Drek’Thar erzählt mit gebrochener Stimme von herrlichen und schönen Dingen, die zerstört wurden, davon, wie man Kinder brutal tötete. Und obwohl seine Geschichte, wie er sie erzählt, eine unausgesprochene Entschuldigung ist, erschien alles zu jener Zeit richtig. Ja, ich kann mir vorstellen, wie richtig es erschien. Es war gerecht. Ich kann nur zu den Ahnen beten, dass ich niemals in die Situation meines Vaters komme, zerrissen zwischen dem, was mein Herz mir sagt und der Verpflichtung gegenüber meinem Volk. Deshalb will ich unbedingt den zerbrechlichen Frieden zwischen der Allianz und uns erhalten.
Weil kaum ein Angriff oder eine Beleidigung in dieser oder jeder anderen Welt ein legitimer Grund sein darf, Kinder zu töten.
Später würde sich Durotan fragen, warum die Stadt Telraor nicht vor den bewaffneten Orcs gewarnt worden war. Mit einem Draenei konnte er nicht mehr darüber zu sprechen. Er konnte nur annehmen, dass die Draenei sich der Illusionstarnung so sicher gewesen waren, dass sie sich einfach nicht hatten vorstellen können, dass jemand sie durchbrechen würde.
Die Luft war erfüllt von Kriegsgeschrei und Wolfsgeheul, als die Reiter die Straßen der Stadt stürmten. Mehrere unbewaffnete Draenei wurden sofort niedergestreckt, und der weiße Gehweg war schnell blau von vergossenem Blut. Aber es dauerte nicht lange, dann schlug die Stadtwache zurück.
Durotan hatte den Stein in seinen Rucksack gesteckt, nachdem er ihn benutzt hatte. Er würde ihn zu dem roten und gelben Stein tun, die er Velen weggenommen hatte. Er saß auf und ritt mit grimmiger Entschlossenheit. Obwohl er entschieden hatte, dass er keinen unbewaffneten Feind attackieren würde oder gar ein Kind, war er aufs Töten vorbereitet und darauf, getötet zu werden.
Die erste Welle wogte durch die Stadt. Eine wahre Flut von Orcs gabelte sich in Ströme, die in die großen runden Gebäude eindrangen. Die Hexenmeister gaben ihnen Rückendeckung. Die Kreaturen waren still und gehorsam, selbst die kleinen, die ansonsten permanent murmelten. Ihre Herren warteten auf den richtigen Moment, um den Feuerregen, die Schattenblitze und die verschiedenen Folterflüche einzusetzen. Die Krieger, die wieder aus den Gebäuden kamen, waren mit Blut besudelt. Ihre Stiefel hinterließen eine blaue Spur zum nächsten Gebäude und dann zum übernächsten.
Die Wachen der Draenei waren auf die Straßen gelaufen und benutzten ihre eigene Magie. Durotan drehte sich in seinem Sattel um und konnte gerade noch einen Schlag von einem Schwert abblocken, dass in blauer Energie blitzte. Das Schwert schlug gegen seine Axt und erschütterte seinen Arm bis in die Schulter. Aber das war nichts verglichen mit dem Schock, als er den Angreifer erkannte.
Zum zweiten Mal trafen er und Restalaan sich im Kampf. Durotan hatte Velen verschont, und zum Ausgleich hatte Restalaan ihm Gnade gewährt, als er hilflos vor den Draenei-Kriegern gestanden hatte. Durotan sah, dass auch der andere ihn erkannte. Seine blauen Augen blitzten vor Zorn, dann verengten sie sich zu Schlitzen.
Jede Schuld zwischen ihnen war beglichen. Es wurde keine Gnade mehr gewährt.
Restalaan schrie etwas in seiner musikalischen Sprache. Statt wieder anzugreifen, zog er Durotan aus dem Sattel. Durotan wurde davon überrascht. Bevor er kapierte, was geschah, lag er vor seinem Feind auf dem Boden. Er griff nach seiner Axt, als Restalaan mit dem Schwert ausholte. Selbst als seine Finger den Stiel fassten, glaubte er nicht, dass er schnell genug sein würde.
