aber sie hatte es sich erspart, eine entsprechende Bitte an Omar zu richten. Sie wusste, dass er ihr nichts überlassen würde, was gefährlicher als eine Halskette war.

Kurz bevor sie das Haus verließen, kam Omar selbst, um sie abzuholen. Auch er war jetzt vollkommen in Schwarz gekleidet und unterschied sich von seinem Leibwächter allein durch seine Größe und den prachtvollen Säbel an seiner Seite.

»Wenn es hier noch irgendetwas gibt, an dem dein Herz hängt und das in die beiden Säcke passt, dann nimm es mit«, sagte er. »Es könnte sein, dass wir für lange Zeit nicht mehr an diesen Ort zurückkehren.«

Auch nie ist eine lange Zeit, dachte Robin, aber angesichts Omars ohnehin angespannter Laune erschien es ihr nicht besonders klug, diesen Gedanken auszusprechen. Sie rührte sich jedoch nicht von der Stelle, sondern sah den Sklavenhändler nur herausfordernd und trotzig an. Schließlich machte er eine ungeduldige Handbewegung. »Worauf wartest du?«

»Du hattest mir versprochen, dass wir die Sklaven aus dem Kerker mitnehmen«, sagte Robin - was eine glatte Lüge war. Omar hatte nichts Derartiges versprochen. Sie hatte es gefordert, aber nicht einmal eine Antwort erhalten. Der Sklavenhändler sah sie nur verblüfft an und schüttelte dann den Kopf.

»Das ist blanker Unsinn«, sagte er in ärgerlichem Ton. »Schlag dir das aus dem Kopf.«

»Dann schlagt Ihr Euch aus dem Kopf, dass ich Euch begleite«, antwortete Robin. Sie kam sich ein wenig lächerlich bei diesen Worten vor, Omar hatte es nicht nötig, sie um irgendetwas zu bitten oder gar mit ihr zu feilschen. Ein Fingerschnippen von ihm genügte und sein hünenhafter Leibwächter würde sie mit Vergnügen an den Haaren aus diesem Haus und in den Sattel des nächsten Pferdes zerren.

»Wir haben wirklich keine Zeit für so etwas«, erinnerte Omar. »Auch dein Leben könnte in Gefahr geraten, wenn die Assassinen von unserer Flucht erfahren.«

»Ich werde nicht ohne die Sklaven gehen«, beharrte Robin.

Omar seufzte. »Wie stellst du dir das vor? Glaubst du, wir könnten auf der Flucht vor einer bewaffneten Reiterhorde drei Dutzend Fußgänger gebrauchen, von denen die meisten ohnehin zu schwach sind, aus eigener Kraft zu laufen?«

»Das ist ja wohl nicht ihre Schuld.«

»Aber es ist so«, antwortete Omar. Sein Ton blieb weiter ruhig, aber sie konnte ihm ansehen, dass es ihm mit jedem Wort schwerer fiel, die Fassung zu bewahren. »Sie würden uns nur behindern«, sagte er. »Und außerdem sind sie nicht wertvoll genug, um sie mitzunehmen. Es gibt kostbarere Güter, mit denen wir unsere Tiere beladen werden.«

»Nicht wertvoll genug?«, wiederholte Robin zornig. »Was ist denn wertvoller als ein Menschenleben, Omar Khalid?«

Für einen ganz kurzen Moment verlor Omar tatsächlich die Fassung. Sein Gesicht verzerrte sich, und in seinen Augen blitzte die gleiche lodernde Wut auf, die sie schon mehrmals darin gesehen hatte. Es hätte sie nicht gewundert, hätte Omar die Maske der Freundlichkeit jetzt endgültig fahren lassen und sie geschlagen. Stattdessen fand er mit einiger Mühe seine Selbstbeherrschung wieder, atmete hörbar durch die Nase ein und schüttelte den Kopf. »Bei Allah, ich glaube, du sorgst dich wirklich um diese Menschen. Aber wenn das so ist, dann solltest du bedenken, dass sie hier wesentlich besser und sicherer aufgehoben sind als bei einer Karawane, die durch die Wüste flieht und möglicherweise verfolgt wird.«

»Und was, wenn die Assassinen dein Haus angreifen, um sich für deine Flucht zu rächen?«

Ihre Frage führte zu einem kurzen, beklommenen Schweigen. Schließlich erwiderte Omar barsch, er ließe sich von einer Sklavin keine Vorschriften machen, aber sein Ton war nicht ganz so überzeugt wie noch vor Augenblicken.

»Dann nehmt wenigstens Nemeth und ihre Mutter mit«, bat Robin. »Ich flehe Euch an, Omar Khalid. Erweist mir diese eine Gnade, und ich werde alles tun, was Ihr von mir verlangt.«

»Alles?«, fragte Omar nach schier endlosen Sekunden.

Nicht mehr. Schweren Herzens, aber so ruhig und ehrlich, wie sie konnte, nickte sie und antwortete: »Alles.«

Omar schwieg. In seinem Gesicht arbeitete es. Was sie ihm gerade zum Tausch angeboten hatte, gehörte ihm längst. Er hätte es sich jederzeit nehmen können, ohne dass irgendjemand ihn hätte daran hindern können oder dass es auch nur den Wert seiner kostbaren Handelsware geschmälert hätte. Aber die Tatsache, dass er über ihr Angebot nachdachte, machte Robin klar, dass er sie nicht mit Gewalt haben wollte.

»Sie werden uns behindern«, sagte er. »Das Mädchen ist zu jung und viel zu schwach, um zu arbeiten, und seine Mutter schon zu alt, um das Herz eines Mannes zu erfreuen.« Es war nur eine Ausflucht. Der Versuch, seine Unschlüssigkeit zu überspielen - und möglicherweise seine Angst, auf Robins Forderung einzugehen.

»Ich werde mich um sie kümmern«, sagte Robin rasch.

Omar blickte zweifelnd. »Du?«

»Gebt sie in meine Obhut«, verlangte Robin. »Sie sollen meine Dienerinnen sein - meinetwegen könnt Ihr sie ja zusammen mit mir versteigern.«

Omar seufzte. »Also gut, wenn dein Herz so sehr an diesem Balg und seiner Mutter hängt. Aber du wirst die Verantwortung für sie tragen. Du wirst dich um sie kümmern, und du wirst für sie gerade stehen, wenn sie Ärger machen oder gar zu flüchten versuchen. Und sollten wir in Not geraten, dann wirst du deine Ration an Wasser und Nahrung mit ihnen teilen.«

»Das verspreche ich«, sagte Robin.

