Die Rhabwar flog zum Orbit Hospital mit einem Unfalldeck zurück, das vor allem mit noch nicht erwachsenen Cromsaggi belegt war. Zwar befanden sich im Schiffslazarett der Vespasian — und auf den weit verstreuten Krankenstationen, auf denen Lioren jeden Tag Visite machte — viele erwachsene Patienten, deren Zustand sehr viel ernster war, aber bei jeder Spezies hing das zukünftige Überleben von den Kindern ab, und diejenigen, die das Glück hatten, von Thornnastor behandelt zu werden, würden die ersten sein, die als geheilt entlassen werden könnten.
Colonel Skempton, der Leiter der Ingenieursdivision, die in erster Linie für das Nachschub- und Nachrichtenwesen und die Wartung des Orbit Hospitals verantwortlich war, erinnerte mit höflichen, aber zunehmend sarkastischen Mitteilungen den Oberstabsarzt daran, daß das Hospital — so leer es im Moment auch sein mochte — nicht die gesamte Bevölkerung von Cromsag aufnehmen könne und man für Forschungszwecke schon mehr als genug Mitglieder dieser Spezies geschickt bekommen habe. Doch Lioren ignorierte Skemptons eindringliche Hinweise einfach. Schließlich dürften der gesamten Besatzung der Rhabwar Skemptons unverschlüsselte Nachrichten und die Unterbringungsschwierigkeiten, in die man aufgrund des Platzmangels auf den Hospitalstationen geriet, bekannt gewesen sein, aber Prilicla hatte keinerlei Einwände dagegen erhoben, auch die zusätzlichen zwanzig Patienten zum Hospital zu befördern.
Nach Liorens Dafürhalten mußte es sich bei Prilicla um das am wenigsten unausstehliche Wesen im bekannten Universum handeln, ganz im Gegensatz zu den Cromsaggi, die zwar seine Patienten waren, aber nie seine Freunde werden konnten — es sei denn, die vielen Gottheiten der galaktischen Föderation, an deren Existenz er ohnehin die stärksten Zweifel hegte, nähmen bei der gesamten Spezies eine Umgestaltung des Charakters vor.
Trotzdem verbrachte er die ganze Zeit, die ihm neben dem Essen und Schlafen blieb, damit, die schlimmsten seiner unliebenswürdigen Patienten zu besuchen oder die zweihundert über den Kontinent verteilten Ärzte und Lebensmitteltechniker des Korps anzuspornen, die — nicht immer erfolgreich — versuchten, diese Spezies am Leben zu erhalten. Ständig hoffte er, die Cromsaggi würden ihre Haltung ändern und endlich Bereitschaft zeigen, sich mit ihm zu unterhalten und ihm Auskünfte zu erteilen, die es ihm ermöglicht hätten, ihnen zu helfen, oder daß sich auch nur ein winziger Riß in der anscheinend undurchdringlichen Mauer des unkooperativen Verhaltens zeigen würde, aber vergebens. Das Sterben sowohl der erwachsenen als auch der jungen Cromsaggi ging in stetig wachsender Zahl unablässig weiter, weil der Oberstabsarzt — genau wie das Orbit Hospital — nicht über die Möglichkeiten verfügte, die gesamte Bevölkerung intravenös zu ernähren.
Einmal gelang es den DCSLs sogar, sich trotz der Überwachung vom Boden und vom Orbit aus gegenseitig im Kampf umzubringen.
Zu dem Zwischenfall war es gekommen, als Lioren über eine der Waldsiedlungen geflogen war, die schon lange vorher abgesucht und für von jeder intelligenten Lebensform verlassen erklärt worden war, was sich als ein fataler Irrtum herausstellen sollte, denn die Bewohner hatten sich einfach in den Wald zurückgezogen, um dem Suchtrupp zu entgehen. Als Lioren den kleinen Krieg entdeckte, der von sechs DCSLs auf einer mit Gras bewachsenen Lichtung zwischen zwei Gebäuden ausgetragen wurde, ließ er den Piloten des Flugzeugs, in der normalerweise eine Besatzung von vier Nidianern gesessen hätte, wären nicht seine langen tarlanischen Beine gewesen, einen Halbkreis drehen und landen. Doch bis Dracht-Yur dem Oberstabsarzt dabei geholfen hatte, sich aus dem winzigen Sitz des Flugzeugs herauszuwinden, war der Nahkampf bereits beendet, und vier Cromsaggi lagen reglos auf dem Boden.
Trotz der zahlreichen Bißwunden und der von Händen verursachten Verletzungen, von denen die Körper übersät waren, konnten Lioren und Dracht-Yur sie als drei tote Männer und eine Frau erkennen, deren Lebenserwartung sich nur noch in Sekunden messen ließ. Auf einmal deutete Dracht-Yur auf eine nahe Stelle auf dem Boden, von der aus sich zwei getrennte Spuren im niedergetretenen und blutbespritzten Gras zur offenstehenden Tür von einem der beiden Gebäude hinzogen.
Der Vorteil eines längeren Schritts bedeutete in diesem Fall, daß Lioren Sekunden vor dem Nidianer durch die Tür ging, und der Anblick der beiden sich windenden, blutigen Körper, die sich im tödlichen Kampf auf dem Boden ineinander gekrallt hatten, verstärkten die Wut und den Ekel, die ihn angesichts derart tierischen Verhaltens zwischen angeblich intelligenten Lebewesen befielen. Mit einem Schritt nach vorne schob er schnell einen seiner mittleren Arme zwischen die beiden sich fest zusammenpressenden Körper und versuchte, sie auseinanderzudrücken. Erst da machte er die bestürzende Entdeckung, daß es sich nicht, wie er zuerst angenommen hatte, um zwei Männer handelte, die bis auf den Tod miteinander kämpften, sondern um einen Mann und eine Frau, die gerade Geschlechtsverkehr hatten.
