15. Terra Nova

Ein Name, der so an die Erde gemahnte, war für die neue Siedlung nicht sehr glücklich gewählt, und niemand wollte die Verantwortung dafür übernehmen. Aber er war etwas glanzvoller als ‚Basislager‘ und wurde schnell angenommen. Der Komplex von Fertighäusern war mit erstaunlicher Schnelligkeit in die Höhe geschossen — buchstäblich über Nacht. Tarna erlebte hier zum erstenmal Erdenbewohner — oder vielmehr Erdenroboter — in Aktion, und die Dorfbewohner waren tief beeindruckt. Selbst Brant, der immer gefunden hatte, Roboter machten mehr Schwierigkeiten, als sie wert seien, außer bei riskanten oder monotonen Arbeiten, bekam erste Zweifel. Es gab da eine elegante, bewegliche Allzweckbaumaschine, die so verblüffend schnell arbeitete, daß man ihren Bewegungen oft gar nicht folgen konnte. Wo immer sie hinging, folgte ihr eine bewundernde Menge kleiner Lassaner. Wenn sie ihr in den Weg kamen, unterbrach sie, was immer sie gerade tat, bis die Bahn wieder frei war. Brant entschied, daß er genau so einen Assistenten brauchte; vielleicht konnte er die Besucher irgendwie dazu bringen…

Nach etwa einer Woche war Terra Nova ein voll funktionsfähiger Mikrokosmos des großen Schiffs, das außerhalb der Atmosphäre kreiste. Es gab einfache, aber bequeme Unterkünfte für hundert Besatzungsmitglieder, mit allen lebenserhaltenden Systemen, die sie brauchten — außerdem einer Bibliothek, Sporthalle, Schwimmbad und Theater. Die Lassaner billigten alle diese Einrichtungen und beeilten sich, ausgiebigen Gebrauch davon zu machen. Infolgedessen betrug die Bevölkerung von Terra Nova gewöhnlich wenigstens das Doppelte der nominalen Hundert.

Die meisten Gäste — ob eingeladen oder nicht — waren bestrebt, sich nützlich zu machen, und entschlossen, ihren Besuchern einen so angenehmen Aufenthalt wie nur möglich zu bereiten. Diese Freundlichkeit war, wenn auch sehr willkommen und hoch geschätzt, doch oft peinlich. Die Lassaner waren von unersättlicher Neugier, und der Begriff Privatsphäre war ihnen fast unbekannt. Ein ‚Bitte nicht Stören‘-Zeichen wurde oft als persönliche Herausforderung betrachtet, was zu interessanten Komplikationen führte.

„Sie alle sind höhere Offiziere und hochintelligente Erwachsene“, hatte Kapitän Bey bei der letzten Personalbesprechung an Bord des Schiffes gesagt. „Deshalb sollte es eigentlich gar nicht notwendig sein, Ihnen das zu sagen. Versuchen Sie, sich nicht in irgendwelche Techtelmechtel verwickeln zu lassen, bis wir genau wissen, wie die Lassaner über so etwas denken. Sie sind allem Anschein nach sehr unkompliziert, aber das kann auch täuschen. Sind Sie nicht auch dieser Ansicht, Dr. Kaldor?“

„Ich kann nach einer so kurzen Beobachtungszeit nicht behaupten, eine Autorität für lassanische Sitten zu sein, Kapitän. Aber es gibt ein paar interessante, historische Parallelen zu der Zeit, als die alten Segelschiffe auf der Erde nach langen Seereisen in den Hafen einliefen — ich nehme an, viele von Ihnen haben ‚Meuterei auf der Bounty‘, dieses klassische, antike Video gesehen.“

„Ich hoffe doch, Dr. Kaldor, daß Sie mich nicht mit Kapitän Cook — ich meine, Bligh — vergleichen wollen.“

„Das wäre keine Beleidigung. Der wirkliche Bligh war ein brillanter Seemann und wurde auf höchst unfaire Weise verleumdet. In diesem Stadium brauchen wir nicht mehr als gesunden Menschenverstand, gute Manieren und — wie Sie schon andeuteten — Vorsicht walten zu lassen.“

Hatte Kaldor in seine Richtung geblickt, fragte sich Loren, als er diese Bemerkung machte? Es war doch bestimmt noch nicht so offensichtlich…

Schließlich führten ihn seine dienstlichen Pflichten ein dutzendmal am Tag mit Brant Falconer zusammen. Es war unmöglich, einer Begegnung mit Mirissa auszuweichen — selbst wenn er das gewollt hätte. Sie waren bisher nie miteinander allein gewesen und hatten nur ein paar höfliche Worte gewechselt. Aber schon jetzt war es gar nicht nötig, mehr zu sagen.

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