»Keine der sieben Plagen, die Allah dem Sultan von Ägypten geschickt hat, ist mit dir zu vergleichen, Ungläubige«, murmelte Omar. »Also gut. Wenn ich mich weiter mit dir streite, sind wir vermutlich noch nicht reisefertig, wenn Sheik Sinan mit seiner gesamten Armee hier eintrifft.« Er wedelte unwillig mit der Hand. »Jetzt komm. Wir können unten bei den Pferden auf deine Freundin und ihre Mutter warten.«

Robin löste sich gehorsam von ihrem Platz am Fenster. Den verwirrten Blicken der beiden Dienerinnen, Naidas und auch Omars Leibwächter nach zu urteilen hatte sie von ihm mehr ertrotzt, als jeder für möglich gehalten hätte. Ohne ein weiteres Wort verließen sie das Haus und traten in den großen Hof hinaus, wo bereits ein gutes Dutzend von Omars Kriegern auf sie wartete. Weitere Männer hielten am Tor Wache, und Robin hörte von der Straße her Hufklappern und gedämpfte Stimmen. Eine nervöse, angstgeschwängerte Stimmung lag über dem Haus und dem Sklavenhof.

Robin blieb stehen und sah Omar auffordernd an. Ohne etwas zu sagen, machte er eine kurze Gebärde mit der Hand in Richtung seines Leibwächters; der Mann drehte sich auf dem Absatz um und ging wieder ins Haus zurück. Als Omar weitergehen wollte, vertrat ihm Naida den Weg.

»Du gehst fort, ohne mich?«, fragte sie.

»Es muss sein«, antwortete Omar.

»So lange du lebst, habe ich über dich gewacht, Omar«, sagte sie mit einem zornigen Glimmen in den Augen. »Du kannst nicht erwarten, dass ich dich in der Stunde der höchsten Not allein lasse. Lass mich dich begleiten.«

Omar schien über ihre Anhänglichkeit sichtlich gerührt zu sein. »Dich in die Wüste mitzunehmen hieße, dich zu töten«, sagte er.

»Mich allein hier zurückzulassen, auch«, erwiderte Naida. »Wozu sonst sollte ich am Leben sein, wenn nicht, um dich zu beschützen und dir zu dienen?«

Omar versuchte scherzhaft zu klingen, als er antwortete, aber es gelang ihm nicht wirklich. »Du weißt doch, Nana - zu der ersten Frau, an deren Brüsten er gelegen hat, kehrt ein Mann immer zurück.« Er hob die Hand, als sie widersprechen wollte. Ein seltener, warmer Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. »Ich werde zurückkehren, das verspreche ich bei Allah und im Namen des Propheten. Dir überlasse ich die Aufsicht über das Haus und alle meine Besitztümer. Verkaufe die restlichen Sklaven und mache dich bereit, mir mit dem Rest der Dienerschaft und allem, was von Wert ist, zu folgen. Ich lasse dir eine Nachricht zukommen, wenn der Zeitpunkt kommen sollte.«

Naida nickte. Dann ergriff sie Omars Hand, um sie zum Abschied zu küssen, ehe sie sich herumdrehte und ins Haus zurückrannte. Robin sah die Tränen, die über ihr faltiges Gesicht liefen.

»Nun, Mädchen, bist du zufrieden?«

Robin fuhr erschrocken herum, als sie die Stimme hinter sich hörte, und blickte verwirrt in Harun al Dhins Gesicht. Sie würde sich wohl nie daran gewöhnen, dass dieser riesige und unbeholfen aussehende Mann durchaus in der Lage war, sich so lautlos wie eine Katze anzuschleichen. Haruns Anblick überraschte sie auch in anderer Hinsicht. Er hatte sich vollkommen verändert. Wie üblich war er in kostbare Gewänder gehüllt, deren Farben nicht so recht zueinander passen wollten - grüne Hose, rote Stiefel, ein rosa Hemd und ein schreiend gelber Mantel mit schwarzen Stickereien - doch an seinem Gürtel steckten jetzt drei lange, breite Dolche, die an seiner Figur irgendwie fehl am Platze schienen. Beeindruckend war lediglich das riesige Pferd, das er am Zügel führte. Es hatte einen wunderschön gearbeiteten Sattel und mit Silber beschlagenes Zaumzeug, das bei jeder Bewegung klirren musste wie ein ganzes Orchester. Robin bemerkte auch ein gewaltiges silbernes Amulett, das unter dem Schmuck am Zaumzeug des Pferdes hing: eine Handfläche mit einem stilisierten Auge.

»Zufrieden?«, fragte sie verständnislos.

Harun hob die Schultern. Fast zu Robins Erstaunen klimperte und schepperte es bei dieser Bewegung nicht so laut, dass man es noch auf der anderen Seite der Stadt hören konnte. Ihr fiel erst jetzt auf, dass die winzigen Glöckchen und Schellen aus Haruns Turban verschwunden waren.

»Worüber sollte ich zufrieden sein?«

»Mir scheint allmählich, dass du jedem, der dir zu nahe kommt, nur Unglück bringst, Ungläubige«, antwortete Harun.

Seine Worte versetzten Robin einen tiefen, schmerzhaften Stich ins Herz. Er hatte nichts anderes ausgesprochen, als was sie sich selbst schon oft gefragt hatte. In patzigem Ton antwortete sie: »Euch anscheinend nicht. Zumindest scheint Ihr die Vergiftung relativ gut überstanden zu haben.«

Harun lächelte, aber ehe er antworten konnte, mischte sich Omar in das Gespräch ein. Er deutete auf Haruns Pferd.

