19. Kapitel

Khone stellte Lioren zahlreiche und sehr eingehende Fragen, erkundigte sich jedoch in so höflichem und unpersönlichem Ton, daß er unmöglich gekränkt sein konnte. Als die Befragung vorüber war, wußte die gogleskanische Ärztin fast genausoviel über Lioren wie er selbst. Allerdings war offenkundig, daß Khone sogar jetzt noch mehr wissen wollte.

Das Kind war in ein kleines Bett im Hintergrund des Raums gebracht worden, und Khone hatte ihre Schüchternheit so weit überwunden, daß sie sich Lioren näherte, bis sie mit dem Körper die durchsichtige Trennwand berührte.

„Der tarlanische Auszubildende und ehemals hochgeachtete Arzt hat viele Fragen über sich selbst und sein früheres und gegenwärtiges Leben beantwortet“, sagte sie. „All diese Informationen sind von großem Interesse, obwohl viele davon sowohl für die Hörerin als auch für den Sprecher eindeutig bedrückend sind. Was die furchtbaren Vorfälle auf Cromsag betrifft, kann er sich des Mitgefühls der gogleskanischen Ärztin sicher sein, die allerdings voller Trauer und Ratlosigkeit eingestehen muß, daß sie ihm in dieser Angelegenheit nicht helfen kann.

Gleichzeitig besteht der Eindruck, daß der Tarlaner, der in aller Offenheit und Ausführlichkeit von vielen Dingen gesprochen hat, die er normalerweise anderen gegenüber verschweigt, immer noch Informationen zurückhält“, fuhr Khone fort. „Hat es in der Vergangenheit vielleicht noch schrecklichere Ereignisse als die bereits vorgetragenen gegeben, und wenn ja, warum erzählt der Auszubildende dann nichts von ihnen?“

„Etwas Schrecklicheres als das, was auf Cromsag passiert ist, gibt es nicht“, antwortete Lioren lauter als beabsichtigt.

„Dann ist die Gogleskanerin fast erleichtert, das zu hören“, sagte Khone. „Liegt es daran, daß der Tarlaner befürchtet, seine Äußerungen könnten an andere weitergegeben werden und Verlegenheit hervorrufen? Er sollte wissen, daß ein Arzt von Goglesk zu anderen nicht über solche Dinge spricht, bevor er nicht die Erlaubnis dazu erhalten hat. Der Auszubildende braucht also nicht beunruhigt zu sein.“

Einen Moment lang schwieg Lioren, da er dachte, seine vollkommene und bis zur Selbstaufgabe gehende Hingabe an die Heilkunst und die sich selbst auferlegte Disziplin, von denen sein bisheriges Leben bestimmt worden war, hätten ihm weder die Zeit gelassen noch die Neigung in ihm wachgerufen, emotionale Beziehungen anzuknüpfen. Erst nach der Verhandlung vor dem Militärgericht, als jeder Gedanke an einen weiteren Karrieresprung geradezu lächerlich und die Fortsetzung des Lebens zur grausamsten aller Strafen geworden war, hatte er damit begonnen, sich für Lebewesen auch aus anderen Gründen als allein aufgrund ihres Gesundheitszustands zu interessieren. Trotz ihrer seltsamen Gestalten und ihrer noch eigenartigeren Denkvorgänge hielt er einige von ihnen allmählich für Freunde.

Vielleicht gehörte diese FOKT auch dazu.

„Auf vielen Planeten sind die Ärzte einem ähnlichen Gesetz verpflichtet, aber trotzdem bedankt sich der Auszubildende“, sagte er. „Gewisse andere Informationen sind zurückgehalten worden, weil der Betreffende nicht möchte, daß sie verraten werden.“

„Das ist begreiflich und erweckt zusätzliche Neugier auf den Auszubildenden“, fahr Khone fort. „Hat denn das wiederholte Sprechen über diese Dinge die emotionalen Qualen, die durch den Vorfall auf Cromsag verursacht worden sind, verringert?“

Einen Augenblick lang schwieg Lioren; dann antwortete er: „In dieser Sache kann man unmöglich objektiv sein. Den Auszubildenden beschäftigen noch viele andere Dinge, so daß die Erinnerung zwar weniger häufig zurückkehrt, ihn aber nach wie vor bedrückt. Im Moment fragt sich der Auszubildende, ob die Gogleskanerin oder der Tarlaner besser in der Psychologie fremder Spezies geschult ist.“

