Früh am nächsten Morgen machten Xodar und ich uns wieder an unsere Fluchtpläne. Zuerst ließ ich ihn auf dem Steinfußboden unserer Gefängniszelle eine Karte von den Südregionen zeichnen, so genau, wie es uns mit den uns gegebenen Mitteln möglich war – mit einer Schnalle von meinem Lederzeug und der scharfen Kante des zauberhaften Edelsteines, den ich Sator Throg abgenommen hatte.
Mit ihrer Hilfe bestimmte ich grob, in welcher Richtung Helium lag und wie weit es von der Erdöffnung entfernt war, die zu Omean führte.
Dann hieß ich ihn Omean aufzeichnen, sowie die genaue Position von Shador und der Gewölbeöffnung, durch die man nach draußen gelangte.
Ich studierte diese Karten ausgiebig, bis sie sich meinem Gedächtnis unauslöschlich eingeprägt hatten. Von Xodar erfuhr ich, welche Pflichten die Wachen auf Shador erfüllen mußten und welche Gepflogenheiten herrschten. Offensichtlich hatte während der Schlafenszeit nur ein Mann Dienst. Seine Runde führte ihn in etwa einhundert Fuß Entfernung um das Gefängnisgebäude herum.
Die Wachposten bewegten sich nach Xodars Aussage mit schneckenartiger Geschwindigkeit, sie brauchten für eine einzige Runde etwa zehn Minuten. Das hieß, daß praktisch jede Seite des Gefängnisses für fünf Minuten unbewacht war, solange der Posten gemächlich auf der anderen Seite entlangschritt.
»All das, wonach du fragst, wird für uns sehr wichtig sein, sobald wir draußen sind. Doch keine deiner Fragen steht in irgendeinem Zusammenhang mit jenen Dingen, die für uns am dringendsten und wichtigsten sind.«
»Wir kommen hier ohne Probleme heraus«, entgegnete ich lachend. »Überlaß das nur mir.«
»Wann geht es los?« fragte er.
»In der ersten Nacht, in der ein kleines Schiff in Ufernähe von Shador festmacht«, entgegnete ich.
»Doch wie erfährst du, ob ein Schiff bei Shador vor Anker geht? Die Fenster sind zu weit oben für uns.«
»Ach nein, Freund Xodar, sieh!«
Mit einem Satz sprang ich zu den Stangen des uns gegenüberliegenden Fensters empor und warf einen Blick nach draußen.
Einige kleine Schiffe und zwei große Kreuzer lagen in einhundert Yard Entfernung vor Shador.
»Heute nacht«, dachte ich und wollte das schon Xodar gegenüber verlauten lassen, als sich völlig unerwartet die Gefängnistür öffnete und ein Wachposten eintrat.
Wenn er mich jetzt sah, dann hätten wir kaum noch Chancen auf ein Entkommen. Mir war klar, daß sie mich in Eisen legen würden, hätten sie auch nur die geringste Ahnung von den wundervollen Fähigkeiten, die mir meine irdischen Muskeln auf dem Mars verliehen.
Der Mann war eingetreten, stand mit dem Rücken zu mir und blickte zur Zellenmitte. Fünf Fuß über mir endete die Trennwand zur nächsten Zelle.
Es war die einzige Möglichkeit, der Entdeckung zu entgehen. Wenn sich der Mann umwandte, war ich verloren. Auch hätte ich mich nicht fallen lassen können, denn er stand so ungünstig, daß ich ihn beim Hinunterkommen gestreift hätte.
»Wo ist der weiße Mann?« schrie er Xodar an. »Issus befiehlt ihn zu sich.« Er wollte sich schon umdrehen und nachsehen, ob ich mich in einem anderen Teil der Zelle aufhielt.
Ich zog mich am Eisengitter des Fensters hoch, bis ich auf dem Sims stand, ließ los und machte einen Satz in Richtung der Trennwand.
»Was war das?« bellte der Schwarze mit tiefer Stimme, als mein Metall dabei die Steinwand streifte. Dann ließ ich mich lautlos in der dahinterliegenden Zelle zu Boden fallen.
»Wo ist der weiße Sklave?« brüllte der Wachposten erneut.
