13

Obwohl der Rest des Winters hart und bitterkalt war, hielt sich Thrall an der Wärme fest, die er in seinem Inneren spürte, und so empfand er den Frost als erträglich. Er war jetzt ein Mitglied des Clans, und selbst die Warsongs hatten ihm nicht ein solches Gefühl seines eigenen Wertes vermittelt. Tagsüber jagte er mit den anderen, die jetzt seine Familie waren, und hörte Drek’Thar zu. Die Nächte verbrachte er als Teil einer lauten, glücklichen Versammlung, die um das Feuer herumsaß, Lieder sang und sich Geschichten aus vergangenen Tagen voller Ruhm erzählte.

Obwohl Drek’Thar ihn oft mit Erzählungen über seinen mutigen Vater Durotan beschenkte, spürte Thrali, dass der greise Ork etwas zurückhielt. Er sprach ihn jedoch nicht darauf an. Thrall hatte jetzt vollkommenes Vertrauen in Drek’Thar und wusste, dass der Schamane ihm sagen würde, was er wissen musste, sobald er es wissen musste.

Er fand auch eine besondere Freundschaft. Eines Abends, als der Clan und die Wolfgefährten sich um das Feuer eingefunden hatten, wie es ihre Gewohnheit war, löste sich ein junger Wolf aus dem Rudel, das normalerweise am Rande des Feuerscheins schlief, und näherte sich Thrall. Die Clan-Mitglieder wurden still.

»Die Wölfin wird wählen«, sprach Drek’Thar ruhig. Thrall hatte längst aufgehört, sich darüber zu wundern, wie Drek’Thar Dinge wie das Geschlecht eines Wolfes und seine – ihre – Bereitschaft zu wählen erkannte – was auch immer dieses Wort bedeuten mochte. Nicht ohne Mühe und Schmerzen erhob sich Drek’Thar und streckte seine Arme in Richtung der Wölfin aus.

»Schönheit, du wünschst, eine Verbindung mit einem Mitglied unseres Clans einzugehen«, sagte er. »Tritt näher und erwähle denjenigen, mit dem du für den Rest deines Lebens verbunden sein wirst.«

Die Wölfin sprang nicht sofort vor. Sie nahm sich Zeit, ihre Ohren zuckten, ihre dunklen Augen studierten jeden der anwesenden Orks. Die meisten von ihnen hatten bereits Gefährten, aber viele waren noch allein, vor allem die Jüngeren. Uthul, der Thralls guter Freund geworden war, nachdem dieser gegen seine grausame Behandlung rebelliert hatte, spannte sich an. Thrall konnte seinen Wunsch erkennen, dass dieses schöne, geschmeidige Tier ihn erwählen möge.

Die Augen der Wölfin trafen Thralls Augen, und es war, als liefe ein Zittern durch seinen Körper.

Die Wölfin sprang auf Thrall zu und legte sich an seine Seite. Ihre Augen bohrten sich in die seinen. Thrall fühlte einen warmen Strom der Verwandtschaft mit diesem Wesen, obwohl sie zwei unterschiedlichen Arten entstammten. Er wusste, ohne genau zu verstehen, wie er dies wissen konnte, dass sie an seiner Seite verweilen würde, bis einer von ihnen beiden dieses Leben einst verließ.

Vorsichtig streckte Thrall die Hand aus, um Snowsongs schön geformten Kopf zu berühren. Das Fell war weich und dicht. Eine warme Welle von Freude spülte über Thrall hinweg.

Die Gruppe grunzte Laute der Zustimmung, und der schwer enttäuschte Uthul war der Erste, der Thrall anerkennend auf den Rücken klopfte.

»Sag uns ihren Namen«, bat Drek’Thar.

»Ihr Name ist Snowsong«, antwortete Thrall, und wieder wusste er nicht, warum er sich dessen sicher war. Die Wölfin blickte ihn aus halb geschlossenen Augen an, und er spürte ihre Zufriedenheit.


Drek’Thar enthüllte den Grund für Durotans Tod schließlich an einem Abend gegen Ende des Winters. Wenn die Sonne schien, hörten sie mehr und mehr die Geräusche des schmelzenden Schnees. Thrall stand an diesem Nachmittag bei Drek’Thar und sah respektvoll zu, wie der alte Schamane ein Ritual zur Schneeschmelze vollzog und sie bat, ihren Kurs nur so weit zu ändern, dass sie nicht das Lager der Eiswölfe überflutete. Wie es jetzt immer war, stand Snowsong an Thralls Seite, ein weißer, stiller, treuer Schatten.

