5

Mehr als zehn Jahre waren vergangen, seit Leutnant Blackmoore auf einen Schlag einen elternlosen Ork und die Möglichkeit zur Erfüllung all seiner Träume gefunden hatte.

Für Thralls Herrn und die Menschheit im allgemeinen waren es gute und fruchtbare Jahre gewesen. Aedelas Blackmoore, einst Leutnant, nun Generalleutnant, hatte mit Spott leben müssen, als er seinen »Haus-Ork« zum ersten Mal nach Durnholde brachte. Das lag vor allem daran, dass niemand glaubte, das unglückliche kleine Ding könne überleben. Zum Glück hatte es Mistress Foxton und ihre prallen Brüste gegeben. Blackmoore konnte nicht verstehen, wie eine menschliche Frau es über sich brachte, einen Ork zu säugen. Dieses Angebot hatte seine Verachtung für seinen Diener und dessen Familie noch verstärkt, gleichzeitig jedoch Blackmoores Hintern gerettet. Deshalb hatte er ihnen Spielzeug, Essen und Bildung für ihr Kind geschenkt, obwohl es nur ein Mädchen war.

Es war ein schöner Tag, warm, aber nicht heiß. Das perfekte Kampfwetter. Der Baldachin mit seinen rot-goldenen Farben sorgte für angenehmen Schatten. Bunte Banner tanzten in einer leichten Brise, Musik und Gelächter umspielten Blackmoores Ohren. Der Geruch von reifen Früchten, frischem Brot und gegrilltem Wild lockte seine Nase. Jeder hier war bester Stimmung. Nach den Kämpfen würden einige nicht mehr so gut gelaunt sein, aber noch waren alle zufrieden und voller Erwartung.

Neben ihm lag, ausgestreckt auf einem gepolsterten Möbel, sein junger Protege Lord Karramyn Langston. Langston hatte dichtes braunes Haar, das zu seinen dunklen Augen passte, einen gestählten Körper und ein gewinnendes Lächeln. Außerdem verehrte er Blackmoore und war der einzige Mensch, dem dieser von seinem eigentlichen Plan erzählt hatte. Obwohl Langston wesentlich jünger als er war, teilte er viele von Blackmoores Idealen und seine Skrupellosigkeit. Sie passten gut zusammen. Langston war im warmen Sonnenschein eingeschlafen und schnarchte leise.

Blackmoore griff nach einem Stück gegrilltem Fasan und einem Kelch Rotwein, der so rot war wie das Blut, das bald in der Arena vergossen werden würde. Das Leben war wunderbar, und mit jeder Herausforderung, die Thrall meisterte, wurde es besser.

Blackmoore verließ die Arena nach den Kämpfen stets mit prall gefüllter Börse. Sein »Haus-Ork«, einst die Schande der Festung, war jetzt sein ganzer Stolz.

Natürlich waren die meisten Gegner Thralls Menschen – zwar einige der stärksten, gemeinsten und hinterhältigsten Menschen, aber doch letztendlich nur Menschen. Die anderen Gladiatoren waren brutale, abgebrühte Sträflinge, die versuchten, dem Kerker zu entrinnen, indem sie ihren Herren Geld und Ruhm verschafften. Einigen gelang dies, und sie erhielten ihre Freiheit. Die meisten aber tauschten ihr Gefängnis nur gegen ein anderes mit Teppichen an den Wänden und Frauen in ihren Betten, das trotz allem ein Gefängnis blieb. Die wenigsten Lords ließen ihre Gewinngaranten als freie Männer herumlaufen.

Aber einige von Thralls Gegnern waren nicht menschlich, und wenn er auf diese traf, wurde es interessant.

Es berührte Blackmoores Ehrgeiz nicht, dass die Orks geschlagen und am Boden waren und längst nicht mehr die furchteinflößende Streitmacht darstellten wie einst. Der Krieg war vorbei, und die Menschen hatten die Entscheidungsschlacht gewonnen. Jetzt ließ sich der Feind in spezielle Lager führen, beinahe so wie man Vieh nach einem Tag auf der Weide in den Stall bringt. Lager, dachte Blackmoore gutgelaunt, die allein er leitete.

