Die Mitgliederzahl der thalassanischen Akademie der Wissenschaften war streng auf die hübsche, runde Binärzahl 100000000 — oder für die, die lieber an den Fingern abzählten, 256, beschränkt. Der Wissenschaftsoffizier der ‚Magellan‘ hielt diese Exklusivität für gut; dadurch wurde das Niveau gewahrt. Und die Akademie nahm ihre Verantwortung sehr ernst; der Präsident hatte ihr gestanden, daß es im Augenblick nur 241 Mitglieder gab, weil es sich als unmöglich herausgestellt habe, alle freien Stellen mit qualifiziertem Personal zu besetzen.
Von diesen 241 waren nicht weniger als 105 persönlich im Hörsaal der Akademie anwesend, und 116 hatten sich mit ihren Komgeräten zugeschaltet. Es war eine Rekordbeteiligung, und Dr. Anne Varley fühlte sich in höchstem Maße geschmeichelt — obwohl sie eine flüchtige Neugier bezüglich der fehlenden 20 nicht unterdrücken konnte.
Es war ihr auch nicht ganz geheuer, als einer der führenden Astronomen der Erde vorgestellt zu werden — obwohl das, leider, zum Zeitpunkt des Starts der ‚Magellan‘ nur allzu wahr gewesen war. Zeit und Schicksal hatten der ehemaligen Leiterin des — ehemaligen — Schklowskij-Mondobservatoriums diese einmalige Chance zu überleben geboten. Sie wußte sehr wohl, daß sie nicht mehr als kompetent war, verglichen mit dem Wissensstand solcher Größen wie Ackerley oder Chandrasekhar oder Herschel — und noch weniger im Vergleich zu Galilei, Kopernikus oder Ptolemäus.
„Hier ist es“, begann sie. „Sicher haben Sie diese Karte von Sagan Zwei alle gesehen — die bestmögliche Rekonstruktion nach Überflügen und Funkhologrammen. Der Ausschnitt ist natürlich sehr klein — bestenfalls zehn Kilometer — aber er reicht aus, um uns die grundlegenden Fakten zu vermitteln.
Durchmesser — fünfzehntausend Kilometer, etwas größer als die Erde. Dichte Atmosphäre — fast ausschließlich Stickstoff. Und — glücklicherweise — kein Sauerstoff.“
Dieses ‚glücklicherweise‘ weckte immer die Aufmerksamkeit; es riß das Publikum ruckartig hoch.
„Ich verstehe ihre Überraschung; die meisten Menschen sind zugunsten des Atmens voreingenommen. Aber in den Jahrzehnten vor dem Exodus ist viel geschehen, was unsere Sicht des Universums verändert hat.
Das Fehlen anderer Lebewesen — in Vergangenheit und Gegenwart — im Sonnensystem und das Scheitern der SETI-Programme, trotz sechzehnhundert Jahre lang fortgesetzter Bemühungen, hat praktisch jeden davon überzeugt, daß Leben anderswo im Universum sehr selten und daher sehr kostbar sein muß.
Daraus folgte, daß alle Lebensformen Achtung verdienten und gehegt werden sollten. Es wurde sogar verlangt, nicht einmal virulente Pathogene und Seuchenüberträger auszurotten, sondern sie unter strengen Sicherheitsvorkehrungen zu schützen. ‚Ehrfurcht vor dem Leben‘ wurde während der letzten Tage eine sehr beliebte Wendung — und nur wenige bezogen sie ausschließlich auf menschliches Leben. Sobald das Prinzip der biologischen Nichteinmischung allgemein akzeptiert war, folgten bestimmte, praktische Konsequenzen. Man war sich schon seit langem darüber einig, daß wir nicht versuchen sollten, Planeten mit intelligenten Lebensformen zu besiedeln; das Sündenregister der menschlichen Rasse auf ihrer Heimatwelt war schon schlimm genug. Glücklicheroder unglücklicherweise ist diese Situation niemals eingetreten.
