Tammis Foxton war in heller Aufregung, ausgelöst durch den Umstand, dass sein Herr höchst ungehalten – wütend! – war. Als sie das Ork-Kind nach Hause gebracht hatten, war Blackmoore so wachsam, interessiert und konzentriert wie auf dem Schlachtfeld gewesen.
Mit jedem verstreichenden Tag sank die Herausforderung durch die Orks, und Männer, die die Anspannung fast täglicher Kämpfe gewohnt waren, litten zunehmend unter Langeweile. Zwar gab es die Turniere, die allgemein beliebt waren, als Ventil für überschüssige Energien – zudem sorgten sie ganz nebenbei auch dafür, dass ein wenig Geld den Besitzer wechselte –, aber ein echter Ersatz waren sie nicht, dachte Tammis.
Dieser Ork nun, den sie gefunden hatten, würde unter menschlicher Aufsicht aufwachsen. Mit der Geschwindigkeit und der Kraft der Orks, aber ausgestattet mit dem Wissen seines Lehrmeisters Blackmoore, würde er in jeder Schlacht fast unschlagbar sein.
Allerdings wollte das hässliche kleine Ding nicht fressen und war in den letzten Tagen blass und still geworden. Niemand sprach es aus, aber alle wussten, dass die Bestie im Sterben lag.
Das machte Blackmoore wütend. Einmal hatte er sich sogar das kleine Ungeheuer gegriffen und versucht, ihm kleingehacktes Fleisch in den Mund zu stopfen. Doch damit hätte er den Ork, den er »Thral« taufte, nur um ein Haar erstickt. Als Thrall das Fleisch wieder ausspie, hatte er ihn einfach auf das Stroh fallen lassen und war fluchend aus dem Stall gestürmt, der dem Ork als Schlafstätte diente.
Jetzt bewegte sich Tammis mit größter Vorsicht um seinen Herrn und wählte seine Worte noch sorgfältiger als sonst. Immer öfter endete eine Begegnung mit Leutnant Blackmoore jedoch mit einer Flasche – manchmal leer, manchmal voll –, die Tammis entgegenflog. Verglichen mit Blackmoore war der dicke laute Koch, der in der Küche regierte, geradezu sanftmütig.
Sein Weib Clannia, eine blonde Frau mit rosigen Wangen, die in der Küche arbeitete, stellte einen Teller mit kaltem Essen vor ihn auf den Holztisch und begann, nachdem er sich gesetzt hatte, seinen verspannten Nacken zu massieren.
»Gibt es Neuigkeiten?«, fragte Clannia hoffnungsvoll. Sie setzte sich vorsichtig neben ihn an den groben Holztisch. Erst vor ein paar Wochen hatte sie ein Kind zur Welt gebracht und bewegte sich immer noch verhalten. Sie und ihre älteste Tochter Taretha hatten bereits gegessen.
Unbemerkt von den Eltern war das kleine Mädchen, das mit ihrem neugeborenen Bruder in einem Bett neben dem Ofen schlief, bei der Ankunft ihres Vaters aufgewacht. Jetzt setzte es sich auf. Seine blonden Locken ragten unter einer Schlafmütze hervor. Es beobachtete die Erwachsenen und hörte ihrer Unterhaltung zu.
»Ja und keine guten«, sagte Tammis schwer, während er kalte Kartoffelsuppe in den Mund schaufelte. Er schluckte hinunter und fuhr fort: »Der Ork stirbt. Er nimmt nichts an, womit Blackmoore ihn füttert.«
Clannia seufzte und griff nach ihrem Stoff. Die Nadel bewegte sich vor und zurück, nähte ein neues Kleid für Taretha. »Das ist nur richtig«, sagte sie leise. »Blackmoore hätte so etwas nie nach Durnholde bringen dürfen. Schlimm genug, dass die Großen den ganzen Tag brüllen. Ich kann es kaum erwarten, dass die Internierungslager fertig werden und sie nicht mehr Durnholdes Problem sind.« Sie schüttelte sich.