Khone stieß einen kurzen, pfeifenden Laut aus, der nicht übersetzt wurde. „Der Auszubildende hat Auskünfte erteilt, die es einem bekümmerten Gemüt ermöglichen, den eigenen Sorgen für eine Weile zu entfliehen, denn auch der gogleskanischen Ärztin gehen Gedanken durch den Kopf, die sie lieber nicht hätte. Mittlerweile kommt ihr der tarlanische Besucher überhaupt nicht mehr eigenartig oder gar bedrohlich vor, nicht einmal in den entferntesten Winkeln des Unterbewußtseins, das nur empfindet und reagiert, aber nicht denkt, und dafür ist sie ihm etwas schuldig. Jetzt wird sie die Fragen des Auszubildenden beantworten.“

Lioren bedankte sich in unpersönlichen Worten und erkundigte sich erneut nach der Funktionsweise und besonders nach den Symptomen, die bei einem Versagen der telepathischen Fähigkeiten einer Gogleskanerin auftreten. Doch von ihren telepathischen Kräften zu hören bedeutete, im Grunde alles über die FOKTs zu erfahren.

Die Lage auf dem rückständigen Planeten Goglesk stellte das genaue Gegenteil der Situation auf Groalter dar. Die Föderation war schon immer nach dem Grundsatz vorgegangen, daß der intensive Kontakt mit einer technologisch eher unterentwickelten Zivilisation gefährlich sein konnte, weil man sich, wenn die Monitorkorpsschiffe und die Kontaktspezialisten wie aus heiterem Himmel auf die Planetenoberfläche fielen, nie sicher sein konnte, ob man den Bewohnern in technologischer Hinsicht eine erstrebenswerte Zukunft bieten oder bei ihnen einen vernichtenden Minderwertigkeitskomplex auslösen würde. Doch die Gogleskaner waren trotz ihrer Rückständigkeit in den Naturwissenschaften und ihrer verheerenden Rassenpsychose, die sie am Fortschritt hinderte, zumindest als Individuen psychologisch gefestigt, und ihr Planet hatte viele tausend Jahre lang keinen Krieg mehr erlebt.

Für das Korps wäre es die einfachste Lösung gewesen, sich zurückzuziehen, die gogleskanische Kultur so weitermachen zu lassen, wie sie es seit Beginn der Geschichtsschreibung getan hatte, und ihre Probleme als unlösbar abzuschreiben. Nichtsdestoweniger hatten die Spezialisten eins ihrer seltenen Zugeständnisse gemacht und einen kleinen Stützpunkt zur Beobachtung, langfristigen Nachforschung und begrenzten Kontaktaufnahme errichtet.

Der Fortschritt ist bei jeder intelligenten Spezies von der verstärkten Zusammenarbeit zwischen Einzelwesen, Familien oder Stämmen abhängig. Auf Goglesk hatte jedoch schon immer jeder enge Kooperationsversuch zeitweilig einen starken Rückgang der Intelligenz, blinde Zerstörungswut und ernste körperliche Verletzungen zur Folge gehabt, so daß sich die Gogleskaner gezwungenermaßen zu einer Spezies von Individualisten entwickelt hatten, die nur für die Dauer des Zeitraums, in dem die Fortpflanzung möglich oder die Betreuung der Kleinkinder notwendig war, miteinander engen Körperkontakt aufnahmen.

Diese Umstände hatten sich den Gogleskanern vor der Entwicklung von Intelligenz aufgedrängt, als sie noch die Hauptnahrungsquelle sämtlicher Raubtiere gewesen waren, von denen es in den gogleskanischen Meeren wimmelte. Obwohl sie körperlich klein und schwächlich waren, konnten sie natürliche Angriffs- und Verteidigungswaffen entwickeln: Stacheln, die kleinere Lebensformen lähmten oder töteten, und lange Fühler auf dem Kopf, mit denen sie durch Berührung telepathischen Kontakt herstellen konnten. Wurden sie von großen Raubtieren bedroht, schlossen sie ihre Körper und Gehirne zusammen, bis sie die erforderliche Größe hatten, um mit ihren vereinten Stacheln jeden Angreifer zu töten.

