33. Gezeiten

Mirissa fühlte sich ganz entschieden unpäßlich, und daran war natürlich nur Die Pille schuld. Aber wenigstens hatte sie den Trost, zu wissen, daß ihr das nur noch einmal passieren konnte — wenn (und falls!) man ihr das zweite Kind genehmigte.

Es war unglaublich, wenn man sich vorstellte, daß praktisch alle Generationen von Frauen, die jemals existiert hatten, diese monatlichen Beschwerden ihr halbes Leben hatten ertragen müssen. War es reiner Zufall, so fragte sie sich, daß der Fruchtbarkeitszyklus annähernd mit dem des einzigen Riesenmondes der Erde zusammenfiel? Nur einmal angenommen, es wäre auf Thalassa mit seinen zwei dicht beieinanderstehenden Satelliten genauso gewesen! Vielleicht war es ganz gut,

daß hier die Gezeiten kaum wahrnehmbar waren; der Gedanke von Fünfund Sieben-Tage-Zyklen, die in Dissonanzen aufeinanderprallten, war so komisch gräßlich, daß sie lächeln mußte, worauf sie sich sofort viel besser fühlte.

Sie hatte Wochen gebraucht, um sich zu dem Entschluß durchzuringen, und sie hatte es Loren noch gar nicht gesagt — und Brant auch nicht, der drüben auf der Nordinsel voller Eifer die ‚Calypso‘ reparierte. Hätte sie das getan, wenn er sie nicht verlassen hätte — wenn er nicht, trotz seines großen Geschreis und seiner Prahlerei, kampflos davongelaufen wäre?

Nein — das war unfair, eine primitive, sogar vormenschliche Reaktion. Aber solche Instinkte hielten sich zäh; Loren hatte ihr ein wenig verlegen erzählt, daß er und Brant einander manchmal in den Korridoren seiner Träume auflauerten.

Sie konnte Brant keinen Vorwurf machen; im Gegenteil, sie sollte stolz auf ihn sein. Nicht aus Feigheit, sondern aus Rücksichtnahme war er nach Norden gegangen, bis sie beide sich über ihr Schicksal klargeworden waren.

Sie hatte ihre Entscheidung nicht übereilt getroffen; sie erkannte jetzt, daß sie wohl schon seit Wochen unterhalb der Bewußtseinsschwelle gewartet hatte. Lorens zeitweiliger Tod hatte sie daran erinnert — als ob es einer Erinnerung bedurft hätte! — , daß sie bald für immer scheiden mußten. Sie wußte, was zu tun war, ehe er zu den Sternen aufbrach. Alle ihre Instinkte bestätigten ihr, daß es richtig war.

Und was würde Brant dazu sagen? Wie würde er reagieren? Das war noch eines von den vielen Problemen, denen sie sich zu. stellen haben würde.

Ich liebe dich, Brant, flüsterte sie. Ich möchte, daß du zurückkommst; mein zweites Kind wird von dir sein.

Aber nicht mein erstes.

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