Lioren ließ sie höchst peinlich berührt los und zog sich schleunigst zurück, aber plötzlich lösten sich die beiden DCSLs voneinander und warfen sich auf den Oberstabsarzt, gerade als Dracht-Yur hereinkam und ihm in die Hinterbeine rannte. Durch die Wucht des doppelten Angriffs stürzte Lioren nach hinten, so daß er schließlich ausgestreckt auf dem Boden lag, wobei sich die beiden Cromsaggi über ihm befanden und der Nidianer irgendwo unter ihm. Innerhalb von Sekundenbruchteilen kämpfte er um sein Leben.
Da sich nach den ersten paar Tagen auf Cromsag gezeigt hatte, daß die Einheimischen durch die Seuche zu stark geschwächt waren, um das Tragen schwerer Schutzanzüge zu rechtfertigen, war das gesamte Personal des Korps dazu übergegangen, die leichteren Bordoveralls anzuziehen, die zwar die Bewegungsfreiheit weniger einschränkten, aber ansonsten nur Schutz vor Sonne, Regen und Insektenstichen boten.
Voller Empörung wurde Lioren bewußt, daß zum erstenmal in seinem Leben ein anderes Wesen gegen ihn im Zorn die Hand erhoben hatte — von den Füßen, Knien und Zähnen ganz zu schweigen. Auf Tarla wurden Auseinandersetzungen nicht auf diese barbarische Weise beigelegt. Und obwohl er genauso viele Glieder hatte wie die beiden DCSLs zusammengenommen, verhielten sich seine Gegner alles andere als Cromsaggi, die von der Seuche geschwächt waren. Sie brachten seinem Körper schwere Verletzungen bei und fügten ihm mehr Schmerzen zu, als er es jemals für möglich gehalten hätte.
Während er die Schläge auf den Körper abwehrte, die ihn am ehesten kampfunfähig gemacht hätten, und die beiden Cromsaggi verzweifelt davon abzuhalten versuchte, ihm die beweglichen Augenstiele abzureißen, merkte Lioren, wie sich Dracht-Yur unter ihm hervorwand und auf die Tür zukroch. Daß seine Gegner den Stabsarzt gar nicht beachteten, beruhigte ihn, denn die kurzen, stark behaarten Gliedmaßen des Nidianers verfügten weder über die Kraft noch über die Reichweite, um einen nützlichen Beitrag zum Kampf leisten zu können. Einige Sekunden später erhaschte er einen flüchtigen Blick auf Dracht-Yurs Kopf, der inzwischen in einem durchsichtigen Helm steckte, hörte den leisen Knall einer detonierenden Schlafgasgranate und spürte, wie die Körper seiner Gegner plötzlich schlaff wurden und über ihm zusammenbrachen, bevor sie langsam auf den Boden rollten.
In den wenigen Augenblicken, in denen die Körper — so bedeckt sie von den blassen, verfärbten Flecken und nässenden Entzündungen waren, die ein Kennzeichen für Seuchenopfer kurz vorm Endstadium darstellten — schwer auf ihm gelastet und ihn auf beinahe intime Weise berührt hatten, war es für ihn eine große Erleichterung gewesen, sich daran zu erinnern, daß die Krankheitserreger eines bestimmten Planeten bei den Mitgliedern einer außerplanetarischen Spezies keine Wirkung hatten.
Auch wenn das Betäubungsgas für maximale Wirkung auf den Metabolismus der Cromsaggi ausgelegt war, hatte es für andere warmblütige Sauerstoffatmer die gleichen, allerdings weniger unmittelbaren Folgen. Zwar konnte sich Lioren nicht bewegen, aber er war sich des Nidianers bewußt, der eindringlich irgendwelche Laute in sein Anzugmikrofon knurrte und bellte, während er die schlimmsten Wunden versorgte. Vermutlich forderte er gerade den Flugzeugpiloten auf, ärztliche Hilfe zu rufen, da Liorens Translator beim Kampf jedoch beschädigt worden war, konnte er kein einziges Wort verstehen. Allerdings scherte ihn das nur wenig, zumal er die starken Beschwerden der vielen Wunden inzwischen nur noch als leichte Reizungen empfand und sich der harte Boden unter ihm wie das weichste Bett anfühlte. Dennoch war sein Verstand klar und wollte dem Körper offenbar nicht in den Schlaf folgen.
Die beiden Cromsaggi beim Geschlechtsakt zu stören, war zwar sicherlich ein schwerer Fehler gewesen, aber auch ein verständlicher, denn seit der Ankunft auf Crom89sag war noch keiner von Liorens Leuten Zeuge von etwas Ahnlichem wie einer Paarung geworden, und alle, einschließlich Lioren selbst, hatten angenommen, die Spezies wäre durch die Seuche körperlich zu stark geschwächt, als daß man derartige Betätigungen noch für möglich gehalten hätte. Und die heftige Reaktion der DCSLs, die schiere Stärke und Wildheit ihres Angriffs, hatten ihn überrascht und erschüttert.
