Sogar den Tieren war kalt in einer solchen Nacht, dachte Durotan. Abwesend berührte er seinen wölfischen Begleiter und kraulte Sharptooth hinter einem der weißen Ohren. Das Tier war zufrieden und schmiegte sich an ihn. Gemeinsam starrten der Wolf und der Ork-Häuptling auf den lautlos fallenden Schnee, der von dem schroffen Halbkreis des Eingangs zu Durotans Höhle umrahmt wurde.
Einst hatte Durotan, der Führer des Eiswolf-Clans in einem angenehmeren Klima gelebt. Er hatte seine Axt im Sonnenlicht geschwungen und die Augen zusammenkneifen müssen, wenn das Licht sich im Metall brach und ihm rotes Menschenblut entgegenspritzte. Einst hatte er sich mit seinem gesamten Volk verbunden gefühlt, nicht nur mit seinem Clan. Seite an Seite hatten sie gestanden, eine grüne Welle des Todes, die über die Hügel hinwegschwappte und die Menschen verschlang. Sie hatten gemeinsam an den Feuern gegessen, dunkel und schallend gelacht und sich Geschichten über blutige Eroberungen erzählt, während ihre Kinder neben der ersterbenden Glut dösten und von den Massakern träumten.
Aber nun fror die Handvoll Orks, aus denen der Eiswolf-Clan noch bestand, allein in ihrem Exil in den Alterac-Bergen dieser fremden Welt. Ihre einzigen Freunde waren die großen weißen Wölfe. Sie unterschieden sich stark von den riesigen schwarzen Wölfen, die Durotans Volk einst geritten hatte, aber ein Wolf war ein Wolf, unabhängig von der Farbe seines Fells. Mit entschlossener Geduld und Drek’Thars Kräften hatten sie die Tiere auf ihre Seite gebracht. Jetzt jagten Ork und Wolf gemeinsam und hielten sich in den langen schneereichen Nächten gegenseitig warm.
Durotan drehte sich um, als ein leiser schluchzender Laut aus dem Inneren der Höhle ertönte. Sein hartes, ausgezehrtes Gesicht, in das die Jahre der Sorge und des Zorns tiefe Linien gegraben hatten, wurde beim Klang dieses Geräusches weicher. Sein kleiner Sohn, der noch bis zum erklärten Namenstag dieses Zyklus ohne Namen war, hatte geweint, während er gefüttert wurde.
Durotan überließ Sharptooth der Betrachtung des Schnees, stand auf und ging zurück in die innere Kammer. Draka hatte eine Brust entblößt, damit das Kind daran saugen konnte, und den Säugling gerade davon entfernt. Deshalb hatte er wohl auch angefangen zu weinen. Während Durotan zusah, streckte Draka ihren Zeigefinger aus. Einen schwarzen Nagel, den sie so scharf wie eine Rasierklinge gefeilt hatte, stieß sie tief in den Nippel, bevor sie den kleinen Kopf des Säuglings wieder an ihre Brust ließ. Auf ihrem schönen Gesicht mit dem starken Kinn gab es kein Anzeichen von Schmerz. Nun nahm das Kind nicht nur die nahrhafte Muttermilch beim Saugen auf, sondern auch das Blut seiner Mutter. Dies war die rechte Nahrung für einen aufstrebenden jungen Krieger, für den Sohn von Durotan und den nächsten Häuptling des Eiswolf-Clans.
Sein Herz war erfüllt mit Liebe für seine Gefährtin – eine Kriegerin, die ihm an Mut und List in nichts nachstand – und für den wundervollen, perfekten Sohn, den sie ihm geboren hatte.
Erst dann breitete sich das Wissen, was er zu tun hatte, wie eine Decke über seine Schultern. Er setzte sich und seufzte schwer.
Draka sah zu ihm auf, und ihre braunen Augen verengten sich. Sie kannte ihn nur zu gut. Er wollte ihr nichts von seiner plötzlichen Entscheidung erzählen, auch wenn er in seinem Herzen wusste, dass sie richtig war. Und doch musste er es tun.
»Wir haben jetzt ein Kind«, sagte Durotan. Seine Stimme drang dunkel aus der breiten Brust.
»Ja«, antwortete Draka voller Stolz. »Ein guter, starker Sohn, der den Eiswolf-Clan führen wird, wenn sein Vater glorreich in der Schlacht gefallen ist. Dereinst, in vielen Jahren«, fügte sie hinzu.