Nach fossilen Funden auf Goglesk zu urteilen, hatten die FOKTs Millionen Jahre lang einen erbitterten Überlebenskampf gegen eine Spezies riesiger und besonders wilder Meeresraubtiere geführt. Den Sieg trugen am Ende die FOKTs davon, doch dafür hatten sie einen furchtbaren Preis zahlen müssen.

Um eins der gewaltigen Raubtiere einzukreisen und zu Tode zu stechen, hatten sich Hunderte von noch nicht intelligenten FOKTs körperlich und telepathisch zusammenschließen müssen. Bei jeder derartigen Begegnung waren sehr viele von ihnen umgekommen, zerrissen oder gefressen worden, und den sich daraus ergebenden Todeskampf, der sich bei jedem Sterbenden wiederholte, nahm aufgrund der telepathischen Verbindung jedes einzelne Mitglied der Gruppe am eigenen Leibe wahr. Daraufhin hatte sich ein natürlicher Mechanismus entwickelt, durch den dieses Leiden geringfügig verringert worden war, indem er die in der Gruppe telepathisch übertragenen Schmerzen durch die Entwicklung blinder Zerstörungswut abgeschwächt hatte, die sich unterschiedslos gegen alles richtete, was sich in der Nähe befand und kein FOKT war. Doch obwohl die Gogleskaner weit intelligenter und zivilisierter geworden waren, als es von einer primitiven Kultur, in der nur Ackerbau und Fischfang betrieben wurden, zu erwarten stand, wollten ihre in der Vorgeschichte erhaltenen seelischen Wunden nicht verheilen.

Das von Gogleskanern in Not ausgestoßene hohe akustische Signal, das einen Gruppenzusammenschluß einleitete, konnte weder bewußt noch unterbewußt verdrängt werden. Dieser Ruf, sich zusammenzuschließen, bedeutete nur eins: die Bedrohung durch äußerste Gefahr. Und das war selbst in der heutigen Zeit, wo derartige Bedrohungen nur eingebildet oder unbedeutend waren, nicht anders. Der Zusammenschluß führte zwangsläufig zur blinden Zerstörung von allem, was sich in unmittelbarer Nähe befand und die FOKTs als Individuen hatten bauen, schreiben, schaffen oder züchten können: Häuser, Fahrzeuge, Getreide, Vieh, technische Anlagen, Bücher und Kunstobjekte.

Aus diesem Grund erlaubten es die heutigen Gogleskaner, außer unter den Umständen, die Khone bereits erwähnt hatte, niemandem, sie zu berühren, sich ihnen zu nähern oder sie auch nur ansatzweise mit persönlichen Worten anzusprechen, während sie hilflos und — bis Diagnostiker Conway vor kurzem Goglesk besucht hatte — hoffnungslos gegen die ihnen von der Evolution aufgezwungenen Lebensbedingungen ankämpften.

„Conway hat die Absicht, die bei der ganzen gogleskanischen Spezies bestehende geistig-seelische Ausrichtung zu durchbrechen, indem er Mutter und Kind die Erfahrung machen läßt, nach und nach immer mehr verschiedenen Lebensformen ausgesetzt zu sein, die intelligent und zivilisiert sind und eindeutig keine Bedrohung darstellen“, fuhr Khone fort. „Dahinter steckte der Gedanke, insbesondere das Kind an die Konfrontation mit fremden Spezies derart zu gewöhnen, daß es sowohl bewußt als auch unterbewußt imstande sein wird, erfolgreich den blinden Trieb zu bekämpfen, der früher die Ursache für jene Kurzschlußhandlung gewesen ist, die zum Zusammenschluß geführt hat. Zudem sind vom Hospital Geräte entwickelt worden, die den akustischen Notruf verfälschen, so daß er nicht wiederzuerkennen ist. In dem Fall würden sich der auslösende Reiz und die daraus entstehende blinde Zerstörungswut auf die Fähigkeiten eines einzelnen beschränken und nicht eine große Gruppe erfassen, die gemeinsam vorgeht. Eine andere Lösung des Problems, auf die der Auszubildende bestimmt auch schon gekommen ist, wäre, die Fühler zu entfernen, die den telepathischen Kontakt ermöglichen, und auf diese Weise einen Zusammenschluß von vornherein auszuschließen. Doch diese Maßnahme scheidet aus, weil die Fühler nicht nur benötigt werden, um die ganz jungen Gogleskaner zu trösten und sie später zu unterrichten, sondern auch, um die Freuden bei der Paarung zu vergrößern. Außerdem leiden die Gogleskaner schon unter genügend Entbehrungen, ohne sich auch noch freiwillig zu emotionalen Krüppeln machen zu lassen.

