19

Nebelig brach der Morgen an. Thrall roch den Regen, der in der Luft lag. Er hätte einen sonnigen Tag vorgezogen, um den Feind besser erkennen zu können, aber der Regen würde seine Krieger besonnener und maßvoller vorgehen lassen. Außerdem konnte Thrall den Regen kontrollieren, wenn es nötig werden sollte. Für den Augenblick ließ er das Wetter tun, was es wollte.

Er, Hellscream und eine kleine Gruppe von Eiswölfen würden vorausgehen. Die Armee würde ihnen folgen. Thrall wäre lieber in der Deckung der Bäume geblieben, aber eine Armee von beinahe zweitausend Kriegern benötigte die Straße. Wenn Blackmoore Späher postiert hielt, würde er gewarnt werden. Thrall konnte sich von seiner eigenen Zeit auf Durnholde nicht an solche Posten erinnern, aber die Dinge hatten sich inzwischen verändert.

Die von ihm angeführte Vorhut bewegte sich stetig auf der Straße nach Durnholde voran. Thrall rief einen kleinen Singvogel und bat ihn, sich für ihn umzusehen. Der Vogel kam nach kurzer Zeit zurück, und in seinem Geist hörte Thrall: Sie haben euch gesehen. Sie rennen zurück zur Festung. Andere sind unterwegs, um euch den Rückzug abzuschneiden.

Thrall runzelte die Stirn. Das war eine ziemlich gute Organisation für Blackmoores Verhältnisse. Trotzdem – seine Armee war den Männern auf Durnholde zahlenmäßig vierfach überlegen.

Der Vogel mit dem gelbschwarzen Körper und dem hellblauen Kopf hatte sich auf Thralls riesigem Zeigefinger niedergelassen und wartete. Flieg zurück zu meiner Armee und finde den alten, blinden Schamanen. Erzähle ihm, was du mir erzählt hast.

Der Vogel neigte den blauen Kopf und flatterte davon, um Thralls Bitte zu erfüllen. Drek’Thar war nicht nur ein Schamane, sondern auch ein erfahrener Krieger. Er würde wissen, wie er auf die Warnung des Vogels zu reagieren hatte.

Thrall und seine Gruppe bewegten sich ruhig und ohne Zögern vorwärts. Die Straße machte eine Biegung, und dann ragte Durnholde in seiner stolzen, steinernen Herrlichkeit vor ihnen auf. Thrall spürte eine Veränderung unter seinen Begleitern.

»Hebt die Parlamentärsflagge«, sagte er. »Wir werden uns an die Regeln halten. Das hält sie vielleicht davon ab, zu früh das Feuer zu eröffnen. Früher haben wir die Lager leicht erstürmt«, gab er zu. »Jetzt stehen wir vor einer schwierigeren Aufgabe. Durnholde ist eine Festung, und sie wird nicht leicht einzunehmen sein. Aber glaubt mir, wenn die Verhandlungen scheitern sollten, wird Durnholde fallen.«

Er hoffte, dass es nicht dazu kommen musste, aber er rechnete mit dem Schlimmsten. Es war unwahrscheinlich, dass Blackmoore Vernunft beweisen würde.

Während er sich mit seinen Gefährten näherte, konnte Thrall Bewegung auf den Zinnen ausmachen. Als er genau hinsah, erkannte er die Mündungen von Kanonen, die auf sie gerichtet waren. Bogenschützen nahmen ihre Positionen ein, und mehrere Dutzend Ritter zu Pferd kamen um die Seiten der Festung galoppiert, um sich vor ihr zu formieren. Sie trugen Lanzen und Speere und stoppten ihre Pferde. Sie warteten.

Thrall marschierte unbeeindruckt weiter. Es entstand mehr Bewegung auf den Mauern, dort, direkt über dem großen, hölzernen Tor, und sein Herz begann ein wenig schneller zu schlagen. Es war Aedelas Blackmoore. Thrall blieb stehen. Sie waren jetzt nahe genug, um sich durch Rufe zu verständigen. Er würde sich nicht weiter nähern.