»Das weiß ich nicht«, entgegnete Xodar. »Er war eben noch hier, bis du eingetreten bist. Ich bin nicht sein Wachposten – such ihn selbst.«
Der Schwarze brummte etwas Unverständliches, dann hörte ich, wie er eine der Türen zu den Zellen gegenüber öffnete. Ich lauschte aufmerksam, bis ich die Tür hinter ihm zufallen hörte. Dann sprang ich wieder auf die Zwischenwand und setzte in meiner eigenen Zelle neben dem erstaunten Xodar auf.
»Verstehst du nun, wie wir entkommen werden?« flüsterte ich.
»Ich sehe, wie es dir gelingen könnte«, entgegnete er.
»Doch mir ist nach wie vor schleierhaft, wie ich diese Wände überwinden soll. Keinesfalls kann ich darüberspringen.«
Wir hörten, wie der Wachposten von Zelle zu Zelle schritt. Schließlich, als er seine Runde gemacht hatte, langte er wieder bei uns an. Als er mich sah, machte er Stielaugen.
»Bei der Schale meines ersten Ahnen!« donnerte er. »Wo hast du dich versteckt?«
»Ich bin hier, seit du mich gestern eingesperrt hast«, entgegnete ich. »Ich war auch schon bei deinem Eintreten in diesem Raum. Du solltest mal deine Augen überprüfen lassen.«
Mit wütender und gleichzeitig erleichterter Miene blickte er mich an.
»Komm«, sagte er, »Issus befiehlt dich zu sich.«
Er geleitete mich aus der Zelle, in der Xodar nun allein zurückblieb. Draußen warteten einige andere Wachposten. Bei ihnen befand sich der rote Marsjunge, der die andere Zelle auf Shador bewohnte.
Die Reise zum Tempel von Issus verlief ebenso wie am Vortag. Die Wachen hielten mich und den roten Jungen voneinander fern, so daß wir keine Gelegenheit hatten, die am Vorabend unterbrochene Unterhaltung fortzusetzen.
Das Gesicht des Jungen ließ mir keine Ruhe. Wo hatte ich ihn schon einmal gesehen? In jedem seiner Züge, seiner Haltung, seiner Art zu sprechen und seiner Gestik lag eine seltsame Vertrautheit. Ich hätte schwören können, daß ich ihn kannte, und dennoch wußte ich, daß ich ihn nie zuvor gesehen hatte.
Als wir in den Gärten von Issus ankamen, führte man uns diesmal nicht in Richtung des Tempels, sondern von ihm fort. Der Weg schlängelte sich durch die zauberhaften Parks in Richtung eines riesigen Walls, der einhundert Fuß in die Höhe ragte.
Durch ein massives Portal gelangte man zu einem kleinen Flachland, umgeben von denselben prächtigen Wäldern, wie ich sie am Fuße der goldenen Felsen gesehen hatte.
Unzählige Schwarze waren in derselben Richtung unterwegs, in der uns die Wachposten führten. Bei ihnen befanden sich auch meine alten Freunde: Die Pflanzenmenschen und die großen weißen Affen.
Die wilden Tiere bewegten sich mit der Menge als seien sie Schoßhündchen. Gerieten sie einem Schwarzen vor die Füße, stieß er sie unsanft beiseite oder versetzte ihnen mit dem flachen Teil des Schwertes einen Schlag, und eingeschüchtert krochen die Tiere weit weg.
Bald erreichten wir unser Ziel. Es war ein großes Amphitheater auf der anderen Seite des Feldes, etwa eine halbe Meile von den Gartenmauern entfernt.
Durch ein massives Rundtor strömten die Schwarzen zu ihren Plätzen, während unsere Wachposten uns zu einem kleineren Eingang am hinteren Teil des Bauwerkes brachten.
Wir gelangten zu einer Einhegung unterhalb der Zuschauerreihen, wo man viele andere Gefangene unter Bewachung zusammengepfercht hatte. Einige von ihnen waren in Eisen gelegt, doch die meisten schien bereits die Anwesenheit der Wachen zu sehr einzuschüchtern, als daß sie einen Fluchtversuch unternehmen würden.
