27. Kapitel

„Der Wächter vom Monitorkorps behauptet beharrlich, nicht gesehen zu haben, wie Sie in die Station hineingegangen sind, und die Schwestern haben nicht gewußt, daß Sie da waren, bis die Cromsaggi auf einmal um sie herumgestanden und Sie angebrüllt haben“, sagte der Chefpsychologe mit leiser, aber äußerst zorniger Stimme. „Als der Wächter hineingegangen ist, um nachzusehen, haben Sie ihm gesagt, er brauche sich keine Sorgen zu machen, die Cromsaggi führten nur ein religiöses Streitgespräch, an dem er sich gerne beteiligen könne, obwohl er behauptet, leisere Tumulte gehört zu haben. Da Tarlaner weder für ihren Sarkasmus noch für ihren Humor bekannt sind, muß ich annehmen, daß Sie die Wahrheit gesagt haben. Was ist auf der Station passiert, verdammt noch mal? Oder haben Sie sich einen erneuten Eid zur Geheimhaltung auferlegt?“

„Nein, Sir“, antwortete Lioren. „Die Gespräche sind öffentlich gewesen, und um Vertraulichkeit hat niemand gebeten oder etwas Derartiges durchblicken lassen. Als Sie mich rufen ließen, war ich gerade dabei, für Sie einen ausführlichen Bericht über die ganze.“

„Fassen Sie ihn kurz zusammen“, forderte ihn O'Mara in scharfem Ton auf.

„Ja, Sir“, sagte Lioren und versuchte, einen Mittelweg zwischen Genauigkeit und Kürze zu finden, als er fortfuhr: „Nachdem ich mich vorgestellt, entschuldigt und um Verzeihung für das große Unrecht gebeten hatte, das den Cromsaggi von mir angetan worden war.“

„Sie haben sich entschuldigt?“ unterbrach ihn O'Mara ungläubig. „Damit. damit habe ich allerdings nicht gerechnet.“

„Dasselbe kann man vom Verhalten der Cromsaggi behaupten“, stellte Lioren trocken fest. „Angesichts meines Verbrechens hatte ich nämlich eine gewalttätige Reaktion von ihnen erwartet, doch statt dessen haben sie.“

„Hatten Sie gehofft, von den Cromsaggi umgebracht zu werden?“ fiel ihm O'Mara abermals ins Wort. „Ist das etwa der Grund für Ihren Besuch gewesen?“

„Keineswegs!“ widersprach Lioren heftig. „Ich bin dort hingegangen, weil ich mich entschuldigen wollte. Eine solche Maßnahme zu ergreifen ist für einen Tarlaner schon schmachvoll genug, weil es als ein feiger und unehrenhafter Versuch betrachtet wird, die persönliche Schuld zu mindern und der gerechten Strafe zu entgehen. Aber dieses Verhalten gilt als weniger schändlich, wie sich der Strafe zu entziehen, indem man sich vorsätzlich das Leben nimmt. Die Schande hat mehrere Abstufungen, und durch meine jüngsten Kontakte mit Patienten habe ich herausgefunden, daß es Schamgefühle gibt, die unangebracht oder überflüssig sein können.“

„Fahren Sie fort“, warf O'Mara ein.

„Zwar verstehe ich bisher die psychologischen Mechanismen, die dabei eine Rolle spielen, nicht ganz, aber ich habe festgestellt, daß unter gewissen Umständen eine persönliche Entschuldigung, auch wenn sie für denjenigen, der sie vorbringt, beschämend ist, manchmal mehr dazu beitragen kann, den Schmerz eines Opfers zu lindern, als das bloße Wissen, daß der Übeltäter seine gerechte Strafe erhält. Anscheinend stellt Rache das Opfer nicht voll und ganz zufrieden, selbst wenn sie gerecht ist, und wenn der Täter aufrichtig beteuert, das begangene Unrecht zu bereuen, kann das den Schmerz oder den Verlust mehr erleichtern als das bloße Wissen, daß Gerechtigkeit geübt wird. Wenn der Entschuldigung die Vergebung durch denjenigen folgt, dem das Unrecht zugefügt worden ist, hat das sowohl für das Opfer als auch für den Täter viel heilsamere und dauerhaftere Folgen.