Während der sehr kurzen Fortpflanzungsperiode auf Tarla galt ein solcher Vorgang, insbesondere unter den Alteren, die seit vielen Jahren zusammenlebten, eher als ein Grund zum Feiern und zur öffentlichen Zurschaustellung als eine Sache, die man verheimlichte — wenngleich Lioren wußte, daß viele Spezies der Föderation, die ansonsten hochintelligent und philosophisch weit fortgeschritten waren, den Paarungsvorgang als Privatangelegenheit zwischen den Betreffenden betrachteten.
Natürlich verfügte Lioren auf diesem Gebiet über keinerlei persönliche Erfahrungen, da ihn seine vollkommene Hingabe an die Heilkunst schlichtweg daran hinderte, in irgendwelchen Genüssen zu schwelgen, die zugelassen hätten, daß durch emotionale Faktoren die nüchterne Objektivität seines Verstands in Mitleidenschaft gezogen worden wäre. Wenn er hingegen ein ganz gewöhnlicher Tarlaner gewesen wäre, ein Handwerker oder Angehöriger einer der unverheirateten Berufsstände, und hätte man ihn dann unter den gleichen Umständen gewaltsam am Geschlechtsakt gestört, wäre es sicherlich zu ein paar unfreundlichen Worten gekommen, aber ganz sicher nicht zu Gewalttätigkeiten.
Zumal dieser Zwischenfall so erschütternd und unangenehm gewesen war, würde Liorens Verstand erst dann ruhen, wenn er den Grund für ein derart unvernünftiges Verhalten gefunden hatte, egal, wie fernliegend oder unzivilisiert dieser Grund auch sein mochte. Konnte es wirklich sein, daß sich die beiden DCSLs in ihrem schwerkranken Zustand und mit den ernsthaften Verletzungen aus dem Kampf auf der Lichtung ins Haus geschleppt hatten, um sich vor dem Sterben gegenseitig noch eine letzte kurze Freude zu bereiten? Wie Lioren wußte, mußte es in gegenseitigem Einverständnis zur Paarung gekommen sein, denn der Fortpflanzungsmechanismus der Cromsaggi war physiologisch gesehen zu kompliziert, als daß ein DCSL den anderen zum Geschlechtsverkehr hätte zwingen können.
Das schloß jedoch nicht die Möglichkeit aus, daß der Geschlechtsakt die letztliche Folge des Kampfs darstellte, die Hingabe eines weiblichen Wesens an den im Gefecht siegreichen Kämpfer. Für ein solches Verhalten gab es viele geschichtliche Beispiele, zum Glück allerdings nicht in der Geschichte von Tarla. Allerdings war diese Erklärung nicht befriedigend, da sowohl männliche als auch weibliche Cromsaggi kämpften, wenn auch nicht gegeneinander.
Für den Fall, daß irgendein DCSL überleben sollte und man der Spezies anbot, der Föderation beizutreten, nahm sich Lioren vor, für die Kulturkontaktspezialisten, die das cromsaggische Problem letztendlich zu lösen hatten, einen ausführlichen Bericht über den Zwischenfall abzufassen.
Plötzlich gingen die vier einzelnen Bilder von der näheren Umgebung, die ihm seine gelähmten Augen nach wie vor lieferten und zu denen auch das von Dracht-Yur gehörte, der mit den beiden DCSLs beschäftigt war, in vollkommene Dunkelheit über, und der Oberstabsarzt erinnerte sich nur noch an das Gefühl leichten Schmerzes, bevor er mitten im Gedankengang in tiefen Schlaf fiel.
Dracht-Yur sperrte ihn im Lazarett auf der Vespasian ein, und zwar so lange, bis seine schlimmsten Wunden verheilt seien, wie er meinte. Zudem erinnerte er Lioren daran — wie es nur ein behaarter, engstirniger und sarkastischer Zwerg von einem Nidianer wagen konnte — , daß ihr Verhältnis bis dahin das zwischen einem Arzt und dessen Patienten sei und er in der gegenwärtigen Lage in seiner Funktion als Stabsarzt das Sagen habe.
Sooft Dracht-Yur auch betonte, wie ratsam nach dem seelischen Schock Ruhe und psychische Erholung seien, konnte er Lioren dennoch nicht den Mund verbieten oder ihn davon abhalten, neben seinem Bett ein Kommunikationssystem aufstellen zu lassen.
Wie eine schwangere Strulmer, die einen Berg hinaufklettert, schlich die Zeit dahin, und weiterhin verschlechterte sich die medizinische Situation auf Cromsag, bis die tägliche Sterblichkeitsrate von einhundert Toten auf fast einhundertfünfzig stieg — und immer noch keine Spur von der Tenelphi. Mit einem notwendigerweise kurzen Hyperraumfunkspruch, den er vorher aufgenommen hatte und oft wiederholte, damit die einzelnen Worte rekonstruiert werden konnten, nachdem sie sich mühsam einen Weg durch die Interferenzen der dazwischen liegenden Sterne gebahnt hatten, bat Lioren das Orbit Hospital um Nachricht. Als der Funkspruch nicht beantwortet wurde, war Lioren nicht überrascht, denn der von einem langen Zwischenbericht benötigte Energieaufwand wäre wirklich verschwenderisch gewesen. In einem zweiten Funkspruch teilte Lioren nur noch mit, er selbst sowie das medizinische und das Hilfspersonal auf Cromsag fühlten sich allmählich so hilflos, wütend und ungeduldig, daß es schon ans Psychotische grenze, aber das war im Hospital wahrscheinlich schon bekannt.