Aber die Argumentation wurde noch weitergeführt.
Angenommen, wir fänden einen Planeten, auf dem tierisches Leben in seinen ersten Anfängen vorhanden war. Sollten wir beiseitetreten und der Evolution ihren Lauf lassen, weil die Möglichkeit bestand, daß — in Megajahren — Intelligenz entstehen könnte?
Um noch weiter zurückzugehen — angenommen, es gab nur pflanzliches Leben? Nur einzellige Mikroben?
Es mag für Sie überraschend sein, daß sich die Menschen in einer Zeit, in der die ganze Existenz der menschlichen Rasse auf dem Spiel stand, damit abgaben, über solch abstrakte moralische und philosophische Fragen zu diskutieren. Aber der Tod konzentriert das Denken auf die Dinge, die wirklich wichtig sind: warum sind wir hier, und was sollen wir tun?
Der Gedanke des ‚Metagesetzes‘ — diesen Ausdruck haben Sie sicher alle schon gehört — wurde sehr populär. War es möglich, einen Gesetzesund Moralkodex zu entwickeln, der auf alle intelligenten Wesen anwendbar war, nicht nur auf die zweibeinigen, luftatmenden Säugetiere, die kurzzeitig den Planeten Erde beherrscht hatten?
Übrigens war Dr. Kaldor einer der Anführer dieser Diskussion. Das machte ihn bei den Leuten, die der Ansicht waren, nachdem der H. sapiens die einzig bekannte, intelligente Spezies sei, habe sein Überleben Vorrang vor allen anderen Erwägungen, ziemlich unbeliebt. Jemand erfand den einprägsamen Slogan: ‚Wenn es gilt, zwischen dem Menschen und dem Schleimpilz zu entscheiden, dann stimme ich für den Menschen!‘
Glücklicherweise ist es nie zu einer direkten Konfrontation gekommen — soweit wir wissen. Es kann noch Jahrhunderte dauern, bis wir Berichte von allen Saatschiffen bekommen, die gestartet sind. Und wenn einige stumm bleiben — nun, dann haben vielleicht die Schleimpilze gewonnen…
Im Jahre 3505, bei der letzten Sitzung des Weltparlaments, wurden bestimmte Richtlinien — die berühmte Genfer Direktive — für die künftige Kolonisierung von Planeten aufgestellt. Viele fanden sie zu idealistisch, und es gab keinerlei Möglichkeit, sie jemals durchzusetzen. Aber sie waren eine Absichtserklärung — eine letzte Geste des guten Willens gegenüber einem Universum, das vielleicht niemals in der Lage sein würde, sie zu schätzen.
Nur eine Richtlinie dieser Direktive betrifft uns hier — aber sie wurde am meisten gefeiert und führte zu heftigen Streitigkeiten, da sie einige der vielversprechendsten Ziele ausschaltete.
Das Vorhandensein von mehr als ein paar Prozent Sauerstoff in einer Planetenatmosphäre ist ein eindeutiger Beweis dafür, daß dort Leben existiert. Dieses Element ist viel zu reaktionsfreudig, um in freier Form vorzukommen, außer, wenn es ständig von Pflanzen — oder ihren Äquivalenten — ergänzt wird. Natürlich bedeutet Sauerstoff nicht notwendigerweise tierisches Leben, aber er bereitet den Boden dafür. Und auch wenn tierisches Leben nur selten zu Intelligenz führt, so wurde doch nie ein anderer, plausibler Weg dorthin theoretisch entwickelt.
Deshalb wurde, den Prinzipien des Metagesetzes zufolge, die Landung auf Sauerstoff enthaltenden Welten verboten. Ich bezweifle offen gestanden, ob man eine so drastische Entscheidung getroffen hätte, wenn wir durch den Quantenantrieb nicht unbegrenzte Reichweite — und Energie — bekommen hätten.
