„Wie schon erwähnt, wird der Tarlaner zwar Auskunft geben, aber nicht versuchen, den Glauben oder Unglauben anderer zu beeinflussen“, sagte Lioren leise. „Die Religionen auf den meisten Planeten der Föderation und der von ihren Anhängern verehrte Gott haben viele Gemeinsamkeiten. Bei diesem Gott handelt es sich, wie schon gesagt, um den allwissenden, allmächtigen und allgegenwärtigen Schöpfer aller Dinge, der außerdem für gerecht, barmherzig, mitleidsvoll und um das Wohl aller intelligenten Lebewesen, die er geschaffen hat, für zutiefst besorgt gehalten wird und der ihnen die Sünden, die sie begangen haben, vergibt. Nach allgemeinem Glauben gibt es dort, wo ein Gott ist, auch einen Teufel oder irgendein böses, weniger klar umrissenes Wesen oder eine Macht, die oder das ständig danach trachtet, Gottes Werk unter seinen denkenden Geschöpfen zunichte zu machen, indem dieses Böse sie zu verleiten versucht, sich so instinktiv wie die Tiere zu verhalten, von denen sie sich, wie sie selbst wissen, unterscheiden. Dieser ständige Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Recht und Unrecht, wird in jedem denkenden Wesen ausgetragen. Manchmal scheint der Teufel oder der Hang zu tierischem Verhalten, der in allen denkenden Wesen steckt, zu gewinnen und Gott sich nicht darum zu kümmern. Doch selbst auf Goglesk hat das Gute erste Siege über das Böse errungen, so klein sie auch sein mögen. Wäre das nicht der Fall gewesen, würde sich die gogleskanische Ärztin jetzt nicht hier aufhalten und Anweisungen zum Gebrauch der Klangverfälscher erhalten, die einen Gruppenzusammenschluß verhindern. Da es überdies heißt, Gott helfe selbst denen, die nicht an seine Existenz glauben.“
„Und er bestraft diejenigen, die das tun“, fiel ihm Khone ins Wort. „Bleibt immer noch die Frage: Wie erklärt der Tarlaner einen mitleidsvollen Gott, der eine derart große Grausamkeit zuläßt?“
Da Lioren keine Antwort darauf wußte, überhörte er die Frage einfach. „Oft heißt es auch, der Glaube an Gott sei eher eine Frage der Überzeugung als eines physikalischen Beweises und hänge nicht von der Intelligenz des Gläubigen ab. Gerade wenn die Denkfähigkeit schwach ist, sei der Glaube stärker und überzeugter. Demgemäß würden nur die relativ Dummen an das Metaphysische oder das Übernatürliche oder an ein Leben nach dem fleischlichen Tod glauben, während es die intelligenteren Lebewesen besser wüßten und nur an sich selbst, an die körperliche Realität, die sie rings um sich erfahren, und an ihre Fähigkeit glauben würden, sie zum Besseren hin zu verändern.