Thrall spürte, wie sich etwas in ihm rührte. Dann vernahm er eine Stimme: Wir hören die Bitte Drek’Thars und finden sie nicht unziemlich. Wir werden nicht dort fließen, wo du und die deinen wohnen, Schamane.

Drek’Thar verbeugte sich und schloss die Zeremonie, wie es das Ritual verlangte. »Ich habe es gehört!«, sagte Thrall. »Ich habe gehört, wie der Schnee dir geantwortet hat!«

Drek’Thar wandte seinen blinden Augen Thrall zu. »Ich weiß, dass du es gehört hast«, sagte er. »Es ist ein Zeichen, dass du bereit bist, dass du alles gelernt hast, das ich dich lehren konnte. Morgen wirst du dich deiner Initiation unterziehen. Aber heute Abend komm in meine Höhle. Ich habe dir Dinge zu erzählen, die du hören musst.«

Als die Finsternis sich herabsenkte, erschien Thrall in der Höhle. Wiseear winselte freudig. Drek’Thar winkte Thrall zu sich herein.

»Setz dich«, befahl er. Thrall gehorchte. Snowsong ging zu Wiseear, und sie berührten sich mit den Schnauzen, bevor sie sich zusammenrollten und bald einschliefen. »Du hast viele Fragen über deinen Vater und sein Schicksal. Ich habe es bisher unterlassen, sie zu beantworten, aber die Zeit ist gekommen, dass du alles wissen musst. Doch zuerst schwöre bei allem, das dir heilig ist, dass du niemals jemandem erzählen wirst, was ich dir jetzt sage – bis du ein Zeichen erhältst, dass es gesagt werden muss.«

»Ich schwöre es«, erklärte Thrall feierlich. Sein Herz schlug schnell. Nach so vielen Jahren würde er endlich die Wahrheit erfahren …

»Du hast gehört, dass wir von Gul’dan ins Exil verbannt wurden«, begann Drek’Thar. »Aber du hast nicht gehört, warum dies geschah. Niemand kannte die Gründe bis auf deine Eltern und bis auf mich selbst, und genau so wünschte es Durotan. Je weniger Leute wussten, was er wusste, desto sicherer war der Clan.«

Thrall sagte nichts, sondern lauschte aufmerksam auf jedes Wort, das über Drek’Thars Lippen kam.

»Wir wissen jetzt, dass Gul’dan böse war und mit seinem Herzen nicht die besten Interessen des Ork-Volkes verfolgte. Doch die Wenigsten wissen, wie umfassend er uns verraten hat und welch schrecklichen Preis wir nun für alles zahlen, was er uns angetan hat. Durotan erfuhr es, und wegen dieses Wissens wurde er verbannt. Er und Draka – und du, junger Thrall – kehrten in die Südlande zurück, um dem mächtigen Ork-Häuptling Orgrim Doomhammer von Gul’dans Verrat zu berichten. Wir wissen nicht, ob deine Eltern Doomhammer erreicht haben, aber wir wissen, dass sie wegen ihres Wissens getötet wurden.«

Thrall hielt die ungeduldige Frage »Welches Wissen?« nur mühsam zurück. Drek’Thar machte eine lange Pause, dann fuhr er fort.

»Gul’dan suchte stets nur Macht für sich selbst, und er verkaufte uns in eine Form der Sklaverei, um diese Macht zu erlangen. Er gründete den Schattenrat, und diese Gruppe, die aus ihm selbst und vielen bösen Ork-Hexern bestand, diktierte alles, was die Orks taten. Der Rat verbündete sich mit Dämonen, die ihm ihre abscheulichen Kräfte zur Verfügung stellten, und flößte der Horde eine solche Liebe zum Töten und zur Schlacht ein, dass die Orks die alten Wege vergaßen, die Wege der Natur und des Schamanen. Es verlangte sie nur noch nach Tod. Du hast das rote Feuer in den Augen jener Orks in den Lagern gesehen, Thrall. An diesem Zeichen erkennst du, dass sie von dämonischen Kräften regiert wurden.«

Thrall schnappte nach Luft. Er dachte sofort an Hellscreams helle scharlachrote Augen – und daran, wie ausgemergelt sein Leib war. Doch Hellscreams Geist gehörte ihm selbst. Er hatte Gnade gewährt, hatte sich weder der wahnsinnigen Blutlust noch der schrecklichen Lethargie ergeben. Grom Hellscream musste sich jeden Tag den Dämonen gestellt haben und widerstand ihnen noch heute. Thralls Bewunderung für den Häuptling wuchs noch, als er erkannte, wie stark Hellscreams Willen sein musste.

