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Es ist leicht zu verstehen, warum so viele meiner Zeitgenossen es vorziehen, diese Geschichte ruhen zu lassen. Lasst sie langsam und still in Vergessenheit geraten, durch die Strudel der Zeit rauschen, bis die Oberfläche wieder glatt ist und niemand sich mehr an die Schmach in der Tiefe erinnert. Auch ich fühle diese Schmach, obwohl ich noch gar nicht lebte, als es passierte. Ich sehe sie in Drek’Thars Gesicht, wenn er Teile dieser Geschichte mit brechender Stimme erzählt. Ich sah ihre Last auf Orgrim Schicksalshammer lasten. Grom Hellschrei, Freund und Verräter und dann wieder Freund, hat diese Geschichte völlig erschüttert.

Aber die Geschichte zu leugnen würde bedeuten, dass wir uns selbst zu Opfern machen, statt zuzugeben, dass wir mitschuldig waren an unserem eigenen Untergang. Wir haben so entschieden, wir haben diesen Weg gewählt und sind ihn gegangen, bis es zur Umkehr zu spät war. Wenn wir uns das bewusst machen, werden wir demnächst, in einer ähnlichen Situation, vielleicht anders entscheiden.

Deshalb möchte ich das Zeugnis all derer hören, die diesen Weg beschritten, der beinahe zur Vernichtung unserer Art führte. Ich will verstehen, warum sie jeden einzelnen Schritt gegangen sind, was geschehen ist, dass ihnen auch der nächste Schritt als richtig erschien.

Ich will es wissen, damit ich, sollte so etwas noch einmal passieren, es rechtzeitig erkennen kann.

Die Menschen haben zwei sehr schlaue Redensarten.

Die erste lautet: „Die, die nicht aus der Geschichte lernen, sind verdammt, sie zu wiederholen.“

Und die zweite lautet: „Kenne deinen Feind.“


Velen war tief in seiner Meditation versunken, als Restalaan ihn vorsichtig unterbrach. Er saß im zentralen Innenhof des Tempels von Karabor, aber nicht auf einer der bequemen Bänke, die das rechteckige Becken begrenzten, sondern auf dem harten Stein. Die Luft war erfüllt mit dem Geruch blühender Büsche aus dem wundervollen Garten, und das Wasser plätscherte sanft. In den Blättern der Bäume raschelte der Wind. Ansonsten war alles still und friedlich, aber Velen bekam das nicht mit, denn sein ganzes Sein war nach innen gerichtet.

Schon sehr lange vertrauten die Draenei und die Naaru einander. Die leuchtenden Wesen, die sich so selten entschlossen, eine feste Form anzunehmen, hatten sich zuerst um die vertriebenen Eredar gekümmert, sie dann unterrichtet und waren schließlich zu ihren Freunden geworden. Sie waren gemeinsam gereist und hatten viele Welten gesehen. Jedes Mal hatten die Naaru, besonders das Wesen, das sich selbst K’ure nannte, den Draenei zu fliehen geholfen, wenn die Man’ari sie entdeckt hatten. Und jedes Mal waren Kil’jaeden und die monströsen Kreaturen, die einst Eredar gewesen waren, ihnen ein Stückchen näher gekommen. Velen war immer betrübt, wenn er und sein Volk eine Welt verlassen mussten, um sich selbst zu retten. Er wusste, dass alle Wesen, die sie zurückließen, wie die Eredar verändert werden würden. Kil’jaeden war immer darauf bedacht, die Legion seines dunklen Herrn Sargeras zu vergrößern.

K’ure war darüber ebenso bekümmert wie Velen. Aber er argumentierte in Velens Geist mit der unwiderlegbaren Logik, dass Kil’jaeden, Archimonde und Sargeras ansonsten eine andere Welt in derselben Zeit zerstört hätten. Alle Welten, alle Wesen, alle Völker waren in Sargeras’ Augen erschreckend gleich. Sie alle mussten mit Feuer ausgelöscht werden. Wäre Velen durch die Hände seiner ehemals besten Freunde getötet worden, hätte das keinen der glücklosen Unschuldigen gerettet. Überlebte er aber, so konnte er eines Tages vielleicht die Rettung bringen.

„Wie denn?“, hatte Velen sich einst erregt. „Wie kann mein Leben denn wichtiger und wertvoller sein als das anderer?“

Unsere Vereinigung arbeitet langsam, hatte K’ure geantwortet, aber wir geben niemals auf. Es gibt andere Naaru wie mich, die die jüngeren Völker bereisen. Wenn sie alle bereit sind, werden sie vereint, und vielleicht wird Sargeras dann von denen zu Fall gebracht, die immernoch an das Gute und Wahre glauben. Das ist das zeitlose Gleichgewicht im Universum.