Für die Kompliziertheiten dieser äußeren Realität — von den Galaxien, die sich ins Unendliche erstrecken, bis hin zu den gleichermaßen komplizierten Mikrouniversen, aus denen sie bestehen — werden wissenschaftliche Erklärungen gefunden, die nur wenig mehr als intelligente Annahmen darstellen, die ständig abgewandelt werden. Am wenigsten überzeugend von allen sind die Erklärungen der Existenz von Lebewesen, die sich in dem Bereich zwischen Makro- und Mikrokosmos entwickelt haben, Geschöpfe, die denken und wissen und wissen, daß sie wissen, und die das große Ganze zu verstehen versuchen, von dem sie nichts als ein winziger Teil sind, während sie sich bemühen, es zum Besseren hin zu verändern. Für die wenigen aufgeklärten unter diesen Denkern gilt es als richtig, sich freundschaftlich gegeneinander zu verhalten und als Individuen, als Volk und als Spezies von verschiedenen Planeten zusammenzuarbeiten, damit für die Mehrheit der Lebewesen Frieden, Zufriedenheit und wissenschaftliche und philosophische Leistungen erzielt werden. Alle Wesen, Gruppen oder Gedankengebäude, die diesen Prozeß aufhalten, befinden sich nach dieser Auffassung im Unrecht. Doch für die Mehrheit dieser Denker stellen Gut und Böse abstrakte Begriffe und Gott und der Teufel nichts als den Aberglauben weniger intelligenter Köpfe dar.“
Lioren machte eine Pause und versuchte, sich einen Anstrich von Sicherheit zu geben, indem er sich bemühte, die richtigen, beruhigenden Worte zu einem Thema zu finden, bei dem er sich sehr unsicher fühlte. „Zum erstenmal in ihrer Geschichte ist die galaktische Föderation von einer hochgradig intelligenten und philosophisch fortschrittlichen, technologisch jedoch rückständigen Spezies kontaktiert worden, die sich ̃̄„Groalterri“
nennt. Dieser Kontakt ist indirekt hergestellt worden, da eine direkte geistige Verbindung nach der Überzeugung der Groalterri die philosophische Weltanschauung von Spezies, die sich bislang für äußerst intelligent gehalten haben, nachhaltig ins Wanken bringen würde. Passiert ist folgendes: Ein junger Groalterri hatte sich Verletzungen zugezogen, die die erwachsenen nicht behandeln konnten, und da haben sie das Orbit Hospital gebeten, diesen Groalterri als Patienten aufzunehmen. Gleichzeitig haben sie versichert, der junge Groalterri sei noch nicht so intelligent, daß die geistige Verbindung mit ihm zu psychologischen Schäden führen könne. Im Laufe der Gespräche mit diesem Patienten hat der Tarlaner unter anderem herausgefunden, daß es sich bei ihm und den hochgradig intelligenten erwachsenen Mitgliedern seiner Spezies keineswegs um ungläubige Wesen handelt.“
Khones Fell stand in steifen, borstigen Büscheln vom Körper ab, sie sagte jedoch nichts.
„Der Tarlaner ist sich des Folgenden nicht sicher und möchte nur eine Bemerkung machen“, fuhr Lioren fort. „Vielleicht durchlaufen alle Spezies eine Phase, in der sie glauben, sie wüßten auf alles eine Antwort, nur um schließlich zu einer richtigeren Erkenntnis des Ausmaßes ihrer Unwissenheit zu gelangen. Wenn die intelligenteste und philosophisch fortschrittlichste Spezies, die bisher von der Föderation entdeckt worden ist, an einen Gott und an ein Leben nach dem Tod glaubt, dann.“
„Es reicht!“ schnitt ihm Khone das Wort ab. „Um die mögliche Existenz eines Gottes geht es hier nicht. Die Frage, der der Tarlaner auszuweichen versucht, indem er andere und interessantere Themen zur Diskussion stellt, ist immer noch offen. Warum verhält sich dieser allmächtige, gerechte und mitleidsvolle Gott seinen Geschöpfen gegenüber so grausam und ungerecht? Für die Gogleskanerin ist die Antwort wichtig. Sie ist nämlich äußerst betrübt und verunsichert.“
Aber was genau glauben oder bezweifeln Sie denn? fragte sich Lioren ratlos. Wenn ich das nicht weiß, wie kann ich dann versuchen, Ihren Kummer zu lindern?
Da er nicht an den Nutzen von Gebeten glaubte, hoffte er verzweifelt auf eine Eingebung, doch bei allen Gesprächsthemen, die ihm einfielen, handelte es sich um die religiösen Überzeugungen anderer, die er sich kürzlich angelesen hatte.
„Von den Absichten und dem Verhalten des Gottes weiß der Tarlaner nichts, und er versteht sie auch nicht“, sagte er. „Der Gott ist der Schöpfer aller Dinge und muß daher über einen Verstand verfügen, der dem aller seiner Geschöpfe unendlich überlegen und viel komplexer ist. Doch gewisse Tatsachen sind in bezug auf dieses übernatürliche Wesen allgemein anerkannt, und die helfen vielleicht, ein Verhalten zu verstehen, das, wie die Ärztin bemerkt hat, sehr oft im Widerspruch zu dem steht, was für die Absichten des Gottes gehalten wird.