»Dieses Tier ist viel zu auffällig. Wir müssen es hierlassen. Ihr werdet auf einem unserer Tiere reiten.«

»Verzeiht, wenn ich widerspreche, Herr«, sagte Harun, mit einer angedeuteten Verbeugung und in demütigem Ton. »Aber kein anderes Tier vermag mich so lange zu tragen wie dieser Hengst. Ihr... hm... wisst ja, dass Allah mich als einen sehr stattlichen Mann erschaffen hat. Andere Pferde ermüden zu schnell, wenn ich auf ihnen reite.«

»Dann werdet Ihr wohl zu Fuß zur Karawanserei gehen müssen, wie meine Männer und ich auch«, bestimmte Omar. »Der Hengst bleibt hier.«

Harun seufzte, fügte sich aber schließlich mit einem müden Nicken. Dennoch sagte er: »Wir werden jeden Abend das Fleisch der unglücklichen Stute zu essen bekommen, die ich zuschanden geritten habe - Ihr werdet sehen, Herr. Allerdings kenne ich da ein sehr gutes Gericht für Stutenfleisch... mit einer Soße aus Datteln. Ich hoffe doch, wir haben einen genügend großen Topf im Gepäck. Man muss das Fleisch zusammen mit den Datteln schmoren und dann...«

Omar verdrehte die Augen. »Was willst du in der Wüste mit einem Pferd, du Narr? Ich glaube beinahe, du willst es nur als Notproviant mitnehmen.« Er wandte sich mit einem Ruck um und winkte einem seiner Krieger herbei. Dieser trat an Haruns Hengst heran, um das Kleiderbündel vom Sattel zu lösen.

Ein Versuch, der ihn um ein Haar ein paar Finger gekostet hätte. Der Hengst fuhr mit einem zornigen Wiehern herum und schnappte nach seiner Hand. Erschrocken wich der Mann vor dem Tier zurück und stolperte. Das Pferd drehte sich vollends um, stieg auf die Hinterbeine und machte alle Anstalten, den unglückseligen Krieger unter seinen Hufen zu zertrampeln. Mit Sicherheit hätte ihn sein Schicksal ereilt, hätte sich nicht Harun im letzten Moment in die Zügel geworfen und das Tier zurückgerissen.

Omar betrachtete diese Szene stirnrunzelnd, während Robin mehr als erstaunt war. Hätte sie es nicht besser gewusst, dann hätte sie geschworen, dass sich dieser schwarze Hengst wie ein gut ausgebildetes Schlachtross verhielt, das außer seinem eigenen Herrn niemanden in seine Nähe lässt. Aber was hätte Harun al Dhin schon mit einem Schlachtross anfangen sollen? Vermutlich war das Tier einfach nur nervös, wie alle hier auf dem Hof.

Auch Robin hatte Angst. Immer wieder glitt ihr Blick unsicher über die versammelten Männer, tastete über die Mauerkämme und die flachen Dächer der nahe gelegenen Häuser, versuchte, etwas in den schwarzen Schattenschluchten dazwischen zu erkennen. Der Mond stand nur als schmale Sichel am Himmel, und es gab deutlich mehr Dinge, die man nicht sehen konnte, als solche, die zu erkennen waren. Das Gift der Assassinen hatte seine Wirkung auch auf sie nicht verfehlt.

Harun nahm sein Kleiderbündel vom Sattel des Hengstes und warf es sich ohne die geringste sichtbare Anstrengung über die Schulter. Dabei ermahnte er den unglückseligen Krieger, der um ein Haar unter den Hufen des Pferdes geendet hätte und auch jetzt noch zitternd und mit schreckensbleichem Gesicht dastand, dass niemand sein Reittier berühren solle. Es sei ein wenig unruhig. Er trug dem Mann auf, einen Sklaven zu Aisha zu schicken, die das Tier am Zügel zu seinem Stall zurückführen solle. Ihr würde der Hengst vertrauen.

»Wenn diese Diskussion denn heute noch einmal zu Ende geht, können wir dann endlich aufbrechen, hochverehrter Harun al Dhin?«, fragte Omar mit beißendem Spott. »Natürlich nur, wenn es Euch nicht zu viele Umstände bereitet, allerhochwürdigster Meister der geschmacklosen Kleidung.«

Harun machte ein beleidigtes Gesicht. »Was ist mit Nemeth?«, fragte Robin.

Man sah Omar an, dass seine Geduld nun nahezu erschöpft war. Doch in diesem Moment kehrte Omars Leibwächter mit Nemeth und ihrer Mutter zurück. Beide trugen die gleichen schwarzen Umhänge wie alle hier auf dem Hof - Harun einmal ausgenommen - und sie wirkten vollkommen verstört. Nemeth klammerte sich mit solcher Kraft an ihre Mutter, dass es Saila kaum möglich war, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Als sie Robin sah, blitzte so etwas wie eine schwache Hoffnung in ihrem Blick auf, aber Nemeth wirkte noch verängstigter. Natürlich, dachte Robin bitter. Was hatte Harun gerade gesagt? Bringst du jedem, der dir zu nahe kommt, Unglück? Vielleicht hatte er ja Recht.

Sie zwang ein möglichst zuversichtliches Lächeln auf ihre Lippen, ging den beiden mit schnellen Schritten entgegen und sagte: »Ihr werdet uns begleiten. Habt keine Angst.«

»Begleiten?« Sailas Stimme zitterte, aber das Misstrauen darin war trotzdem nicht zu überhören. »Ich habe mich kaum von meinem Sturz erholt - bei der Flucht, die du angezettelt hast und die meinem Mann das Leben gekostet hat. Wie könnte ich dir da von Nutzen sein?«

»Das wird sich zeigen«, antwortete Robin ausweichend. »Ihr müsst jedenfalls an einen anderen Ort. Mehr weiß ich nicht. Bis auf eins noch: Ihr seid ab sofort keine Sklaven mehr.«

»Keine Sklaven?« Sailas Augen wurden schmal. Sie vertraute ihr nicht. Und wie konnte sie auch?

»Ich werde euch alles erklären, sobald ein wenig Zeit dazu ist«, sagte Robin. »Jetzt aber müssen wir uns beeilen. Folgt mir. Und bleibt immer dicht bei mir, ganz egal, was auch passiert.«

»Und seid vor allem still!«, zischte Omar. Er warf noch einen mahnenden Blick in die Runde - Robin konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sein Blick eine Winzigkeit länger auf ihrem Gesicht verharrte als auf denen der anderen - und trat dann, dicht gefolgt von seinem Leibwächter, durch das Tor. Robin schloss sich ihm unaufgefordert an. Doch kaum hatten sie den Sklavenhof verlassen und sich nach rechts gewandt (genau in die entgegengesetzte Richtung zu der, die sie bei ihrer Flucht gewählt hatte), da ging eine sonderbare Veränderung mit ihr vonstatten.

