20. Der Luftkampf

Zwei Stunden, nachdem wir meinen Palast in Helium verlassen hatten, also etwa gegen Mitternacht, langten Kantos Kan, Xodar und ich in Hastor an. Carthoris, Tars Tarkas und Hor Vastus waren auf einem anderen Kreuzer direkt nach Thark gereist.

Die Transporter sollte sofort auf die Reise geschickt werden und sich langsam nach Süden bewegen. Die Flotte der Schlachtschiffe würde sie am Morgen des zweiten Tages einholen.

In Hastor fanden wir alles fertig vor, und Kantos Kan hatte jede Einzelheit des Feldzugs so geplant, daß das erste Luftschiff der Flotte binnen zehn Minuten nach unserer Ankunft aus seinem Dock schwebte. In Abständen von einer Sekunde stiegen nacheinander alle großen Luftschiffe elegant in die Nacht auf und bildeten eine lange, dünne Reihe, die sich meilenweit nach Süden streckte.

Erst nachdem wir die Kabine von Kantos Kan betreten hatten, dachte ich daran, nach dem Datum zu fragen, denn ich wußte nach wie vor nicht genau, wie lange ich in den Gruben des Zat Arrras verbracht hatte. Als Kantos Kan es mir sagte, durchfuhr mich Entsetzen angesichts der Erkenntnis, daß mir bei Berechnung der Zeit, die ich in der pechschwarzen Finsternis meiner Zelle gelegen hatte, ein Fehler unterlaufen war. Dreihundertfünfundsechzig Tage waren verstrichen – es war zu spät, Dejah Thoris zu retten.

Ziel der Expedition war also nicht Rettung, sondern Rache. Ich teilte Kantos Kan die schreckliche Tatsache nicht mit, daß die Prinzessin von Helium, ehe wir hoffen konnten, den Tempel von Issus zu betreten, nicht mehr am Leben sein würde. Nach allem, was ich wußte, war sie jetzt schon tot, denn ich hatte keine Ahnung, wann genau sie das erste Mal Issus erblickt hatte.

Was hatte es für Sinn, meine Freunde zusätzlich noch mit meinen persönlichen Sorgen zu belasten – sie hatten sie in der Vergangenheit oft genug mit mir geteilt. Ich wollte meinen Kummer für mich behalten. Deshalb sagte ich keinem, daß wir zu spät kamen. Die Expedition konnte dennoch viel ausrichten, und wenn sie dem Volk von Barsoom nur die Tatsache der grausamen Täuschung vor Augen führte, denen sie unzählige Zeitalter ausgesetzt gewesen waren. Auf diese Weise würde Tausenden jedes Jahr das gräßliche Schicksal erspart, das sie am Ende ihrer freiwilligen Pilgerfahrt erwartete.

Konnte sie den roten Menschen das schöne Tal Dor öffnen, wäre schon viel erreicht, und im Land der Verlorenen Seelen zwischen den Bergen von Otz und der Eisbarriere lagen viele weite Äcker, die keiner Bewässerung bedurften, um reiche Ernten zu tragen.

Hier auf dem Grund einer sterbenden Welt befand sich das einzige produktive Gebiet seiner Oberfläche. Hier allein gab es Tau und Regen, hier allein ein offenes Meer, hier war Wasser in Hülle und Fülle. Dabei war all dies nur der Herrschaftsbereich wilder Bestien, sperrten die bösartigen Abkömmlinge zweier einst mächtiger Rassen alle anderen Millionen von Barsoom von seinen schönen und fruchtbaren Flächen aus. Würde es mir nur gelingen, die Barriere religiösen Aberglaubens einmal niederzureißen, die die roten Rassen von diesem El Dorado ferngehalten hatte, so hätte ich den unsterblichen Tugenden meiner Prinzessin ein angemessenes Denkmal gesetzt – ich hätte Barsoom wieder einen Dienst erwiesen, und Dejah Thoris’ Märtyrertod wäre nicht umsonst gewesen.