Beispielsweise wird geglaubt, dieser allwissende Schöpfer aller Dinge sei wie ein Elternteil um das Wohl jedes einzelnen Wesens in seiner Schöpfung besorgt, obwohl diese Liebe nach dem allgemeineren Glauben hauptsächlich seinen denkenden Geschöpfen vorbehalten ist“, fuhr Lioren fort. „Dennoch scheint er sich nur allzuoft nicht wie ein liebender, sondern wie ein verärgerter, unvernünftiger oder gleichgültiger Elternteil zu verhalten. Außerdem gibt es den weitverbreiteten Glauben, der Schöpfer verwirkliche seine Absicht bei allen denkenden Geschöpfen, ob sie nun an seine Existenz glauben oder nicht.
Ein weiterer von den Mitgliedern der meisten Spezies vertretener Glaube besagt, der Gott habe sie nach seinem eigenen Bild geschaffen und sie selbst würden eines Tages in einem zukünftigen Leben, das so viele Bezeichnungen trägt, wie es bewohnte Planeten gibt, mit ihrem Schöpfer glückselig bis in alle Ewigkeit zusammenleben. Dieser Glaube ist vielen Denkern besonders lästig, da er durch die Vielfalt der physiologischen Klassifikationen der intelligenten Lebensformen, auf die man in der bekannten Galaxis trifft, zu einer logischen und physikalischen Unmöglichkeit wird.“
„Der Tarlaner gibt keine Antwort, sondern formuliert dieselbe Frage neu“, sagte Khone plötzlich.
Lioren beachtete den Einwand einfach nicht. „Doch dann gibt es wieder welche, die mittlerweile einen anderen Glauben teilen und überzeugt sind, einen anderen Gott zu kennen. Die Vertreter dieser Richtung sind nicht so intelligent wie die Groalterri, deren Ansicht zu diesem Thema uns unbekannt ist und wahrscheinlich auch immer sein wird. Mit der Vorstellung, daß solch ein kompliziertes, aber auch perfekt geordnetes Gefüge wie das Universum rund um sie herum keinen Zweck hat und durch einen Zufall entstanden ist, waren sie nicht glücklich. Es hat sie gestört, daß es an ihrem Himmel wahrscheinlich mehr Sterne gegeben hat als einzelne Sandkörner an den Stranden rings um Goglesks Inselkontinent. Je mehr sie über die subatomare Unwirklichkeit herausgefunden haben, die die Grundlage der realen Welt bildet, desto mehr Hinweise hat es auf eine unermeßliche und komplexe Makrostruktur an den Grenzen der Auflösung ihrer empfindlichsten Teleskope gegeben, und das hat sie beunruhigt. Auch daß intelligente, sich selbst bewußte Lebewesen mit einer wachsenden Neugier und dem zunehmenden Bedürfnis, das Universum, in dem sie wohnen, zu erklären, entstanden sind, hat sie gestört. Sie haben sich zu glauben geweigert, daß solch ein gewaltiges, kompliziertes und wohlgeordnetes Gefüge zufällig entstanden sein könnte, folglich mußte es einen Schöpfer haben. Doch sie selbst sind ebenfalls Teil dieser Schöpfung gewesen, der einzige Teil, der sich aus sich selbst bewußten Lebewesen zusammengesetzt hat, Geschöpfen, die verstanden und wußten, daß sie verstehen, weshalb sie alles intelligente Leben für den wichtigsten Teil der Schöpfung gehalten haben, soweit es den Schöpfer betraf.
Das war keine neue Vorstellung, denn viele andere haben an einen Gott geglaubt, der sie erschaffen hat, sie liebt und über sie wacht, und der sie zur gegebenen Zeit zu sich nehmen wird“, fuhr Lioren fort. „Doch diese Gläubigen haben sich nun wieder durch die untypischen Taten des liebenden Gottes gestört gefühlt, weshalb sie ihre Vorstellung von seiner Absicht geändert haben, um das Verhalten des Gottes leichter erklären zu können.
