Nancy Etchemendy • USA
MOLLUSKENTRÄUME


Ellies Verwandlung begann im Waschsalon, genau in dem Augenblick, als ihr eine schreckliche Einsicht kam.

Es war ein Sonntagmorgen, ihr einziger freier Tag in ihren beiden Jobs als Serviererin und Putzfrau. Sie hatte die Wäsche der Familie gerade aus der Maschine geholt und die nassen Sachen in einen Rollkorb geworfen. Da kein Trockner frei war, stand sie wachsam am Ende der Reihe, wartete auf einen und machte sich währenddessen ein bißchen Sorgen um Robbies ausgebleichtes schwarzes T-Shirt, das an Carolines neuer pinkfarbener Shorts lag. Schließlich kam einer der Trockner zum Stehen, und sie fuhr ihren Rollkorb hinüber.

Es waren noch mehr Leute im Waschsalon. In einer Ecke saß ein pummeliger junger Mann, der Coke aus einer großen Flasche trank und einen Taschenbuchkrimi las. Ein älteres Paar in zueinander passenden Strickpantoffeln besetzte zwei Plastikstühle in der Reihe vor dem Fernseher an der Wand. Mehrere Frauen standen oder saßen im Raum verteilt. Eine legte Strümpfe zusammen; eine schwatzte kokett mit einem muskulösen Mann, dem die Dreadlocks bis zur Mitte des Rückens herabfielen; eine andere hatte sich schwer auf eine Bank sinken lassen, hockte nun vorgebeugt da, die Ellbogen auf den Oberschenkeln, und starrte Kaugummi kauend durch die großen Fenster auf etwas hinaus, das niemand außer ihr sehen konnte – etwas jenseits der Stadt und des Tales, jenseits der Berge, vielleicht sogar jenseits des fernen Ozeans.

Als der Trockner zum Stehen kam, rührte sich niemand. Ellie wartete darauf, daß jemand kam, aber dreißig Sekunden tickten dahin, und nichts geschah. Da sie es eilig hatte, öffnete sie den Trockner, holte sich einen leeren Rollkorb und begann, die trockene Wäsche des oder der Fremden darin zu stapeln.

Die Kaugummikauerin schaute in ihre Richtung. Ellie sah, wie die leere Miene der Frau zornig wurde, während sie sich hochhievte und angewalzt kam. »Moment mal, verdammt. Das ist mein Trockner.«

Ellie blieb für einen Moment reglos stehen. Ihre Gedärme krampften sich zusammen, und ihr Gesicht brannte. Sie hatte nicht die Absicht gehabt, jemanden in Rage zu bringen. Sie hatte nur so viel zu tun und so wenig Zeit. Es war nicht bloß die Wäsche, sondern auch der Lebensmitteleinkauf, das Essen für die Kinder, ihre schmutzige Wohnung, die darauf wartete, geputzt zu werden – der ewige Kampf darum, daß nicht alles in schreckliche Unordnung geriet. Sie hatte oftmals das Gefühl, die Zeit sei ihr Blut und jede Sekunde ein vergossener Tropfen, der nicht mehr aufzufangen war.

Sie richtete sich auf. »Ich hab gewartet, aber es ist niemand gekommen. Ich dachte, Sie wären fertig«, sagte sie.

»Das sind meine Wäsche und mein Trockner, und ich wär Ihnen dankbar, wenn Sie die Finger davon lassen könnten.«

Die Frau war jetzt näher. Sie hatte die Fäuste in die teigigen Hüften gestemmt, und ihre gefletschten Zähne hatten die Farbe von gelblichem Ocker.

Ellie holte etwas aus dem Trockner – eine Bluse, zwei Schlüpfer, sie wußte es nicht genau, sie sah nur, daß es schwarz war – und warf es absichtlich auf den mit Fusseln übersäten Boden.

Die Kaugummikauerin war jetzt ganz nahe, und ihre Nagetierzähne teilten sich zu einem kleinen, empörten Aufschrei. Sie wusch ihre Wäsche bei weitem nicht oft genug, und sie badete auch zu selten. In der feuchten, zugigen Luft des Waschsalons roch ihr Schweiß äußerst intensiv. Ellie wich zurück.

Die Frau griff nach Ellies Rollkorb. Ihre gelben Fingernägel entweihten die sauberen, nassen Kleidungsstücke, als Ellie sie am Handgelenk packte. Schweratmend standen die beiden Frauen einander gegenüber. In diesem einen, bernsteinfarbenen Moment nahm Ellie sich selbst sehr genau wahr. Die kleinen Details des Waschsalons wurden bedeutsam. Die schmierigen Fingerabdrücke an den abblätternden Wänden, an denen keine Maschinen standen; der gräuliche BH-Träger der Kaugummikauerin, der sich in ihre fleischige Schulter grub und nur zu sehen war, weil die Ausschnittkante ihrer Polyesterbluse eingerissen war; das melodische Klappern eines defekten Waschautomaten. Ellie sah, daß – sofern keine großen, geheimnisvollen Veränderungen in ihren Lebensumständen eintraten – ihre Träume niemals wahr werden würden. Ihr Mann würde nie eine regelmäßige Arbeit haben. Ihre Kinder würden nie aufhören, sie in Angst und Schrecken zu versetzen. Weder sie selbst noch ihre Kinder würden jemals aufs College geben. Das Chaos würde sie verschlingen, und ihr letztes Stündchen würde in einer schäbigen Bude schlagen, nachdem sie ihr Leben lang die Badezimmer anderer Frauen geputzt hatte.

