15

Zwei Techniker schoben Barker in den Materie-Transmitter. Die Seitenmagneten ließen ihn frei schweben, und der Tisch wurde unter ihm herausgezogen. Die Stahltür schloß sich lautlos, dann wurden die restlichen Elektromagneten eingeschaltet, um ihn in einer Stellung für den Abtaster zu fixieren. Hawks nickte Gersten zu, und Gersten drückte auf den Bereitschaftsknopf.

Auf dem Dach des Laboratoriums befand sich eine Radarantenne, deren Strahlungsbereich sich mit dem der Übertragungsantenne des Transmitters deckte. Der Parabolreflektor war jetzt genau auf den Mond eingerichtet. Will Martins sah zu dem Radartechniker hinüber und machte eine kurze Handbewegung. Ein Hochfrequenzimpuls wurde zum Mond abgestrahlt und kehrte zurück. Die dazu benötigte Zeit, die Impulsleistung, die Impulsdauer und die Impulsfolgefrequenz wurden einer Datenverarbeitungsanlage eingegeben, die daraus die Verzögerungszeit für den Laboratoriumsempfänger errechnete. Der Materie-Transmitter sandte ein verschlüsseltes UKW-Signal aus, das die Sperre des Mondempfängers außer Betrieb setzte, die sonst verhindert hätte, daß der MImpuls aufgenommen wurde.

Gersten sah auf das Schaltpult hinunter und wandte sich an Hawks. »Sämtliche Stufen grün.«

»Los!« kam Hawks' Kommando sofort.

Über der Tür der Transmitterkammer glühte ein rotes Licht auf, und ein neues Band raste von einer Spule zur anderen. Einskomma-sechsundzwanzig Sekunden später lief der erste Zentimeter dieses Bandes bereits wieder durch ein zweites Gerät, das die darauf gespeicherten Informationen an den Laboratoriumsempfänger weiterleitete. Gleichzeitig damit erreichte der ausgestrahlte Impuls den Mond.


* * *

Die letzten Zentimeter des Bandes wanden sich um die zweite Spule. Über der Empfängerkammer flammte das grüne Licht auf. Barker L's schwere Atemzüge drangen aus dem Lautsprecher. »Ich bin hier, Doktor«, sagte er heiser.

Hawks stand mitten im Raum, hatte die Hände in den Hosentaschen und starrte gedankenverloren vor sich hin.

Einige Sekunden später war Barkers wütende Stimme wieder zu hören. »Schon gut, schon gut, ihr verdammten Seebären, ich kann selbst gehen!« Er fluchte laut. »Keinen Ton geben sie von sich, aber dafür treiben sie mich um so mehr an.«

»Halten Sie den Mund, Barker«, flüsterte Hawks eindringlich vor sich hin.

»Ich gehe jetzt hinein, Doktor«, sagte Barker deutlich. Sein Atemrhythmus änderte sich schlagartig. Zweimal räusperte er sich, einmal stieß er einen überraschten Laut aus.

Gersten berührte Hawks' Arm und zeigte auf die Stoppuhr, die er in der Hand hielt. Sie zeigte zweihundertvierzig Sekunden an, die Barker sich im Innern des Gebildes befand. Hawks nickte leicht. Gersten bemerkte, daß Hawks weiter auf die Uhr starrte, und hielt sie deutlich sichtbar.

Barker schrie entsetzt auf. Hawks machte eine Reflexbewegung und schlug dadurch Gersten die Stoppuhr aus der Hand.

Dr. Holiday schlug mit der geballten Faust auf den roten Knopf seines Schaltpults. Eine genau bemessene Dosis Adrenalin strömte in Barker L's Arterien, während die Narkose aufhörte.

»Holt ihn heraus!« rief Weston. »Holt ihn heraus!«

»Jetzt brauchen wir uns nicht mehr zu beeilen«, sagte Hawks leise, als könne Weston ihn selbst aus dieser Entfernung deutlich hören. »Was mit ihm geschehen sollte, ist bereits geschehen.«

Gersten sah auf die zersplitterte Stoppuhr und dann zu Hawks hinüber. »Das habe ich mir auch gerade gedacht«, meinte er.