Sein ursprünglicher Plan war gewesen, einen Ork zu einem guterzogenen loyalen Sklaven und einem furchtlosen Krieger zu erziehen. Er hatte Thrall aussenden wollen, um sein eigenes Volk zu besiegen – falls »Volk« ein passendes Wort für die hirnlosen grünen Raufbolde war. Nach ihrer Vernichtung hatte Blackmoore die zerstörten Clans in seinem Sinne einsetzen wollen.

Aber die Horde war von der Allianz besiegt worden, bevor Thrall seine erste Schlacht erleben durfte. Zuerst war Blackmoore darüber verärgert gewesen. Doch dann war ihm ein anderer Gedanke gekommen, wie er seinen Haus-Ork doch noch einsetzen könnte. Es setzte jedoch Geduld voraus, und davon hatte Blackmoore nur sehr wenig. Die Belohnung für die Geduld würde jedoch größer sein, als er es sich je erhofft hatte. Die inneren Streitigkeiten drohten, die Allianz zu zerreißen. Elfen verachteten Menschen, Menschen beleidigten Zwerge, und Zwerge misstrauten Elfen. Ein hübsches Geflecht aus Vorurteilen und gegenseitigen Verdächtigungen …

Er erhob sich von seinem Stuhl und beobachtete, wie Thrall einen der größten und gefährlichsten Männer besiegte, die Blackmoore je gesehen hatte. Der menschliche Gegner hatte keine Chance gegen die unbezähmbare grüne Bestie. Die Menge jubelte, und Blackmoore lächelte. Er winkte Tammis Foxton heran, und der Diener eilte gehorsam zu ihm.

»Herr?«

»Wie viele sind es heute?« Blackmoore wusste, dass er lallte, aber das störte ihn nicht. Tammis hatte ihn schon betrunkener erlebt. Tammis hatte ihn sogar schon betrunken zu Bett gebracht.

Tammis’ langes ängstliches Gesicht wirkte noch besorgter als sonst. Sein Blick zuckte zu den Flaschen und dann zurück zu Blackmoore.

Plötzliche Wut stieg in Blackmoore empor. Er packte Tammis’ am Kragen und zog ihn zu sich herab, bis er nur Zentimeter von seinem Gesicht entfernt war.

»Zählst du die Flaschen, du erbärmlicher kleiner Wicht?«, zischte er mit leiser Stimme. Tammis fürchtete kaum etwas so sehr wie öffentliche Erniedrigung, aber so betrunken Blackmoore auch war, diese besondere Karte wollte er noch nicht spielen. Er drohte lediglich gerne damit, so wie jetzt auch. Mit leicht verschwommenem Blick sah er, wie Tammis erbleichte. »Du bringst deine eigene Frau dazu, einen Ork zu säugen und wagst es anzudeuten, dass ich Schwächen habe?«

Das weiße Gesicht des Mannes widerte ihn an. Er stieß ihn beiseite. »Ich wollte wissen, wie viele Runden Thrall gewonnen hat!«

»Oh, natürlich, Sir. Ein halbes Dutzend hintereinander …« Tammis stockte. Er sah erbärmlich aus. »Bei allem Respekt, Sir, die letzte Runde ist ihm schwer gefallen. Seid Ihr sicher, dass Ihr ihn noch drei weitere Kämpfe bestehen lassen wollt?«

Narren. Blackmoore war nur von Narren umgeben. Als der Sergeant am Morgen die Kampfreihenfolge gelesen hatte, hatte er Blackmoore ebenfalls gebeten, dem Ork wenigstens ein paar Minuten Ruhe zu gönnen und vielleicht die Kämpferliste zu ändern, damit die arme verwöhnte Kreatur sich zwischendurch erholen konnte.

