3

Nach wenigen Minuten hatten sie den höchsten Punkt der Klippen erreicht, und jetzt verwandelte sich der mit Schlaglöchern übersäte Weg plötzlich in eine asphaltierte Auffahrt, die rechts und links von gepflegten Rasenflächen umgeben war. Zahlreiche Rasensprenger hielten das Gras ständig feucht. Überall ragten Zypressen auf, unter denen sich üppig bepflanzte Blumenbeete erstreckten. Am Ende der Auffahrt stand ein weitläufiger Bungalow, dessen eine Wand aus einem riesigen Fenster bestand, von dem aus man eine herrliche Aussicht über das Meer haben mußte. Die Zypressen bewegten sich in der leichten Brise.

In der Nähe des Hauses lag ein blaugekacheltes Schwimmbecken. Eine schlanke Blondine, die einen gelben Bikini trug, der hervorragend zu ihrer sonnengebräunten Haut paßte, lag auf einem Badetuch und drehte an den Einstellknöpfen ihres Kofferradios. Neben ihr standen ein leeres Glas mit einem fast zerschmolzenen Eiswürfel und eine Thermosflasche. Die Frau hob kurz den Kopf und warf einen desinteressierten Blick auf das Auto.

Connington ließ seine Hand sinken, die er bereits grüßend erhoben hatte. »Claire Pack«, sagte er zu Hawks, als er den Wagen vor dem Bungalow abstellte.

»Lebt sie hier?« fragte Hawks.

Connington machte ein langes Gesicht. »Ja. Los, kommen Sie, Doktor.«

Sie gingen zu dem Schwimmbecken hinüber. Erst jetzt bemerkte Hawks den Mann, der darin herumschwamm. Er blieb die meiste Zeit unter Wasser und streckte nur gelegentlich den Kopf heraus, um Luft zu holen. Er wirkt tatsächlich eher wie ein großer Fisch, dachte Hawks. Zwischen Claire Pack und dem Schwimmbecken lag eine abgeschnallte Unterschenkelprothese in der Nähe der verchromten Leiter, die ins Wasser führte. Aus dem Radio klang »In The Mood« von Glen Miller.

»Claire?« fragte Connington vorsichtig.

Sie hatte sich nicht bewegt, obwohl sie die Schritte der beiden Männer gehört haben mußte. Sie summte die Melodie mit und schlug dabei den Takt auf dem Gehäuse des Radios. Jetzt drehte sie sich langsam um, bis sie auf dem Rücken lag, und sah Connington an.

»Oh«, sagte sie gleichgültig. Sie warf einen Blick auf Hawks. Ihre Augen waren grün mit winzigen braunen Flecken, die Pupillen zogen sich rasch zusammen, als das Sonnenlicht sie traf. Sie blinzelte.

»Das hier ist Dr. Hawks, Claire«, sagte Connington geduldig. »Er ist Vizepräsident unserer Gesellschaft und leitet die Entwicklungsabteilung. Ich habe dich doch deshalb angerufen. Was soll also das Theater? Wir möchten mit Al sprechen.«

Sie machte eine einladende Handbewegung. »Setzt euch. Al kommt bestimmt gleich.«

Connington ließ sich ächzend neben ihr auf dem Handtuch nieder, während Hawks es vorzog, sich ins Gras zu setzen. Claire Pack richtete sich auf, stützte das Kinn auf die Knie und sah Hawks neugierig an. »Wie sieht denn der Job aus, den Sie für Al haben?«

»Er ist gerade richtig für ihn«, erklärte Connington ihr kurz. Als Claire daraufhin nur ironisch lächelte, wandte er sich an Hawks. »Wissen Sie, ich vergesse es immer wieder. Ich komme mit großen Erwartungen her, aber wenn ich sie sehe, fällt mir wieder ein, wie sie wirklich ist.«

Claire Pack lächelte immer noch. Dann zog sie fragend die Augenbrauen in die Höhe. »Sie haben wirklich einen Job für Al? Sie sehen aber gar nicht wie ein Mann aus, der sich mit solchen Dingen abgibt, Doktor. Wollen Sie mir nicht Ihren Vornamen verraten?« Sie warf Connington über die Schulter hinweg einen Blick zu. »Gib mir eine Zigarette.«

