Mein Sohn! Ich glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Langsam erhob ich mich und trat auf den hübschen Jungen zu. Jetzt, da ich ihn mir genauer anschaute, wurde mir klar, warum mich sein Gesicht und seine Persönlichkeit so sehr fasziniert hatten. In den regelmäßigen Gesichtszügen lag viel von der unbeschreiblichen Schönheit seiner Mutter, doch war es eine ausgesprochen männliche Schönheit, und sowohl die grauen Augen als auch ihren Ausdruck hatte er von mir.
Der Junge stand vor mir, gleichzeitig Hoffnung und Zweifel in seinem Blick.
»Erzähl mir von deiner Mutter«, sagte ich. »Erzähl mir alles, was in den Jahren geschehen ist, in denen mich ein erbarmungsloses Schicksal ihrer teuren Gesellschaft beraubt hat.«
Mit einem Freudenschrei sprang er auf mich zu und fiel mir um den Hals. Einen kurzen Moment, als ich meinen Jungen in den Armen hielt, stiegen Tränen in meine Augen, und ich hätte wie ein sentimentaler Narr losgeschluchzt – doch darüber empfinde ich weder Bedauern noch Scham. Ein langes Leben hat mich gelehrt, daß ein Mann, wenn es Frauen und Kinder betrifft, Schwäche zeigen und dennoch auf den ernsteren Pfaden des Lebens alles andere als ein Schwächling sein kann.
»Deine Haltung, dein Auftreten, die Unbändigkeit, mit der du das Schwert handhabst, sind so, wie sie mir meine Mutter tausendemale beschrieben hat – doch trotz solcher Beweise erschien mir die Wahrheit unglaublich, so sehr ich es mir auch gewünscht habe. Weißt du, welche Sache mich mehr überzeugt hat als alles andere?«
»Was denn, mein Junge?« fragte ich.
»Deine ersten Worte – sie betrafen meine Mutter. Niemand anders als jener Mann, der sie so liebte, wie es nach ihren Worten mein Vater tat, hätte zuallererst an sie gedacht.«
»In all den vielen Jahren kann ich mich kaum eines Augenblickes entsinnen, an dem ich ihr strahlendes, schönes Antlitz nicht vor Augen hatte. Erzähle mir von ihr.«
»Jene, die sie schon länger kennen, sagen, daß sie sich nicht geändert hat, sondern lediglich noch schöner geworden ist –wenn das noch geht. Nur, wenn sie sich allein wähnt, wird ihr Gesicht sehr traurig und, oh, so sehnsüchtig. Sie denkt immer an dich, meinen Vater, und ganz Helium trauert mit ihr und um sie. Das Volk ihres Großvaters liebt sie. Auch dich liebte es, und es betet dein Andenken als Retter von Barsoom förmlich an. Jedes Jahr, wenn sich der Tag jährt, an dem du über eine beinahe sterbende Welt gestürmt bist, um mit Hilfe des Geheimnisses, das du herausgefunden hattest, das schreckliche Portal zu öffnen, hinter dem sich seit unzähligen Millionen von Jahren die riesige Lebensmaschine befindet, wird um deiner Ehre willen ein großes Fest abgehalten. Doch in die Danksagung mischen sich auch Tränen – Tränen aufrichtiger Trauer, da jener, dem wir das Glück zu verdanken haben, nicht unter uns weilt, um die Lebensfreude mit uns zu teilen. Auf ganz Barsoom gibt es keinen angeseheneren Namen als John Carter.«
»Und welchen Namen hat dir deine Mutter gegeben, mein Junge?« fragte ich.
»Das Volk von Helium bat darum, mich nach meinem Vater zu benennen, doch meine Mutter wollte das nicht, da sie mit ihm bereits einen Namen für mich ausgesucht hatte, und da dein Wunsch vor allen anderen respektiert werden mußte. So nannte sie mich, wie du dir es wünschtest, in einer Kombination von ihrem und deinem Namen – Carthoris.«
Xodar hatte während unserer Unterhaltung das Steuer übernommen und rief mich nun zu sich.