Am Morgen des zweiten Tages ließen wir die große Flotten von Transportern samt Begleitschiffen bei den ersten Anzeichen der Dämmerung aufsteigen, und bald waren wir nahe genug, um Signale auszutauschen. Ich kann an dieser Stelle erwähnen, daß in Kriegszeiten Radioaerogramme selten benutzt werden, für die Übermittlung von Geheimnachrichten schon gar nicht, denn sooft eine Nation einen neuen Schlüssel entdeckt oder ein neues Gerät zur drahtlosen Nachrichtenübermittlung erfindet, setzen ihre Nachbarn alles daran, diese Botschaften abzufangen und zu übersetzen. Das war so lange Brauch gewesen, daß praktisch jede Möglichkeit drahtloser Kommunikation erschöpft war und keine Nation wagte, Funksprüche von Bedeutung auf diesem Weg zu übermitteln.

Tars Tarkas meldete, mit den Transportern sei alles in Ordnung. Die Schlachtschiffe fuhren durch, um eine günstige Position einzunehmen, und nun schwebten die vereinigten Flotten langsam über die Eiskappe, wobei sie sich dicht über dem Boden hielten, um einer Entdeckung durch die Therns zu entgehen, deren Land wir uns näherten.

Allen weit voraus schützte uns eine dünne Linie von Einmann-Luftaufklärern vor Überraschungen. Sie deckten uns auch an den Flanken, während eine kleine Anzahl etwa zwanzig Meilen hinter den Transportern die Nachhut bildete. In dieser Formation flogen wir einige Stunden zum Eingang nach Omean, als einer unserer Kundschafter aus der vordersten Reihe meldete, der konusartige Gipfel des Eingangs sei gesichtet worden. Fast im gleichen Augenblick kam ein anderer Aufklärer von der linken Flanke zum Flaggschiff gejagt.

Seine große Geschwindigkeit bezeugte die Bedeutung seiner Information. Kantos Kan und ich erwarteten ihn auf dem kleinen Vorderdeck, das der Kommandobrücke von maritimen Schlachtschiffen entspricht. Kaum war sein winziges Flugzeug auf dem breiten Landedeck des Flaggschiffs zum Halten gekommen, kam er auch schon die Treppe zu dem Deck heraufgestürzt, wo wir standen.

»Eine große Flotte von Schlachtschiffen in Süd-Süd-Ost, mein Prinz«, sagte er. »Es müssen mehrere Tausend sein, und sie kommen direkt auf uns zu.«

»Die Thernspione waren als nicht umsonst im Palast von John Carter«, sagte Kantos Kan zu mir. »Ihre Befehle, Prinz!«

»Schicke zehn Schlachtschiffe zur Bewachung des Eingangs von Omean mit der Anweisung, kein feindliches Schiff in den Schacht oder wieder heraus zu lassen. Das wird die große Flotte der Erstgeborenen festnageln.

Die restlichen Schlachtschiffe bilden ein großes V, dessen Spitze direkt nach Süd-Süd-Ost weist. Befiehl den Transportern, den Schlachtschiffen umringt von ihren Begleitschiffen dichtauf zu folgen, bis die Spitze des V die feindliche Linie durchstoßen hat. Dann muß sich das V an der Spitze nach außen öffnen, wobei die Schlachtschiffe jedes Schenkels den Feind kraftvoll bedrängen und ihn zurücktreiben, wobei sie eine Gasse durch seine Linie bahnen, welche die Transporter samt den Begleitschiffen mit Höchstgeschwindigkeit durchfahren, bis sie sich in einer Position über den Tempeln und Gärten der Therns befinden.

Hier laßt sie landen und den Heiligen Therns eine solche Lektion in wilder Kriegführung erteilen, wie sie sie in unzähligen Zeitaltern nicht vergessen werden. Es war nicht meine Absicht, mich vom Hauptziel der Kampagne ablenken zu lassen, aber wir müssen diese Auseinandersetzung mit den Therns ein für allemal hinter uns bringen, oder es wird keinen Frieden für uns geben, während unsere Flotte in der Nähe von Dor bleibt. Unsere Chancen, je in die Außenwelt zurückzukehren, verringern sich dadurch ungeheuer.«

Kantos Kan salutierte und machte kehrt, um meine Anweisungen den wartenden Adjutanten zu übermitteln. In unglaublich kurzer Zeit veränderten die Schlachtschiffe entsprechend meinem Befehl die Formation. Jene zehn, die den Weg nach Omean decken sollten, eilten an ihren Bestimmungsort, und die Truppentransporter und Begleitschiffe schlossen zur Eilfahrt durch die Gasse auf.