Unterwegs hatte ich keine Möglichkeit gefunden, mich mit meinem Leidensgenossen zu unterhalten. Da wir uns nun jedoch sicher hinter Schloss und Riegel befanden, achteten die Wachen weniger auf uns, so daß ich mich dem roten Marsjungen nähern konnte, von dem ich mich auf so seltsame Weise angezogen fühlte.
»Was ist der Zweck dieser Versammlung?« fragte ich ihn. »Sollen wir hier zur Erbauung der Erstgeborenen kämpfen, oder steht uns etwas Schlimmeres bevor?«
»Das ist ein Teil der monatlichen Feierlichkeiten von Issus, bei dem die schwarzen Männer mit dem Blut der Menschen von der Außenwelt die Sünden von ihrer Seele waschen«, entgegnete er. »Wird zufällig ein Schwarzer getötet, ist das für Issus ein Zeichen seiner Treulosigkeit ihr gegenüber – diese Sünde ist unverzeihlich. Überlebt er den Wettkampf, dann wird er von der Anklage freigesprochen, wegen der er zur ›Strafe der Riten‹, wie man das nennt, verurteilt worden ist. Es gibt verschiedene Formen des Kampfes. Einige von uns messen sich in der Gruppe mit einer gleichen oder doppelten Anzahl Schwarzer. Andere stellt man allein wilden Tieren oder einem berühmten schwarzen Krieger gegenüber.«
»Und falls wir siegen, was kommt dann – läßt man uns dann frei?« fragte ich.
Er lachte und entgegnete dann: »Freiheit, fürwahr. Die einzige Freiheit für uns ist der Tod. Keiner, der das Gebiet der Erstgeborenen betritt, wird es jemals wieder verlassen. Erweisen wir uns als gute Kämpfer, erlaubt man uns, oft zu kämpfen. Wenn nicht – «. Er zuckte die Schultern. »Früher oder später sterben wir in der Arena.«
»Und hast du oft Kämpfe ausgetragen?« fragte ich.
»Sehr oft«, erwiderte er. »Darin besteht meine einzige Freude. Seit fast einem Jahr habe ich bei den Feierlichkeiten von Issus einige Hundert der schwarzen Teufel bezwungen. Meine Mutter wäre äußerst stolz auf mich, wenn sie wüßte, wie sehr ich der kämpferischen Tradition meines Vaters verbunden bin.«
»Dein Vater muß ein sehr bedeutender Krieger gewesen sein!« sagte ich. »Ich habe zu meiner Zeit fast alle Kämpfer auf Barsoom gekannt; zweifellos auch ihn. Wie ist sein Name?«
»Mein Vater war – «
»Kommt, Calots!« rief ein Wachposten mit rauher Stimme. »Auf das Schlachtfeld mit euch!« Unsanft stieß man uns den steil abfallenden Gang hinab zu den Räumen, die hinaus in die Arena führten.
Wie alle Amphitheater, die ich auf Barsoom gesehen hatte, war auch dieses in einer riesigen Bodensenke errichtet worden. Nur die oberste Sitzreihe befand sich über dem Erdboden, sie bildete die flache Eingrenzung des Amphitheaters. Die Arena selbst lag weit unten in der Tiefe.
Unmittelbar vor der untersten Sitzreihe, auf dem Boden der Arena selbst, standen mehrere Käfige, in die man uns nun trieb. Unglücklicherweise wurde ich hier wieder von meinem jungen Freund getrennt.
Direkt gegenüber meines Käfigs erblickte ich Issus’ Thron. Darauf hockte die grausige Kreatur, umgeben von einhundert Sklavenmädchen in prächtigem, mit unzähligen Juwelen besetztem Staat. Das Podium, auf dem sie um die Göttin herum ruhten, war dick gepolstert mit Stoffen in vielen leuchtenden Farben und fremdartigen Mustern.
Zu allen vier Seiten des Throns sowie einige Fuß weiter unten standen schwer bewaffnete Soldaten Schulter an Schulter in drei undurchdringlichen Reihen. Vor ihnen befanden sich die hohen Würdenträger dieses Scheinparadieses – prunkvolle Schwarze, geschmückt mit wertvollen Steinen, auf der Stirn, eingesetzt in goldene Stirnreifen, die Insignien ihres Ranges.