Ellie blinzelte, ließ das Handgelenk der Kaugummikauerin los und fuhr ihren Rollkorb in eine andere Ecke des Waschsalons, wo sie sich hinsetzte und auf den nächsten freien Trockner wartete.

Sie war ohne den Wagen da. Den hatte sie zu Hause stehenlassen, weil Hurley, ihr Mann, nach der Schicht an der Tankstelle vielleicht noch zum Holzlager runterfahren wollte, um Holzreste für ein ›Projekt‹ zu besorgen, an dem er arbeitete. Er schwieg sich darüber aus, worum es sich dabei handelte, aber sie argwöhnte, daß es eine Destille war. Einer seiner Freunde behauptete, er würde 50 Dollar pro Monat sparen, weil er sich den Schnaps eigenhändig im Garten destillierte. Daß sie und Hurley keinen Garten hatten, würde ihren Mann nicht davon abhalten, es auszuprobieren. Hurley schien immer die schlechtesten Ideen anderer Leute zu stehlen. Warum hatte sie ihn geheiratet? Vom Gefühl her wußte sie keine Antwort mehr darauf, obwohl sie sich noch an die Gründe erinnerte – seine kindliche Leidenschaft, seine Energie, sein gutes Aussehen und seinen Charme. Früher einmal hatte sie geglaubt, daß er die Welt verändern würde, daß ihnen die Zukunft gehören würde wie eine reiche Ernte goldener Pflaumen. Das hatte genügt, um sie gegen die zahlreichen Pläne und Wünsche ihrer Eltern aufbegehren zu lassen. Eleanor, so hatten sie sie getauft, ein stolzer, hoffnungsvoller Name. Sie benutzte ihn nicht mehr, weil er viel zu hoheitsvoll wirkte für die Frau, die sie geworden war.

Die Kinder hatten ein Tretauto, mit dem sie seit Jahren nicht mehr spielten. Sie und Hurley hatten sich zu Weihnachten einmal Geld von Ellies Mutter geliehen, um es zu kaufen. Robby und Caroline hatten es draußen im Regen stehenlassen, und jetzt war es rostig, aber die Räder drehten sich noch. Ellie benutzte es oft, wenn sie zum Waschsalon ging, der nur ein paar Blocks von ihrer Wohnung entfernt war.

Als die Wäsche fertig war, legte sie sie zusammen und verstaute sie in einer Pappschachtel, die in das Wägelchen paßte. Sie setzte sich in Bewegung, schob sich langsam durch die sommerliche Luft wie durch eine warme, feste Masse. Als sie mit dem quietschenden Tretauto im Schlepptau am Seven-Eleven, dem KFC und einem heruntergekommenen Blumenladen vorbeikam, wurden ihre Schritte immer kürzer, bis sie schließlich ganz stehenblieb. Sie konnte kaum noch die Füße heben, geschweige denn ihr Leben verändern. Ein Meer leerer Zeit breitete sich vor ihr aus. Einen Moment lang geriet sie in Panik. Sie wußte, daß Hurley an ihrer Stelle in die nächste Bar gehen und trinken würde, bis das Geld alle war. Sie hingegen hatte schon gleich gar kein Geld – nur das Scheckbuch und zwei Zehncentstücke, die vom Waschsalon übriggeblieben waren. Dieser handfeste Gedanke belebte sie wieder ein bißchen. Sie schüttelte sich und ging langsam weiter nach Hause.

Ihre Wohnung befand sich in einem Schlackensteingebäude mit sechs Wohneinheiten, das mit Teerdachpappe gedeckt war. Gras und Blumen hatten einmal die Gehwege gesäumt, aber sie waren seit Jahren nicht mehr gepflegt worden und völlig überwuchert. Ellie blieb für eine Minute stehen, um eine Schnecke zu beobachten, die am schattigen Rand des Weges auf feuchtes Unkraut zuglitt. Es gab Leute, die Schnecken zertraten. Sie hatte das nie getan, obwohl sie nicht sonderlich viel für sie übrig hatte. An diesem Tag jedoch bückte sie sich, um sie genauer anzusehen. Sie fühlte sich auf merkwürdige Weise von dieser Schnecke angezogen. Ihr Gehäuse war von einem satten, streifigen Braun. Die vier winzigen Fühler bewegten sich vor ihr anmutig hin und her, während sie dahinglitt. Hinter ihr glänzte eine Schleimspur auf dem Beton. Überrascht ertappte Ellie sich bei dem Gedanken, daß sie alles in allem eigentlich ganz hübsch war.

