»ALL ALONG THE WATCHTOWER«
Dylan wurde in Duluth, Minnesota, geboren, lebte jedoch im nördlichen Teil des Staates New York, bevor er in den wärmeren Westen zog. Jetzt hat er sich nicht nur vom Musikmachen, sondern auch aus dem angetörnten Milieu Kaliforniens zurückgezogen, um in den Pfirsichstaat umzusiedeln. Obwohl vermutlich viele damit gerechnet hätten, daß er seine gerade den Kinderschuhen entwachsene Software-Firma in der Nähe seines ehemaligen Wohnortes Malibu gründen würde, hat er sich für Atlanta, Georgia, als Standort seiner Gesellschaft entschieden, nicht allein wegen der dortigen Hartriegelblüte im April und des häufig milden Februars, sondern auch wegen der attraktiven kommerziellen Anreize, die ihm sowohl von der schwarzen politischen Hierarchie der Stadt als auch von ihrer weißen Geschäftswelt geboten wurden. (Es heißt, die Aktivitäten des Bürgermeisters in der Bürgerrechtsbewegung zusammen mit Martin Luther King in den sechziger Jahren hätten für Dylan genauso viel gewogen wie die versprochene finanzielle Unterstützung der Coca-Cola-Gesellschaft.) Dylan selbst lebt in der kleinen Stadt Duluth – ein Beispiel für die Art leiser Selbstironie, die ihm immer Spaß gemacht hat – etliche Meilen nordöstlich von Atlanta. Jeden Tag fährt er mit seinen Partnern von der Fahrgemeinschaft in die Stadt; zwei von ihnen sind Angestellte seiner eigenen Firma auf Management-Ebene, der andere schreibt eine regelmäßige Kolumne im montäglichen Wirtschaftsteil der Atlanta Constitution.
Dylan taufte – der Ausdruck hat eine gewisse Berechtigung – seine Firma Tambourine Software & Satori Support Services (oder TS/3S, als ihr offizielles Börsenkürzel). Er selbst war der Autor ihrer ersten zehn oder zwölf Programme, die ein so populärer Zuwachs zu unserer universellen Software-Bibliothek wurden, daß sie immer noch wie warme Semmeln weggehen. (Mehr über die Programme selbst in einem späteren Teil meines Berichts.) Der Erfolg dieser ersten Programmpakete ermutigte Dylan, kreative Assistenten einzustellen, eine kleine Brigade von Programmtüftlern und Debuggern, eine enthusiastische Verkaufstruppe und ein Heer von Talentsuchern, die ständig nach jungen Männern und Frauen mit programmierbaren Einsichten in die grundlegende, BASIC-mäßig erfaßbare Beziehung von Gott zu Mensch und umgekehrt Ausschau hielten.
Die ersten drei kreativen Assistenten der Gesellschaft (wegen ihrer anderweitigen Verpflichtungen alle notgedrungen auf Teilzeitbasis angestellt) waren der umstrittene katholische Theologe Hans Küng aus der Schweiz, Lewis Thomas, Arzt, Schriftsteller und ehemaliger Direktor des Sloan-Kettering Krebszentrums, und Sherry Turkle, bestens bekannt für ihre Studie über Computer und menschliche Spiritualität, Das zweite Ich. Roger Staubach, früher Quarterback bei den Dallas Cowboys, gab TS/3S ebenfalls wertvollen phantasiereichen Input, wohingegen die Sängerin Emmy Lou Harris während der frühen Stadien der Firmenorganisation einen beruhigenden Einfluß auf alle ausübte, die anfällig für Panik waren.
Dylan lehnte es weitgehend ab, professionell arbeitende Computerfachleute in seiner aufstrebenden Gesellschaft einzusetzen. So blödsinnig diese Taktik damals zu sein schien, zahlte sie sich doch sofort aus, und heute hat Dylans ursprüngliche Gesellschaft natürlich überall im Land Filialen und konzessionierte Vertretungen. Im Rückblick können wir sehen, daß er zwar vielleicht die Musik als Beruf, nicht aber die Improvisationstechniken und das spontane Vertrauen in gemeinschaftliches Arbeiten wirklich aufgegeben hat, die für seine künstlerische Tätigkeit – sein Genie, wenn man so will – als Songwriter und Musiker typisch waren.
Man kann wohl mit gutem Grund zu dem Schluß kommen, daß Dylan seine schlummernde Leidenschaft fürs Programmieren zuerst in einem Plattenstudio entdeckte, wo ihm Masterbänder, Synthesizer und hochentwickeltes Equipment zum Abmischen einen profunden unterschwelligen Hinweis auf die Wahrscheinlichkeit gaben, mittels der fortgeschrittenen Technologie des zwanzigsten Jahrhunderts eine wirkungsvolle Schaltung zu Gott finden zu können. Vielleicht hat er sich gefragt, was Jesus erreicht hätte, wenn der Sohn Gottes in der Lage gewesen wäre, eine Platte von der Bergpredigt aufzunehmen, oder eine wieviel stärkere Wirkung der heilige Franz von Assisi gehabt hätte, wenn sein Gebet ›Mach mich zu einem Instrument Deines Friedens‹ auch nur die entfernteste Chance gehabt hätte, Platin zu bekommen.
Aber in letzter Zeit war bei den jungen Leuten weltweit sowohl eine schreckliche Säkularisierung als auch eine entmenschlichende Kultifizierung vonstatten gegangen, und nur wenige von denen, die Zugang zu kommerziellem Studioequipment besaßen, hatten – wenn man einmal von Do They Know It’s Christmas? und We Are The World absieht – es bewußt dazu benutzt, sich der steigenden Hut von Materialismus und Narzißmus entgegenzustemmen. Ronald Reagan und die Moral Majority hatten es nicht geschafft; auch nicht der Ayatollah Khomeini und seine islamischen Kohorten; ebensowenig diverse Hindu-Swamis, marxistische Prediger, selbsternannte orientalische Messiasse und zurückgezogen lebende ehemalige Science-Fiction-Autoren, die außerdem Steuern sparende Gründer diverser ›rationaler‹ ›Religionen‹ waren. Daß das meiste, was als zeitgenössische christliche Musik galt, für Dylan seichte spirituelle Kost war und daß einige der größten Fans des geheiligten Superstars der achtziger Jahre, Michael Jackson, ihren androgynen Traumwandler allen Ernstes für den Erzengel Michael hielten, der gekommen sei, um Armaggedon anzukündigen, bestürzte und demoralisierte Dylan so, daß er nicht guten Gewissens im Plattengeschäft bleiben konnte. Unbeirrt weiterzumachen hätte bedeutet, sowohl seinen eigenen anspruchsvollen Hunger nach Gott als auch sein gleichermaßen anspruchsvolles Bedürfnis zu unterdrücken, jene mit ähnlichen Sehnsüchten zu bestärken.