Einmal beurteilte ein bärtiger Maler seine Lage und zog daraus eine weise Schlußfolgerung: keine Bilder zu verkaufen (wie das bisher sowieso der Fall gewesen war) oder diese zu verschenken kommt eigentlich auf ein und dasselbe heraus, mit anderen Worten: ist völlig gleich. In beiden Fällen hatte er zwar keine Chance, Geld zu bekommen, aber doch eine Hoffnung, daß seine Bilder unter diejenigen kamen, für die er sie gemalt hatte. Er malte in der Tat wunderschöne und gleichzeitig geheimnisvolle Bilder. Er wußte, sie wurden lebendig, wenn vor ihnen jemand wenigstens auf kurze Zeit verweilte, damit sie ihm auf der Netzhaut haften blieben, ähnlich wie die Farbe des Himmels es tut – wenn wir nach oben schauen.
Und so nannte er seine neue Ausstellung ›Bilder gratis‹.
Doch die Leute glaubten dem Aushängeschild vor dem Ausstellungssaal ebensowenig, wie es ihnen die Vorstellung erlaubte, daß sie etwas Kostbares umsonst erlangen könnten. Darüber hinaus waren sie auch – im Unterschied zu dem Maler – vollkommen übersättigt. »Das wird sicher irgendein Tinnef sein«, sagte der Kleinhändler von gegenüber. Andere beschleunigten vor dem Ausstellungssaal ihre Schritte, weil sie dachten, da sei ein Haken dabei. Andere, und zwar die Neugierigen, sahen sich die Ausstellung verstohlen mit einem Fernrohr an, nichtsdestoweniger erklärten sie danach fachmännisch, daß es verboten sein sollte, solche Bilder nicht nur zu verkaufen, sondern auch zu verschenken. Andere dachten zwar gar nichts, dennoch: es gefiel auch ihnen nicht.
Nur einmal konnte der bärtige Maler feststellen, daß überhaupt jemand vor dem Aushängeschild ›Bilder gratis‹ stehengeblieben war: ein frischvermähltes Paar bei der Rückkehr aus der Kirche. Der Bräutigam riß rechtzeitig seine schöne Frau an der Hand, als sie hineingehen wollte: »Wage das nur!« sagte er drohend. »Das kennen wir ja. Ein Bild gratis, und du kriechst ihm umsonst ins Bett. Kommt nicht in Frage!« Möglicherweise, dachte der bärtige Maler, hätte dieser Mann – nach entsprechender Bezahlung – wohl nichts dagegen.
Nach all diesen Erfahrungen hängte also der bärtige Maler alle Bilder von den Wänden ab, brachte sie auf den Gehsteig und stützte sie an die Hauswand. Wirklich: der Sonnenschein sah die Bilder an und machte sie schöner. Doch die Leute gingen lieber auf die andere Seite und wandten sich von der Schönheit ab, als wäre sie von einem Ausschlag befallen. Er wollte mit den Menschen wenigstens sprechen, er wollte ihnen über die Bilder etwas erzählen, soweit er das konnte, aber er hatte keine Worte finden können, obwohl ihm seine Hände und Augen wehtaten durch das, was er nicht aussprechen konnte – ihm war der Mund gänzlich taub. Also kroch er auf die Bockleiter und malte auf das Aushängeschild ›Bilder gratis‹ nur ein Wort: ›TATSÄCHLICH!‹
Erst jetzt faßte eine Frau auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig Mut und schnaufte schnell, um nicht überholt zu werden, über die Straße. Sie sah sich nicht lange um, schnappte das größte Bild, gerade dasjenige, das der Maler am wenigstens schätzte – die ›Idylle in der vierten Dimension‹ und rannte weg, ab und zu ängstlich nach hinten schielend.
Dann überquerte ein Kind die Fahrbahn, um auch was zu erwischen, doch die Kollegen des bärtigen Malers verhinderten es. Sie standen auf dem Bürgersteig der anderen Seite und hatten bisher nur mit einem mitleidigen Lächeln des Malers Tun beobachtet.
