Thrall war zwölf Jahre alt, als er seinen ersten Ork sah. Er trainierte außerhalb der Festung. Seit er seinen ersten Kampf im zarten Alter von acht Jahren gewonnen hatte, war Blackmoore mit Sergeants Plan einverstanden und gestattete dem Ork größere Freiheiten – zumindest während des Trainings. Thrall trug immer noch eine Kette an einem Fuß, die mit einem riesigen Felsbrocken verbunden war. Selbst ein Ork von Thralls Stärke hätte mit diesem Ballast am Bein nicht zu fliehen vermocht. Die Kette war breit und fest, es war unwahrscheinlich, dass sie brach. Thrall hatte sich rasch an sie gewöhnt. Die Kette war lang und ließ ihm viel Spielraum. Und der Gedanke an Flucht war ihm nie gekommen. Er war Thrall, der Sklave. Blackmoore war sein Herr, Sergeant sein Ausbilder, Taretha seine geheime Freundin. Alles war so, wie es sein sollte.
Thrall bedauerte, dass er mit keinem der Männer, mit denen zusammen er ausgebildet wurde, Freundschaft geschlossen hatte. Jedes Jahr kam eine neue Gruppe, und sie waren alle aus dem gleichen Holz geschnitzt: jung, ehrgeizig, arrogant und etwas eingeschüchtert von dem riesigen grünen Wesen, mit dem sie zu üben hatten. Nur Sergeant lobte ihn, nur Sergeant griff ein, wenn sich die anderen gegen ihn verbündeten. Obwohl diese Männer Thrall für ihren Feind hielten, wusste er, dass sie nicht seine Feinde waren. Es wäre falsch gewesen, sie zu töten oder auch nur schwer zu verletzen.
Thrall hatte gute Ohren und achtete immer auf die Unterhaltungen der Männer. Da sie ihn für eine gehirnloses Tier hielten, sahen sie keine Veranlassung, in seiner Gegenwart ihre Zungen zu hüten. Wer achtet schon auf seine Worte, wenn der einzige Zeuge ein stumpfsinniges Tier ist?
Auf diese Weise erfuhr Thrall, dass die Orks, die einst furchtbare Gegner dargestellt hatten, schwächer wurden. Immer mehr wurden gefangen und in etwas gebracht, das man »Internierungslager« nannte. Durnholde war das Hauptquartier, und die Kommandanten jener Lager lebten dort, während Untergebene die täglich anfallenden Routinearbeiten in den Lagern verrichteten. Blackmoore war der oberste Vorgesetzte von allen Kommandanten. Ab und zu gab es noch ein paar Kämpfe, aber diese wurden zunehmend seltener. Einige der Männer, die an der Ausbildung teilnahmen, hatten vor Thrall noch nie einen Ork kämpfen sehen.
In den letzten Jahren hatte Sergeant ihm die Finessen des Nahkampfs beigebracht. Thrall beherrschte jede Waffe, die dabei zum Einsatz kam: Schwert, Breitschwert, Speer, Morgenstern, Netz, Axt, Keule und Hellebarde. Er selbst erhielt dabei nur die dürftigste Rüstung. Die Zuschauermenge fand es spannender, wenn die Kämpfer so gut wie ungeschützt waren.
Nun stand er in der Mitte der Ausbildungsgruppe. Das war ihm nicht fremd und eine Übung, die eher den anderen Rekruten galt als ihm selbst. Sergeant nannte dieses Szenario »Überwältigung«. Die Übenden waren – natürlich – Menschen, die so taten, als wären sie einem der letzten rebellischen Orks begegnet, der sich ihnen nicht kampflos ergeben wollte. Thrall war – natürlich – der uneinsichtige Ork. Ihre Aufgabe war es, drei verschiedene Möglichkeiten zu finden, um den »rebellischen Ork« gefangen zu nehmen oder zu töten.
Thrall mochte diese Übung nicht sonderlich. Es gefiel ihm nicht, das Ziel von bis zu zwölf Männern zu sein. Er bevorzugte den Kampf Mann gegen Mann. Vor allem störte ihn das Leuchten in den ke. Er war nicht einmal in der Mitte angelangt und wollte jetzt schon verzagen? Ein magisches Bauwerk, das so außergewöhnlich und phantastisch war, mußte noch weitere phantastische Überraschungen in sich bergen! Die Illusion des Kampfes von Licht und Finsternis über der Inselwelt konnte nicht alles sein.