Wie es Conway erwartet und die Gogleskanerin es sich erhofft, wird diese zweiseitige Inangriffnahme des Problems die gogleskanische Spezies in die Lage versetzen, sich beständig weiterzuentwickeln und zu einer Zivilisationsstufe vorzudringen, die ihrer Intelligenz entspricht“, beendete Khone ihre Ausführungen.

Normalerweise empfand es Lioren als schwierig, in der Übersetzung des Translators emotionale Untertöne festzustellen, doch diesmal war er überzeugt, daß seine Gesprächspartnerin von einer tiefen Unsicherheit ergriffen war, die sie ihm gegenüber nicht zum Ausdruck gebracht hatte.

„Der Auszubildende kann sich irren, aber er spürt, daß die gogleskanische Ärztin und Patientin beunruhigt ist“, sagte er deshalb. „Ist sie mit der Behandlung, die sie bekommt, nicht zufrieden? Oder bestehen hinsichtlich der Fähigkeiten oder Erwartungen von Conway irgendwelche Zweifel.?“

„Nein!“ fiel ihm Khone ins Wort. „Mit dem Diagnostiker ist es zu einer kurzen, unbeabsichtigten Geistesverschmelzung gekommen, als er Goglesk besucht hat. Seine Fähigkeiten und Absichten sind bekannt und über jede Kritik erhaben. Doch sein Kopf hat voller seltsamer Erfahrungen und Gedanken anderer Wesen gesteckt, die so fremdartig gewesen sind, daß die Gogleskanerin einen Ruf nach Zusammenschluß ausstoßen wollte. Von Conways Verstand hat sie eine Menge gelernt, wenngleich das meiste nach wie vor unverständlich bleibt, doch ist von Anfang an klar gewesen, daß Conway nur einen kleinen Teil seines Kopfes für das gogleskanische Vorhaben frei hat. Als zum erstenmal Bedenken angemeldet worden sind, hat der Diagnostiker zugehört und sich in zuversichtlichen und beruhigenden Worten dazu geäußert, und es kann sein, daß Conway das nichtmedizinische Problem nicht voll und ganz versteht. Ich kann und will nicht glauben, daß von all den intelligenten Lebensformen, aus denen die Föderation besteht, allein die gogleskanische Spezies von der Macht, die über alles gebietet, für immer und ewig zu selbstverschuldeter Barbarei verurteilt und verdammt ist.“

Einen Augenblick lang schwieg Lioren und fragte sich, ob er kurz davor stand, schon wieder in ein Problem hineingezogen zu werden, das eher philosophischer als medizinischer Natur war. Zudem war er unsicher, ob er als tarlanischer Ungläubiger das Recht oder die Fähigkeit hatte, sich an einer Diskussion über die Theologie einer fremden Spezies zu beteiligen.

„Wenn es zu einem telepathischen Kontakt gekommen ist, dann muß der Diagnostiker doch gesehen und verstanden haben, was im Kopf der Ärztin vorgeht, so daß die Bedenken womöglich grundlos sind“, sagte er. „Aber der Angeklagte kennt sich auf diesem Gebiet überhaupt nicht aus. Falls die Ärztin es wünscht, wird sich der Auszubildende diese Bedenken anhören und sie nicht einfach als belanglos abtun. Vorhin ist die Befürchtung geäußert worden, die Lage auf Goglesk würde sich niemals ändern. Könnte der Grund für diese Befürchtung noch ausführlicher erklärt werden?“