Zu den Längsseiten des Throns, von ganz oben bis hinab zur Arena, wimmelte es von Menschen. Unter ihnen gab es ebenso viele Frauen wie Männer. Jeder von ihnen trug das wundervoll gearbeitete Lederzeug seines Standes oder Hauses. Jeder Schwarze hatte etwa ein bis drei Sklaven um sich, geraubt aus den Gefilden der Therns und der Außenwelt. Die Schwarzen sind alle ›von adliger Abstammung‹, Bauern gibt es unter den Erstgeborenen nicht. Sogar der niedrigste Soldat ist ein Gott und hält Sklaven zu seinen Diensten.
Arbeit ist den Erstgeborenen fremd. Die Männer kämpfen – es gilt als ein heiliges Vorrecht und eine heilige Pflicht, für Issus zu kämpfen und zu sterben. Die Frauen rühren nicht den kleinsten Finger. Sklaven waschen sie, Sklaven kleiden sie an, Sklaven geben ihnen etwas zu essen. Einige von ihnen haben sogar Sklaven, die für sie reden, und ich habe eine Frau gesehen, die während der Feierlichkeiten mit geschlossenen Augen dasaß, während ihr ein Sklave jedes Ereignis schilderte, das in der Arena vor sich ging.
Das erste Ereignis des Tages war der Tribut für Issus’. Er kennzeichnete das Ende jener armen Unglückseligen, die das ruhmvolle Traumbild der Göttin vor einem Jahr erblickt hatten. Es waren ihrer zehn – prächtige Schönheiten, die von den stolzen Höfen mächtiger Jeddaks und aus den Tempeln der Heiligen Therns stammten. Ein ganzes Jahr lang hatten sie im Gefolge von Issus gedient, heute sollten sie den Preis für die Gnade, von der Göttin bevorzugt worden zu sein, mit ihren Leben bezahlen, und morgen würden sie die Tafeln der Hofbeamten schmücken.
Ein riesiger Schwarzer geleitete die jungen Frauen in die Arena. Sorgfältig nahm er jede von ihnen genau in Augenschein, befühlte ihre Gliedmaßen und stieß sie in die Rippen. Bald wählte er eine von ihnen aus und führte sie vor Issus’ Thron. Er sprach einige Worte zu der Göttin, die ich nicht hören konnte.
Issus nickte. Der Schwarze erhob als Zeichen eines Grußes die Hände weit über den Kopf, packte das Mädchen am Handgelenk und zerrte sie durch einen kleinen Gang unterhalb des Thrones aus der Arena.
»Issus wird heute abend gut speisen«, sagte ein Gefangener neben mir.
»Was meinst du damit?« fragte ich.
»Daß es ihr Abendessen war, das der alte Thabis nun in die Küche bringt. Ist dir nicht aufgefallen, wie genau er sich jede ansah, um die drallste und zarteste aus der Gruppe auszuwählen?«
Brummend sandte ich einige Flüche in Richtung des Monsters, das uns gegenüber auf dem prächtigen Thron saß.
»Reg dich nicht auf«, mahnte mich mein Begleiter. »Du wirst noch Schlimmeres zu Gesicht bekommen, wenn du nur einen Monat unter den Erstgeborenen zubringst.«
Ich wandte mich rechtzeitig um, um mitanzusehen, wie das Tor eines Käfigs in unserer Nähe geöffnet wurde, aus dem drei monströse weiße Affen in die Arena sprangen. Erschreckt drängten sich die Mädchen aneinander und wichen in die Mitte des Feldes.
Eine kniete nieder, die Arme flehend in Richtung Issus ausgestreckt, doch die greuliche Gottheit lehnte sich nur weiter nach vorn, um das Kommende genauer verfolgen zu können. Schließlich machten die Affen das Knäuel der angsterfüllten Mädchen ausfindig, gerieten völlig außer sich und stürmten unter teuflischem Geschrei auf sie zu.
