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Als er in das Laboratorium zurückkehrte, hatte Barker gerade seine erste Garnitur Unterwäsche übergezogen und saß auf der Kante des Tisches. Er strich mit der flachen Hand über die poröse Seide und wischte sich dann das Talkum ab, das an seinen Handgelenken und um den Halsausschnitt herum weiße Flecken hinterlassen hatte. Barker wies auf den orangefarbenen Anzug, als Hawks vor ihm stand. »Jetzt sehe ich wirklich wie ein Zirkusclown aus, was?«

Hawks sah auf seine Armbanduhr. »In ungefähr zwanzig Minuten können wir mit dem Abtasten beginnen. Ich habe noch fünf Minuten Zeit für Sie, dann muß ich zu meinen Leuten. Passen Sie auf, damit Sie alles mitbekommen.«

»Haben Sie schlecht zu Mittag gegessen, Doktor?«

»Konzentrieren wir uns lieber auf unsere Arbeit. Ich möchte Ihnen erklären, was wir mit Ihnen vorhaben. Kurz vorher werde ich Sie noch einmal fragen, ob Sie sich das alles wirklich zutrauen oder ob Sie es sich doch anders überlegt haben.«

»Reizend von Ihnen.«

»Es geht nicht anders. Hören Sie gut zu: Der Materie-Transmitter analysiert die Struktur jedes organi schen oder anorganischen Gegenstandes, der in den Bereich der Abtaster gelangt. Das Ergebnis dieser Analyse ist ein Impuls, der die genaue Atomstruktur des abgetasteten Gegenstandes wiedergibt. Der Impuls wird einem Empfänger übermittelt und gelangt von dort aus in einen Duplikator. In diesem Gerät wird die Atomstruktur des abgetasteten Gegenstandes mit Hilfe der dort vorhandenen Atome reproduziert. Dazu genügt bereits eine halbe Tonne irgendeiner Materie. In anderen Worten heißt das, daß der Materie-Transmitter Sie hier demontiert und einen Impuls aussendet, aus dem der Empfängerteil Sie wieder zusammensetzt.

Dieser Vorgang ist völlig schmerzlos und von Ihrem Gesichtspunkt aus unvorstellbar kurz. Die Übertragung des Impulses erfolgt mit Lichtgeschwindigkeit, und weder Ihre Nervenreaktionen noch die Bestandteile der Atome in Ihrem Körper, noch diese Atome selbst erreichen diese Geschwindigkeit auch nur annähernd.

Bevor Sie genügend Zeit gehabt haben, um Schmerzen oder das Gefühl beginnender Auflösung zu empfinden, und bevor Ihre Atomstruktur sich verschieben könnte, wird es Ihnen erscheinen, als stünden Sie still und das Universum habe sich bewegt. Sie werden sich plötzlich in dem Empfänger wiederfinden, und der elektrische Impuls, der einen Gedanken von einer Gehirnzelle zur anderen transportierte, wird so klar und deutlich ankommen, daß Sie einen Augenblick lang nicht begreifen werden, daß Sie sich überhaupt bewegt haben. Ich übertreibe keineswegs und lege großen Wert darauf, daß Sie sich mit diesem Phänomen vertraut machen.

Außerdem müssen Sie sich darüber im klaren sein, daß Sie sich nicht tatsächlich bewegen werden. Der Barker, der in dem Empfänger zum Vorschein kommt, hat nicht ein Atom mit Ihnen gemeinsam. Sekundenbruchteile vorher waren die Atome seines Körpers noch Bestandteile einer anorganischen Masse in der näheren Umgebung des Empfängers. Der Barker auf dem Mond wird durch eine Veränderung im Aufbau dieser Atome erzeugt — einigen werden Kernbausteine entnommen, die anderen hinzugefügt werden.