Fünf Tage später erhielt er endlich eine Antwort, nach der die Tenelphi losgeschickt worden sei und auf Cromsag in schätzungsweise fünfunddreißig Stunden eintreffen werde. Sie befördere ein Medikament, das noch nicht vollständig auf seine Langzeitwirkungen hin getestet sei und bei dem es sich um ein spezifisches Heilmittel gegen die schwereren, lebensbedrohlicheren Symptome der Seuche handle. Die Einzelheiten der pathologischen Untersuchung und die Behandlungshinweise seien dem Medikament beigelegt.
Während der darauffolgenden Aufregung überdachte Lioren seine Pläne für die schnelle Verteilung des Medikaments. Dracht-Yur ließ sich sogar dazu erweichen, ihm zu gestatten, sich vom Lazarett ins Kommunikationszentrum der Vespasian verlegen zu lassen, erlaubte ihm aber nicht, eine Verschlimmerung seiner Verletzungen zu riskieren, indem er auf Cromsag in Beförderungsmitteln, die für die tarlanische Physiologie vollkommen ungeeignet waren, durch die Luft flog oder übers Land fuhr. Doch die allgemeine Erleichterung und Euphorie hielt nur bis zum Eintreffen der Tenelphi an.
Zwar hatte das Aufklärungsschiff mehr als genug von dem Spezifikum gegen die Seuche an Bord, das nur ein einziges Mal intravenös verabreicht werden mußte, um jeden Cromsaggi auf dem Planeten zu behandeln, doch Lioren war die Benutzung des Mittels so lange untersagt, bis man weitere Feldversuche durchgeführt hatte.
Thornnastor, dem Leiter der Pathologie, zufolge hatte man mit der Verabreichung einer minimalen Dosis sehr gute physiologische Erfolge erzielt, aber es gab auch Hinweise auf die Möglichkeit schädlicher Nebenwirkungen. So hatte man Anzeichen von geistiger Verwirrung und Zeiträume, in denen die Patienten nicht bei vollem Bewußtsein gewesen waren, beobachtet. Zwar könnten sich diese Begleiterscheinungen als nur vorübergehend herausstellen, aber auf jeden Fall waren noch weitere Untersuchungen erforderlich.
Nach der einmaligen Injektion waren in den darauffolgenden Tagen ein leichtes, aber stetiges Abklingen der Symptome, eine allmähliche Verbesserung der Lebenszeichen und Spuren einer Regeneration von Gewebe und Organen zu verzeichnen. In den Zeiträumen, in denen sie nicht bei vollem Bewußtsein gewesen waren, hatten die Versuchspersonen Nahrungsmittel in Mengen verlangt und verzehrt, die angesichts des Magenvolumens und des Gesundheitszustands der Betreffenden ungewöhnlich groß erschienen waren. Das Körpergewicht der Patienten hatte dabei ständig zugenommen.
In ähnlicher Weise hatten die noch nicht erwachsenen Testpersonen auf das Spezifikum angesprochen, auch was die vorübergehende Bewußtlosigkeit betraf, die von kurzen Phasen unterbrochen worden war,
in denen die Patienten nur halb bewußtlos und geistig verwirrt gewesen waren, mit dem einen Unterschied, daß die jungen DCSLs im Verhältnis zu ihrer Größe noch mehr zu essen verlangt hatten als die erwachsenen. Tägliche Messungen hatten ergeben, daß sowohl ihre Körpergröße als auch Länge und Umfang der Gliedmaßen zugenommen hatten.
Daß sich die noch nicht erwachsenen Patienten mit dem allmählichen Abklingen der Seuche, die das körperliche Wachstum gebremst hatte, wieder zu der für das jeweilige Alter optimalen Größe entwickeln würden, hielt man für wahrscheinlich. Die Zeitspannen, in denen sie bewußtlos waren und das Denken beeinträchtigt wurde, stellten eine Reaktion auf das Verlangen des Körpers nach größter Ruhe während dieser Regenerationsphasen dar und waren somit nur von geringer klinischer Bedeutung. Das Medikament wurde nur in geringsten Mengen angewandt, doch durch eine ganz minimale Erhöhung der Dosis bei einer Versuchsperson verstärkten und beschleunigten sich die bereits festgestellten Wirkungen. Trotz der bisherigen ausgezeichneten physiologischen Erfolge gaben die mit ihnen verbundenen Perioden geistiger Verwirrung zu der Sorge Anlaß, daß die Nebenwirkungen des Medikaments zu langfristigen Gehirnschäden führen könnten.
Thornnastor entschuldigte sich für die Übersendung eines Medikaments, das er noch nicht vollständig für die Anwendung freigegeben habe, erklärte aber, Liorens Hyperraumfunksprüche hätten nachdrücklich die Dringlichkeit der Lage betont, und deshalb sollten die letzten Tests gleichzeitig auf Cromsag und im Orbit Hospital durchgeführt werden, um zwischen der Zulassung des Medikaments und der Verabreichung an die Patienten mehrere Tage Transportzeit einzusparen.