»Unseren Bug zieht es ziemlich stark nach unten, John Carter«, sagte er. »Solange wir uns steil nach oben bewegten, machte sich das nicht bemerkbar. Doch jetzt, da ich die Maschine in der Waagerechten zu halten versuche, ist es anders. Durch den Zusammenprall hat einer der vorderen Speicher der Auftriebsstrahlen am Bug Leck geschlagen.«
Er hatte recht. Als ich den Schaden genauer untersuchte, fand ich ihn viel ernster als erwartet. Der steile Winkel, in dem wir den Bug zu halten gezwungen waren, um vorwärtszukommen, behinderte jedoch nicht nur unser Vorankommen aufs äußerste. Bei der Schnelligkeit, in der wir aus den vorderen Speichern Auftriebsstrahlen verloren, war es nur eine Frage von wenigen Stunden, bis wir kieloben hilflos vor uns dahintreiben würden.
Wir hatten unsere Geschwindigkeit leicht verringert, sobald wir uns einigermaßen in Sicherheit gewähnt hatten. Nun jedoch griff ich erneut ans Ruder und ging aufs Ganze, so daß wir wieder in einem schrecklichen Tempo gen Norden rasten. In der Zwischenzeit werkelten Carthoris und Xodar an dem großen Riß im Bug herum, im sinnlosen Versuch, dem Ausströmen der Strahlen Einhalt zu gebieten.
Es war noch dunkel, als wir die Nordgrenze der Eisdecke und des Wolkengebietes überflogen. Unter uns eröffnete sich eine typische Marslandschaft: Der hüglige, ockerfarbene Grund eines längst ausgetrockneten Meeres, umgeben von flachen Anhöhen; hier und da die düsteren, stillen und ausgestorbenen Städte der Vergangenheit; hoch aufragende und mächtige Bauwerke, in denen allein die jahrhundertealten Erinnerungen an ein einst machtvolles Volk und die großen weißen Affen von Barsoom noch am Leben waren.
Es wurde zusehends schwieriger, das kleine Gefährt waagerecht zu halten. Der Bug sank immer weiter nach unten, bis es sich als notwendig erwies, die Maschine zu stoppen, um unserer Reise nicht mit einem Sturzflug zu Boden ein Ende zu setzen.
Als die Sonne aufging, und das Licht des neuen Tages die nächtliche Finsternis vertrieb, tat unser Fahrzeug einen letzten, vereinzelten Hüpfer, legte sich halb auf die Seite und zog mit erschreckend geneigtem Deck einen großen Kreis, wobei sich der Bug mit jeder Sekunde weiter gen Boden neigte.
Wir klammerten uns an Geländer und Deckstütze. Als wir das Ende kommen sahen, hakten wir uns schließlich mit Hilfe der Schnallen unserer Lederausrüstungen an den Ringen der Flanken fest. Im nächsten Moment stellte sich das Deck quer, wir hingen in unserem Ledergeschirr, und unsere Füße baumelten tausend Yard über dem Boden.
Ich befand mich ziemlich nahe an den Steuergeräten, so griff ich nach dem Hebel, der die Auftriebsstrahlen reguliert. Das Boot gehorchte der Berührung, und sehr sanft begannen wir, in Richtung Boden zu sinken.
Nach einer reichlichen halben Stunde setzten wir auf. Nördlich von uns erhob sich ein ziemlich hoher Gebirgszug. Wir beschlossen, uns dorthin zu begeben, da sich dort mehr Möglichkeiten des Versteckens vor Verfolgern boten, die es unserer Überzeugung nach durchaus hierher verschlagen konnte.
Eine Stunde später befanden wir uns in den ausgehöhlten Schluchten zwischen den Bergen, umgeben von den wunderschönen Blütengewächsen, die in den unfruchtbaren Ödländern auf Barsoom beheimatet sind. Wir stießen auf unzählige milchgebende Büsche – jene seltsame Pflanze, die den wilden Horden der grünen Menschen reichhaltig Speis und Trank spendet. Es war tatsächlich ein Segen für uns, denn wir waren schon am Verhungern.
Unter einem dieser Büsche, der ein perfektes Versteck vor umherstreifenden Luftaufklärern darstellte, legten wir uns zum Schlafen nieder – für mich das erste Mal seit Stunden. Mein fünfter Tag auf Barsoom war angebrochen, seit ich von meiner Hütte am Fluß Hudson nach Dor versetzt worden war, dem Tal voller Schönheit und voller Schrecken. Seitdem hatte ich nur zweimal geschlafen, auch wenn, in der Lagerhalle der Therns, dabei gar einmal rund um die Uhr.
Es war heller Nachmittag, als ich dadurch geweckt wurde, daß jemand meine Hand ergriff und sie mit Küssen bedeckte. Ich schreckte hoch, schlug die Augen auf und blickte in das wunderschöne Gesicht Thuvias.