Sie trug den Wagen die Treppe hoch und stellte ihn auf dem Absatz vor ihrer Wohnungstür ab. Die schwere Wäscheschachtel auf einem Arm, entriegelte sie mit der freien Hand die Tür und drehte den Knauf. Sie konnte die Kinder drinnen streiten hören.

»Furz, Furz, Furz, Furz! Ich sag’s, wann ich will!« Das war Robby, neun Jahre alt, ein zäher Klumpen zumeist dem Fernsehen entnommener Charakterzüge.

»Ist mir scheißegal, was du sagst, Arschgesicht. Hauptsache, du läßt deine verpißten kleinen Pfoten von meinem Experiment.« Und das war Caroline, die mit ihren zehneinhalb Jahren besser fluchen konnte als die abgebrühtesten Verbrecher.

»Ich bin wieder da«, rief Ellie, als sie die Tür aufstieß. Manchmal reichte das schon, um das Gezänk zum Verstummen zu bringen. Immer öfter aber nicht.

»Mom, Caroline verstümmelt schon wieder Käfer.«

Caroline saß mit einem Vergrößerungsglas und einer Rasierklinge in der Küche. Ein Einmachglas mit drei Ohrwürmern darin stand vor ihr auf dem Tisch. Einer der Ohrwürmer, der nur noch die Hälfte seiner Beine hatte, drehte kleine, verzweifelte Kreise auf dem Boden des Glases. Das merkwürdige Gefühl der Ziellosigkeit, das Ellie draußen vor dem Waschsalon befallen hatte, senkte sich wieder auf sie herab. Sie versuchte es zurückzudrängen.

»Hör auf damit, Caroline. Du weißt, daß man das nicht tut«, sagte sie, aber selbst sie hörte, wie wenig überzeugend es klang.

»Zwing mich doch«, sagte Caroline grinsend und warf ihr einen kurzen Blick zu. Gestern hätte Ellie ihr dafür eine runtergehauen. Aber jetzt sah sie, daß es Energieverschwendung war. Wie Hurley oftmals demonstriert hatte, waren Ohrfeigen seit dem Krabbelalter ohne sichtbare Auswirkungen auf das Benehmen des Kindes geblieben. Je nach ihrer Stimmung verfiel Caroline entweder in eine wilde Wut- und Trotzphase, die tagelang anhielt, oder sie grinste spöttisch und lachte gekünstelt, fast so, als gefiele es ihr und als wolle sie mehr.

Als Caroline sah, daß die übliche Reaktion ausblieb, versuchte sie es erneut. »Dein perfekter kleiner Liebling hat seine dreckigen Schuhe auf dem Wohnzimmerteppich abgestreift. Ist dir das auch egal?«

Ellie schaute an Caroline vorbei ins Wohnzimmer. Sie sah nicht viel Schmutz. Sie dachte wieder an die Schnecke – wie sie dahingeglitten war, unnahbar und distanziert, und sich ganz einfach nur um ihre Schneckenangelegenheiten gekümmert hatte, ohne sich für etwas anderes als das unmittelbare Überleben zu interessieren. Die Luft war wieder warm und gelatinös geworden. Sie bewegte die Finger langsam vor dem Gesicht hin und her.

»Ja«, murmelte sie. »Das ist mir egal.«

Die Kinder starrten sie mit offenem Mund an, als sie die saubere Wäsche auf dem Tisch abstellte, statt sie sofort ordentlich in Kommoden und Schränken zu verstauen. Sie machte sich schläfrig auf den Weg zu ihrem Zimmer und dachte dabei an den schnellen, aber intensiven Sex, den sie und Hurley manchmal in ihrem durchgelegenen Bett hatten. Das war etwas richtig Tolles an ihm, diese Fähigkeit, sich von nichts ablenken zu lassen, wenn er sie anfaßte, so daß sie in seiner ungeteilten Aufmerksamkeit badete und sich verehrt und geliebt fühlte, wenn auch nur für kurze Zeit. Vielleicht war sie deshalb so lange bei ihm geblieben, obwohl sie sich innerlich ziemlich leer fühlte.

Falls die Kinder sie überhaupt liebten, so wollten oder konnten sie es nicht zeigen. Wahrscheinlich würden sie es merken, wenn ihre Mutter sie verließ, weil ihnen niemand mehr die Klamotten waschen und hinter ihnen herräumen würde, und dann wären die Schränke bald leer. Ellie hatte Angst davor, was aus Robby und Caroline werden würde, wenn sie die beiden in Hurleys Obhut zurückließ. Sie liebte sie, wie sie auch Hurley auf ihre Art liebte. Mochten sie sein, wie sie wollten, sie konnten nichts dafür. Ihr Vater war unberechenbar, trank zuviel und schlug sie häufig in seiner Wut und seiner Frustration. Sie selbst war ebenfalls schuld. Sie hatte es nie geschafft, sich Zeit für sie zu nehmen. Die Kinder hatten sie immer nur als Arbeitstier erlebt – erschöpft, unkonzentriert und nervös. Für all das konnten sie nichts. Sie hatten es nicht verdient, von Hurleys klobigem Absatz zertreten zu werden, selbst wenn es nur aus Versehen geschah.

