3. Die geheimnisvolle Kammer

Nachdem das Gelächter in der Felskammer verklungen war, standen Tars Tarkas und ich einige Augenblicke lauschend da. Doch kein weiterer Laut durchbrach die herrschende Stille, und nichts regte sich.

Dann lachte Tars Tarkas leise, wie es seine Leute in Gegenwart von etwas Schrecklichem oder Furchteinflößendem zu tun pflegen. Es ist kein hysterisches Lachen, sondern eher ein Ausdruck echter Freude über Dinge, die beim Erdenmenschen Haßgefühle oder Tränen erwecken.

Wie oft habe ich mit ansehen müssen, wie die Marsmenschen sich in unkontrollierbaren Heiterkeitsausbrüchen auf dem Boden wälzten, wenn Frauen und kleine Kinder bei dem höllischen Marsfest – den großen Spielen – voller Qualen mit dem Tode rangen.

Ich blickte zu dem Thark hoch, selbst ein Lächeln auf den Lippen, denn das war hier tatsächlich nötiger als ein zitterndes Kinn.

»Was meinst du? Wo zum Teufel sind wir?« fragte ich.

Er blickte mich überrascht an und fragte: »Du willst wissen, wo wir sind? John Carter, soll das heißen, daß du nicht weißt, wo du bist?«

»Ich nehme an, auf Barsoom. Doch bis auf dich und die großen weißen Affen gibt es nichts, weswegen ich zu dieser Annahme kommen sollte, denn das, was ich heute erlebt habe, entspricht überhaupt nicht der Vorstellung von meinem geliebten Barsoom, wie ich es zehn Jahre lang gekannt habe, und auch nicht von der Welt, in der ich geboren wurde. Nein, Tars Tarkas, ich habe keine Ahnung, wo wir sein könnten.«

»Wo warst du, seit du vor Jahren die mächtigen Tore zur Atmosphärenfabrik geöffnet hast, als nach dem Tod des Verwalters die Maschinen still standen und ganz Barsoom zu ersticken drohte? Man hat deinen Körper nie gefunden, obwohl die Bewohner eines ganzen Planeten jahrelang nach dir gesucht haben und obwohl der Jeddak von Helium und seine Enkelin, deine Prinzessin, eine märchenhafte Belohnung ausgesetzt hatten, so daß sich sogar Prinzen königlichen Geblüts auf die Suche machten. Als alle Bemühungen, dich aufzufinden, fehlschlugen, kamen wir zu dem einzig möglichen Schluß – daß du dich auf die lange, letzte Wallfahrt entlang des geheimnisvollen Flusses Iss begeben hattest, um im Tal Dor am Ufer des Verlorenen Meeres von Korus auf die schöne Dejah Thoris, deine Prinzessin, zu warten. Doch warum du dich dorthin begeben hattest, war allen ein Rätsel, denn deine Prinzessin war ja noch am Leben...«

»Gott sei Dank«, unterbrach ich ihn. »Ich habe mich nicht getraut, dich danach zu fragen, denn ich fürchtete, daß die Rettung für sie zu spät kam. Als ich sie in jener längst vergangenen Nacht in den Palastgärten von Tardos Mors zurückließ, war sie sehr schwach. Sie war so kraftlos, daß ich kaum noch Hoffnung hatte, die Atmosphärenfabrik zu erreichen, bevor sie mich für immer verließ. Und sie ist am Leben?«

»Sie lebt, John Carter.«

»Du hast mir nicht gesagt, wo wir sind«, erinnerte ich ihn.

»Wir sind, wo ich dich zu finden hoffte, John Carter –, und noch jemanden. Vor vielen Jahren hast du die Geschichte über die Frau vernommen, die mir bewußt machte, daß grüne Marsmenschen zum Haß erzogen werden und mich zu lieben lehrte. Du weißt, welche grausamen Folterungen und welchen schrecklichen Tod sie von den Händen Tal Hajus’ für diese Liebe erleiden mußte. Ich glaubte, sie erwarte mich bei dem Verlorenen Meer von Korus. Du weißt, daß es einem Mann von einer anderen Welt, nämlich dir, John Carter, überlassen wurde, diesen unbarmherzigen Thark zu lehren, was Freundschaft ist. Auch du, dachte ich, streiftest im Tal Dor, dem Tal der Sorglosigkeit, herum. Ihr wart jene beiden, um derentwillen ich das Ende der langen Pilgerfahrt kaum erwarten konnte, die ich eines Tages würde antreten müssen. Als jedoch die Zeit verging und wir noch immer nichts von dir gefunden hatten – denn Dejah Thoris hat sich immer einzureden versucht, daß du nur kurzzeitig zu deinem Heimatplaneten zurückgekehrt seist – gab ich schließlich meinem großen Verlangen nach und trat vor einem Monat die Reise an, deren Ende du am heutigen Tag miterlebt hast. Weißt du nun, wo du bist, John Carter?«