»Das ist ja schön«, erklang eine schwerzüngige Stimme, an die sich Thrall nur zu gut erinnerte. »Wenn das nicht mein kleiner Haus-Ork ist. Scheint inzwischen ausgewachsen zu sein.«

Thrall ließ sich nicht provozieren. »Ich grüße Euch, Generalleutnant«, sagte er. »Aber ich komme nicht als Euer Haustier, sondern als Anführer einer Armee, die Eure Männer schon in der Vergangenheit vernichtend geschlagen hat. Doch ich werde heute nicht angreifen, es sei denn, ihr zwingt mich dazu.«

Langston stand neben seinem Herrn an der Brustwehr. Er konnte es einfach nicht glauben. Blackmoore war stockbetrunken. Langston, der Tammis häufiger geholfen hatte, seinen Herrn ins Bett zu bringen, als er zugeben wollte, hatte Blackmoore noch nie so sturzbetrunken und dabei doch noch fähig zu stehen gesehen. Was hatte er sich dabei gedacht?

Blackmoore hatte das Mädchen natürlich verfolgen lassen. Ein Kundschafter mit scharfen Augen, der sich meisterhaft verbergen konnte, hatte die Tür im Kurierstall entriegelt, damit sie aus dem geheimen Stollen hatte steigen können. Er hatte sie beobachtet, wie sie Thrall und ein paar andere Orks traf. Und er hatte gesehen, wie sie ihm einen Sack mit Essen übergab, wie sie das Monster umarmte – beim Licht! – und dann durch den nicht länger geheimen Tunnel zurückgekehrt war. Blackmoore täuschte gestern Nacht seine Trunkenheit nur vor und war vollkommen nüchtern, als das ahnungslose Mädchen in seinem Schlafzimmer erschien, um von Blackmoore, Langston und den anderen in Empfang genommen zu werden.

Taretha wollte zuerst nicht sprechen, aber sobald sie erfuhr, dass man ihr gefolgt war, versicherte sie Blackmoore eilig, dass Thrall gekommen sei, um über den Frieden zu verhandeln. Allein den Gedanken empfand Blackmoore als eine tiefe Beleidigung. Er entließ Langston und die anderen Wachen. Langston ging noch lange vor der Tür auf und ab und hörte Blackmoore fluchen. Manchmal ließ sich das Geräusch einer Hand vernehmen, die auf Fleisch schlägt.

Er hatte Blackmoore bis zum jetzigen Moment nicht wiedergesehen, aber Tammis hatte ihm berichtet. Blackmoore hatte seine schnellsten Reiter ausgesandt, um Verstärkung zu rufen, aber die befand sich immer noch mindestens vier Stunden entfernt. Die logische Vorgehensweise wäre es gewesen, den Parlamentär – Thrall! – in Gespräche zu verwickeln, bis Hilfe eintraf. Die Etikette verlangte es, dass Blackmoore eine kleine Schar seiner eigenen Leute aussandte, um mit den Orks zu sprechen. Sicher würde Blackmoore jeden Augenblick den Befehl dazu geben. Das war einfach nur logisch. Wenn die Zählungen stimmten – und davon war Langston überzeugt –, befehligte Thrall eine zweitausendköpfige Armee.

Es gab fünfhundertvierzig Mann in Durnholde, von denen weniger als vierhundert ausgebildete Krieger mit Kampferfahrung waren.

Während er die Lage mit steigender Nervosität überdachte, erkannte Langston Bewegung am Horizont. Sie waren zu weit entfernt, als dass er Einzelheiten hätte ausmachen können, aber er konnte klar erkennen, wie sich ein gewaltiges grünes Meer langsam über die Anhöhe schob, begleitet vom steten, zermürbende Schlagen der Trommeln.

Thralls Armee.

Obwohl es ein kühler Morgen war, fühlte Langston wie ihm der Schweiß ausbrach.