Taretha sah ruhig zu. Die Augen der Kleinen waren weit geöffnet. Sie hatte Gerüchte über einen Ork-Säugling aufgeschnappt, aber jetzt hörte sie zum ersten Mal ihre Eltern darüber sprechen. Ihr junges Gehirn arbeitete angestrengt. Orks waren unheimlich groß und angsteinflößend mit ihren scharfen Zähnen, ihrer grüner Haut und ihren tiefen Stimmen. Sie hatte nur Blicke auf sie erhascht, aber viele Geschichten gehört. Ein Baby konnte aber nicht groß und unheimlich sein. Sie warf einen Blick auf ihren kleinen Bruder. Im gleichen Moment zuckte Faralyn, öffnete seinen kleinen Mund und posaunte mit schrillem Geplärre seinen Hunger hinaus.
Clannia erhob sich mit einer eleganten Bewegung, legte ihre Näharbeit zur Seite, nahm ihren Sohn auf, entblößte eine ihrer Brüste und ließ ihn saugen »Taretha«, schimpfte sie dann, »du solltest schlafen.«
»Das habe ich.« Taretha stand auf und lief zu ihrem Vater. »Ich habe Pa kommen hören.«
Tammis lächelte müde und erlaubte es Taretha, auf seinen Schoß zu klettern. »Sie kann ohnehin erst schlafen, wenn Faralyn fertig ist«, wandte er sich an Clannia. »Lass mich sie eine Weile halten. Ich sehe sie so selten, und sie wächst schnell wie eine Weide.« Er kniff sie sanft in die Wange, und sie kicherte.
»Wenn der Ork stirbt, werden wir das alle bereuen«, fuhr er dann fort.
Taretha zögerte. Zu offensichtlich schien ihr die Lösung. Doch schließlich sagte sie: »Pa, wenn es ein Baby ist, warum wollt ihr es dann mit Fleisch futtern?«
Beide Erwachsene sahen sie überrascht an. »Was hast du da gesagt, Kleines?«, fragte Tammis spürbar nervös.
Taretha wies auf ihren trinkenden Bruder. »Babys wollen Milch – so wie Faralyn. Wenn die Mutter des Ork-Babys tot ist, kann es ihre Milch nicht trinken.«
Tammis starrte sie weiterhin an, dabei huschte ein leichtes Lächeln über sein müdes Gesicht. »Aus dem Mund eines Kindes«, flüsterte er und umarmte seine Tochter so kräftig, dass sie sich herauszuwinden versuchte.
»Tammis …« Clannias Stimme wai angespannt.
»Meine Liebste …« Er hielt Taretha in einem Arm und streckte den anderen über den Tisch nach seiner Frau aus. »Tari hat Recht. Auch wenn die Orks Barbaren sind, so säugen sie doch ihre Jungen, genau wie wir es tun. Wahrscheinlich ist der junge Ork erst wenige Monate alt. Kein Wunder, dass er kein Fleisch essen kann. Er hat ja noch keine Zähne.« Er zögerte, aber Clannias Gesicht wurde bleich, als ahnte sie bereits, was er sagen wollte.
»Du kannst mich … du bittest mich nicht wirklich …?«
»Denk daran, was das für unsere Familie bedeutet!«, rief Tammis aus. »Ich diene Blackmoore seit zehn Jahren. Ich habe ihn noch nie so unleidlich erlebt. Wenn dieser Ork dank uns überlebt, wird es uns nie wieder an etwas mangeln.«
»Ich … ich kann das nicht!«, stotterte Clannia.
»Kann was nicht?«, fragte Taretha, was aber beide ignorierten.
»Bitte«, bat Tammis. »Es muss nicht für lange sein.«
»Es sind Monster, Tarn!«, schrie Clannia. »Monster und du … du willst mich …« Sie bedeckte ihr Gesicht mit einer Hand und begann zu schluchzen. Das Baby trank ungerührt weiter.
»Pa, wieso weint Ma?«, fragte Taretha besorgt.