„Ja“, antwortete Khone mit leiserer Stimme als zuvor. „Dabei handelt es sich um die Befürchtung, daß ein Lebewesen den Lauf der Evolution nicht verändern kann. Als es zur telepathischen Verbindung gekommen ist, war aus Conways Verstand und aus den Gedanken und Überzeugungen der Wesen, die diesen zu jenem Zeitpunkt mit ihm geteilt haben, klar ersichtlich,

daß die Zustände auf Goglesk anomal sind. Auf den anderen Planeten der Föderation kämpfen denkende Lebewesen mit vereinten Kräften und aller Anstrengung gegen die zerstörerischen Kräfte der Umwelt und das instinktive, tierische Verhalten an. Von einigen wird dieser Kampf als das ständige Ringen, dem Chaos Ordnung aufzuzwingen, bezeichnet, und von vielen anderen als die Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse und unter anderem von den Terrestriern als der Kampf zwischen Gott und dem Teufel. Auf all diesen Planeten ist es das Erstgenannte, das — manchmal unter großen Schwierigkeiten — die Vorherrschaft über das letztere erlangt. Aber auf Goglesk gibt es längst keinen Gott mehr; nur der vorgeschichtliche, aber immer noch allmächtige Teufel herrscht dort.“

Der aufgerichtete, eiförmige Körper der Gogleskanerin zitterte, ihr Haar hatte sich wie lange, vielfarbige Grasbüschel aufgerichtet, und an den Spitzen der vier gelben Borsten, bei denen es sich um die Stacheln handelte, hingen Perlen aus Gift. Denn an Khones geistigem Auge zogen wieder die Bilder vorbei, die sich unauslöschlich in das Gedächtnis ihrer Spezies eingeprägt hatten, die furchtbaren Bilder einschließlich der durch die telepathische Verbindung mitempfundenen Todesqualen, als Khones Vorfahren, die sich zu Gruppen zusammengeschlossen hatten, von gewaltigen Raubtieren in blutige Fetzen gerissen worden waren. Wie Lioren vermutete, wäre das Signal äußerster Bedrängnis, der Ruf nach Zusammenschluß, bereits erfolgt, wenn Khone ihr instinktives Entsetzen nicht durch den Hinweis an sich selbst bekämpft hätte, daß der einzige weitere Gogleskaner, zu dem sie telepathischen Kontakt aufnehmen konnte, ihr eigenes schlafendes Kind war.

Allmählich ließ Khones Zittern nach, und als die aufgerichteten Haare und die Stacheln wieder eng am Körper anlagen, fuhr sie fort: „Es herrscht große Angst und noch größere Verzweiflung. Nach Ansicht der Gogleskanerin reicht die Hilfe des terrestrischen Diagnostikers, obwohl er guten Willens ist und ihm die Mittel dieses riesigen Hospitals zur Verfügung stehen, nicht aus, um das Schicksal eines Planeten zu verändern. Etwas anderes zu glauben ist von diesem Arzt eine törichte Selbsttäuschung, aber gleichzeitig wäre es äußerst undankbar, Conway von dieser Ansicht zu erzählen. Überall in der Föderation besteht ein Gleichgewicht zwischen Ordnung und Chaos oder Gut und Böse, doch daß eine Gogleskanerin und ihr Kind etwas an dem Schicksal, den Gewohnheiten, dem Denken und der Einstellung der Bevölkerung eines ganzen Planeten ändern könnten, ist unvorstellbar.“

Lioren machte das Zeichen, mit dem Tarlaner etwas verneinten, doch dann fiel ihm ein, daß die Geste für Khone keine Bedeutung hatte. „Die Ärztin irrt sich. Auf vielen verschiedenen Planeten gibt es zahlreiche Beispiele für einzelne Wesen, die genau das geschafft haben. Zugegebenermaßen hat es sich bei dem Betreffenden jedesmal um jemanden mit besonderen Fähigkeiten gehandelt, um einen großartigen Lehrmeister, Gesetzgeber oder Philosophen, und die jeweiligen Anhänger haben ihn für die Verkörperung ihres Gottes gehalten. Daß die Ärztin und ihr Kind mit Conways Hilfe den Lauf der gogleskanischen Geschichte verändern werden, ist zwar nicht sicher, aber durchaus möglich.“