»Dassis nett, Thrall«, lallte Blackmoore. Thrall beobachtete angewidert wie der frühere Kriegsheld schwankte und sich an der Mauer festhalten musste. »Was möches du?«

Wieder kämpfte das Mitleid in seinem Herzen mit dem Hass. »Wir wollen nicht länger gegen die Menschen kämpfen, es sei denn, man zwingt uns dazu, uns zu verteidigen. Aber Ihr haltet in Euren abscheulichen Lagern viele hundert Orks gefangen, Blackmoore, und sie werden auf die eine oder andere Art befreit werden. Wir können es ohne weiteres Blutvergießen tun. Wenn Ihr alle Orks, die in den Lagern gefangen gehalten werden, frei lasst, kehren wir in die Wildnis zurück und lassen die Menschen in Frieden.«

Blackmoore warf den Kopf zurück und lachte. »Oh!«, keuchte er und wischte sich Tränen der Heiterkeit aus den Augen. »Oh, du bisst besser als … als der Hofnarr des Königs, Thrall. Sklave. Ich schwör’s, du bist noch unterhaltsamer geworrn als damals im Gladiatorenring. Hör dich an! Sprichst ganze Sätze, beim Licht! Glaubst, du verstündest es, Gnade walten zu lassen, wie?« Langston fühlte, wie ihn jemand am Ärmel zupfte. Er schrak zusammen, und als er sich umwandte, sah er den Sergeant. »Ich empfinde keine große Liebe für Euch, Langston«, knurrte der Mann mit den harten Augen, »aber wenigsten seid Ihr nüchtern. Ihr müsst Blackmoore zum Schweigen bringen! Holt ihn da runter! Ihr habt gesehen, wie stark die Orks sind!«

»Wir können auf gar keinen Fall kapitulieren«, erklärte Langston, obwohl er es in seinem tiefsten Herzen wollte.

»Nein«, sagte der Sergeant, »aber wir sollten wenigstens Männer ausschicken, um mit ihnen zu sprechen, und uns etwas Zeit erkaufen, bis die Verstärkung eintrifft. Er hat nach Verstärkung geschickt, nicht wahr?«

»Natürlich hat er das«, zischte Langston. Ihr Gespräch war bemerkt worden, und Blackmoore wandte sich ihnen mit blutunterlaufenen Augen zu. Ein kleiner Sack lag zu seinen Füßen, und er stolperte fast darüber.

»Ah, der Sergeant!«, dröhnte er und torkelte auf ihn zu. »Thrall! Hier iss ein alter Freund!«

Thrall seufzte. Langston fand, dass der Ork von ihnen allen am gefasstesten wirkte. »Es tut mir Leid, dass Ihr noch immer hier seid, Sergeant.«

»Mir auch«, hörte Langston den Offizier murmeln. Lauter sagte er: »Du bist lange fort gewesen, Thrall.«

»Überzeugt Blackmoore, die Orks frei zu lassen, und ich schwöre bei der Ehre, die Ihr mich gelehrt habt, dass keine dieser Mauern vernichtet wird.«

»Mylord«, sagte Langston nervös, »Ihr erinnert euch, welche Kräfte er in der letzten Schlacht bewiesen hat. Thrall hatte mich, und er ließ mich gehen. Er hielt sein Wort. Ich weiß, er ist nur ein Ork, aber …«

»Hörssu das, Thrall?« brüllte Blackmoore. »Du bist nur ein Ork! Sogar der Idiot Langston sagt das! Was fürn Mensch ergibt sich 'nem Ork?« Er lehnte sich über die Mauer.

»Warum hast du das getan, Thrall?« schrie er hinab. »Ich hab dir alles gegeb’n! Du und ich, wir hätt’n deine Grünhäute gegen die verdammte Allianz geführt. Wir hätt’n mehr Reichtum und Macht besessen, als wir’s uns jemals hätt’n erträumen könn’!«

Langston starrte ihn entsetzt an. Blackmoore schrie seinen Verrat heraus, und alle konnten es hören. Zumindest hatte er Langston nicht belastet … noch nicht. Langston wünschte sich, er hätte den Mut besessen, Blackmoore einfach über die Mauer zu stoßen und Thrall die Festung ohne weiteres Zögern zu übergeben.