»Edward«, antwortete Hawks. Er beobachtete, wie der andere eine Packung Zigaretten öffnete und sie ihr anbot. »Zünd' sie gleich an«, sagte sie, ohne Connington dabei anzusehen. Dann wandte sie sich wie der an Hawks und lächelte ihn an. »Ich werde Sie einfach Ed nennen.«

Connington wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab, bevor er die Zigarette mit einem rubinbesetzten Feuerzeug anzündete. Der Filter bestand außen aus rotem Cellophan, um Lippenstiftabdrücke nicht sichtbar werden zu lassen. Er zog hastig daran, gab ihr die Zigarette und versenkte die Packung wieder in seine Tasche.

»Sie dürfen«, sagte Hawks und deutete ein Lächeln an. »Ich werde Sie Claire nennen.«

Sie zog gekonnt eine Augenbraue hoch und betrachtete den roten Zigarettenfilter. »Von mir aus gern.«

Connington sah ihn über Claires Schulter hinweg an. Seine Augen zeigten einen traurigen Ausdruck. Aber gleichzeitig schien er sich über irgend etwas zu amüsieren. »Na, Doktor, heute scheinen alle unter die ›Beweger‹ gegangen zu sein. Und alle in verschiedene Richtungen. Schnelle Leute. Behalten Sie die Fäuste oben.«

»Ich werde mein Bestes tun«, versprach Hawks.

»Ich finde nicht, daß Ed wie ein Mann wirkt, der sich leicht überrumpeln läßt«, meinte Claire und beobachtete Hawks dabei aufmerksam.

Hawks äußerte sich nicht dazu. Der Mann in dem Schwimmbecken hatte aufgehört zu tauchen und hielt sich jetzt am Beckenrand fest. Nur sein runder Schädel, der dicht mit sandfarbenem Haar bedeckt war, ragte dabei über das Wasser hinaus. Seine Backenknochen traten auffallend hervor. Er trug einen kurzgeschnittenen Schnurrbart. Seine Augen waren nicht zu erkennen, weil er sie zusammenkniff, um besser sehen zu können. Claire und Connington schienen nicht bemerkt zu haben, daß er sie beobachtete.


* * *

»So hat unser guter Doktor sich sein ganzes Leben eingerichtet«, sagte Connington zu ihr. »Alles durchaus wissenschaftlich. Soll und Haben sind immer ausgeglichen. Nichts wird verschwendet. Niemand legt Dr. Hawks herein.«

»Mr. Connington hat mich heute nachmittag zum erstenmal persönlich kennengelernt«, warf Hawks ein.

Claire Pack lachte amüsiert. »Darf man Ihnen einen Drink anbieten, ohne eine ablehnende Antwort riskieren zu müssen, Ed?«

»So geht es auch nicht, Claire«, mischte Connington sich ein.

»Halt den Mund«, sagte sie. »Na, was ist, Ed?« Sie hielt die Thermosflasche hoch. »Scotch und Soda?«

»Danke, ja. Würde Mr. Barker es lieber sehen, wenn ich mich umdrehe, während er seine Prothese anschnallt? Kommt er deshalb nicht heraus?«

»Sie legt nur Wert auf einen guten ersten Eindruck«, warnte Connington ihn mit einem Seitenblick auf Claire. »Nehmen Sie sich vor ihr in acht, Hawks!«

Claire warf den Kopf zurück und lachte herzlich. »Al kommt heraus, wenn er es für richtig hält. Vermutlich hätte er nicht einmal etwas dagegen, wenn ich Eintrittskarten dafür verkaufen würde. Als wegen brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen, Ed.« Sie schraubte den Verschluß auf, zog den Korken heraus und goß die Plastikverschlußkappe voll. »Leider habe ich weder ein zweites Glas noch Eiswürfel hier draußen, Ed. Aber das Zeug ist trotzdem noch ziemlich kalt. Geht es auch so?«

»Natürlich, Claire.« Hawks nahm den Plastikbecher entgegen und versuchte einen kleinen Schluck. »Ausgezeichneter Whisky.« Er behielt den Becher in der Hand und wartete darauf, daß Claire sich ebenfalls einen Drink einschenkte.

