Fast zwei Tage waren seit dem Feuer und Thralls Flucht vergangen, und Blackmoore hatte einen Großteil dieser Zeit brütend und in schlechter Laune zugebracht. Tammis drängte ihn schließlich dazu, mit dem Falken auszureiten, und selbst er musste zugeben, dass dies eine ausgezeichnete Idee seines Dieners gewesen war.
Der Tag war in bleiernes Licht getaucht, aber er und Taretha waren für alle Eventualitäten des Wetters gekleidet, und der schnelle Galopp brachte ihr Blut in Wallung. Er hatte jagen wollen, aber seine weichherzige Mätresse hatte ihn überzeugt, dass der Ausritt allein schon genügen würde, um ihnen die Zeit zu vertreiben. Er sah zu, wie sie auf dem grauen Pferd, das er ihr zwei Jahre zuvor geschenkt hatte, an ihm vorbeiritt und wünschte sich mehr Sonne, denn es gab viele andere Möglichkeiten, sich die Zeit mit Taretha lohnend zu vertreiben.
Zu welch unerwartet reizvollen Frucht Foxtons Tochter herangewachsen war! Sie war ein liebenswertes, gehorsames Kind gewesen und nun zu einer liebenswerten, gehorsamen jungen Frau gereift. Wer hätte gedacht, dass diese leuchtend blauen Augen ihn einmal so in ihren Bann ziehen würden, dass er nichts lieber wollte, als sein Gesicht im fließenden Gold ihrer Haare zu verbergen. Er, Blackmoore, jedenfalls nicht. Aber seit er sie vor Jahren zu sich genommen hatte, war sie stets unterhaltsam gewesen – was, über die Dauer gesehen, eine bemerkenswerte Leistung darstellte.
Langston hatte einmal gefragt, wann Blackmoore Taretha aufgeben und gegen eine Ehefrau eintauschen wolle. Blackmoore hatte geantwortet, er würde Taretha niemals aufgeben, selbst wenn er eine Frau zur Gemahlin nehmen sollte. Außerdem würde er noch genügend Zeit für solche Dinge haben, sobald sein großer Plan endlich in die Tat umgesetzt worden war. Wenn es ihm gelang, die Allianz in die Knie zu zwingen, würde es ihm leichter fallen, eine politisch vorteilhafte Ehe zu schließen.
Es gab wirklich keinen Grund zur Eile. Er hatte genug Zeit, um Taretha zu genießen – wo und wann er wollte. Und je mehr Zeit er mit dem Mädchen verbrachte, desto weniger wollte er nur seine Gelüste stillen und desto mehr genoss er ihre pure Gegenwart. Mehr als einmal lag er nachts wach und beobachtete, wie sie schlief und das Mondlicht silbern durch die Fenster auf sie schien. Dann fragte er sich, ob er sich in sie verliebt hatte.
Er hatte Nightsong gesattelt, der zwar älter wurde, aber immer noch einen guten Galopp schätzte, und sah jetzt zu, wie sie Gray Lady spielerisch um ihn herumführte. Auf seinen Befehl hin hatte sie ihr Haar nicht bedeckt oder zusammengebunden, sodass es wie reines Gold über ihre Schultern fiel. Taretha lachte, und für einen Moment trafen sich ihre Blicke.
Zum Teufel mit dem Wetter. Sie würden es einfach ignorieren.
Er wollte ihr gerade befehlen abzusteigen und zu einem toten Baum in der Nähe zu gehen – ihre Umhänge würden ihnen Wärme spenden –, als er hinter sich Hufschlag hörte. Es ärgerte ihn, Langston zu sehen. Sein Pferd war schweißbedeckt und dampfte an diesem kalten Nachmittag.