Es mußte noch mehr kommen!
Schritt für Schritt ging er langsam weiter. Jetzt erst begann er sich zu fragen, wer jene Gestalt gewesen war, die er gesehen hatte. Lebte sie wirklrUnd jetzt, nachdem er diese Übung bereits einige Jahre kannte, wurde Thrall augenblicklich nach Beginn zu einem knurrenden, wütenden Tier. Die ersten paar Male war es ihm schwer gefallen, Phantasie von Realität zu unterscheiden, aber das änderte sich bald. Er verlor in diesem Szenario nie die Kontrolle über sich, und wenn es zu Zwischenfällen kam, vertraute er Sergeant, der rechtzeitig einschritt.
Sie kamen auf ihn zu.
Wie Thrall erwartet hatte, wählten sie den einfachen Angriff als die erste ihrer drei Möglichkeiten. Zwei von ihnen trugen Schwerter, vier Speere und der Rest Äxte. Einer von ihnen sprang vor.
Thrall parierte den Schlag mit Leichtigkeit. Sein Holzschwert wirbelte mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Er hob sein mächtiges Bein, trat zu und traf den Angreifer mit voller Wucht gegen die Brust. Der junge Mann wurde zurückgeschleudert, die Überraschung stand deutlich in seinem Gesicht. Er schlug auf dem Boden auf und japste nach Luft.
Thrall fuhr herum und erwartete den Angriff der anderen. Mit dem Schwert schlug er einen von ihnen zur Seite, als wäre der Mensch nur ein lästiges Insekt. Mit seiner freien Hand – er trug ja keinen Schild – griff er nach dem Speer des anderen Mannes, entriss ihn dessen Hand und drehte ihn, sodass sich die Spitze auf den Mann richtete, der den Speer eben noch gehalten hatte.
In einem richtigen Kampf hätte Thrall den Speer in den Körper des Mannes gestoßen. Aber dies war nur eine Übung, und Thrall wahrte die Kontrolle. Er hob den Speer und wollte ihn gerade zur Seite werfen, als ein furchtbares Geräusch alle erstarren ließ.
Thrall drehte sich um und sah einen kleinen Wagen, der sich der Festung über die enge gewundene Straße näherte. Dies geschah häufig, und die Reisenden waren stets gleich: Bauern, Händler, neue Rekruten oder Beamte auf der Durchreise.
Nicht so dieses Mal.
Dieses Mal zogen die wiehernden Pferde einen Wagen voller monströser grüner Bestien hinter sich her. Sie standen gebeugt in einem Metallkäfig, und Thrall sah, dass sie am Boden des Wagens festgekettet waren. Ihr groteskes Aussehen erfüllte ihn mit Schrecken. Sie waren gewaltig, deformiert, hatten riesige Hauer anstelle von Zähnen, kleine, wütende Augen …
Und dann begriff er die Wahrheit. Das waren Orks. Sein so genanntes Volk. Genau so sahen auch ihn die Menschen.
Das Übungsschwert entglitt seinen plötzlich tauben Fingern. Ich bin hässlich und, angsteinflößend, ich bin ein Monster. Kein Wunder, dass sie mich so hassen.
Eine der Bestien drehte sich und sah Thrall direkt in die Augen. Er wollte wegsehen, konnte es aber nicht. Er starrte zurück und hielt den Atem an. Im gleichen Moment gelang es dem Ork sich irgendwie zu befreien. Der Schrei, mit dem er sich gegen den Käfig warf, hallte wie Donner in Thralls Ohren. Mit Pranken, die sich an den Ketten blutig gescheuert hatten, griff der Ork nach den Käfigstangen und bog sie zu Thralls Entsetzen weit genug auseinander, um seinen großen Körper hindurchzwängen zu können. Der Wagen bewegte sich, die panikerfüllten Pferde liefen so schnell sie nur konnten. Der Ork landete schwer auf dem Boden, überschlug sich, stand jedoch einen Herzschlag später wieder auf den klobigen Beinen und rannte mit einer Geschwindigkeit auf Thrall und die anderen zu, die man seinem ungeschlachten Körper nicht zugetraut hätte.