Lassen Sie mich nun unseren Operationsplan beschreiben, nachdem wir Sagan Zwei erreicht haben. Wie Sie auf der Karte sehen werden, sind mehr als fünfzig Prozent der Oberfläche von Eis bedeckt, in einer geschätzten Dicke von drei Kilometern. So viel Sauerstoff, wie wir jemals brauchen werden!
Wenn die ‚Magellan‘ ihre endgültige Umlaufbahn erreicht hat, wird sie den Quantenantrieb mit einem kleinen Bruchteil der vollen Leistung als Fackel einsetzen.
Damit werden wir das Eis abbrennen und gleichzeitig den Dampf in Sauerstoff und Wasserstoff aufspalten. Der Wasserstoff wird schnell in den Weltraum entweichen; wenn nötig, können wir auch mit funkgesteuerten Lasern nachhelfen.
In nicht mehr als zwanzig Jahren wird Sagan Zwei eine zehnprozentige O2-Atmosphäre haben, aber diese wird zu viele Stickstoffoxide und andere Gifte enthalten, um atembar zu sein. Etwa zu dieser Zeit werden wir anfangen, speziell entwickelte Bakterien und bald darauf Pflanzen abzusetzen, um den Prozeß zu beschleunigen. Aber der Planet wird immer noch viel zu kalt sein; selbst wenn man die Wärmemenge berücksichtigt, die wir hineingepumpt haben, wird die Temperatur überall unter dem Gefrierpunkt liegen, ausgenommen ein paar Stunden um die Mittagszeit, nahe dem Äquator.
Und nun setzen wir den Quantenantrieb wahrscheinlich zum letztenmal ein. Die ‚Magellan‘, die ihre gesamte Existenz im Weltraum verbracht hat, wird schließlich auf die Oberfläche eines Planeten niedergehen.
Und dann wird, ungefähr fünfzehn Minuten jeden Tag, zur geeigneten Zeit, der Antrieb eingeschaltet, mit der Maximalleistung, die der Schiffskörper — und das Grundgestein, auf dem er ruht — aushalten können. Bis wir die ersten Tests gemacht haben, wissen wir nicht, wie lange die Operation dauern wird. Vielleicht wird es auch notwendig, das Schiff noch einmal zu versetzen, wenn sich der erste Landeplatz als geologisch instabil herausstellt.
Nach einer ersten Schätzung sieht es so aus, als müßten wir den Antrieb dreißig Jahre lang laufen lassen, um den Planeten so abzubremsen, daß er weit genug sonnenwärts fällt, um ein gemäßigtes Klima zu bekommen. Und dann müssen wir den Antrieb noch einmal fünfundzwanzig Jahre lang laufen lassen, um eine kreisförmige Umlaufbahn zu bekommen. Aber während eines großen Teils dieser Zeit wird Sagan Zwei schon einigermaßen bewohnbar sein — obwohl die Winter grimmig kalt sein werden, bis die endgültige Umlaufbahn erreicht ist.
Und dann haben wir einen jungfräulichen Planeten, größer als die Erde, mit ungefähr vierzig Prozent Ozean und einer mittleren Temperatur von fünfundzwanzig Grad. Die Atmosphäre wird einen Sauerstoffgehalt von siebzig Prozent des Erdwerts haben — der aber noch ansteigt. Dann wird es Zeit, die neunhunderttausend Menschen zu wecken, die noch im Tiefschlaf liegen, und ihnen eine neue Welt zu präsentieren.
So lautet das Drehbuch — vorausgesetzt, es gibt keine unerwarteten Entwicklungen — oder Entdeckungen — die uns zwingen, davon abzuweichen. Und wenn es zum schlimmsten kommt…“
Dr. Varley zögerte, dann lächelte sie grimmig.