»Dann war es der Fluß Iss, der im Tal Dor in das Verlorene Meer von Korus mündet?« fragte ich.

»Dies ist das Tal der Liebe, des Friedens und der Ruhe, wohin seit undenkbaren Zeiten jeder Barsoomier hofft, nach einem Leben voller Haß, Kampf und Blutvergießen pilgern zu können«, entgegnete er. »Das, John Carter, ist das Paradies.«

Seine Stimme klang kalt und ironisch, der bittere Tonfall widerspiegelte die schreckliche Enttäuschung, die er erlitten hatte. Eine solch entsetzliche Ernüchterung, das Zerbrechen lebenslang gehegter Hoffnungen und Sehnsüchte, ein solch jähes Entwurzeln uralter Traditionen hätte eine weitaus dramatischere Reaktion seitens des Thark entschuldigt.

Ich legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: »Es tut mir leid«. Dem gab es nichts hinzuzufügen. »John Carter, denk an die unzähligen Milliarden von Barsoomiern, die seit Ewigkeiten freiwillig die Reise entlang des grausamen Flusses antreten, nur um den unbarmherzigen, schrecklichen Kreaturen in die Klauen zu fallen, die uns heute angegriffen haben. Einer alten Legende nach soll einmal ein roter Mann vom Ufer des Verlorenen Meeres von Korus im Tal Dor zurückgekehrt und den Weg entlang des geheimnisvollen Flusses Iss zurückgegangen sein. Dem Bericht nach beging er Gotteslästerung, als er von entsetzlichen Untieren erzählte, die sich am Ufer des Verlorenen Meeres auf jeden Barsoomier stürzten und ihn verschlangen, sobald er am Ende seiner Reise angekommen war, dort, wo er gehofft hatte, Liebe, Frieden und Glückseligkeit zu finden. Unsere Vorfahren töteten den Gotteslästerer, denn der Tradition zufolge soll jeder sterben, der vom geheimnisvollen Fluß zurückkehrt. Doch nun wissen wir, daß es keine Blasphemie war, sondern die reine Wahrheit, und daß der Mann nur das schilderte, was er erlebt hatte. Was nützt es uns, John Carter, von hier zu fliehen, um dann als Gotteslästerer hingestellt zu werden? Wir stehen zwischen dem wilden Thoat mit der Gewißheit und dem tollwütigen Zitidar als Fakt – wir können keinem von beiden entkommen.«

»Auf der Erde sagen wir dazu, wir befänden uns zwischen Scylla und Charybdis«, entgegnete ich, wobei ich angesichts unserer Lage unwillkürlich lächeln mußte.

»Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen. Zumindest haben wir die Gewißheit, zu wissen, daß derjenige, der uns einmal besiegt, mehr Verluste erleiden wird, als er sich vorstellen kann. Weißer Affe oder Pflanzenmensch, grüner oder roter Barsoomier, wer auch immer den letzten Tribut von uns verlangt, wird erfahren, daß es viele Menschenleben kostet, gleichzeitig John Carter, den Prinz des Hauses von Tardos Mors, und Tars Tarkas, den Jeddak von Thark, auszulöschen.«

Sein düsterer Humor brachte mich zum Lachen. Er fiel in mein Gelächter ein, ließ jenes seltene Lachen ertönen, das ein Zeichen echten Vergnügens war, wodurch sich der wilde Anführer der Thark von den anderen Angehörigen seines Volkes auszeichnete.