»Oh nein. Die Wettquoten gegen Thrall steigen mit jedem Kampf. Er hat noch nie verloren, kein einziges Mal. Klar, dass ich jetzt aufhören und all den netten Leuten ihr Geld zurückgeben will«, spottete er und winkte Tammis angewidert davon. Thrall konnte einfach nicht besiegt werden. Weshalb sollte er diesen Vorteil nicht ausnutzen, wenn er die Gelegenheit dazu erhielt?

Thrall gewann den nächsten Kampf, doch selbst Blackmoore bemerkte, dass es ihm schwer fiel. Er rückte seinen Stuhl zurecht, um eine bessere Sicht zu bekommen. Langston tat es ihm gleich. Bei dem Kampf, der darauf folgte, dem achten von neun, die der Ork bestehen sollte, geschah etwas, das weder Blackmoore noch die Menge je erlebt hatte.

Der mächtige Ork war erschöpft. Die Gegner in dieser Runde waren zwei Bergkatzen, die man Wochen zuvor gefangen hatte. Bis zu diesem Morgen hatte man sie eingesperrt, gequält und kaum gefüttert. Als sich nun die Türen zur Arena öffneten, schossen sie auf den Ork zu, als hätte man sie aus einer Kanone gefeuert. Ihr beigefarbenes Fell verschwamm vor den Blicken, als sich beide gleichzeitig bewegten, ihn ansprangen und Thrall unter ihren Klauen und Zähnen zu Boden ging.

Die Menge schrie entsetzt auf. Blackmoore sprang auf und musste sich am Stuhl festhalten, um nicht zu stürzen. Das ganze Geld …

Und dann kam Thrall wieder empor! Er brüllte wütend und schleuderte die großen Tiere von sich, als wären sie nicht mehr als Eichhörnchen. Die beiden Schwerter, die in diesem Kampf die ihm zugeteilten Waffen waren, setzte er mit großem Geschick ein. Thrall kämpfte beidhändig, und die Klingen blitzten in der Sonne, als sie wirbelten und schnitten. Eine Katze war bereits tot, ihr Körper von einem einzigen Schlag beinahe in der Mitte geteilt worden. Das zweite Tier war durch den Tod des ersten noch aggressiver geworden und griff mit erhöhter Wut an. Dieses Mal ließ Thrall ihm keine Chance. Als die Katze in einem Wirbel aus Fell, Klauen und Zähnen sprang, war Thrall bereit. Sein Schwert fauchte nach links, nach rechts und wieder nach links. Die Katze fiel in vier blutigen Stücken zu Boden.

»Seht Euch das an!«, rief Langston fröhlich.

Die Menge jubelte begeistert. Nur Thrall, der normalerweise den Jubel mit erhobenen Fäusten begrüßte und mit den Füßen aufstampfte, bis die Erde zu erbeben schien, stand mit hängenden Schultern da. Er atmete schwer, und Blackmoore sah, dass die Katzen ihre Spuren in Form einiger tiefer blutender Kratzer und Bisse hinterlassen hatten. Während Blackmoore seinen unersetzlichen Sklaven betrachtete, drehte Thrall langsam den hässlichen Kopf und starrte seinen Herrn an. In den Augen bemerkte Blackmoore Schmerz und Erschöpfung … und ein unausgesprochenes Flehen.

Dann sank der mächtige Krieger Thrall auf die Knie, und sofort reagierte die Menge erneut mit Zurufen. Blackmoore glaubte sogar Mitgefühl aus ihrem Geschrei herauszuhören. Langston sagte nichts, aber seine braunen Augen musterten Blackmoore durchdringend.

Verdammter Thrall! Er war ein Ork, der seit seinem sechsten Lebensjahr im Umgang mit Waffen und Gegnern geschult wurde. Die meisten Kämpfe hatte er an diesem Tag nur gegen Menschen bestritten, mächtige Krieger zwar, aber keine echten Herausforderungen für Thralls brutale Stärke. Es konnte nur ein Trick sein, mit dem er der letzten Runde entgehen wollte, von der Thrall wusste, dass es die schwerste von allen werden würde.