Er öffnete sein schreckliches Maul und brüllte etwas, das wie Worte klang: »Kagh! Bin mog g’thazag cha!«
»Greift an, ihr Narren!«, schrie Sergeant. Obwohl er keine Rüstung trug, griff er nach einem Schwert und lief dem Ork entgegen. Die Männer gerieten in Bewegung und versuchten, ihm beizustehen.
Der Ork machte sich noch nicht einmal die Mühe, dem Sergeant ins Gesicht zu schauen. Er holte mit der Kette in seiner Linken aus, traf die Brust von Sergeant und schleuderte ihn zurück. Dabei lief er unaufhaltsam weiter. Seine Blicke waren auf Thrall gerichtet, und erneut rief er die Worte: »Kagh! Bin mog g 'thazag cha!«
Endlich überwand Thrall seine Angst, wusste jedoch nicht, was er tun sollte. Er hob sein Übungsschwert und nahm eine Verteidigungshaltung ein, statt anzugreifen. Dieses furchtbar hässliche Wesen lief auf ihn zu. Es war mit Sicherheit feindlich. Aber es gehörte seinem eigenen Volk an, seinem Fleisch und Blut. Ein Ork wie Thrall, war nun einmal ein Ork, und Thrall brachte es nicht über sich, ihn zu attackieren.
Während Thrall noch darüber nachdachte, warfen sich die Männer auf den Ork, und dessen großer grüner Körper ging unter den Schlägen der Schwerter und Äxte zu Boden. Blut floss zwischen den Stiefeln der Männer hindurch, und als es schließlich vorbei war, traten sie zurück und betrachteten den Berg aus grünem und rotem Fleisch, der einst ein lebendes Wesen gewesen war.
Sergeant stützte sich auf einen Ellbogen. »Thrall!«, rief er. »Bringt ihn sofort in die Zelle zurück!«
»Was im Namen von allem, das heilig ist, hast du getan?«, brüllte Blackmoore und starrte auf den Sergeant, der ihm so empfohlen worden war, der mittlerweile jedoch der Mensch war, den er mehr als alle anderen hasste. »Er sollte nie einen anderen Ork zu Gesicht bekommen, zumindest nicht bis …« Er verstummte kurz, ehe er fortfuhr: »Aber jetzt weiß er es, verdammt noch mal! Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?«
Der Sergeant richtete sich unter dem verbalen Angriff auf. »Nun, ich dachte, Sir, dass Ihr es mir wohl sagen würdet, wenn Ihr verhindern wollt, dass Thrall einen anderen Ork zu Gesicht bekommt. Ich dachte, Sir, dass Ihr vielleicht eine Zeit für die Ankunft eines Wagens voller Ork ausmachen würdet, zu der sich Thrall in seiner Zelle aufhält, da Ihr ja nicht wollt, dass er Orks sieht. Ich dachte, Sir, dass …«
»Es reicht!«, brüllte Blackmoore. Er holte tief Luft und sammelte sich. »Der Schaden ist angerichtet. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir ihn reparieren.«
Sein ruhiger Tonfall entspannte auch den Sergeant. Deutlich weniger erregt fragte er: »Das heißt also, Thrall wusste nicht, wie er aussieht?«
»Nein. Keine Spiegel, keine stillen Wasserflächen. Er hat gelernt, dass Orks Abschaum sind, was natürlich stimmt, und dass er nur weiterleben darf, weil er mir Geld bringt.«
Es wurde still, während beide Männer nachdachten. Der Sergeant kratzte sich an seinem roten Bart und sagte: »Jetzt weiß er es also, na und? Nur weil er als Ork geboren wurde, heißt das nicht, dass er selbst eine gehirnlose Bestie bleiben muss. Das ist er übrigens auch nicht. Wenn Ihr ihm erlauben würdet, sich menschlicher …«
Der Vorschlag des Sergeants verärgerte Blackmoore. »Er ist kein Mensch!«, brach es aus ihm hervor. »Er ist eine Bestie. Ich will nicht, dass er sich für einen großen grünhäutigen Menschen hält!«
»Dann sagt mir, Sir«, erwiderte der Sergeant, nachdem er kurz die Zähne zusammengebissen hatte, »für was soll er sich denn halten?«
Blackmoore hatte keine Antwort. Er wusste es nicht. Er hatte nie darüber nachgedacht. Alles war ihm so einfach erschienen, als er den Ork-Säugling gefunden hatte. Ziehe ihn als Sklaven auf, bringe ihm bei zu kämpfen, gib ihm ein wenig Menschlichkeit und setze ihn an die Spitze einer Armee aus ergebenen Orks, mit der er die Allianz angreift. Mit Thrall an der Spitze einer erstarkten Ork-Armee konnte Blackmoore eine Macht erlangen, die noch über seine wildesten Vorstellungen hinausging.