Trotz der unterschwelligen Angst war sie plötzlich wieder zu einem Gutteil die alte Robin, die sie gewesen war, bevor das Meer und ein boshaftes Schicksal sie an die Küste dieses fremden, feindseligen Landes geworfen hatten. Sie trug weder ein Kettenhemd noch den Wappenrock der Tempelritter, sondern die Kleider eines Arabers und keinerlei Waffen. Aber jetzt spürte sie wieder die alte Erregung, das Kribbeln der Gefahr und die Herausforderung, einfach um die entscheidende Winzigkeit besser zu sein als die, vor denen sie auf der Flucht waren.

Sie war nicht die Einzige, die dann und wann einen Blick über die Schulter zurückwarf, während sie nahezu lautlos die Gasse hinunterhuschten. Dabei versuchte sie, sich jede Einzelheit einzuprägen; vielleicht ergab sich für Nemeth, Saila und sie ja doch noch die Möglichkeit zur Flucht und dann mochte es lebenswichtig sein, zu wissen, vor wem sie überhaupt davonlief.

Omar rechnete offenbar mit Robins noch immer rebellischer Natur und hatte einem erneuten Fluchtversuch ihrerseits vorgebaut. Sie schätzte ihre bewaffnete Begleitung auf zwanzig Mann, - damit blieben Saila höchstens noch ein halbes Dutzend Wachen, um das Heim des Sklavenhändlers vor einem etwaigen Angriff der Assassinen zu verteidigen. Omar und sein Leibwächter bildeten die Spitze der kleine Kolonne, die sich nahezu lautlos die Straße hinabbewegte, während Harun, Robin, Nemeth und Saila an allen Seiten von Wächtern abgesichert waren. Mehrere der Männer hatten schwere Säcke geschultert, und einer schleppte sich gar mit einer schweren, eisenbeschlagenen Truhe ab, unter deren Gewicht er deutlich wankte.

Ob es klug war, mit solch schwerem Gepäck den Weg durch die engen Gassen der Stadt zu wagen, bezweifelte Robin. Vielleicht hatten die Assassinen mit ihrer Botschaft Omars Truppe ja nur frühzeitig aus ihrem festungsähnlichen Bau aufstöbern wollen, um ihr dann im Schutz des unübersichtlichen Straßenverlaufs aufzulauern und sie noch vor Antritt der eigentlichen Reise so weit wie möglich zu dezimieren. Wenn ihnen in diesem Fall heimlich Bogenschützen auflauern sollten, so konnte das auch für sie, Saila oder Nemeth böse ausgehen.


Nach einer schieren Ewigkeit hatten sie unbehelligt den Basar und die engen Gassen Hamas hinter sich gelassen. Ob Robin nun allerdings aufatmen konnten, wagte sie zu bezweifeln. Denn jetzt tat sich vor ihnen die breite Straße auf, die in sanfter Neigung hinab zum Ufer des Orontes führte, der Hama in zwei ungleiche Hälften teilte - und damit drohte die nächste Gelegenheit für einen Hinterhalt. Fast erschien ihr die über den Fluss führende Brücke wie der Weg über den Styx, der vom Reich der Lebenden ins Totenreich führte.

Omar gebot ihnen mit einer Geste stehen zu bleiben. Nachdem der Trupp gehorsam und nahezu lautlos angehalten hatte, machte er ein weiteres Handzeichen, und zwei seiner Krieger eilten voraus. In ihren schwarzen Gewändern verschmolzen sie schon nach wenigen Schritten mit der Nacht. Die Brücke stieg zur Mitte hin an, sodass sie das andere Ende nicht sehen konnten, und wieder erhielt Robins Unruhe neue Nahrung.

Endlich ging es weiter. Tausende und Abertausende von Füßen, Kamelhufen und Karrenrädern hatten das Straßenpflaster der Brücke sorgsam poliert, und sie mussten sich in Acht nehmen, um auf den glatten Pflastersteinen nicht auszurutschen. Trotzdem beschleunigte Robin wie die anderen unwillkürlich ihre Schritte, als sie sich der Mitte der Brücke und somit dem Punkt näherten, an dem das jenseitige Ufer wieder in Sicht kam. Robin versuchte vergeblich, den Gedanken zu verscheuchen, was für erstklassige Ziele sie hier für einen Bogenschützen abgeben mussten.

Die beiden Späher des Voraustrupps machten am anderen Ende der Brücke Halt und auch Omar gab das Zeichen zum Anhalten. Er sah sich nervös um. Seine Gedanken mussten sich auf ähnlichen Pfaden bewegen wie die Robins. Sie selbst ertappte sich dabei, Nemeth viel zu fest an sich zu drücken. Ihre Beunruhigung war längst zu nackter Angst geworden, aus der langsam, aber unaufhaltsam Panik zu werden drohte. Mit klopfendem Herzen suchte sie das Ufer vor sich mit Blicken ab.

Gleich hinter der Brücke erhoben sich die steinernen Kuppeln und der sonderbar anmutende eckige Turm einer großen Moschee. Einen Herzschlag lang glaubte Robin hinter dem Geländer der Turmplattform, genau dort, von wo aus der Muezzin normalerweise zum Gebet rief, einen Schatten zu erkennen. Ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen, und sie strengte sie so an, dass sie zu brennen begannen.

Dann sah sie die Fledermäuse, die in weiten Kreisen um den Turm zogen. Vor lauter Erleichterung hätte sie beinahe laut aufgelacht. Die Tiere waren harmlos, ganz egal, was man ihnen auch nachsagte, und im Augenblick waren sie der beruhigendste Anblick, den sie sich nur denken konnte. Hätte dort oben ein verborgener Attentäter auf sie gelauert, dann wären diese geflügelten Jäger der Nacht nicht da.