Thrall griff die Gelegenheit beim Schopf. »Hört ihr das, Männer von Durnholde?«, brüllte er. »Euer Lord wollte euch alle verraten! Erhebt euch gegen ihn! Schafft ihn fort und ergebt euch uns, und am Ende dieses Tages habt ihr immer noch euer Leben und eure Festung!«

Aber es gab keine plötzlich Rebellion, und Thrall konnte es sogar verstehen. »Ich frage Euch ein weiteres Mal, Blackmoore. Wollt Ihr verhandeln – oder sterben?«

Blackmoore richtete sich zu voller Größe auf. Thrall sah jetzt, dass er etwas in der rechten Hand hielt. Es war ein Sack.

»Hier iss meine Antwort, Thrall!«

Er griff in den Sack und zog etwas heraus. Thrall konnte nicht sehen, was es war, aber er erkannte, dass Sergeant und Langston entsetzt zurückfuhren. Dann schleuderte Blackmoore das Ding zu ihm hinab. Es fiel auf den Boden und rollte Thrall vor die Füße.

Tarethas blaue Augen starrten blicklos aus ihrem abgeschlagenen Kopf zu ihm empor.

»So bestraf ich Verräter!« schrie Blackmoore und tanzte wild an der Brustwehr. »Das macht man mit Menschen, die man liebt und die einen verraten … die alles nehmen und nichts geben … die ihr Herz dreifach verfluchten Orks schenken!«

Das Lallen verschwand fast aus seiner Stimme.

Aber Thrall hörte ihn nicht. Donner grollte in seinen Ohren. Seine Knie gaben nach, und er fiel auf die Erde. Ihm wurde übel, und sein Blick verschwamm.

Das durfte nicht sein. Nicht Tari! Selbst Blackmoore war nicht fähig, einer Unschuldigen eine solche Abscheulichkeit anzutun!

Fast wünschte er sich, von Bewusstlosigkeit übermannt zu werden. Aber er blieb unerbittlich wach, starrte auf Taris langes blondes Haar, ihre blauen Augen und ihren blutigen, abgetrennten Hals. Dann verschwamm das schreckliche Bild. Nässe lief über sein Gesicht. Schmerz fraß sich in seine Brust, und Thrall erinnerte sich an die Worte, die Tari vor so langer Zeit zu ihm gesprochen hatte: Das nennt man Tränen. Sie kommen, wenn wir traurig sind, wenn unsere Seele krank ist. Es ist, als sei unser Herz so voller Schmerz, dass er nirgendwo anders mehr hin kann.

Aber es gab einen Ort, an den der Schmerz gehen konnte: in die Tat, in die Rache. Rote Wut vernebelte Thrall den Blick, und er warf seinen Kopf zurück und schrie mit einer Rage, wie er sie noch nie zuvor empfunden hatte. Der rohe Zorn verbrannte ihm schier die Kehle.

Der Himmel kochte. Dutzende von Blitzen spalteten die Wolken und blendeten für einen Moment die Augen. Das aufgebrachte Rollen des krachenden Donners, das folgte, machte die Ohren der Männer in der Festung sekundenlang taub. Viele ließen ihre Waffen fallen und sanken auf die Knie, von fassungslosem Entsetzen erfasst angesichts des Schauspiels elementarer Empörung, das so offensichtlich die Qualen des Ork-Führers widerspiegelte.

Blackmoore lachte und verwechselte Thralls Wut offenbar mit hilflosem Schmerz. Als das letzte Grollen des Donners erstarb, brüllte er: »Sie hab’n gesagt, man könne dich nich brechen! Aber schau, ich hab dich gebrochen, Thrall. Ich hab dich gebrochen!«

Thralls Schrei erstarb plötzlich, und er starrte Blackmoore an. Selbst auf die Entfernung konnte Thrall erkennen, wie das Blut aus Blackmoores Gesicht wich und sein Feind endlich zu verstehen begann, was er mit diesem grausamen Mord geweckt hatte.

Thrall war mit der Hoffnung gekommen, den Konflikt friedlich beenden zu können, aber Blackmoore hatte diese Chance vollkommen zerstört. Der Generalleutnant würde keinen weiteren Sonnenaufgang mehr erleben, und seine Burg würde wie Glas unter der Faust der Orks zerspringen.

