7

Thrall wusste, dass Taretha ihm die Standorte der Lager verraten hatte, damit er sie meiden konnte. Sie wollte, dass er nach den freien Orks suchte. Er wusste jedoch nicht, ob diese »freien Orks« überhaupt noch lebten oder nur der Wunschphantasie irgendeines alten Kriegers entsprangen. Er hatte unter Jaramins Anleitung Karten studiert, also wusste er, wie man die las, die Tari ihm gegeben hatte.

Und er machte sich auf den direkten Weg zu einem der Lager auf.

Er suchte nicht das aus, das Durnholde am nächsten gelegen war. Wahrscheinlich hatte Blackmoore Alarm ausgerufen, nachdem Thralls Verschwinden entdeckt worden war. Laut Karte gab es eines, das einige Meilen von der Festung entfernt lag, in der Thrall aufgewachsen war, und dieses wollte er besuchen.

Er wusste nur wenig über die Lager und diese spärlichen Informationen stammten von Menschen, die sein Volk hassten. Während er ausdauernd und unermüdlich auf sein Ziel zuging, überschlugen sich seine Gedanken. Wie würde es sein, so viele Orks an einem Ort zu sehen? Würden sie seine Sprache verstehen? Oder war sie durch seinen menschlichen Akzent so unkenntlich geworden, dass er nicht in der Lage sein würde, auch nur die einfachste Unterhaltung zu führen? Würden sie ihn herausfordern? Er wollte nicht gegen sie kämpfen, aber alles deutete darauf hin, dass die Orks harte, stolze und unbeugsame Krieger waren. Er war ein ausgebildeter Kämpfer, aber würde das ausreichen, um gegen diese legendären Wesen zu bestehen? Konnte er sich lange genug gegen sie behaupten, um sie davon zu überzeugen, dass er nicht ihr Feind war?

Meile um Meile legte er zurück. Ab und zu sah er zu den Sternen empor, um seine Position zu bestimmen. Er hatte die Navigation nie gelernt, aber eines der geheimen Bücher, die Tari ihm schickte, hatte sich mit den Sternen und deren Koordinaten beschäftigt. Thrall hatte es eingehend studiert und jede Information in sich aufgenommen, die es enthielt.

Vielleicht würde er dem Clan begegnen, der das Emblem des weißen Wolfs auf blauem Grund trug. Vielleicht würde er seine Familie finden. Blackmoore hatte ihm erzählt, er sei nicht weit von Durnholde gefunden worden, also war es nicht unwahrscheinlich, dass Thrall Angehörige seines Clans finden würde.

Aufregung durchflutete ihn. Es fühlte sich gut an.

Er lief die ganze Nacht und ruhte sich erst aus, als die Sonne aufging. So wie er Blackmoore kannte, suchten die Männer des Generalleutnants bereits nach ihm. Eventuell setzten sie sogar eine ihrer berüchtigten Flugmaschinen ein. Thrall hatte nie eine gesehen und insgeheim ihre Existenz bezweifelt. Aber wenn es sie gab, würde Blackmoore sie verwenden, um seinen geflohenen Champion wiederzufinden.

Thrall dachte an Tari und hoffte verzweifelt, dass niemand entdeckte, welche Rolle sie bei seiner Flucht gespielt hatte.


Blackmoore glaubte, dass er in seinem ganzen Leben noch nie so zornig gewesen war, und das sagte eine Menge aus. Das Glockengeläut hatte ihn geweckt. Er schlief allein in dieser Nacht, weil Taretha behauptete, krank zu sein. Entsetzt hatte er vor seinem Fenster wütend rote Flammen gesehen und Rauch über dem Festungshof. Er warf sich Kleidung über und mischte sich unter die übrige Bevölkerung von Durnholde, die verzweifelt versuchte, das Feuer unter Kontrolle zu bringen. Es dauerte einige Stunden, und als die erste zaghafte Morgenröte den Himmel zu erhellen begann, war nichts mehr übrig außer rußgeschwärzten Ruinen.

»Es ist ein Wunder, dass niemand verletzt wurde«, sagte Langston und wischte sich über seine Stirn. Sein bleiches Gesicht war schmutzig von Asche und Rauch. Blackmoore nahm an, dass er selbst nicht besser aussah. Alle Anwesenden waren dreckig und verschwitzt. Die Diener würden einiges an Wäsche aufzuarbeiten haben.

