6

Durch das Gitter über seinem Kopf konnte Thrall das Mondlicht sehen. Er achtete sorgsam darauf, weder den Rekruten, die ihn getreten hatten, noch Sergeant und vor allem nicht Blackmoore – der ihn behandelte, als sei nichts geschehen – irgendeinen Hinweis über seine tiefe Erkenntnis zu geben. Er war so unterwürfig wie immer und bemerkte zum ersten Mal, dass er sich für dieses Benehmen hasste. Er hielt den Blick gesenkt, obwohl er wusste, dass er jedem Menschen mindestens ebenbürtig war. Er trug gehorsam seine Ketten, obwohl er die vier Wärter in blutige Fetzen hätte reißen können, wenn sie versucht hätten, ihn gegen seinen Willen zu überwältigen. Er änderte sein Verhalten in keiner Weise, weder in der Zelle noch draußen, weder im Ring noch auf dem Trainingsplatz.

In den ersten beiden Tagen bemerkte Thrall, dass Sergeant ihn scharf beobachtete, als versuchte er die Veränderungen zu erkennen, die Thrall so angestrengt verbarg. Er sprach jedoch nicht mit Thrall, und Thrall achtete weiter darauf, keinen Verdacht zu erregen. Sie sollten glauben, dass sie ihn gebrochen hatten. Er bedauerte nur, dass er Blackmoores Gesichtsausdruck nicht sehen würde, wenn er entdeckte, dass sein »Haus-Ork« ausgeflogen war.

Zum ersten Mal in seinem Leben gab es etwas, auf das Thrall sich freuen konnte. Das erweckte einen Hunger in ihm, den er vorher nicht gekannt hatte. Er hatte sich immer so stark darauf konzentriert, den Prügeln zu entgehen und Lob einzuheimsen, dass er nie darüber nachdachte, was Freiheit wirklich bedeutete. Ohne Ketten durch das Sonnenlicht zu streifen, unter Sternen zu schlafen … In seinem ganzen Leben war er noch nie nachts draußen gewesen. Wie würde das wohl sein?

Seine Phantasie, durch Bücher und Taris Briefe gestärkt, konnte jetzt endlich abheben. Er lag schlaflos auf seinem Strohbett und fragte sich, wie es wohl sein würde, jemanden aus seinem eigenen Volk zu treffen. Er hatte natürlich all die Berichte gelesen, die Menschen über die »schrecklichen grünen Ungeheuer aus den tiefsten Dämonenhöhlen« sammelten. Und er erinnerte sich an den verstörenden Zwischenfall, als der gefangene Ork sich befreit und Thrall angegriffen hatte. Wenn er nur verstanden hätte, was der Ork ihm zugerufen hatte. Sein Orkisch hatte nicht dafür gereicht – bei weitem nicht.

Eines Tages würde er herausfinden, was der Ork ihm hatte sagen wollen. Und er würde sein Volk finden. Thrall war unter Menschen aufgewachsen, aber diese hatten nur selten versucht, seine Loyalität und Zuneigung zu gewinnen. Er war Sergeant und Tari dankbar, dass sie ihm Konzepte wie Ehre und Freundlichkeit vermittelt hatten. Durch ihre Lehren hatte Thrall gelernt, Blackmoore besser zu verstehen und erkannt, dass der Leutnant keine dieser Charakterzüge besaß. Und so lange Thrall ihm gehörte, würde er auch in seinem eigenen Ork-Leben dergleichen nie erfahren.

Die Monde, einer groß und silbern, der andere klein und blaugrün, waren in dieser Nacht dunkel. Tari hatte auf seine Ankündigung mit einem Hilfsangebot reagiert, so wie er es tief in seinem Herzen erwartet hatte. Gemeinsam hatten sie einen Plan erdacht, der höchstwahrscheinlich funktionieren würde. Thrall wusste jedoch nicht, wann der Plan beginnen sollte, und so hoffte er auf ein Signal. Und wartete.

Er war in einen unruhigen Schlaf gefallen, als ihn das Läuten einer Glocke wieder aufweckte. Augenblicklich sprang er hoch und begab sich zur Rückwand seiner Zelle. Über die Jahre hatte Thrall mühsam einen einzigen Stein freigelegt und die Erde dahinter ausgehöhlt. Hier bewahrte er die Dinge auf, die ihm am wichtigsten waren: Taris Briefe. Jetzt zog er den Stein heraus, nahm die Briefe und wickelte sie in den einzigen anderen Gegenstand ein, der ihm etwas bedeutete: das Tuch mit dem weißen Wolf auf blauem Feld. Für einen kurzen Augenblick drückte er das so entstandene Bündel gegen seine Brust. Dann drehte er sich um und wartete auf seine Chance.