»Ich glaube, die Trägheit, die du in den Lagern gesehen hast, ist die Leere, die einen Ork überfällt, sobald ihm die dämonische Energie entzogen wird. Ohne diese Macht von außen fühlen die Betroffenen sich schwach und beraubt. Sie wissen vielleicht nicht einmal, warum sie so fühlen, und sind selbst zu träge, um darüber nachzudenken. Sie sind wie leere Becher, Thrall, die einst mit Gift gefüllt waren und die nun danach schreien, wieder mit etwas Gesundem gefüllt zu werden. Das, wonach sie sich sehnen, sind die alten Wege. Der Schamanismus, eine neue Verbindung mit den einfachen und reinen Kräften der natürlichen Mächte, wird sie wieder füllen und diesen schrecklichen Hunger stillen. Dies – und nur dies – wird sie aus ihrem dunklen Schlaf erwecken und sie zu dem stolzen Erbe zurückführen, das ihnen allen und uns gehört.«

Thrall lauschte weiterhin gespannt und klebte an Drek’Thars Lippen.

»Deine Eltern wussten von diesem dunklen Pakt. Sie wussten, dass diese blutdurstige Horde so unnatürlich war wie nur irgendetwas, das man sich vorstellen kann. Gul’dan und die Dämonen hatten den natürlichen Mut unseres Volkes genommen und ihn für ihre Zwecke pervertiert. Durotan wusste das, und wegen dieses Wissens wurde sein Clan verbannt. Er akzeptierte es, aber als du geboren wurdest, konnte er nicht länger schweigen. Er wollte eine bessere Welt für dich, Thrall. Du warst sein Sohn und Erbe. Du wärst der nächste Häuptling geworden. Er und Draka brachen, wie ich dir erzählt habe, in die Südlande auf, um ihren alten Freund Orgrim Doomhammer zu finden.«

»Ich kenne diesen Namen«, sagte Thrall. »Er war ein mächtiger Kriegshäuptling, der die vereinten Clans gegen die Menschen führte.«

Drek’Thar nickte. »Er war weise und tapfer, ein guter Führer unseres Volkes. Die Menschen siegten schließlich, Gul’dans Verrat – zumindest ein blasser Schatten seiner wahren Abgründe – wurde entdeckt, und die Dämonen zogen sich zurück. Der Rest ist dir bekannt.«

»Wurde Doomhammer getötet?«

»Wir glauben nicht, aber seitdem hat man nichts mehr von ihm gehört. Dann und wann erreichen uns Gerüchte, er sei ein Eremit geworden, er lebe versteckt oder sei gefangen genommen worden. Viele halten ihn für eine Legende, die zurückkehren wird, um uns zu befreien, wenn die Zeit reif ist.«

Thrall sah seinen Lehrer eindringlich an. »Und was glaubst du, Drek’Thar?«

Der alte Ork lachte leise. »Ich glaube«, sagte er, »dass ich dir genug erzählt habe und dass es für dich Zeit ist, schlafen zu gehen. Der Morgen wird deine Initiation bringen, wenn es denn sein soll. Du solltest darauf vorbereitet sein.«

Thrall erhob sich und verbeugte sich respektvoll. Selbst wenn der Schamane die Geste nicht sehen konnte, machte er sie für sich selbst. »Komm, Snowsong«, rief er, und die weiße Wölfin trottete gehorsam mit dem Gefährten ihres Lebens in die Nacht hinaus.


Drek’Thar hörte genau hin, und als er sich sicher war, dass Thrall und Snowsong verschwunden waren, rief er Wiseear zu sich. »Ich habe eine Aufgabe für dich, mein Freund. Du weißt, was du zu tun hast.«


Obwohl er versuchte, so viel erholsame Ruhe wie möglich zu bekommen, fiel es Thrall schwer einzuschlafen. Er war zu aufgeregt, zu nervös. Was würde seine Initiation ihm bringen? Drek’Thar hatte ihm nichts weiter verraten, und er wünschte sich verzweifelt, er hätte irgendeine Ahnung von dem gehabt, was ihn erwartete.