Velen hatte keine Wahl. Er konnte nur diesem Wesen, das sein Freund war, glauben oder die verraten, die ihm vertraut hatten. Er wählte den Glauben.

Momentan aber war er verwirrt. Die Orcs hatten begonnen, Jägergruppen anzugreifen. Es schien keinen Grund für diese Angriffe zu geben. Keine der Wachen, die Velen befragt hatte, konnten irgendetwas Ungewöhnliches berichten. Und trotzdem: drei Jägergruppen waren bis auf den letzten Draenei ausgelöscht worden. Restalaan, der die Metzeleien untersucht hatte, hatte berichtet, dass die Draenei nicht einfach getötet, sondern vielmehr... abgeschlachtet worden waren.

Deshalb war Velen zum Tempel gegangen, der noch aus den frühesten Tagen stammte, als die Draenei auf diese Welt gekommen waren. Umgeben von vier der sieben Ata’mal-Kristalle, die vor so langer Zeit entstanden waren, konnte er die schwache Stimme seines Freundes in seinem Kopf hören. Aber K’ure hatte diesmal keine Antworten für ihn.

Diesmal würde es keine Flucht geben, wenn etwas schiefging. K’ure lag im Sterben, gefangen in dem Schiff, das vor zweihundert Jahren auf diese Welt gestürzt war.

„Großer Prophet“, sagte Restalaan mit sanfter Stimme, „es hat einen neuen Angriff gegeben.“

Langsam öffnete Velen seine alten Augen und betrachtete seinen Freund sorgenvoll. „Ich weiß“, sagte er. „Ich habe es gefühlt.“

Restalaan strich sich mit der dickfingerigen Hand durch sein schwarzes Haar. „Was sollen wir tun? Jeder neue Angriff erscheint brutaler als der vorhergehende. Untersuchungen an den Wunden scheinen zu bestätigen, dass sie ihre Waffen verbessert haben.“

Velen seufzte tief und schüttelte den Kopf. Die weißen Zöpfe schwangen leicht bei der Bewegung. „Ich kann K’ure nicht hören“, sagte er leise. „Zumindest nicht so deutlich wie normalerweise. Ich fürchte, ihm bleibt nicht mehr viel Zeit.“

Restalaan senkte den Blick, und Schmerz zeichnete sein Gesicht. Der Naaru hatte sich tatsächlich für sie geopfert. Alle Draenei wussten und verstanden es. Er war gefangen gewesen und langsam über zwei Jahrhunderte gestorben. Irgendwie hatte Velen geglaubt, dass es länger dauern würde wenn er tatsächlich starb, so wie er als Draenei den Tod verstand.

Entschlossen stand Velen auf, und seine leichte Robe flatterte hinter ihm. „Er kann mir noch Weisheit vermitteln, aber ich kann ihn nicht mehr hören. Ich muss zu ihm gehen. Vielleicht verstehe ich ihn besser, wenn ich in seiner Nähe bin.“

„Du... du meinst, du willst zum Schiff gehen?“, fragte Restalaan.

Velen nickte. „Ich muss.“

„Großer Prophet, ich will deine Weisheit nicht in Frage stellen, aber...“

„Aber du tust es trotzdem.“ Velen schmunzelte, und um seine bemerkenswert blauen Augen bildeten sich Lachfältchen. „Fahr fort, mein alter Freund. Deine Fragen waren immer hilfreich für mich.“

Restalaan seufzte. „Die Orcs haben das Schiff übernommen und bezeichnen es als ihren heiligen Berg“, sagte er.

„Das weiß ich“, antwortete Velen.

„Warum verärgerst du sie dann, indem du dort hingehst?“, fragte Restalaan. „Sie werden das ganz sicher als einen Akt der Aggression werten, gerade jetzt. Du würdest ihnen einen Grund geben, ihre Angriffe auf uns fortzusetzen.“