Selbstsüchtiger, dummer Sklave. Er wollte wohl nur zurück in seine gemütliche Zelle, etwas essen und ein paar Bücher lesen. Blackmoore würde ihm schon die nötigen Lektionen beibringen.

In diesem Moment trat der Sergeant in die Runde. »Lord Blackmoore!«, rief er, die Hände zum Trichter vor seinem bärtigen Mund geformt. »Werdet Ihr auf den letzten Kampf verzichten?«

Hitze stieg in Blackmoores Wangen. Wie konnte der Sergeant das in aller Öffentlichkeit wagen? Blackmoore, der immer noch schwankte, griff mit der Linken nach der Stuhllehne. Langston kam unauffällig näher, um ihm seine Hilfe anzubieten, sollte es nötig werden. Blackmoore streckte seine rechte Hand aus und führte sie zu seiner linken Schulter.

Nein.

Der Sergeant blickte ihn für einen Moment durchdringend an, als könne er nicht glauben, was er sah. Dann aber nickte er und gab das Kommando für den nächsten Kampf.

Thrall kam auf die Beine. Er sah aus, als trüge er tonnenschwere Steine auf seinem Rücken. Mehrere Männer liefen in die Arena, um die toten Bergkatzen und liegengelassenen Waffen zu entfernen. Sie gaben Thrall die Waffe, die er in diesem Kampf verwenden sollte: den Morgenstern – eine mit Dornen versehene Metallkugel, die mit einer Kette an einem massiven Stock befestigt war. Thrall nahm die Waffe und versuchte eine drohende Haltung einzunehmen. Selbst aus der Entfernung sah Blackmoore, dass der Ork zitterte. Normalerweise stampfte Thrall vor jedem Kampf mit dem Fuß auf. Dieser Rhythmus brachte die Menge in Rage und schien ihm zu helfen, sich für den bevorstehenden Kampf zu sammeln. Heute jedoch bereitete es ihm schon Mühe, auf den Beinen zu bleiben.

Nur noch ein Kampf. Die Bestie würde das schon schaffen.

Die Tore öffneten sich, sonst geschah für einen langen Moment nichts.

Das änderte sich, als er aus dem Halbdunkel hervortrat. Seine beiden Köpfe schrien unverständliche Provokationen, sein bleicher Körper überragte Thrall in gleichem Maße, wie er die Menschen überragte. So wie Thrall trug er nur eine einzige Waffe, aber es war die Bessere für einen Kampf wie diesen – ein langer, tödlich drohender Speer. Durch die Länge seiner Arme und die Länge des Speers hatte der Oger eine wesentlich größere Reichweite als der Ork. Thrall musste versuchen, nahe heranzukommen, um einen Treffer zu landen und den Sieg herbeizuführen.

Das war so ungerecht!

»Wer hat dem Oger diesen Speer gegeben?«, brüllte Blackmoore Langston an. »Er sollte eine Waffe haben, die mit der von Thrall vergleichbar ist!« Blackmoore dachte nicht an die vielen Male, bei denen Thrall mit einem Breitschwert oder einem Speer ausgerüstet war, während seine menschlichen Gegner nur ein Kurzschwert oder eine Axt führten.

Der Oger marschierte in die runde Arena und sah dabei einer Kriegsmaschine ähnlicher als einem lebenden Wesen. Er hielt den Speer nach vorn gerichtet. Ein Kopf begutachtete die Menge, der andere Thrall.

Thrall hatte noch nie ein solches Wesen gesehen und starrte es einen Augenblick lang einfach nur an. Dann riss er sich zusammen, richtete sich zur vollen Größe auf und begann den Morgenstern zu schwingen. Er warf den Kopf zurück, sein langes schwarzes Haar kitzelte den Rücken, und stieß einen Schrei aus, der ebenso dröhnend wie die Laute des Ogers war.