„Ich bin angewiesen worden, Versuche an maximal fünfzig Cromsaggi vorzunehmen“, sagte Lioren, als er Thornnastors Bericht an die höheren medizinischen Offiziere weitergab. „Der Kreis der Testpersonen soll eine möglichst große Bandbreite an verschiedenen Altersgruppen und Gesundheitszuständen abdecken, genauso wie die innerhalb dieser Gruppe verabreichte Dosis geringfügig variieren soll. Besondere Aufmerksamkeit müssen wir dem Geisteszustand der Probanden in den Zeiträumen zuwenden, in denen sie nicht bei vollem Bewußtsein sind, in der Hoffnung, daß sich das Maß der geistigen Verwirrung vermindert, wenn sie sich nicht in der fremden und zweifellos verunsichernden Umgebung des Orbit Hospitals befinden, sondern unter Mitgliedern der eigenen Spezies auf ihrem Heimatplaneten. Die Anfangsphase des Tests wird zehn Tage in Anspruch nehmen, woraufhin eine weitere.“
„In zehn Tagen würden wir ein Viertel der restlichen Bevölkerung verlieren, die ohnehin schon um zwei Drittel geschrumpft ist, seit die Tenelphi diesen von Crutath verfluchten Planeten entdeckt hat“, fiel ihm Dracht-Yur plötzlich ins Wort, dessen bellende Redeweise sogar durch den Translator wütend klang. „Die sterben da draußen wie. wie die.“
„Genau das habe ich auch gedacht“, sagte Lioren, wobei er sich den Verweis verkniff, den der Nidianer für seine schlechten Manieren verdient gehabt hätte, und sich vornahm, die Bedeutung des Worts ̃̄„Crutath“ herauszufinden. „Das ist eine Überlegung, die Sie sicherlich alle angestellt haben. Aber nicht unsere gemeinsamen Ansichten sind der Grund dafür, weshalb ich Thornnastor nicht gehorchen und seine Empfehlungen mißachten werde. Die Entscheidung liegt nicht bei Ihnen. Natürlich werde ich Ihrem fachlichen Rat Gehör schenken und ihn annehmen, falls er begründet ist, aber die Anweisung, die Sache in Angriff zu nehmen, und die Verantwortung für alles, was sich daraus ergibt, liegt voll und ganz bei mir.
Was ich vorhabe zu tun, ist folgendes.“
Da Lioren seinen Plan mit großer Sorgfalt und Aufmerksamkeit fürs Detail aufgestellt hatte, rief er keine Kritik hervor, und die ihm angebotenen Ratschläge waren — eigenartigerweise, da sie einem Vorgesetzten von Untergebenen erteilt wurden — eher persönlicher als fachlicher Natur. Man riet ihm, Thornnastor zwar zu gehorchen, aber gleichzeitig einen Kompromiß einzugehen, indem er den Versuch nicht bloß an fünfzig, sondern an ein paar hundert oder vielleicht sogar tausend DCSLs durchführen solle, und behauptete, daß das von ihm zuvor befürwortete Verfahren kaum dazu beitragen werde, sich auf eine spätere Beförderung Hoffnungen machen zu können. Lioren war stark versucht, diesem Rat zu folgen, wenn auch weniger aus irgendeiner Sorge um seine zukünftige Laufbahn heraus als vielmehr aus Respekt für die Worte eines Lebewesens, bei dem es sich, wie es hieß, um den führenden Pathologen der Föderation handelte, aber er war sich nicht sicher, ob Diagnostiker Thornnastor die Dringlichkeit des cromsaggischen Problems voll bewußt war. Bei dem Leiter der Pathologie am Hospital handelte es sich um einen Perfektionisten, der es nie zulassen würde, daß eine unvollständige Arbeit seine Abteilung verließ, und Lioren die Erlaubnis zu erteilen, bei dem Versuchsprogramm behilflich zu sein, war wahrscheinlich der einzige Kompromiß, den er überhaupt eingehen konnte. Aber einem großen massigen Tralthaner, der, wie es hieß, in seinem mit Daten vollgestopften Kopf permanent die Gehirnaufzeichnungen von wenigstens zehn medizinischen Kapazitäten fremder Spezies gespeichert hatte, konnte man ein gewisses Maß an geistiger Verwirrung verzeihen.
Die Sterblichkeitsrate der Cromsaggi stieg stetig auf bis zu zweihundert Tote täglich an, und lediglich fünfzig von ihnen mit unangebrachter Vorsicht zu behandeln, wenn praktisch die gesamte Bevölkerung eine Überlebenschance bekommen konnte, anstatt langsam und qualvoll sterben zu müssen, war ein großes, erbärmliches und vollkommen unannehmbares Unrecht.
In dieser verzweifelten Situation fiel es Lioren im Gegensatz zu Thornnastors Abteilung nicht schwer, sich mit Unvollkommenheiten abzufinden. Die psychologischen Auswirkungen, die sich im Verlauf der Behandlung einstellten, würden vielleicht nur vorübergehend sein, und selbst wenn es nicht so sein sollte, könnten auch sie möglicherweise rechtzeitig zu heilen sein. Falls es jedoch zum Schlimmsten kommen und Gehirnschäden das Resultat sein sollten, wäre es äußerst unwahrscheinlich, daß dieses Leiden auf einen Nachkommen übertragen würde, da O'Mara selbst erklärt hatte, die Schäden seien nicht körperlich. Jedes cromsaggische Kind, das geheilte, aber schwachsinnige Eltern in die Welt setzten, müßte körperlich und geistig gesund aufwachsen können.
Zumindest geistig so gesund, wie es jedem Mitglied dieser blutdürstigen Spezies möglich war.