Während sie diese schrecklichen Dinge dachte, legte sich die Verzweiflung auf ihre Schultern, und ihre Augen begannen zu brennen. Sie hatte ihr Bestes getan, aber es war nicht genug, es würde nie genug sein. Robby flatterte wie ein fröhlicher Nachtfalter um sie herum. Seine Stimme drang wie durch Haferschleim an ihr Ohr. »Mom, der Teppich fühlt sich so eklig an. Er ist ganz schmutzig. Willst du nicht staubsaugen? Und wie steht’s mit Essen? Ich hab Hunger. Es ist nichts zu essen da. Gehst du nicht einkaufen?«

»Ich kann nicht«, sagte sie. »Tut mir leid.« Sie legte sich aufs Bett und schloß die Augen.


Sie hatte einen lebhaften, detaillierten Traum, in dem sie die Schnecke war, die sie auf dem Weg draußen gesehen hatte. Dunkelheit umhüllte sie, und die Geräusche der Nacht waren gewaltig und schön. Da sie keine Ohren hatte, hörte sie sie nicht, sondern fühlte eher ihre Vibrationen in den flüssigen Zellen ihres weichen Körpers. Grillen zirpten nicht nur; sie summten wie die Pfeifen von Kirchenorgeln. Die abendliche Brise wisperte in seidigen Strömen um sie herum. Es war eine trockene Nacht, kein Regen und nur wenig Tau. Auf einer Schleimspur, die auf angenehme und befriedigende Weise von ihrer Fußdrüse abgesondert wurde, glitt sie über ein großes, duftendes Blatt. Sie wollte den Rand erreichen, um dort zu fressen. Die Muskeln ihres Fußes zogen sich in geschmeidigen Wellen zusammen und trugen sie stetig voran. Der Wohlgeruch des Blattes überflutete und durchströmte sie. Sie richtete ihre Augenstiele nach unten, um den Lichtschimmer im Dunkeln zu sehen, als sie dem Rand näherkam. Dann war es endlich soweit: Sie streckte ihre mit kleinen Zähnchen besetzte Radula aus und schabte damit eifrig über die delikate grüne Blattspreite. Das Blatt sang für sie, und sie sang für das Blatt. Ehre sei dir, du gutes, saftiges Blatt, mögen alle Steine, alle Bäume, alles, was des Nachts kreucht und fleucht, deinen Namen preisen.


Es fiel ihr schwer, sich aus dem Traum zu lösen. Sie wollte es nicht, aber die menschliche Welt drängte sich hinein und kratzte an ihr, bis die Schneckenwelt verschwand.

»Hallo, Schatz, wann gibt’s Abendessen? Die Kinder haben Hunger. Wann wachst du endlich auf, Schatz?«

Sie schlug die Augen auf und blinzelte, gelähmt von der Fremdartigkeit von Hurleys Gesicht, dessen Kinnpartie von einem stacheligen, bläulichen Eintagebart bedeckt war. Sie fühlte sich innerlich kalt, beraubt, als hätte sie etwas Wertvolles unwiederbringlich verloren. Er langte lächelnd nach unten und rieb ihr mit dem schwieligen Daumen über den Mundwinkel.

»Was ist das?« sagte er. »Hast du Hustensaft getrunken oder so?« Dieser Gedanke schien ihn zu amüsieren. Sein Lachen rüttelte ihr Gehirn durch.

Sie setzte sich auf und rieb sich mit dem Handrücken über die Lippen, um den Benzingeschmack seines Daumens loszuwerden. Auf ihrer Haut blieb ein blaßgrüner Fleck zurück. Ähnliche grüne Punkte sprenkelten ihr Kissen. Sie starrte sie wie versteinert an. Sie erinnerte sich sehr genau, wie sich das Blatt in ihrem Mund angefühlt hatte. Der Wiesengeschmack kitzelte sogar noch immer ihre Zunge. Sie bückte sich und schnupperte am Kissen. Der Duft von frischgemähtem Gras stieg von dem feuchten Stoff auf, unbestreitbar und schockierend.

Sie sprang mit einem Satz aus dem Bett. Hurley fuhr erschrocken zurück und verzog ungläubig das Gesicht, als sie sich die Bluse vom Leib riß, so daß Knöpfe absprangen und Nähte aufplatzten. Sie stieß sie mit dem Fuß in eine Ecke, stand zitternd da und wagte es nicht, den Blick von ihr zu wenden, aus Angst, die Welt um sie herum könnte sich in Blätter verwandelt haben, die größer waren als Menschen.