»Mein Prinz, mein Prinz!« rief sie vor Glück völlig außer sich. »Du bist’s, dessen Tod ich schon beweint habe. Meine Ahnen waren gut zu mir, ich habe nicht umsonst gelebt.«
Die Stimme des Mädchens weckte auch Xodar und Carthoris. Der Junge blickte die Frau überrascht an, doch sie schien die anderen überhaupt nicht zu bemerken. Sie hätte mich umarmt und mit Liebkosungen überhäuft, hätte ich mich nicht sanft, doch entschieden von ihr gelöst.
»Komm, komm Thuvia«, sagte ich beschwichtigend. »Die Gefahren und Schwierigkeiten, die du durchgemacht hast, haben dich zermürbt. Du vergißt dich, und du vergißt auch, daß ich der Ehemann der Prinzessin von Helium bin.«
»Ich vergesse nichts, mein Prinz«, erwiderte sie. »Du hast kein Wort der Liebe zu mir gesagt, auch erwarte ich nicht, daß du es jemals tun wirst. Ich möchte nicht die Stelle von Dejah Thoris einnehmen. Mein sehnlichster Wunsch ist, dir für immer als Sklavin zu dienen. Um eine größere Gnade kann ich nicht bitten, eine größere Ehre könnte mir nicht zuteil werden, und auf mehr Glück wage ich nicht zu hoffen.«
Wie schon an früherer Stelle gesagt, bin ich kein Frauenheld, und ich muß zugeben, daß ich mich selten so unwohl in meiner Haut gefühlt und in einer solchen Verlegenheit befunden habe wie in diesem Moment. Obwohl ich den Brauch auf dem Mars kannte, der es einem Mann erlaubte, Sklavinnen zu haben, da seine hohe und ritterliche Würde einer jeden Frau seines Hauses ausreichend Schutz bot, hatte ich mir als Bedienstete bisher nur Männer ausgewählt.
»Wenn ich je nach Helium zurückkehre, Thuvia, sollst du mich begleiten, doch als mir Gleichgestellte und nicht als Sklavin. Du wirst dort viele hübsche, junge Edelleute kennenlernen, die Issus persönlich entgegentreten würden, um eines Lächelns von dir willen, und wir werden dich binnen kürzester Zeit mit einem von ihnen verheiratet sehen. Vergiß deine kindliche, auf Dankbarkeit beruhende Zuneigung, die du in deiner Unschuld für Liebe hältst. Ich möchte lieber deine Freundschaft, Thuvia.«
»Du bist mein Herr, es soll so sein, wie du sagst«, entgegnete sie, doch war auch Traurigkeit in ihrer Stimme.
»Wie kommst du hierher, Thuvia? Und wo ist Tars Tarkas?« frage ich.
»Ich fürchte, der große Thark ist tot«, erwiderte sie traurig. »Er war ein großer Kämpfer, doch eine Übermacht grüner Krieger von einem anderen Stamm überwältigte ihn. Als letztes sah ich, wie sie ihn verwundet und blutend in das Zentrum der verlassenen Stadt schleppten, von wo sie zum Angriff auf uns losgezogen sind.«
»Und du bist dir demzufolge nicht sicher, ob er tot ist?« fragte ich. »Wo liegt die Stadt, von der du sprichst?«
»Sie liegt direkt hinter diesem Gebirgszug. Aufgrund unserer geringen Navigationskenntnisse konnten wir mit dem Flugzeug, in dem du so edelmütig um unser Entkommen willen deinen Platz opfertest, nicht viel ausrichten. Ungefähr zwei Tage lang trieben wir ziellos umher. Dann beschlossen wir, das Fahrzeug zu verlassen und uns zu Fuß auf den Weg zur nächsten Wasserstraße zu machen. Gestern überquerten wir diese Berge und erreichten die dahinterliegende Stadt. Wir bewegten uns gerade durch ihre Straßen auf den Zentralplatz zu, als wir an einer Kreuzung einen Trupp grüner Krieger auf uns zukommen sahen. Sie erblickten Tars Tarkas, der voranging, doch nicht mich. Der Thark sprang zurück neben mich und schob mich in einen nahen Eingang, wo ich mich nach seinen Worten verstecken sollte, bis sich eine Fluchtgelegenheit ergab, um mich dann, wenn möglich, nach Helium zu begeben.«
»Es wird für mich kein Entkommen geben, denn dies sind die Warhoon vom Süden. Wenn sie mein Metall sehen, ist das mein Tod«, sagte er. Dann trat er ihnen entgegen. Ach, mein Prinz, es war ein solcher Kampf! Eine ganze Stunde warfen sie sich auf ihn, bis die toten Warhoon haufenweise dalagen, wo er gestanden hatte. Doch schließlich überwältigten sie ihn, indem die hinten Stehenden die vordersten auf ihn zuschoben, bis er das Schwert nicht mehr zu schwingen vermochte. Dann stolperte er und ging zu Boden, und sie fegten über ihn hinweg wie eine Woge. Als sie ihn Richtung Stadtzentrum fortschleppten, war er tot, glaube ich, denn er bewegte sich nicht.