Als ich mich den Cromsaggi auf der Station vorgestellt habe, ist es höchst wahrscheinlich gewesen, daß es zu Gewalttätigkeiten mit tödlichem Ausgang kommt“, fuhr Lioren fort. „Ich habe nicht mehr den Wunsch gehabt zu sterben, weil die Arbeit in dieser Abteilung sehr interessant ist und es vielleicht noch mehr gibt, was ich hier tun kann, aber ich bin restlos davon überzeugt gewesen, daß ich versuchen sollte, den Schmerz der Cromsaggi durch eine Entschuldigung zu lindern, und das habe ich getan. Was dann geschehen ist, hatte ich nicht erwartet.“

Mit sehr leiser Stimme fragte O'Mara: „Sie bleiben immer noch dabei, daß Sie, ein Träger des Blauen Umhangs von Tarla mit allem, was damit zusammenhängt, sich entschuldigt haben?“

Da die Frage bereits beantwortet worden war, fuhr Lioren fort. „Ich hatte vergessen, daß es sich bei den Cromsaggi um eine zivilisierte Spezies handelt, die durch eine Krankheit dazu gezwungen worden ist, Krieg zu führen. Sie haben mit großer Grausamkeit gegeneinander gekämpft, weil sie alles in ihren Kräften Stehende versuchen mußten, um bei sich gegenseitig die Angst vor dem drohenden Tod hervorzurufen, wenn ihr ehemals beeinträchtigtes, für das Geschlechtsleben unerläßliches inneres Sekretionssystem bis zu dem Punkt angeregt werden sollte, an dem sie kurzzeitig die Fähigkeit erlangten, Kinder zu empfangen. Doch beim Kämpfen haben sie gelernt, Geist und Gefühle streng unter Kontrolle zu halten und sich nicht Wut oder Haß zu überlassen, weil sie den Gegner, den sie fast bis auf den Tod zu verletzen versuchten, geliebt und respektiert haben. Sie mußten kämpfen, um das ständige Überleben ihrer Spezies zu sichern, doch die Wunden, die sie anderen zugefügt und selbst erhalten haben, sind eine persönliche Angelegenheit gewesen. Sie hätten nicht weiterhin kämpfen und sich gegenseitig lieben und respektieren können, wenn sie nicht außerdem gelernt hätten, sich für die furchtbaren Schmerzen, die sie einander zufügten, zu entschuldigen und sich gegenseitig zu vergeben.

Auf Cromsag ist die Fähigkeit zu verzeihen das, was es der Gesellschaft überhaupt erst ermöglicht hat, derart lange zu überleben.“

Plötzlich sah und hörte Lioren wieder die cromsaggischen Patienten, die sich um ihn herum zusammengedrängt hatten, und einen Augenblick konnte er nicht sprechen, weil ihn seine Gefühle auf eine Weise überwältigten, die jeder Tarlaner mit einem Rest an Selbstachtung als schändliche Schwäche betrachtet hätte. Doch er wußte, daß diese Aufwallung nur eins von den geringfügigeren Schamgefühlen war, mit denen er sich gerade abzufinden lernte. „Sie haben mich wie einen Cromsaggi behandelt, wie einen Freund, der ein sehr schweres Unrecht begangen hat und von dem viel Leid verursacht wurde, als er versuchte, ihre Spezies zu retten“, setzte Lioren seinen Bericht fort. „Und anders als die Cromsaggi selbst hatte ich damit Erfolg. Sie. sie haben mir verziehen und sind mir dankbar gewesen.