»Bekomme ich nichts?« fragte Connington. Er sah auf die Härchen an Claires Nacken, und seine Augen verschleierten sich.

»Hol dir ein Glas aus dem Haus«, befahl sie. Dann lehnte sie sich nach vorn und stieß mit Hawks an. »Auf ein ausgeglichenes Leben, Ed.«

Hawks lächelte kurz und trank. Sie streckte die Hand aus und legte sie auf seinen Knöchel. »Wohnen Sie hier in der Nähe, Ed?«

»Passen Sie auf, Hawks«, sagte Connington böse. »Sie treibt es so weit, bis Sie schließlich alles für sie tun würden — und dann sind Sie nur noch ein Spielzeug, das man achtlos wegwerfen kann, wenn man seiner überdrüssig geworden ist. Geben Sie ihr keine Gelegenheit dazu! Sie ist der größte Vamp Amerikas. Aber Sie können sich vorstellen, daß ein Mann wie Barker eine Frau wie Claire braucht.«

Claire drehte sich um und sah Connington zum erstenmal voll an. »Versuchst du mich zu etwas aufzustacheln, Connie?« fragte sie sanft.

In Conningtons Gesicht zuckte es. »Dr. Hawks ist geschäftlich hier, Claire«, antwortete er dann ruhig.

Hawks sah Connington über den Rand des Plastikbechers hinweg an. Einen Augenblick lang starrte er geradewegs in die Augen des anderen, dann wandte er den Blick ab und betrachtete wieder Claire.

»Jeder ist irgendwo geschäftlich unterwegs«, sagte sie zu Connington. »Jeder, der einen Schuß Pulver wert ist. Jeder hat etwas, was er haben möchte. Etwas sehr Wichtiges. Habe ich nicht recht, Connie? Bleib also bei deinen Geschäften, und ich kümmere mich um meine.« Sie sah unvermittelt zu Hawks hinüber und senkte kaum merklich die Wimpern. »Ich bin völlig davon überzeugt, daß Ed auf sich selbst aufpassen kann und kein Kindermädchen nötig hat.«

Connington wurde rot, verzog den Mund, als wolle er eine Bemerkung machen, drehte sich dann aber nur heftig um und ging auf das Haus zu. Claire Pack lächelte boshaft vor sich hin.

Hawks nahm einen Schluck von seinem Drink. »Jetzt beobachtet er uns nicht mehr. Sie können Ihre Hand wieder von meinem Knöchel wegnehmen.«

Sie lächelte verschlafen. »Connie? Ich quäle ihn nur, damit er nicht zu übermütig wird. Er kommt jede Woche her, seit er Al und mich kennengelernt hat. Das Dumme ist nur — er kann nicht allein herauffahren, verstehen Sie? Wegen der scharfen Kurve in der Auffahrt. Er könnte es, wenn er sich endlich einen kleineren Wagen zulegen würde. Oder er könnte sich auch eine Frau mitbringen, die ihm dabei hilft. Aber er bringt nie eine Frau mit und gewöhnt sich weder den protzigen Wagen noch diese scheußlichen Stiefel ab. Er bringt lieber jedesmal einen neuen Mann mit.« Sie zog die Mundwinkel herab. »Er will es gar nicht anders, das sehen Sie doch ein?«

»Spielen Sie wirklich nur mit diesen Männern, die er mitbringt?« erkundigte Hawks sich.

Claire warf lachend den Kopf zurück. »Er hat schon alle möglichen Arten mitgebracht. Aber ich finde nur die interessant, die sich nicht schon beim erstenmal Hals über Kopf in mich verknallen.«

»Aber vielleicht später? Hat das nie ein Ende? Als ich vorher sagte, er beobachte uns nicht mehr, meinte ich übrigens nicht Connington. Ich meinte Barker. Er zieht sich gerade aus dem Becken. Haben Sie seine Prothese absichtlich so weit vom Rand entfernt niedergelegt, daß er sie nur mit Mühe erreichen kann? Weil Sie wußten, daß ein anderer Mann kommen würde, der gleich den richtigen Eindruck von Ihnen bekommen sollte? Oder wollen Sie damit nur Barker provozieren?«

Sie sah einen Augenblick zu Boden. »Versuchen Sie herauszubekommen, wieviel davon Bluff ist?« fragte sie dann. Sie hatte ihre Selbstbeherrschung nicht eine Sekunde lang verloren.