In bezug auf die Körperfunktionen macht es nicht den geringsten Unterschied, daß dieser neue Barker nur eine genaue Kopie des Originals ist — theoretisch gesehen, versteht sich. Alles entspricht genau dem Original, sogar der Aufbau des Gehirns und die elektrische Kapazität der einzelnen Zellen. Der neue Barker hat Ihr Gedächtnis und erinnert sich sogar noch an den erst halb zu Ende gedachten Gedanken, den Sie zuletzt hatten, den er jetzt auf dem Mond zu Ende denkt. Aber der ursprüngliche Barker ist für immer verschwunden, seine Atome verwandelten sich in die Energie, die den Transmitter betrieb.«

»Ich bin also tot«, stellte Barker fest. Er zuckte mit den Schultern. »Nun, schließlich haben Sie mir nie etwas anderes versprochen.«

»Nein«, widersprach Hawks scharf. »Nein«, wiederholte er langsam, »das habe ich nicht gesagt. Der neue Barker ist theoretisch nicht von dem Original zu unterscheiden. Außerdem wird es ihm so vorkommen, als sei nichts mit ihm geschehen. Sie werden sich also einbilden, daß Sie dort stünden. Daß früher einmal ein anderer Barker existiert hat, den es jetzt nicht mehr gibt, ist völlig nebensächlich und nur vom wissenschaftlichen Standpunkt aus interessant. Sie werden es wissen, weil Sie sich daran erinnern werden, daß ich es Ihnen erzählt habe. Fühlen werden Sie es nicht.

Sie werden genau wissen, wie Sie den Anzug anlegten, wie Sie in den Transmitter gerollt wurden, wie das Magnetfeld im Innern der Kammer den Anzug umgab und ihn frei schweben ließ, wie die Lichter erloschen … und daß Sie sich jetzt in dem Empfänger befinden müssen. Nein, Barker«, schloß Hawks und nickte den Männern zu, die das Baumwollunterzeug und den Druckanzug brachten, die Barker als nächstes anziehen sollte, »ich werde Sie auf andere Weise umbringen. Und Sie werden es nur zu deutlich spüren.« Er drehte sich um und ging.

Er blieb neben Sam Latourette stehen, der den Transmitter testete, und hob den Arm, als wolle er ihn um die Schultern des anderen legen, ließ ihn aber doch wieder sinken. »Na, wie klappt die Sache, Sam?« erkundigte er sich freundlich.

Latourette drehte sich zu ihm um. »Ausgezeichnet«, sagte er bedächtig, »die Testobjekte werden erstklassig übertragen.« Er nickte einem Tierpfleger zu, der ein unter Narkose stehendes Seidenäffchen im Arm hielt. »Wir haben Jocko bereits fünfmal hintereinander durch die Maschine geschickt. Der Impuls hat sich nicht verändert und zeigt keine meßbaren Abweichungen von dem, den wir letzte Woche auf Band aufgenommen haben. Jedesmal ist es wieder der gleiche alte Jocko.«

»Na, mehr können wir doch nicht verlangen, oder?« meinte Hawks lächelnd.

»Nein, das können wir nicht«, antwortete Latourette unbeirrt. »Für ihn wird die Maschine ganz genauso funktionieren.« Er sah zu dem Tisch hinüber. »Mach dir deswegen keine Sorgen.«

»Schon gut, Sam«, wehrte Hawks ab. »Ich bin auch nicht hundertprozentig von ihm begeistert.« Er sah sich um. »Ist Ted Gersten bei den Leuten am Empfänger?«

»Er arbeitet mit ein paar anderen Technikern an der Impuls-Modulationsanlage, die bis jetzt noch nicht überprüft worden ist. Sie demontieren sie gerade, aber er meint, daß sie bis heute abend wieder voll einsatzfähig sein wird.«

Hawks runzelte nachdenklich die Stirn. »Vielleicht sollte ich mir das selbst ansehen. Außerdem bin ich der Meinung, daß er dabeisein sollte, wenn Barker abgetastet wird.« Er wollte schon gehen, drehte sich aber noch einmal um. »Du könntest Jocko eigentlich ruhig auch ein sechstes Mal durchschicken — damit wir es ganz sicher wissen.«

Latourette kniff den Mund zusammen. Er sah den Tierpfleger an und machte eine kurze Handbewegung.