»Mylord!«, stieß er hervor. »Ich glaube, wir haben Neuigkeiten, was Thrall angeht!«
Major Lorin Remka war keine Person, mit der man Scherze trieb. Obwohl sie nur knapp über fünf Fuß groß war, wirkte sie stark und kraftvoll und konnte sich mehr als ausreichend im Kampf verteidigen. Vor vielen Jahren war sie als Mann verkleidet zur Armee gegangen, weil sie in sich die Sehnsucht verspürte, die grünhäutigen Bestien zu töten, die ihr Dorf angegriffen hatten. Als man ihren Betrug aufdeckte, hatte ihr kommandierender Offizier sie einfach wieder zurück an die Front beordert. Später erfuhr sie, dass ihr Kommandant gehofft hatte, sie käme ums Leben und würde ihm die Schmach einer Meldung ersparen. Aber Lorin Remka hatte stur überlebt und sich ebenso gut wie die Männer ihrer Einheit geschlagen – und manchmal sogar noch besser.
Sie fand eine ungeheure Genugtuung im Töten ihrer Feinde. Mehr als einmal rieb sie sich nach dem Sieg über einen Ork dessen rötlichschwarzes Blut in ihr Gesicht, um ihren Triumph zu demonstrieren. Die Männer waren ihr stets aus dem Weg gegangen.
In diesen Friedenszeiten bereitete es Major Remka fast ebenso großes Vergnügen die verwahrlosten Gestalten herumzukommandieren, die einst ihre verhassten Feinde gewesen waren. Dieses Vergnügen schwand jedoch zusehends, seit die Bastarde sich kaum mehr wehrten. Spät am Abend, wenn sie mit ihren Männern Karten spielte und ein Bier trank – manchmal auch mehr –, unterhielten sie sich oft darüber, weshalb die Orks wie Lämmer geworden waren und sich längst nicht mehr wie unzähmbare Ungeheuer verhielten.
Die größte Genugtuung zog sie aus der Tatsache, dass es ihr gelungen war, aus den ehemals furchteinflößenden Mördern gehorsame und arbeitsame Diener zu machen. Sie hatte bemerkt, dass die mit den merkwürdig roten Augen am Harmlosesten waren. Sie schienen sich nach Anleitung und Lob zu sehnen, sogar, wenn die Befehle von Major Remka kamen. Ein Ork-Weib ließ ihr gerade in ihrem Quartier ein Bad ein.
»Achte darauf, dass es heiß ist, Greekik«, rief sie. »Und vergiss dieses Mal die Kräuter nicht.«
»Ja, Herrin«, antwortete die Frau mit unterwürfigem Tonfall. Nur kurze Zeit später roch Remka den klaren Duft der getrockneten Kräuter und Blumen. Seit sie sich hier aufhielt, hatte sie den Eindruck immerfort zu stinken. Aus ihrer Kleidung wurde sie den Gestank nicht los, aber zumindest konnte sie ihren Körper in dem dampfenden, parfümierten Wasser aufweichen und den Geruch von ihrer Haut und aus dem langen schwarzen Haar schrubben.
Remka trug Männerkleidung, die wesentlich praktischer als die der Frauen war. Nach den langen Jahren auf dem Schlachtfeld war sie daran gewöhnt, sich selbst anzukleiden und zog es sogar vor. Jetzt zog sie ihre Stiefel mit einem Seufzer aus. Sie stellte sie ordentlich zur Seite, damit Greekik sie später polieren konnte, als jemand hektisch an ihre Tür klopfte.
»Das sollte besser wichtig sein«, sagte sie und öffnete die Tür. »Was ist los, Waryk?«
»Wir haben gestern einen Ork gefasst …«, begann er.
»Ja, mir wurde davon berichtet. Aber das Wasser in meiner Wanne wird kalt, während wir uns unterhalten und …«
»Er kam mir gleich so bekannt vor«, unterbrach er sie.
»Beim Licht, Waryk, sie sehen alle gleich aus!«
»Nein. Dieser sah anders aus. Und ich weiß jetzt auch, warum.« Er trat zur Seite, und eine große einschüchternde Gestalt füllte den Türrahmen aus. Major Remka stand sofort stramm und wünschte verzweifelt, sie hätte ihre Stiefel noch nicht ausgezogen.