„Nein — was immer auch geschieht, Sie werden uns nicht wiedersehen! Wenn Sagan Zwei sich als unmöglich erweist, gibt es ein anderes Ziel, dreißig Lichtjahre weiter. Vielleicht ist es sogar besser.
Möglicherweise werden wir mit der Zeit beide Welten kolonisieren. Aber das wird die Zukunft entscheiden.“
Es dauerte eine Weile, bis die Diskussion in Gang kam; die meisten Akademiemitglieder wirkten betäubt, obwohl ihr Applaus sicherlich aufrichtig war. Der Präsident, der aus langer Erfahrung immer ein paar Fragen vorbereitet hatte, brachte den Ball ins Rollen.
„Ein nebensächlicher Punkt, Dr. Varley — aber nach wem oder was ist Sagan Zwei benannt?“
„Nach einem Autor wissenschaftlicher Romane aus dem frühen dritten Jahrtausend.“
Damit war das Eis gebrochen, genau wie der Präsident es beabsichtigt hatte.
„Sie sagten, Doktor, daß Sagan Zwei mindestens einen Satelliten hat. Was wird damit geschehen, wenn Sie die Umlaufbahn des Planeten verändern?“
„Nichts — von ganz leichten Störungen abgesehen. Er wird sich synchron mit seinem Hauptplaneten bewegen.“
„Wenn die Direktive von — wann war das noch, 3500…“
„3505.“
„…früher ratifiziert worden wäre, wären wir dann hier? Ich meine, Thalassa wäre doch ein verbotener Planet gewesen!“
„Das ist eine sehr gute Frage, und wir haben oft darüber diskutiert. Die Aussaatmission von 2751 — Ihr Mutterschiff auf der Südinsel — wäre sicher im Widerspruch zur Direktive gestanden. Glücklicherweise ist das Problem gar nicht entstanden. Da Sie hier keine Landtiere haben, wurde das Prinzip der Nichteinmischung nicht verletzt.“
„Das ist aber ziemlich spekulativ“, sagte eines der jüngsten Akademiemitglieder — zur offensichtlichen Belustigung vieler älterer. „Vorausgesetzt, Sauerstoff bedeutet Leben, wie können Sie sicher sein, daß auch die Umkehrung der Aussage zutrifft? Man kann sich alle möglichen Geschöpfe vorstellen — sogar intelligente — auf einem Planeten ohne Sauerstoff, sogar ohne Atmosphäre. Wenn unsere evolutionären Nachfolger intelligente Maschinen sind, wie viele Philosophen es behauptet haben, so würden sie eine Atmosphäre bevorzugen, in der sie nicht rosten könnten. Haben Sie eine Ahnung, wie alt Sagan Zwei ist? Vielleicht hat es das sauerstoffbiologische Zeitalter schon hinter sich; möglicherweise werden Sie dort von einer Maschinenzivilisation erwartet.“
Ein paar Andersdenkende im Publikum stöhnten laut auf, und jemand brummte voll Abscheu: „Science Fiction!“ Dr. Varley wartete, bis sich die Unruhe gelegt hatte, dann antwortete sie kurz: „Das hat uns noch kaum schlaflose Nächte bereitet. Und wenn wir wirklich auf eine Maschinenzivilisation stoßen würden, dann wäre das Prinzip der Nichteinmischung kaum von Bedeutung. Ich würde mir viel mehr Sorgen darüber machen, was sie uns antun könnte, also umgekehrt!“
Ein sehr alter Mann — der älteste Mensch, den Dr. Varley auf Thalassa gesehen hatte — stand hinten im Raum langsam auf. Der Vorsitzende kritzelte schnell eine Notiz und reichte sie ihr hinüber. „Prof. Derek Winslade — 115 — G. A. M. der t. Wissenschaft — Historiker.“ Dr. Varley rätselte ein paar Sekunden lang herum, was G.A.M. wohl heißen könnte, bis ein geheimnisvoller Geistesblitz ihr sagte, daß es für ‚Großer Alter Mann‘ stand.