Hawks runzelte die Stirn und ging zu dem Empfänger hinüber, durch dessen geöffnete Tür jetzt der Tisch hineingerollt wurde.


* * *

Barker saß in gebückter Haltung auf der Tischkante, der offene Schutzanzug lag demontiert neben ihm. Er wischte sich über sein schweißbedecktes Gesicht. Holiday hörte sein Herz mit einem Stethoskop ab und maß in regelmäßigen Abständen seinen Blutdruck. Barker seufzte. »Fragen Sie mich doch einfach, ob ich noch am Leben bin, wenn Sie irgendwelche Zweifel daran haben. Wenn ich darauf antworte, wissen Sie es genau.« Er sah über die Schulter des Arztes hinweg, der keine Antwort gegeben hatte, und wandte sich an Hawks. »Nun, was sagen Sie jetzt, Doktor?«

Hawks warf Weston einen fragenden Blick zu. Der Psychologe nickte ungerührt. »Er hat es tatsächlich geschafft, Dr. Hawks. Das beweist wieder einmal, daß selbst Neurosen durchaus sinnvoll eingesetzt werden können — in diesem Fall sogar entscheidend.«

»Barker«, begann Hawks, »ich …«

»Danke, Doktor, das können Sie sich sparen. Sie sind froh, daß alles geklappt hat.« Barker sah sich fragend um. »Ich übrigens auch. Hat einer vielleicht eine Zigarette für mich übrig?«

»Jetzt noch nicht«, widersprach Holiday scharf. »Vorläufig bin ich mit meiner Untersuchung noch lange nicht fertig.«

»Lauter harte Männer«, murmelte Barker vor sich hin. »Jeder ein kleiner Sklaventreiber.« Er warf einen Blick auf die Techniker, die den Tisch umringten. »Könnten Sie mich nicht ein bißchen später anstarren?« Sie zogen sich unentschlossen zurück und gingen wieder an ihre Arbeit.

»Barker«, sagte Hawks vorsichtig, »wie fühlen Sie sich jetzt? Alles in Ordnung?«

Barker sah ihn ausdruckslos an. »Ich kletterte aus dem Empfänger und wollte mich ein bißchen in dem Stützpunkt umsehen, als diese Trottel in Navy-Schutzanzügen auftauchten. Sie behandelten mich wie einen ungebetenen Eindringling, den man auf dem schnellsten Weg loswerden will. Wenn einer überhaupt den Mund aufmachte, klang es, als müsse er jedes Wort selbst bezahlen. Sie zeigten mir den getarnten Durchgang, der vom Stützpunkt aus zu dem Gebilde führt, und stießen mich halbwegs hinein. Einer von diesen Leuten begleitete mich bis zum Eingang des Gebildes — und sah mich auf dem ganzen Weg nicht einmal an.«

»Diese Leute haben selbst genügend Probleme«, warf Hawks ein.

»Das glaube ich. Jedenfalls drang ich ohne Schwie rigkeiten in das Innere ein und kam gut voran. Es …« Barkers Gesichtsausdruck zeigte jetzt keinen Ärger mehr, sondern tiefgreifende Verwirrung. »Es ist … ein bißchen wie ein Traum, wissen Sie? Kein Alptraum, nein — dort gibt es weder Schreckgespenster noch Angstschreie noch etwas Ähnliches — aber … einfach Regeln und diese verrückte Logik: Alice im Wunderland mit Zähnen.« Er machte eine rasche Handbewegung, als wolle er seine unbeholfenen Worte von einer Wandtafel abwischen. »Ich muß mir einen besseren Vergleich einfallen lassen. Das dürfte keine besonderen Schwierigkeiten bereiten. Ich muß mich nur wieder beruhigen.«

Hawks nickte. »Machen Sie sich keine Sorgen. Jetzt haben wir genügend Zeit.«

Barker grinste ihn unbefangen an. »Ich bin ein gutes Stück weiter als Rogan M gekommen, ist Ihnen das klar? Was mich schließlich erwischt hat, war … war … war die … war …«