»Generalleutnant Blackmoore«, sagte sie. »Wie können wir Euch dienen?«
»Wie, Major Remka?« Aedelas Blackmoores weiße Zähne schimmerten durch den sorgfältig gestutzten Bart. »Nun, ich glaube, man hat endlich meinen vermissten Haus-Ork gefunden.«
Thrall hörte fasziniert zu, während der rotäugige Ork mit leiser Stimme Geschichten von Ehre und Stärke erzählte. Er berichtete von Angriffen gegen weit überlegene Gegner, von heroischen Taten und von Menschen, die von der grünen Flut vereinter Orks hinweggespült wurden. Melancholisch schwelgte er auch in den Schilderungen eines spirituellen Volks, von dem Thrall noch nie etwas gehört hatte.
»Oh ja«, sagte Kelgar traurig. »Einst, bevor wir die stolze kampfhungrige Horde wurden, bestanden wir aus einzelnen Clans. Und in diesen Clans gab es welche, die die Magie von Wind und Wasser, von Wasser und Land, von all den wilden Geistern kannten und in Harmonie mit diesen Mächten lebten. Wir nannten sie ›Schamanen‹, und bis zur Entstehung der Hexer waren ihre Fähigkeiten alles, was wir über Macht wussten.«
Das Wort schien Kelgar zu verärgern. Er spie es förmlich aus und fauchte mit einem ersten erkennbaren Anzeichen von Leidenschaft. »Macht! Nährt sie unser Volk, erzieht sie unsere Kinder? Unsere Anführer behielten sie für sich und gaben nur ein paar Tropfen davon an uns andere weiter. Sie taten … etwas, Thrall. Ich weiß nicht, was. Aber nachdem wir geschlagen waren, floss der Wille zum Kampf aus uns heraus wie Blut aus einer offenen Wunde.« Er senkte den Kopf, legte die Arme auf die Knie und schloss seine roten Augen.
»Habt ihr alle den Kampfeswillen verloren?«, fragte Thrall.
»Alle, die hier sind. Wer kämpfte, wurde nicht gefasst, und wenn man sie doch einfing, wurden sie getötet, weil sie sich wehrten.« Kelgar hielt seine Augen geschlossen.
Thrall respektierte, dass der andere Ork schweigen wollte. Enttäuschung erfüllte ihn. Kelgars Geschichte klang wahr, und wenn Thrall Beweise dafür wollte, brauchte er sich nur umzusehen. Was war nur Merkwürdiges geschehen? Wie konnte ein ganzes Volk so verändert werden, dass es geschlagen endete, schon bevor man seine Angehörigen fasste und in dieses Höllenloch einsperrte?
»Aber der Wille zum Kampf ist in dir noch stark, Thrall, auch wenn dein Name das Gegenteil vermuten ließe.« Seine Augen waren wieder geöffnet und schienen Thrall verbrennen zu wollen. »Vielleicht blieb dir dies erspart, weil du bei Menschen aufgewachsen bist. Es gibt da draußen noch andere wie dich. Die Mauern sind so niedrig, dass du sie erklimmen kannst, wenn du das willst.«
»Ich will es«, sagte Thrall sofort. »Sag mir, wo ich andere wie mich finden kann.«
»Der einzige, über den ich hie und da höre, ist Grom Hellscream«, sagte Kelgar. »Er ist noch immer ungeschlagen. Sein Volk, der Warsong-Clan, kam aus dem Westen dieses Landes. Mehr kann ich dir nicht sagen. Grom hat Augen wie ich, dennoch widerstand sein Geist.« Kelgar senkte den Kopf. »Wenn ich nur auch so stark gewesen wäre.«
»Du kannst so stark sein«, sagte Thrall. »Komm mit mir, Kelgar. Ich bin jung, ich kann dich leicht über die Mauer heben, wenn …«
Kelgar schüttelte den Kopf. »Es ist nicht die Stärke, die vergangen ist, Thrall. Ich könnte die Wachen in einem Atemzug töten. Jeder hier könnte das. Es ist der Wille. Ich möchte die Mauern nicht erklimmen, ich möchte hier bleiben. Ich kann es nicht erklären, und ich schäme mich, aber es ist so. Du musst für uns alle das Feuer und die Leidenschaft aufbringen.«
Thrall nickte zustimmend, obwohl er es nicht verstand. Wer wollte nicht frei sein? Wer wollte nicht kämpfen, um all das zu gewinnen, was verloren war, um die eigensüchtigen Menschen für das zu bestrafen, was sie den Orks angetan hatten? Aber trotzdem war es klar: Von allen seiner Art hier war er der Einzige, der die Rebellion noch wagen würde.