Der Befehl wurde erteilt, volle Kraft voraus zu fahren. Die Flotte sprang durch die Luft wie ein Rudel Windhunde, und einen Moment später wurden die Schiffe des Feindes gesichtet. Sie bildeten eine ungeordnete Linie, so weit das Auge in beiden Richtungen reichte, und waren etwa drei Schiffe tief gestaffelt. Unser Auftauchen kam für sie so unerwartet, daß sie keine Zeit hatten, sich darauf vorzubereiten. Es war wirklich ein Blitz aus heiterem Himmel.

Jede Phase meines Planes gelang vortrefflich. Unsere großen Schiffe zogen geschlossen ihre Bahn durch die Linie der Feinde. Dann öffnete sich das V, und eine breite Gasse tat sich auf, durch die die Transportschiffe den Tempeln des Sonnenlichts zueilten. Als sich die Therns von dem Angriff erholt hatten, fluteten bereits einhunderttausend grüne Krieger durch ihre Höfe und Gärten, während einhundertundfünfzigtausend andere sich aus den tief schwingenden Transportschiffen beugten, um ihre fast unheimliche Treffsicherheit bei den Thernsoldaten, die auf den Schutzwällen standen oder die Tempel zu verteidigen suchten, unter Beweis zu stellen.

Nun gerieten die beiden großen Flotten hoch über dem unheimlichen Kampfgetümmel in den prächtigen Gärten der Therns zu einem wahren Titanenkampf aneinander. Langsam vereinigten die zwei Linien der Schlachtschiffe von Helium sich, und nun begann die Einkreisung der feindlichen Schlachtlinie, welche für die Seekriegsführung der Barsoomier so charakteristisch ist.

Die Schiffe fuhren unter Kantos Kan jeweils im Kielwasser des Vordermannes immer im Kreis herum, bis sie schließlich einen nahezu vollkommenen Ring bildeten. Dabei behielten sie eine hohe Geschwindigkeit bei, so daß sie für den Gegner ein schwer zu treffendes Ziel bildeten. Sie feuerten eine Breitseite nach der anderen ab, sobald jedes Schiff auf gleiche Höhe mit denen der Therns kam. Letztere versuchten, die Formation aufzubrechen, doch ebensogut hätten jemand versuchen können, eine Kreissäge mit der bloßen Hand zum Anhalten zu bringen.

Von meiner Position an Deck neben Kantos Kan sah ich ein feindliches Schiff nach dem anderen jenen schrecklichen grauenerregenden Sturzflug antreten, der totale Vernichtung ankündigt. Langsam manövrierten wir unseren Ring des Todes weiter, bis wir über den Gärten hingen, in denen unsere grünen Krieger kämpften. Wir schickten einen Befehl hinunter, sie sollten an Bord kommen. Dann stiegen wir langsam zu einer Position im Kreismittelpunkt auf.

Inzwischen hatten die Therns ihr Feuer praktisch eingestellt. Sie hatten genug von uns und waren nur zu froh, uns in Frieden ziehen zu lassen. Unser Abzug sollte jedoch nicht so leicht verlaufen, denn kaum waren wir wieder in Richtung des Eingangs von Omean unterwegs, erblickten wir weit im Norden am Horizont eine große, schwarze Schlachtlinie. Das konnte nur eine Kriegsflotte sein.

Wem sie gehörte und wohin sie wollte, konnten wir nicht einmal ahnen. Als sie nahe genug herangekommen waren, um uns auszumachen, erhielt Kantos Kans Funkmechaniker ein Radioaerogramm, das er meinem Freund sofort aushändigte. Er las es und gab es an mich weiter.

Es lautete: »Kantos Kan, ergib dich im Namen des Jeddaks von Helium, denn du kannst nicht entkommen«, und war mit ›Zat Arrras‹ unterzeichnet.

Die Therns mußten die Nachricht zu gleicher Zeit wie wir abgefangen und entschlüsselt haben, denn sie nahmen die Feindseligkeiten im Nu wieder auf, als sie erkannt hatten, daß wir in Bälde von anderen Feinden bedrängt würden.

Noch ehe Zat Arrras sich uns nahe genug auf den Leib gerückt war, um einen Schuß abzugeben, waren wir wieder in ein heftiges Kampfgetümmel mit der Thernflotte verstrickt, und kaum war er nahe genug, begann er gleichfalls, uns mit einem furchtbaren Feuer einzudecken. Schiff um Schiff geriet ins Trudeln oder taumelte nutzlos unter der erbarmungslosen Kanonade, der wir ausgesetzt waren, hin und her.