Und es ist typisch, dachte sie, daß der rangälteste Vertreter der lassanischen Wissenschaft ein Historiker ist. In ihrer ganzen siebenhundertjährigen Geschichte hatten die Drei Inseln nicht mehr als eine Handvoll origineller Denker hervorgebracht. Aber das war nicht unbedingt kritikwürdig. Die Lassaner waren gezwungen gewesen, die Infrastruktur der Zivilisation von Null aufzubauen; es hatte wenig Gelegenheit oder Anreiz für irgendwelche Forschungen gegeben, die nicht direkt praktisch anwendbar waren. Und es gab ein wichtigeres, diffizileres Problem — das der Bevölkerungszahl. Ganz gleich, zu welcher Zeit und in welcher wissenschaftlichen Disziplin, nie gab es genügend Arbeitende auf Thalassa, um die ‚kritische Masse‘ zu erreichen, die minimale Anzahl reaktionsfähiger Köpfe, die notwendig war, damit es in einem neuen Wissensbereich zur Grundlagenforschung kommen konnte.
Nur in der Mathematik — wie auch in der Musik — gab es seltene Ausnahmen von dieser Regel. Ein einsames Genie — ein Ramanujan oder ein Mozart — konnte aus dem Nichts aufsteigen und sich allein auf fremde Meere des Denkens hinauswagen. Das berühmte Beispiel in der lassanischen Wissenschaft war Francis Zoltan (214–242); sein Name wurde fünfhundert Jahre später immer noch verehrt, aber Dr. Varley hatte gewisse Bedenken, sogar hinsichtlich seiner unzweifelhaften Fähigkeiten. Niemand, so schien es ihr, hatte seine Entdeckungen im Bereich der hypertransfiniten Zahlen wirklich verstanden; noch weniger, sie weiter ausgedehnt — der wahre Test für jeden echten Durchbruch. Bis auf den heutigen Tag konnte seine berühmte ‚Letzte Hypothese‘ weder bewiesen noch widerlegt werden.
Sie hatte den Verdacht — war aber viel zu taktvoll, um das ihren lassanischen Freunden gegenüber zu erwähnen — daß Zoltans tragisch früher Tod seinen Ruf übertrieben und sein Andenken mit wehmütigen Hoffnungen auf das, was hätte sein können, ausgeschmückt hatte. Die Tatsache, daß er beim Schwimmen vor der Nordinsel verschwunden war, hatte den Anstoß zur Entstehung von Legionen romantischer Mythen und Theorien gegeben — enttäuschte Liebe, eifersüchtige Rivalen, Unfähigkeit, wichtige Beweise zu finden, Entsetzen vor dem Hyperunendlichen selbst — für nichts davon gab es auch nur die geringste, faktische Begründung. Aber alles hatte zu dem populären Bild von Thalassas größtem Genie beigetragen, das auf der Höhe seiner Leistungen aus dem Leben gerissen worden war.
Was sagte der alte Professor da? O je — in jeder Fragestunde gab es jemanden, der ein völlig bedeutungsloses Thema anschnitt oder die Gelegenheit ergriff, seine Lieblingstheorie zu entwickeln. Aufgrund langer Praxis verstand sich Dr. Varley recht gut darauf, mit solchen Schwätzern fertigzuwerden, und gewöhnlich brachte sie auf deren Kosten die Lacher auf ihre Seite. Aber zu einem G.A.M., auf seinem eigenen Territorium, umgeben von ehrfurchtsvollen Kollegen mußte sie höflich sein.
„Professor… ah… Winsdale“ — ‚Winslade‘ flüsterte der Vorsitzende drängend, aber sie entschied, daß eine Korrektur die Sache nur noch verschlimmern würde —, „die Frage, die Sie gestellt haben, ist sehr wichtig, müßte aber eigentlich Thema eines anderen Vortrags sein. Oder einer Vortragsreihe; selbst dann könnte man das Thema kaum ankratzen.