»Ich weine nicht«, sagte Clannia mit belegter Stimme. Sie wischte sich ihr feuchtes Gesicht ab und zwang sich zu einem Lächeln. »Siehst du, Liebling? Alles ist gut.« Sie sah Tammis an und schluckte. »Dein Pa hat da nur etwas, das ich wohl tun muss, mehr nicht.«
Als Blackmoore erfuhr, dass die Frau seines Leibdieners beschlossen hatte, das sterbende Ork-Baby zu säugen, überschüttete er die Foxton-Familie mit Geschenken. Teure Stoffe, frisches Obst, das beste Fleisch und feine Bienenwachskerzen – all das tauchte regelmäßig an der Tür des kleinen Zimmers auf, das der Familie als Heim diente. Schon bald tauschten sie das Zimmer gegen ein anderes und dann gegen noch größere Quartiere. Tammis Foxton erhielt sein eigenes Pferd, eine schöne Stute, die er Ladyfire nannte. Clannia, die jetzt Mistress Foxton hieß, musste nicht länger in der Küche arbeiten, sondern verbrachte ihre gesamte Zeit mit ihren Kindern und achtete auf die Bedürfnisse von dem, den Blackmoore als sein »Spezialprojekt« bezeichnete. Taretha trug feine Kleidung und bekam sogar einen Tutor, einen nervösen, freundlichen Mann namens Jaramin Skisson. Er brachte ihr Lesen und Schreiben bei wie einer Lady.
Aber sie durfte nie über das kleine Wesen sprechen, das für das nächste Jahr bei ihnen lebte und das, nachdem Faralyn an einem Fieber gestorben war, zum einzigen Baby im Foxton-Haushalt wurde. Als Thrall dann gelernt hatte, eine widerliche Mischung aus Blut, Kuhmilch und Porridge mit seinen eigenen kleinen Händen zu essen, tauchten drei bewaffnete Wachen auf und entrissen ihn Tarethas Armen. Sie weinte und protestierte, bekam jedoch nur einen brutalen Schlag als Antwort auf ihr Flehen.
Ihr Vater hielt sie fest und beruhigte sie. Er küsste ihre bleiche Wange, auf der sich der rote Abdruck einer Hand abzeichnete. Nach einer Weile wurde sie still, und wie es von einem artigen Kind erwartet wurde, stimmte sie zu, Thrall nur noch beiläufig zu erwähnen.
Aber sie schwor, dieses seltsame Wesen, das beinahe wie ein Bruder für sie gewesen war, niemals zu vergessen.
Niemals.
»Nein, nein, so!« Jaramin Skisson trat neben seinen Schüler. »Halte ihn so, mit deinen Fingern hier … und hier. Ah, so ist es besser. Nun mache eine Bewegung … wie eine Schlange.«
»Was ist eine Schlange?«, fragte Thrall. Er war erst sechs Jahre alt, aber schon fast so groß wie sein Lehrer. Seinen dicken, ungeschickten Fingern fiel es nicht leicht, den dünnen Griffel zu halten, und die Tontafel rutschte ihm immer wieder aus den Händen. Trotzdem war er entschlossen, den Buchstaben zu meistern, den Jaramin »S« nannte.
Jaramin blinzelte hinter seiner großen Brille. »Oh, natürlich«, sagte er mehr zu sich selbst als zu Thrall. »Eine Schlange ist ein Reptil ohne Beine. Sie sieht wie dieser Buchstabe aus.«
Thralls Gesicht erhellte sich. »Wie ein Wurm«, sagte er. Er naschte häufig diese kleinen Tierchen, wenn sie den Weg in seine Zelle fanden.
»Ja, sie erinnert an einen Wurm. Versuch es noch einmal, aber jetzt allein.« Thrall streckte seine Zunge heraus, um sich besser konzentrieren zu können. Ein zittriger Umriss erschien auf der Tontafel, aber er wusste, dass man ein »S« erkennen konnte. Stolz reichte er Jaramin die Tafel.
»Sehr gut, Thrall! Ich glaube, wir sollten jetzt mit den Zahlen beginnen«, sagte der Lehrer.