Die Sache konnte nicht endlos so weitergehen. Ich befahl den Transportern, wieder in die Gärten der Therns abzutauchen.

»Vollzieht eure Rache bis zum äußersten, denn zur Nacht wird niemand mehr übrig sein, das euch widerfahrene Unrecht zu sühnen«, lautete meine Nachricht an die grünen Verbündeten.

Da sah ich die zehn Schlachtschiffe, die abkommandiert worden waren, den Schacht von Omean zu halten, in Höchstgeschwindigkeit zurückkehren, wobei ihre Heckgeschütze fast ununterbrochen feuerten. Dafür konnte es nur eine Erklärung geben. Sie wurden von einer anderen feindlichen Flotte verfolgt. Die Lage konnte nicht schlimmer sein. Schon war die Expedition zum Untergang verurteilt. Keiner der Teilnehmer würde über jene trostlose Eiskappe zurückkehren. Wie sehr wünschte ich mir, Zat Arrras nur einen Augenblick mit meinem Langschwert gegenüberzustehen, ehe ich starb! Schließlich war er es, der unseren Mißerfolg herbeigeführt hatte.

Während ich die herannahenden zehn beobachtete, kamen auch ihre Verfolger schnell in Sicht. Es war eine andere große Flotte. Eine Zeitlang traute ich meinen Augen nicht, doch schließlich gelangte ich zu der Erkenntnis, daß das denkbar größte Verhängnis über die Expedition hereingebrochen war, denn die Flotte, die ich sah, war keine andere als die der Erstgeborenen, von der ich angenommen hatte, daß sie in Omean festgenagelt war. Was für eine ganze Reihe von Fehlschlägen und unheilvollen Wendungen! Welch unmenschlichem Schicksal hatte ich es zu verdanken, daß die Suche nach meiner verlorenen Geliebten in jeder Weise so grausam zunichtegemacht wurde? War es möglich, daß der Fluch der Issus auf mir lastete? Daß in der Tat eine mir übelwollende Gottheit in dem gräßlichen Kadaver verborgen war? Ich wollte es nicht glauben, reckte die Schultern und rannte zum unteren Deck, um mich meinen Männern anzuschließen, die die Enterer von einem Fahrzeug der Thern abwehrten, welches bei uns längsseits gegangen war. In der wilden Lust eines Kampfes Mann gegen Mann kehrte meine alte, unerschrockene Zuversicht zurück, und als ein Thern nach dem anderen unter meiner Klinge zu Boden sank, konnte ich fast fühlen, daß wir letzten Endes erfolgreich sein würden, trotz scheinbarer Fehlschläge.

Meine Anwesenheit unter den Männern beflügelte sie dermaßen, daß sie mit solch schrecklichem Ungestüm über die unglücklichen Weißen herfielen, daß wir binnen weniger Minuten den Spieß umgedreht hatten. Eine Sekunde später schwärmten wir über ihre Decks, und ich sah voller Befriedigung, wie ihr Kommandant zum Zeichen seiner Kapitulation und Niederlage einen weiten Sprung vom Bug seines Fahrzeug vollführte.

Nun ging ich wieder zu Kantos Kan. Er hatte die Geschehnisse an Deck unten verfolgt, und dies schien ihn auf einen neuen Gedanken gebracht zu haben. Sofort erteilte er einem seiner Offiziere einen Befehl, und augenblicks wehten die Fahnen des Prinzen von Helium von jedem Punkt des Flaggschiffes. Jeder Mann an Bord unseres Schiffes brach in lautes Beifallsgeschrei aus, das von allen anderen Schiffen unserer Expedition aufgegriffen wurde, die nun ihrerseits meine Fahnen von den Aufbauten flattern ließen.

Nun startete Kantos Kan seinen Coup. Er ließ auf dem Flaggschiff ein Signal setzen, daß jeder Seemann aller Flotten, die an diesem furchtbaren Kampf teilnahmen, erkennen konnte. Es lautete: ›Männer von Helium für den Prinzen von Helium gegen alle seine Feinde!‹ Im Nu wehten meine Farben auf einem von Zat Arrras’ Schiffen, dann schon auf einem anderen und noch einem. Auf einigen konnten wir sehen, wie zwischen der Zodanganer Soldateska und den Mannschaften aus Helium erbittert gekämpft wurde, doch schließlich wehten die Fahnen des Prinzen von Helium auf jedem Schiff, das Zat Arrras in unserem Kielwasser gegen uns heranführte – nur auf seinem Flaggschiff nicht.