Er wollte bis zur Nacht warten. Kelgar hatte gesagt, es gäbe nur wenige Wachen, die sich zudem häufig bis zur völligen Besinnungslosigkeit betranken. Wenn Thrall also weiterhin vorgab, wie die anderen zu sein, würde sich bald eine Gelegenheit ergeben.
In diesem Moment näherte sich ihnen ein weiblicher Ork. Sie bewegte sich zielgerichtet, was man nur selten hier sah, und Thrall erhob sich, als klar wurde, dass sie zu ihm wollte.
»Bist du der gerade erst gefangene Ork?«, fragte sie in der Menschensprache.
Thrall nickte. »Mein Name ist Thrall.«
»Dann, Thrall, solltest du besser wissen, dass der Kommandant der Lager dich hier sucht.«
»Wie ist sein Name?« Thrall spürte Taubheit in sich aufsteigen. Er befürchtete das Schlimmste.
»Ich weiß es nicht, aber er trägt die Farben Rot und Gold mit einem schwarzen Falken auf …«
»Blackmoore!«, zischte Thrall. »Ich hätte wissen müssen, dass er mich findet!«
Ein schepperndes Geräusch ertönte, und alle Orks drehten sich zum höchsten Turm hin. »Wir sollen uns aufstellen«, sagte die Frau, »obwohl wir um diese Zeit sonst nie gezählt werden.«
»Sie wollen dich, Thrall«, sagte Kelgar. »Aber sie werden dich nicht finden. Du musst jetzt gehen. Die Wachen werden durch die Angst vor dem Kommandanten abgelenkt sein. Ich werde sie noch darüber hinaus etwas ablenken. Der Bereich am Ende des Lagers wird am schwächsten bewacht. Wir folgen alle dem Klang der Glocke wie das Vieh, das wir sind«, sagte er, und der Hass auf sich selbst war deutlich in seiner Stimme und seiner Mimik zu lesen. »Geh jetzt.«
Thrall benötigte keine weitere Aufforderung. Er drehte sich um und bahnte sich seinen Weg durch die Orks, die in die entgegengesetzte Richtung gingen. Als er sich mühsam an ihnen vorbeiquetschte, hörte er plötzlich einen schmerzerfüllten Schrei. Die Frau stieß ihn aus. Er wagte nicht, stehen zu bleiben und zurückzublicken, aber als er Kelgar brutal klingende Worte auf Orkisch brüllen hörte, verstand er. Kelgar war es wohl irgendwie gelungen, in seinem tiefsten Inneren einen Schatten seines alten Kampfgeists zu finden und zu mobilisieren. Er hatte begonnen gegen das Ork-Weib zu kämpfen. Die Reaktionen der Wachen ließen darauf schließen, dass das sehr ungewöhnlich war. Sie stiegen herab, um die streitenden Orks voneinander zu trennen. Thrall sah sie zur Quelle des Lärms eilen.
Sie würden Kelgar und die unschuldige Frau brutal schlagen, fürchtete Thrall. Er bedauerte es zutiefst. Aber, so tröstete er sich, durch ihre Taten bin ich frei und kann vielleicht dafür sorgen, dass kein Mensch jemals wieder einen Ork schlägt.