»Sogar die Tiere sind unverletzt«, sagte Tammis und trat neben sie. »Sie dürften unmöglich allein entkommen sein. Wir können nicht sicher sein, Mylord, aber es sieht so aus, als habe jemand das Feuer absichtlich gelegt.«

»Beim Licht!«, stieß Langston hervor. »Glaubst du das wirklich? Wer würde so etwas tun?«

»Ich würde meine Feinde an den Fingern abzählen, wenn ich so viele Finger hätte«, grollte Blackmoore. »Und Zehen. Es gibt genügend Bastarde, die eifersüchtig auf meinen Rang und auf meinen … Lothars Geist!« Der Fluch rann ihm über die Lippen. Ihm wurde plötzlich kalt, und er ahnte, dass sein Gesicht weiß unter dem Ruß geworden war. Langston und Tammis starrten ihn an.

Er nahm sich nicht die Zeit, um seine Sorge in erklärende Worte zu fassen. Er sprang von den Steinstufen auf, auf denen er gesessen hatte, und lief zurück zur Festung. Freund und Diener folgten ihm, lauthals rufend: »Blackmoore, wartet!« und »Mylord, was ist in Euch gefahren?«

Blackmoore ignorierte beide. Er hastete durch Korridore und Treppen hinauf, bis er vor dem zerbrochenen Gebilde stehen blieb, das einmal die Tür von Thralls Zelle gewesen war. Seine schlimmste Befürchtung hatte sich bewahrheitet.

»Sie sollen verdammt sein!«, schrie er. »Jemand hat meinen Ork gestohlen! Tammis! Ich will Männer, ich will Pferde, ich will Flugmaschinen – ich will Thrall unter allen Umständen wieder zurück!«


Thrall war überrascht über die Tiefe seines Schlafs und die Lebendigkeit seiner Träume. Er erwachte, als es Nacht wurde und blieb für einen Moment einfach liegen. Er fühlte das weiche Gras unter seinem Körper und genoss die Brise auf seinem Gesicht. Dies war die Freiheit, und sie schmeckte unendlich süß. Wertvoll. Er verstand jetzt, warum manche eher sterben wollten als in Gefangenschaft zu leben.

Ein Speer stieß gegen seinen Nacken, und die Gesichter von sechs Männern – Menschen – starrten auf ihn herab.

»Du«, sagte einer von ihnen, »steh auf!« Thrall grollte sich selbst, während er hinter einem Pferd hergezogen wurde und jeweils zwei Männer rechts und links von ihm eine Eskorte bildeten. Wie hatte er nur so dumm sein können? Er hatte sich die Lager ansehen wollen – aber aus sicherer Entfernung und aus dem Verborgenen heraus. Er hatte nur vorgehabt zu beobachten, nicht, ebenfalls eingepfercht zu werden.

Er versuchte zu fliehen, aber vier hatten Pferde und ritten ihn sofort nieder. Sie verfügten über Netze, Speere und Schwerter, und Thrall schämte sich, als sie ihn so schnell und mühelos überwältigten. Zunächst wollte er sich wehren, aber dann entschied er sich dagegen. Er wusste, dass diese Männer nicht für seine anschließende Behandlung zahlen würden und wollte sich seine Unversehrtheit bewahren. Außerdem gab es wohl keine bessere Möglichkeit, Orks zu treffen, als sich mit ihnen zusammen einsperren zu lassen. Die Krieger waren so wild, dass sie jede Gelegenheit zu fliehen beim Schopf packen würden. Und Thrall wusste genug, um sie bei diesem Vorhaben zu unterstützen.

Deshalb mimte er den Geschlagenen – auch wenn er sich zutraute, mit allen vieren fertig werden zu können. Er bereute seine Entscheidung jedoch, als die Kerle in dem Sack herumzuwühlen begannen.

»Genug zu essen«, brummte einer. »Sogar gute Sachen. Wir werden uns das Zeug heute Abend schmecken lassen, Jungs.«

»Major Remka wird sich das Essen schmecken lassen«, sagte ein anderer.