Er hatte fünftausend Schiffe herangebracht. Der Himmel war schwarz von drei gewaltigen Flotten. Jetzt stritt Helium um das Schlachtfeld, und der Kampf zerfiel in zahllose Zweikämpfe.

In dem überfüllten, von Feuer zerkeilten Himmel konnten die Flotten nur wenig oder überhaupt nicht manövrieren.

Zat Arrras’ Flaggschiff war dicht neben meinem. Ich konnte von meinem Standort die hageren Gesichtszüge des Mannes sehen. Seine Zodanganer Mannschaft feuerte eine Breitseite nach der anderen auf uns, und wir erwiderten das Feuer ebenso ungestüm. Immer näher kamen sich die beiden Schiffe, bis sie nur noch wenige Yards voneinander getrennt waren. Entermannschaften reihten sich an den benachbarten Bordwänden der Fahrzeuge. Wir bereiteten uns auf den Todeskampf mit unserem verhaßten Feind vor.

Zwischen den zwei riesigen Schiffen war nur noch ein Yard Abstand, als die ersten Entereisen geworfen wurden. Ich stürzte zum Deck, um bei meinen Männern zu sein, wenn sie enterten. Genau in dem Moment, als beide Schiffe mit einem leichten Ruck aneinanderstießen, drängte ich mich durch die Linien und war so der erste, der an Deck von Zat Arrras’ Schiff sprang. Mir folgte die schreiende, Beifall rufende und fluchende Schar von Heliums besten Kämpfern. Nichts konnte dem Fieber der Kampfeslust widerstehen, die sie ergriffen hatte.

Vor dieser heranbrandenden Flut des Krieges gingen die Zodanganer zu Boden, und während meine Männer die unteren Decks säuberten, sprang ich zum Vorderdeck, wo Zat Arrras stand.

»Du bist mein Gefangener, Zat Arrras«, sagte ich. »Ergib dich, und dir wird Pardon gewährt.«

Einen Augenblick lang konnte ich nicht feststellen, ob er erwog, meiner Forderung nachzugeben oder mir mit gezücktem Schwert entgegenzutreten. Einen Augenblick stand er zögernd, dann warf er die Arme nach unten, wandte sich um und rannte zur anderen Seite des Decks. Noch ehe ich ihn einholen konnte, war er über die Bordwand gesprungen und stürzte kopfüber in die schreckliche Tiefe.

So kam Zat Arrras, Jed von Zodanga, zu Tode.

Weiter ging dieser seltsame Kampf. Therns und Schwarze hatten sich nicht gegen uns verbündet. Wo immer ein Thernschiff auf eines des Erstgeborenen stieß, fand ein Kampf statt, und darin sah ich unsere Rettung. Wo immer es möglich war, daß zwischen uns Nachrichten ausgetauscht werden konnten, ohne von unseren Gegnern abgefangen zu werden, ließ ich mitteilen, alle unsere Schiffe sollten sich so schnell wie möglich aus dem Kampf zurückziehen und westlich und südlich der Streitenden Position beziehen. Auch sandte ich einen Luftaufklärer zu den kämpfenden grünen Menschen in den Gärten unten, sich wieder einzuschiffen, und an die Transporter; sie sollten sich uns anschließen.

Meinen Kommandeuren erteilte ich weiterhin Befehl, sie sollten, wenn in einen Kampf verwickelt, ihren Gegner so schnell wie möglich zu einem Schiff seines Erzfeindes ziehen und durch sorgsames Manövrieren die beiden dazu bringen, übereinander herzufallen. Diese Taktik bewährte sich ausgezeichnet, und kurz vor Sonnenuntergang hatte ich die Befriedigung zu sehen, daß sich die Reste meiner einst mächtigen Flotte nahezu zwanzig Meilen südwestlich des noch immer wilden Schlachtgetümmels zwischen den Schwarzen und den Weißen versammelt hatte.

Ich versetzte Xodar jetzt auf ein anderes Schlachtschiff und sandte ihn mit allen Transportern und fünftausend Schlachtschiffen direkt über den Tempel von Issus. Carthoris und ich übernahmen zusammen mit Kantos Kan die verbliebenen Schiffe und steuerten den Eingang nach Omean an.