Der Oger griff an und stieß mit dem Speer zu. Seinen Bewegungen wohnte keine Eleganz inne, nur animalische Stärke. Thrall wich dem schwerfälligen Angriff mit Leichtigkeit aus, unterlief die Verteidigung des Ogers und schwang den Morgenstern. Der Oger schrie auf und wurde langsamer, als die schwere Dornenkugel seine Körpermitte traf. Thrall sprang an ihm vorbei und fuhr herum.

Bevor der Oger sich drehen konnte, traf Thrall ihn zwischen den Schulterblättern. Der Oger fiel auf die Knie, ließ den Speer fallen und griff nach seinem Rücken.

Blackmoore lächelte. Das musste der widerlichen Kreatur doch das Rückgrat gebrochen haben. Diese Kämpfe führten nicht zwangsweise zum Tod – es ziemte sich im Gegenteil nicht, einen Gegner zu töten, weil damit die Anzahl guter Kämpfer reduziert wurde –, aber jeder wusste, dass es eine gewisse Wahrscheinlichkeit gab, im Ring zu sterben. Die Heiler konnten mit ihren Salben nicht alles richten. Und Blackmoore konnte kein Mitgefühl für den Oger aufbringen.

Seine Freude war zudem von kurzer Dauer. Denn noch während Thrall mit dem Morgenstern ausholte, sprang der Oger auf und griff nach seinem Speer. Thrall zielte mit dem Morgenstern auf den Kopf des Wesens. Zur Überraschung der Menge und offensichtlich auch zu Thralls Verblüffung, streckte der Oger einfach nur eine seiner großen Hände aus und wischte die Kugel damit beiseite. Gleichzeitig stieß er den Speer nach vorne.

Der Morgenstern entfiel Thralls Pranke. Er wurde zur Seite gestoßen und verlor das Gleichgewicht. Verzweifelt versuchte er auszuweichen, aber der Speer traf ihn in die Brust, nur wenige Zentimeter unterhalb seiner linken Schulter. Er schrie vor Schmerz. Der Oger stieß im Näherrücken nach und schob den Speer auf diese Weise vollständig durch Thralls Körper, so dass er hinten zu Boden fiel. Dann warf sich der Oger auf den Ork, prügelte wie ein Wahnsinniger auf den Hilflosen ein und stieß dabei furchtbare Grunzlaute und Schreie aus.

Blackmoore starrte entsetzt auf das Spektakel. Der Ork wurde geschlagen, war so hilflos wie ein Kind, das Gewalt von einem Erwachsenen erfuhr. Der Gladiatorenring, ein Ort, an dem die besten Krieger des Königreichs ihre Stärke, Schnelligkeit und List maßen, war jetzt nicht mehr als ein Platz, auf dem ein Monster von einem sehr viel Stärkeren zu Brei geschlagen wurde.

Wie konnte Thrall das zulassen?

Männer hasteten in den Ring. Mit spitzen Stöcken versuchten sie, den Oger dazu zu bringen, von seiner Beute abzulassen. Die Bestie reagierte auf die Versuche, ließ von dem blutenden Thrall ab und hetzte hinter den Männern her. Drei andere warfen ein magisches Netz, das sofort schrumpfte und die Gliedmaßen des wütenden Ogers an dessen Körper pressten. Wie ein Fisch zappelte er jetzt, und die Männer warfen ihn ohne große Rücksicht auf einen Karren und beförderten ihn aus dem Ring.

Thrall wurde ebenfalls hinausgetragen, allerdings wesentlich sanfter. Blackmoores Status sorgte dafür, während diesem dämmerte, dass er auf Grund eines einzigen Kampfes jeden Penny verloren hatte, der von ihm heute auf Thrall gesetzt worden war. Viele seiner Begleiter teilten dieses Schicksal, und er spürte ihre wütenden Blicke im Rücken, als sie nach ihren Geldbörsen griffen, um ihre Schulden zu begleichen.