Eine irrsinnige Wut kam über mich. Die gemeine Grausamkeit einer machttrunkenen Kreatur, deren böses Hirn sich solche fürchterlichen Quälereien ausdachte, erzeugte in mir unbändigen Haß und rührte bis ins Innerste meines männlichen Ehrgefühls. Der blutrote Nebel, der den Tod meiner Feinde vorhersagte, stieg mir vor die Augen.
Die Wachposten lümmelten vor dem unverschlossenen Tor meines Käfigs herum. Wozu sollte man diese armen Opfer durch Riegel davon abhalten, in die Arena zu stürmen, die die Götter sowieso zu ihrem Hinrichtungsort bestimmt hatten!
Ein einziger Schlag sandte den Schwarzen bewußtlos zu Boden. Ich schnappte mir sein langes Schwert und sprang in die Arena. Die Affen waren schon fast bei den Mädchen angelangt, doch dank meiner irdischen Muskeln bedurfte es nur einiger großer Sprünge, und ich befand mich im Zentrum des sandbedeckten Kampfplatzes.
Einen Augenblick herrschte weit und breit Stille in dem großen Amphitheater. Dann erhob sich in den Käfigen der Verdammten wildes Geschrei. Mein langes Schwert schwirrte durch die Luft, und der kopflose Rumpf eines großen Affen stürzte ausgestreckt vor den Füßen der furchtsamen Mädchen in den Sand.
Die anderen Affen wandten sich nun mir zu. Als ich ihnen gegenüberstand, ließ sich aus dem Zuschauersaal dumpfes Gebrüll vernehmen, als Reaktion auf die anfeuernden Schreie aus den Käfigen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie etwa zwanzig Wachposten durch den glänzenden Sand auf mich zustürmten. Dann brach hinter ihnen eine Gestalt aus dem Käfig. Es war der Junge, dessen Persönlichkeit mich so gefesselt hatte.
Er blieb einen Moment mit erhobenem Schwert vor den Käfigen stehen.
»Kommt, Männer der Außenwelt!« rief er. »Laßt uns unserem Tod einen Sinn geben und an der Seite dieses unbekannten Kriegers diesen Tag des Tributs für Issus in eine Orgie der Rache verwandeln, über die man noch Jahrhunderte reden wird. Bei jeder Wiederholung der Feierlichkeiten von Issus werden die Schwarzen in Erinnerung daran eine weiße Haut bekommen. Folgt mir! Die Gestelle vor euren Käfigen sind voll von Klingen.«
Ohne darauf zu warten, wie seine Aufforderung aufgenommen wurde, wandte er sich um und rannte auf mich zu. Aus jedem Käfig, in dem sich rote Menschen befanden, wurden seine Worte mit donnerndem Gebrüll beantwortet. Die allernächsten Wachposten gingen unter den heulenden Massen zu Boden, als die Gefangenen, beseelt von Mordgelüsten, ins Freie strömten.
Schnell wurden die Waffengestelle der Schwerter entledigt, mit denen die Gefangenen sich, sobald sie an der Reihe waren, vor Beginn des Kampfes bewaffnen hätten sollen. Eine Schar entschlossener Krieger eilte zu unserer Verstärkung herbei.
Die großen weißen Affen, so weit sie mich mit ihren fünfzehn Fuß auch überragten, hatten meinem Schwert nicht standgehalten. Die heranstürmenden Wachposten waren noch ein Stück von mir entfernt. Gleich hinter ihnen kam der Junge. In meinem Rücken hatte ich die jungen Mädchen, und da ich in ihrem Dienste kämpfte, blieb ich dort und wartete auf meinen unvermeidlichen Tod, fest entschlossen, trotz allem ein solches Zeugnis von mir abzulegen, daß man sich meiner im Land der Erstgeborenen noch lange entsinnen würde.
Mir fiel auf, mit welcher beeindruckenden Geschwindigkeit der junge rote Mann hinter den Wachposten hereilte. Nie zuvor hatte ich einen Marsmenschen eine Strecke so schnell zurücklegen sehen. Seine Sätze und Sprünge waren nur um ein unwesentliches kürzer als jene, die ich dank meiner irdischen Muskeln zu tun vermochte und die mir damals, als ich zum ersten Mal auf dem Mars ankam, den Ehrfurcht und Respekt der grünen Marsmenschen eingebracht hatten, denen ich an dem lang zurückliegenden Tag zuerst in die Hände gefallen war.