»Bevor wir weitergehen, müssen wir das genau wissen«, sagte ich. »Ich kann Tars Tarkas nicht lebend unter den Warhoon zurücklassen. Heute abend werde ich mich in die Stadt begeben und mich davon überzeugen.«
»Und ich komme mit«, sagte Carthoris. »Ich auch«, sagte Xodar.
»Keiner von euch wird das tun. Das ist eine Angelegenheit, die ein stilles und überlegtes Hervorgehen erfordert und keine Kraft. Einem Mann allein kann es gelingen, während mehrere ein Unheil anrichten können. Ich mache mich allein auf den Weg. Wenn ich eure Hilfe brauche, komme ich zurück.«
Ihnen gefiel das nicht, doch beide waren gute Soldaten, und es war abgemacht, daß ich befehlen sollte. Die Sonne stand bereits niedrig, so hatte ich nicht lange zu warten, bis uns die jäh einbrechende Dunkelheit von Barsoom einhüllte.
Nachdem ich Xodar und Carthoris einige letzte Anweisungen erteilt hatte, für den Fall, daß ich nicht zurückkehrte, verabschiedete ich mich von ihnen und machte mich im schnellen Laufschritt in Richtung der Stadt auf den Weg.
Als ich die Berge verließ, wanderte der erste Marsmond unaufhaltsam über dem Himmel dahin und verwandelte mit seinen hellen Strahlen die unverdorbene Pracht der alten Metropole in gleißendes Silber. Man hatte die Stadt auf sanften Hügeln erbaut, deren Anhöhen in der fernen Vergangenheit am Meer geendet hatten. Aus diesem Grunde hatte ich keinerlei Schwierigkeiten, unbemerkt die Straßen zu betreten.
Die grünen Horden, die in diesen verlassenen Städten halt machen, besetzen selten mehr als einige wenige Viertel in der unmittelbaren Umgebung des Zentralplatzes. Da sie immer über die ausgetrockneten Meeresböden kommen und gehen, ist es eine vergleichsweise ungefährliche Angelegenheit, den Fuß von der Hügelseite aus in die Stadt zu setzen.
Unterwegs hielt ich mich im dunklen Schatten der Gebäude. Bei Kreuzungen blieb ich einen Augenblick stehen, um mich zu vergewissern, daß niemand in Sicht war, bevor ich dann schnell in den Schatten auf der gegenüberliegenden Seite sprang. So gelangte ich unbemerkt in die Nähe des Zentralplatzes. Als ich in die bewohnten Gegenden gelangte, teilte mir das Schreien und Brummen der Thoats und Zitidars, die in den hohen Innenhöfen der Viertel eingepfercht waren, mit, daß es zu den Kriegerunterkünften nicht mehr weit war.
Als ich diese altbekannten Geräusche vernahm, die so typisch für den Alltag der grünen Marsmenschen sind, durchfuhr mich ein freudiger Schauer. So könnte man sich fühlen, wenn man nach langer Abwesenheit wieder nach Hause zurückkehrt. Inmitten solcher Laute hatte ich in den jahrhundertealten Marmorhallen der toten Stadt Korad um die unvergleichliche Dejah Thoris geworben.
Als ich im Schatten der abgewandten Ecke des ersten von den Horden bewohnten Viertels stand, sah ich aus mehreren Gebäuden Krieger strömen. Alle begaben sich in dieselbe Richtung, zu einem großen Gebäude, das sich direkt auf dem Platz befand. Da ich die Bräuche der grünen Marsmenschen kannte, wußte ich, daß dies entweder die Unterkunft des Anführers war oder das Audienzzimmer, wo der Jeddak seine Jeds und niederen Befehlshaber empfing. In jedem Falle war offensichtlich etwas im Gange, das mit der kürzlichen Gefangennahme von Tars Tarkas im Zusammenhang stehen konnte.