»Ich glaube nicht, daß Sie nur bluffen wollen. Aber ich kenne Sie noch nicht gut genug, um es ganz sicher zu wissen«, antwortete Hawks gelassen.

»Und ich kenne Sie ebenfalls noch nicht gut genug, Ed.«

Hawks war im Augenblick um eine Antwort verlegen. »Sind Sie schon lange mit Mr. Barker befreundet?« fragte er schließlich.

Claire Pack nickte. Sie lächelte herausfordernd.

Hawks hakte in Gedanken einen Punkt ab. »Dann hat Connington also doch recht.«


* * *

Barker kam über den Rasen. Sein Körper wies kein Gramm überflüssiges Fett auf — ein Musterexemplar eines durchtrainierten Athleten. Er trug eine winzige dunkelblaue Badehose und triefte vor Wasser. Seine Begrüßung bestand nur aus einem kurzen Kopfnikken und einem gemurmelten »Tag, wie geht's?«, aus dem weder Überraschung noch Neugier herauszuhören war. Er hob die Thermosflasche auf, legte den Kopf zurück und trank hastig. Dann wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund, ließ die Flasche auf die Decke fallen und setzte sich neben Claire. »Also, los!« rief er dabei aus. »Was wollen Sie von mir?«

»Al, das hier ist Dr. Hawks«, erklärte die Frau gleichmütig. »Er ist kein Arzt, sondern bei Continental Electronics beschäftigt. Er möchte sich mit dir unterhalten. Connie hat ihn mitgebracht.«

»Ist mir ein Vergnügen«, sagte Barker herzlich und streckte die Hand aus. Am Handgelenk waren tiefe Narben zu erkennen, die von Verbrennungen zu stammen schienen. Seine Gesichtszüge unterhalb der schmalen Nase waren von einer maskenhaften Starrheit, die das Ergebnis zahlreicher Operationen war. »Ich habe schon viel von Ihnen gehört, Dr. Hawks. Sie haben einen ausgezeichneten Ruf als Wissenschaftler.«

Hawks schüttelte ihm die Hand. »Ich bin noch nie einem Engländer begegnet, der sich Al hätte nennen lassen.«

Barker grinste schief. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich beinahe unmerklich. »Tatsächlich bin ich genauso wenig Engländer wie Sie oder Claire Chinesen. Meine Vorfahren waren Indianer.«

»Seine Großeltern waren Mimbreño-Apachen«, warf Claire mit besonderer Betonung ein. »Als Großvater war der gefährlichste Mann von Nordamerika. Sein Vater entdeckte eine Silberader, die höhere Erträge als sämtliche bis dahin bekannten lieferte. Hält sie den Rekord eigentlich immer noch, Darling?« Sie wartete Barkers Antwort nicht erst ab. »Und Al hat eine erstklassige Erziehung, er war sogar auf der Universität«, fügte sie hinzu.


* * *

Barker biß die Zähne zusammen, so daß die hervorstehenden Backenknochen noch deutlicher sichtbar wurden. Er griff plötzlich nach der Thermosflasche. Claire wandte sich lächelnd an Hawks. »Al hat wirklich Glück, daß er nicht in einer Reservation leben muß. Schließlich gibt es ein Gesetz, das den Verkauf von alkoholischen Getränken an Indianer unter schwere Strafen stellt.«

Hawks schwieg und beobachtete, wie Barker die Flasche mit einem Zug leerte. »Ich bin von Natur aus neugierig, Mr. Barker«, begann er dann. »Ist das wirklich der einzige Grund, weshalb Sie sich diese Ähnlichkeit zunutze machen?«

Barker setzte die Flasche ab. »Würde es Ihnen etwa Spaß machen, sich den Kopf zu scheren, sich am ganzen Leib mit Anilinfarben anzumalen und mitten auf der Hauptstraße eines verschlafenen Städtchens in New England einen zünftigen Kriegstanz hinzulegen?«