Die Wachposten waren noch nicht bei mir, da überraschte er sie schon. Als sie sich umwandten, im Glauben, von einem Dutzend angegriffen zu werden, so unbändig war sein Ansturm, stürzte ich mich von meiner Seite auf sie.
Im Eifer des folgenden Gefechtes hatte ich nur wenig Gelegenheit, mich um etwas anderes als meine unmittelbaren Widersacher zu kümmern. Hin und wieder jedoch sah ich flüchtig neben mir ein Schwert durch die Luft pfeifen und eine mit Leichtigkeit umherspringende, sehnige Gestalt, die mein Herz mit seltsamen Regungen und einen mächtigen, doch unerklärlichen Stolz erfüllte.
Das hübsche Gesicht des Jungen zeigte ein grimmiges Lächeln. Immer wieder warf er seinen jeweiligen Widersachern eine höhnische Bemerkung zu. In dieser und auch anderer Hinsicht war seine Art, zu kämpfen, gleich jener, die im Kampf seit je her für mich kennzeichnend gewesen war.
Vielleicht schloß ich den Jungen wegen dieser entfernten Ähnlichkeit ins Herz. Doch angesichts der fürchterlichen Verwüstung, die er mit dem Schwert unter den Schwarzen anrichtete, erfüllte mich größter Respekt.
Ich für meinen Teil kämpfte wie schon tausende Male zuvor –mal wich ich einem teuflischen Stoß aus, ein anderes Mal trat ich schnell vor, um die Spitze meines Schwertes dem Widersacher ins Herz zu stoßen und es das nächste Mal im Schlund eines seiner Kameraden zu vergraben.
Als es gerade besonders amüsant war, wurde ein großer Trupp aus Issus’ Leibgarde in die Arena befohlen. Sie trafen mit wütendem Geschrei ein, während die bewaffneten Gefangenen von allen Seiten über sie herfielen.
Eine halbe Stunde lang schien es, als sei die Hölle los. Innerhalb der Arenawälle kämpften wir in einem verschlungenen Knäuel heulender, fluchender und blutbeschmierter Dämonen. Jede Sekunde blinkte das Schwert des jungen roten Marsmenschen neben mir auf.
Immer wieder forderte ich die Gefangenen auf, sich in einer lockeren Formation um uns zu scharen. Mit der Zeit hatte ich Erfolg, und wir kämpften beieinander, die zum Untergang verurteilten Mädchen in unserer Mitte.
Beide Seiten hatten Opfer zu beklagen, doch am meisten waren Issus’ Garden in Mitleidenschaft gezogen worden. Ich konnte sehen, wie Boten durch die Zuschauertribünen eilten. Sobald sie vorbei waren, sprangen die Edelleute mit gezückten Schwertern in die Arena. Offensichtlich beabsichtigten sie uns durch ihre Übermacht zu besiegen.
Flüchtig bekam ich Issus zu sehen, die sich von ihrem Thron aus weit nach vorn lehnte. Ihr häßliches Antlitz war vor Wut und Haß entsetzlich verzerrt, ich glaubte aber, darin auch Angst erkennen zu können. Es war dieses Gesicht, das mich zu der folgenden Handlung inspirierte.
Schnell befahl ich fünfzig der Gefangenen, sich hinter uns zurückfallen zu lassen und um die Mädchen einen neuen Kreis zu schließen.
»Bleibt hier und beschützt sie, bis ich zurückkehre«, lauteten meine Worte.
Dann wandte ich mich an jene, die den äußeren Ring bildeten, und schrie: »Nieder mit Issus!« Augenblicklich erhob sich von allen Seiten ein heiserer Schrei: »Zum Thron! Zum Thron!«
Wie ein Mann bewegte sich unsere unüberwindliche, kämpfende Schar über die Leichen und Verwundeten unserer Widersacher in Richtung des prachtvollen Thrones der Marsgottheit. Zu Hauf stürmten die tapfersten Krieger der Erstgeborenen aus dem Zuschauerraum herbei, um unseren Vormarsch zu stoppen, doch wir mähten sie darnieder wie Papiersoldaten.