Nicht weit von der Moschee entfernt drehte sich gemächlich ein fast turmhohes Wasserrad, dessen Schaufeln das träge dahinfließende Wasser des Orontes aufwühlten und in einer stiebenden Gischtkaskade aus mehr als zehn Schritten Höhe in den Fluss zurückstürzen ließen. Sonderbarerweise war dabei nicht der geringste Laut zu hören. Auf der anderen Seite der Brücke, auf einem flachen Hügel, der die Gebäude der Stadt nur um weniges überragte, erhob sich die Zitadelle des Statthalters. Hinter ihren hohen Mauern verbarg sich der Palast, in dessen Harem sie um ein Haar gelandet wäre. Robin überlief ein eisiger Schauer, als sie die Festung betrachtete, ein Gebäude, das schon bei Tageslicht betrachtet unheimlich und abweisend wirken mochte, ihr jetzt aber vorkam wie das verwunschene Schloss des bösen Zauberers im Märchen.

Einer der beiden Wächter am anderen Ende der Brücke hob die Hand zum Zeichen, dass alles in Ordnung sei. Sie gingen weiter. Robin hätte hinterher nicht mehr sagen können, wie lang dieser gespenstische Weg durch die Stadt gedauert hatte. Die Straßen auf dieser Seite des Flusses - der reicheren, wie sie annahm - waren breiter und das Pflaster in besserem Zustand, die meisten Gebäude etwas höher, und hier und da brannte sogar eine Öllampe über einem Eingang. Und das wohl nicht nur, um die Straßen des Nachts zu erhellen und das Gehen so bequemer zu machen, sondern vor allem, um den Reichtum ihres Besitzers zu verdeutlichen. Auch dieser zweite Teil des Weges erschien Robin irgendwie gespenstisch, aber er verlief ebenso ereignislos wie der Weg zum Fluss hinunter. Unbehelligt erreichten sie das erste Ziel ihrer Flucht: Die Karawanserei, von der Omar gesprochen hatte.

Es war ein großer, rechteckiger Bau nahe des Stadttores, mit nur einem einzigen Eingang. Einer von Omars Männern zog einen Dolch aus dem Gürtel und klopfte mit dem Knauf gegen das dicke Holz des Tores. Einen Augenblick später öffnete sich eine kleine Mannpforte darin, und der kleine Trupp betrat einen weiten Hof, der nur von blassem Sternenlicht erhellt wurde. Robin konnte die klobigen Umrisse des eigentlichen Gebäudes auf der anderen Seite nur verschwommen erkennen. Doch um sie herum war Leben. Hier und da raschelte es, klirrte Metall oder erhob sich ein verschlafenes Gesicht, um einen müden Blick in ihre Richtung zu werfen, und ganz in der Nähe glaubte Robin sogar ein tiefes Schnarchen zu hören.

Hinter dem letzten Mann wurde die Pforte sofort wieder geschlossen. Das dumpfe Geräusch, mit dem der schwere Riegel vorgeschoben wurde, sollte ihr eigentlich ein Gefühl von Sicherheit geben, aber das genaue Gegenteil war der Fall: Sie fühlte sich plötzlich wieder eingesperrt und gefangen.

»Solch nächtliche Abenteuer sind nichts mehr für einen Mann meines Alters«, keuchte Harun hinter ihr. Er schnaufte, als drohte er im nächsten Moment umzufallen, um seine Behauptung auf der Stelle zu beweisen. Als Robin sich erschrocken herumdrehte, bemerkte sie, dass er tatsächlich am ganzen Leib zitterte. Obwohl die Nacht eher zu kühl als zu warm gewesen war, bedeckte eine glänzende Schweißschicht seine Stirn und der Blick, den er in die Runde warf und mit dem er die Dunkelheit zu durchbohren versuchte, war eindeutig der eines Mannes, der Todesangst litt.

»Dann schlage ich vor, Ihr geht zurück in mein Haus und wartet dort auf unseren Freund Arslan«, sagte Omar Khalid.

»Ich bin sicher, es wird Euch nicht schwer fallen, ihm zu erklären, dass Ihr mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun habt.«

Harun setzte zu einer Antwort an und schluckte sie dann im letzten Moment herunter. In seinen Augen blitzte es auf, aber Robin vermochte nicht zu sagen, ob es Entsetzen, Zorn oder nicht doch so etwas wie Spott war.

Allmählich gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Sie erkannte jetzt, dass der Hof nicht einfach ein von Mauern umschlossener Platz war. An drei Seiten gab es einen überdachten Säulengang mit hohen Rundbögen, der sie vage an den Kreuzgang eines Klosters erinnerte, jedoch keinen annähernd so feierlichen Anblick bot. Überall auf dem Boden hatten sich schlafende Gestalten zusammengerollt; vermutlich die Reisenden, die sich kein besseres Quartier in der Karawanserei leisten konnten. Etliche Männer lagen in Decken auf dem nackten Steinboden, einige wenige hatten ihre Häupter auf Sättel oder große Jutesäcke gebettet. Nicht wenige schienen kurzerhand auf ihren Waren zu schlafen, um sich so vor Diebstahl zu schützen. Hinter dem Säulengang lagen die Gebäude, die die Vorratslager und Räume zum Einlagern kostbarer Karawanengüter beherbergten. Von Harun wusste sie, dass es tiefer im Gebäude nicht nur Unterkünfte für wohlhabende Reisende, sondern auch einen Saal gab, in dem Essen gereicht wurde. Damit konnte man sie heute allerdings nicht mehr locken.

»Allah straft mich wirklich hart«, jammerte Harun. »Oh, ich könnte jetzt in Kemals Küche speisen und mir die größten Köstlichkeiten munden lassen oder auf einem Diwan liegen und mir von Aisha Luft zufächeln lassen. Stattdessen muss ich das hier ertragen.«

Robin spürte, wie sich fast gegen ihren Willen ein Lächeln auf ihre Lippen schlich. Haruns Miene passte genau zu seinen Worten und noch besser zum weinerlichen Klang seiner Stimme, aber es fiel ihr immer schwerer, ihm die Rolle des Narren wirklich abzukaufen. Sicherlich war er nicht als Held geboren und würde auch nie einer werden. Aber sie begann allmählich zu argwöhnen, dass er sich in der Rolle des Dummkopfes gefiel und sich tief in seinem Inneren mindestens so sehr über die amüsierte, die glaubten, über ihn lachen zu müssen.