Die Glocke schlug weiter, und jetzt waren auch Rufe und Schreie zu vernehmen. Thralls Nase, die viel empfindlicher als die eines Menschen war, witterte Rauch. Mit jedem Herzschlag wurde der Geruch stärker, und dann konnte der Ork sogar den rötlichen und gelben Widerschein in der Dunkelheit seiner Zelle sehen.

»Feuer!«, hörte er die Rufe. »Feuer!«

Ohne zu wissen, warum, warf sich Thrall auf sein Bett aus Stroh. Er schloss die Augen, zwang seinen fliehenden Atem zur Ruhe und täuschte vor zu schlafen.

»Der geht nirgendwo hin«, sagte eine der Wachen. Thrall wusste, dass er beobachtet wurde. Er täuschte weiter tiefen Schlaf vor. »Das verdammte Monster wird auch von gar nichts wach. Komm, wir helfen den anderen.«

»Ich weiß nicht«, sagte die zweite Wache.

In die Alarmrufe mischten sich jetzt helle Kinderschreie und hohe Frauenstimmen.

»Es breitet sich aus«, sagte die erste Wache. »Komm schon!«

Thrall hörte, wie schwere Stiefelsohlen auf Stein aufschlugen. Das Geräusch wurde schwächer. Er war allein.

Er erhob sich und stellte sich vor die schwere Holztür. Natürlich war sie verschlossen, aber es gab niemanden, der sehen konnte, was Thrall als nächstes tun würde.

Er atmete tief ein und warf sich mit der linken Schulter voran gegen das Hindernis. Die Tür gab leicht nach, sprang jedoch nicht auf. Wieder und wieder warf er sich wuchtig dagegen. Fünf Mal musste er seinen mächtigen Körper gegen das Holz rammen, bevor die alte Tür mit lautem Krachen aufflog. Der Schwung trug Thrall nach vorne, und er landete auf dem harten Boden. Der Moment des Schmerzes war jedoch nichts gegen die Erregung, die ihn durchströmte.

Er kannte diese Gänge und konnte im durch die wenigen Fackeln an den Wänden entstehenden Halbdunkel problemlos sehen. Einen Gang hinunter, eine Treppe hinauf, und dann …

Wie schon zuvor in der Zelle erwachte plötzlich sein tiefverwurzelter Instinkt. Er presste sich gegen die Wand und verbarg seinen klobigen Körper so gut es ging in den Schatten. Aus einem anderen Eingang kamen Wachen und stürmten an ihm vorbei. Sie sahen ihn nicht, worauf Thrall erleichtert aufatmete.

Die Wachen ließen die Tür zum Festungshof weit offen stehen. Vorsichtig näherte sich Thrall und spähte nach draußen.

Es herrschte Chaos. Die Ställe waren von Flammen eingehüllt, und die Pferde, Ziegen und Esel galoppierten voller Panik über den Platz. Das war gut, denn so war es unwahrscheinlich, dass ihn in diesem Tumult jemand bemerken würde. Man hatte eine Eimerkette gebildet, und während Thrall zusah, liefen weitere Männer darauf zu und verschütteten in ihrer Hast wertvolles Wasser.

Thrall blickte zur rechten Seite des Hofeingangs. Verborgen in einer dunklen Ecke fand er den Gegenstand, den er gesucht hatte: einen großen schwarzen Umhang. Trotz der Größe konnte der Umhang ihn nicht ganz bedecken. Also verhüllte Thrall wenigstens sein Haupt und die breite Brust. Dann bückte er sich, sodass der kurze Saum über seine Beine fiel, und trat vor.

Der Weg über den Platz bis hin zu den Haupttoren dauerte nur wenige Momente, aber Thrall kamen sie wie eine Ewigkeit vor. Er versuchte seinen Kopf gesenkt zu halten, musste jedoch immer wieder aufsehen, um verängstigten Pferden, schreienden Kindern und Karren auszuweichen, die mit Regenwasser gefüllte Bottiche transportierten.