»Einige von euch sollen sich zu den Sitzplätzen begeben!« schrie ich, als wir uns der Grenzwand zu den Zuschauerreihen näherten. »Den Thron können zehn Leute allein einnehmen!« Mir war nämlich aufgefallen, daß sich Issus’ Leibgarde zum größten Teil dem Getümmel in der Arena widmete.
Die Gefangenen strömten nach links und rechts in Richtung der Zuschauerreihen, erklommen die niedrige Wand mit bluttriefenden Schwertern, kampfeslüstern angesichts ihrer Opfer, die zusammengedrängt auf sie warteten.
Im nächsten Augenblick war das ganze Amphitheater vom Geschrei der Sterbenden und Verwundeten erfüllt, gemischt mit Waffengeklirr und dem Triumphgeschrei der Sieger.
Seite an Seite neben dem jungen roten Marsmenschen und vielleicht einem Dutzend anderer kämpften wir uns zum Fuße des Thrones durch. Die übriggebliebenen Wachposten, denen sich hohe Würdenträger und die Edelleute der Erstgeborenen zugesellt hatten, warfen sich zwischen uns. Issus lehnte sich von ihrer geschnitzten Sorapusbank aus nach vorn, schrie einmal mit kreischend hoher Stimme ihren Leuten Befehle zu und sandte ein andermal schändliche Flüche in die Richtung jener, die ihre Göttin zu entweihen versuchten.
Die vor Angst zitternden Sklaven um sie herum erwarteten mit weit aufgerissenen Augen das Kommende und wußten nicht, ob sie für unseren Sieg oder unsere Niederlage beten sollten. Einige von ihnen, ohne Zweifel die stolzen Töchter der edelsten Krieger von Barsoom, ergriffen die Schwerter von den Gefallenen und fielen über die Garde von Issus her. Jedoch wurden sie schnell überwältigt und starben als ruhmvolle Märtyrerinnen in einem sinnlosen Kampf.
Unsere Männer kämpften tapfer, doch zu keinem Zeitpunkt, seit ich an jenem langen, heißen Nachmittag auf dem ausgetrockneten Meeresboden vor Thark neben Tars Tarkas gegen die Horden der Warhoon gekämpft hatte, sah ich je wieder zwei Männer mit solcher Unbändigkeit für ein hehres Ziel kämpfen wie den jungen roten Marsmenschen und mich an jenem Tag vor dem Thron von Issus, der Göttin des Todes und Ewigen Lebens.
Einen nach dem anderen streckten unsere Klingen zwischen uns und der mit Schnitzereien versehenen Bank aus Sorapusholz zu Boden. Sogleich schwärmten andere herbei, um die Lücke erneut zu füllen, doch Zoll für Zoll, Fuß für Fuß kamen wir unserem Ziel näher.
Bald wurde aus einem nahegelegenen Teil der Zuschauerreihen ein Ruf laut. »Erhebt euch, Sklaven! Erhebt euch, Sklaven!« Er schwoll an und verebbte wieder, schwoll immer weiter an und schallte schließlich in großen Wogen durch das ganze Amphitheater.
Einen Augenblick lang hielten wir inne, als hätten wir uns abgesprochen, um festzustellen, was dieses neue Element im Kampf bedeutete. Sofort war uns klar, was geschehen war. In allen Teilen des Bauwerkes nahmen die Sklavinnen, was ihnen zuerst in die Hände geriet, und fielen über ihre Herren her. Hier schnappte sich eine hübsche Sklavin den Dolch aus der Ausrüstung ihrer Herrin, fuhr damit nach oben – seine einst schimmernde Klinge rot von dem Blut der frühreren Besitzerin. Schwerter ragten aus den umherliegenden Leichen, sowie schwerer Schmuck, der als Waffe genutzt worden war – mit derartigen Gerätschaften übten diese hübschen Frauen nun die langersehnte Vergeltung, die sie allenfalls nur teilweise für die unaussprechlichen Grausamkeiten und Erniedrigungen entschädigen konnte, mit denen ihre schwarzen Herren sie überhäuft hatten. Und jene, die keine anderen Waffen fanden, kämpften mit ihren starken Fingern und glänzenden Zähnen.