* * *

Gersten stand neben einigen Technikern, die ein Bauteil aus den Führungen herausgezogen hatten und jetzt einige Meßgeräte anschlossen. Er kratzte sich sorgenvoll hinter dem Ohr und gab mit halblauter Stimme eine kurze Anordnung. Dann hörte er Hawks kommen, ließ die drei Männer allein weiterarbeiten und ging ein paar Schritte auf ihn zu. »Hallo, Ed.«

»Wo fehlt's denn?« fragte Hawks und sah auf das Gerät hinunter, an dem kein äußerlicher Schaden feststellbar zu sein schien.

»Wir haben Schwierigkeiten mit dem Spannungs regler. Eine Zeitlang arbeitet er völlig einwandfrei, dann treten plötzlich Störungen auf, und schließlich ist alles wieder in bester Ordnung.«

»Aha. Sam sagt, daß sonst bei Ihnen alles okay sei.«

»Stimmt.«

»Schön. Hören Sie, ich möchte Sie dabei haben, wenn wir den neuen Freiwilligen abtasten. Können Sie gleich mitkommen?«

Gersten warf einen Blick auf die Techniker. »Sicher. Die Leute kommen gut voran.« Er ging um die Prüfgeräte herum und schloß sich Hawks an.

Als sie außer Hörweite der Techniker waren, wandte Hawks sich an ihn. »Wahrscheinlich haben Sie morgen eine Menge Arbeit, Ted«, meinte er beiläufig. »Es hat keinen Sinn, wenn Sie Ihre Zeit damit verschwenden, die Verdrahtung eines defekten Gerätes zu erneuern, anstatt zu schlafen. Fordern Sie einfach einen neuen Regler per Expreßbogen an und lassen Sie den alten zurückgehen. Sollen die sich doch Sorgen darüber machen. Sie haben sowieso genug Arbeit mit der Überprüfung, selbst wenn Sie ein neues Gerät einbauen.«

Gersten kniff die Augen zusammen. »Darauf hätte ich auch kommen sollen, denke ich.« Er sah Hawks an. »Ja, das hätte ich.« Er blieb stehen. »Ich komme gleich wieder zurück, Ed.« Dann drehte er sich um und ging zu den Technikern zurück.

Hawks stieg langsam eine Leiter hinunter, bis er wieder auf dem Boden stand, und ging zu Latourette hinüber, der vor dem Kontrollpult eines elektronischen Datenverarbeiters saß und die Instrumente beobachtete. Das Seidenäffchen hockte auf dem Arm seines Pflegers und bewegte sich nur schläfrig, als habe es die Nachwirkungen der Narkose noch nicht überstanden.

Hawks beobachtete schweigend, wie Latourette die Angaben des Kontrollbandes mit den Werten verglich, die einer der Techniker einem anderen Elektronenrechner entnahm.

»Alles in Ordnung, Bill«, sagte Latourette schließlich und schaltete das Gerät ab. »Stimmt bei Ihnen alles überein?«

Der Techniker nickte.

Latourette wandte sich an Hawks. »Unser Freund Barker kann sich jedenfalls hundertprozentig auf die Maschinen verlassen — soweit man das mit unseren Prüfmethoden feststellen kann«, meinte er zufrieden. Er warf einen Blick auf das Äffchen. »Und Jocko sieht auch so gesund aus wie immer.« Er sah wieder Hawks an. »Wo steckt Gersten eigentlich?«

»Er kommt gleich herunter.« Hawks hob den Kopf und sah zum ersten Stock hinauf. »Wenn ich ihn nur besser kennen würde. Gersten ist sehr schwer zu verstehen. Er zeigt keinerlei Gefühle und geht nie aus sich heraus. Mit dieser Art von Menschen kommt man nicht leicht aus, selbst wenn man sich ihnen anpaßt.«

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