Sie vertrieben das Kind also und gingen nun schweigend über den Fahrweg. Sie marschierten in einer Schwarmlinie. Wenn sie auch nicht sprungweise vorgingen, so flößten sie doch Angst ein. Dann trat jeder zu einem der ausgestellten Bilder des Malers und begann auf ihm herumzutrampeln, es zu zerreißen, zu zerschneiden und zu vernichten. Als sie damit fertig waren, reinigten sie ihren Hände mit Taschentüchern und sprachen: »Du verdirbst uns unsere Arbeit, Meister! Wer würde unsere Bilder bei so einer Konkurrenz kaufen?«
Und so blieben dem bärtigen Maler aus seiner letzten Ausstellung BILDER TATSÄCHLICH UMSONST nur leere Rahmen. Er nahm sie unter den Arm, kehrte in das Atelier zurück. Er schloß die Tür gründlich zu und machte nicht auf, nicht einmal auf ein ihm so bekanntes dreifaches und dazu so zartes Klopfen, daß es keinen Zweifel gab, wer Einlaß begehrte und warum geklopft wurde. Der bärtige Maler war zum ersten Mal in der Nacht vollkommen allein und besoff sich wie schon lange nicht mehr.
In der Stadt wurde inzwischen über nichts anderes gesprochen als über seine Ausstellung. Die Straßen waren wie immer sorgfältig gefegt, Wahlplakate mit lächelnden Politikern garnierten die Gartenanlagen, und in der Schule wurden die Gymnasiasten auch weiterhin über Astronautik und Marsflüge geprüft, doch daran hatten sich alle schon längst gewöhnt –, und so war der Fall des bärtigen Malers eine willkommene Abwechslung.
Man sprach über ihn bei dem Obersten Richter, denn es kam auf ihn eine Klage zu wegen öffentlichen Ärgernisses. Auch das Blockkomitee beurteilte seine Ausstellung. Es entschied nach einer erschöpfenden Diskussion, den Maler – natürlich in seinem eigenen Interesse – zu einem kostenlosen Erholungsaufenthalt in die hiesige psychiatrische Anstalt einzuweisen. Ähnlich äußerten sich zahlreiche Petitionen, die an den Stadtrat gerichtet waren.
Der bärtige Maler wachte, wie es bei ihm üblich war, sehr spät auf, trank alle Reste der angebrochenen Flaschen aus, die sein Fensterbrett und den Boden schmückten, nahm alle seine leeren Rahmen, in die Tasche steckte er ein langes Stück Wäscheleine, schloß das Atelier ab und warf den Schlüssel in den Gully.
In der Gartenanlage schnitt er ein Stück Leine ab und hängte einen leeren Rahmen genau vor einem aufgeblühten Fliederbusch auf. Er achtete darauf, daß die Menschen auf den Bänken und auf den Wegen den Busch genau über dem Becken sahen, als wäre das eine Vase, einige Ästchen schnitt er deswegen ab. Unter dem Rahmen befestigte er seinen Namen und das Preisschild – die Addition aller Daten seines Geburtstages mit der Nummer seines Telefons und des Hauses, in dem er wohnte.
Er hatte seine Arbeit noch nicht zu Ende gebracht, da standen hinter seinem Rücken schon die ersten Neugierigen. Unter ihnen sah der bärtige Maler alle, denen er gestern erfolglos seine Bilder angeboten hatte.
Alle seufzten berauscht über sein neuestes Bild, das aufgeblühten Flieder darstellte, traten näher und wieder zurück, fachmännisch mit den Augen blinzelnd: »Wie getreu, sehen Sie nur, jedes Blättchen – wie im Leben!«
»Und die Farben erst«, bewunderte der Oberstudienrat der Astronautik. »Wenn es das allein wäre«, betonte der Neuvermählte, der noch gestern die kostenlose Tugendverletzung seiner Frau befürchtet hatte, »aber wie plastisch das alles ist!«
»Und es bewegt sich, ja, es bewegt sich«, jubelte der Kleinhändler, und bis ins Innerste seiner Seele gerührt, zeigte er auf eine Biene, die auf den Flieder zuflog. »Ich muß dieses Bild kaufen, koste es, was es wolle«, schrie der Arme, nicht wissend, daß die Schönheit weder umsonst noch für Geld zu haben ist.