Der Anblick bereitete einem gleichzeitig Schauder und Freude. Doch binnen einer Sekunde hatten wir wieder mit uns selbst zu tun, und nur der unaufhörliche Schlachtruf der Frauen: »Erhebt euch, Sklaven! Erhebt euch, Sklaven!« erinnerte daran, daß sie noch immer kämpften.
Nur eine einzige, dünne Reihe trennte uns nun noch von Issus. Deren Gesicht war blau vor Angst. Schaum bedeckte ihre Lippen. Die Angst schien sie förmlich zu lähmen. Nur der Junge und ich kämpften noch. Alle anderen waren gefallen, und auch mich hätte beinah der gemeine Stoß eines langen Schwertes zu Boden gestreckt, wenn nicht eine Hand über die Schulter meines Gegners gelangt und ihn am Ellenbogen gepackt hätte, als die Klinge über mir herabging. Sofort sprang der Junge neben mich und rammte meinem Widersacher das Schwert in den Leib, bevor er noch einmal zustoßen konnte.
Auch dann war ich noch nicht gerettet, da mein Schwert im Brustknochen eines Dators der Erstgeborenen feststeckte. Als der Mann darniedersank, griff ich nach seinem Schwert und blickte über den Liegenden direkt in die Augen desjenigen, dessen schnelle Hand mich vor dem ersten Schwertstoß gerettet hatte – es war Phaidor, die Tochter von Matai Shang.
»Flieh, mein Prinz!« rief sie. »Es ist sinnlos, länger gegen sie zu kämpfen. Alle in der Arena sind tot. Von jenen, die den Thron angegriffen haben, lebt außer dir und dem Jungen keiner mehr. Nur bei den Zuschauerreihen sind einige deiner Kämpfer noch am Leben, doch auch sie und die Sklavinnen werden zusehends überwältigt. Hör doch! Der Kampfesruf der Sklavinnen ist kaum noch zu vernehmen, denn fast alle sind tot. Jedem von euch stehen im Lande der Erstgeborenen zehntausend Schwarze gegenüber. Versucht, ins freie Land und nach Korus durchzubrechen. Mit deinem mächtigen Schwert könnte es dir gelingen, zu den Goldenen Felsen und den Tempelgärten der Heiligen Therns vorzudringen. Berichte dort deine Geschichte meinem Vater, Matai Shang. Er wird dich schützen. Gemeinsam findet ihr bestimmt einen Weg, mich zu befreien. Flieh, solange es überhaupt noch möglich ist!«
Doch darin bestand nicht mein Auftrag, ferner sah ich nicht, welche Vorteile die grausame Gastfreundschaft der Heiligen Therns gegenüber jener der Erstgeborenen haben sollte.
»Nieder mit Issus!« rief ich, und erneut machten der Junge und ich uns an die Arbeit. Zwei Schwarze sanken von unseren Schwertern durchbohrt zu Boden, und wir standen Angesicht zu Angesicht Issus gegenüber. Als mein Schwert nach oben ging, um ihrer entsetzlichen Laufbahn ein Ende zu bereiten, verlor sie ihre Lähmung. Mit einem durchdringenden Schrei fuhr sie herum und wollte fliehen. Direkt hinter ihr gähnte mit einemmal ein schwarzes Loch im Boden des Podiums. Sie sprang darauf zu, dicht gefolgt von mir und dem Jungen. Der Schrei alarmierte ihre Wache, die nun aus allen Richtungen auf uns zustürmte. Ein Schlag traf den Jungen am Kopf. Er stolperte und wäre gestürzt, wenn ich ihn nicht mit dem linken Arm aufgefangen hätte. Als ich mich wieder umwandte, sah ich mich einer wütenden Menge religiöser Fanatiker gegenüber, die angesichts des Angriffes auf ihre Göttin außer sich geraten waren, just in dem Moment, als Issus in den schwarzen Tiefen unter mir verschwand.