Um zu diesem Gebäude zu gelangen – und ich spürte die Notwendigkeit dazu sehr deutlich – mußte ich an einem ganzen Viertel vorbei, über eine breite Promenade sowie einen Teil des Platzes hinweg. Den Tiergeräuschen nach, die aus den Innenhöfen zu mir drangen, hielten sich viele Leute in den Gebäuden in meiner Nähe auf – offenbar gar einige Gemeinschaften der südlichen Horden der Warhoon.
Allein an all diesen unbemerkt vorbeizugelangen, war eine schwierige Angelegenheit. Doch wollte ich den großen Thark finden und befreien, hatte ich sogar noch schrecklichere Hindernisse zu überwinden, bevor mir der Erfolg sicher sein konnte. Ich war von Süden her in die Stadt gekommen und stand nun vor der Kreuzung, an der sich die Straße, auf der ich gekommen war, und die letzte Promenade vor dem Platz trafen. Die nach Süden blickenden Gebäude dieses Viertels schienen unbewohnt, da ich kein Licht sehen konnte, und so beschloß ich, durch eines davon den Innenhof zu betreten.
Nichts gebot meinem Vorwärtskommen durch das verlassene Bauwerk Einhalt, welches ich gewählt hatte, und unbemerkt erreichte ich den Innenhof in der Nähe des Ostflügels. Im Hof selbst streifte rastlos eine große Herde von Thoats und Zitidars umher, stutzte das ockerfarbene Moosgewächs, das es fast in allen unbebauten Gegenden auf dem Mars gibt. Der Wind kam von Nordwesten, so daß nur geringe Gefahr bestand, daß mich die wilden Tiere witterten. In diesem Fall wäre ihr Geschrei und Brummen derartig angeschwollen, daß es die Krieger in den Gebäuden auf die Beine gebracht hätte.
Ich kroch unter den hervorstehenden Balkons des ersten Stockwerkes an der Ostwand entlang, hielt mich fortwährend im tiefen Schatten, bis ich am anderen Ende des Hofes angekommen war und hinter den Häusern an der Nordseite stand. Die untersten drei Stockwerke waren beleuchtet, doch darüber war alles dunkel.
Es war völlig ausgeschlossen, mich durch die beleuchteten Räume zu begeben, da es darin zweifellos von grünen Männern und Frauen wimmelte. Der einzig mögliche Weg führte durch die oberen Geschosse, und um in diese zu gelangen, mußte ich die Wand erklimmen. Es war nicht weiter schwierig, den Balkon im ersten Stockwerk zu erreichen – ein Satz, und ich hing an seinem Steingeländer. Im nächsten Augenblick zog ich mich auf den Balkon.
Hier sah ich durch die geöffneten Fenster, daß sich die grünen Menschen auf ihren Seidentüchern und Fellen ausgestreckt hatten, gelegentlich einen einsilbigen Grunzer ausstoßend, der in Verbindung mit ihren erstaunlichen telepathischen Fähigkeiten ihren kommunikativen Bedürfnissen vollkommen Genüge tut. Als ich ein Stück nähertrat, um ihren Worten zu lauschen, kam ein Krieger aus dem dahinterliegenden Saal in den Raum.
»Komm, Tan Gama«, rief er. »Wir sollen den Thark zu Kab Kadja führen. Bring noch jemanden mit.«
Der Angesprochene erhob sich, nickte einem Mann zu, der in seiner Nähe hockte, und zu dritt wandten sie sich um und verließen den Raum.
Wenn ich ihnen nun folgte, dann mußte sich doch eine Gelegenheit finden, Tars Tarkas sofort zu befreien. Zumindest aber würde ich wissen, wo sich sein Gefängnis befand.
Zu meiner Rechten erblickte ich eine Tür. Dahinter lag ein unbeleuchteter Saal, und einer augenblicklichen Regung folgend trat ich ein. Der Saal war breit und führte direkt zur Vorderseite des Gebäudes. Zu beiden Seiten der Halle befanden sich die Eingänge in die verschiedenen Räume.