Als der graue Morgen seine Höhle mit schwachem Licht füllte, war er hellwach. Er stand auf und begab sich nach draußen, und zu seiner Überraschung waren bereits alle anderen Stammesmitglieder wach und hatten sich schweigend vor seiner Höhle versammelt.

Thrall öffnete den Mund, um zu sprechen, aber Drek’Thar hob befehlend die Hand. »Du darfst erst wieder sprechen, wenn ich dir die Erlaubnis dazu erteile«, erklärte er.

»Du wirst jetzt gehen und dich allein in die Berge begeben. Snowsong muss hier bleiben. Du darfst nichts essen oder trinken, doch denke gut nach über den Weg, auf den du dich jetzt begibst. Wenn die Sonne untergeht, kehrst du zu mir zurück, und das Ritual wird beginnen.«

Gehorsam wandte sich Thrall um und ging. Snowsong, die wusste, was man von ihr erwartete, folgte ihm nicht. Sie warf den Kopf zurück und begann zu heulen. Die anderen Wölfe schlossen sich ihr an, und der wilde, betörende Chor begleitete Thrall, während er allein loszog, um zu meditieren.

Der Tag ging schneller vorüber, als er es erwartet hatte. Sein Geist war von Fragen erfüllt, und er war überrascht, als das Licht sich veränderte, und die Sonne, die sich orange am Winterhimmel abzeichnete, zum Horizont herab zu sinken begann. Er kehrte zurück, als ihre letzten Strahlen das Lager übergossen.

Drek’Thar wartete auf ihn. Thrall bemerkte, dass Wiseear nirgendwo zu sehen war. Das war ungewöhnlich, aber er nahm an, dass es zum Ritual gehörte. Snowsong war ebenfalls nicht anwesend. Er näherte sich Drek’Thar und wartete. Der greise Ork gab Thrall mit Gesten zu verstehen, er möge ihm folgen.

Er führte Thrall über einen schneebedeckten Grat an einen Platz, den Thrall noch nie zuvor gesehen hatte. Als Antwort auf seine unausgesprochene Frage erklärte Drek’Thar: »Dieser Ort ist stets hier gewesen, aber er will nicht gesehen werden. Deshalb hat er sich dir erst jetzt, da er dich willkommen heißt, erkennbar gemacht.«

Thrall fühlte, wie er immer nervöser wurde, aber er wagte es nicht zu sprechen. Drek’Thar gestikulierte mit den Händen. Der Schnee schmolz vor Thralls Augen und enthüllte eine große, runde Felsplattform. »Stell dich ins Zentrum, Thrall, Sohn des Durotan«, befahl Drek’Thar. Seine Stimme war nicht länger krächzend und zittrig, sondern von einer Kraft und Autorität erfüllt, die Thrall noch nie an ihm bemerkt hatte. Er gehorchte.

»Bereite dich darauf vor, den Geistern der natürlichen Welt zu begegnen«, erklärte Drek’Thar.

Nichts passierte. Thrall wartete, aber noch immer geschah nichts. Er verlagerte unruhig sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Die Sonne war jetzt vollständig untergegangen, und die ersten Sterne erschienen am Himmel. Er wurde ungeduldig und wütend, als plötzlich eine Stimme sehr laut in seinem Kopf sprach: Geduld ist die erste Prüfung.

Thrall zog schnell den Atem ein. Die Stimme sprach ein weiteres Mal.

Ich bin der Geist der Erde, Thrall, Sohn des Durotan. Ich bin der Boden, der die Frucht gebiert, und die Gräser, die die Tiere nähren. Ich bin der Fels, das Gebein der Welt. Ich bin alles, was wächst und in meinem Schoße lebt, sei es der Wurm oder der Baum oder die Blume. Frage mich.

Was soll ich dich fragen?, dachte Thrall.

Es gab einen seltsamen Gefühlsausbruch, fast wie ein leises, warmes Lachen. Die Frage zu kennen ist Teil deiner Prüfung.

Thrall fühlte Panik in sich aufsteigen, dann beruhigte er sich, wie Drek’Thar es ihn gelehrt hatte. Eine Frage erschien ruhig in seinem Geist.

Wirst du mir deine Macht leihen, wenn ich sie benötige, zum Wohle des Clans und jener, denen er helfen will?

Bitte darum, kam die Antwort.