Unser Plan bestand nun in dem Versuch, in der Morgendämmerung des folgenden Tages einen kombinierten Angriff auf Issus zu unternehmen. Tars Tarkas mit seinen grünen Kriegern und Hor Vastus mit den roten sollten unter Führung von Xodar in den Gärten von Issus oder auf den umliegenden Ebenen landen, während Carthoris, Kantos Kan und ich unsere kleinere Streitmacht von der See von Omean durch die Gruben unter dem Tempel führen sollten, in denen sich Carthoris so gut auskannte.

Jetzt erfuhr ich zum ersten Mal, aus welchem Grund sich meine zehn Schiffe von der Schachtöffnung zurückgezogen hatten. Offensichtlich war die Seemacht der Erstgeboren in dem Moment, als sie am Schacht anlangten, schon aus der Öffnung geströmt. Volle zwanzig Fahrzeuge waren aufgetaucht, und obwohl sie sofort den Kampf eröffneten und sich bemühten, die Flut aufzuhalten, die aus der schwarzen Grube brach, war das Zahlenverhältnis zu ungünstig für sie, deshalb mußten sie die Flucht antreten.

Wir näherten uns dem Schacht nun mit großer Vorsicht und im Schutz der Dunkelheit. In einer Entfernung von einigen Meilen ließ ich die Flotte anhalten. Carthoris unternahm von hier mit einer Einmannmaschine allein einen Erkundungsflug. Nach etwa einer halben Stunde kehrte er mit der Meldung zurück, von einem Patrouillenboot oder einer sonstigen Aktivität des Feindes sei nichts zu entdecken, und so rückten wir wieder schnell und lautlos gegen Omean vor.

An der Einmündung des Schachts machten wir erneut einen Augenblick halt, damit alle Fahrzeuge die ihnen vorher angewiesenen Positionen einnehmen konnten. Dann ließ ich mich mit dem Flaggschiff schnell in die schwarze Tiefe fallen, während die anderen Schiffe mir in rascher Folge nacheilten.

Wir hatten beschlossen, alles daranzusetzen, daß wir den Tempel auf unterirdischem Wege erreichten. Deshalb ließen wir keine Schiffe zur Bewachung am Eingang des Schachtes zurück. Sie hätten uns ohnedies nicht viel nützen können, denn wir waren, alle Kräfte zusammengenommen, dennoch nicht stark genug, der riesigen Flotte der Erstgeborenen zu widerstehen, wäre sie zurückgekehrt, um sich mit uns zu befassen.

Wir glaubten, daß uns beim Eindringen in Omean kaum eine Gefahr drohen könne, weil unser kühner Vorstoß so überraschend erfolgte. Es würde gewiß einige Zeit dauern, ehe der erste Wache haltende Erstgeborene erkannte, daß es eine feindliche, nicht die eigene zurückkehrende Flotte war, die in das Gewölbe der vergrabenen See eindrang.

Genau das war der Fall. Ehe der erste Schuß fiel, ruhten vierhundert von fünfhundert Fahrzeugen meiner Flotte sicher im Busen von Omean. Der Kampf war kurz und heiß, aber es konnte nur einen Ausgang geben, denn die Erstgeborenen hatten, sich in Sicherheit wähnend, zur Bewachung ihres gewaltigen Hafens nur eine Handvoll alter und unmoderner Schiffe zurückgelassen.

Auf Carthoris’ Vorschlag brachten wir unsere Gefangenen unter Bewachung auf einige größere Inseln an Land, danach machte wir die Schiffe der Erstgeborenen im Schacht fest, wo es uns gelang, eine Anzahl davon zuverlässig im Inneren des großen Brunnens zu verkeilen. Dann schalteten wir bei den übrigen die Auftriebsstrahlen an und ließen sie aufsteigen, so daß sie die Passage nach Omean noch mehr blockierten, sobald sie mit den dort bereits feststeckenden Schiffen in Berührung kamen.

Wir spürten nun, daß es zumindest einige Zeit dauern würde, ehe die zurückkehrenden Erstgeborenen die Oberfläche von Omean erreichen konnte. Dadurch hatten wir genügend Gelegenheit, die unterirdischen Passagen anzusteuern, die zu Issus führten. Einer meiner ersten Schritte bestand darin, persönlich mit einer beträchtlichen Streitmacht zur Insel der U-Boote zu eilen, die ich ohne Widerstand seitens der dortigen kleinen Wache einnahm.