Da er in einer streng bewachten Zelle aufgewachsen war, wo keine seiner Bewegungen verborgen blieb, konnte er es kaum fassen, wie leicht es war, über die Mauer zu steigen und in die Freiheit zu entkommen.
Vor ihm lag ein dichter Wald. Er rannte schneller, als er jemals gerannt war, denn er wusste, dass jede Minute, die er auf freiem Feld zubrachte, gefährlich war. Aber niemand brüllte einen Alarm, und niemand verfolgte ihn.
Er lief mehrere Stunden lang, schlug Haken und tat auch sonst alles, um den späteren Suchmannschaften seine Verfolgung so schwer wie möglich zu machen. Schließlich wurde er langsamer und schnappte nach Luft. Er kletterte einen mächtigen Baum hinauf, und als er seinen Kopf durch das Gezweig und Blattwerk hindurchschob, sah er zunächst nichts außer einer Fläche aus grünem Laub.
Blinzelnd fand er die Sonne, die ihre spätnachmittägliche Reise zum Horizont begonnen hatte. Der Westen – Kelgar hatte gesagt, dass Grom Hellscreams Clan aus dem Westen gekommen sei.
Thrall würde diesen Hellscream finden und zusammen mit ihm ihre eingekerkerten Brüder und Schwestern befreien.
Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen schritt Lagerkommandant Aedelas Blackmoore langsam die Reihe der Orks entlang. Alle zuckten vor ihm zurück und starrten auf ihre schlammverkrusteten Füße. Blackmoore gestand sich ein, dass sie unterhaltsamer gewesen wären, wenn sie noch ein wenig Kampfgeist besessen hätten.
Der Gestank ließ ihn das Gesicht verziehen, und er hielt sich ein parfümiertes Taschentuch unter die Nase. Major Remka folgte ihm und erwartete seinen Befehl wie ein Hund. Er hatte Gutes über sie gehört; angeblich war sie effizienter als die meisten Männer.
Aber wenn sie seinen Thrall tatsächlich unter ihrer Kontrolle gehabt hatte und er ihr daraus entkommen sein sollte, würde er keine Gnade kennen.
»Wo ist also der, den du für Thrall hältst?«, wandte er sich an den Wachmann namens Waryk. Der junge Mann bewies mehr Rückgrat als seine Vorgesetzte, aber auch in seinen Augen war ein erster Anflug von Panik zu erkennen.
»Ich habe ihn bei den Gladiatorenkämpfen gesehen, und blaue Augen sind so überaus selten …«, setzte Waryk stotternd zu einer Antwort an.
»Siehst du ihn hier?«
»N-nein, Generalleutnant, ich sehe ihn nicht.«
»Dann war es vielleicht gar nicht Thrall.«
»Wir haben einige Dinge gefunden, die er gestohlen hat«, sagte Waryk plötzlich. Er schnippte mit den Fingern, und einer seiner Männer lief los und kehrte Minuten später mit einem großen Sack zurück.
»Erkennt Ihr das?« Er reichte Blackmoore einen einfachen Dolch und hielt ihn dabei mit dem Griff nach vorne, wie es der Anstand verlangte.
Blackmoore hielt den Atem an. Er hatte sich schon gefragt, wohin er diesen Dolch verlegt haben mochte. Er war nicht wertvoll, aber sein Verschwinden war ihm aufgefallen … Mit dem behandschuhten Daumen strich er über sein Wappen, den schwarzen Falken.
»Er gehört mir. Noch etwas?«
»Einige Papiere … Major Remka hatte noch keine Zeit, sie sich anzusehen, aber …« Waryk sprach nicht weiter, aber Blackmoore verstand. Der Idiot konnte nicht lesen. Was für Papiere sollte Thrall bei sich geführt haben? Seiten aus einem seiner Bücher vermutlich. Blackmoore nahm den Sack und wühlte darin. Schließlich zog er ein Blatt hervor und hielt es ins Licht.