Aber es würde nicht funktionieren. Tief im Inneren wusste er, dass der Sergeant Recht hatte: Thrall musste verstehen, wie Menschen dachten und handelten, wenn er mit diesem Wissen über die bestialischen Orks herrschen sollte. Aber wenn er das verstand, würde er dann nicht rebellieren? Thrall musste stets seinen Platz kennen und an seine niedere Geburt erinnert werden. Es ging nicht anders. Beim Licht, was sollte er tun? Wie sollte er diese Kreatur behandeln, um aus ihr den perfekten Kriegsherrn zu formen – während alle anderen nur den Gladiatorenkämpfer in ihm sehen durften?
Er holte tief Luft. Er durfte vor diesem Diener nicht das Gesicht verlieren. »Thrall muss angeleitet werden, und zwar von uns«, sagte er bemerkenswert ruhig. »Er hat lange genug mit den Rekruten trainiert. Ich glaube, wir sollten ihn ganz auf den Kampf beschränken.«
»Sir, er ist sehr nützlich in der Ausbildung«, setzte der Sergeant an.
»Wir haben die Orks fast vernichtet«, sagte Blackmoore und dachte an die Orks, die zu Tausenden in die Lager gebracht wurden. »Ihr Anführer Doomhammer ist geflohen, und sie sind ein versprengtes Volk. Wir werden bald Frieden haben. Wir müssen den Rekruten nicht mehr beibringen, wie man gegen die Orks kämpft. Sie werden nur noch an Schlachten gegen andere Menschen teilnehmen, nicht mehr gegen Monster!«
Er fluchte innerlich, hatte er doch beinahe schon zu viel verraten. Der Sergeant wirkte, als habe er dies ebenfalls bemerkt, reagierte jedoch nicht darauf.
»Männer, die in Frieden leben, benötigen ein Ventil für ihre Blutgier«, sagte Blackmoore. »Thrall soll sich fortan auf Gladiatorenkämpfe beschränken. Er wird unsere Taschen füllen und uns Ehre einbringen.« Er grinste. »Ich bin noch keinem Mann begegnet, der einen Ork besiegen konnte.«
Thralls Aufstieg in den Reihen der Gladiatoren konnte man nur als phänomenal bezeichnen. Er erreichte seine vollständige Größe, als er noch sehr jung war, und über die Jahre füllte sich sein langer Körper aus. Jetzt war er der größte Ork, den viele je gesehen oder von dem sie je gehört hatten. Er war der Herr des Rings, und jeder wusste es.
Wenn er nicht gerade kämpfte, lebte er allein in seiner Zelle, die ihm mit jedem Tag kleiner erschien, obwohl Blackmoore ihm eine neue zur Verfügung gestellt hatte. Thrall verfügte jetzt über einen kleinen, abgetrennten Schlafbereich und einen wesentlich größeren Raum, in dem er trainieren konnte. Der eingelassene Ring wurde von einem Gitter bedeckt und enthielt eine ganze Reihe Übungswaffen sowie Thralls alten »Freund«, die stark mitgenommene Troll-Attrappe, an der er üben konnte. In manchen Nächten, wenn Thrall nicht schlafen konnte, stand er auf und reagierte seine Unruhe an der Puppe ab.
Die einsamen, düsteren Stunden wurden nur durch die Bücher erhellt, die Taretha ihm schickte, durch ihre liebgewonnenen Botschaften und die Tafel mit dem Griffel. Mindestens einmal die Woche unterhielten sie sich heimlich auf diese Weise, und Thrall stellte sich die Welt vor, so wie Taretha ihm davon erzählte. Es war eine Welt der Kunst, der Schönheit und der Freundschaft. Eine Welt, in der Essen nicht aus verdorbenem Fleisch und Brackwasser bestand. Eine Welt, in der auch er einen Platz hatte.