Klopfenden Herzens bahnte er sich einen Weg durch das Durcheinander. Er fühlte die Hitze, und das Feuer erhellte den Platz beinahe so stark wie Tageslicht. Thrall konzentrierte sich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen, sich so klein wie möglich zu machen und auf das Tor zuzugehen.

Schließlich schaffte er es. Das Tor war weit offen. Weitere Karren mit Regenwasser rollten hindurch. Den Fahrern fiel es schwer, die verängstigten Pferde unter Kontrolle zu halten. Niemand bemerkte die große Gestalt, die in der Dunkelheit verschwand.

Als die Festung hinter ihm lag, begann Thrall zu rennen. Er lief direkt auf die bewaldeten Hügel zu und verließ die Straße so schnell er konnte. Seine Sinne schienen besser zu funktionieren als je zuvor. Unbekannte Gerüchte erfüllten seine aufgeblähten Nasenflügel, und er glaubte jeden Stein und jeden Grashalm unter seinen hastenden Füßen zu spüren.

Dann fand er die Felsformation, die Taretha ihm beschrieben hatte. Sie hatte gesagt, sie sähe aus wie ein Drachen, der über den Wald wachte. Es war sehr dunkel, aber mit Hilfe seiner exzellenten, auch bei Nacht sehenden Augen entdeckte Thrall einen Felsen, der mit ein wenig Phantasie tatsächlich wie der Hals eines Reptils aussah. Taretha hatte gesagt, darunter befände sich eine Höhle, in der er sicher sein würde.

Für einen kurzen Moment fragte sich Thrall, ob Taretha ihn vielleicht in eine Falle lockte. Aber sofort verdrängte er den absurden Gedanken. Er war ärgerlich und beschämt, weil er überhaupt an so etwas hatte denken können. Taretha war in ihren Briefen stets freundlich gewesen. Wieso sollte sie ihn jetzt verraten? Und warum hätte sie einen so komplizierten Plan ausführen sollen, wenn sie Blackmoore nur die Briefe hätte zeigen müssen, um das gleiche Ergebnis zu erzielen?

Er fand den dunkel gähnenden Halbkreis in der grauen Felswand. Thrall war noch nicht einmal außer Atem, als er sich seiner Zuflucht näherte.

Sie lehnte drinnen an der Wand und wartete auf ihn. Für einen Moment blieb er stehen und war sich bewusst, dass seine Sehkraft der ihren überlegen war. Obwohl sie drinnen und er draußen stand, konnte sie ihn nicht ausmachen.

Thrall wusste nur, nach welchen Maßstäben die Menschen Schönheit definierten – und demnach war Taretha Foxton schön. Ihr langes helles Haar – es war zu dunkel, um die genaue Farbe zu erkennen, aber er hatte sie ab und zu in der Zuschauermenge bei den Kämpfen gesehen – fiel lang über ihren Rücken. Sie trug nur ihre Schlafkleidung und einen Umhang, den sie um ihren schlanken Körper gelegt hatte. Neben ihr stand ein großer Sack.

Nach kurzem Zögern ging er auf sie zu. »Taretha«, sagte er mit rauer Stimme.

Sie zuckte zusammen und sah zu ihm auf. Er dachte, sie habe Angst, aber dann lachte sie. »Du hast mich erschreckt. Ich wusste nicht, dass du dich so leise bewegen kannst.« Ihr Lachen ließ nach, wurde zu einem Lächeln. Sie trat vor und streckte beide Hände nach ihm aus.

Langsam schloss Thrall seine eigenen darum. Die kleinen weißen Hände verschwanden in seinen riesigen grünen Pranken, die fast dreimal so groß waren. Taretha reichte gerade bis zu seinem Ellenbogen, trotzdem bemerkte er keine Angst in ihrem Gesicht, nur Freude.

»Ich könnte dich mit Leichtigkeit töten«, sagte er und fragte sich, welches abseitige Gefühl ihn diese Worte sprechen ließ. »Es gäbe keine Zeugen.«

Ihr Lächeln wurde breiter. »Das könntest du, aber das wirst du nicht«, sagte sie mit warmer melodiöser Stimme.

»Woher weißt du das?«

»Weil ich dich kenne.«

Er öffnete seine Hände und entließ sie aus seinem Griff.

»Hattest du irgendwelche Schwierigkeiten?«, fragte sie.