Seinen Mitarbeitern hatte Lioren gesagt, es handle sich um ein Unternehmen, das größte Anstrengungen mit höchster Dringlichkeit verbinde, und jeder Cromsaggi auf dem Planeten müsse auf eine Wirkung hin behandelt werden und dürfe nicht zeitraubenden Versuchen ausgesetzt werden, und innerhalb von einer Stunde nach dem Ende der Besprechung wurde der Plan bereits durchgeführt. Das Medikament und die synthetischen Nahrungsmittel wurden von jedem verfügbaren Mitglied des Monitorkorps zu Fuß an die Patienten, die in der Nähe der gelandeten Vespasian untergebracht waren, und mit Boden- oder Luftfahrzeugen an die in größerer Entfernung liegenden Unterkünfte verteilt, das heißt von allen bis auf die wachhabenden und Kommunikationsoffiziere des Großkampfschiffs und diejenigen, die mit der Wartung der Boden- und Luftfahrzeuge beauftragt waren. Lioren, dessen Beweglichkeit immer noch durch die Verletzungen behindert wurde, kümmerte sich sowohl um die Koordinierung des Großeinsatzes als auch um das Schiffslazarett, wo er der einzige diensthabende Arzt war.
Die verabreichte Dosis des Medikaments schwankte im Verhältnis zum Alter, zur Körpermasse und zum Gesundheitszustand der Patienten. Bei den ganz jungen DCSLs handelte es sich um das Dreifache der von Thornnastor für Versuchszwecke empfohlenen Menge, und bei denjenigen, die kurz vorm Tod standen, war die Dosis — unter gebührender Berücksichtigung der Wirkung des Medikaments — geradezu enorm. Zwar hätten die ernsthafteren Fälle vordringlich behandelt werden müssen, doch selbst innerhalb kleiner Gruppen trat ein solcher Unterschied im Ausmaß der Krankheit auf, daß es zeitsparender war, jeden Kranken sofort dort zu behandeln, wo man ihm begegnete.
Zwar entwickelte sich die Behandlung schnell zu einer Routine, doch war derartige Eile geboten, daß alles andere als Langeweile bei den Beteiligten aufkam. Man sprach einige erklärende und beruhigende Worte zu dem Patienten, der normalerweise zu krank war, um etwas anderes als einen verbalen Einwand zu machen, gab ihm die Injektion und stellte ihm das Essen und das Wasser so hin, daß er es leicht erreichen konnte; dann war schon der nächste an der Reihe.
Am Ende des dritten Tages war die gesamte Bevölkerung behandelt worden, und die zweite Phase begann, natürlich die — wenn möglich tägliche — Visite bei den Patienten, um die Lebensmittel zu ergänzen, den Kranken zu beobachten und über jede Veränderung seines Gesundheitszustands zu berichten. Der medizinische Stab und das Hilfspersonal arbeiteten Tag und Nacht, aßen nur selten von derselben faden synthetischen Nahrung, mit der die Patienten versorgt wurden, und schliefen kaum. Durch die zunehmende Erschöpfung der Mitarbeiter wurden eine Notlandung und zwei Unfälle zwischen Bodenfahrzeugen verursacht, bei denen es zwar keine Toten, aber Verletzte gab, so daß im Schiffslazarett nicht mehr ausschließlich Seuchenkranke versorgt werden mußten.
Am vierten Tag starb im Lazarett einer von Liorens erwachsenen Cromsaggi, doch die Todesfälle außerhalb des Schiffs gingen auf einhundertundfünfzehn zurück. Am fünften Tag fiel die Zahl bereits auf sieben, und am sechsten Tag wurde sogar kein einziger Todesfall mehr gemeldet.
Bis auf den Unterschied in der Größenordnung und die fortgesetzten Anstrengungen, die nötig waren, um die weit verstreuten Patienten mit Nahrung zu versorgen, spiegelte die Situation im Lazarett die klinischen Umstände außerhalb des Schiffs wider.
Wie es Thornnastor vorausgesagt hatte, war sowohl ein allmähliches Abklingen der äußeren Symptome als auch ein Anstieg des Nahrungsbedürfnisses der Patienten offensichtlich, und der Umstand, daß sämtliche Lebensmittel künstlich hergestellt waren, änderte am Appetit der DCSLs nichts. So gern Lioren auch die seelischen Fortschritte der Patienten überwacht hätte, sie wollten nicht kooperieren und weigerten sich sogar, sich von ihm auch nur berühren zu lassen. Da sein gesamtes medizinisches Personal und der Großteil der Schiffsbesatzung über den gesamten Kontinent verteilt waren, hielt er es für besser, keine Entscheidung zu erzwingen, zumal die Patienten mit jedem Tag, der verstrich, kräftiger wurden. Trotz des unterschiedlichen Körpergewichts aßen die jungen DCSLs mehr als die erwachsenen, und die Geschwindigkeit ihres körperlichen Wachstums war — wie Thornnastor ebenfalls beobachtet hatte — wirklich als phänomenal zu bezeichnen.
Daß die Krankheit, mit der die Cromsaggi schon geboren worden waren, das gesamte innere Sekretionssystem in Mitleidenschaft gezogen haben mußte, um eine derart massive Wachstumshemmung hervorzurufen, lag klar auf der Hand. Jetzt, wo der Vorgang umgekehrt worden war und die DCSLs nicht nur wuchsen, sondern sich auch entwickelten, trat eine weitere, nichtklinische Veränderung auf. Die jungen Patienten, die, nachdem ihre anfängliche Furcht erst einmal der Neugier gewichen war und sie sich an Liorens merkwürdigen Körper und seine vielen Glieder gewöhnt hatten, offen und mit der sorglosen Begeisterung von Kindern mit ihm gesprochen hatten, verhielten sich zusehends zurückhaltender.