Velen nickte. „Daran habe ich auch schon gedacht. Aber vielleicht ist es an der Zeit, dass wir offenlegen, wer wir sind und was ihr heiliger Berg in Wirklichkeit ist. Sie glauben, dass ihre Ahnen dort zu Hause sind, und damit könnten sie sogar Recht haben. Wenn K’ure nicht mehr lange lebt, sollten wir dann nicht seine Weisheit und seine Kräfte nutzen, solange wir es noch können? Wenn überhaupt jemand einen Frieden zwischen den Orcs und uns aushandeln kann, dann dieses Wesen, das größer ist als wir alle. Das könnte unsere einzige Hoffnung sein. K’ure hat davon gesprochen, dass andere Wesen andere Völker suchen, die uns in der Aufgabe, das Gleichgewicht und die Harmonie zu retten, unterstützen. Die sich gemeinsam mit uns gegen Sargeras und seine riesige unheilige Macht stemmen, die er geschaffen hat.“

Velen legte seine weiße Hand auf die gepanzerte Schulter seines Freundes. „Eine Sache wurde in meinen Meditationen ganz deutlich. Es kann so nicht weitergehen wie bisher. Orcs und Draenei können nicht länger nebeneinanderher leben. Es gibt keinen Weg zurück, mein alter Freund. Es gibt entweder Krieg oder Frieden. Sie werden entweder unsere Verbündeten oder Feinde sein. Und ich würde es mir nie vergeben, ginge ich nicht den Weg zum Frieden. Verstehst du mich?“

Restalaan schaute in Velens unglückliches Gesicht, dann nickte er. „Ja. Ja, ich glaube schon. Aber es gefällt mir nicht. Lass mich dir wenigstens eine bewaffnete Garde mitgeben. Die Orcs werden garantiert erst kämpfen, bevor sie zuhören.“

Velen schüttelte den Kopf. „Nein, keine Waffen. Nichts, dass sie provozieren könnte. In ihren Herzen sind es ehrenhafte Wesen. Ich konnte einen flüchtigen Blick in die Seelen der beiden jungen Orcs werfen, die uns vor einigen Jahren besuchten. Es ist nichts Arglistiges oder Böses in ihnen, nur Vorsicht und jetzt, aus irgendwelchen Gründen, Angst. Sie haben Jägergruppen angegriffen, keine Zivilisten.“

„Ja“, entgegnete Restalaan. „Gruppen, die zahlenmäßig weit unterlegen waren.“

„Wir haben auch vergossenes Blut gefunden, das nicht unser eigenes war“, erinnerte ihn Velen. „Sie nahmen ihre Toten mit, um sie rituell zu verbrennen. Es wurde auch viel orcisches Blut vergossen. Und durch unsere Überlegenheit kann eine Handvoll Draenei leicht gegen viele Orcs bestehen. Nein, ich werde nicht alles riskieren. Sie werden mich nicht einfach erschlagen, wenn ich meine Absichten ehrenhaft vortrage und ich unbewaffnet komme.“

„Ich wünschte, ich hätte deine Zuversicht, mein Prophet“, entgegnete Restalaan resigniert und verneigte sich tief. „Ich werde eine kleine Gruppe als Begleitung mitschicken. Und sie wird unbewaffnet sein.“


Das Große Wesen, Kil’jaeden, besuchte Ner’zhul häufiger. Am Anfang nur im Traum, wie seine Ahnen. Er kam in der Nacht, wenn Ner’zhul tief schlief. Die Droge machte seinen Körper schwer, öffnete aber Ner’zhuls Geist für Kil’jaedens Einflüsterungen. Er sparte nicht mit Lob und verriet ihm Pläne für zukünftige Siege der Orcs.

Ner’zhul war glücklich. Jeden Brief, den die Blutfalken von den Clans brachten, las er eifrig.

Wir sind auf zwei Kundschafter gestoßen, weit weg von jeder Hilfe, schrieb der Häuptling vom Clan der Zerschmetterten Hand. Es war leicht, sie zu töten, sie waren uns unterlegen.

Der Clan des Blutenden Auges berichtet dem großen Ner’zhul stolz, dass wir ihm in allen Belangen gehorcht haben, stand in einem anderen Brief. Wir haben uns mit dem Clan des Lachenden Schädels verbündet und so die Zahl der bewaffneten Krieger mehr als verdoppelt, die wir gegen den verschlagenen Feind schicken. Unserer Auffassung nach sucht der Thunderlord-Clan Verbündete. Wir werden ihnen morgen einen Kurier schicken.

„Ja“, sagte Kil’jaeden und lächelte. „Siehst du, wie sie alle zusammenkommen, wenn sie einen triftigen Grund haben? Vorher hätten sich die Clans gegenseitig herausgefordert, wenn sich ihre Wege gekreuzt hätten. Nun teilen sie ihr Wissen, teilen Vorräte und Waffen, arbeiten zusammen, um einem Feind entgegenzutreten, der euch alle zerstören will.“

Ner’zhul nickte, aber er fühlte einen plötzlichen Stich. Es war herrlich gewesen, endlich dieses schöne, machtvolle Wesen zu treffen, obwohl es so sehr wie die verhassten Draenei aussah, aber er hatte seitdem Rulkan nicht mehr gesehen. Er vermisste sie. Er fragte sich, warum sie ihn nicht mehr besuchte.