»Keine«, sagte er. »Der Plan hat glänzend funktioniert. Es gab so viel Chaos, dass ein ganzes Ork-Dorf hätte entkommen können. Ich habe bemerkt, dass du die Tiere vor dem Anzünden des Stalls freigelassen hast.«

Sie grinste erneut. Mit ihrer keck nach oben gerichteten Nasenspitze sah sie noch jünger aus, als sie wahrscheinlich war … Wie alt mochte sie wohl sein? Zwanzig, fünfundzwanzig Jahre?

»Natürlich, sie können ja nichts dafür. Ich wollte nie, dass ihnen etwas geschieht. Jetzt sollten wir uns aber beeilen.« Sie sah zurück nach Durnholde, wo noch immer Rauch und Flammen in den Nachthimmel emporstiegen. »Sie haben es bald unter Kontrolle. Dann werden sie dein Verschwinden bemerken.« Ein Gefühl, das Thrall nicht einzuordnen vermochte, verfinsterte kurz ihr Gesicht. »Und meines.« Sie nahm den Sack und öffnete ihn. »Setz dich hin, ich will dir etwas zeigen.«

Er gehorchte. Tari wühlte in dem Sack herum und zog eine Schriftrolle hervor. Sie entrollte sie, hielt eine Seite fest und bedeutete ihm, das Gleiche mit der anderen zu tun.

»Das ist eine Karte«, sagte Thrall.

»Ja, und zwar die genaueste, die ich finden konnte. Hier ist Durnholde«, sagte Taretha und zeigte auf die Umrisse eines kleinen burgähnlichen Gebildes. »Wir befinden uns südwestlich davon, also hier. Die Lager liegen alle in einem Radius von zwanzig Meilen rund um Durnholde – hier, hier, hier, hier und hier.« Sie zeigte auf Zeichnungen, die so klein waren, dass Thrall sie in dem schlechten Licht kaum erkennen konnte. »Wenn du sicher sein willst, solltest du in diese Wildnis hier gehen. Ich habe gehört, dass sich manche aus deinem Volk noch dort verstecken. Blackmoores Männer finden immer nur Spuren von ihnen, nie sie selbst.« Sie sah zu ihm auf. »Du musst sie irgendwie finden, Thrall. Du brauchst ihre Hilfe.«

Dein Volk? So hatte Taretha es ausgedrückt. Nicht die Orks, dieses Vieh oder diese Ungeheuer. Die Dankbarkeit, die in ihm aufstieg, war so überwältigend, dass er für einen Moment nicht sprechen konnte. Schließlich brachte er hervor: »Wieso tust du das? Wieso willst du mir helfen?«

Sie sah ihn ruhig an, zuckte nicht vor seinem Anblick zurück. »Weil ich dich als Baby kannte. Du warst wie ein kleiner Bruder für mich. Und als … als Faralyn kurz darauf starb, warst du der einzige kleine Bruder, den ich noch hatte. Ich habe gesehen, was sie dir antaten, und ich hasste es. Ich wollte dir helfen, deine Freundin sein.« Jetzt sah sie doch weg. »Und ich mag unseren Herrn ebenso wenig wie du.«

»Hat er dich verletzt?« Die Wut, die er spürte, überraschte Thrall.

»Nein, nicht wirklich.« Eine Hand griff nach ihrem Handgelenk und massierte es sanft. Unter dem Ärmel sah Thrall den dunklen Schatten einer verheilenden Prellung. »Nicht körperlich. Es ist komplizierter.«

»Sag es mir.«

»Thrall, die Zeit ist …«

»Sag es mir!«, brüllte er. »Du bist meine Freundin, Taretha. Zehn Jahre lang hast du mir geschrieben und mich zum Lächeln gebracht. Ich wusste, dass jemand weiß, wer ich wirklich bin, nicht nur … irgendein Ungeheuer im Gladiatorenring. Du warst mein Licht in der Dunkelheit.« Mit all der Zärtlichkeit, die er aufbringen konnte, legte er seine Hand vorsichtig auf ihre Schulter. »Sag es mir«, drängte er erneut mit sanfter Stimme.

Ihre Augen schimmerten feucht. Erstaunt sah er zu, als eine Flüssigkeit daraus über ihre Wangen lief.

»Ich schäme mich so,« flüsterte sie.