Der bärtige Maler setzte seine Arbeit fort. Er ging zum Rathaus, direkt zum Herrn Bürgermeister, befestigte einen leeren Rahmen um Kopf und Brust, und auf den mächtigen Bauch hängte er ihm einen Zettel mit der Aufschrift ›Unverkäuflich‹.
Alle Ratsherren standen da, ergriffen, in achtungsvoller Entfernung an der Tür, lächelten höflich über den nichtssagenden Ausdruck im Rahmen, und schließlich begannen sie zu klatschen. »Wie lebendig, wie lebendig ist unser Herr Bürgermeister, nicht wahr, liebe Kollegen?«
Der bärtige Maler nahm einen weiteren Rahmen, hakte ihn auf dem Spiegel fest und lud die Ratsherren ein, damit sie hindurchsahen. Da sah sich jeder der Stadtdeputierten in dem Rahmen wie lebendig, freute sich darüber, was er aber nicht allzu laut zum Ausdruck brachte, um das Stadtoberhaupt nicht zu beleidigen. Dann begannen sie höflich zu streiten, wem eigentlich dieses Porträt gehörte, wer von ihnen es zu sich nach Hause nehmen durfte.
Der bärtige Maler wartete nicht auf das Ergebnis des Streites, sondern nahm den vierten Rahmen und hängte ihn an die riesige Wand des Schlachthauses, genau über der Stelle, wo jemand mit Kreide hingeschrieben hatte: ›Leckt mich alle kreuzweise am Arsch!‹
Und wieder versammelten sich Hunderte von Schaulustigen, bewunderten den kräftigen Ausdruck und die durchdringende Aussage dieses herrlichen Bildes, seine rudimentäre Schönheit und fragten aufgeregt nach dem Preis.
So schritt der bärtige Maler die ganze Stadt ab, solange er noch Rahmen hatte. Die letzte, vergoldete Einfassung und das letzte Stück Wäscheleine behielt er für sich. Er entschied sich, das zu vollenden, vorauf er sich das ganze Leben vorbereitet hatte – sein Selbstporträt. Ein Bild mit einem leeren Preisschild, denn er hoffte, die Leute würden es bei diesem Werk selber ausfüllen. Er hängte an festlichen Bogen, der in der Stadt wie ein Triumphbogen aufgestellt war, zuerst den Rahmen und dann sich selber auf. Schön, genau nach den Prinzipien des Goldenen Schnitts mit der entsprechenden Komposition des Ausdrucks. Dann streckte er die Zunge gegen die ganze Stadt aus.
Inzwischen wurde der Maler schon in der ganzen Stadt laut gepriesen, überall wurde ›Hoch der beste Maler aller Maler!‹ gerufen. Und als die Menschen sein letztes Bild sahen, kam der ganze Stadtrat vor ihm zusammen und beugte sich zusammen mit den anderen Zuschauern vor der Schönheit dieses Werkes. Alle bewunderten im Chor lauthals den unübertroffenen Realismus des bärtigen Malers und waren sich einig, dies sei sein bestes Bild, ein wahrhaftiges Meisterwerk. Sie schwelgten in ihrer ungeheuchelten Freude, sie benannten nach ihm eine Straße und erteilten ihm den Titel des Stadtmalers.
Sie waren überhaupt zufrieden – auch mit sich selber – und auch sehr stolz, in welch einer kunstliebenden Kulturstadt sie lebten.
Originaltitel: ›OBRAZY ZDARMA‹ • Copyright © 1996 by Ivan Kubicek • Erstveröffentlichung • Mit freundlicher Genehmigung des Autors • Copyright © 1996 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München • Aus dem Tschechischen übersetzt von Karl v. Wetzky