Aber sie haben auch Angst vor der Rückkehr auf Cromsag gehabt“, fuhr er schnell fort. „Sie haben das Rehabilitationsprogramm, das das Monitorkorps für sie geplant hat, verstanden und sind dafür dankbar und werden nach eigener Aussage vorbehaltlos mitarbeiten. Es handelt sich um ein psychologisches Problem, das mit dem tiefen Zweifel an der eigenen Fähigkeit verbunden ist, ohne ständigen, starken Stress existieren zu können, wozu sich noch der Glaube gesellt, daß das Schicksal — oder eine nichtmaterielle Macht, deren genaues Wesen Gegenstand vieler Auseinandersetzungen gewesen ist — nicht beabsichtigt, sie in der materiellen Welt ein zufriedenes Leben führen zu lassen. Im Grunde handelt es sich dabei um eine religiöse Angelegenheit. Ich habe den Cromsaggi von der gemeinsamen Erinnerung der Gogleskaner berichtet, von dem dunklen Teufel, der sie zur Selbstvernichtung zu treiben versucht, und davon, wie ihn Khone zum besten hält. Und von den Problemen der Beschützer der Ungeborenen habe ich ihnen auch erzählt, sowie von anderen Dingen, mit denen ich sie beruhigen konnte. Mein Bericht wird alles enthalten, was bei dem Gespräch im einzelnen gesagt worden ist. Für die Psychologen des Monitorkorps sehe ich bei dem Problem keine ernsthaften Schwierigkeiten voraus. Eine sich anschließende religiöse Diskussion, an der sich die Cromsaggi mit großer Begeisterung beteiligt haben, wurde durch das Eintreffen des Wächters unterbrochen.“

O'Mara lehnte sich im Stuhl zurück. „Abgesehen davon, dieses irrsinnige Risiko eingegangen zu haben, haben Sie gute Arbeit geleistet, aber das Glück begünstigt ja oft den Dummen. Zudem sind Sie in ganz kurzer Zeit so etwas wie eine Kapazität auf dem Gebiet der religiösen Überzeugungen anderer Spezies geworden, und zwar in erster Linie dadurch, daß Sie, wie mir zu Ohren gekommen ist, in Ihrer Freizeit die verfügbaren Unterlagen studiert haben. Das ist ein äußerst heikles Thema, das die Abteilung normalerweise lieber unangetastet läßt, aber bisher haben Sie ja damit kaum Probleme gehabt. Und zwar so wenige, daß Sie sich jetzt nicht mehr als Auszubildender, sondern als uneingeschränkter Mitarbeiter der Abteilung betrachten können. Das wird mein Verhalten Ihnen gegenüber in keiner Weise verbessern, weil Sie das zweitaufsässigste und in bestimmten Dingen verschwiegenste Wesen geworden sind, das ich jemals gekannt habe. Warum wollen Sie mir eigentlich nicht verraten, was sich zwischen Ihnen und dem ehemaligen Diagnostiker Mannon abgespielt hat?“

Lioren entschloß sich, das Ganze als rhetorische Frage zu behandeln, weil er sich schon geweigert hatte, sie zu beantworten, als sie ihm zum erstenmal gestellt worden war. Statt dessen fragte er zurück: „Haben Sie denn schon irgendwelche neuen Aufgaben für mich, Sir?“

Der Chefpsychologe atmete mit einem ungewöhnlich lauten Zischen aus und antwortete dann: „Ja. Chefarzt Edanelt will, daß Sie sich mit einem seiner postoperativen Patienten unterhalten, Cresk-Sar hat einen Dwerlaner unter seinen Auszubildenden, der vor einem nicht näher angeführten moralischen Problem steht, und die Patienten von Cromsag möchten von Ihnen so häufig besucht werden, wie es Ihnen in den Kram paßt. Khone sagt, sie sei bereit, meinen Vorschlag auszuprobieren, die durchsichtige Wand, die ihre Unterkunft trennt, nach und nach niedriger zu machen und schließlich durch einen weißen, auf den Boden gemalten Strich zu ersetzen, und sie möchte Sie ebenfalls sprechen. Außerdem gibt es nach wie vor den ursprünglichen Auftrag bezüglich Seldal, den Sie anscheinend vollkommen vergessen haben.“