Ab und zu fiel sein Blick auf das immer stärker zerschlissene Wickeltuch mit dem Symbol des weißen Wolfskopfs auf blauem Grund. Dann sah er schnell weg, weil er meinte, dass seine Gedanken diesen Pfad nicht betreten sollten. Was hätte es gebracht? Er hatte genug Bücher gelesen (einige, die Tari ihm heimlich geschickt hatte und von denen Blackmoore nichts ahnte), um zu wissen, dass die Orks in kleinen Gruppen lebten, von denen jede über ein eigenes Symbol verfügte. Was also hätte er denn tun sollen? Blackmoore sagen, er wolle jetzt kein Sklave mehr sein – dürfe er also bitte gehen, um seine Angehörigen zu suchen …?
Trotzdem er absurd war, ließ ihn der Gedanke nicht mehr los. Sein eigenes Volk …
Tari hatte ihr eigenes Volk, ihre Familie, die aus Tammis und Clannia Foxton bestand. Man schätzte und liebte sie. Er war froh, dass sie so liebevoll aufwuchs, denn nur dank dieser Sicherheit hatte sie selbst die Herzenswärme entwickeln können, mit der sie ihm begegnete.
Manchmal fragte er sich, was die anderen Foxtons von ihm hielten. Tari erwähnte sie kaum noch. Sie hatte ihm erzählt, dass ihre Mutter Clannia ihn an ihrer Brust gesäugt hatte, um sein Leben zu retten. Zuerst hatte dies Thrall berührt, doch als er älter wurde und mehr lernte, verstand er, dass Clannia es nicht aus Liebe zu ihm getan hatte, sondern nur um ihre Position bei Blackmoore zu verbessern.
Blackmoore. Alle Pfade seiner Gedanken endeten bei ihm. Wenn er Tari schrieb oder ihre Briefe las, oder wenn er in den Zuschauerrängen während der Gladiatorenkämpfe nach ihrem goldenen Haar suchte, konnte er vergessen, dass er jemandem gehörte. Er konnte sich auch in den aufregenden Momenten verlieren, die Sergeant »Blutgier« nannte, aber diese Augenblicke waren nur kurz. Selbst wenn Blackmoore Thrall besuchte, um über eine militärische Strategie zu sprechen, die Thrall studiert hatte, oder um eine Runde Falken und Hasen zu spielen, gab es keine Zuneigung, kein Gefühl von Familie, das ihn mit diesem Mann verband. Wenn Blackmoore in jovialer Stimmung war, sprach er mit ihm wie mit einem Kind. Und wenn er verärgert war und voll dunkler Wut, was häufiger vorkam, fühlte sich Thrall hilflos wie ein Neugeborenes. Blackmoore konnte befehlen, dass man ihn schlug oder aushungerte oder verbrannte oder ankettete, oder – das wäre die schlimmste aller Strafen gewesen, die Blackmoore aber zum Glück noch nicht eingefallen war – er konnte ihm seine Bücher verbieten.
Thrall wusste, dass Tari kein privilegiertes Leben führte, nicht verglichen mit dem Blackmoores. Sie war eine Dienerin und damit beinahe eine Sklavin, auch wenn man nur den Ork Sklave nannte. Aber sie hatte Freunde, sie wurde nicht angespuckt, sie hatte einen Platz gefunden.
Langsam, ohne dass er es selbst wollte, bewegte sich seine Hand und griff nach dem blauen Wickeltuch. In diesem Moment hörte er, wie die Tür aufgeschlossen und geöffnet wurde. Er ließ das Tuch fallen, als sei es etwas Schmutziges.
»Komm schon«, sagte einer der schlecht gelaunten Wächter und reichte ihm die Ketten. »Zeit zu kämpfen. Ich habe gehört, sie haben heute einen ziemlich guten Gegner für dich.« Er grinste humorlos und entblößte seine fleckigen Zähne. »Und Lord Blackmoore wird dir das Fell über die Ohren ziehen, wenn du nicht gewinnst.«