»Ich trage die Verantwortung für seine Zukunft«, fuhr Durotan fort.
Er hatte jetzt Drakas volle Aufmerksamkeit. In diesem Moment wirkte sie außergewöhnlich schön, und er versuchte ihren Anblick in seinen Geist einzubrennen. Der Feuerschein spiegelte sich in ihrer grünen Haut, betonte das Spiel ihrer mächtigen Muskeln und ließ ihre Stoßzähne glänzen. Sie unterbrach ihn nicht, sondern wartete darauf, dass er fortfuhr.
»Hätte ich mich nicht gegen Gul’dan gewandt, würde unser Sohn mit mehr Spielkameraden aufwachsen«, fuhr Durotan fort. »Hätte ich mich nicht gegen Gul’dan gewandt, wären wir auch weiterhin geschätzte Mitglieder der Horde.«
Draka zischte, öffnete ihre kräftigen Kiefer und zeigte ihrem Gefährten die Zähne, um ihr Missfallen auszudrücken. »Dann wärest du nicht der Gefährte, mit dem ich mich verbunden habe«, sagte sie. Der Säugling löste sich erschrocken von der nährenden Brust, hob den Kopf und blickte in das Gesicht seiner Mutter. Weiße Milch und rotes Blut tropften über sein bereits vorstehendes Kinn. »Durotan vom Eiswolf-Clan würde niemals stumm bleiben und einfach nur zusehen, wie unser Volk zur Schlachtbank geführt wird, so wie die Schafe der Menschen. Nach allem, was du erfahren hattest, musstest du dich erheben, mein Gefährte. Hättest du das nicht getan, wärest du nicht der Häuptling, der du sein solltest.«
Durotan stimmte ihren wahren Worten mit einem Kopfnicken zu. »Zu wissen, dass Gul’dan unser Volk niemals liebte, dass es für ihn nur ein Weg war, um seine eigene Macht zu mehren …«
Er brach ab und erinnerte sich an den Schock, den Schrecken und die Wut, die ihn übermannt hatte, als er vom Schattenrat und Gul’dans Verrat erfahren hatte. Er hatte versucht, die anderen von der Gefahr zu überzeugen, in der sie alle schwebten. Man hatte sie wie Spielfiguren benutzt, um die Draenei zu vernichten, und allmählich gewann Durotan die Überzeugung, dass dieses Volk die Ausrottung nicht verdient hatte. Und auch die zweite Reise durch das Dunkle Portal, das sie zu einer nichtsahnenden Welt brachte, war nicht die Entscheidung der Orks gewesen, sondern die des Schattenrats. Alles für Gul’dan, alles für Gul’dan und dessen Machtgier … Wie viele Orks waren gefallen, weil sie für etwas so Leeres gekämpft hatten?
Er suchte nach Worten, um seine Entscheidung gegenüber seiner Gefährtin auszudrücken. »Ich sprach gegen ihn, und man verbannte uns ins Exil. Alle, die mir folgten. Das ist eine große Schande.«
»Nur Gul’dans Schande«, erwiderte Draka fest. Der Säugling hatte seine plötzliche Angst vergessen und trank wieder. »Dein Volk ist lebendig und frei, Durotan. Dies ist ein harter Ort, aber wir haben die Eiswölfe als Gefährten gefunden. Selbst im tiefsten Winter haben wir ausreichend Frischfleisch. Wie halten die alten Traditionen so gut wie möglich am Leben, und die Geschichten an den Feuern sind Teil des Erbes, das wir an unsere Kinder weitergeben.«
»Sie verdienen mehr«, sagte Durotan. Mit dem scharfen Nagel seines Fingers zeigte er auf seinen Sohn. »Er verdient mehr. Unsere in die Irre geleiteten Brüder verdienen mehr. Und ich werde es ihnen geben.«
Er richtete sich zu seiner vollen imponierenden Größe auf. Sein gewaltiger Schatten fiel über Frau und Kind. Drakas erschütterter Gesichtsausdruck verriet ihm, dass sie bereits wusste, was er sagen wollte, aber die Worte mussten trotzdem ausgesprochen werden. Nur so wurden sie wirklich und wahr … wurden zu einem Schwur, der nicht gebrochen werden durfte.