Wie Lioren bald feststellen mußte, unterhielten sie sich mit ihm weniger, weil die sich erholenden älteren DCSLs mehr Gespräche mit ihnen führten, und diese sprachen mit ihnen nur während seiner Abwesenheit.
Inzwischen waren seine Unfallpatienten vom Monitorkorps wieder soweit gewesen, um entlassen zu werden und sich in ihren eigenen Unterkünften weiter zu erholen, so daß Lioren über keine Informanten mehr verfügte, die ihm verrieten, worüber sich die DCSLs unterhielten. Nachdem er an einem der nachfolgenden Tage die Lebensmittelvorräte ergänzt hatte und seine wenigen freundschaftlichen und beruhigenden Worte von den Cromsaggi überhört worden waren, ließ er deshalb absichtlich einen der Lazarettsender eingeschaltet, um die Gespräche der Patienten aus seiner eigenen Unterkunft heraus verfolgen zu können.
Wie alle, die heimlich einen Lauschangriff starten, rechnete er fest damit, unfreundliche Dinge über sich selbst und die ̃̄„bösen Träume vom Himmel“ zu hören, wie die wörtliche Übersetzung der Bezeichnung der Cromsaggi für ihre Retter lautete. Doch diesbezüglich schien er völlig falsch zu liegen,
denn statt dessen sprachen, trällerten und sangen sie nur miteinander, so daß sein Translator die verschiedenen Stimmen nicht voneinander trennen konnte. Erst als ein einzelner Cromsaggi allein sprach — ein Erwachsener, der sich an einen oder mehrere der jungen DCSLs wandte, wurde Lioren klar, was er da hörte.
Es handelte sich um den Teil einer Einführungszeremonie, um eine Vorbereitung und eine formalisierte sexuelle Aufklärung, die den frisch geschlechtsreif gewordenen Jugendlichen vor dem Eintritt ins Erwachsenenleben gegeben wurde, wozu auch eine Belehrung über das Verhalten gehörte, das man danach von ihnen erwartete.
Hastig brach Lioren die Verbindung ab. Der Ritus des Übergangs von der Pubertät ins Erwachsensein galt in den Kulturen vieler intelligenter Spezies als ein hochsensibler Bereich, einer, in den einzudringen er nicht berechtigt war. Wenn er wirklich vorhaben sollte, nur noch aus lüsterner Neugier weiter zuzuhören, könnte er plötzlich seine Selbstachtung verlieren.
Nichtsdestoweniger war er erleichtert, daß sich im Lazarett bis auf zwei noch recht kleine Kinder, die nur wenig älter als Säuglinge waren, ausschließlich männliche Cromsaggi befanden.
In den folgenden Tagen wurden keine Todesfälle gemeldet, aber den Boden- und Luftfahrzeugen, die seit über acht Tagen und Nächten ständig im Einsatz gewesen waren, ging es nicht so gut. Die Nahrungssynthesizer auf der Vespasian und den medizinischen Stationen außerhalb des Schiffs liefen auf maximal zulässiger Überbelastung, ein Zustand, der normalerweise nicht für mehr als ein paar Stunden zulässig war. Sämtliche Mitarbeiter des Unternehmens wiesen Anzeichen von Stress und schwerer Erschöpfung auf, arbeiteten aber mit nahezu optimaler Leistungsfähigkeit, obwohl sie nur selten die Muße fanden, sich miteinander zu unterhalten, und hin und wieder im Stehen zu schlafen schienen. Allen Beteiligten wurde rasch klar, daß sich dieser Großeinsatz als ein Erfolg erwies, da kein einziger Angehöriger der mittlerweile nur noch aus Patienten bestehenden Bevölkerung mehr im Sterben lag. Dieses Wissen war für alle der Treibstoff und das Schmiermittel, durch die sie selbst und die gesamte Maschinerie in Gang gehalten wurden.
Zwar war es für sie alle ärgerlich, aber nicht wichtig, daß die Cromsaggi keine Dankbarkeit für das zeigten, was man für sie tat, wenn man davon absah, daß die DCSLs die am Vortag bereitgestellten Lebensmittelvorräte stets restlos zu verdrücken pflegten. Die kurze Erklärung der Behandlung und den beruhigenden Hinweis auf den letztendlich erfolgreich verlaufenden Heilprozeß, die die Patienten bei jedem Besuch erhielten, den man ihnen abstattete, um die Nahrungsvorräte aufzufüllen, überhörten sie einfach. Unverhohlen feindlich waren sie nicht, es sei denn, einer der Ärzte versuchte, ihren Kreislauf zu überprüfen oder ihnen eine Blutprobe zu entnehmen; in solchen Fällen wehrten sie sich sogar sehr heftig gegen die betreffende Person.
Sie waren wirklich eine äußerst undankbare und alles andere als liebenswerte Spezies, wie Lioren nicht zum erstenmal dazu einfiel. Doch sein Problem war ihr physiologischer und nicht ihr psychologischer Zustand, und dieses Problem löste sich allmählich.
Von selten des Orbit Hospitals herrschte zu diesem Thema weiterhin Schweigen.