»Aber nun zu dir, John Carter«, rief er aus. »Wenn du nicht die ganzen Jahre hier gewesen bist, wo warst du dann, und wie kommt es, daß ich dich heute hier antreffe?«

»Ich war wieder auf der Erde«, entgegnete ich. »Zehn lange Erdenjahre habe ich darum gebetet und gehofft, daß man mich eines Tages zu eurem finsteren, alten Planeten ruft, für den ich trotz seiner grausamen und schrecklichen Gepflogenheiten Liebe empfinde, mehr noch als für jene Welt, in der ich geboren wurde. Zehn Jahre führte ich ein Dasein voller Ungewißheit und quälender Zweifel, ob Dejah Thoris noch lebte. Schließlich fand ich zum ersten Mal in all diesen Jahren meine Gebete erhört und meinem Warten ein Ende gesetzt. Doch eine grausame Laune des Schicksals verschlägt mich auf einen winzigen Landstrich auf Barsoom, von wo es kein Entkommen zu geben scheint, und wenn, dann zu einem Preis, mit dem die letzte Hoffnung schwindet, meine Prinzessin in diesem Leben noch einmal zu Gesicht zu bekommen – denn du hast heute erlebt, mit welch bedauernswerter Sinnlosigkeit der Mensch sich nach einem Jenseits sehnt. Nur eine knappe halbe Stunde, bevor ich Zeuge deines Kampfes gegen die Pflanzenmenschen wurde, stand ich noch am mondbeschienenen Ufer eines breiten Flusses an der Ostküste eines der gesegnetsten Länder der Erde. Nun habe ich deine Frage erschöpfend beantwortet, mein Freund. Glaubst du mir?«

»Ja, obwohl ich es nicht so recht begreife«, entgegnete Tars Tarkas.

Während unserer Unterhaltung hatte ich mir unsere Umgebung genauer angesehen. Das Gemach war vielleicht zweihundert Fuß lang und halb so breit. Gegenüber dem verhängnisvollen Portal befand sich eine weitere Tür in der Mitte der Wand.

Man hatte den Felsen innen ausgehöhlt, die Wände schimmerten zumeist matt golden im trüben Licht, das von einem winzigen Radiumleuchter von der Deckenmitte ausging und sich in der Unermeßlichkeit des Raumes verlor. Große Teile der goldenen Wände und der Decke bestanden aus glänzenden Rubin-, Smaragd- und Diamantblöcken. Der Boden schien aus einem anderen, sehr harten Material zu sein, er war abgewetzt und glatt wie Glas. Abgesehen von den beiden Türen konnte ich keinen anderen Zugang entdecken, und da ich eine der beiden versperrt wußte, trat ich auf die andere zu.

Als ich die Hand ausstreckte, um nach dem Knauf zu tasten, ertönte abermals das rohe und höhnische Gelächter, diesmal so dicht neben mir, daß ich unwillkürlich zurückschrak und mein großes Schwert fester packte.

Dann erklang aus der anderen Ecke des Raumes eine hohle Stimme: »Es gibt keine Hoffnung. Es gibt keine Hoffnung. Es gibt für die Toten keine Wiederkehr. Es gibt für die Toten keine Wiederkehr, denn es gibt keine Wiederauferstehung. Hoffet nicht, denn es gibt keine Hoffnung.«

Sofort blickten wir zu der Stelle, von der die Stimme zu kommen schien, konnten jedoch niemanden sehen. Ich muß gestehen, daß mir kalte Schauer den Rücken hinunterliefen und sich mir jedes einzelne Härchen am Haaransatz aufrichtete, wie bei einem Hund, dem sich das Fell sträubt, wenn er des Nachts jene unheimlichen Dinge sieht, die dem Auge des Menschen verborgen bleiben.

Ich stürtzte auf die klagende Stimme zu, doch sie war verstummt, bevor ich an der Wand angekommen war. Dann tönte es aus der anderen Ecke schrill und durchdringend: »Ihr Narren! Glaubtet ihr, ihr könntet den ewigen Gesetzen von Leben und Tod trotzen? Wolltet ihr die geheimnisvolle Issus, die Göttin des Todes, um ihre rechtmäßigen Pflichten bringen? Hat ihr mächtiger Bote, der uralte Iss, euch nicht auf euer Geheiß mit bleiernen Armen zum Tal Dor getragen? Glaubtet ihr, Narren, daß Issus ihr Eigentum aufgeben will? Glaubtet ihr zu entkommen, wo dies in all den unzähligen Jahrhunderten nur einer einzigen Seele gelungen ist? Geht den Weg zurück, den ihr gekommen seid. Vertraut euch den barmherzigen Rachen der Kinder des Lebensbaumes oder den strahlenden Zähnen der großen weißen Affen an, denn dort wird euer Leid ein schnelles Ende finden. Versucht ihr jedoch weiter, das Labyrinth der Goldenen Felsen des Gebirges Otz zu durchstreifen und die Schutzwälle der unbezwinglichen Festungen der Heiligen Therns zu überwinden, wird euch der Tod in seiner schrecklichsten Form ereilen, ein derart entsetzlicher Tod, daß sogar die Heiligen Therns, für die sowohl das Leben als auch der Tod kein Geheimnis mehr bergen, Augen und Ohren verschließen, um seine Grausamkeit nicht mitansehen und die entsetzlichen Schreie seiner Opfer nicht hören zu müssen. Kehrt um, ihr Narren! Geht den Weg zurück, den ihr gekommen seid.«

