45. Der Köder

Das Bild war körnig und manchmal schwer zu interpretieren, trotz der Falschfarbenkodierung, die Einzelheiten sichtbar machte, welche das Auge sonst nicht hätte unterscheiden können. Es war ein abgeflachtes 360-Grad-Panorama des Meeresbodens, links sah man in der Ferne Tang, in der Mitte ein paar Felsvorsprünge und rechts wieder Tang. Obwohl es wie ein Standfoto aussah, verrieten die fortlaufenden Zahlen in der linken, unteren Ecke, daß Zeit verging; und gelegentlich wechselte die Szene mit einem plötzlichen Ruck, wenn eine Bewegung das gesendete Informationsmuster veränderte.

„Wie Sie sehen werden“, sagte Kommandantin Varley zu den eingeladenen Zuhörern im Hörsaal von Terra Nova, „waren keine Skorps in der Nähe, als wir kamen, aber sie könnten den Aufprall, mit dem unser… hm… Paket landete, gehört — oder gespürt — haben. Hier kommt der erste zum Nachsehen, nach einer Minute und zwanzig Sekunden.“

Das Bild wechselte nun nach jedem Zehn-SekundenIntervall ruckartig, und auf jedem Bild waren mehr Skorps zu sehen.

„Das hier halte ich jetzt an“, sagte der Wissenschaftsoffizier, „damit Sie die Einzelheiten genau betrachten können. Sehen Sie diesen Skorp auf der rechten Seite? Beachten Sie seine linke Zange — nicht weniger als fünf von diesen Metallbändern! Und er scheint eine einflußreiche Position zu haben — in den nächsten Bildern gehen ihm die anderen Skorps aus dem Weg — jetzt untersucht er den rätselhaften Schrotthaufen, der da gerade von seinem Himmel gefallen ist — das ist eine besonders gute Aufnahme — sehen Sie nur, wie er Zangen und Palpi gemeinsam einsetzt — die einen zur Kraftanwendung, die anderen für genaues Arbeiten — jetzt zieht er am Draht, aber unser kleines Geschenk ist zu schwer, er kann es nicht bewegen — sehen Sie sich seine Haltung an — ich möchte schwören, daß er jetzt Befehle erteilt, obwohl wir kein Signal aufgefangen haben — vielleicht ist es unterhalb der Schallgrenze — hier kommt noch einer von den großen Burschen…“

Das Bild rutschte plötzlich weg und kippte in einem verrückten Winkel.

„Und jetzt geht's los; sie schleppen uns mit — und Sie hatten recht, Dr. Kaldor — sie wollen zu der Höhle in der Felsenpyramide — das Paket ist zu groß, es paßt nicht hinein — genau, wie wir es geplant hatten, natürlich — das ist jetzt der wirklich interessante Teil…“

Man hatte sich über das Geschenk an die Skorps viele Gedanken gemacht. Obwohl es hauptsächlich aus Gerümpel bestand, hatte man dieses Gerümpel sorgfältig ausgewählt. Da gab es Stangen aus Stahl, Kupfer, Aluminium und Blei; Holzbretter; Rohre und Scheiben aus Plastik; Stücke einer Eisenkette; einen Metallspiegel — und mehrere Spulen Kupferdraht verschiedener Stärke. Die ganze Masse wog mehr als hundert Kilogramm und war sorgfältig so zusammengefügt worden, daß sie nur im Ganzen bewegt werden konnte. Die Beobachtungskugel war unauffällig an einer Seite eingebettet und mit vier einzelnen, kurzen Kabeln befestigt.

Die beiden großen Skorps griffen nun den Gerümpelhaufen entschlossen und, wie es schien, nach einem genauen Plan an. Ihre starken Zangen wurden schnell mit den Drähten fertig, die das Ganze zusammenhielten, die Holzund Plastikstücke sonderten sie sofort aus; es war unverkennbar, daß sie nur am Metall interessiert waren.

Der Spiegel ließ sie zögern. Sie hielten ihn hoch und starrten auf ihre Abbilder — die natürlich im akustischen Bild der Beobachtungskugel nicht zu erkennen waren.

„Wir hätten eigentlich erwartet, daß sie angreifen — man kann herrlich Kämpfe auslösen, wenn man einen Spiegel in ein Fischbecken steckt. Vielleicht erkennen sie sich. Das deutet dann wohl auf ein ganz ansehnliches Intelligenzniveau hin.“

Die Skorps ließen von dem Spiegel ab und begannen die übrigen Trümmer über den Meeresboden zu schleppen. Auf den nächsten paar Aufnahmen herrschte ein hoffnungsloses Durcheinander. Als sich das Bild wieder stabilisierte, zeigte es eine völlig andere Szene.