Thrall. Thrall. Thrall …


Thrall lag stöhnend auf dem Stroh, das ihm als Lager diente. Er hatte noch nie solche Schmerzen erlebt oder solche Erschöpfung. Er wünschte sich, ohnmächtig zu werden. Das hätte vieles erleichtert.

Trotzdem ließ er nicht zu, dass die Schwärze ihn übermannte. Die Heiler würden bald eintreffen. Blackmoore schickte sie stets, wenn Thrall in einem Kampf verletzt worden war. Blackmoore kam auch immer persönlich vorbei, und Thrall freute sich auf die tröstenden Worte seines Herrn. Es stimmte, dass er zum ersten Mal einen Kampf verloren hatte, aber sicherlich würde Blackmoore ihn loben, weil er davor ganze neun Kämpfe in Folge durchgestanden hatte. Das hatte noch niemand, das wusste Thrall. Er wusste auch, dass er den Oger hätte besiegen können, wenn er ihm im ersten, dritten oder sogar sechsten Kampf begegnet wäre. Aber niemand konnte erwarten, dass er nach einer rekordverdächtigen Siegfolge auch jetzt gewann.

Er schloss die Augen, als Schmerz durch seinen Körper schoss. Das heiße Brennen in seiner Brust war beinahe unerträglich. Wo blieben die Heiler? Sie sollten längst eingetroffen sein. Er wusste, dass er dieses Mal schwer verletzt worden war. Er schätzte, dass er sich einige Rippen und ein Bein gebrochen hatte. Hinzu kamen die Schwertwunden und natürlich das schreckliche Loch in seiner Schulter, wo der Speer ihn aufgespießt hatte. Sie mussten bald kommen, wenn Thrall am nächsten Tag wieder die Arena betreten sollte.

Thrall hörte, wie eine Tür geöffnet wurde, konnte jedoch den Kopf nicht heben, um zu sehen, wer die Zelle betrat.

»Die Heiler werden kommen«, sagte Blackmoore. Thrall spannte sich an. Die Stimme, die er hörte, lallte und war voller Verachtung. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Bitte nicht dieses Mal … nicht ausgerechnet jetzt …

»Aber sie werden nicht bald kommen. Ich will dich leiden sehen, du feiger Hurensohn!«

Thrall stöhnte vor Qual, als ihn Blackmoores Stiefel in den Magen traf. Der Schmerz war fürchterlich, aber bei weitem nicht so schlimm wie das Entsetzen über den Verrat, das ihn durchpulste. Wieso schlug Blackmoore ihn, wo er doch schwer verletzt war? War ihm denn nicht klar, wie meisterhaft Thrall gekämpft hatte?

Obwohl der Schmerz ihn beinahe das Bewusstsein kostete, hob Thrall den Kopf und sah Blackmoore verschwommenen Blickes an. Das Gesicht des Mannes war vor Wut verzerrt, und als er Thralls Starren bemerkte, schlug er ihm mit eisenbewehrter Faust ins Gesicht. Alles wurde schwarz, und als Thrall wieder hören konnte, schrie Blackmoore ihn immer noch an.

»… Tausende verloren, hörst du das? Tausende! Was ist nur los mit dir? Es war ein erbärmlicher, würdeloser Kampf!«

Er schlug immer noch auf Thrall ein, und dieser sackte langsam weg. Sein Körper schien kaum noch zu ihm zu gehören, und Blackmoores Tritte fühlten sich nur noch wie Schläge gegen einen Teppich an. Thrall fühlte klebriges Blut auf seinem Gesicht.

Blackmoore hatte ihn gesehen, hatte gewusst, wie erschöpft Thrall gewesen war, hatte zugesehen, während er immer und immer wieder angriff und acht von neun Malen gewann. Niemand hatte erwarten können, dass er diesen letzten Kampf ebenfalls siegreich beendete. Thrall hatte mit allem gekämpft, was er aufzubieten vermochte, und er hatte fair und ehrenhaft verloren.

Und trotzdem war das nicht genug für Blackmoore.