Ein weiteres Mal ließ sich das schreckliche Lachen vernehmen, diesmal kam es aus einer anderen Ecke.

»Höchst unheimlich«, bemerkte ich.

»Was sollen wir tun?« fragte Tars Tarkas. »Wir können nicht mit der Luft kämpfen. Lieber kehre ich um und trete Feinden aus Fleisch und Blut gegenüber, gegen die ich die Klinge schwingen kann und bei denen ich weiß, daß es sie teuer zu stehen kommt, mich in das ewige Vergessen zu stoßen, das offenbar die schönste und wünschenswerteste Ewigkeit ist, auf die der Sterbliche zu hoffen wagt.«

»Wenn es so ist, Tars Tarkas, wie du sagst, daß wir nicht mit der Luft kämpfen können, dann ist es andererseits auch unmöglich, von der leeren Luft angegriffen zu werden. Ich habe in meinem Leben Tausenden von starken Kriegern und gehärteten Klingen gegenübergestanden. So leicht bläst mich der Wind nicht um und dich auch nicht, Thark.«

»Aber unsichtbare Stimmen können von unsichtbaren Kreaturen mit unsichtbaren Klingen stammen«, entgegnete der grüne Krieger.

»Unsinn, Tars Tarkas«, rief ich. »Diese Stimmen stammen von Sterblichen wie dir und mir. In ihren Adern fließt Blut, das sie genauso verlieren können wie wir unseres. Die Tatsache, daß sie sich uns nicht zeigen, ist für mich lediglich der beste Beweis, daß sie sterblich und schon gar nicht überragend mutig sind. Glaubst du, Tars Tarkas, daß John Carter beim ersten Schrei eines feigen Feindes Reißaus nimmt, der sich lieber versteckt hält und sich fürchtet, einer scharfen Klinge entgegenzutreten?«

Ich hatte laut gesprochen, um auch sicher zu gehen, daß unsere eventuellen Angreifer mich hörten, denn langsam wurde ich dieses nervenzermürbenden Theaters überdrüssig. Außerdem war mir eingefallen, daß man uns vielleicht nur einschüchtern wollte, um uns zurück ins Tal zu treiben, wo ein sicherer Tod unser harrte.

Lange Zeit war Stille. Plötzlich vernahm ich hinter mir ein leises Geräusch, fuhr herum und erblickte ein großes, vielfüßiges Banth, das sich unbemerkt von hinten angepirscht hatte.

Das Banth ist ein wildes Raubtier, das in den Anhöhen an den Küsten der toten Marsmeere haust. Wie fast alle Lebewesen vom Mars ist es bis auf eine dichte, borstige Mähne um den dicken Hals fast haarlos.

Der lange, biegsame Körper wird von zehn starken Beinen getragen, die riesigen Kiefer sind wie beim Calot, dem Marshund, mit mehreren Reihen langer, nadelspitzer Zähne ausgerüstet. Das Banth vermag das Maul bis weit hinter die winzigen Ohren aufzureißen. Die riesigen, hervorstehenden, grünen Augen verleihen dem bereits ohnehin grauenerregenden Anblick einen zusätzlichen Schrecken.

Es kroch auf mich zu, peitschte dabei mit dem kräftigen Schwanz die gelben Flanken und stieß, als es sich entdeckt wußte, das beängstigende Gebrüll aus, mit dem es, bevor es zum Sprung ansetzt, sein Opfer für kurze Zeit zu lähmen pflegt.

Dann warf es sich mit dem riesenhaften Körper auf mich. Doch sein Geheul hatte keinerlei Wirkung, und so biß es in kalten Stahl anstelle in zartes Fleisch, nach welchem es die grausamen Kreatur gelüstete.