»Wie sollte sie davon erfahren, wenn wir ihr nichts sagen?«, fragte ein Dritter. Thrall sah zu, als der, der als Erster gesprochen hatte, gierig in ein Stück Fleischpastete biss, das Taretha eingepackt hatte.

»Sieh mal an«, sagte der Erste. »Ein Messer.« Er erhob sich und ging zu Thrall, der hilflos in seinem Netz gefangen war. »Hast alles geklaut, was?« Er hielt das Messer vor Thralls Gesicht. Thrall blinzelte nicht einmal.

»Lass ihn, Hult«, sagte der zweite Mann. Er war der Kleinste und Aufgeregteste von den Sechsen. Die anderen hatten ihre Pferde an Äste gebunden und teilten die Beute untereinander auf. Sie packten alles in ihre Satteltaschen und hatten anscheinend entschieden, der mysteriösen Remka, wer immer sie auch war, nichts davon zu erzählen.

»Das behalte ich!«, sagte Hult.

»Du kannst das Essen haben, aber du weißt, dass wir alles andere abgeben müssen«, sagte der zweite Mann. Er schien Respekt vor Hult zu haben und war entschlossen, seine Befehle zu befolgen.

»Und wenn ich’s nicht tue?«, fragte Hult. Thrall mochte ihn nicht. Er sah gemein und wütend aus – so wie Blackmoore. »Was wirst du dann tun?«

»Du solltest dir lieber Gedanken darüber machen, was ich dann tue«, sagte eine neue Stimme. Dieser Mann war groß und schlank. Er wirkte körperlich nicht imposant, aber Thrall hatte gegen genügend gute Krieger gekämpft, um zu wissen, dass Technik manchmal mehr wog als Größe. Wenn man von Hults Reaktion ausging, wurde der Mann respektiert.

»Es gibt diese Regeln, damit wir die Orks im Auge behalten können. Das ist der Erste seit Jahren, der eine menschliche Waffe bei sich trägt. Das müssen wir berichten. Was die angeht …«

Thrall sah entsetzt zu, wie der Mann Tarethas Briefe betrachtete und sich dann mit zusammengekniffenen Augen an ihn wandte. »Du kannst wohl nicht zufällig lesen, was?«

Die anderen Männer lachten so schallend, dass Brotkrumen aus ihren Mündern flogen, doch der Mann, der die Frage gestellt hatte, blieb ernst. Thrall wollte antworten, überlegte es sich jedoch anders. Es war besser so zu tun, als würde er die menschliche Sprache nicht beherrschen.

Der große Mann kam zu ihm. Thrall spannte sich an, erwartete einen Schlag, aber der Mann ging vor ihm in die Hocke und sah Thrall direkt in die Augen. Thrall sah weg.

»Du. Lesen?« Der Mann zeigte mit einem behandschuhten Finger auf die Briefe. Thrall starrte sie an und kam zu dem Schluss, dass selbst ein Ork, der die menschliche Zunge nicht beherrschte, den Zusammenhang erkennen müsste. Deshalb schüttelte er heftig den Kopf. Der Mann sah ihn schärfer an und stand auf. Thrall war sich nicht sicher, ob ihm Glauben geschenkt wurde.

»Er kommt mir bekannt vor«, sagte der Mann. Thrall spürte immer eisigere Kälte in sich aufsteigen.

»Für mich sehen die alle gleich aus«, sagte Hult. »Groß, grün und hässlich.«

»Schade, dass keiner von uns lesen kann«, sagte der Mann. »Ich wette, diese Papiere würden uns einiges erklären.«

»Du willst immer mehr, als deinem Stand zusteht, Waryk«, sagte Hult mit einem Hauch von Abneigung in der Stimme.