Wie sich Thornnastor bei seinen relativ wenigen Patienten langsam und vorsichtig einer Behandlungsphase näherte, über die Lioren bereits bei der gesamten Planetenbevölkerung hinaus war, konnte sich der Oberstabsarzt gut vorstellen. Damit wollte er gar nichts über den tralthanischen Pathologen gesagt haben, bei dem es sich schließlich um jene Person handelte, die für die Herstellung des Heilmittels gegen die Seuche verantwortlich war. Hätte Lioren jedoch Thornnastors Empfehlungen nicht ignoriert und das Mißfallen seiner Vorgesetzten aufs Spiel gesetzt, wären inzwischen viele hundert Cromsaggi gestorben. Und die Lösung, die er sich für das Problem ausgedacht hatte, war — ohne falsche Bescheidenheit seinerseits — wahrhaft elegant gewesen.
Durch die von ihm berechneten unterschiedlichen Stärken der verabreichten Dosen, die auf Alter, Körpergewicht und klinischen Faktoren beruhten, war sichergestellt worden, daß sich junge wie alte DCSLs gleichzeitig auf dem Weg zu einer vollständigen Heilung befanden. Trotz seines Ungehorsams war sich Lioren sicher, daß seine Maßnahme eher Lob als Tadel verdiente.
Am folgenden Tag sandte er in aller Frühe eine kurze Nachricht an den Stützpunkt des Monitorkorps auf Orligia sowie ans Orbit Hospital, in der er um zusätzliche Nahrungssynthesizer und Ersatzteile für die Boden- und Luftfahrzeuge bat und außerdem mitteilte, daß seit acht Tagen kein einziger Cromsaggi mehr gestorben sei und ein vollständiger Bericht zusammen mit einem medizinischen Offizier, der die Situation auf Cromsag aus eigener Erfahrung kenne, von der Tenelphi zum Hospital gebracht werde. Die Bitte um weitere Nahrungssynthesizer und der plötzliche Rückgang der Sterblichkeit würden Thornnastor verraten, was Lioren getan hatte, und der medizinische Offizier des Aufklärungsschiffs wäre dann in der Lage, die Wissenslücken des Tralthaners mit Einzelheiten zu stopfen.
Dracht-Yur hatte die ganze Zeit sehr gute und harte Arbeit geleistet und ihm zu befehlen, sich wieder den normalen Aufgaben auf der Tenelphi zuzuwenden, wäre für ihn sowohl eine Erholung als auch eine wohlverdiente Belohnung für seine Anstrengungen. Darüber hinaus würde der Stabsarzt durch diese Maßnahme von der Bildfläche verschwinden und Lioren, dessen Wunden gut verheilten, somit die Möglichkeit verschaffen, endlich der lästigen medizinischen Quarantäne zu entrinnen, die ihm von dem kleinen Nidianer auferlegt worden war.
Bevor sich Lioren an diesem Abend zur Ruhe begab, stellte er draußen vorm Schiffslazarett die übliche Wache auf. Eigentlich war diese Vorsichtsmaßnahme überflüssig, da sich bisher keiner der Cromsaggi dafür interessiert hatte, was sich außerhalb des Eingangs befand, doch Captain Williamson hielt sie für notwendig, für den Fall, daß sich einer der jungen DCSLs entschloß, auf Entdeckungsreise zu gehen, und sich womöglich an der Schiffsausrüstung verletzte. Morgen wollte Lioren zu den außerhalb gelegenen medizinischen Unterkünften fliegen und die Lage zum erstenmal seit dem peinlichen Mißgeschick mit den beiden sich paarenden Cromsaggi selbst in Augenschein nehmen.
Glückwunsch, mein Junge, dort wirst du endlich Zeuge werden, wie sich die Heilung der Cromsaggi ihrem Abschluß nähert, gratulierte sich Lioren mit einer Mischung aus Freude und Stolz selbst.
Am nächsten Morgen stattete er noch kurz vor dem Abflug des bereitstehenden Flugzeugs dem Lazarett einen Besuch ab, weil er den Zustand seiner Patienten überprüfen wollte. Doch zu seinem großen Entsetzen mußte er feststellen, daß Boden und Wände vom Blut der Cromsaggi bespritzt und alle erwachsenen DCSLs tot waren. Nachdem der Wachmann am Eingang von heftigem Brechreiz übermannt worden war, berichtete er, bis weit in die Nacht hinein leise Stimmen und Singen gehört zu haben, woraufhin für eine Zeitlang ununterbrochene Stille eingetreten sei, die er darauf zurückgeführt habe, daß die Patienten eingeschlafen seien. Doch aus dem Zustand, in dem sich die Leichen befanden, wurde jetzt klar ersichtlich, daß die DCSLs statt dessen gekämpft und sich gegenseitig in aller Stille getreten, gebissen, zerfleischt und erschlagen hatten, bis nur noch die beiden kleinen Mädchen übriggeblieben waren.
Lioren versuchte noch, sich von dem Schock zu erholen und sich klarzumachen, daß er nicht schlief und gerade einen besonders entsetzlichen Traum hatte, als plötzlich der Wandlautsprecher neben ihm geräuschvoll zum Leben erwachte. Der Oberstabsarzt wurde aufgefordert, sich sofort ins Kommunikationszentrum zu begeben, und darüber informiert, daß sich das von den DCSLs selbst inszenierte Blutbad im Schiffslazarett überall auf Cromsag wiederholt habe.
Schon sehr bald wurde deutlich, daß Oberstabsarzt Lioren nicht für die Heilung, sondern für die Tötung der gesamten Bevölkerung eines Planeten verantwortlich war.