Nach einem Augenblick verwirrten Schweigens setzte Hurley ein pfiffiges Grinsen auf. »Noch nicht ganz wach, hm? Muß ja ’n toller Traum gewesen sein«, sagte er und ließ seinen Worten ein schallendes Gelächter folgen. Er kam herüber und kniff sie in den Hintern. »Na ja, um die Zeit solltest du eh auf sein. Kannst doch nicht wie die Königin von Saba um acht Uhr abends im Bett liegen. Hoffentlich bist du nicht krank oder so. Du mußt morgen zur Arbeit.«

Hurleys Worte über die Arbeit und die Uhrzeit brachten sie rasch wieder in die Wirklichkeit zurück. Sie zwinkerte die Traumvision weg und fuhr sich mit der Zunge im Mund herum, um den grünen Geschmack zu beseitigen. Auf einmal war sie wütend auf sich, weil sie die Bluse kaputtgemacht hatte.

»Keine Sorge«, sagte sie und strich sich die feuchten, zerzausten Haare glatt. »Ich mach was zu essen. Hast du Hunger?«

»Nein. Ich hab ’n paar Bier getrunken.«

»Von Bier allein kann man nicht leben.« Ellie zog eine Schublade auf und schlüpfte in ein altes T-Shirt.


In der Küche fühlte sie sich sonderbar losgelöst und wacklig. Was, wenn sie nun wirklich krank war? Ein kleiner Blitzstrahl der Panik durchzuckte sie. Sie konnte es sich nicht leisten, nicht zur Arbeit zu gehen.

»Mom ist auf, Kinder!« rief Hurley.

Robby tanzte wie ein aufgeregtes Hündchen um sie herum, als sie sich die Schürze umband. »Was gibt’s zu essen, was gibt’s zu essen, was gibt’s zu essen?«

Caroline, die mit einer Flasche schillernden Nagellacks am Tisch saß, zeigte ihm einen Vogel. »Halt die Klappe, du Stinktier. Was interessiert’s dich überhaupt? Du hast grade drei Twinkies gefressen.«

Ellie seufzte und machte den Küchenschrank auf. Eine Dose Thunfisch, eine Dose Erbsen, ein Beutel Kartoffelchips. Sie hatte schon mit weniger eine Mahlzeit hingezaubert. Während sie den Griff des Dosenöffners drehte, dachte sie plötzlich wieder an das Blatt – das schmackhafte, feuchte Blatt, das delikat an ihrem Mund vibrierte. Die Erinnerung war so real, daß sie einen Schreck bekam. Sie schnappte nach Luft und ließ die Dose fallen, so daß sie Erbsenwasser vom Boden aufwischen mußte. Caroline lachte, aber Hurley und Robby starrten sie mit einem Gesichtsausdruck an, in dem fast so etwas wie Besorgnis lag.

Die saubere Wäsche stand noch auf dem Tisch, wo Ellie sie hingestellt hatte. Das Hemd obenauf war mit Twinkie-Krümeln und Creme verschmutzt. Ohne die Krümel wegzuwischen, nahm Ellie die Stapel von Blusen, Unterwäsche und Shorts und legte sie neben Hurley, der gerade fernsah, auf die Couch. Während sie das Essen machte, träumte sie mit offenen Augen von Schnecken. Sie füllte drei Teller, brachte sie ins Wohnzimmer und stellte sie Robby, Hurley und Caroline, die nur Augen für ›Americas Funniest Home Videos‹ hatten, auf zusammenlegbaren Tabletts hin. Sich selbst stellte sie auch einen Teller hin, aber sie aß nicht viel. Die Erbsen waren in Ordnung; bei dem Gedanken an Thunfisch wurde ihr übel. Als sie die Reste ihres Essens in den Müll kratzte, wehte der Geruch der kühlen Abendluft durchs Küchenfenster herein. Grillen zirpten leise. Sie schaute hoch.

Auf dem Fensterbrett stand ein Glasgefäß mit einer Schnecke darin. Das weiche Fleisch ihres Kopfes war säuberlich mit einer Stecknadel durchbohrt worden. Vor Ellies Augen zog sich die Schnecke zusammen, um in ihr Gehäuse zu schlüpfen; von der Nadel gestoppt, schob sie sich wieder heraus. Dieser Vorgang wiederholte sich mehrmals, bis Ellie ihr Entsetzen endlich soweit überwand, daß sie den Deckel des Glases abschrauben konnte.

Sie zögerte. Mit Schneckenschleim kannte sie sich aus. Den bekam man nicht mal mit Seife wieder ab. Aber da war die Schnecke, die immer wieder die Stecknadel gegen ihr Gehäuse rammte und sich in dem törichten Bestreben, sich zu schützen, das eigene Fleisch zerriß. Sie hielt die Luft an, drückte eine Seite des glitschigen Kopfes mit dem Zeigefinger nieder und zog die Nadel heraus. Sie hörte ein Geräusch, ein leises Quietschen. Vielleicht war es nur die Flüssigkeit gewesen, die in den Raum geströmt war, den vorher die Nadel eingenommen hatte. Konnten Schnecken schreien? Spürten sie Schmerz? Sie wußte es nicht.

Die Schnecke lag ausgestreckt unter ihrem Gehäuse. Sie bewegte sich nicht mehr. Mein Gott, ich habe sie umgebracht! dachte Ellie. Sie begann zu weinen. Es gelang ihr nicht, das leise zu tun.

