16

Claire Pack beobachtete sie von den Stufen aus, die zu der Rasenfläche hinaufführten. Sie trug einen knappen einteiligen Badeanzug, der ihre schlanke Figur vorteilhaft betonte. Sie stützte die Hände in die Hüften und zog die Augenbrauen hoch, als Connington die Zündung ausschaltete und die drei Männer aus dem Wagen kletterten. Die schmalen Träger des Badeanzuges hingen über ihre Schultern herunter.

»Das ist aber eine Überraschung, Doktor!« rief sie aus. »Ich habe mich schon gefragt, wann Sie uns wieder einmal die Ehre geben würden«, fügte sie lächelnd hinzu.

Connington war unterdessen um das Auto herumgegangen und sah sie ernst an. »Ich mußte Al nach Hause fahren. Die Sache scheint doch nicht ganz glatt über die Bühne gegangen zu sein.«

Sie warf einen kurzen Seitenblick auf Barker, der die Garagentür hochschob und sich ganz auf diese Tätigkeit zu konzentrieren schien. Dann fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »In welcher Beziehung?«

»Also, darüber kann ich dir wirklich keine Auskunft geben. Warum fragst du nicht Dr. Hawks?« Connington entnahm seiner Zigarrentasche eine neue Brasil. »Dein Badeanzug gefällt mir, Claire«, meinte er, als er an ihr vorbei die Stufen hinaufging. »Heute ist es eigentlich ziemlich heiß. Ich werde mir eine Badehose suchen und ein bißchen schwimmen. Du kannst dich ja in der Zwischenzeit mit den beiden Kameraden hier unterhalten.« Er grinste. »Übrigens — Al redet mich seit heute mit ›Sie‹ an Komisch, was?« Er zündete sich die Zigarre an, warf ihnen noch einen Blick zu und verschwand in dem Haus.

Barker setzte sich hinter das Steuer des Ferraris, ließ den Motor an und fuhr in die Garage hinein. Er gab kurz Vollgas, dann herrschte wieder Stille.

»Er fängt sich bestimmt wieder«, sagte Hawks.

Claire sah auf ihn hinunter, dann lächelte sie unschuldig. »Oh? Meinen Sie, daß er wieder normal wird?«

Barker knallte die Garagentür zu und ging an Hawks vorbei, ohne den Kopf zu heben. Er stieg die Treppe hinauf und blieb neben Claire stehen. »Ich gehe in mein Zimmer. Vielleicht schlafe ich ein bißchen. Ich möchte nicht gestört werden.« Er drehte sich um und sah zu Hawks hinunter. »Sie müssen hierbleiben, wenn Sie nicht wieder zu Fuß gehen wollen. Haben Sie sich das schon überlegt, Doktor?«

»Sie auch? Ich bleibe hier, bis Sie wieder aufstehen. Ich habe noch etwas mit Ihnen zu besprechen.«

»Viel Vergnügen dabei, Doktor«, meinte Barker und ging auf das Haus zu. Claire sah ihm nach, dann wandte sie sich wieder an Hawks.

»Irgend etwas ist passiert«, erklärte ihr Hawks. »Aber ich habe keine Ahnung, wieviel es bedeutet.«

»Darüber können Sie sich Gedanken machen«, sagte Claire leichthin und zeigte ihre schönen Zähne. »Wie steht es mit Ihnen, wollen Sie noch ewig dort unten stehenbleiben?«

Hawks seufzte. »Ich komme schon.«

Claire Pack lächelte vor sich hin.

»Sie können mir dort drüben Gesellschaft leisten«, schlug sie vor und deutete dabei auf das Schwimmbecken. Sie drehte sich um, bevor er antworten konnte, und ging voraus. Dann ließ sie die linke Hand hängen und berührte damit seine rechte, als er aufgeholt hatte und neben ihr herging. »Das macht Ihnen doch nichts aus, oder?« fragte sie leise.

Hawks sah einen Augenblick auf ihre Hände hinunter, und während er das tat, schob Claire ihre Finger in seine halbgeschlossene Hand. »Nein — nein, es macht mir nichts aus«, antwortete er langsam und schloß seine Finger um ihre Hand.

»Na, also«, sagte sie sanft und lächelte zu ihm auf.

Sie gingen an den Rand des Schwimmbeckens und sahen ins Wasser.

»Hat Connington neulich lange gebraucht, um sich von seinem Rausch zu erholen?« fragte Hawks.