»Thrall …« Es war Hellscream, der sich nicht sicher war, in welchem Zustand sich der junge Ork befand. Thrall, dessen Brust noch immer vor Kummer schmerzte und dem Tränen über das breite, grüne Gesicht rannen, spießte ihn mit einem wilden Blick auf. Zustimmung gemischt mit Verständnis zeigte sich auf Hellscreams Gesicht.

Thrall nutzte seine starke Fähigkeit zur Selbstkontrolle und hob langsam den gewaltigen Kriegshammer. Er begann mit den Füßen aufzustampfen, langsam, aber stetig, in einem machtvollen, regelmäßigen Rhythmus. Die anderen Orks schlossen sich ihm an, und zaghaft begann die Erde zu beben.

Langston starrte angeekelt und entsetzt auf das Haupt des Mädchens, das auf der Erde dreißig Fuß unter ihnen lag. Er kannte Blackmoores Grausamkeit, aber er hatte sich niemals vorstellen können …

»Was habt Ihr getan?« Die Worte explodierten aus dem Mund des Sergeants, der Blackmoore packte und ihn herumwirbelte, damit er ihm direkt ins Gesicht sehen konnte.

Blackmoore begann hysterisch zu lachen.

In den Eingeweiden des Sergeants wurde es kalt, als er die Schreie der Orks hörte und dann spürte, wie der Untergrund leicht zu beben begann. »Mylord, er bringt die Erde zum Aufbäumen … Wir müssen feuern!«

»Wenn zweitausend Orks mit’n Füßen aufstampfen, bebt natürlich der Boden!«, knurrte Blackmoore starrsinnig. Er wandte sich zurück zur Mauer und hatte offenbar vor, den Ork weiter mit Worten zu martern.

Wir sind verloren, dachte Langston. Jetzt war es zu spät, um sich zu ergeben. Thrall würde seine dämonische Magie herbeirufen und die Festung und jeden Einzelnen darin vernichten. Er wollte Rache für das Mädchen. Langstons Mund bewegte sich, aber er brachte keine Worte heraus. Er spürte, wie der Sergeant ihn anstarrte.

»Ich verfluche euch, ihr hochgeborenen, herzlosen Bastarde«, zischte er, bevor er brüllte: »Feuer!«


Thrall zuckte nicht einmal, als die Kanonen ihre tödliche Ladung ausspien. Hinter sich hörte er Schmerzensschreie, aber er blieb unberührt. Er rief den Geist der Erde, schüttete seine Verzweiflung aus, und die Erde antwortete. In einer präzisen Linie warf sich die Erde auf und lief unmittelbar von Thralls Füßen aus zu dem riesigen Tor hin – wie der Schacht eines gigantischen Maulwurfs. Das Tor wurde erschüttert. Die Mauer, die es umgab, zitterte, und ein paar kleine Steine fielen herab, aber die Festung war besser gebaut als die Lager, und die Mauer hielt stand.


Blackmoore kreischte. Sein Blick erkannte auf einmal sehr scharf, was um ihn herum vorging, und zum ersten Mal, seit er sich genug Mut angetrunken hatte, um die Hinrichtung von Taretha Foxton zu befehlen, dachte er wieder klar.

Langston hatte nicht übertrieben. Thralls Kräfte waren gewaltig, und seine Taktik, den Ork zu brechen, war gescheitert. Tatsächlich hatte er ihn zu noch größerer Wut angestachelt, und während Blackmoore in Panik und mit einem Gefühl von Übelkeit in der Kehle zusah, flossen Hunderte … nein, Tausende riesiger, grüner Gestalten in einem tödlichen Strom die Straße hinunter.

Er musste hier weg. Thrall würde ihn töten. Er wusste es. Irgendwie würde Thrall ihn finden und töten für das, was er mit Taretha gemacht hatte …

Tari, Tari, ich liebte dich. Warum hast du mir das angetan?