„Nein, Sir, den Fall habe ich abgeschlossen“, sagte Lioren und fuhr schnell fort: „Aus den Informationen, die Sie mir selbst gegeben haben, und aus meinen anschließenden Gesprächen mit und über Chefarzt Seldal war klar ersichtlich, daß es eine deutliche Veränderung in der Persönlichkeit und im Verhalten Seldals gegeben hatte, wenn auch nicht zum Schlechten hin. Als erstes ist die Veränderung an der verringerten Zahl der Paarungen mit nallajimischen Mitarbeiterinnen und an Seldals Verhalten gegenüber Kollegen und Untergebenen offenbar geworden. Normalerweise sind die Mitglieder der nallajimischen Spezies körperlich und emotional äußerst aktiv, ungeduldig, unhöflich und rücksichtslos. Zudem unterliegen sie raschen Stimmungsschwankungen, was sie als leitende Chirurgen höchst unbeliebt macht. Nicht so Seldal. Sein Operations- und Stationspersonal würde ihm sämtliche Bitten erfüllen und wird nicht ein einziges kritisches Wort über seinen Vorgesetzten, weder in seiner Rolle als Chirurg noch als Privatperson, gelten lassen, und ich pfichte dem Personal voll und ganz bei. Der Grund für seine Veränderung, dessen bin ich mir sicher, ist der, daß eine der Persönlichkeiten von den Schulungsbändern, die Seldal momentan im Kopf gespeichert hat, teilweise die Kontrolle über den Verstand des Chefarzts erlangt hat oder zumindest einen beachtlichen Einfluß auf ihn ausübt.

Daß für das Band ein tralthariischer Arzt verantwortlich war, ist mir bis zum Zwischenfall bei Hellishomars Operation nicht klar gewesen, als die Wucherung außer Kontrolle zu geraten drohte und Conway Hilfe gebraucht hat“, fuhr Lioren fort. „In dem Moment hat Seldal einen Augenblick äußerster Belastung und Unschlüssigkeit durchlebt, in dessen Verlauf er vergessen haben muß, wer er eigentlich ist. Die Bemerkung, keine weiteren Riesenfüße im Operationsfeld haben zu wollen, war auf Thornnastor gemünzt, der seine Hilfe angeboten hatte, und hat sich auf die sechs übermäßig großen Füße des Tralthaners bezogen und nicht auf Conways, denn in dem Moment hatte gerade der Urheber des tralthanischen Schulungsbands Seldals Gedanken beherrscht.

Dabei handelt es sich um eine ungewöhnliche und vielleicht einzigartige Situation, denn gewisse Anzeichen, die sich auf Beobachtungen gründen, erhärten meine Theorie, daß Seldal die teilweise Kontrolle über seinen Verstand bereitwillig zugelassen hat“, setzte Lioren seine Ausführungen fort. „Ich möchte behaupten, Seldal hat den tralthanischen Chirurgen in seinem Kopf nicht unter strenger Kontrolle gehalten, sondern sich mit ihm angefreundet. Vielleicht gehen die Gefühle sogar noch über Freundschaft hinaus. Seldal begegnet dem Tralthaner in beruflicher Hinsicht mit Respekt und bewundert eine Persönlichkeit, die über solche tralthanischen Eigenschaften wie innere Gemütsruhe und Selbstsicherheit verfügt, die sich so sehr von Seldals eigenen unterscheiden. Wahrscheinlich hat sich zwischen dem Chefarzt und diesem immateriellen Tralthaner eine starke emotionale Beziehung entwickelt, die von nichtkörperlicher Liebe nicht mehr zu unterscheiden ist. Folglich haben wir es mit einem nallajimischen Chefarzt zu tun, der bereitwillig die Charakterzüge eines Tralthaners angenommen hat, wodurch er ein besserer Arzt und ein zufriedeneres Individuum geworden ist. Da das so ist, würde ich empfehlen, in diesem Fall nicht das geringste zu unternehmen.“