»Es gab einige, die auf mich hörten, auch wenn sie immer noch zweifelten. Ich werde zurückkehren und diese wenigen Häuptlinge suchen. Ich werde sie von der Wahrheit meiner Behauptungen überzeugen, und sie werden ihr Volk in den Kampf führen. Wir werden nicht länger die Sklaven Gul’dans sein. Wir werden nicht verloren sein oder vergessen werden in Schlachten, die nur ihm dienen. Dies schwöre ich – ich, Durotan, Häuptling des Eiswolf-Clans!«
Er legte den Kopf zurück und öffnete seinen Mund, der voller Zähne war, beinahe unmöglich weit. Dabei rollte er mit den Augen und stieß einen lauten, tiefen und wutentbrannten Schrei aus.
Das Baby begann zu weinen, und selbst Draka zuckte zusammen. Es war der Schrei des Schwurs, und er wusste, dass trotz des tiefen Schnees, der der Schall dämpfte, jeder seines Clans ihn in dieser Nacht hören würde. Schon bald würden sie sich vor seiner Höhle versammeln, um den Grund für den Schrei zu erfahren, und dann würden sie selbst schreien.
»Du wirst nicht allein gehen, mein Gefährte«, sagte Draka. Ihre leise Stimme stand in scharfem Gegensatz zu dem ohrenbetäubenden Lärm von Durotans Schrei des Schwurs. »Wir werden mit dir kommen.«
»Ich verbiete es.«
Mit einer Geschwindigkeit, die selbst Durotan überraschte, sprang Draka auf. Das weinende Kind rutschte von ihrem Schoß, als sie ihre Fäuste ballte und wild schüttelte. Nur einen Herzschlag später blinzelte Durotan, als ihn ein Schmerz durchfuhr und Blut über sein Gesicht lief. Sie hatte die Länge der Höhle überwunden und mit ihren Nägeln seine Wange aufgerissen.
»Ich bin Draka, Tochter von Kelkar, Sohn von Rhakish! Niemand verbietet mir, meinem Gefährten zu folgen, noch nicht einmal Durotan selbst. Ich komme mit dir. Ich bleibe bei dir. Ich werde sterben, wenn es sein muss. Pah!« Sie spuckte ihn an.
Als er die Mischung aus Blut und Spucke aus seinem Gesicht wischte, quoll sein Herz fast über vor Liebe für dieses Weib. Er hatte richtig gehandelt, als er sie zur Gefährtin und Mutter seiner Söhne wählte. Hatte es in der gesamten Ork-Geschichte jemals einen so glücklichen Mann wie ihn gegeben? Er konnte es sich nicht vorstellen.
Obwohl Orgrim Doomhammer und sein Clan im Exil gelandet wären, hätte Gul’dan davon erfahren, hieß der große Kriegsherr Durotan und dessen Familie in seinem Feldlager willkommen. Den Wolf betrachtete er jedoch mit Misstrauen. Ebenso wie der Wolf ihn. Niedere Orks wurden aus dem provisorischen Zelt gescheucht, das Doomhammer als Behausung diente, danach durften Durotan und Draka mit ihrem noch namenlosen Kind eintreten.
Die Nacht erschien Doomhammer selbst ein wenig kühl, und so reagierte er amüsiert, als seine geehrten Gäste einen Großteil ihrer Kleidung auszogen und sich über die Hitze beschwerten. Eiswölfe, so dachte er, waren solch »warme Temperaturen« offenbar nicht gewöhnt.
Draußen hielt sich seine persönliche Wache bereit. Durch die Öffnung in der Zeltplane, die als Tür diente, beobachtete Doomhammer, wie die Besucher drinnen um das Feuer hockten und riesige grüne Hände nach den tanzenden Flammen ausstreckten. Abgesehen vom blinkenden Licht der Sterne war die Nacht dunkel. Durotan hatte sich einen guten Zeitpunkt für seinen heimlichen Besuch ausgesucht. Es war unwahrscheinlich, dass er, Frau und Kind bemerkt und als diejenigen erkannt worden waren, die sie wirklich waren.
»Es tut mir Leid, dass ich deinen Clan in Gefahr bringe«, waren Durotans erste Worte.