Barkers Gesicht rötete sich, und seine Augen traten hervor. Seine Lippen zitterten. »Die … der …« Er starrte Hawks an. »Ich kann nicht!« rief er laut aus. »Ich kann nicht … Hawks …« Er wehrte sich heftig gegen Holiday und Weston, die ihn an den Schultern festhielten, und seine Hände verkrampften sich um die Tischkante. »Hawks!« schrie er dabei laut. »Hawks, das Ding hat sich nicht um mich gekümmert! Ich ha be ihm nichts bedeutet! Ich … ich war …« Sein Mund blieb halboffen stehen. »… einfach n-n-n-… ni… nichts!« Seine Augen suchten verzweifelt Hawks' Gesicht. Er atmete, als habe er eine schwere körperliche Anstrengung hinter sich.

Westen brachte Barker schließlich dazu, sich auf dem Tisch auszustrecken. Holiday fluchte leise vor sich hin, während er eine Ampulle absägte und eine Injektionsspritze füllte.

Hawks ballte die Fäuste. »Barker! Welche Farbe hatte Ihr erstes Schulbuch?«

»Ich … ich kann mich nicht mehr daran erinnern, Dr. Hawks«, stotterte Barker verwirrt. »Grün — nein, nein, es war orange mit blauer Schrift auf dem Umschlag. Und es enthielt eine Geschichte von drei Goldfischen, die aus ihrem Aquarium herauskletterten und dann wieder hineinsprangen. Ich … ich habe das Bild noch ganz deutlich vor Augen: drei Fische, die gleichzeitig in das Wasser eintauchen — jeder von kleinen Spritzern umgeben.«

»Hören Sie gut zu, Barker«, erklärte Hawks langsam und eindringlich. »Solange wie Sie zurückdenken können, sind Sie am Leben gewesen. Sie sind jemand. Sie haben etwas gesehen und können sich daran erinnern.«

Weston stieß ihn beiseite. »Um Himmels willen, Hawks! Überlassen Sie den Mann uns!« Holiday sah Barker nachdenklich an und legte dann die gefüllte Spritze beiseite.

Hawks atmete langsam aus. »Er weiß wenigstens, daß er am Leben ist«, sagte er zu Weston.

Barker richtete sich mühsam auf und blieb zusammengekrümmt auf dem Tisch sitzen. Seine Gesichtsfarbe war wieder wie vorher. »Danke. Danke, Hawks«, flüsterte er vor sich hin. »Danke für alles …« Er schwankte leicht, hielt sich aber weiterhin aufrecht. »Schnell, ich brauche einen Eimer«, murmelte er dann undeutlich.


* * *

Gersten und Hawks standen neben dem Transmitter und beobachteten Barker, der aus dem Waschraum zurückkam, in dem er sich gewaschen und angezogen hatte. »Was meinen Sie, Ed?« fragte Gersten besorgt. »Was hat er wohl jetzt vor? Glauben Sie, daß er uns sitzenläßt?«

»Ich weiß es auch nicht«, meinte Hawks geistesabwesend, während er Barker anstarrte. »Ich war überzeugt, daß mit ihm alles klappen würde«, fuhr er leise fort, »aber jetzt weiß ich selbst nicht mehr, ob ich ihn richtig eingeschätzt habe.« Hawks zuckte mit den Schultern. »Wir müssen eben warten. Vielleicht fällt uns eine bessere Methode ein.«

»Wollen Sie einen anderen suchen?«

Hawks schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Wir wissen noch nicht einmal genug über den hier.« Er machte eine nervöse Handbewegung. »Ich brauche Zeit zum Nachdenken. Warum kann man die Zeit nicht anhalten, während man denkt?«

Barker näherte sich ihnen.

Seine Augen lagen tief in ihren Höhlen, sein Gesicht schien eingefallen, so daß die Backenknochen noch mehr hervortraten. Er starrte Hawks durchdringend an. Seine Stimme klang schleppend.

»Holiday meint, daß ich jetzt wieder einigermaßen in Ordnung bin. Aber ich brauche jemand, der mich nach Hause fährt.« Er verzog den Mund. »Wollen Sie das übernehmen, Hawks?«

»Ja, natürlich.« Hawks zog seinen Arbeitskittel aus und hängte ihn zusammengefaltet über einen Stuhl. »Sie können sich schon darauf einrichten, daß wir morgen den nächsten Versuch starten, Ted«, meinte er zu Gersten.