Thrall begann mit den Füßen zu stampfen. Er fühlte die Kraft in sich aufsteigen, wie sie es immer tat, aber zum ersten Mal war sie nicht von Blutgier begleitet. Sie war warm und stark, und Thrall fühlte sich so hart wie die Gebeine der Erde selbst. Er nahm kaum wahr, dass der Boden unter ihm erbebte, und erst als ein süßer Geruch seine Nase erfüllte, öffnete er die Augen.

Die Erde war in gewaltigen Rissen aufgebrochen, und auf jedem Zoll des Felsens blühten Blumen. Thrall klappte der Mund auf.

Ich habe mich bereit erklärt, dir meine Hilfe zu leihen, zum Wohle des Clans und jener, denen er helfen will. Ehre mich, und du wirst mein Geschenk stets erhalten.

Thrall fühlte, wie die Kraft sich zurückzog, und er zitterte vor Schreck über das, was er gerufen und kontrolliert hatte. Aber ihm blieb nur ein Augenblick zum Staunen, denn jetzt meldete sich eine andere Stimme in seinem Kopf.

Ich bin der Geist der Luft, Thrall, Sohn des Durotan. Ich bin die Winde, die die Erde wärmen oder kühlen. Ich fülle deine Lungen und erhalte dich am Leben. Ich trage die Vögel und die Insekten und die Drachen, und alle Dinge, die den Mut haben, in meine Höhen aufzubrechen. Frage mich.

Nun wusste Thrall, was er zu tun hatte, und stellte die gleiche Frage. Die Kraft, die ihn erfüllte, war dieses Mal anders, leichter, freier. Obwohl es ihm verboten war zu sprechen, konnte er nichts gegen die Freude tun, die aus seiner Seele hervorsprudelte. Er fühlte, wie ihn warme Winde streichelten und alle Arten köstlicher Gerüche an seine Nase trugen, und als er die Augen öffnete, schwebte er hoch über dem Boden. Drek’Thar war so tief unter ihm, dass er aussah wie die Stoffpuppe eines Kindes. Aber Thrall hatte keine Angst. Der Geist der Luft würde ihn halten. Er hatte ihn gefragt, und er hatte geantwortet.

Sanft schwebte er wieder hinab, bis er den festen Boden unter seinen Füßen fühlte. Der Geist der Luft streichelte ihn mit sanften Fingern, dann verschwand er.

Wieder wurde Thrall von Kraft erfüllt, aber dieses Mal war sie beinahe schmerzhaft. Hitze wütete in seinem Bauch, und der Schweiß brach aus seiner grünen Haut. Er fühlte einen beinahe überwältigenden Drang, in eine nahegelegene Schneebank zu springen. Der Geist des Feuers war da, und Thrall fragte ihn um Hilfe. Er erhielt Antwort.

Es gab ein lautes Knistern über seinem Kopf, und Thrall blickte erschrocken auf. Die Blitze tanzten ihren gefährlichen Reigen am Nachthimmel. Thrall wusste, dass er ihnen gebieten konnte. Die Blumen, die aus dem Boden hervor geblüht waren, gingen in Flammen auf, krümmten sich und verbrannten innerhalb weniger Herzschläge zu Asche. Dies war ein gefährliches Element, aber Thrall dachte an die guten Feuer, die seinen Clan am Leben erhielten. Sofort erloschen die Flammen und bildeten sich in einem kleinen, begrenzten Bereich neu, der ihm angenehme Wärme spendete.

Thrall dankte dem Geist des Feuers und spürte, wie dessen Präsenz ihn verließ. Er fühlte sich ausgelaugt von all diesen seltsamen Energien, die nacheinander seinen Körper heimgesucht und wieder verlassen hatten, und war dankbar, dass es nur noch ein Element gab, dem er zu begegnen hatte.

Der Geist des Wasser floss in ihn. Er beruhigte und kühlte den Brand, den das Feuer zurückgelassen hatte, und Thrall hatte eine Vision des Ozeans, obwohl er noch nie zuvor das Meer gesehen hatte. Er griff mit seinem Geist hinaus, um die dunklen Tiefen der See zu erforschen. Etwas Kaltes berührte seine Haut. Er öffnete die Augen und sah, dass dichter Schnee zu fallen begonnen hatte. Mit einem Gedanken verwandelte er ihn in Regen und ließ ihn dann ganz aufhören. Der Trost des Geistes des Wassers in seinem Inneren beruhigte und stärkte Thrall, und er ließ ihn mit tiefem, von ganzem Herzen kommendem Dank gehen.