Schließlich hörten die Tritte auf. Thrall hörte, wie Blackmoore die Zelle verließ und einen einzigen Satz hervorstieß: »Jetzt sind die anderen dran.«

Die Tür wurde nicht geschlossen. Thrall hörte weitere Schritte. Er versuchte seinen Kopf zu heben, aber es gelang ihm nicht. Mehrere Stiefelpaare erschienen vor ihm, und Thrall begriff, was Blackmoore angeordnet hatte. Ein Stiefel holte aus und trat Thrall ins Gesicht.

Seine Welt wurde weiß, dann schwarz, und er spürte nichts mehr.


Als Thrall erwachte, spürte er Wärme und die furchtbaren Schmerzen, die ihn schon eine Ewigkeit zu begleiten schienen. Drei Heiler behandelten ihn und benutzten ihre Salben, um seine Wunden zu versorgen. Das Atmen fiel ihm leichter, und er vermutete, dass seine Rippen bereits wieder zusammengewachsen waren. Die Heiler massierten die süßlich riechende Schmiere gerade in seine Schulter, wo sich offenbar die schwerste Verletzung befand.

Obwohl ihre Berührungen sanft waren und ihre Mittel wirkten, spürte er bei den Männern kein Mitgefühl. Sie unterstützten seine Gesundung, weil Blackmoore sie dafür bezahlte, nicht weil sie sein Leiden mindern wollten. Einst war er naiver gewesen und hatte ihnen für ihre Mühen gedankt. Einer von ihnen hatte ihn überrascht angesehen, und ein verächtliches Lächeln war auf seinen Lippen erschienen. »Mach dir nichts vor, Monster. Wenn die Münzen nicht mehr klimpern, gibt es auch keine Salbe mehr. Du solltest besser nicht verlieren.«

Damals hatten ihn die unfreundlichen Worte schockiert, nun störten sie ihn längst nicht mehr. Thrall hatte begriffen. Er verstand viele Dinge. Es war, als sei sein Blick voller Nebel gewesen und erst jetzt klar geworden. Er lag ruhig da, bis sie fertig waren, aufstanden und gingen.

Thrall setzte sich auf und war überrascht, als er Sergeant vor sich stehen sah. Er hatte seine haarigen Arme über der breiten Brust verschränkt. Thrall sprach nicht, fragte sich nur, welche neuen Leiden ihm jetzt bevorstanden.

»Ich habe dich von ihnen befreit«, sagte Sergeant ruhig. »Aber nicht bevor sie ihren Spaß hatten. Blackmoore wollte mit mir über … Geschäfte reden. Das tut mir Leid, Junge, wirklich Leid. Du warst heute unglaublich im Ring. Blackmoore sollte stolz auf dich sein. Stattdessen …« Seine raue Stimme brach ab. »Na ja, ich wollte, dass du weißt, dass du nicht verdient hast, was er dir angetan hat. Was sie dir angetan haben. Du warst gut, Junge, wirklich gut. Und jetzt schlaf etwas.«

Er schien noch mehr sagen zu wollen, nickte dann jedoch nur und ging. Thrall lehnte sich zurück und bemerkte gedankenverloren, dass jemand das Stroh gewechselt hatte. Es war nicht mehr voll mit seinem Blut.

Er war dankbar für das, was Sergeant getan hatte und glaubte dem Mann. Doch es war zu wenig und kam zu spät.

Er würde sich nicht mehr so behandeln lassen. Früher hätte er den Kopf eingezogen und geschworen, künftig alles besser zu machen, damit er die Liebe und den Respekt erhielt, den er verzweifelt suchte. Jetzt wusste er, dass er beides hier nicht finden würde, nicht so lange er Blackmoore gehörte.

Er wollte nicht schlafen. Er wollte diese Zeit zum Planen nutzen. Er griff nach der Tafel und dem Griffel, die er im Sack aufbewahrte, und schrieb eine Notiz an die einzige Person, der er vertrauen konnte. Tari.

In den nächsten dunklen Monden werde ich entkommen.

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