Den Bruchteil einer Sekunde später zog ich meine Klinge aus dem stummen Herzen dieses großen Löwen von Barsoom. Als ich zu Tars Tarkas blickte, war ich überrascht, ihn ebenfalls einem solchen Banth gegenüberzusehen.

Er entledigte sich seines Angreifers ebenso schnell wie ich. Als ich mich einem Reflex folgend umsah, ging schon der nächste dieser grimmigen Marsbewohner zum Angriff über.

Von dem Moment an sprang uns eine schreckliche Kreatur nach der anderen scheinbar aus der leeren Luft an. Dies dauerte eine reichliche Stunde.

Tars Tarkas war’s zufrieden, denn hier hatte er einen greifbaren Gegner, den er mit seiner breiten Klinge dahinmetzeln konnte. Ich für meinen Teil fand diese Situation besser als den düsteren Prophezeiungen eines Spukgespenstes zu lauschen.

An unseren neuen Widersachern war nichts Übernatürliches, wie man an ihrem Wutgeheul erkennen konnte, wenn der scharfe Stahl sich in sie senkte, sowie an dem sehr realen Blut, das ihren verletzten Adern entströmte, wenn sie auf unprätentiöse Weise verendeten.

Ich stutzte, weil unsere neuen Angreifer nur von hinten auftauchten. Nicht eins der Biester entstammte dem Nichts vor uns. Keine Sekunde ließ ich mich täuschen, da mein gesunder Menschenverstand mir sagte, daß sie durch einen verborgenen rückwärtigen Eingang zu uns kommen mußten.

Unter den Ornamenten von Tars Tarkas’ Lederzeug, dem einzigen Kleidungsstück, das die Marsmenschen abgesehen von Seidenumhängen und Pelzüberwürfen tragen, um sich nach Einbruch der Dunkelheit vor der Kälte zu schützen, befand sich ein handgroßer Spiegel, der auf seinem breiten Rücken hing.

Als er gerade vor einem just zu Boden gegangenen Widersacher stand und ihn betrachtete, fiel mein Blick zufällig auf diesen Spiegel, dessen glänzende Oberfläche mir etwas zeigte, das mich flüstern ließ: »Tars Tarkas, bleibe so stehen! Rühr dich nicht!«

Ohne nach dem Grund zu fragen, stand er wie versteinert, so daß ich die merkwürdige Szene verfolgen konnte, die wichtig für unser weiteres Los war.

Ich sah, wie sich ein Stück der Wand hinter mir bewegte. Es war eine Drehtür, mit deren Bewegung sich gleichzeitig ein Stück des Bodens verschob. Man stelle sie sich so vor wie eine kreisrunde Scheibe, in deren Mitte man senkrecht eine Karte setzt. Die Karte stand für den Teil der Wand, der sich gedreht hatte, die Scheibe für das Stück des Bodens. Beide waren genau an das angrenzende Wand- und Bodenstück eingepaßt, so daß im vorherrschenden Dämmerlicht nicht das geringste zu erkennen gewesen war.

Als die Drehung halb vollzogen war, erblickten wir ein großes Banth, das auf dem Teil der uns zuvor abgewandten Seite saß. Als sich die Tür schloß, befand sich die Kreatur bei uns im Raum – das Prinzip war sehr einfach.

Doch was mich am meisten interessierte, war das, was ich durch die Öffnung sehen konnte, die während der Drehung entstand. Ich erblickte einen großen, hell beleuchteten Raum, in dem mehrere Männer und Frauen an der Wand angekettet waren. Davor saß ein bösartig aussehender Mann, der weder die Hautfarbe der roten noch der grünen Marsmenschen hatte, sondern weiß war wie ich. Seinen Kopf bedeckte eine Fülle wallenden, gelblichen Haares. Offenbar gab er die Befehle und steuerte die Bewegungen der Geheimtür.

Die Gefangenen hinter ihm waren rote Marsmenschen. Neben diesen waren mehrere der wilden Biester angekettet, wie man sie zu uns geschickt hatte, und weitere, nicht minder wild dreinblickende Kreaturen.

Als ich mich dann meinem Gefährten zuwandte, war mir wesentlich leichter.

»Sieh zur Wand dir gegenüber, Tars Tarkas«, sagte ich. »Die Biester werden durch Geheimtüren auf uns losgelassen.« Ich stand ganz dicht bei ihm, damit unsere Peiniger nicht wußten, daß sie durchschaut waren.