Nightstalker war fast so gut ausgebildet wie der Orc, der ihn ritt. Als er spürte, dass sein Reiter von seinen Rücken gezerrt worden war, wirbelte er zu Restalaan herum. Große Zähne bissen in den Arm des Draenei. Hätte Restalaan nicht die schützende Rüstung getragen, der Arm wäre ihm abgetrennt worden. Trotzdem reichte der gewaltige Druck, um den Arm arg in Mitleidenschaft zu ziehen.
Restalaan ließ das Schwert fallen. Mit einem Knurren schlug Durotan mit der Axt so fest zu, wie er konnte. Er traf Restalaan, das scharfe Blatt der Axt schnitt glatt durch die Rüstung und drang tief in sein Fleisch ein.
Restalaan fiel auf die Knie, sein nutzloser Arm immer noch zwischen Nightstalkers Zähnen. Der weiße Wolf biss härter zu. In wenigen Herzschlägen würde der Wolf den Arm abgerissen haben. Blut spritzte, doch Restalaan gab keinen Laut von sich, trotz der Qualen, die er erleiden musste.
Durotan kam auf die Beine und schlug wieder zu, und diesmal war der Schlag tödlich – ein Gnadenstoß. Restalaan sackte zusammen, und Nightstalker ließ sofort seinen Arm los. Der Hauptmann der Wache von Telmor war tot.
Durotan kämpfte die Trauer nieder, die in ihm aufsteigen wollte. Er kletterte auf Nightstalker und suchte sich ein neues Ziel. Daran gab es keinen Mangel. Die Stadt war sicherlich nicht so groß wie Shattrath, die Hauptstadt des Feindes, aber sie war auch nicht klein. Es gab genug Draenei zu töten. Die Luft war erfüllt von Schreien, ausgestoßen im Blutrausch, vor Qual und Angst, erfüllt vom Scheppern der Schwerter auf Schilde und dem Krachen der magischen Zauber. Ein ekelerregender Gestank stieg in Draenei Nüstern: Blut, Fäkalien, Urin und der einzigartige Geruch des Schreckens lagen darin.
Die Wut, die in ihm raste, fühlte sich gut an. Seine Sinne waren nie schärfer gewesen, und er schien sich ohne nachzudenken bewegen zu können. Dort drüben war noch eine der Wachen – und sie kämpfte gegen Orgrim. Durotan spannte sich, wollte seinem Freund zu Hilfe eilen, aber der Schicksalshammer schwang bereits durch die Luft und zertrümmerte den Schädel des Angreifers trotz des Helms. Durotan grinste grimmig, Orgrim brauchte keine Hilfe.
Er spürte die Gegenwart eines Wesens neben sich, bevor er es hörte oder auch nur roch. Er drehte sich und stieß den Kriegsschrei seines Clans aus und hob die blutbefleckte Axt, um zuzuschlagen.
Das Kind war kaum der Pubertät entwachsen, aber es schrie vor Wut, während es mit leeren Händen nach seinem gepanzerten Bein schlug. Tränen liefen über das bleiche blaue Gesicht, und es bleckte seine Zähne. Blaues Blut, zu viel, als das es von ihm allein stammen konnte, durchnässte sein Kleid so stark, dass es ihm am Körper klebte. Das Mädchen schlug erfolglos auf ihn ein, ihre tränengefüllten Augen brannten vor Qual und gerechtem Zorn.
Eine schreckliche Sekunde lang war sie für ihn dasselbe Mädchen, das Durotan und Orgrim Jahre zuvor in dieser Stadt gesehen hatten. Das konnte nicht sein, sicherlich war das Mädchen von damals inzwischen eine Frau. Oder war sie es doch? Aber es zählte nicht. Es war ein Mädchen, tapfer und dumm genug, gegen einen gerüsteten Orc mit nackten Händen kämpfen zu wollen.
Es war eine riesige Anstrengung, die Axt mitten im Schwung abzufangen. Er würde kein Kind verletzen, das war nicht der Kodex, nicht der Weg der Orcs.