„Wir hatten Glück — alles ist genauso gelaufen, wie wir gehofft hatten. Sie haben die Beobachtungskugel in diese bewachte Höhle geschleppt. Aber das ist nicht der Thronsaal der Skorpkönigin — falls es überhaupt eine Skorpkönigin gibt, was ich sehr bezweifle… Hat jemand eine Theorie?“

Lange Zeit herrschte Schweigen, während die Zuschauer das fremdartige Spektakel betrachteten. Dann bemerkte jemand: „Das ist eine Rumpelkammer.“

„Aber sie muß doch einen Zweck erfüllen…“

„Seht mal — das ist ein Zehn-Kilowatt-Außenbordmotor — den muß jemand verloren haben!“

„Jetzt wissen wir endlich, wer ständig unsere Ankerketten stiehlt!“

„Aber warum — das gibt doch keinen Sinn.“

„Offensichtlich doch — für sie.“

Moses Kaldor ließ sein Aufmerksamkeit heischendes Hüsteln ertönen, das selten seine Wirkung verfehlte.

„Das ist bisher nur eine Theorie“, begann er, „aber immer mehr Fakten scheinen sie zu stützen. Sie werden bemerkt haben, daß hier alles aus Metall ist, sorgfältig aus den verschiedensten Quellen zusammengetragen…

Nun muß für ein intelligentes Meereswesen Metall etwas sehr Geheimnisvolles sein, sehr verschieden von all den anderen natürlichen Produkten des Ozeans. Die Skorps scheinen noch in der Steinzeit zu stecken — und sie haben keine Möglichkeit, aus ihr herauszukommen, wie wir Landtiere auf der Erde. Ohne Feuer sitzen sie in einer technologischen Sackgasse fest. Ich glaube, wir könnten hier eine Neuauflage von Vorgängen sehen, die sich vor langer Zeit auf unserer eigenen Welt ereignet haben. Wissen Sie, woher der prähistorische Mensch seine ersten Eisenvorräte bekam? Aus dem Weltraum!

Ich nehme es Ihnen nicht übel, daß Sie überraschte Gesichter machen. Aber reines Eisen kommt in der Natur nie vor — es rostet zu leicht. Die einzige Bezugsquelle für den primitiven Menschen waren Meteoriten. Kein Wunder, daß man sie verehrte; kein Wunder, daß unsere Vorfahren an übernatürliche Wesen jenseits des Himmels glaubten…

Passiert hier die gleiche Geschichte noch einmal? Ich möchte Sie dringend darum bitten, dies ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Vielleicht sammeln sie die Metalle aus reiner Neugier und weil sie von ihren — soll ich sagen, magischen? — Eigenschaften fasziniert sind. Aber werden sie herausfinden, daß man sie nicht nur als Schmuck verwenden kann? Wie weit können sie fortschreiten — solange sie unter Wasser bleiben? Werden sie dort bleiben?

Meine Freunde, ich glaube, Sie sollten soviel über die Skorps in Erfahrung bringen, wie Sie nur irgend können. Vielleicht teilen Sie Ihren Planeten mit einer zweiten, intelligenten Rasse. Wollen Sie mit ihr zusammenarbeiten oder sie bekämpfen? Selbst wenn die Skorps nicht wirklich intelligent sind, könnten sie eine tödliche Bedrohung sein — oder ein nützliches Werkzeug. Vielleicht sollten Sie Beziehungen zu ihnen pflegen? Übrigens, sehen Sie in Ihren Historischen Speichern unter dem Stichwort ‚Cargo-Kult‘ nach… ich buchstabiere: C-A-RG-O — K-U-L-T.

Ich wüßte zu gerne, wie das nächste Kapitel dieser Geschichte lautet. Sammeln sich jetzt schon die SkorpPhilosophen in den Tangwäldern — um darüber nachzudenken, was sie mit uns anfangen sollen?

Ich bitte Sie deshalb, reparieren Sie die Tiefenraumantenne, damit wir in Kontakt bleiben können! Der Computer der ‚Magellan‘ wird Ihren Bericht erwarten — während er auf dem Weg nach Sagan Zwei über uns wacht.“

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