Zögerlich sagte er: „Rulkan...“

„Rulkan hat ihren Teil erfüllt, indem sie mich mit dir zusammenbrachte, Ner’zhul“, beruhigte ihn Kil’jaeden. „Du weißt, ihr geht es gut, und sie ist glücklich, du hast sie gesehen. Wir brauchen sie nicht mehr als Medium. Nicht jetzt, da ich von deinem Wert überzeugt bin.“

Und wie zuvor füllte sich Ner’zhuls Herz mit Freude. Und dennoch, trotz des Trostes und der freundlichen Worte Kil’jaedens, blieb diesmal etwas zurück, und er wünschte sich, mit seiner Frau sprechen zu können.


Ner’zhul war tief in Gedanken, als Gul’dan ihm das Schreiben brachte. Der Schüler verneigte sich und überreichte seinem Meister das Stück Pergament, das steif von einer blauen Flüssigkeit war.

„Was ist das?“, fragte Ner’zhul, als er das Pergament entgegennahm.

„Das wurde einem Draenei weggenommen, der vom Süden kam“, antwortete Gul’dan.

„Einer Gruppe?“

„Ein einzelner Kurier. Keine Waffen, nicht mal ein Reittier. Der Dummkopf lief.“ Gul’dans Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, und er gluckste.

Ner’zhul schaute auf das Pergament und erkannte, dass die blauen Flecken das Blut des Kuriers waren. Warum nur hatte sich dieser Idiot allein und unbewaffnet ins Herz des Schattenmond-Clans gewagt?

Er faltete das Pergament vorsichtig auseinander, um es nicht zu zerreißen, und begann zu lesen. Als die Blicke seiner braunen Augen über die Worte flogen, war der Raum plötzlich von einem hellen Leuchten erfüllt, und beide Schamanen hoben schützend die Arme vor die Augen.

„Lies es laut, großer Ner’zhul!“, sagte Kil’jaeden schmeichelnd. „Teile dein Wissen mit mir und deinem treuen Schüler.“

„Ja, bitte, Meister“, sagte Gul’dan begierig.

Als Ner’zhul das Schreiben las, überkamen ihn das erste Mal, seit er mit seiner geliebten Rulkan gesprochen hatte, Zweifel.

An Ner’zhul, Schamane des Schattenmond-Clans, der Prophet Veten von den Draenei sendet dir Grüße. In jüngster Zeit wurden viele meines Volks von den Orcs angegriffen. Ich verstehe nicht, warum. Seit Generationen haben Dein und mein Volk friedlich und in Toleranz miteinander gelebt. Ein Zustand, der uns beiden genutzt hat. Wir haben niemals die Waffen gegen einen Orc gehoben. Stattdessen haben wir einst die Leben von zwei jungen Orcs gerettet, die sich unwissentlich in Gefahr begeben hatten...

„Ah“, unterbrach Gul’dan den Schamanen, „daran erinnere ich mich. Durotan, der jetzt der Häuptling des Frostwolf-Clans ist, und Orgrim Schicksalshammer.“

Ner’zhul nickte abwesend, seine Gedanken waren für einen Moment abgelenkt, dann las er weiter:

Wir können nur annehmen, dass es sich um ein schreckliches Missverständnis handelt, und wir wollen mit Euch reden, damit keine weiteren Leben von Orcs oder Draenei verloren gehen.

Ich glaube, dass der Berg, den ihr Oshu’gun nennt, Euch heilig ist, dass dort die weisen Geister eurer Ahnen zu Hause sind. Obwohl dieser Ort auch für uns Draenei schon lange eine tiefe Bedeutung hat, haben wir immer respektiert, dass ihr ihn als Eure heilige Stätte beansprucht. Jetzt ist die Zeit gekommen, um zu erkennen, dass wir mehr gemeinsam haben, als uns trennt. Ich werde von meinem Volk Prophet genannt, weil mir von Zeit zu Zeit Weisheit und Erkenntnis gewährt wird. Ich versuche mein Volk mit Güte in Frieden zuführen, wie ich es auch von den Führern Eures Volkes annehme.