Plötzlich erstarrte sie. Ihre Augen weiteten sich, sie öffnete den Mund, und Blut strömte daraus hervor. Durotans Blick richtete sich von ihrem Gesicht auf ihre Brust. Und er sah einen Speer, der aus dem blutgetränkten Stoff hervorstach. Bevor Durotan reagieren konnte, hatte der Orc vom Clan der Zerschmetterten Hand den Speer zur Seite geschoben und den Körper damit zu Boden gezwungen. Er stellte einen Fuß auf ihre Schulter, und grunzend zog er seinen Speer heraus und grinste Durotan an.
„Du schuldest mir was, Frostwolf“, sagte der Orc. Dann verschwand er im Getümmel von Tätern und Opfern.
Durotan warf den Kopf zurück und schrie vor Qual zu seinen Ahnen.
Die Orcs drängten weiter und hinterließen Berge von Leichen. Die große Mehrheit der Toten waren Draenei, aber hier und dort sah man auch den braunen Körper eines gefallenen Orcs. Einige der Orcs, die dort lagen, lebten noch, riefen nach Hilfe. Aber ihre Bitten stießen auf taube Ohren. Schamanen hätten sie mit Sprüchen heilen können, aber die Magie der Hexenmeister verfügte nicht über diese Eigenschaft. Deshalb lagen sie dort, wo sie gefallen waren. Einige hauchten direkt neben den Draenei, die sie selbst getötet hatten, ihr Leben aus. Währenddessen strömte die Flut unaufhaltsam weiter.
Sie folgten der Straße bis zum Fuß der Berge, betraten die Gebäude und töteten jeden, den sie fanden. Ohne Zweifel hatten sich einige Draenei versteckt, überlegte Durotan und betete, dass sie nicht gefunden wurden. Doch er glaubte nicht, dass seine Gebete erhört wurden. Nachdem die erste Runde des Gemetzels beendet war, begann das Plündern und die Suche nach denen, die dem ersten Angriff entkommen waren. Er wusste es. So war es geplant.
Sie hatten das größte Gebäude erreicht, das auf dem höchsten Berg stand. Durotan erkannte es augenblicklich. Es war der Sitz des Magistrats, wo er und Orgrim mit dem Propheten gegessen hatten. Ihm kam der bittere Gedanke, dass Velen nicht viel als Prophet taugte, wenn er diesen schwarzen Tag nicht vorhergesehen hatte. Nightstalker lief die Treppen hinauf. Durotan konnte nicht widerstehen; er musste sich umdrehen und schaute über die Schulter zurück auf die Stadt, so wie er es beim ersten Mal getan hatte, als er diese Stufen auf seinen eigenen Füßen erklommen hatte.
Damals hatte die Stadt der Draenei wie auf einer Wiese verstreute Juwelen gewirkt. Nun sah sie nach dem aus, was sie auch war – eine zerstörte, eroberte Stadt, gefüllt mit Blut und ihren toten Bürgern. Das Ende aller Hoffnung auf Frieden, Waffenruhe und Verhandlungen. Durotan schloss kurz die Augen vor Qual.
„Ich will nicht angeben, aber ich bin stolz auf mein Volk und unsere Stadt“, hatte Restalaan zu Durotan gesagt, Restalaan, der steif und tot auf der weißen Straße mit zahllosen anderen Draenei lag. „Wir haben hier hart gearbeitet. Wir lieben Draenor. Nun, ich habe nie geglaubt, dass ich diesen erhabenen Anblick einmal mit einem Orc teilen kann. Die Wege des Schicksals sind oft merkwürdig.“
Die Räume, in denen sich zwei junge Orcs ziemlich eingepfercht vorgekommen waren, wirkten nun, überfüllt mit erwachsenen Orcs, klaustrophobisch. In den meisten Zimmern waren keine Draenei mehr anzutreffen gewesen. Offenbar waren die meisten geflohen, außer denen, die geschworen hatten, für ihre Stadt zu sterben. Die schönen Möbel wurden als Waffen eingesetzt, als sie auf Draenei-Schädel geschmettert wurden. Als das Mobiliar in Trümmer ging, verstärkte dies noch die Erregung der Orcs. Sie schlugen Löcher zum reinen Vergnügen in die leicht gebogenen Wände, Betten wurden mit Schwertern zerhackt, Schüsseln mit Früchten und kunstvolle Figürchen wurden zu Boden geworfen und dort von Äxten und Hämmern zerschmettert.