Khone schnaufte kurz, was der Translator selbstverständlich nicht übersetzte. „Solche völlig falschen und übertriebenen Komplimente sind der Ärztin seit dem Vorspiel zur ersten Paarung nicht mehr gemacht worden. Dem Tarlaner ist doch bestimmt klar, daß es sich bei der gogleskanischen Ärztin weder um eine Lehrmeisterin noch um eine Führerin noch um sonst jemanden mit irgendwelchen besonderen Fähigkeiten handelt, nicht wahr? Das, was der Auszubildende anzudeuten versucht, ist geradezu lächerlich!“

„Der Tarlaner weiß aber auch, daß die Ärztin das einzige Mitglied ihrer Spezies ist, das dem gogleskanischen Teufel die Stirn geboten und die geistig-seelische Ausrichtung der FOKTs insofern durchbrochen hat, als daß sie an einen Ort wie das Orbit Hospital gekommen ist, einen Ort, an dem es von gräßlichen, wenn auch wohlmeinenden Lebewesen wimmelt, von denen die meisten schrecklicher aussehen als das bedrohliche Raubtier, das in der Erinnerung der Gogleskaner herumspukt“, entgegnete Lioren. „Und der Auszubildende stimmt auch deshalb nicht zu, weil die Ärztin ganz offensichtlich über besondere Fähigkeiten verfügt.

Denn wie sie zweifelsfrei bewiesen hat, kann eine Gogleskanerin, die früher in ständiger Angst vor der unmittelbaren Annäherung eines Artgenossen gelebt hat, die Furcht vor vielen der Wesen, die hier im Orbit Hospital leben und einem Alptraum entsprungen zu sein scheinen, überwinden, sie mit etwas Übung und großer Willensstärke verstehen und sogar Umgang mit ihnen pflegen“, fuhr Lioren fort, bevor Khone irgendwie reagieren konnte. „Ist es, da die Dinge so liegen, nicht möglich oder sogar wahrscheinlich, daß diese Gogleskanerin einmal in der Lage sein wird, ihre Fähigkeiten zu erkennen und anderen FOKTs zu vermitteln, die ihre Lehren mit der Zeit über ganz Goglesk verbreiten werden, bis schließlich diese bedrohlichen Raubtiere alle Macht über den Geist der Gogleskaner verlieren?“

„Das ist genau das, was Conway glaubt“, antwortete Khone. „Aber ist es nicht ebenfalls wahrscheinlich, daß die Anhänger behaupten werden, die Lehrerin habe einen Gehirnschaden, und sie allenfalls Angst vor den großen Veränderungen haben werden, die sie an den eigenen Gewohnheiten und der Geisteshaltung vornehmen müßten? Sollte die Lehrerin ihre Bemühungen unbeirrt fortsetzen, das Denken ihrer Anhänger in neue und unangenehme Bahnen zu lenken, wird man sie womöglich verjagen und ihr schwere Verletzungen oder etwas noch Schlimmeres zufügen.“

„Leider gibt es auch für ein solches Verhalten Beispiele, doch wenn die Lehre gut ist, überlebt sie den Lehrmeister“, gab Lioren zu bedenken. „Und außerdem sind die Gogleskaner im Grunde eine gutmütige Spezies. Deshalb sollte die Lehrerin weder Angst haben noch verzweifelt sein.“

Da Khone nichts darauf antwortete, fuhr Lioren fort: „Es ist eine Binsenweisheit, daß ein Patient in jedem Krankenhaus stets auf andere stößt, die sich in noch schlechterer Verfassung befinden als er selbst, und aus dieser Erkenntnis ein wenig Trost zu schöpfen pflegt. Das gleiche gilt auch für notleidende Planeten. Folglich irrt sich die Ärztin auch, wenn sie glaubt, einzig und allein Goglesk sei vom Schicksal — oder welche Macht sie sonst dafür verantwortlich hält — verflucht.