Doomhammer winkte ab. »Wenn der Tod zu uns kommen soll, werden wir ihn ehrenvoll empfangen.«
Er bat sie sich zu setzen und reichte seinem alten Freund mit eigener Hand die tropfende Keule eines frisch geschlachteten Tiers. Sie war noch warm. Durotan nickte dankbar, biss in das saftige Fleisch und riss ein großes Stück heraus. Draka tat das Gleiche und streckte dann ihre blutigen Finger dem Baby entgegen. Das Kind saugte die klebrige Flüssigkeit gierig in sich auf.
»Ein guter starker Junge«, sagte Doomhammer.
Durotan nickte. »Er wird ein guter Anführer meines Clans werden. Doch wir sind nicht den langen Weg gekommen, damit du meinen Sohn bewundern kannst.«
»Vor vielen Jahren hast du manches nicht so offen ausgesprochen«, sagte Doomhammer.
»Ich wollte meinen Clan schützen, und ich war nicht sicher, ob meine Verdächtigungen stimmten – bis Gul’dan das Exil befahl«, erklärte Durotan. »Seine schnelle Bestrafung machte deutlich, dass ich Recht hatte. Hör zu, alter Freund, und fälle dann dein eigenes Urteil.«
Leise, damit die Wachen, die nur wenige Meter entfernt am Feuer saßen, sie nicht belauschen konnten, begann Durotan zu sprechen. Er erzählte Doomhammer alles, was er wusste – vom Handel mit dem Dämonenlord … von der obszönen Quelle von Gul’dans Macht … vom Verrat der Clans durch den Schattenrat … und dem ehrlosen Sterben der Orks, die man dämonischen Streitkräften als Köder vorwerfen würde.
Doomhammer hörte mit unbewegtem Gesicht zu. Doch in seiner breiten Brust hämmerte sein Herz so stark wie sein berühmter Kriegshammer auf menschliches Fleisch einzuschlagen pflegte.
Konnte es wahr sein? Es klang wie die Geschichte eines von der Schlacht verwirrten Narrs. Dämonen, dunkle Pakte … und doch war es Durotan, der sie erzählte. Durotan, der einer der weisesten, härtesten und edelsten Häuptlinge war. Aus jedem anderen Mund hätte Doomhammer die Geschichte für eine Lüge oder für puren Blödsinn gehalten. Aber Durotan war für seine Worte ins Exil gegangen, und das verlieh ihnen Gewicht. Außerdem hatte Doomhammer dem anderen Häuptling schon oft sein Leben anvertraut. Es gab nur eine Schlussfolgerung: Durotan sagte die Wahrheit.
Als sein alter Freund seine Rede beendet hatte, griff Doomhammer nach dem Fleisch und biss hinein. Er kaute langsam, während sich seine Gedanken jagten und er versuchte, all das, was gesagt worden war, auch zu verstehen. Schließlich schluckte er den Bissen hinunter und sprach.
»Ich glaube dir, alter Freund. Und lass mich dir versichern, dass ich Gul’dans Pläne für unser Volk nicht billige. Wir werden uns mit dir gemeinsam gegen die Dunkelheit stellen.«
Offensichtlich gerührt streckte Durotan seine Hand aus. Doomhammer ergriff sie.
»Du kannst nicht lange in diesen Lager bleiben, auch wenn es eine Ehre für mich wäre«, sagte Doomhammer im Aufstehen. »Eine meiner persönlichen Wachen wird dich an einen sicheren Ort bringen. Es gibt dort einen Bach und viel Wild in den Wäldern zu dieser Jahreszeit. Du wirst also nicht hungern. Ich werde für dich tun, was ich kann, und wenn die Zeit gekommen ist, werden du und ich Seite an Seite stehen und den Großen Verräter Gul’dan gemeinsam vernichten.« Die Wache sagte nichts, während sie sie aus dem Lager und einige Meilen tief in die umliegenden Wälder führte. Die Lichtung, zu der er sie brachte, lag tatsächlich abgelegen und war begrünt. Durotan konnte das Plätschern des Wassers hören. Er wandte sich an Draka.
»Ich wusste, dass wir meinem alten Freund trauen können«, sagte er. »Es wird nicht lange dauern, bis …«
Und dann erstarrte Durotan. Er hatte ein anderes Geräusch über das Plätschern des nahegelegenen Baches gehört – das Knacken eines Astes unter einem schweren Fuß …
Er brüllte seinen Kriegsschrei und griff nach seiner Axt. Doch noch bevor er den Griff umfassen konnte, waren die Angreifer auch schon über ihm. Durotan hörte Drakas schrillen Wutschrei, hatte aber keine Zeit, ihr zu helfen.