So lange wir beide auf die Drehtür blickten, wurden keine weiteren Angriffe auf uns unternommen. Daraus schloß ich wiederum, daß die Zugänge irgendein Guckloch besaßen und man uns von außen beobachten konnte.

Schließlich kam mir eine Idee. Ich bewegte mich rückwärts auf Tars Tarkas zu und unterbreitete ihm leise mein Vorhaben, ließ dabei jedoch die Wand keine Minute aus den Augen.

Der große Thark gab ein zustimmendes Grunzen von sich und begann wie geplant, sich rückwärts der Wand zu nähern, die ich im Blick hatte, während ich kurz vor ihm langsam auf sie zuschritt.

Zehn Fuß vor dem geheimen Zugang hieß ich meinen Gefährten stehenbleiben und auf das vereinbarte Zeichen warten. Nun drehte ich der Tür, durch die ich die unheilvoll brennenden Augen unseres eventuellen Henkers fast spüren konnte, den Rücken zu.

Schnell suchte ich den Spiegel auf Tars Tarkas’ Rücken und beobachtete eine Sekunde später das Wandteil, das seine wilden Schrecken über uns entladen hatte.

Ich mußte nicht lange warten, denn gleich darauf setzte sich die goldene Fläche in Bewegung. Daraufhin gab ich Tars Tarkas das Signal und sprang zu dem Teil der Drehtür, der sich von uns fortbewegte. Der Thark fuhr ebenfalls herum, zur Öffnung, die durch die Drehung entstanden war.

Mit einem Satz befand ich mich im Nebenraum, dem Menschen gegenüber, dessen bösartige Miene ich zuvor gesehen hatte. Er war muskulös, ungefähr so groß wie ich und sah aus wie ein Mensch von der Erde.

An seiner Seite hingen ein langes Schwert, ein Kurzschwert, ein Dolch und eine der tödlichen Radiumpistolen, wie man sie auf dem Mars trägt.

Weil ich nur mit dem langen Schwert ausgerüstet war, hätte er mir entsprechend den Kampfesregeln und –gesetzen von Barsoom mit einer ähnlichen oder kleineren Waffe gegenübertreten müssen. Dies schien meinem Gegner jedoch nicht in den Sinn zu kommen, denn kaum stand ich neben ihm, hatte er schon seinen Revolver auf mich gerichtet. Mir blieb nur eines übrig: Ich stieß ihm die Waffe mit dem langen Schwert aus der Hand, bevor er feuern konnte.

Nun zog er sein langes Schwert, und wir begannen, in der gleichen Bewaffnung, erbarmungslos aufeinander einzuschlagen, wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte.

Er war ein ausgezeichneter Schwertkämpfer und schien sehr geübt zu sein, während ich bis zu diesem Morgen über zehn Jahre kein Schwert mehr in der Hand hatte.

Dennoch fielen mir meine Kampfschritte ziemlich schnell wieder ein, so daß der Mann nach wenigen Minuten einsehen mußte, es doch mit einem gleichwertigen Gegner zu tun zu haben.

Er wurde rot vor Wut, als er feststellte, daß ich jeden seiner Hiebe parierte, während sein Gesicht und Körper mit einem Dutzend kleinerer Verletzungen übersät waren. »Wer bist du, weißer Mann?« zischte er. »Daß du kein Barsoomier von draußen bist, erkennt man schon an deiner Hautfarbe. Und du bist nicht von uns.«

Sein letzter Satz war beinahe eine Frage.

»Und wenn ich vom Tempel Issus komme?« entgegnete ich, auf eine wilde Vermutung setzend. »Das Schicksal behüte!« rief er aus, und sein blutüberströmtes Gesicht wurde aschfahl.

Ich wußte nicht, was ich nun weiter sagen sollte, doch hob ich mir die Idee für die Zukunft auf, falls ich sie noch einmal brauchen sollte. Seiner Antwort nach war es durchaus möglich, daß es am Tempel Issus Menschen gab, die aussahen wie ich. Entweder der Mann fürchtete die Bewohner des Tempels, oder er hatte eine derartige Achtung vor ihnen, daß er den Zorn der Götter fürchtete, wenn er einen der Tempelbewohner verletzte oder kränkte.