Treffen wir uns in Frieden an dem Ort, der für unsere beiden Völker so bedeutsam ist. Am dritten Tag des fünften Monats werde ich mit einer kleinen Gruppe auf eine Pilgerfahrt in das Herz des Berges gehen. Keiner von uns wird bewaffnet sein. Ich lade Dich und jeden anderen ein, mich dort zu treffen an diesem Ort der Macht und Magie, an dem ein Wesen existiert, dessen Weisheit so viel größer ist als unsere und die wir gemeinsam nutzen können, um die Kluft zwischen unseren Völkern zu überwinden.

Licht und Segen, ich biete euch Frieden an.

Gul’dan war der Erste, der sprach. Oder – genauer – der lachte.

„So eine maßlose Arroganz! Mein Herr, großer Kil’jaeden, diese Gelegenheit dürfen wir uns nicht entgehen lassen. Ihr Führer kommt wie ein Spalthuf zum Schlachter, und das völlig unbewaffnet. Dumm, wie er ist, denkt er, dass wir nichts von seinen bösen Absichten ahnen. Er will den Oshu’gun besudeln! Er wird sterben, bevor er einen verdammten Huf auf unseren heiligen Berg setzen kann!“

„Deine Worte gefallen mir, Gul’dan“, sagte Kil’jaeden mit seiner sanften Stimme. „Ner’zhul, dein Schüler spricht weise.“

Ner’zhul wollte antworten, doch ihm blieben die Worte im Halse stecken. Er öffnete zweimal den Mund und setzte zu einer Erwiderung an, und schließlich, beim dritten Mal, kratzten die Worte aus seiner Kehle:

„Ich will nicht bestreiten, dass die Draenei gefährlich sind“, sagte er stockend. „Aber... wir sind keine Gronn, die Unbewaffnete töten...“

„Der Kurier wurde erschlagen“, entgegente Gul’dan. „Er war unbewaffnet.“

„Und ich bedauere das!“, schnappte Ner’zhul. „Er hätte in Gewahrsam genommen und sofort zu mir gebracht werden müssen, nicht getötet!“

Kil’jaeden sagte nichts dazu, doch sein roter Schein überzog Ner’zhul, als er nach einer Lösung suchte.

„Ihm wird nicht erlaubt, unsere heilige Stätte zu besudeln“, entschied der Schamane schließlich, „darum brauchst du dich nicht zu sorgen, Gul’dan. Aber ich will nicht, dass er getötet wird, ohne dass ich die Möglichkeit hatte, mit ihm zu sprechen. Vielleicht können wir etwas von ihm erfahren.“

„Ja“, sagte Kil’jaeden, und seine Stimme war weich und voll. „Wenn jemand leidet, verrät er jedes Geheimnis.“

Die Worte erschreckten Ner’zhul, aber er verbarg sein Entsetzen. Dieses großartige Wesen wollte, dass er Velen folterte? Etwas daran erregte ihn, aber etwas anderes fühlte sich abgestoßen. Er würde so etwas nicht machen.

„Wir werden ihn erwarten“, versicherte er sowohl Kil’jaeden wie auch seinem Schüler. „Er wird nicht entkommen.“

„Mein Herr“, sagte Gul’dan zögerlich, „darf ich einen Vorschlag unterbreiten?“

„Was denn?“

„Der Clan, der am nächsten am Berg lebt, ist der Frostwolf-Clan“, führte Gul’dan aus. „Lassen wir sie Velen und seine Begleiter gefangen nehmen und zu uns bringen. Ihr Häuptling erfuhr einst die Gastfreundschaft der Draenei. Und obwohl er sich uns nicht entgegengestellt hat, habe ich auch nicht gehört, dass er viele Angriffe auf die Draenei durchgeführt hätte. Wir schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe, indem wir den Anführer der Draenei gefangen nehmen und Durotan von den Frostwölfen dazu bringen, dass er uns gegenüber seine Loyalität beweist.“

Ner’zhul fühlte zwei Augenpaare auf sich gerichtet – die kleinen, dunklen seines Schülers und die glühenden Kugeln seines Meisters Kil’jaeden. Was Gul’dan vorgeschlagen hatte, klang weise. Warum dann aber widerstrebte es Ner’zhul so, dem zuzustimmen?

Mehrere Herzschläge lang herrschte Schweigen, und Schweiß bildete sich über Ner’zuhls Augenbraue. Schließlich ergriff er wieder das Wort und war erleichtert darüber, dass seine Stimme sicher und gefestigt klang: „Abgemacht, das ist ein guter Plan. Holt mir Feder und Pergament, ich werde Durotan über seine Aufgabe in Kenntnis setzen.“

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