Davon abgesehen konnte sie Haruns Entsetzen nur zu gut verstehen. Der Hof war hoffnungslos überfüllt. Genau in der Mitte der gepflasterten Fläche gab es ein langes, rechteckiges Wasserbecken, an dem Kamele, Pferde und Esel getränkt werden konnten, und Robin versuchte erst gar nicht, die Tiere zu zählen, die hier qualvoll zusammengedrängt worden waren. Ihr fiel allerdings auch auf, wie wenig Lastesel und Pferde unter ihnen waren. Der allergrößte Teil der Tiere in dem überfüllten Hof waren Kamele, deren Vorderbeine mit einer weiten Fessel zusammengebunden worden waren, sodass sie sich nur noch stolpernd bewegen konnten.

Dann wurde ihr Blick von etwas gefangen genommen, das sie zunächst verblüffte: Zwei Wächter mit Fackeln in der Hand führten nur wenige Schritte von ihr entfernt eine Gruppe fast nackter Sklaven vorbei, die vollkommen schwarz und an Ketten gebunden waren. Sie hatte davon gehört, dass es Menschen gab, deren Haut so dunkel wie Kaminruß war, aber dies waren die ersten Schwarzen, die sie wirklich zu Gesicht bekam, - und so wie es aussah, wurden sie nicht besser als wilde Tiere gehalten.

Omar Khalid war offensichtlich bereits erwartet worden. Ein kleiner, drahtiger Mann mit einer schiefen und offenbar schon mehrmals gebrochenen Nase, in der hierzulande üblichen weiten Hose und einem dunklen Kaftan sowie mit einem Turban auf dem Kopf, eilte auf sie zu. In seinem Gürtel aus rotem Stoff - der einzige Farbtupfer auf seiner ansonsten in der Dunkelheit eher zu erahnenden als wirklich zu erkennenden Gestalt - steckten ein Krummdolch und ein Schwert mit langer, gerader Klinge, von deren Griff eine abgewetzte Lederschlaufe hing. Als Omar den Fremden heraneilen hörte, drehte er sich herum und ein Schatten huschte über sein Gesicht. Er und der andere waren offensichtlich keine Freunde.

Trotzdem ging der Sklavenhändler dem kleinwüchsigen Mann entgegen und begann, von heftigem Gestikulieren begleitet, mit ihm zu reden.

»Wer ist das?«, fragte Robin.

Die Frage hatte niemand Besonderem gegolten, aber Harun beantwortete sie trotzdem. »Mussa Ag Amastan«, sagte er. »Eine Ratte, wenn du mich fragst, Christenmädchen. Besser, du drehst ihm niemals den Rücken zu. Und einen anderen Körperteil auch nicht.«

Robin dachte ein wenig verwirrt über diese letzte Bemerkung nach, stellte aber keine weitere Frage mehr, sondern versuchte sich unauffällig Omar und seinem ungleichen Gesprächspartner zu nähern. Sie hatte den Gedanken an eine Flucht immer noch nicht gänzlich aufgegeben. Jede noch so zufällig aufgeschnappte Information mochte sich später als wichtig erweisen. Omar schien derlei Plänen jedoch vorgebaut zu haben: Sie hatte erst wenige Schritte zurückgelegt, als ihr einer seiner Krieger den Weg vertrat und entschieden den Kopf schüttelte. Enttäuscht wandte sich Robin um und kehrte zu Harun, Nemeth und Saila zurück.

»Was bedeutet das?«, fragte Nemeth.

»Ich weiß es nicht genau«, gestand sie. »Aber ich glaube, wir verlassen die Stadt.«

»Gehen wir zurück nach Hause?«, fragte Nemeth.

Robin schüttelte traurig den Kopf. »Ich fürchte, nein. Aber da, wo wir hingehen, wird es dir besser gefallen als in Omars Keller, das verspreche ich dir.«

»Du solltest nichts versprechen, was du nicht halten kannst«, warnte Harun. »Nichts schmerzt so sehr wie Hoffnung, die nicht eingelöst wird.«

»Ich werde es halten«, sagte Robin. Die Worte klangen feierlich - und waren auch so gemeint; sie waren ein Gelöbnis, das sie viel mehr sich selbst als Harun oder Nemeth gab. Schon einmal hatte sie sich geschworen, das Mädchen aus der Gewalt des Sklavenhändlers zu befreien, und auch wenn sie diesen Schwur bisher vielleicht nicht hatte einhalten können, so hatte sie ihn auch noch nicht endgültig gebrochen. Und so albern diese Worte auch angesichts ihrer augenblicklichen Situation klingen mochten - Harun schien zu verstehen, was in Robin vorging.

Sie fasste sich in Geduld; schon weil ihr gar keine andere Wahl blieb. Omars Krieger hatten einen Halbkreis um sie gebildet und Robin war klar, was diese Aufstellung zu bedeuten hatte: Einerseits sicherlich Schutz, zugleich aber auch Gefängnis. Schweigend beobachtete sie, wie der Sklavenhändler immer aufgeregter und hitziger mit dem kleineren Mann debattierte. Es verging sicherlich eine Viertelstunde, wenn nicht mehr, und nach Haruns Gesichtsausdruck zu urteilen verlief die Verhandlung nicht unbedingt so, wie der Sklavenhändler gehofft hatte. Schließlich aber wurden sich die beiden Männer doch noch handelseinig. Omar nickte, fuhr auf dem Absatz herum und kam mit grimmigem und alles andere als zufriedenem Gesicht zurück, während sich Mussa Ag Amastan in die entgegengesetzte Richtung wandte und zweimal rasch hintereinander in die Hände klatschte. In den Säulengängen erwachten einige der Schlafenden, und hier und da wurde ein Murren laut, das aber angesichts Mussas schroffer Anweisungen sofort wieder verstummte.

»Es geht los«, bemerkte Harun überflüssigerweise. Nach der quälend langen Zeit, die sie untätig dagestanden und darauf gewartet hatten, dass überhaupt irgendetwas geschah, ging nun alles mit fast unheimlicher Schnelligkeit vonstatten. Die Tür an der gegenüberliegenden Seite des Hofes hatte sich auf Mussas Händeklatschen hin geöffnet, und eine fast erschreckende Anzahl Männer - genug, um eine kleine Armee zu bilden - trat auf den Hof hinaus und machte sich an den Kamelen zu schaffen. Die Tiere wurden gesattelt, mit Zaumzeug versehen und es wurden Waren auf ihren Rücken befestigt, aber Robin entging auch nicht, dass eine große Zahl der Kamele unbeladen blieb. Von den Pferden, die sie erwartete, war weit und breit nichts zu sehen. Innerhalb weniger Minuten war die Karawane zum Aufbruch bereit.