Aus den Augenwinkeln sah er, wie Sharptooth einen der Angreifer ansprang und zu Fall brachte.
Sie hatten sich ohne Stolz herangeschlichen, ohne Ehre, die für einen Ork so wichtig war. Es waren Attentäter, die Niedrigsten der Niederen, Gewürm, Ungeziefer! Allerdings waren diese Würmer überall, und während ihre Münder in unnatürlichem Schweigen verschlossen blieben, sprachen ihre Waffen mit machtvoller Zunge.
Eine Axt grub sich tief in Durotans linken Oberschenkel und ließ ihn stürzen. Warmes Blut lief an seinem Bein entlang, als er sich drehte und die bloßen Hände verzweifelt ausstreckte, um seinen Gegner zu erwürgen. Er blickte in ein Gesicht, das verstörend in seiner Emotionslosigkeit war und keine gute, keine ehrlich empfundene Ork-Wut widerspiegelte. Sein Angreifer hob erneut die Axt. Mit letzter Kraft schlossen sich Durotans Hände um die Kehle des Orks. Nun zeigte der Wurm doch noch Gefühle. In seiner Not ließ er die Axt fallen und versuchte Durotans dicke, starke Finger von seinem Hals zu lösen.
Ein kurzes scharfes Aufheulen – dann jähe Stille. Sharptooth war gefallen. Durotan erkannte es, ohne hinzusehen. Und noch immer hörte er, wie seine Gefährtin dem Ork, der sie – das war klar – töten würde, Obszönitäten entgegenschleuderte.
Schließlich ein Laut, der die Luft zerteilte und ihn vor Furcht erzittern ließ: der Angstschrei seines kleinen Sohnes.
Sie werden meinen Sohn nicht töten! Der Gedanke gab Durotan neue Kraft. Obwohl sein Blut aus der durchtrennten Arterie seines Beines sprudelte, sprang er mit einem Schrei auf und begrub seinen Gegner unter seinem massigen Körper. Der Angreifer wand sich in Panik. Durotan drückte mit beiden Händen zu und spürte zufrieden, wie das Genick unter seinen Händen brach.
»Nein!« Die Stimme gehörte der verräterischen. Wache, dem Ork, der ihn betrogen hatte. Sie war hoch und klang irgendwie menschlich in ihrer Angst. »Nein, ich gehöre zu dir, sie sind das Zie …«
Durotan sah in dem Moment auf, als einer der riesigen Attentäter seine Klinge, die fast größer als er selbst war, in einem präzisen Bogen schwang. Doomhammers persönliche Wache hatte keine Chance. Das Schwert durchtrennte sauber den Hals des Verräters und als der abgeschlagene blutige Kopf an ihm vorbeiflog, konnte Durotan immer noch den Schock und die Verblüffung auf dem Gesicht des Toten erkennen.
Er wandte sich ab, um seiner Gefährtin beizustehen, kam jedoch zu spät. Durotan brüllte vor Wut und Trauer, als er Drakas reglosen, beinahe in Stücke geschlagenen Körper entdeckte, der in einer größer werdenden Blutlache auf dem Waldboden lag. Ihr Mörder stand über ihr und wandte seine Aufmerksamkeit Durotan zu.
In einem fairen Kampf wäre Durotan ein würdiger Gegner für einen der drei gewesen. Doch er war schwer verwundet und besaß keine Waffe mehr außer seinen Händen. Er wusste, dass er sterben würde. Er versuchte gar nicht erst, sich zu verteidigen, sondern griff instinktiv nach dem kleinen Bündel, in dem sich sein Kind verbarg …
… und starrte verwirrt auf die Blutfontäne, die aus seiner Schulter sprühte. Seine Reflexe waren durch den Blutverlust verlangsamt, und bevor er reagieren konnte, lag sein rechter Arm bereits zuckend neben dem linken auf dem Boden. Die Würmer ließen nicht zu, dass er seinen Sohn noch einmal an sich schmiegte.
Das verletzte Bein stützte ihn nicht länger. Durotan kippte nach vorne. Sein Gesicht war nur Zentimeter von dem seines Sohns entfernt. Das Herz des mächtigen Kriegers brach, als er den Ausdruck darauf sah, den Ausdruck völliger Verwirrung und Panik.