Da gibt es zum Beispiel die Cromsaggi“, fuhr Lioren fort, wobei er trotz der tumultartig wachgerufenen Erinnerungen, die durch das letzte Wort ausgelöst worden waren, einen ruhigen Ton beibehielt, „deren Fluch es war, ständig krank zu sein und fortwährend Krieg zu führen, weil Zweikämpfe die einzige Behandlung gegen ihre Krankheit gewesen sind. Und dann gibt es die Beschützer, die in jeder Sekunde ihres Lebens als Erwachsene kämpfen, jagen und gedankenlos töten. Im Vergleich mit diesen Wesen erscheinen die seit langem ausgestorbenen Raubtiere von Goglesk geradezu als zahm. Dennoch leben in diesen furchtbaren organischen Tötungsmaschinen — nur allzu kurz — die telepathischen Ungeborenen, die sanftmütig, feinfühlig und in jeder Hinsicht zivilisiert sind. Das Problem der Cromsaggi, das sich im wesentlichen um die innere Sekretion gedreht hat, hat Diagnostiker Thornnastor gelöst, so daß die wenigen Überlebenden dieser Spezies nun nicht mehr dazu verurteilt sind, widerwillig einen endlosen Krieg zu führen. Diagnostiker Conway hat dafür gesorgt, die Beschützer der Ungeborenen aus der Falle zu befreien, die ihnen die Evolution gestellt hat, doch alle glauben, daß die Schwierigkeiten der Gogleskaner noch einfacher zu beheben wären.“

„Diese Probleme sind bereits alle erörtert worden“, schnitt ihm Khone das Wort ab, deren pfeifende Sprechweise beim Reden in eine immer höhere Tonlage geriet. „Auch wenn die Lösungen komplex sind, so beziehen sie sich doch auf chirurgische oder medizinische Umstände, die körperlich behandelt werden können. Auf Goglesk stellte sich die Situation aber anders dar, denn das dortige Problem läßt sich nicht auf irgendwelche physische Weise beheben. Der wichtigste Bestandteil des genetischen Erbguts hat es der Spezies nämlich erst ermöglicht, seit den Zeiten vor der Entwicklung von Intelligenz zu überleben, und dieser Teil kann nicht einfach zerstört werden. Das Unheil, das die FOKTs zur Selbstzerstörung und in die selbst auferlegte Einsamkeit treibt, war schon immer da und wird auch immer da sein. Auf Goglesk hat es nie einen Gott gegeben, sondern nur den Teufel.“

„Der Auszubildende möchte wiederholt darauf hinweisen, daß sich die Ärztin möglicherweise irrt“, sagte Lioren. „Aus Furcht durch seine Unkenntnis auf dem Gebiet des religiösen Glaubens der Gogleskaner Anstoß zu erregen, zögert er, da dieser Glaube vielleicht von der.“

„Momentan erregt der Tarlaner nur Ungeduld“, unterbrach ihn Khone, „aber Anstoß wird die Gogleskanerin nicht nehmen.“

Einen Moment lang versuchte Lioren verzweifelt, sich an die Informationen zu erinnern, die er sich vor kurzem über den Bibliothekscomputer beschafft hatte, und sie zu ordnen. „In der gesamten Föderation wird allgemein gelehrt und geglaubt, daß es dort, wo das Böse ist, auch das Gute gibt und ohne einen Gott kein Teufel existieren kann. Dieser Gott wird für das allwissende und allmächtige, aber auch mitleidsvolle höchste Wesen und den Schöpfer aller Dinge gehalten, und man stellt ihn sich als unsichtbar, jedoch allgegenwärtig vor. Wenn sich also auf Goglesk nur der Teufel zeigt, bedeutet das nicht zwangsläufig, daß kein Gott da ist; denn alle Glaubensrichtungen — egal, von welcher Spezies sie vertreten werden — stimmen darin überein, daß man nach Gott zuallererst in sich selbst suchen muß.

Die Gogleskaner kämpfen schon gegen ihren Teufel, seit sie Intelligenz entwickelt haben“, fuhr Lioren fort. „Manchmal haben sie verloren, doch in letzter Zeit haben sie häufiger kleine Siege errungen. Es könnte sein, daß es einen einzigen Teufel gibt und viele, die ihren Gott, ohne es zu wissen, in sich tragen.“

„Genau das hat Conway auch erzählt“, sagte Khone. „Aber der Diagnostiker tritt für eine moderne Medizin ein und empfiehlt eine strengere Schulung in den geistigen Disziplinen. Ist Goglesks Wohltäter unfähig, an Gott oder unseren Teufel oder an irgendeine andere Form unkörperlicher Macht zu glauben?“

„Vielleicht“, antwortete Lioren. „Aber egal, an was er glaubt, an der Art seiner Hilfe ändert das nichts.“

Khone schwieg so lange, daß sich Lioren schon fragte, ob das Gespräch nun vorbei sei. Er hatte das starke Gefühl, die Gogleskanerin wollte etwas sagen, und als sie dies schließlich tatsächlich tat, waren ihre Worte mehr als eine Überraschung für ihn.