Harun legte ihr die Hand auf die Schulter und beugte sich vor, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern. »Sieh zu, dass du immer in meiner Nähe bleibst, Christenmädchen«, murmelte er. »Und deine beiden Freundinnen auch.«

»Warum?«, fragte Robin, ohne sich zu Harun umzudrehen, und ebenso leise wie er.

Sie konnte sein Kopfschütteln fühlen, ebenso wie seinen verächtlichen Gesichtsausdruck. »Omar ist ein größerer Narr, als ich dachte, wenn er Mussa Ag Amastan traut«, stieß der Araber hervor. »Ich hätte ihn für klüger gehalten, trotz allem.«

»Wer ist dieser Mussa?«, wollte Robin wissen.

Harun schnaubte. »Ich glaube, das weiß er selbst nicht so genau. Niemand kann sagen, womit er hauptsächlich seinen Lebensunterhalt verdient: damit, Karawanen zu beschützen oder sie auf abgelegeneren Routen auszurauben. Es sollte mich nicht wundern, wenn er beides gleichzeitig tut, sobald sich die Gelegenheit dazu ergibt.«

Da Robin an Haruns Hang zu hoffnungslosen Übertreibungen gewöhnt war, beunruhigten diese Worte sie nicht allzu sehr. Sie trat jedoch ein kleines Stück zur Seite, um sich Mussas Männer etwas genauer betrachten zu können. Und was sie sah, das bereitete ihr durchaus Kopfzerbrechen.

Robin schätzte die Zahl der fremden Krieger auf dreißig, wenn nicht mehr. Sie waren schwer bewaffnet. Fast alle trugen nach Art der Sarazenen mit einem Schal umwickelte spitze Metallhelme, einige aber auch solche, von denen ein Kettengeflecht herabhing, das das Gesicht bis auf zwei schmale Löcher über den Augen bedeckte. Robin fand diese Helme zunächst fremdartig, doch boten sie im Kampf vermutlich ebenso zuverlässigen Schutz wie die viel schwereren Topfhelme europäischer Ritter.

Die dunklen Kaftane, die Mussas Männer trugen, waren nichts weiter als Tarnung. Ihre etwas ungelenke Art, sich zu bewegen, führte Robin auf den Umstand zurück, dass sie darunter Kettenhemden, zumindest jedoch schwere Lederpanzer trugen. Ihre Schwerter waren ungewöhnlich - ganz wie das Mussas waren es schmale, lange Klingen, nicht die gewohnten Krummsäbel der Muselmanen. Manche der Männer trugen Schilde auf dem Rücken, andere hatten zusätzlich lange Lanzen und etliche reich bestickte Köcher an den Gürteln, aus denen die obere Hälfte eines Kurzbogens und die Schäfte zahlreicher Pfeile ragten.

Mussa dirigierte seine Schar mit knappen Gesten, die sofort und diszipliniert befolgt wurden. Ihre erste Einschätzung schien richtig gewesen zu sein, dachte Robin beunruhigt. Das war eine Armee. Eine kleine, aber zweifellos gut ausgebildete Armee. Sie hoffte, dass Harun al Dhin sich irrte und Omar wusste, was er tat.

»Los jetzt«, sagte Harun.

Robin sah fragend zu ihm hoch. »Wo sind die Pferde?«

»Dort!« Harun grinste und deutete auf die gesattelten Kamele. »Sie sind nur ein bisschen größer als die, die du gewohnt bist. Und zweifellos auch hässlicher.«

»Kamele?«, wiederholte Robin verwirrt. »Aber ich dachte, wir wären auf der Flucht.«

»Und?« Harun schien nicht ganz zu begreifen, was sie damit sagen wollte.

»Warum nehmen wir dann keine Pferde?«, wunderte sie sich. »Diese Tiere sind...«

»Lass dich nicht von ihrem Äußeren täuschen, Mädchen«, unterbrach sie Harun. »Glaub mir, ein solches Tier läuft schneller als jedes Pferd.« Er runzelte die Stirn. »Dennoch hast du Recht. Ich wundere mich auch, dass...« Er brach ab. Ein nachdenklicher, aber auch ein wenig besorgter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. Mit seiner schwer beringten Hand fuhr er sich durch den geflochtenen Bart. Als er nach einer Weile weitersprach, waren seine Worte ein erschrockenes Flüstern, das kaum Robin, sondern vielmehr sich selbst galt. »Bei Allah, ich glaube, ich weiß, was er vorhat. Dieser Narr. Er hat Mut, das muss man ihm lassen, aber er ist dennoch ein Narr.«

»Wovon sprecht Ihr?«, fragte Robin alarmiert.

Diesmal jedoch antwortete Harun nicht. Er gab sich nur einen leichten Ruck, versuchte, so etwas wie ein beruhigendes Lächeln auf sein Gesicht zu zwingen, und zuckte schließlich mit den Achseln; eine Bewegung, die seine gewaltige Körpermasse erzittern ließ wie einen halb haushohen Berg aus Pudding. »Komm«, sagte er nur.

Von Mussas Männern mit Schlägen auf das Hinterteil und leichten Stockhieben dazu angetrieben, hatten sich mittlerweile etliche der Kamele zu Boden sinken lassen; dabei falteten sie ihre Beine auf eine kompliziert aussehende Art unter dem Körper zusammen. Da es keine besondere Sitzordnung zu geben schien, steuerten Harun, Robin und ihre beiden Begleiterinnen die erstbesten Tiere an. Nemeth und Saila, die sich den Platz auf dem Rücken eines Kameles teilten, kletterten mit solcher Selbstverständlichkeit in den sonderbar geformten Sattel, dass Robins Unbehagen ein wenig schwand. Auch der scheinbar so schwerfällig anmutende Harun schwang seine gut drei Zentner mit einer Eleganz auf den Rücken des Kamels, dass in Robin ein leises Gefühl von Neid erwachte. Also zögerte sie nicht weiter, ihrem Beispiel zu folgen. Nach dem, was sie gerade gesehen hatte, konnte es so schwer nicht sein.