»Nimm … das Kind«, krächzte er und war überrascht, dass er noch sprechen konnte.
Der Angreifer beugte sich vor, sodass Durotan ihn sehen konnte. Er spuckte in Durotans Auge, und für einen Moment befürchtete Durotan, er würde sein Kind gleich hier, an Ort und Stelle, aufspießen.
»Wir überlassen das Kind den Tieren des Walds«, zischte der Angreifer. »Vielleicht kannst du ja noch zusehen, wenn sie es in Stücke reißen.«
Und dann verschwanden sie auch schon so schattenhaft, wie sie gekommen waren. Durotan blinzelte desorientiert und benommen, während das Blut seinen Körper in Strömen verließ. Er versuchte sich erneut zu bewegen, doch nichts passierte. Er konnte nur mit schwächer werdendem Augenlicht seinen Sohn betrachten. Dessen kleine Brust hob und senkte sich im Rhythmus seiner Schreie. Seine kleinen Fäuste waren geballt und fuchtelten panisch.
Draka … meine Geliebte … mein kleiner Sohn … es tut mir so Leid, dass ich dies über uns gebracht habe …
Die Ränder seines Gesichtsfelds begannen sich grau zu färben. Der Anblick seines Kindes verblasste. Der einzige Trost, den Durotan, Häuptling des Eiswolf-Clans hatte, als sein Leben langsam aus ihm wich, war das Wissen, dass er sterben würde, bevor er mit ansehen musste, wie sein Sohn von den gierigen Bestien des Walds zerfleischt wurde.
»Beim Licht! Was für ein Lärm!« Der 22-jährige Tammis Foxton rümpfte die Nase, während er den Geräuschen lauschte, die aus dem Wald drangen. »Wir können ebenso gut umdrehen, Leutnant. Dieser Krach dürfte sämtliches Wild vertrieben haben.«
Leutnant Aedelas Blackmoore grinste seinen persönlichen Diener an.
»Hast du nichts von dem verstanden, was ich dir beigebracht habe, Tammis?«, fragte er. »Es geht nicht nur darum, das Abendessen mitzubringen, sondern vor allem darum, die verdammte Festung verlassen zu können.« Er griff hinter sich zur Satteltasche. Die Flasche, die er zu fassen bekam, fühlte sich kalt und glatt an.
»Jagdbecher, Sir?« Tammis war ungeachtet Blackmoores Kommentar bestens ausgebildet. Er reichte ihm einen kleinen Becher in der Form eines Drachenkopfs, der in einer Halterung an seinem Sattel befestigt gewesen war. Jagdbecher benötigten keine Unterlage. Blackmoore dachte kurz darüber nach, winkte dann jedoch ab.
»Wozu dieser Umstand?« Mit den Zähnen zog er den Korken heraus, nahm ihn zwischen die Finger und hob die Flasche an die Lippen.
Ah, der Trank war purer Nektar. Er brannte sich seinen Weg durch Rachen und Eingeweide. Blackmoore wischte sich den Mund ab und verschloss die Flasche wieder sorgsam, bevor er sie in die Satteltasche zurücklegte. Absichtlich ignorierte er Tammis’ kurzen besorgten Blick. Was ging es einen Diener an, wie viel sein Herr trank?
Aedelas Blackthorne war rasch im Rang aufgestiegen, weil er die schon fast wundersame Fähigkeit besaß, auf dem Schlachtfeld eine Schneise in jede angreifende Ork-Horde zu schlagen. Seine Vorgesetzten glaubten, das läge an seinem Können und seinem Mut. Blackmoore hätte ihnen sagen können, dass sein Mut einen flüssigen Helfer hatte, aber darin sah er keinen Sinn.
Sein Ruf schadete seinen Chancen bei den Frauen ebenso wenig wie sein gutes Aussehen. Er war groß und attraktiv. Sein schwarzes Haar fiel bis auf seine Schultern, er hatte stahlblaue Augen und einen kleinen, sorgsam gestutzten Kinnbart. Kurzum: er war die perfekte Mischung aus Kämpfer und Held. Es interessierte ihn nicht, wenn Frauen sein Bett ein wenig trauriger und weiser verließen und manchmal auch mit ein paar blauen Flecken, schließlich gab es noch viele andere.