Ich hatte meinen Fuß kaum hineingesetzt, als ich am anderen Ende die Krieger erblickte –jene, die ich soeben den Nebenraum hatte verlassen sehen. Sie verschwanden rechts hinter einer Wegbiegung. Schnell eilte ich ihnen durch den Saal hinterher. Ich bemühte mich nicht, meine Schritte zu dämpfen, da ich spürte, daß das Schicksal mir hold gewesen war, mir eine solche Gelegenheit zu bieten, und diese konnte ich mir jetzt nicht entgehen lassen.
Am anderen Saalende angekommen, stieß ich auf eine Wendeltreppe, die die Stockwerke miteinander verband. Offenbar hatten die drei die Halle über diese Treppe verlassen. Ich war mir aufgrund meiner Kenntnisse von diesen uralten Bauwerken sowie meiner Vertrautheit mit den Methoden der Warhoon sicher, daß sie sich nach unten und nicht nach oben begeben hatten.
Einst war ich selbst ein Gefangener der grausamen nördlichen Horden der Warhoon gewesen, und noch immer sind die Erinnerungen an den unterirdischen Kerker, in dem man mich gefangen hielt, in mir lebendig. Meiner Überzeugung nach befand sich Tars Tarkas in den dunklen Kellergewölben eines Gebäudes in unserer Nähe, und in dieser Richtung würde ich eine Spur der drei Krieger wiederfinden, die mich zu seiner Zelle führte.
Ich irrte mich nicht. Am Treppenabsatz, oder besser gesagt, ein Stockwerk weiter unten, sah ich, daß der Treppenschacht in die Kellergewölbe führte. Als ich hinabblickte, zeigte mir ein flackernder Fackelschein, wo sich die drei befanden, denen ich auf den Fersen war.
Sie begaben sich direkt in die Kellergewölbe unter dem Gebäude. In sicherer Entfernung folgte ich dem flackernden Lichtschein. Es ging durch ein Labyrinth von sich windenden, unbeleuchten Gängen, so daß nur der unsichere Lichtschein der Fackel blieb, die sie bei sich trugen. Wir hatten vielleicht einhundert Yards hinter uns gebracht, als die Gruppe mit einemmal in einen Eingang zu ihrer Rechten trat. Ich stürmte hinterher, so schnell es in der Dunkelheit ging, bis ich dort angelangt war, wo sie abgebogen waren. Durch eine geöffnete Tür beobachtete ich, wie sie die Ketten lösten, die den großen Thark, Tars Tarkas, an der Wand festhielten.
Unsanft stießen sie ihn zwischen sich und verließen die Zelle sofort wieder, eigentlich so schnell, daß ich beinahe entdeckt worden wäre.
Doch gelang es mir, den Gang einfach weiter hinunterzulaufen, so daß ich mich außerhalb des trüben Lichtkegels der Fackel befand, als sie aus der Zelle traten.
Ich hatte logischerweise angenommen, daß sie mit Tars Tarkas auf demselben Weg zurückkehren würden, den sie gekommen waren. Zu meinem Verdruß jedoch bogen sie in meine Richtung, und mir blieb nichts anderes übrig, ihnen weit genug vorauszueilen, um nicht vom Schein ihrer Fackel eingeholt zu werden. Auch wagte ich nicht, mich in einem der zahlreichen abgehenden, dunklen Gänge zu verbergen, da ich nicht wußte, wo sie hinwollten. Ich fürchtete, mich dabei just in jenen Gang zu begeben, in den sie im nächsten Augenblick einbogen.
Beim Durchqueren dieser dunklen Gänge konnte man sich keineswegs sicher fühlen. Ich wußte nicht, ob ich in meiner Hast nicht im nächsten Augenblick kopfüber in irgendeine schreckliche Grube stürzte oder gar einer der gespenstischen Kreaturen in die Arme lief, die in der Unterwelt der verlassenen Städte des sterbenden Mars zu Hause waren. Nur der schwache Lichtschein von der Fackel der Männer hinter mir drang zu mir – gerade genug, um zu sehen, wohin der Weg führte, und zu verhindern, daß ich gegen eine Wand lief, sobald er abknickte.
Bald kam ich zu einer Kreuzung, von der fünf Wege ausgingen. Ich hatte in einem von ihnen schon ein Stück hinter mich gebracht, als plötzlich der Lichtschein der Fackel verschwand. Ich blieb stehen und horchte in Richtung der kleinen Gruppe hinter mir, doch es herrschte Totenstille.