Sie irrte - nicht zum ersten Mal, seit sie in dieses Land voller fremdartiger Menschen und noch fremdartigerer Tiere gekommen war. Sie griff nach dem Sattelhorn und schwang sich mit einer kraftvollen Bewegung auf das Kamel, schon allein, weil sie spürte, wie aufmerksam Nemeth sie beobachtete. Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, dass das Tier mit einem Ruck das Hinterteil heben würde. Dabei wurde sie in einem Salto durch die Luft katapultiert und landete unter dem schadenfrohen Gelächter der Umstehenden auf dem harten Stein, mit dem der Hof gepflastert war.

Der Aufprall trieb ihr die Luft aus den Lungen und ihr Hinterkopf schlug so hart auf dem Boden auf, dass sie buchstäblich Sterne sah und sie vermutlich nur der Turban vor einer wirklichen Verletzung bewahrte. Für einen Moment wurde ihr schwarz vor Augen. Als sich die wirbelnden Nebelschleier wieder verzogen, schien das spöttische Gelächter ringsum noch lauter geworden zu sein.

Robin blinzelte. Im letzten Moment unterdrückte sie den Impuls, die Hand zu heben, um sich die Tränen wegzuwischen, die ihr der Schmerz in die Augen getrieben hatte, und stemmte sich wütend in eine halbwegs sitzende Position hoch. Sie spürte, dass ihr Turban verrutscht war. Hastig rückte sie ihn wieder gerade und überzeugte sich vom sicheren Sitz ihres Schleiers, bevor sie einen Blick in die Runde warf.

Sofort wünschte sie sich, sie hätte es nicht getan. Denn wohin sie auch sah, strahlten sie lachende, schadenfrohe Gesichter an. Selbst Omar, dessen Kamel sich bereits erhoben hatte, sodass er aus gut zwei Metern Höhe auf sie herabblickte, lächelte spöttisch. Einzig Harun wirkte ein wenig besorgt.

Robin stand mit einer ärgerlichen Bewegung auf, doch das Tier hatte sich bereits wieder niedergelassen. In diesem Moment schaute sie direkt in das Gesicht des Kamels: Es hatte den langen Hals gedreht, um sie anzusehen. Vermutlich lag es nur an seiner ungewohnten, hässlichen Physiognomie, aber Robin hätte schwören können, dass das Vieh nicht nur so aussah, sondern sie tatsächlich schadenfroh angrinste. Wütend wandte sie sich um. Hoch aufgerichtet und so stolz, wie es ihr heftig pochendes Bein zuließ, umkreiste sie das Kamel und kletterte erneut - diesmal aber etwas weniger schwungvoll - in den Sattel.

Irgendjemand schnippte mit den Fingern, und das Tier erhob sich zum zweiten Mal. Robin war vorgewarnt und klammerte sich mit beiden Händen ans Sattelhorn, während sie die Schenkel mit aller Kraft gegen die weit ausladenden Flanken des haarigen Ungetüms presste. So lief sie nicht Gefahr, erneut vom Rücken des Kameles geschleudert zu werden, als es sich auf seine unbeholfen anmutende, dennoch zügige Art aufrichtete.

Kaum aber hatte das Tier seine Hinterbeine durchgestreckt, stand es auch schon mit den Vorderbeinen auf, und jetzt musste Robin wirklich mit aller Gewalt darum kämpfen, nicht auf der anderen Seite herunterzufallen. Irgendwie gelang es ihr, das Schlimmste zu vermeiden. Aber offensichtlich machte sie keine besonders gute Figur dabei, denn das schadenfrohe Gelächter der Männer ringsherum steigerte sich zu einem wahren Chor, bis Omar schließlich ärgerlich in die Hände klatschte und mit einem scharfen Befehl für Ruhe sorgte.

Robin atmete erleichtert auf und entspannte ihre Schenkel ein wenig, während sie sich weiter mit aller Kraft ans Sattelhorn klammerte. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie auf dem Rücken eines Kamels saß, und wenn es nach ihr ging, würde es auch das letzte Mal bleiben. Sie traute dieser hässlichen Kreatur nicht so weit, wie sie spucken konnte.

»Nun, wo wir noch für ein wenig Erheiterung gesorgt haben, können wir ja vielleicht aufbrechen«, sagte Omar Khalid spöttisch. »Das heißt natürlich nur, wenn es in Eure Pläne passt, holde Prinzessin.«

Robin schenkte ihm einen giftigen Blick. Dass Omar sie Prinzessin nannte, war ziemlich leichtsinnig. Ihre Verkleidung diente schließlich keinem anderen Zweck als dem, dass sie jeder, der sie nicht schon aus dem Haus des Sklavenhändlers kannte, für einen Mann hielt. Omar musste Mussa und seiner Söldnerarmee entweder mehr Vertrauen schenken, als sie vermutet hatte, oder er war wirklich sehr nervös.

Hinter ihnen erhob sich ein dumpfes, in der Nacht lang nachhallendes Knarren, mit dem sich das Öffnen des großen Tores ankündigte. Augenblicklich ergriff die Kamele eine allgemeine Unruhe, so als spürten sie, dass der Moment des Aufbruchs gekommen war. Ohne ihr Zutun drehte sich Robins Reittier herum. Sie musste sich mit aller Kraft am Sattel festklammern, als die gesamte Kreatur zuerst nach links, dann nach rechts und dann wieder nach links schwankte, und das so heftig, dass sie einen erneuten Sturz befürchtete.

Harun lenkte sein eigenes Tier mit einer so selbstverständlichen Bewegung neben das ihre, dass Robin mehr als nur einen Anflug von Neid empfand. »Du solltest das linke Bein um das Sattelhorn anwinkeln und das rechte ausgestreckt auf seinen Hals setzen«, empfahl er. Seine Körpermasse geriet wabbelnd in Bewegung, als er es ihr vormachte. »Siehst du? Es sieht vielleicht seltsam aus, ist aber für Anfänger die sicherste Art, ein Kamel zu reiten.«

Harun hatte Recht. Es sah seltsam aus, aber es war die einzig sichere Art, sich auf diesem hin und her schwankenden Etwas zu halten. Nicht zuletzt ihr pochendes Bein und der dumpfe Schmerz in ihrem Hinterkopf machten ihr klar, dass jetzt nicht der Moment für Stolz war.

Und vielleicht nie wieder sein würde.

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