Aber um auf Ihren ersten Punkt einzugehen. Wir haben diese Kritik schon mehrmals gehört — sie trifft einfach nicht zu. Wir haben keinen Versuch gemacht, das ‚Geheimnis‘, wie Sie es nennen, des Quantenantriebs für uns zu behalten. Die vollständige Theorie befindet sich in den Schiffsarchiven und ist bei dem Material, das in Ihre Archive überspielt wird. Aber nachdem ich das gesagt habe, möchte ich keine falschen Hoffnungen erwecken. Offen gestanden gibt es unter der aktiven Besatzung des Schiffes niemanden, der den Antrieb wirklich versteht. Wir können damit umgehen — das ist alles.
Es gibt drei Wissenschaftler im Tiefschlaf, die angeblich Experten für den Antrieb sind. Wenn wir sie aufwecken müssen, ehe wir Sagan Zwei erreichen, geraten wir wirklich in ernste Schwierigkeiten.
Es gab Menschen, die wahnsinnig wurden bei dem Versuch, sich die geometrodynamische Struktur des Superraums vorzustellen, und beim Grübeln über der Frage, warum das Universum ursprünglich elf Dimensionen hatte, anstatt einer glatten Zahl wie zehn oder zwölf. Als ich den Antriebsgrundkurs machte, sagte mein Dozent: ‚Wenn Sie den Quantenantrieb verstehen könnten, wären Sie nicht hier — dann wären Sie oben auf Lagrange Eins im Institut für Höhere Forschung/ Und er brachte einen nützlichen Vergleich, der mir half, wieder einzuschlafen, wenn ich Alpträume hatte, weil ich mir vorstellen wollte, was zehn hoch minus dreiunddreißig Zentimeter wirklich bedeutet.
‚Die Besatzung der Magellan braucht nur zu wissen, was der Antrieb macht‘, sagte mir mein Dozent. ‚Wie Ingenieure, die für ein elektrisches Verteilernetz verantwortlich sind. Sie müssen wissen, wie sie die Energie zu schalten haben, brauchen aber keineswegs zu wissen, wie sie erzeugt wird. Vielleicht kommt sie aus einer einfachen Quelle wie einem mit Öl betriebenen Dynamo, einem Sonnenkollektor oder einer Wasserturbine. Die Prinzipien, die dahinterstehen, würden sie sicher begreifen — aber sie würden sie nicht brauchen, um ihre Arbeit absolut korrekt zu erledigen.
Die Elektrizität könnte auch aus einer komplizierteren Quelle kommen, zum Beispiel aus einem Kernreaktor, einem thermonuklearen Fusionskraftwerk, einem Muon-Katalysator, einem Penrose-Knoten oder einem Hawking-Schwarzschild-Kern — Sie verstehen, was ich meine? Irgendwann müßten sie jegliche Hoffnung, das Prinzip zu verstehen, aufgeben; trotzdem wären sie absolut kompetente Ingenieure und durchaus in der Lage, elektrischen Strom zu dem Zeitpunkt an den Ort zu leiten, wo er gebraucht wird.‘
Genauso können wir die ‚Magellan‘ von der Erde nach Thalassa bringen — und, wie ich hoffe, auch weiter nach Sagan Zwei —, ohne genau zu wissen, was wir da tun. Aber eines Tages, in Jahrhunderten vielleicht, werden wir wieder fähig sein, es dem Genie gleichzutun, das den Quantenantrieb hervorgebracht hat.
Und — wer weiß? — vielleicht kommen Sie uns zuvor. Vielleicht wird auf Thalassa ein moderner Francis Zoltan geboren. Und dann kommen vielleicht Sie zu uns auf Besuch.“
Sie glaubte nicht wirklich daran. Aber es war ein hübscher Abschluß, und er brachte ihr einen gewaltigen Applaus von allen Seiten ein.