Jemand schrie. Langston kläffte Blackmoore ins Ohr, das hübsche Gesicht gerötet, die Augen vor Furcht hervorgetreten. Die Stimme des Sergeants war an seinem anderen Ohr und spie sinnlosen Lärm. Blackmoore starrte die beiden hilflos an. Der Sergeant blökte weitere Worte, dann wandte er sich den Männern zu. Sie fuhren fort, die Kanonen zu laden und abzufeuern, und unter Blackmoore stürmten die Ritter gegen die Reihen der Orks. Er hörte Schlachtrufe und das Krachen von Stahl. Die schwarzen Rüstungen seiner Männer verschmolzen scheinbar mit der hässlichen, grünen Haut der Orks, und hier und da gab es ein Aufblitzen weißen Fells, als … Beim Licht! War es Thrall wirklich gelungen, weiße Wölfe in seine Armee aufzunehmen?

»Zu viele«, flüsterte er. »Es sind zu viele. So viele von ihnen …«

Wieder zitterten die Mauern der Festung. Angst, wie Blackmoore sie noch nie gekannt hatte, ergriff Besitz von ihm, und er fiel auf die Knie. In dieser Haltung kroch er wie ein Hund die Stufen hinab in den Hof.

Die Ritter waren alle draußen. Sie kämpften und, davon war Blackmoore überzeugt, starben. Im Inneren der Festung schrien die Männer, die noch übrig waren, und packten, was sie finden konnten, um sich zu verteidigen – Sensen, Mistgabeln, sogar die hölzernen Übungswaffen, mit denen ein viel jüngerer Thrall einst seine Kampfkünste trainiert hatte. Ein eigenartiger, jedoch vertrauter Geruch stieg in Blackmoores Nase. Furcht, ja, das war es. Er kannte den Gestank aus vergangenen Schlachten, hatte ihn noch an den Leichen der Gefallenen gerochen. Er hatte vergessen gehabt, wie er ihm stets den Magen umdrehte.

So hätte es nicht sein sollen. Die Orks auf der anderen Seite des zitternden Tores hätten seine Armee sein müssen. Ihr Führer, der da draußen wieder und wieder Blackmoores Namen schrie, war eigentlich sein unterwürfiger, gehorsamer Sklave. Und Tari sollte hier sein … wo war sie denn …? Und dann erinnerte er sich. Er erinnerte sich wie seine eigenen Lippen den Befehl bildeten, der ihr das Leben raubte, und ihm wurde vor den Augen seiner eigenen Männer abgrundtief schlecht. »Er hat die Kontrolle verloren!«, brüllte Langston, nur wenige Zoll vom Ohr des Sergeants entfernt. Er brüllte, damit der andere ihn im Lärm der Kanonen, der auf Schilde prallenden Schwerter und der Schmerzenschreie hören konnte. Wieder erzitterten die Mauern.

»Er hat die Kontrolle schon vor langer Zeit verloren!« gab der Sergeant zurück. »Ihr habt jetzt das Kommando, Lord Langston! Was sollen wir tun?«

»Kapitulation!«, kreischte Langston ohne zu zögern. Der Sergeant, die Augen auf die Schlacht gerichtet, die dreißig Fuß unter ihnen wütete, schüttelte den Kopf.

»Dazu ist es zu spät! Blackmoore hat uns alle dem Tod geweiht. Wir müssen um unser Leben kämpfen, bis Thrall wieder über Frieden sprechen will … falls er das jemals wieder vorhat. Was sollen wir also tun?«, verlangte der Sergeant ein weiteres Mal zu wissen.

»Ich … ich …« Alles, was auch nur im Entferntesten an einen logischen Gedanken erinnerte, war aus Langstons Hirn gewichen. Diese Sache namens Schlacht, er war nicht dafür geschaffen – schon zwei Mal war er in ihrem Angesicht zusammengebrochen. Er wusste, dass er ein Feigling war, und er verachtete sich dafür. Aber das änderte nichts an der Tatsache.

»Wollt Ihr, dass ich das Kommando über die Verteidigung von Durnholde übernehme, Sir?« fragte der Sergeant.

Langston richtete nasse, dankbare Augen auf den älteren Mann und nickte.

»In Ordnung dann«, sagte der Sergeant, wandte sich den Männern im Hof zu und begann, Befehle zu schreien.

In diesem Moment gab das Tor krachend nach, und eine Welle von Orks brandete in den Hof einer der am stärksten gebauten Festungen des Landes.

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