Ihrem Glauben nach hat der Gott alle Dinge erschaffen, sie selbst eingeschlossen“, sagte Lioren langsam, „doch das Werk der Schöpfung ist noch nicht vollendet.“
Khone war so reglos und still geworden, daß Lioren ihre normalerweise geräuschvolle Atmung nicht mehr hören konnte. Er fuhr fort: „Das Werk sei noch nicht vollendet, behaupten sie, weil es mit der Erschaffung des Universums begonnen habe, das noch jung sei und möglicherweise nie vergehe. Wie genau es begonnen habe, sei nicht bekannt, doch im Moment enthalte es viele Spezies, die hohe Intelligenz entwickelt hätten und sich friedlich zwischen den Sternen ausbreiteten. Aber der Aufstieg vom Tier zum denkenden Wesen, der fortlaufende Schöpfungs- oder Evolutionsprozeß, sei, wenn man ein Ungläubiger ist, kein angenehmer Vorgang. Er ziehe sich lange hin, verlaufe langsam, und oft käme es zwischen denen, die ein Teil von ihm sind, zu unnötigen Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten.
Darüber hinaus sind die bestehenden Unterschiede zwischen den verschiedenen Physiologien und Umweltbedürfnissen ihrem Glauben nach unerheblich, da die Evolution — oder Schöpfung — zu gesteigertem Empfindungsvermögen und einer verminderten Abhängigkeit von spezialisierten Organen führt“, setzte Lioren seine Darstellung fort. „Als Folge davon werden sich die denkenden Wesen in ferner Zukunft über die momentane Notwendigkeit hinaus entwickelt haben, einen stofflichen Körper zu besitzen, der den Geist beherbergt. Dann werden sie unsterblich sein und sich zusammenschließen, um Ziele zu erreichen, die sich die heutigen halbtierischen Lebewesen nicht einmal vorstellen können. Sie werden gottähnlich und, wie ihnen verheißen wurde und ist, das getreue Ebenbild des Wesens werden, das sie erschaffen hat. Auch die Geister oder Seelen der geistig und philosophisch unreifen Lebewesen, die dieses Universum bewohnt haben und noch viele kommende Äonen bewohnen werden, sollen in dieser Zukunft an der Unsterblichkeit teilhaben und mit ihrem Gott eins sein, denn man hält es für philosophisch unsinnig, daß sich der Schöpfer aller Dinge der wichtigsten, wenn auch momentan unvollständigen Teile seiner Schöpfung entledigen sollte.“
Lioren machte eine Atempause, um Khones Reaktion abzuwarten; dann kam ihm noch ein weiterer Gedanke. „Die Groalterri verfügen über eine äußerst hohe Intelligenz und sind in irgendeiner Weise gläubig, wollen aber mit Wesen von geringerer Intelligenz nicht über ihren Glauben oder sonst etwas sprechen, damit sie keinem unreifen Verstand Schaden zufügen. Möglicherweise muß jede intelligente Spezies ihren eigenen Weg zu Gott finden, und die Groalterri haben schon eine größere Strecke zurückgelegt als der Rest.“
Wieder entstand ein langes Schweigen; dann fragte Khone sehr leise: „Ist das dann der Gott, an den der Tarlaner glaubt?“
Wie Lioren dem Ton der Gogleskanerin entnahm, hätte seine Antwort ̃̄„ja“ lauten sollen, denn er war sich jetzt sicher, daß es sich bei ihr um eine Zweiflerin handelte, die sich maßlos danach sehnte, ihre Zweifel zerstreuen zu lassen. Außerdem war ihm klar, daß er die Lage ausnutzen sollte, indem er die Patientin rasch beruhigte, wenn er die gewünschten Auskünfte zur Telepathie erhalten wollte. Doch ein Ungläubiger, der in der Hoffnung lügt, eine Zweiflerin zum Glauben zu verleiten, war unehrenhaft und unehrlich. Es war seine Pflicht, die Gogleskanerin soweit wie möglich zu beruhigen, aber lügen wollte er nicht.
Einen recht langen Augenblick dachte Lioren nach, und als er antwortete, stellte er mit Überraschung fest, daß er jedes einzelne Wort ernst meinte.
„Nein“, sagte er, „aber es bleibt ein Rest an Unsicherheit.“
„Ja, eine gewisse Unsicherheit bleibt immer“, pflichtete ihm Khone bei.