»GONNA CHANGE MY WAY OF THINKING«
Daß Dylan seine musikalische Laufbahn aufgeben würde, um ein Impresario für Computer-Software zu werden, hätten nur wenige von uns ahnen können. Nicht daß diese weltberühmte Persönlichkeit – in ihren verschiedenen selbstbewußten Verkleidungen als tuberkulöser Poet, Blues-Gitarrist, chaplinesker Tramp, Folkrock-Hero, Bürgerrechts- und Antikriegs-Aktivist, elektrischer Surrealist, Country- und Western-Troubadour, selbsternannter Erbe von Elvis, charismatischer christlicher Balladensänger und reuiger Jude – in ihren erstaunlichen mehr als vierzig Jahren nicht jede Menge Verwandlungen durchlaufen hätte. Natürlich hatte Dylan sich schon ein dutzendmal neu erschaffen, immer auf eine Art, die unbestreitbar – wenn auch vielleicht etwas mysteriös – von seiner fortlaufenden Suche nach Selbstdefinierung, Sinn und einem letzten Ziel zeugte; kurz, von seiner Suche sowohl nach Heiligkeit als auch nach Gott.
Nun jedoch suchte Dylan all dies anscheinend in der modernen terra incognita des Mikrochips. Oder, wenn das zu übertrieben ist, in der neuen spirituellen Ästhetik eines Software-Entwicklers mit fast unbegrenztem Kapital, einer Publizität und einem Verteilernetz ohnegleichen und der Art von persönlicher Anziehungskraft, für die selbst ein dynamischer Vizepräsident einer Firma zum Mörder werden würde, ganz zu schweigen von einem mobilen, aufstrebenden Vertreter.
Aber Dylans jüngste Wendung um 180 Grad traf die Doyens der zeitgenössischen populären Kultur noch unvorbereiteter als sein Wechsel vom akustischen Folk zur harten, treibenden, elektrisch verstärkten Musik, den das Erscheinen des 1965er Albums Bringing It All Back Home dokumentiert. Sie verblüffte sie noch mehr als seine Metamorphose 1969 zu so was wie einem neuen, zu Hoffnung Anlaß gebenden Ernest Tubb mit einem Frosch im Hals. (Man höre sich Dylans disharmonisches Einleitungs-Duett mit Johnny Cash bei Girl Front the North Country auf Nashville Skyline an.) Ganz gewiß überraschte sie sie mehr als sein Wiederauftauchen Mitte der Siebziger als scharfer Sozialkritiker und Bilder produzierender Kartograph des menschlichen Herzens auf Alben wie Blood on the Tracks und Desire. Sie schockierte, beunruhigte und empörte sie auch mehr als Dylans Übernahme eines inbrünstigen religiösen Fundamentalismus; eine sinnverwirrende Änderung der Schutzfärbung, die unser Chamäleon der Welt auf seinem 1979er Album Slow Train Coming offenbarte.
Immerhin hatten sich die vorstehenden Verwandlungen im Kontext seiner Laufbahn als Musiker abgespielt, oder sie hatten zu ihrer Zufriedenheit doch zumindest in diesem Kontext Ausdruck gefunden.
Jetzt jedoch scheint er seine Musik – sein hauptsächlich und beredtestes Mittel zur Definition der Dillon-Rolle – völlig aufgegeben zu haben, nur um ein weiterer Fußsoldat in der Computer-Revolution zu werden. Wie fast jeder weiß, gibt es heute mehr Möchtegern-Programmierer als Möchtegern-Gitarristen oder Anfänger auf der Mundharmonika. Warum sollte da dieses einzigartige Talent in der amerikanischen Musik sein Geburtsrecht verwirken, um sich auf ein technologisches Unternehmen zu verlegen, das anscheinend zu etabliert war, als daß er damit klarkommen und es dann in Richtungen lenken konnte, die mehr Erfüllung brachten? Die Antwort liegt natürlich in Dylans Einschätzung des Unternehmens als einem Weg zur spirituellen Offenbarung – zur Heiligkeit und zu Gott –, der möglicherweise erfolgversprechender und lohnender war als das Schreiben von Songs oder die Selbstaufopferung auf der Bühne. Und selbstverständlich würde nur ein Dummkopf versäumen, die Skeptiker zu warnen, daß Dylan bei keiner Anstrengung, die er unternimmt, lange eine Null bleiben kann. Tatsächlich ist er in nur einem Jahr von einem (zugegebenermaßen finanziell gut ausgerüsteten) Fußsoldaten der Computer-Revolution zu einem (wahrhaft innovativen) Feldmarschall in den sich ständig ausweitenden Software-Kriegen dieses Landes geworden.