Hurley kam in die Küche gestampft. »Was ist denn?« rief er. »Ich kann den Fernsehton nicht mehr hören!«

»Caroline!« kreischte Ellie.

Caroline kam hinter ihrem Vater hereingeschlendert. Sie tat so, als würde sie ihre Fingernägel begutachten. Ihre Lippen zuckten in einem merkwürdigen, nervösen Grinsen. »Was ist?« sagte sie.

»Was, zum Teufel, hast du dir dabei gedacht?« schrie Ellie, hielt ihrer Tochter das Gefäß mit der toten Schnecke vor die Nase und schüttelte es.

Caroline verdrehte die Augen. »War doch bloß so zum Spaß. Nun flipp nicht gleich aus, Herrgott noch mal.«

Ellie schlug Caroline ins Gesicht. Einmal, zweimal, dreimal. Sie hätte weitergemacht, wenn Hurley nicht ihr Handgelenk festgehalten und ihr befohlen hätte, damit aufzuhören, es sei doch nur eine verdammte Schnecke. Carolines Grinsen war verschwunden und einer so ungeheuren Wut gewichen, daß sie nur in Form eines unartikulierten Gebrülls zum Ausdruck kam.

Ellie ging zur Wohnungstür hinaus. Ihre Finger, die das Glasgefäß umfaßten, waren weiß. Sie ging die Treppe hinunter und trat auf den Weg mit dem unkrautüberwucherten Rand. Dort, zwischen kühlem dunklen Löwenzahn und Schwalbenwurzgewächs, legte sie die tote Schnecke hin. Sie wischte sich die Tränen mit dem T-Shirt ab und dachte kurz und beklommen an ihre zerrissene Bluse mit den grünen Flecken. Nach einer Weile ging sie wieder nach oben, zog sich aus und ging zu Bett. Der stille Teich des Schlafes zog sie an, und sie fiel trotz Carolines bitterem Gekreisch im anderen Zimmer wie ein Stein hinein.


Diesmal unterbrach sie der Geruch einer anderen Schnecke beim Fressen. Andere ihrer Art hatten eine elementare, normale, vertraute Ausdünstung von großen Gewässern und eßbaren Dingen – Pilzen, Zwiebeln, Keimblättern, frischem Dung. Diese andere hatte gerade die würzigen Blütenblätter einer Ringelblume verspeist. Aber da war auch noch etwas anderes: ein Duft der Reife und des Verlangens, der sie anzog. Sie kroch den Stiel hinunter. Zwischen ihr und der anderen lag ein Feld aus Steinen, und zwischen den Steinen ein dicker Mulch aus vertrockneten Eichenblättern. Die feste Freundlichkeit der Steine war leicht. Aber die Eichenblätter hatten dornige Ränder und eine ätzende Haut, die brannte und prickelte, als sie darüber hinwegkroch. Das erregte sie.

Sie wußte von den schlichten Versammlungen, die täglich zu Beginn des Sonnenaufgangs stattfanden, wenn die ersten Raubvögel sich regten und der Tau als Nebel aufstieg, der bald verdunsten und eine zu trockene Welt hinterlassen würde. Zu dieser Zeit wurden die Grenzen zwischen Licht und Schatten scharf, und die Sonne erhitzte ihr Gehäuse. Dann sammelten sie und die anderen sich an einem Platz, in der verborgenen Kühle und Feuchtigkeit unter Sukkulenten, unter Steinen oder im Schatten nahe bei einem tropfenden Wasserhahn. Dorthin zogen sie sich zurück, legten sich Haus an Haus und blieben bis zum Einbruch der Dunkelheit reglos liegen. Sie waren ihr wohlvertraut, diese Rituale des beiläufigen Kontakts, des aneinander Entlanggleitens, der wechselseitigen Erforschung von Fühlern und Drüsen, des kurzen Austauschs von Schleim und Geruch.

Worauf sie sich jetzt zubewegte, war anders und sehr viel einladender. Der kräftige Duft der anderen wurde stärker – Blitze, Harz, das Meer, der Geruch eines schlichten Wunsches. Die Eichenblätter stachen sie, so unerträglich wie eine juckende Stelle, die man sich nicht kratzen konnte, bis sie zu einem Fleckchen bloßer Erde gelangte und ihre Partnerin dort fand, ebenso erwartungsfroh wie sie selbst. Sie drückten ihre Unterseiten aneinander. Oh, wie herrlich sie auf ihren Schneckenhäusern rollten und sich an den empfindlichen Stellen hinter den Köpfen zwickten, während Sterne die Nacht über ihnen durchbohrten und eine Spottdrossel in der Ferne das Lied der Gefahr sang. Hermaphroditisch drangen sie ineinander ein, gesalbt und jubilierend, und wurden wechselseitig durchdrungen. Wie anders dies für jenen Teil von ihr war, der sich als Ellie kannte. Hurley tat ihr trotz seiner atemlosen Aufmerksamkeit häufig weh, ohne sie dafür zu entschädigen. Und wenn er sie später fragte, wie es ihr gefallen hatte, mußte sie lügen, um seine Gefühle zu schonen. Solche Probleme gab es nicht bei den Schnecken, für die das Kopulieren ein unkompliziertes Fest war, bei dem nichts als das Begehren und die Erfüllung eine Rolle spielten.