Schnell wurde mir klar, daß die Krieger mit dem Gefangenen einen der anderen Wege eingeschlagen hatten, und mit beträchtlicher Erleichterung eilte ich zurück, um die viel sichere und wünschenswertere Stellung hinter ihnen einzunehmen. Die Rückweg verlief dennoch viel langsamer, denn es war so finster, daß man die Hand vor den Augen nicht mehr sehen konnte.
Es erwies sich als notwendig, mit der Hand die Wand und mit dem Fuß den Boden vor sich abzutasten, um nicht die Stelle zu verpassen, von der fünf Wege abgegangen waren. Nach einer anscheinenden Ewigkeit langte ich endlich an meinem Ziel an. Ich erkannte es, als ich mich an den einzelnen Zugängen entlangtastete und fünf davon zählte. Dennoch war in keinem von ihnen auch nur der geringste Lichtschimmer auszumachen.
Ich lauschte aufmerksam, doch die grünen Menschen gingen barfuß, und ihre lautlosen Schritte erzeugten in den Gewölben keinen Widerhall, an dem man sich orientieren hätte können. Doch bald glaubte ich, weit vor mir im mittleren Gang das Klirren der Waffen zu vernehmen. Ich stürzte auf der Suche nach dem Lichtschein hinterher und blieb gelegentlich stehen, um festzustellen, ob sich das Geräusch wiederholte. Aber schnell mußte ich mir eingestehen, daß ich einem Irrtum erlegen war, da meine Bemühungen nur durch Dunkelheit und Stille belohnt wurden.
Erneut ging ich zur der Wegkreuzung zurück, als ich mich zu meiner Überraschung an einem Platz wiederfand, von dem drei Wege abgingen. Durch einen jeden von diesen mochte ich in meiner durch den falschen Hinweis verarschten Hast gekommen sein. Das war eine schöne Bescherung! Wieder an der Stelle mit den fünf Abzweigungen angelangt, hätte ich begründet darauf hoffen können, daß die Krieger mit Tars Tarkas zurückkehrten.
Meine Kenntnisse ihrer Bräuchen sagten mir, daß man ihn wahrscheinlich nur zum Audienzzimmer geleitete, um dort das Urteil über ihn zu fällen. Ich zweifelte nicht im geringsten daran, daß sie sich einen solch tapferen Krieger, wie es der große Thark war, aufheben würden, da er eine seltene Attraktion bei den Großen Spielen darstellte.
Doch solange ich mich nicht dorthin zurückfand, bestanden ausgezeichnete Chancen, daß ich tagelang durch die fürchterliche Finsternis irrte, bis mich schließlich Hunger und Durst besiegten, und ich zum Sterben darniedersank, oder – was war das?
Ein leises Schlurfen war hinter mir zu hören, und als ich einen kurzen Blick hinter mich warf, gefror mir das Blut in den Adern. Nicht aus Angst vor einer gegenwärtigen Gefahr, sondern mehr wegen der furchteinflößenden Erinnerungen an damals, als ich neben dem Leichnam des Mannes, den ich in den Kerkern der Warhoon getötet hatte, fast den Verstand verlor. Funkelnde Augen hatten mich aus der Dunkelheit angestarrt und das Ding, das einst ein Mann gewesen war, von mir fortgeschleppt. Ich hatte gehört, wie sie ihn über den Gefängnisboden zu ihrem schrecklichen Festmahl schleiften.
Und nun blickte ich in diesen schwarzen Gewölben der anderen Warhoon in dieselben feurigen Augen, die in der schrecklichen Finsternis loderten, ohne daß man dahinter irgendeine Tiergestalt erkennen konnte. Ich denke, die schlimmsten Eigenschaften dieser furchteinflößenden Kreaturen bestehen in ihrer Lautlosigkeit und der Tatsache, daß man sie nie zu Gesicht bekommt. Man sieht nur diese unheilvollen Augen, die einen, ohne zu blinzeln, aus dem dunklen Nichts anstarren.
Ich packte mein langes Schwert fester, wich rückwärts den Korridor entlang vor dem Wesen zurück, das mich beobachtete. Doch mit jedem Schritt, den ich tat, bewegten sich auch die Augen lautlos auf mich zu. Nicht einmal ein Atmen war zu hören, nur gelegentlich das schlurfende Geräusch, auf das ich als erstes aufmerksam geworden war, das sich so anhörte, als zerre man einen toten Ast auf dem Boden entlang.