»Was passiert mit deinen Augen?«, fragte Thrall. »Und was soll ›schämen‹ bedeuten?«

»O Thrall«, sagte sie mit belegter Stimme und wischte sich über die Augen. »Das nennt man Tränen. Sie kommen, wenn wir traurig sind, wenn unsere Seele krank ist. Es ist, als sei unser Herz so voller Schmerz, dass er nirgendwo anders hin kann.« Taretha atmete zitternd ein. »Und Scham … das ist, wenn du etwas getan hast, das gegen alles steht, was du je zu sein glaubtest, und wenn du dir wünschst, niemand würde je davon erfahren. Aber da es jeder weiß, sollst auch du es erfahren. Ich bin Blackmoores Mätresse.«

»Was bedeutet das?«

Sie sah ihn traurig an. »Du bist so unschuldig, Thrall, so rein. Aber eines Tages wirst du es verstehen.«

Plötzlich erinnerte sich Thrall an prahlerische Unterhaltungen, die er auf dem Übungsplatz mit angehört hatte und verstand, was Taretha meinte. Aber er schämte sich nicht für sie, sondern fühlte nur Wut darüber, dass Blackmoore noch tiefer gesunken war, als selbst er es geglaubt hätte. Er wusste, wie hilflos man gegenüber Blackmoore war, und Taretha war so klein und so zierlich, dass sie noch nicht einmal kämpfen konnte.

»Komm mit mir«, drängte er.

»Ich kann nicht. Was würde nach meiner Flucht mit meiner Familie geschehen und … nein.« Impulsiv ergriff sie Thralls Hände. »Aber du kannst es. Bitte geh jetzt. Ich werde mich besser fühlen, wenn ich weiß, dass wenigstens du ihm entkommen bist. Sei frei für uns beide.«

Er nickte, war unfähig zu sprechen. Er hatte gewusst, dass er sie vermissen würde, aber nach ihrem ersten wirklichen Gespräch berührte ihn ihr Verlust noch viel schmerzlicher.

Sie wischte noch einmal über ihr Gesicht und sprach mit festerer Stimme. »Der Sack ist voller Essen und einigen Wasserschläuchen. Ich habe ein Messer für dich stehlen können. Ich habe es nicht gewagt, etwas zu stehlen, das man vielleicht bemerken würde. Und zuletzt habe ich dies für dich.« Sie neigte ihren Kopf und entfernte eine schmale silberne Kette von ihrem schlanken Hals. Daran hing eine Mondsichel. »Nicht weit von hier entfernt befindet sich ein alter Baum, den der Blitz gespalten hat. Blackmoore lässt mich dort spazieren gehen, wenn ich es wünsche. Zumindest dafür bin ich dankbar. Wenn du in der Nähe bist und Hilfe brauchst, lege diese Halskette in den Stamm des alten Baums und ich werde dich in dieser Höhle treffen, um dir zu helfen.«

»Tari …« Thrall sah sie gepeinigt an.

»Beeil dich.« Sie warf einen ängstlichen Blick zurück nach Durnholde. »Ich habe eine Ausrede für meine Abwesenheit, aber sie ist glaubwürdiger, wenn ich so schnell wie möglich zurückkehre.«

Sie erhoben sich und sahen einander unsicher an. Bevor Thrall begriff, was geschah, legte Tari ihre Arme so weit es ging um seinen massigen Oberkörper und presste ihr Gesicht gegen seinen Bauch. Thrall spannte sich an. Eine solche Bewegung kannte er sonst nur als Versuch eines Angriffs, aber obwohl er noch nie so berührt worden war, begriff er es in diesem Augenblick als Zeichen tiefer Zuneigung. Er folgte seinen Instinkten und strich vorsichtig über ihren Kopf.

»Sie nennen dich ein Ungeheuer«, sagte sie, »aber sie sind die Ungeheuer, nicht du. Leb wohl, Thrall.«

Taretha drehte sich um, hob ihren Rock leicht an und rannte nach Durnholde zurück. Thrall sah ihr nach, bis sie in der Dunkelheit verschwunden war. Dann legte er die silberne Halskette vorsichtig in sein Bündel und verstaute es im Sack.

Dann hob er das schwere Bündel – es musste fast über Taris Kräfte gegangen sein, es so weit zu schleppen – auf und warf es über seine Schulter. Und wenig später marschierte der ehemalige Sklave mutig seinem ungewissen Schicksal entgegen.

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