Sie machten noch stundenlang weiter, bis sie sich schließlich erschöpft trennten und sich von der Morgensonne wärmen ließen. Bevor die Feuchtigkeit der Nacht verschwand, fand Ellie einen Platz und schlief dort, ohne zu träumen.


Das Bett war naß. Das Kissen war naß. Ihre Unterwäsche war naß. Strahlender Sonnenschein fiel zum Fenster herein. Es war fürchterlich heiß, und Hurley schrie auf sie ein.

»Was, zum Teufel, ist denn hier los? Hast du ins Bett gemacht oder was?«

Ellie zwang sich, die Augen zu öffnen. Sie waren trocken und sandig und taten weh. Sie wollte sie wieder schließen. »Wasser«, krächzte sie. »Ich hab Durst.«

»Durst!« brüllte Hurley. Er stand nackt neben dem Bett, mit schlaffem Penis; die Adern an seinem Hals traten hervor. »Dir werd ich’s zeigen! Wenn du so verdammt durstig bist, dann trink das hier!« Er packte sie am Hals und drückte ihr Gesicht in die durchnäßten Laken. Seine beiläufige kleine Brutalität brachte sie zum Weinen. Das Schluchzen fing sich rauh in ihrer Kehle, aber sie war so ausgedörrt, daß keine Tränen kommen wollten.

Hurley ließ sie mit einem angewiderten kleinen Stoß los. »Hör auf zu plärren und mach, daß du aus dem Bett kommst. Du mußt in einer halben Stunde bei der Arbeit sein.« Er stürmte aus dem Zimmer. Sie hörte die Klospülung rauschen.

Ellie lag mit der Wange in der kühlen Feuchtigkeit. Es war kein Urin. Sie hatte einen sauberen, schlichten Geruch, wie Salzwasser. Sie dachte an ihre Kindheit zurück, an eine Ferienreise ans Meer, nur sie und ihre Eltern und Tuffy, ihr brauner Hund. Jetzt war Tuffy tot, ihre Eltern waren weit weg, und obwohl sie nur dreißig Meilen vom Meer entfernt lebte, wußte sie nicht mehr, wann sie es zuletzt gesehen hatte. Himmel, hatte sie einen Durst. Aber sie fühlte sich zu schwach, um allein aufzustehen.

»Mom, Mom?«

Sie drehte den Kopf und sah Robby mit einem großen, tropfenden Becher in der Hand am Bett stehen.

»Nicht weinen, Mom. Ich hab dir Wasser gebracht«, sagte er. »Du siehst krank aus. Bist du krank?« Seine Augen waren groß und ängstlich.

Sie griff nach dem Becher und trank Robbys lauwarmes Geschenk gierig in sich hinein. Als sie fertig war, zerzauste sie ihm das Haar. Er roch immer noch so, wie er als Baby gerochen hatte, verschwitzt und süß. Liebe zu ihm spülte in einer großen, kühlen Welle über sie hinweg. »Ist bloß eine kleine Infektion«, sagte sie. »Mach dir keine Sorgen. Mir geht’s gut.«

Robby nickte und wandte sich ab. Sie griff nach seiner Hand. »Schnurzelchen?« sagte sie. Als ihr der Kosename entschlüpfte, merkte sie, wie lange sie ihn schon nicht mehr benutzt hatte.

Robby runzelte die Stirn. Jetzt fiel ihr auch wieder ein, warum nicht. Zu alt. Er war viel zu alt für Kosenamen.

»Danke«, sagte sie. »Das Wasser war köstlich.«

Er nickte erneut. »Was gibt’s zum Frühstück?« fragte er.


Sie brauchte lange, um sich zur Arbeit fertigzumachen, und so kam sie zu spät zu Mrs. Boyle, bei der sie jeden Montag vormittag putzte. Alles bewegte sich in Zeitlupe. Die Luft umströmte ihre Haut wie heiße, gelierte Bouillon. Sie wußte, daß sie Fieber hatte, aber sie hatte ihre Temperatur nicht gemessen. Wozu auch? Sie hatten kein Geld für den Arzt, und sie konnte es sich erst recht nicht leisten, zu Hause zu bleiben und sich ins Bett zu legen.

Die arthritische Mrs. Boyle, die normalerweise ruhig und reserviert war, schalt sie mit schriller Stimme. »Ich schätze es gar nicht, wenn Sie zu spät kommen. Sie könnten mich wenigstens anrufen. Glauben Sie, ich habe nichts anderes zu tun, als dazusitzen und auf Sie zu warten?«

Ellie hatte Mrs. Boyle noch nie aus dem Haus gehen sehen. Sie hatte in dem Haus noch nie das Telefon klingeln hören. Mrs. Boyles Wagen stand in der Garage; die Reifen waren platt und die Fenster trübe vom Staub. Er war seit Jahren nicht mehr bewegt worden. Sie dachte, daß Mrs. Boyle wirklich nichts anderes zu tun hatte, als dazusitzen und auf sie zu warten. Aber Ellie war nicht in der Position, das auch laut zu sagen.