»Aber zuerst sollten wir das Kämpfen lernen, richtig, Thrall?« Thrall sah auf und entdeckte seinen schlanken Herrn, Leutnant Blackmoore, im Türrahmen. Er trat ein. Thrall hörte, wie das Schloss auf der anderen Seite der Tür einrastete. Er hatte nie versucht zu fliehen, aber die Wachen schienen das von ihm zu erwarten.
Sofort kniete Thrall nieder, so wie Blackmoore es ihm beigebracht hatte. Eine freundliche Berührung seines Kopfes sagte ihm, dass er sich wieder erheben durfte. Er kam auf die Beine und fühlte sich plötzlich noch größer und ungeschickter als sonst. Er betrachtete Blackmoores Stiefelspitzen und erwartete die Anweisungen seines Herrn.
»Wie macht er sich im Unterricht?«, wandte sich Blackmoore an Jaramin, als sei Thrall nicht anwesend.
»Sehr gut, ich hatte nicht erwartet, dass Orks so intelligent sind, aber …«
»Er ist nicht intelligent, weil er ein Ork ist«, unterbrach ihn Blackmoore. Seine Stimme klang so scharf, dass Thrall zusammenzuckte. »Er ist intelligent, weil ihn Menschen gelehrt haben. Vergiss das nie, Jaramin. Und du …« Die Stiefel spitzen drehten sich in Thralls Richtung. »… du vergisst das auch niemals.«
Thrall schüttelte heftig den Kopf.
»Sieh mich an, Thrall.«
Thrall zögerte, dann gehorchte er. Blackmoores Augen starrten ihn an. »Weißt du, was dein Name bedeutet?«
»Nein, Sir.« Seine Stimme klang im Vergleich zum musikalischen Singsang menschlicher Stimmen rau und tief.
»Er bedeutet ›Sklave‹. Das heißt, dass du mir gehörst.« Blackmoore trat vor und stieß einen ausgestreckten Zeigefinger gegen die Brust des Orks. »Das bedeutet, dass ich dich besitze. Verstehst du das?«
Für einen Moment war Thrall so schockiert, dass er nicht antwortete. Sein Name bedeutete Sklave? Er klang so angenehm, wenn Menschen ihn aussprachen, dass er gedacht hatte, es sei ein guter und wertvoller Name.
Blackmoores behandschuhte Hand kam hoch und schlug in Thralls Gesicht. Obwohl der Leutnant weit ausgeholt hatte, spürte Thrall den Schlag kaum, so dick war seine Haut. Und trotzdem verletzte ihn der Schlag. Sein Herr hatte ihn geschlagen! Er berührte mit seiner großen Hand die Wange. Seine schwarzen Fingernägel waren kurz.
»Antworte, wenn man dich anspricht«, rief Blackmoore wütend. »Verstehst du, was ich gerade gesagt habe?«
»Ja, Lord Blackmoore«, antwortete Thrall. Seine tiefe Stimme war nur ein Flüstern.
»Exzellent.« Der Ärger in Blackmoores Gesicht wandelte sich zu einem freundlichen Lächeln. Seine Zähne waren weiß gegen das Schwarz seines Barts. So schnell war alles wieder gut. Thrall spürte Erleichterung. Seine Lippen formten sich, um Blackmoores Lächeln nachzubilden.
»Tu das nicht, Thrall«; sagte Blackmoore. »Es macht dich hässlicher, als du ohnehin schon bist.«
Abrupt verschwand das Lächeln.
»Leutnant«, sagte Jaramin sanft. »Er versucht nur Euer Lächeln nachzuahmen, das ist alles.«
»Das sollte er nicht. Menschen lächeln, Orks nicht. Ihr sagtet, er kann dem Unterricht folgen? Heißt das, er kann lesen und schreiben?«
»Er liest schon sehr gut, und er versteht, wie man schreibt. Seinen dicken Fingern fällt es jedoch schwer, Buchstaben zu bilden.«
»Exzellent«, wiederholte Blackmoore. »Dann haben wir keine Verwendung mehr für Eure Dienste.«
Thrall atmete tief ein und sah Jaramin an. Der ältere Mann schien über diese Ankündigung ebenso überrascht zu sein wie er.