„Einverstanden“, stimmte O'Mara leise zu, und einen Augenblick lang starrte er Lioren in einer Weise an, durch die sich dem Tarlaner die Frage aufdrängte, ob der Chefpsychologe über telepathische Fähigkeiten verfügte. „Sie haben noch etwas zu sagen?“

„Ich möchte keineswegs einen Vorgesetzten in Verlegenheit bringen oder vielleicht sogar erzürnen, indem ich das Folgende als Frage formuliere“, sagte Lioren vorsichtig, „aber mir ist der Verdacht gekommen, daß Sie, da Ihnen bekannt gewesen ist, welche Schulungsbänder der Chefarzt im Kopf gespeichert hatte, geahnt oder bereits gewußt haben, wie es sich mit Seldal verhält, und daß es sich bei dem Auftrag nur um einen Eignungstest für mich gehandelt hat. Dabei hat die Nebenabsicht — oder vielleicht auch der Hauptzweck — darin bestanden zu versuchen, mich dazu zu bringen, hinauszugehen und andere Lebewesen zu treffen, damit ich mich in Gedanken nicht ausschließlich mit meiner eigenen furchtbaren Schuld beschäftigte. Ich habe die Vorfälle auf Cromsag nicht vergessen und werde dazu auch niemals imstande sein. Aber Ihr Plan hat funktioniert, und dafür bin ich Ihnen wirklich dankbar. Insbesondere möchte ich Ihnen danken, daß Sie mir klargemacht haben, daß es außer mir noch andere gegeben hat, die Kummer gehabt haben, Wesen wie Khone, Hellishomar und Mannon, der.“

„Mannon ist ein Freund von mir“, unterbrach ihn O'Mara. „Sein Gesundheitszustand hat sich nicht geändert, er könnte jeden Augenblick sterben, und trotzdem läuft er mit diesem G-Gürtel herum wie ein. Verdammt, das ist wirklich und wahrhaftig ein Wunder! Ich würde gern wissen, worüber Sie miteinander gesprochen haben. Was Sie mir auch verraten, es wird kein einziges Wort davon in diese psychologische Akte kommen, und ich werde mit niemandem darüber sprechen, aber ich will es wissen. Der Tod ereilt alle, und einige von uns haben unglücklicherweise zuviel Zeit, um darüber nachzudenken. Ich werde Mannons Vertrauen nicht brechen. Schließlich ist er ein alter Freund von mir.“

Erneut stellte ihm der Chefpsychologe die bewußte Frage, doch Liorens augenblickliche Verärgerung wich rasch einem Gefühl des Mitleids, als er merkte, daß der Chefpsychologe bei dem Gedanken an Mannons Tod und den Verfall von Geist und Körper, der ihm vorausging, tief bekümmert war. Seine Antwort mußte genauso lauten wie vorher, doch diesmal glaubte Lioren, sie hoffnungsvoller klingen lassen zu können.

„Der ehemalige Diagnostiker ist nicht mehr beunruhigt“, sagte er behutsam. „Ich bin mir sicher, wenn Sie als ein alter Freund Mannons ihm die Fragen selbst stellen, würde er Ihnen alles sagen, was Sie wissen wollen. Aber ich kann das nicht.“

Der Chefpsychologe blickte nach unten auf den Schreibtisch, als schämte er sich der vorübergehenden Schwäche, die er gezeigt hatte, und sah dann wieder auf.