Doch mein gegenwärtiger Umgang mit ihm war von anderer Natur und erforderte ein beträchtliches Abstraktionsvermögen. Es ging darum, ihm das Schwert zwischen die Rippen zu stoßen. Das gelang mir nach wenigen Sekunden und keinesfalls zu früh.

Schweigend hatten die angeketteten Gefangenen das Gefecht mitverfolgt. Es herrschte Totenstille, lediglich die aufeinandertreffenden Klingen, die leisen Schritte unserer nackten Füße und die wenigen Worte, die wir uns während des Zweikampfes durch die zusammengebissenen Zähne zuzischelten, waren zu hören.

Doch als mein Widersacher leblos zu Boden sackte, schrie eine der Gefangenen auf: »Dreh dich um! Hinter dir!« Als ich bei der ersten Silbe herumfuhr, sah ich mich einem zweiten Mann von der Rasse meines besiegten Gegners gegenüber.

Er hatte sich leise aus einem dunklen Gang an mich herangeschlichen und stand bereits mit erhobenem Schwert vor mir, als ich ihn erblickte. Tars Tarkas war nirgendwo zu sehen, und der Geheimgang in der Wand, durch den ich gekommen war, verschlossen.

Wie sehr wünschte ich ihn herbei! Seit vielen Stunden kämpfte ich nun schon ohne Pause. Ich hatte Erfahrungen und Abenteuer hinter mir, die jedem Mann die Lebenskraft aussaugen mußten. Außerdem hatte ich seit fast vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen oder gegessen.

Ich war erschöpft und spürte zum ersten Mal seit Jahren Zweifel, ob ich es mit meinem Gegner aufnehmen konnte. Indes blieb mir nichts anderes übrig, als auf den Mann einzudringen, und das so schnell und energisch wie möglich. Meine einzige Rettung bestand darin, ihn durch die Heftigkeit meiner Attacke zur Strecke zu bringen. Sollte der Kampf länger dauern, war ich verloren.

Doch der Mann war offenbar anderer Meinung, denn er trat zurück, parierte meinen Schlag, wich aus, bis mich seine Bemühungen fast völlig zu Boden gebracht hatten.

Er war ein besserer Schwertkämpfer als mein vorheriger Gegner. Ich muß zugeben, daß er mich schön bei Atem hielt und am Ende kurz davor war, einen armseligen Narren aus mir zu machen und mich zu töten.

Ich spürte, wie ich immer schwächer wurde, bis schließlich die Dinge vor meinen Augen zu verschwimmen begannen und ich mehr schlafend als wach umherstolperte und taumelte. In diesem Augenblick spielte er mir den hübschen kleinen Streich, der mich fast das Leben kostete.

Er jagte mich umher, bis ich mit dem Rücken zum Leichnam seines Gefährten stand. Dann drang er so heftig auf mich ein, daß ich zurückweichen mußte, und als ich mit der Ferse an den Toten stieß, stolperte ich nach hinten.

Mit lautem Krachen schlug mein Kopf auf dem harten Boden auf. Das rettete mir das Leben, denn der Aufprall klärte mir den Kopf, und durch den Schmerz geriet ich so in Rage, daß ich in diesem Moment meinen Gegner mit bloßen Händen in Stücke hätte reißen können. Ich glaube, das wäre auch geschehen, hätte ich nicht mit der rechten Hand ein kaltes Stück Metall gestreift, als ich mich beim Aufstehen stützte.

Die Hand des Soldaten reagiert instinktiv, wenn sie mit einem Instrument des Kriegshandwerks in Kontakt kommt. Ohne hinzusehen oder nachdenken zu müssen, war mir augenblicklich klar, daß mir der Revolver des Toten zur Verfügung stand, den ich ihm aus der Hand gestoßen hatte und der nun auf dem Boden lag.

Die Spitze seines glänzenden Schwertes auf mein Herz gerichtet, sprang der Mann, der mich überlistet hatte, auf mich zu. Dabei kam aus seinem Mund das grausame und höhnische Gelächter, das ich bereits in dem Raum der Geheimnisse vernommen hatte.

Und so starb er auch, die dünnen Lippen gekräuselt in dem. haßerfüllten Lachen, eine Kugel vom Revolver seines Gefährten im Herzen.

Er fiel mit voller Wucht auf mich, wobei mich der Griff des Schwertes am Kopf getroffen haben mußte, denn beim Aufprall seines Körpers verlor ich das Bewußtsein.

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