»Es gibt noch so viel, das er nicht weiß, Sir«, wandte Jaramin ein. »Er kennt nur wenige Zahlen, weiß nichts über Geschichte, über Kunst …«
»Er muss keine Ahnung von Geschichte haben, und was er über Zahlen wissen sollte, kann ich ihm selbst beibringen. Und was muss ein Sklave über Kunst wissen, hm? Du glaubst doch bestimmt, das sei reine Zeitverschwendung, richtig, Thrall?«
Thrall dachte kurz an den Tag, an dem Jaramin ihm eine kleine Statue gezeigt und ihm erklärt hatte, wie sie geschnitzt worden war. Sie hatten auch darüber gesprochen, wie sein blauweißes Wickeltuch gewebt worden war. Das hatte Jaramin als »Kunst« bezeichnet, und Thrall hätte gerne mehr über die Herstellung solch schöner Sachen erfahren.
»Der Wunsch meines Herrn ist Thralls Wunsch«, log er gehorsam und verbarg seine wahren Gefühle in seinem Herzen.
»Das ist richtig. Du musst diese Dinge nicht wissen, Thrall. Du musst nur wissen, wie man kämpft.« Mit untypischer Zuneigung streckte Blackmoore eine Hand aus und legte sie auf Thralls breite Schulter. Thrall zuckte zusammen und sah seinen Herrn an.
»Ich ließ dich Lesen und Schreiben lernen, weil es dir eines Tages vielleicht einen Vorteil über deinen Gegner verschaffen könnte. Ich werde dafür sorgen, dass du jede Waffe beherrschst, die ich jemals gesehen habe. Ich werde dir Strategien und Tricks beibringen. Du wirst im Gladiatorenring berühmt werden. Tausende werden deinen Namen rufen, wenn du auftrittst. Wie hört sich das an?«
Thrall sah, wie sich Jaramin umdrehte und seine Sachen aufsammelte. Er verspürte einen seltsamen Schmerz, als der Griffel und die Tontafel zum letzten Mal in Jaramins Tasche verschwanden. Nach einem kurzen Blick zurück ging Jaramin zur Tür und klopfte. Sie öffnete sich für ihn. Er trat hinaus und die Tür wurde wieder verschlossen.
Blackmoore wartete auf Thralls Antwort. Thrall lernte schnell und wollte nicht wieder geschlagen werden, weil er mit seiner Antwort zögerte. Er zwang sich dazu so zu klingen, als glaube er es und antwortete seinem Herrn. »Das klingt aufregend. Ich bin froh, dass mein Herr diesen Weg für mich gewählt hat.«
Thrall verließ seine Zelle, so weit er zurückdenken konnte, zum ersten Mal. Zwei Wachen gingen vor dem jungen Ork, zwei weitere und Blackmoore dicht hinter ihm, während er voller Staunen die gewundenen Steinkorridore durchschritt. Sie stiegen eine Treppe hinauf, dann durch einen Gang und über eine Wendeltreppe hinab, die fast zu schmal für Thrall war.
Vor ihm lag eine Helligkeit, ihn blinzeln ließ. Sie näherten sich der Quelle des Lichts, und die Furcht vor dem Unbekannten erwachte. Als die beiden Wächter vor ihm in den hellen Bereich traten, stoppte Thrall. Der Boden vor ihm war gelb und braun, hatte nicht das vertraute Grau von Stein. Schwarze Dinge, die den Wächtern ähnelten, lagen auf dem Boden und folgten jeder ihrer Bewegungen.
»Was soll das?«, fauchte Blackmoore. »Geh raus! Andere hier drin würden ihren rechten Arm dafür geben, um ins Sonnenlicht treten zu dürfen!«
Thrall kannte das Wort. Sonnenlicht war das, was durch schmale Spalte in seine Zelle drang. Aber hier gab es so viel Sonnenlicht! Und dann waren da die seltsamen schwarzen Dinge. Was verbarg sich dahinter?