Durotan hatte genug. „Aufhören!“, schrie er, aber niemand hörte ihn. Die Kreaturen, die von den Hexenmeistern befehligt wurden, schien dieses Verhalten zu befriedigen. Aber die Zerstörungswut der Orcs war völlig sinnlos, da alle Bewohner Telmors entweder tot oder geflohen waren.
„Aufhören!“, schrie Durotan wieder. Diesmal vernahm Orgrim den Ruf. Der Kriegshymnen-Krieger schüttelte den Kopf, als müsste er ihn von etwas befreien. Dann versuchte auch er, seine Krieger zu beruhigen. Doch Drek’Thar war es schließlich, der der Zerstörungswut Einhalt gebot.
„Hört mir zu!“, rief Durotan. Sie befanden sich in jenem Raum, in dem Velen sie an seinem Tisch bewirtet hatte. Stühle und Tische waren umgeworfen und die Wandbehänge heruntergerissen. „Wir haben die Stadt erobert! Der Kampf ist vorbei! Doch es gibt Wichtiges zu tun!“
Sie hörten ihm zu. Ihre Atemzüge erfüllten rasselnd den Raum.
„Zuerst behandeln wir die Verwundeten“, befahl Durotan. „Wir lassen unsere Brüder nicht einfach auf den Straßen liegen und sterben.“
Einige schauten schuldbewusst zu Boden, als sie diese Worte vernahmen. Sie hatten völlig vergessen, dass einige von ihnen draußen lagen, sich unter Schmerzen windend, während sie selbst sich an dieser Zerstörungsorgie ergötzten.
Durotan schob seine Gefühle beiseite und nickte Drek’Thar zu. Die Hexenmeister mochten vielleicht nicht mehr über Heilzauber verfügen, aber sie waren einst Schamanen gewesen und wussten, wie man Wunden auch auf normale Art behandelte. Drek’Thar bedeutete einigen Hexenmeistern, sich um die Verwundeten zu kümmern.
„Diese Stadt hat riesige Vorratskammern. Es gibt jede Menge Nahrung, Waffen, Rüstungen und andere Dinge, auch solche, die wir nicht kennen. Dinge, die der Horde bei ihrer Aufgabe...“
Er konnte die Worte, die er hatte sagen wollen, nicht aussprechen... bei ihrer Aufgabe, die Draenei auszulöschen, nützlich sind. Stattdessen vollendete er den Satz leiser: „... bei ihrer Aufgabe nützlich sind. Wir sind eine Armee. Eine Armee marschiert mit ihrem Bauch. Ein Krieger muss gut essen, ausreichend mit Wasser versorgt sein und ausgeruht für den Kampf. Orgrim, du nimmst dir eine Gruppe, und ihr fangt an diesem Ende der Stadt an. Guthor, du nimmst dir eine andere Gruppe und gehst zurück zum Tor. Jeder, der Heilkenntnisse hat, meldet sich bei Drek’Thar und macht genau das, was er euch sagt.“
„Was ist mit den Draenei, wenn wir welche finden?“, fragte jemand.
Ja, was war mit ihnen? Sie hatten nicht die Möglichkeiten, sich um Gefangene zu kümmern. Und eigentlich dienten Gefangene bei den Orcs auch lediglich als Tauschobjekte, als Geiseln. Aber der einzige Grund, weshalb die Horde existierte, war die totale Vernichtung der Draenei, und so gab es keinen Grund, Gefangene zu machen.
„Tötet sie“, sagte Durotan. Er hoffte, dass die anderen seine heisere Stimme auf kriegerischen Zorn zurückführten und nicht auf jene Qual, unter der er litt. „Tötet sie alle.“
Während die Orcs unter seinem Kommando schließlich seine Befehle ausführten, wünschte sich Durotan, Nightstalker wäre nicht so schnell gewesen, als er seinen Herrn beschützt hatte. Es wäre ihm leichter gefallen, durch Restalaans Hand zu sterben, als die Worte zu sprechen, die er gerade gesagt hatte.
Mit etwas Glück würde der Tod Durotan eher früher als später ereilen auf diesem Feldzug gegen eine Rasse, die nie die Hand gegen sie erhoben hatte.