Waryk steckte die Briefe zurück in den Sack, nahm Hult trotz halbherziger Proteste das Messer ab und schwang den jetzt fast leeren Sack über den Sattel seines Pferdes. »Leg das Essen weg, bevor ich meine Meinung ändere. Wir bringen ihn zum Lager.«


Thrall hatte angenommen, sie würden ihn auf einen Karren oder einen der Wagen binden, an die er sich erinnerte. Doch sie brachten ihm noch nicht einmal diese winzige Spur von Menschlichkeit entgegen. Stattdessen banden sie einfach einen Strick an dem Netz fest, in das er eingewickelt lag und zogen ihn hinter einem der Pferde her. Nach vielen Jahren im Gladiatorenring hatte sich Thrall eine dicke Haut angeeignet – noch sehr viel dicker als Ork-Haut ohnehin schon war. Was ihn weit mehr verletzte, war der Verlust von Tarethas Briefen. Es war sein Glück, dass keiner der Männer lesen konnte, und er war dankbar, dass sie nicht die Halskette gefunden hatten. In der letzten Nacht hatte er sie angeschaut, und es war ihm gelungen, sie in seine schwarze Hose zu stecken, bevor sie von jemand bemerkt wurde. Dieses Stück von Taretha war ihm also wenigstens geblieben.

Die Reise schien ewig zu dauern. Die Sonne kroch nur langsam über den Himmel. Schließlich erreichten sie eine hohe Steinmauer. Waryk bat um Durchlass, und Thrall hörte, wie ein schweres Gittertor geöffnet wurde. Man drehte ihn auf seinen Rücken, sodass er die Dicke der Mauer bewundern konnte, als sie die Pforte passierten. Gelangweilte Wachen warfen dem Neuankömmling einen kurzen Blick zu, bevor sie sich wieder ihren unterbrochenen Angelegenheiten widmeten.

Das erste, was Thrall bemerkte, war der Gestank. Er erinnerte ihn an die Ställe von Durnholde, war jedoch sehr viel stärker. Er rümpfte die Nase. Hult bemerkte es und lachte.

»Bist wohl schon zu lange von deiner Art getrennt gewesen, Grüner«, sagte er. »Hast vergessen, wie sehr ihr stinkt.« Er kniff sich die Nase zu und rollte mit den Augen.

»Hult!«, warnte ihn Waryk. Er griff nach dem magischen Netz und sprach eine Formel. Thrall spürte, wie sich seine Fesseln lösten und kam auf die Beine.

Er sah sich entsetzt um. Überall hockten Dutzende – vielleicht sogar Hunderte – Orks. Einige saßen in ihren eigenen Exkrementen. Ihre Blicke waren starr, ihre Kiefer mit den Stoßzähnen hingen herab. Einige gingen auf und ab und murmelten unzusammenhängende Worte. Andere schliefen zusammengerollt auf der Erde und schienen noch nicht einmal zu bemerken, wenn jemand auf sie trat. Es gab gelegentlichen Streit, doch der endete stets so rasch, wie er begonnen hatte, als hätten die Beteiligten nicht genügend Kraft, ihn bis zu einer Entscheidung auszufechten.

Was ging hier vor? Wurde Thralls Volk unter Drogen gehalten? Ja, das musste die Erklärung sein. Thrall wusste, was Orks waren, wie wild und grausam sie sein konnten. Er hatte erwartet … nun, er wusste nicht, was er erwartet hatte, aber sicherlich nicht diese unnatürliche Lethargie.

»Na, komm«, sagte Waryk und schob ihn sanft auf eine Gruppe von Orks zu. »Essen gibt es einmal am Tag, Wasser ist in den Trögen.«

Thrall richtete sich auf und versuchte ein tapferes Gesicht zu machen, als er auf eine Gruppe von fünf Orks zuging, die neben einem Wassertrog saßen. Er fühlte, wie Waryks Blicke auf seinem geschundenen Rücken ruhten und hörte den Mann sagen: »Ich könnte schwören, ihn schon mal gesehen zu haben!« Dann gingen die Männer weg.

Nur ein Ork sah auf, als Thrall näher kam. Thrall war noch nie einem Angehörigen seines Volkes so nahe gewesen – und jetzt waren da sogar fünf.

»Ich grüße euch«, sagte er auf Orkisch.

Sie starrten ihn an. Einer sah zu Boden und grub einen kleinen Stein aus, der im Sand steckte.

Thrall versuchte es noch einmal. »Ich grüße euch!« Er breitete seine Arme in einer Geste aus, von der die Bücher behaupteten, dass so ein Krieger dem anderen Respekt entbot.