… wünschte ich könnte selbst mit dir sprechen, anstatt dir nur diese Briefe zu senden. Ich sehe dich im Ring, und mein Herz bricht, wenn ich sehe, was sie dir …
Briefe! Wer schickte …? Bebend griff er nach einem anderen Papier.
… schwerer und schwerer, die Zeit zum Schreiben zu finden. Unser Herr verlangt so viel von uns beiden. Ich habe gehört, dass er dich geschlagen hat. Das tut mir so Leid, mein lieber Freund. Du verdienst nicht …
Taretha.
Ein Schmerz, größer als jeder, den er bisher gekannt hatte, griff nach seinem Herz. Er zog weitere Briefe hervor … beim Licht, es mussten Dutzende sein … vielleicht Hunderte. Wie lange hatten sich beide gegen ihn schon verschworen? Aus irgendeinem Grund brannten ihm die Augen, und das Atmen fiel ihm schwer. Tari … Tari, wie konntest du? Ich habe dir immer alles gegeben …
»Mylord?« Remkas besorgte Stimme riss Blackmoore aus seinem so schmerzlichen Schock. Er atmete tief ein und blinzelte die verräterischen Tränen hinfort. »Geht es Euch gut?«
»Nein, Major Remka.« Seine Stimme war so kühl und gefasst wie immer, wofür er dankbar war. »Es geht mir nicht gut. Sie hatten meinen Ork Thrall, einen der besten Gladiatoren, die je in den Ring gestiegen sind. Über die Jahre habe ich viel Geld mit ihm verdient und wollte noch viel mehr mit ihm gewinnen. Es gibt keinen Zweifel, dass er von Ihrem Wachmann gefangen wurde. Und doch erblicke ich ihn nirgends in dieser Reihe.«
Es gefiel ihm zu sehen, wie die Farbe aus ihrem Gesicht wich. »Vielleicht versteckt er sich im Lager«, bot sie ihm eine Erklärung an.
»Vielleicht«, erwiderte Blackmoore und formte mit seinen Lippen die Karikatur eines Lächelns. »Das sollten wir für Ihr weiteres Wohlbefinden hoffen, Major Remka. Durchsuchen Sie das Lager! Jetzt!«
Eilig kam sie seinem Befehl nach und schrie Kommandos. Thrall wäre nie so dumm gewesen, sich in die Reihe zu stellen – wie ein Hund, der auf einen Pfiff reagiert. Deshalb war er tatsächlich möglicherweise noch hier, auch wenn Blackmoore irgendwie spürte, dass er fort war. Er war bereits ganz woanders und tat …? Was? Welchen Plan hatten er und diese Hure Taretha ausgebrütet?
Es zeigte sich, dass Blackmoores Ahnung den Tatsachen entsprach. Auch eine ausführliche Suche ergab nichts. Keiner der Orks – verflucht sollten sie sein – gab zu, Thrall gesehen zu haben. Blackmoore degradierte Remka, setzte Waryk auf ihren Posten und ritt langsam nach Hause. Langston traf ihn auf halbem Weg und sprach mit ihm, doch selbst sein fröhliches hirnloses Gerede konnte Blackmoore nicht aufheitern. In einer einzigen Feuernacht hatte er die beiden Dinge verloren, die ihm am Wertvollsten waren: Thrall und Taretha.
Er stieg die Treppe zu seinem Quartier empor, öffnete leise die Tür und betrat sein Schlafzimmer. Licht fiel auf das Gesicht der Schlafenden. Vorsichtig, um Taretha nicht zu wecken, setzte er sich auf das Bett. Er zog seine Handschuhe aus und berührte ihre zarte Wange. Sie war so schön. Ihre Berührungen hatten ihn stets erregt, ihr Lachen bewegt. Aber nun nicht mehr.
»Schlaf gut, schöne Verräterin«, flüsterte er. Er beugte sich vor, küsste sie und unterdrückte den brutalen Schmerz in seinem Herzen. »Schlaf gut, bis ich dich brauche.«