Sie starrte auf den glänzenden Holzboden. »Nein, Ma’am«, sagte sie leise. Sie blickte wieder auf. Selbst diese kleine Bewegung erforderte einen erheblichen Kraftaufwand. »Ich fühle mich heute morgen nicht wohl. Tut mir leid.«

»Sie fühlen sich nicht wohl?« Mrs. Boyle hatte scharfe, mausähnliche Augen. »Dann gehen Sie lieber nach Hause. Na los!«

Eine kleine Aufwallung von Furcht ließ Ellies Hände zittern. Sie brauchte die vierzig Dollar. »O nein, Mrs. Boyle. Ich bin nicht krank.«

»Sind Sie nun krank oder geht es Ihnen gut? Sie sehen schrecklich aus. Gehen Sie nach Hause!«

Als Ellie vor Bestürzung wie festgenagelt stehenblieb, ohne zu reagieren, schnaubte Mrs. Boyle ungeduldig. »Falls Sie sich wegen Ihres Lohns Sorgen machen, dann bezahle ich Sie, damit Sie gehen.« Sie gab Ellie das Geld, wobei sie sorgfältig darauf achtete, ihre Hand nicht zu berühren. »Gehen Sie heim und ruhen Sie sich aus, und kommen Sie erst wieder, wenn Sie gesund sind.«


Hurley hatte sie abgesetzt und den Wagen für nicht näher ausgeführte Besorgungen mitgenommen. Sie mußte nach Hause laufen. Mit dem Auto brauchte man nur eine Viertelstunde, aber zu Fuß – und wenn man krank war – dauerte es unendlich viel länger. Sie schaffte es, indem sie an nichts anderes dachte als an die Wiederholung der immergleichen Bewegung. Über eine Stunde später machte sie die Wohnungstür auf, zu benommen, um auch nur ihr Bett zu finden.

Caroline funkelte sie vom Küchentisch her an, wo eine neue Schnecke in einem Glasgefäß saß und langsam austrocknete.

Robby nahm Ellie am Arm und führte sie ins Schlafzimmer. »Du wirst schon wieder«, sagte er. Er weinte. »Ich mach mir mein Essen selber. Ich tu alles, was du willst.«

»Du bist so ein Rindvieh, Robby. Du sagst alles, wenn du Angst hast«, brüllte Caroline. »Sie tut doch nur so. Sie will uns nur beweisen, wie sehr wir sie brauchen.«

Ellie legte sich komplett angezogen aufs Bett und spürte, wie sich ganze Schweißbäche einen Weg über ihre Haut bahnten. Sie hörte ein Klicken – das Geräusch, mit dem ihr Gehäuse gegen etwas Hartes und Glattes stieß. Sie war allein. Nirgends war Wasser. Ein saftiges Blatt hätte ihr Unbehagen vielleicht gelindert, aber sie konnte keine Blätter finden, weder feuchte noch trockene, und auch keine andere Nahrung. Sie konnte auch keinen Platz finden. Wohin sie sich auch wandte, vor ihr lag eine helle, fugenlose Fläche, die nach sterilem Sand stank.

Caroline kam mit dem Glas in der Hand herein. Ellie sah die Unterseite des Fußes der Schnecke, die über das Glas kroch. Hell und dunkel. Sich bewegende Streifen. Sie wollte, daß Caroline sie freiließ. Sie versuchte es ihr zu sagen, aber sie konnte nicht sprechen, kam nicht vom Bett hoch. Sie konnte nur erschöpft auf dem Glasboden entlangkriechen, sich selbst durch das Glas hindurch anstarren, einen Klumpen stinkendes Fleisch, in schweißgetränkten hellen Stoff gehüllt. Sie kämpfte, um sich von der Schnecke zu befreien. Sie wollte gesund sein, wollte aufstehen und die Wohnung putzen, die Kleider zusammenlegen und Robby das Essen machen. Aber sie kam nicht heraus, so sehr sie sich auch bemühte. O Gott, wie sehr sie sich danach sehnte, draußen zu sein, an einem nassen, dunklen Ort, und von kommenden Nächten zu träumen, von Kopulation und Eiern und jungen Pflanzen.

Caroline nahm den Deckel des Glases ab. Einen Moment lang jubilierte Ellie innerlich. Dann sah sie, was ihre Tochter in der Hand hielt. Es war eine Stecknadel.



Originaltitel: ›MOLLUSC DREAMS‹ • Copyright © 1995 by Nancy Etchemendy • Erstmals erschienen in ›Xanadu 3‹, hrsg. von Jane Yolen, Tor Books, Januar 1995 • Mit freundlicher Genehmigung der Autorin • Copyright © 1996 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München • Aus dem Amerikanischen übersetzt von Peter Robert


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