Thrall zeigte auf die schwarzen, menschlich geformten Schemen am Boden. Er schämte sich, als die Wachen zu lachen begannen. Einer von ihnen wischte sich sogar Tränen aus den Augen. Blackmoores Gesicht wurde rot.
»Du Idiot!«, sagte er. »Das sind doch nur … Beim Licht! Habe ich mir einen Ork angeschafft, der Angst vor seinem eigenen Schatten hat?« Er machte eine Geste, und einer der Wächter stach die Spitze seines Speers tief in Thralls Rücken. Obwohl seine dicke Haut ihn schützte, schmerzte der Stich, und Thrall stolperte vorwärts.
Seine Augen brannten, und er hob seine Hände, um sie zu bedecken. Trotzdem fühlte sich die plötzliche Wärme des … Sonnenlichts … auf seinem Kopf und Rücken gut an. Langsam senkte er seine Arme und blinzelte, damit sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnen konnten.
Etwas Großes, Grünes ragte vor ihm auf.
Instinktiv richtete er sich zu voller Größe auf und brüllte es an. Die Wachen lachten erneut, aber dieses Mal kommentierte Blackmoore Thralls Reaktion mit beifälligem Nicken.
»Das ist eine Kämpfer-Attrappe«, sagte er. »Sie besteht nur aus Sackleinen, Stroh und Farbe, Thrall. Sie stellt einen Troll dar.«
Thrall fühlte erneut Scham in sich aufsteigen. Nun, da er etwas näher herangekommen war, sah auch er, dass die Figur nicht lebte. Das Haar des künstlichen Kämpfers bestand aus Stroh, und er konnte sehen, wo er zusammen genäht worden war.
»Sieht ein Troll wirklich so aus?«, fragte er.
Blackmoore lächelte. »Ein wenig. Er soll nicht realistisch sein, nur der Übung dienen. Sieh her.«
Er streckte einen behandschuhten Arm aus, und einer der Wächter reichte ihm etwas. »Dies ist ein hölzernes Schwert«, erklärte Blackmoore. »Ein Schwert ist eine Waffe, und wir benutzen Holz zur Übung. Wenn du damit ausreichend geübt hast, bekommst du ein echtes.«
Blackmoore hielt das Schwert mit beiden Händen. Er fand seine Balance und stürmte auf den Übungstroll zu. Er traf ihn dreimal, zuerst in den Kopf, dann in den Körper und schließlich in den Arm, der eine Stoffwaffe hielt – ohne seinen Rhythmus zu verlieren. Er atmete nur ein wenig schneller, als er sich umdrehte und zurückging.
»Und jetzt du«, sagte er.
Thrall streckte seine Hand nach der Waffe aus. Seine dicken Finger schlossen sich um den Schaft. Er passte viel besser in seine Handfläche als der Griffel. Er fühlte sich auch besser an, beinahe schon vertraut. Der Ork korrigierte seinen Griff und versuchte nachzuahmen, was er bei seinem Herrn gesehen hatte.
»Sehr gut«, lobte Blackmoore. An einen seiner Wächter gewandt sagte er: »Sieh ihn dir an, er ist ein Naturtalent, so wie ich geahnt habe. Los, Thrall … greif an!«
Thrall fuhr herum. Zum ersten Mal in seinem Leben schien sein Körper das tun zu wollen, was von ihm verlangt wurde. Er hob das Schwert, und zu seiner Überraschung drang aus seiner Kehle ein Schrei. Seine Beine trugen ihn fast schon instinktiv auf den Übungstroll zu – rasend schnell. Er hob das Schwert – es war so leicht – und führte es in einem eleganten Halbbogen gegen den Körper des Trolls.
Etwas krachte ohrenbetäubend, und der Troll flog durch die Luft. Thrall fürchtete, etwas schrecklich falsch gemacht zu haben. Seine Eleganz verwandelte sich in Ungeschicklichkeit, und er stolperte über seine eigenen Füße, schlug schwer auf dem Boden auf und spürte, wie das hölzerne Schwert unter ihm zerbrach.