Er blickte zu Drek’Thar hinüber, aber der Schamane schüttelte den Kopf. »Deine Prüfung ist noch nicht beendet«, sagte er.

Und dann wurde Thrall plötzlich von Kopf bis Fuß von einer solchen Woge der Kraft erschüttert, dass er laut aufkeuchte. Natürlich. Das fünfte Element.

Der Geist der Wildnis.

Wir sind der Geist der Wildnis, die Essenz und die Seelen aller Dinge, die leben. Wir sind die Mächtigsten von allen, mächtiger als das Beben der Erde, die Winde der Luft, die Flammen des Feuers und die Fluten des Wassers. Sprich, Thrall, und sag uns, warum du glaubst, dass du unsere Hilfe verdient hast.

Thrall konnte nicht atmen. Er wurde von der Kraft überwältigt, die in ihm brüllte. Er zwang seine Augen offen zu bleiben und erblickte bleiche Gestalten, die ihn umwirbelten. Eine Gestalt war ein Wolf, eine andere eine Ziege, wieder eine andere ein Ork und ein Mensch und ein Hirsch. Er erkannte, dass alle lebenden Wesen Geister hatten, und er fühlte, wie die Verzweiflung in ihm aufstieg, als er daran dachte, dass er sie alle würde erspüren und kontrollieren müssen.

Aber schneller, als er es sich hätte vorstellen können, füllten ihn die einzelnen Geister und verließen ihn dann nacheinander, um dem nächsten Geist Platz zu machen. Thrall fühlte sich einer Ohnmacht nahe, aber er versuchte, sich zur Konzentration zu zwingen und jeden einzelnen Geist mit Respekt anzusprechen. Es wurde unmöglich, und er sank auf die Knie.

Ein weiches Geräusch erfüllte die Luft, und Thrall kämpfte darum, seinen Kopf zu heben, der sich schwer wie ein Stein anfühlte.

Sie schwebten nun ruhig um ihn herum, und er wusste, dass man ihn geprüft und für würdig befunden hatte. Ein geisterhafter Hirsch tänzelte um ihn herum, und Thrall wusste, dass er nie wieder in eine Hirschkeule würde beißen können, ohne ihren Geist zu fühlen und ihm für die Nahrung zu danken, die er ihm schenkte. Er fühlte eine Verwandtschaft mit jedem Ork, der jemals geboren worden war, und selbst der menschliche Geist war mehr von Tarethas süßer Präsenz erfüllt als von Blackmoores dunkler Grausamkeit. Alles war hell, selbst wenn es sich manchmal mit der Finsternis verband. Alles Leben war miteinander verbunden, und jeder Schamane, der in das Geflecht eingriff, ohne Vorsicht und Sorge und den größten Respekt für seinen Geist zu zeigen, war dazu verdammt zu scheitern.

Dann waren die Geister verschwunden. Thrall fiel vollkommen erschöpft nach vorne. Er fühlte Drek’Thars Hand auf seiner Schulter. Sie schüttelte ihn. Der alte Schamane half Thrall sich aufzusetzen. Die junge Ork hatte sich noch nie in seinem Leben so schwach gefühlt.

»Gut gemacht, mein Kind«, sagte Drek’Thar, und seine Stimme zitterte vor Bewegtheit. »Ich hatte gehofft, sie würden dich annehmen … Thrall, du musst wissen, dass es Jahre her ist – nein, Jahrzehnte! – , seit die Geister einen neuen Schamanen angenommen haben. Sie waren wütend wegen des dunklen Pakts unserer Hexer, ihrer Entartung der Magie. Es gibt jetzt nur noch sehr wenige Schamanen, und alle sind so alt wie ich. Die Geister haben auf jemanden gewartet, der würdig ist, ihre Geschenke zu erhalten. Du bist der Erste seit langer, langer Zeit, der in dieser Weise geehrt wurde. Ich hatte befürchtet, sie würden sich auf immer weigern und nie wieder mit uns zusammenwirken, aber … Thrall, ich habe in meinem Leben noch nie einen so starken Schamanen gesehen. Und du stehst erst am Anfang.«

»Ich … ich dachte, ich würde mich so stark fühlen«, stammelte Thrall mit schwacher Stimme. »Aber stattdessen … ich bin so gedemütigt …«

»Und das ist es, was dich so würdig macht.« Er streichelte Thralls Wange. »Durotan und Draka wären stolz auf dich.«

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