„Also gut“, sagte er in forschem Ton. „Wenn Sie nicht reden wollen, dann wollen Sie eben nicht. In der Zwischenzeit wird sich die Abteilung mit einem zweiten — vorsichtig ausgedrückt — aufsässigen Carmody herumschlagen müssen. Wegen Ihres Besuchs auf der Station der Cromsaggi werde ich keine disziplinarischen Maßnahmen ergreifen. Schließen Sie beim Hinausgehen die Tür hinter sich. Aber leise.“

Lioren kehrte erleichtert, aber äußerst verwirrt an seinen Schreibtisch zurück und kam zu dem Schluß, daß er die Verwirrung verringern mußte; ansonsten würde die Qualität seines Berichts darunter leiden. Doch allen Suchens in den Computerdateien zum Trotz blieb die Information, die er haben wollte, unauffindbar, und er fing an, auf die Tastatur einzuhämmern, als wäre sie ein Todfeind.

Am anderen Ende des Vorzimmers machte sich Braithwaite die Atemwege mit einem Geräusch frei, das, wie Lioren wußte, Mitgefühl bedeutete. „Was ist los? Probleme?“ „Ich bin mir nicht ganz sicher“, antwortete Lioren. „O'Mara hat zwar gesagt, er werde keine disziplinarischen Maßnahmen ergreifen, aber er hat mich mit einem Ausdruck bezeichnet. Wer oder was ist ein Carmody, und wo kann ich die entsprechende Auskunft finden?“

Braithwaite fuhr herum, sah ihn an und antwortete: „Dort werden Sie die nicht finden. Lieutenant Carmodys Akte ist nach seinem Unfall gelöscht worden. Er ist zwar vor meiner Zeit in dieser Abteilung gewesen, aber ein bißchen weiß ich trotzdem über ihn. Er ist auf eigenen Wunsch vom Stützpunkt des Monitorkorps auf Orligia ans Orbit Hospital gekommen und hat es geschafft, sich zwölf Jahre lang in dieser Abteilung zu halten, obwohl er sich ständig mit O'Mara gestritten hat. Als ein schwerverletzter Pilot beim Anflug aufs Hospital die Kontrolle über sein Schiff verloren hat und mit ihm durch die Außenhaut gekracht ist, hat Carmody die Rettungsmannschaft begleitet und versucht, einen Überlebenden zu beruhigen, den er für ein Besatzungsmitglied hielt. Dieser Überlebende hat sich dann jedoch als ein riesengroßes, vor Angst rasend gewordenes und nichtintelligentes Schiffstier herausgestellt, von dem Carmody sofort angegriffen wurde. Da der Lieutenant sehr alt, schwach und gebrechlich war, hat er seine Verletzungen nicht überlebt.

In seiner Zeit am Hospital hat sich Lieutenant Carmody beim gesamten Personal und bei allen Langzeitpatienten sehr beliebt gemacht und sich große Achtung erworben“, schloß Braithwaite. „Seine Stelle ist nicht wieder besetzt worden, bis heute nicht.“

Noch verwirrter sagte Lioren: „Mir ist völlig unklar, was Ihre Ausführungen bedeuten sollen. Ich bin weder alt noch schwach oder besonders gebrechlich. Außerdem bin ich meines Rangs im Monitorkorps enthoben worden, und meine Streitgespräche mit O'Mara drehen sich nur darum, nicht das Vertrauen von Patienten zu brechen.“

„Ich weiß“, fiel ihm Braithwaite ins Wort und entblößte die Zähne. „Ihr Vorgänger hat das als ̃̄„Beichtgeheimnis“ bezeichnet. Und der Rang spielt überhaupt keine Rolle. Carmody hat seinen nie ausgenutzt, und die meisten Leute hier haben nicht einmal seinen Namen in den Mund genommen. Sie haben ihn einfach ̃̄„Padre“ genannt.“

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