Der ohrenbetäubende Lärm begann ihn zu stören. »Das hört einfach nicht auf«, knurrte Blackmoore.
»Vielleicht ist es ein verletztes Tier, Sir, das nicht mehr wegkriechen kann«, sagte Tammis.
»Dann lass es uns finden und von seinen Leiden erlösen«, antwortete Blackmoore. Er trat Nightsong, einen schlanken Hengst, der so schwarz war wie sein Name es erahnen ließ, kräftiger als nötig in die Flanken und galoppierte in die Richtung, aus der der Höllenlärm kam.
Nightsong stoppte so plötzlich, dass Blackmoore, sonst ein hervorragender Reiter, beinahe über den Kopf des Pferdes geflogen wäre. Er fluchte und schlug dem Tier gegen den Hals, beruhigte sich dann aber, als er sah, warum Nightsong so abrupt stehen geblieben war.
»Beim gesegneten Licht«, stammelte Tammis, der ihm auf seinem kleinen grauen Pony gefolgt war. »Was für ein Anblick …«
Drei Orks und ein großer weißer Wolf lagen auf dem Waldboden. Blackmoore nahm an, dass sie vor kurzem gestorben waren. Es gab noch keinen Verwesungsgeruch, obwohl das Blut bereits geronnen war. Zwei Männer, eine Frau – wen interessierte es, welchen Geschlechts der Wolf war. Verdammte Orks. Es hätte Menschen wie ihm viel Mühe erspart, wenn die Bestien öfter übereinander hergefallen wären.
Etwas bewegte sich und Blackmoore sah, dass es sich um das Wesen handelte, das die ganze Zeit schon laut geschrien hatte. Es war das hässlichste Ding, das er je gesehen hatte … ein Ork-Säugling, eingehüllt in etwas, das bei den Kreaturen wohl für ein Wickeltuch gehalten wurde. Er stieg ab und ging darauf zu.
»Vorsicht, Sir!«, rief Tammis. »Vielleicht beißt es.«
»Ich habe noch nie einen Welpen gesehen«, erwiderte Blackmoore. Er stieß leicht mit dem Stiefel dagegen. Der Säugling rollte aus seinem blauweißen Tuch, verzerrte sein hässliches grünes Gesicht noch mehr und schrie dabei ohne Unterlass.
Obwohl er bereits die erste Flasche Met geleert hatte und die zweite auch schon deutlich leichter wurde, waren Blackmoores Gedanken immer noch klar. Eine Idee begann sich in seinem Kopf zu formen. Er ignorierte Tammis’ besorgte Warnungen, beugte sich vor und hob das kleine Ungeheuer auf. Sorgfältig hüllte er es in das blauweiße Wickeltuch. Das Kind hörte fast augenblicklich auf zu schreien. Blaugraue Augen sahen ihn an.
»Interessant«, sagte Blackmoore. »Ihre Kinder haben blaue Augen – wie Menschen.« Schon bald würden diese Augen schwarz oder rot werden und alle Menschen mit mörderischem Hass anstarren.
Außer …
Seit Jahren arbeitete Blackthorne doppelt so hart, erntete jedoch nur halb soviel Anerkennung wie andere Männer von gleicher Geburt und Rang. Er litt unter dem Stigma des Verrats, den sein Vater begangen hatte, und tat alles, um Macht und Ruhm zu ernten. Trotzdem wurde er von vielen mit Skepsis betrachtet. »Blut des Verräters«, murmelte man häufig in seiner Nähe, wenn man glaubte, er würde es nicht hören. Aber vielleicht war jetzt der Tag nah, ab dem er diese verletzenden Kommentare nie mehr hören musste.
»Tammis«, sagte er nachdenklich und starrte in die unschuldig wirkenden blauen Augen des Ork-Säuglings. »Ist dir bewusst, dass du die Ehre hast, einem brillanten Mann zu dienen?«
»Natürlich weiß ich das, Sir«, antwortete Tammis ganz so, wie es von ihm erwartet wurde. »Darf ich fragen, warum dies ausgerechnet jetzt so wichtig ist?«
Blackmoore betrachtete seinen im Sattel sitzenden Diener und grinste. »Weil Leutnant Aedelas Blackmoore jetzt etwas in Händen hält, das ihn berühmt, reich und vor allem mächtig machen wird.«