Thrall raffte sich auf und bereitete sich auf die Strafe vor, die ihm zweifellos bevorstand. Er hatte den Übungstroll und auch das Holzschwert zerstört. Er war so groß und so … ungeschickt!
Laute Rufe erfüllten die Luft. Abgesehen von Jaramin, den schweigsamen Wachen und Blackmoores gelegentlichen Besuchen, hatte Thrall kaum Kontakt zu Menschen. Daher konnte er die feinen Unterschiede bei unartikulierten Lauten nur schwer unterscheiden, dennoch hatte er den irritierenden Verdacht, dass es sich nicht um Kundgebungen von Ärger handelte. Neugierig blickte er auf.
Blackmoore zeigte ein breites Grinsen auf seinem Gesicht, ebenso die Wächter. Einer von ihnen schlug die Handflächen zusammen, wodurch ein lautes Geräusch entstand. Blackmoores Lächeln wurde noch breiter, als er Thrall ansah.
»Sagte ich nicht, er würde alle Erwartungen übertreffen?«, rief Blackmoore. »Gut gemacht, Thrall, sehr gut!«
Thrall blinzelte unsicher. »Ich … hab nichts falsch gemacht?«, fragte er. »Der Troll und das Schwert … hab sie zerbrochen.«
»Verdammt richtig hast du es gemacht! Du schwingst zum ersten Mal ein Schwert, und schon fliegt der Troll über den Hof!« Blackmoores Heiterkeit ebbte etwas ab. Er legte den Arm freundlich um den jungen Ork. Thrall verspannte sich kurz, wurde aber gleich wieder lockerer.
»Stell dir vor, du wärst im Gladiatorenring«, sagte Blackmoore. »Stell dir vor, der Troll wäre echt und dein Schwert ebenfalls. Und stell dir vor, bei deinem ersten Angriff triffst du ihn mit solcher Wucht, dass er so weit fliegt. Kannst du nicht verstehen, dass das gut ist, Thrall?«
Der Ork nahm an, das er das konnte. Seine großen Lippen wollten sich zu einem Lächeln über die Zähne ziehen, aber er widerstand dem Impuls. Blackmoore war noch nie so gut, so nett zu ihm gewesen, und er wollte diesen Moment nicht in Gefahr bringen.
Blackmoore drückte Thralls Schulter und kehrte zu seinen Männern zurück. »Du!«, rief er einem Wächter zu. »Setz den Troll wieder auf die Stange und sieh zu, dass er gut genug befestigt ist, um den mächtigen Schlägen meines Thralls zu widerstehen. Du, hol mir ein neues Übungsschwert. Verdammt, bring gleich fünf. Thrall wird sie vermutlich alle zerbrechen!«
Aus den Augenwinkeln bemerkte Thrall eine Bewegung. Er drehte sich um und sah einen großen schlanken Mann mit lockigem Haar. Seine Kleidung zeigte die Farben Rot, Schwarz und Gold und identifizierte ihn als einen von Blackmoores Dienern. Bei ihm war ein kleines Menschlein mit hellgelbem Haar. Es sah den Wachen, die Thrall kannte, überhaupt nicht ähnlich. Es sah weicher aus, und seine Kleidung bestand nicht aus Hose und Hemd wie die des anderen, sondern aus einem langen fließenden Stoff, der bis auf die staubige Erde reichte. War dies vielleicht ein menschliches Kind?
Sein Blick trafen die blauen Augen des Kindes. Es schien überhaupt keine Angst vor seinem hässlichen Aussehen zu haben. Im Gegenteil, es hielt seinem Blick stand, und während er es beobachtete, lächelte das Mädchen freundlich und winkte ihm zu, als sei es froh, ihn zu sehen.
Wie konnte das sein?
Während Thrall es ansah und versuchte sich eine angemessene Erwiderung einfallen zu lassen, legte der Mann, der das Mädchen begleitete, eine Hand auf dessen Schulter und führte es weg.
Thrall fragte sich, was gerade passiert war, drehte sich zurück zu den jubelnden Männern und schloss seine große grüne Hand um ein weiteres Übungsschwert.