»Na, hoffentlich rechnen Sie dabei nicht auf mich!« zischte Barker.

»Bereiten Sie ruhig alles vor. Verschieben können wir ihn immer noch«, ordnete Hawks an. »Ich rufe Sie morgen früh an und sage Ihnen, wie die Sache steht.«

Barker ging wortlos, und Hawks folgte ihm. Sie durchquerten das Laboratorium und verließen es Seite an Seite durch die doppelten Schwingtüren.


* * *

In der großen Eingangshalle wartete Connington auf die beiden. Er hockte in einem der orangeroten Sessel, die mit Plastik überzogen waren, und hatte die Beine weit von sich gestreckt. Er setzte gerade eine dicke Zigarre in Brand und sah dem hellblauen Rauch nachdenklich mit zusammengekniffenen Augen nach. Connington warf zuerst einen kurzen Blick auf Barker, dann wandte er sich an Hawks. »Schwierigkeiten gehabt, was?« fragte er, als die beiden Männer neben ihm standen. »Ich habe gehört, daß nicht alles hundertprozentig in Ordnung gewesen sein soll«, wiederholte er mit glitzernden Augen. »War reichlich anstrengend, was, Al?«

»Wenn ich den Kerl entdecke, der Ihnen die Informationen aus dem Labor zuträgt, werfe ich ihn auf der Stelle hinaus!« drohte Hawks.

Connington streifte die Asche von seiner Zigarre ab. Sein protziger Ring berührte den Rand des Metallaschenbechers, der einen leisen Ton von sich gab. »Sie lassen nach, Hawks«, stellte er fest. »Vor ein paar Tagen hätte Sie das noch völlig kalt gelassen.« Connington stand mühsam auf. »Es wäre unter Ihrer Würde gewesen, sich um meine kleinen Intrigen zu kümmern oder gar finstere Drohungen auszustoßen.« Er wippte leicht auf den Absätzen hin und her und steckte dabei die Hände in die Hosentaschen. »Also, was ist los? Will keiner von euch den Mund aufmachen und mir etwas erzählen? Glaubt ihr, daß ich darauf angewiesen bin? Ich kenne euch beide. Das genügt vollauf.«

»Der Teufel soll Sie holen, Connington …«, begann Barker aufgebracht. »Ich habe …«

Connington grinste höhnisch, und Barker schwieg unsicher. »Dann habe ich also recht gehabt.« Er zuckte mit den Schultern. »Fahren Sie jetzt zu Claire zurück?« Er stieß eine dichte Rauchwolke aus. »Beide?«

»So ähnlich«, antwortete Hawks.

Connington spielte mit seiner Krawatte. »Was haltet ihr davon, wenn ich mitfahre und mir den Spaß ansehe?« Er hielt den Kopf schief und lächelte Barker freundlich an. »Warum eigentlich nicht, Al? Dann haben Sie wenigstens alle Leute um sich herum versammelt, die Ihnen nach dem Leben trachten.«

Hawks beobachtete Barker, der krampfhaft seine Fäuste ballte, als wolle er dem anderen an die Kehle springen. Er starrte Connington wütend an, und der Personalchef trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

Dann schien Barkers Zorn verflogen zu sein. »In dem Wagen ist nur Platz für zwei«, wandte er müde ein.

Connington kicherte. »Oh, das spielt keine Rolle. Ich fahre, und Sie können auf Hawks' Schoß sitzen.«

Hawks riß seinen Blick von Barker los und starrte Connington in die Augen. »Ich fahre«, stellte er mit scharfer Stimme fest.

Connington kicherte wieder. »Sam Latourette hat übrigens den Job bei Hughes Aircraft nicht bekommen. Es spielte gar keine Rolle, daß Waxted ihn ursprünglich wollte. Heute morgen erschien er zwar zu dem vereinbarten Interview, war aber total besoffen. Ich fahre auf jeden Fall.« Er drehte sich um und ging auf die große Glastür zu. Dann blieb er kurz stehen und sah über die Schulter zurück. »Kommt, Freunde«, sagte er fröhlich.

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