»Hm, wahrscheinlich weniger.«

»Das könnte Al allerdings nie passieren«, sagte Claire und lehnte sich auf die Ellbogen zurück. »Er ist nämlich Mitglied einer der vornehmsten Verbindungen an seiner ehemaligen Universität — sogar Alter Herr, wenn ich mich recht erinnere. Seine gesellschaftliche Anerkennung hat er allerdings nur seinen schauspielerischen Fähigkeiten zu verdanken — und seinen großzügigen Stiftungen.« Sie strich Barker über die Stirn. »Aber was ist aus deiner Verbindung geworden? Wo sind die Blumen vergangener Jahre? Wo ist der Mimbreño-Junge geblieben?« Sie lachte und lehnte sich gegen seine Knie.

Barker sah auf sie hinunter und schien nicht recht zu wissen, ob er lachen oder böse sein sollte. Seine linke Hand spielte mit ihren Haaren. »Sie dürfen sich nicht von Claire verwirren lassen, Doktor«, sagte er langsam. »Sie kann nicht anders, das ist eben ihre Methode.« Er schien nicht zu merken, daß seine Hand sich in ihrem Haar verkrampft hatte, und daß seine Finger an einer Strähne zogen. »Claire macht sich einen Spaß daraus, andere Leute auf die Probe zu stellen. Manchmal wirft sie sich ihnen dabei an den Hals. Aber das hat nichts zu bedeuten.«

»Sicher«, stimmte Hawks zu. »Aber ich wollte eigentlich mit Ihnen sprechen.«

Barker schien ihn nicht gehört zu haben. Er sah Hawks ernst ins Gesicht. »Mein erstes Zusammentreffen mit ihr war wirklich interessant. Vor sieben Jahren war ich in den Schweizer Alpen. Eines Tages, als ich gerade die Schlüsselstelle einer ziemlich schweren Wand hinter mir hatte, sah ich sie einige Meter über mir.« Jetzt spielte seine Hand zärtlich. »Sie saß dort auf einem winzigen Vorsprung, starrte in das Tal hinunter und träumte vor sich hin. Einfach so. Ich war keineswegs darauf vorbereitet gewesen, an dieser Stelle einem anderen Menschen zu begegnen. Es war, als ob sie dort gesessen habe, seit der Berg existierte.«

Claire lachte leise und drängte sich an Barker. »Die Erklärung dafür ist ganz einfach«, sagte sie zu Hawks. »Ich war in Begleitung einiger französischer Offiziere auf einer leichteren Route an diese Stelle gelangt. Ich wollte dort absteigen, wo Al heraufgekommen war, aber die Franzosen weigerten sich, weil es ihnen zu gefährlich erschien.« Sie zuckte mit den Schultern. »Deshalb bin ich also mit Al hinuntergeklettert. Ich bin nicht so kompliziert, wie ich aussehen mag, Ed.«

»Bevor sie mitging, mußte ich allerdings noch die Franzosen verjagen«, warf Barker bedeutungsvoll ein. »Ich glaube, daß einer von ihnen sogar mit einem Hubschrauber ins Tal geflogen werden mußte. Und ich habe nie vergessen, wie man sie am besten festhält.« Er sah Claire an.

Sie lächelte zu ihm auf, aber dann nahm ihr Gesicht wieder einen herausfordernden Ausdruck an. »Warum haben Sie Al noch nichts von seinem neuen Job erzählt, Ed?«

»Sie haben einen Job für mich?« fragte Barker überrascht. »Dann sind Sie und Connie also tatsächlich geschäftlich hier?«

Hawks betrachtete die beiden einen Augenblick lang schweigend. Dann entschloß er sich. »In Ordnung. Sie sind bereits vom Geheimdienst überprüft worden, Mr. Barker?«

Barker nickte. »Ja.« Er lächelte, als erinnere er sich an vergangene Zeiten. »Ich habe schon ab und zu Aufträge für das FBI durchgeführt.«

»Dann möchte ich mich gern unter vier Augen mit Ihnen unterhalten.«

Claire erhob sich betont langsam. »Ich werde mich ein bißchen auf dem Sprungbrett sonnen. Wenn ich eine Spionin in russischen Diensten wäre, hätte ich natürlich einige Mikrophone in den Rasen eingegraben.«

Hawks schüttelte den Kopf. »Nein, Sie irren sich. Wenn Sie eine gute Spionin sein sollten, dann müßten Sie ein Mikrophon mit Richtwirkung benutzen — vielleicht sogar vom Sprungbrett aus. Das würde völlig genügen. Ich zeige Ihnen gern, wie man eines installiert, wenn Sie sich dafür interessieren.«

Claire lachte. »Dr. Hawks ist jeder Situation gewachsen. Ich werde in Zukunft daran denken.« Sie ging zum Schwimmbecken hinüber.