»Wo haben sie dich gefangen?«, fragte einer von ihnen schließlich in der Menschensprache. Auf Thralls verwirrten Blick hin, fuhr er fort: »Du beherrschst Orkisch nicht seit der Geburt. Das hört man.«

»Du hast Recht. Ich wurde von Menschen aufgezogen. Sie brachten mir nur wenig Orkisch bei. Ich hatte gehofft, ihr könntet es mich besser lehren.«

Die Orks sahen sich an und begannen zu lachen. »Von Menschen aufgezogen, aha. Hey, Krakis – komm mal rüber. Wir haben hier einen guten Geschichtenerzähler! In Ordnung, Schamane, erzähl uns noch eine!«

Thrall spürte, wie seine Hoffnung auf einen Kontakt mit seinem Volk schwand. »Bitte, ich wollte niemanden beleidigen. Ich bin jetzt ein Gefangener wie ihr. Ich habe noch nie andere Orks getroffen. Ich wollte nur …«

Der eine, der weggesehen hatte, drehte sich zurück, und Thrall brach ab. Die Augen dieses Orks waren feuerrot und schienen zu glühen, als würden sie von innen beleuchtet. »Du wolltest also dein Volk treffen? Nun, du hast uns getroffen. Jetzt lass uns in Ruhe.« Er widmete sich wieder seinem Stein.

»Deine Augen …«, murmelte Thrall. Das rote Glühen überraschte ihn so sehr, dass er die Beleidigung nicht erkannte.

Der Ork zuckte, hob eine Hand, um sein Gesicht vor Thralls Blicken zu schützen und rutschte noch weiter weg.

Thrall drehte sich um, um eine Frage zu stellen und entdeckte, dass er allein war. Die anderen Orks waren weggeschlurft und bedachten ihn mit misstrauischen Blicken.

Der Himmel war den ganzen Tag bewölkt gewesen, und es war stetig kälter geworden. Jetzt, da Thrall allein auf dem Platz stand, umgeben von den Überresten seines Volkes, öffnete der graue Himmel seine Schleusen und schüttete Eisregen und Schnee über ihm aus.

Thrall bemerkte das schlechte Wetter kaum, so tief saß seine Enttäuschung. Hatte er deshalb alles aufgegeben, was er je an Bindungen besessen hatte? Sollte er sein Leben als Gefangener in einer Gemeinschaft geistloser, antriebsloser Wesen verbringen? In seinen Träumen hatte er mit ihnen die Tyrannei der Menschen zerschlagen – nur in seinen Träumen.

Was war schlimmer, fragte er sich, im Ring für Blackmoore zu kämpfen, trocken und sicher zu schlafen und Briefe von Tari zu lesen, oder hier allein zu stehen, abgelehnt von seinem eigenen Blut?

Die Antwort war einfach: beides war unerträglich.

Möglichst unauffällig begann Thrall nach einer Fluchtmöglichkeit zu forschen. Es konnte nicht so schwer sein. Es gab nur wenige Wachen, und bei Nacht sahen sie beträchtlich schlechter als Thrall. Außerdem wirkten sie gelangweilt und desinteressiert, und wenn man die Antriebslosigkeit und Lethargie der Orks bedachte, bezweifelte Thrall, dass einer von diesen den Mut finden würde, die erstaunlich niedrigen Mauern zu überklettern.

Er fühlte, wie der Regen die Hose, die er trug, aufweichte. Ein grauer dunkler Tag für eine graue dunkle Lektion. Die Orks waren keine ehrenvollen wilden Krieger. Er konnte sich nicht erklären, wie diese Kreaturen den Menschen jemals solchen Widerstand geleistet haben sollten.

»Wir waren nicht immer so, wie du uns jetzt siehst«, sagte eine weiche Stimme neben seinem Ellbogen. Überrascht drehte Thrall sich um und sah den rotäugigen Ork, der ihn mit seinem verstörenden Blick musterte. »Seelenlos, ängstlich, beschämt. Das haben sie uns angetan.« Er zeigte auf seine Augen. »Und wenn wir das loswerden könnten, kämen unsere Herzen und unsere Kräfte vielleicht zurück.«

Thrall hockte sich neben ihn in den Schlamm. »Rede weiter«, drängte er. »Ich höre zu.«

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