Sie lachte lebhaft. »Was soll das, Doktor — Sie sind doch nur neugierig, warum ich ihn immer noch hier dulde, nachdem er sich so unmöglich aufgeführt hat? Antwort: warum eigentlich nicht? Was kann er mir schon anhaben?« Sie legte den Kopf auf die Seite, so daß ihr Haar in der Sonne glänzte, und sah ihn aus halbgeschlossenen Augen an. »Oder glauben Sie etwa, ich stünde völlig unter seinem Zauberbann?« fragte sie mit gespielter Angst.

Hawks wandte seine Augen nicht von ihrem Gesicht ab. »Nein, das wohl kaum.«

Claire zog eine Augenbraue in die Höhe und lachte leise. »Soll ich das als ein Kompliment ansehen? Al hat mir erzählt, daß Sie sich nur selten zu einer Konversation herablassen.«

Hawks steckte seine linke Hand in die Hosentasche. »Was hat Ihnen Al sonst noch über seine Arbeit erzählt?« erkundigte er sich. Er trat einen halben Schritt zurück.

Sie warf ihm einen langen Blick zu. »Wissen Sie, wenn ich Ihnen zu nahe komme, können Sie immer noch in das Becken springen«, meinte sie vertraulich. Dann lächelte sie vor sich hin, ließ seine Hand los und legte sich an den Beckenrand, so daß sie das Wasser sehen konnte. »Tut mir leid«, sagte sie, ohne dabei aufzublicken. »Ich war nur neugierig, ob Sie hineinspringen würden. Connies Urteil über mich ist richtig.«

Hawks setzte sich neben sie und sah sie von der Seite an. »In welcher Beziehung?«

Claire steckte eine Hand ins Wasser und bewegte sie langsam hin und her. »Ich muß einfach jeden Mann herausfordern — selbst wenn ich ihn erst zehn Minuten kenne«, sagte sie nachdenklich. »Ich kann nicht anders. Man könnte es vielleicht Neugier nennen.« Sie sah plötzlich zu ihm auf. »Und Sie dürfen es als Komplex bezeichnen, wenn Sie wollen.« Claire sah wieder ins Wasser. Einige Tropfen trockneten auf dem glatten Rand des Beckens ein. »So bin ich eben.«

»Wirklich? Oder sind diese freimütigen Bekenntnisse Teil Ihrer altbewährten Methode? War das nicht Effekthascherei?«

Diesmal drehte sie nur langsam den Kopf und sah mit einem leicht zynischen Lächeln zu ihm auf. »Sie sind wirklich geistesgegenwärtig, Doktor.« Claire verzog den Mund. »Wissen Sie bestimmt, daß ich diese Geistesanstrengung überhaupt wert bin? Was nützt Ihnen das schließlich?« Sie zog die Augenbrauen in die Höhe und lächelte herausfordernd.

»Ich überlege mir nie vorher, was mich interessieren sollte«, antwortete Hawks kurz. »Zuerst erregt etwas meine Aufmerksamkeit. Dann studiere ich es.«

»Dann sind Sie wohl sehr neugierig, nehme ich an.« Claire wartete auf eine Antwort. Hawks schwieg. »In jeder Hinsicht?« Hawks sah sie weiterhin ernst an, und ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. Plötzlich rollte sie herum, kreuzte die Arme und sah zum Himmel hinauf. »Ich gehöre Al«, stellte sie fest.

»Welchem Al?« fragte Hawks.

»Was geschieht mit ihm?« fragte sie langsam. »Was stellen Sie mit ihm an?«

»Ich weiß es selbst noch nicht sicher«, antwortete Hawks. »Aber ich versuche es zu erkennen.«

Sie richtete sich auf und lehnte sich zu ihm hinüber. »Haben Sie eigentlich ein Gewissen?« fragte sie. »Gibt es jemand, der Ihnen nicht wehrlos ausgeliefert ist?«

Hawks schüttelte heftig den Kopf. »Ihre Frage geht am Kern der Sache vorbei. Ich tue meine Pflicht. Sonst nichts.«

Claire schien von ihm geradezu hypnotisiert zu sein. Sie lehnte sich noch weiter zu ihm hinüber.

»Ich möchte nachsehen, ob Al in Ordnung ist«, sagte Hawks und erhob sich.

Claire hob den Kopf und sah zu ihm auf. »Hawks …«, flüsterte sie.

»Entschuldigen Sie mich, Claire.« Er ging um sie herum auf das Haus zu.

»Hawks …«, sagte sie heiser. Ihr Badeanzug war tief heruntergerutscht. »Sie müssen heute nacht zu mir kommen.«

Er ging weiter.

»Hawks — ich warne Sie!«

Hawks riß die Haustür auf und verschwand hinter dem sonnenüberglänzten Glas. Dann fiel die Tür mit einem Knall ins Schloß.

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