Barker sah ihr bewundernd nach.

Hawks seufzte. »Mr. Barker, ich möchte, daß Sie einen Auftrag übernehmen, den nur sehr wenige Männer ausführen können — falls Sie nicht überhaupt der einzige sind. Ich habe leider nur sehr wenig Zeit, um mich nach anderen umzusehen. Würden Sie sich diese Photographien ansehen und mir sagen, was Sie davon halten?«

Er nahm den Umschlag aus der Tasche, hielt die Aufnahmen so, daß Barker sie nicht sehen konnte, und suchte eine von ihnen heraus.

Barker betrachtete sie neugierig, runzelte die Stirn und gab sie Hawks zurück. Sie zeigte eine Landschaft, die aus aufeinandergetürmten schwarzen Felsbrocken unter silbernen Wolken bestand. Im Hin tergrund waren Staubwolken und zerklüftete Schatten zu erkennen. Alles zusammen wirkte wie ein gigantischer Irrgarten, in dem immer wieder neue Einzelheiten zu entdecken waren.

»Was ist das?« fragte Barker. »Es sieht schön aus.«

»Es ist ein Gebäude«, antwortete Hawks. »Oder auch nicht. Es könnte ein künstliches Gebilde sein — oder ein lebendes Wesen. Über das Wort ›schön‹ könnte man streiten, aber immerhin gibt diese Photographie ungefähr den Zustand wieder, in dem sich dieses — äh — Gebilde vor einer Woche befunden hat.« Er reichte Barker einige andere Aufnahmen. »Hier, sehen Sie sich das genau an. So sehen die beiden Männer aus, die dort gewesen sind.«

Barker warf ihm einen fragenden Blick zu, aber Hawks sprach schnell weiter. »Das war der erste Mann, den wir hineingeschickt haben. Unter Einhaltung der üblichen Sicherheitsbestimmungen.

Er war hervorragend ausgerüstet, aber selbst das war nicht genug.«

Barker starrte wie gebannt auf die Photographie. Seine Finger verkrampften sich, und sie wäre ihm fast aus der Hand gefallen. Sein Daumen hinterließ einen feuchten Abdruck auf dem Hochglanzpapier.

Hawks reichte ihm die nächste. »Als nächstes schickten wir zwei Männer hinein«, erklärte er nüchtern. »Wir vermuteten, daß ein Team eine größere Chance hätte.« Er nahm das Bild zurück und zeigte Barker ein anderes. »Dann versuchten wir es sogar mit vier Freiwilligen.« Hawks machte eine Pause. »Schließlich änderten wir unsere Arbeitsmethode. Wir entwickelten eine völlig neue Ausrüstung und verloren von da ab keinen einzigen Mann mehr. Das war der vorläufig letzte.« Er gab Barker die fünfte Photographie. »Ein junger Mann namens Rogan.« Er wartete.

Barker sah von dem Bild auf. Seine Augen verrieten keinerlei Erregung. »Haben Sie diesen Mann unter Aufsicht gestellt, damit er keinen Selbstmordversuch unternehmen kann?«

Hawks schüttelte den Kopf. Er beobachtete Barker. »Er würde nie Selbstmord begehen, dazu hat er zuviel Angst vor dem Sterben.« Er schob die Photographien zusammen. »Ich bin hier, um Ihnen seinen Job anzubieten.«

Barker nickte. »Ja, natürlich.« Er runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht … ich weiß nicht genug. Wo befindet sich dieses Gebilde eigentlich?«

Hawks dachte kurz nach. »Das darf ich Ihnen noch sagen, bevor Sie den Auftrag annehmen. Aber nicht mehr als das. Es liegt auf dem Mond.«