„Wenn der Tarlaner von seinem eigenen Glauben erzählte, wäre das für die gogleskanische Ärztin eine zusätzliche Beruhigung“, sagte Khone.

„Der Tarlaner kennt viele verschiedene Glaubensrichtungen, die sowohl von seiner eigenen Spezies als auch von denen anderer Planeten vertreten werden, doch diese Kenntnisse hat er erst vor kurzem erworben, und sie sind lückenhaft und vielleicht sogar falsch“, begann Lioren behutsam. „Zudem hat er in der Geschichte der verschiedenen Religionen herausgefunden, daß es sich bei derartigen Überzeugungen, wenn an ihnen festgehalten wird, um reine Glaubensfragen handelt, die durch eine logische Beweisführung nicht verändert werden können. Ist der Glaube sehr stark, kann die Diskussion anderer Glaubensrichtungen Anstoß erregen. Der Tarlaner möchte niemanden verletzen und hat nicht das Recht, den Glauben anderer in irgendeiner Weise zu beeinflussen oder gar in Frage zu stellen. Aus diesen Gründen würde er es vorziehen, wenn die Gogleskanerin den Anfang machte, indem sie ihren Glauben beschreibt.“

Von Anfang an hatte Lioren das Gefühl gehabt, daß Khone etwas sehr bedrückte, auch wenn ihm die genaue Art ihres Problems immer noch unklar war. Da er keine Ahnung hatte, worum es sich drehte, konnte er natürlich auch keine Ratschläge erteilen.

„Der Tarlaner verhält sich vorsichtig und ausweichend“, stellte Khone fest.

„Da hat die Gogleskanerin recht“, stimmte ihr Lioren zu.

Es trat eine kurze Stille ein, und dann fuhr Khone fort: „Na gut. Die Gogleskanerin fürchtet sich und ist verzweifelt. Außerdem ist sie über den Teufel böse, der in den Köpfen der Gogleskaner lebt, sie pausenlos quält und sie in einem Zustand gefangenhält, der an Barbarei grenzt. Ihr wäre es lieber, nicht von den seelischen Krücken zu sprechen, durch die sich ihre Artgenossen trösten und sich selbst Mut machen, da sie als Ärztin die Wirksamkeit nichtmaterieller Heilmittel bezweifelt. Sie fragt nochmals: An welche Art Gott glaubt der Tarlaner?

Handelt es sich um einen großen, allwissenden und allmächtigen Schöpfer, der Leid und Unrecht zuläßt oder sich gar nicht darum kümmert?“ fragte Khone weiter, bevor Lioren antworten konnte. „Ist es ein Gott, der einige wenige Spezies mit unverdientem Unglück überhäuft, während er die meisten mit Frieden und Zufriedenheit segnet? Hat dieser Gott einsichtige oder sogar göttliche Gründe, solche schrecklichen Ereignisse wie die Vernichtung der Bevölkerung von Cromsag oder die Falle der Evolution, die die Beschützer der Ungeborenen gefangenhält, oder die furchtbare Plage, die er über die Gogleskaner verhängt hat, zuzulassen? Kann irgendeine in der Vergangenheit begangene Sünde so schwer sein, daß sie eine derartige Bestrafung verdient? Verfügt dieser Gott über Intelligenz, und hat er für ein solch offensichtlich dummes und unsittliches Verhalten moralische Gründe, und würde der Tarlaner sie bitte erklären?“

Darauf hat der Tarlaner keine Erklärungen, dachte Lioren, weil er wie Sie selbst ein Ungläubiger ist. Doch wie er instinktiv wußte, war das nicht die Antwort, die Khone hören wollte, denn wenn sie tatsächlich ungläubig war, wäre sie über den Gott, an den sie nicht glaubte, nicht so verärgert gewesen. Dies war der richtige Augenblick für nachsichtige Antworten.

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