Ich ging immer weiter zurück, doch konnte ich meinem unheilvollem Verfolger nicht entkommen. Plötzlich vernahm ich das Schlurfen zu meiner Rechten, wandte den Kopf und erblickte ein weiteres Augenpaar, das sich mir offensichtlich von einem abzweigenden Gang aus näherte. Als ich wieder meinen langsamen Rückzug aufnahm, ließ sich das Geräusch hinter mir vernehmen, und bevor ich mich umwenden konnte, hörte ich es ein weiteres Mal, diesmal zu meiner Linken.
Die Kreaturen waren überall. Sie hatten mich an der Kreuzung zweier Gänge eingekreist. Der Rückzug war mir in alle Richtungen versperrt, solange ich nicht eines der Biester angriff. In diesem Fall, daran zweifelte ich nicht im geringsten, würden mich die anderen dann von hinten anspringen. Ich hatte nicht einmal die geringste Ahnung von der Größe oder der Gestalt der unheimlichen Kreaturen. Sie waren von stattlichen Ausmaßen, das schloß ich aus der Tatsache, daß sich ihre Augen mit den meinen in einer Höhe befanden.
Warum erscheinen uns in der Finsternis alle Gefahren größer? Tagsüber hätte ich selbst das große Banth angegriffen, wäre es nötig gewesen, doch von der in diesen stillen Kellergewölben vorherrschenden Dunkelheit eingeschüchtert, zuckte ich selbst vor einem Augenpaar zurück.
Bald sah ich, daß mir die Angelegenheit in Kürze entgleiten würde, denn die Augen zu meiner Rechten kamen langsam näher, ebenso die zu meiner Linken, jene hinter und vor mir. Schrittweise schlossen sie sich um mich – doch noch immer herrschte die schreckliche Stille.
Die Zeit schleppte sich dahin wie Stunden, und fortwährend kamen mir die Augen näher. Ich fühlte, wie mich der Schrecken langsam in den Wahnsinn trieb. Um einem plötzlichen Angriff von hinten zuvorzukommen, hatte ich mich ständig gedreht und war nun ziemlich zermürbt. Schließlich hielt ich es nicht länger aus, griff mit neuer Kraft an mein langes Schwert, wandte mich blitzschnell um und sprang auf einen meiner Peiniger zu.
Ich war schon fast bei ihm, als er vor mir zurückwich. Ein Geräusch hinter mir hieß mich rechtzeitig herumfahren, um mich drei Augenpaaren gegenüberzusehen, die auf mich zukamen. Mit einem Wutschrei trat ich den drei feigen Kreaturen entgegen, doch ihrem Gefährten gleich wichen auch sie vor mir zurück. Ein erneuter Blick über die Schulter zeigte mir, daß sich mir die zuerst erspähten Augen wieder näherten. Wieder griff ich an, nur um sie vor mir zurückweichen zu sehen und zu spüren, wie sich die anderen drei von hinten an mich heranpirschten.
So fuhren wir fort, wobei die Augen letztendlich immer näher als zuvor an mich herankamen, bis ich dachte, bei dieser schrecklichen, nervenaufreibenden Tortur den Verstand zu verlieren. Es war offensichtlich, daß sie darauf lauerten, mir auf den Rücken zu springen, und ebenso sicher würde das nicht mehr lange auf sich warten lassen, denn ich hielt der Marter des ständigen Angriffs und Gegenangriffs nicht unendliche Zeit stand. Schon fühlte ich, wie ich durch die andauernde geistige und physische Anspannung zusehends schwächer wurde.
Plötzlich sah ich aus dem Augenwinkel ein einzelnes Augenpaar von hinten auf mich zukommen. Als ich mich umwandte und dem Angriff stellen wollte, stürzten sich die drei Kreaturen von der anderen Seite auf mich. Ich beschloß jedoch, das einzelne Augenpaar zu verfolgen, bis ich schließlich einem der Biester den Garaus gemacht und nur noch einen Angriff von einer Seite zu gewärtigen hatte.
Im Gang herrschte Totenstille, ich hörte nur meinen eigenen Atem, doch wußte ich, daß die drei unheimlichen Kreaturen fast bei mir waren. Die Augen vor mir wichen jetzt langsamer zurück, ich war bereits auf Schwertlänge auf sie herangekommen. Ich erhob den Arm, um den befreienden Schlag auszuführen, und spürte im selben Moment einen schweren Körper auf meinem Rücken. Ein kaltes, feuchtes, schleimiges Etwas klammerte sich an mein Genick. Ich geriet ins Stolpern und ging zu Boden.