»Mond? Dann haben wir also doch bereits Raketen, die einen Mann zum Mond befördern können, und die Russen sind uns nicht überlegen?«

Hawks gab keine Antwort, und Barker zuckte mit den Schultern. »Bis wann muß ich meine Entscheidung treffen?«

»Ich will Ihnen keinen Termin setzen. Aber ich werte Connington anweisen, mir ab morgen etwaige andere Bewerber vorzustellen.«

»Also habe ich bis morgen Zeit.«

Hawks schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, daß er sich um andere bemüht hat. Er besteht darauf, daß Sie der einzige sind, den er auftreiben kann. Begründet hat er diese Auffassung allerdings nicht.«

Barker lächelte. »Connie macht ständig Pläne für andere Leute.«

»Sie nehmen ihn anscheinend nicht sehr ernst.«

»Tun Sie das etwa? Für mich gibt es zwei Arten von Menschen: die einen handeln, die anderen planen. Die einen bewegen die Welt, und die anderen versuchen ihnen die Belohnung dafür vor der Nase wegzuschnappen. Das müssen Sie doch auch erkennen, Dr. Hawks. Kein Mann erhält eine Stellung wie die Ihre, ohne etwas zu leisten.« Er sah Hawks bedeutungsvoll an. »Oder doch?«

»Connington ist ebenfalls Vizepräsident von Continental Electronics.«

Barker spuckte angewidert aus. »Personalchef. Experte für die Anwerbung guter Ingenieure von Konkurrenzfirmen. Das kann jeder Trottel, wenn er den Leuten nur genug bietet.«

Hawks zuckte mit den Schultern.

»Was ist er denn schon?« wollte Barker wissen. »Ein fetter Kerl mit schlechten Manieren, einem miserablen Charakter und rudimentären Kenntnissen auf dem Gebiet der Psychologie, die er vermutlich aus populärwissenschaftlichen Schmökern bezogen hat. Ich bin schon oft von sogenannten Experten getestet worden, Doktor, und sie sind alle gleich. Was sie nicht selbst tun könnten, ist für sie anomal. Was sie nicht selbst zu tun wagen, wird bei anderen als krankhaft bezeichnet. Sie besitzen alle ein schönes Diplom, das sie auf irgendeiner obskuren Universität erworben haben, sie werfen mit lateinischen Fachausdrücken um sich und bilden sich ein, sie seien nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft. Ich habe auch eine gute Erziehung genossen, ich weiß, wie es in der Welt zugeht und was für ein Kerl Connington wirklich ist. Wo ist er schon gewesen? Was hat er bisher geleistet? Er ist ein Würstchen, Hawks — wenn man ihn mit einem richtigen Mann vergleicht.«

Barker holte tief Luft und lächelte erbarmungslos. »Er bildet sich ein, für mich Pläne machen zu können. Er hält mich für einen Trottel, den man ausnutzen und dann wegwerfen kann, wenn man ihn nicht mehr braucht. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus! Möchten Sie sich mit mir über Kunst unterhalten, Doktor? Abendländische oder östliche. Oder Medizin? Oder Archäologie?

Suchen Sie sich ruhig etwas aus. Ich kann Ihnen über alles einen Vortrag halten. Ich bin ein Mann, Hawks!« Barker stand auf. »Ich kenne keinen besseren. Gehen wir wieder zu der Dame hinüber.«

Er ging langsam über den Rasen, und Hawks folgte ihm wortlos.


* * *

Claire drehte sich auf den Rücken und richtete sich auf. Dann verschränkte sie die Hände hinter dem Nacken und sah von einem zum anderen. »Na, zu welchem Ergebnis seid ihr gekommen?«

»Oh, mach dir nur keine Sorgen«, antwortete Barker. »Du wirst es bald genug erfahren.«

Claire lächelte. »Du hast dich also noch nicht entschlossen? Ist dir der Job nicht interessant genug?«

Barker runzelte ärgerlich die Stirn.

Plötzlich brach Connington hinter ihnen in lautes Gelächter aus. Er war so leise über den Rasen gekommen, daß niemand seine Schritte gehört hatte.

Connington trug ein halbvolles Glas in einer Hand und umklammerte mit der anderen eine beinahe leere Whiskyflasche. Sein gerötetes Gesicht und seine unnatürlich erweiteten Pupillen ließen darauf schließen, daß er den Inhalt der Flasche innerhalb kürzester Zeit getrunken hatte. »Prima Zeug, Al. Willst du auch einen Schluck? Wie steht's mit dem Auftrag? Du nimmst doch an, alter Junge?«

Barkers Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse. »Ja, selbstverständlich!« rief er sofort aus. In seiner Stimme schwang ein verzweifelter Ton mit. »Diese Gelegenheit kann ich mir einfach nicht entgehen lassen — um nichts in der Welt!«

Claire lächelte vor sich hin.

Hawks beobachtete die anderen.

Connington kicherte leise. »Was hätte er sonst sagen sollen?« fragte er. Er machte eine ironische Handbewegung, als stelle er jemand vor. »Meine Damen und Herren, vor Ihnen steht ein Mann, der für seine blitzschnellen Entscheidungen berühmt ist. Das versteht ihr nicht, was?« sagte er zu den anderen. »Ihr seht die Dinge eben anders. Ich will es euch erklären.

Ein Naturwissenschaftler wie unser guter Dr. Hawks hier betrachtet die Welt nur von einem Gesichtspunkt aus. Jede Ursache hat eine Wirkung — und umgekehrt. Und so läßt sich alles ganz nett erklären, warum sollte man also neue Wege suchen? Männer wie Sie, Barker, bilden sich ein, das Weltgeschehen werde durch menschliche Großtaten und Wagnisse bestimmt. Und Ihre Betrachtungsweise scheint ebenfalls richtig zu sein.

Aber die Welt ist groß. Kompliziert. Selbst eine Halbwahrheit kann lange für wahr angesehen werden und die ganze Wahrheit lange Zeit hindurch ersetzen. Hawks kann sich zum Beispiel einbilden, er könne Ursachen verändern, um gewünschte Wirkungen zu erzielen. Und Sie, Barker, Sie können Hawks und sich für Übermenschen halten — Angehörige der Herrenrasse. Hawks kann sich vorstellen, Sie seien ein besonderer Faktor, der in eine neue Umgebung eingebracht wird, damit er die neue Umgebung erforschen kann. Und Sie können sich für einen unbesiegbaren Recken halten, der einen heldenhaften Kampf mit dem Unbekannten besteht. Und so geht es ewig weiter, immer rundherum, und wer hat recht? Beide? Vielleicht, vielleicht. Aber werdet ihr es aushalten, wenn ihr aufeinander angewiesen seid?«

Connington lachte hämisch und bohrte seine Absätze in den gepflegten Rasen. »Ich bin ein richtiger Personalchef. Ich schere mich nicht um Ursache oder Wirkung. Helden sind mir piepegal. Menschen — die kenne ich. Das genügt völlig. Ich habe ein Gespür für sie. Ich kenne ihre geheimsten Regungen. Wie ein Chemiker Wertigkeiten auswendig weiß. Wie ein Physiker die Ladungen in einem Atomkern aufzählen kann. Positiv, negativ. Atomgewicht, Zahl der Elektronen, Anziehungskräfte, Schalen und Umlaufgeschwindigkeiten. Ich bringe sie zusammen. Ich mi sche sie miteinander. Ich nehme Menschen und finde den richtigen Job für sie. Und die Leute, mit denen sie am besten zusammenarbeiten können. Ich nehme eine Handvoll Menschen und verändere sie, bis sie so reagieren, wie ich es mir vorgestellt habe — und ich kann auch Sprengstoff aus ihnen machen, wenn es mir paßt. Das ist meine Welt!

Manchmal hebe ich mir Menschen auf für den richtigen Job, an dem sie sich voll entfalten können. Für die Menschen, zu denen sie am besten passen.

Barker und Hawks — diese Kombination wird mein Meisterstück. Ihr seid füreinander bestimmt, ihr ergänzt euch hundertprozentig. Und ich, ich habe euch entdeckt, ich habe es fertiggebracht, ich habe euch zusammengestoßen, und jetzt ist es nicht mehr zu ändern, niemand kann die kritische Masse wieder auseinandernehmen, und früher oder später muß die große Explosion kommen — und wer beschützt dich dann, Claire?«

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