Ich fand das U-Boot in seinem Becken vor und postierte sofort eine starke Wache dort und auf der Insel, wo ich weiter verblieb, um die Ankunft von Carthoris und den anderen abzuwarten.

Unter den Gefangenen war Yersted, Kommandeur des U-Boots. Er kannte mich von den drei Reisen, die ich während meiner Gefangenschaft unter den Erstgeborenen mit ihm unternommen hatte.

»Wie fühlt man sich, wenn der Spieß herumgedreht wurde?« fragte ich ihn. »Wenn man Gefangener seines vormaligen Gefangenen ist?«

Er lächelte, es war ein sehr grimmiges Lächeln voller tückischer Bedeutung.

»Nicht für lange, John Carter«, erwiderte er. »Wir haben dich erwartet und sind vorbereitet.«

»Das sieht auch ganz so aus«, antwortete ich. »Ihr wart alle bereit, meine Gefangenen zu werden, ohne daß beide Seiten kaum einen Schlag führten.«

»Die Flotte muß euch verfehlt haben, doch sie wird nach Omean zurückkehren, und dann sieht die Sache ganz anders aus – für John Carter.«

»Ich wüßte nicht, daß die Flotte mich bis jetzt verfehlt hätte«, sagte ich, aber natürlich erfaßte er nicht, was ich sagen wollte, und blickte nur verwirrt drein.

»Sind viele Gefangene in eurem grimmigen Fahrzeug nach Issus gereist, Yersted?« fragte ich.

»Sehr viele«, bestätigte er.

»Kannst du dich einer erinnern, welche die Männer Dejah Thoris nannten?«

»Ganz richtig, wegen ihrer großen Schönheit, aber auch ob der Tatsache, daß sie die Gattin des ersten Sterblichen war, der in unzähligen Zeitaltern ihrer Göttlichkeit je aus Issus geflohen ist. Es heißt, Issus erinnert sich ihrer am besten als der Gattin des einen und der Mutter eines anderen, der seine Hand gegen die Gottheit des Ewigen Lebens erhob.«

Ich schauderte aus Furcht vor der feigen Rache, die Issus wegen des gotteslästerlichen Frevels ihres Sohnes und ihres Gatten vielleicht an der unschuldigen Dejah Thoris geübt hatte.

»Und wo ist Dejah Thoris jetzt?« fragte ich in Vorahnung, daß er nun die Worte sprechen würde, die ich am meisten fürchtete. Doch ich liebte sie so sehr, daß ich mich nicht zurückhalten konnte, selbst das Schlimmste über ihr Schicksal zu hören, wie sie einem über die Lippen kamen, der sie kürzlich erst gesehen hatte. Mir war, als brächte selbst dies Dejah Thoris näher zu mir.

»Gestern wurden die monatlichen Riten des Issus veranstaltet«, erwiderte er. Da sah ich sie an ihrem gewohnten Platz zu Füßen des Issus sitzen.

»Was, demnach ist sie nicht tot?« fragte ich.

»Warum, natürlich nicht!« erwiderte der Schwarze. »Es ist noch kein Jahr vergangen, seit sie auf den göttlichen Glorienschein des strahlenden Antlitzes von... «

»Kein Jahr?« unterbrach ich ihn.

»Nein, warum auch?« sagte Yersted beharrlich. »Es können nicht mehr als dreihundert und siebzig oder achtzig Tage sein.«

Mir kam eine große Erleuchtung. Wie töricht war ich gewesen! Es bereitete mir Mühe, mir meine große Freude nicht anmerken zu lassen. Warum hatte ich nur den gewaltigen Unterschied in der Länge der Mars- und Erdenjahre vergessen! Die zehn Erdenjahre, die ich auf Barsoom verbracht hatte, entsprachen nur fünf Jahren und sechsundneunzig Tagen der Marszeit, deren Tage einundvierzig Minuten länger sind als unsere und deren Jahre sechshundertundsiebenundachtzig Tage umfassen.

Ich kam rechtzeitig! Ich kam rechtzeitig! Immer wieder gingen mir diese Worte durch den Kopf, bis ich sie schließlich laut ausgesprochen haben mußte, denn Yersted schüttelte den Kopf.

»Rechtzeitig, um deine Prinzessin zu retten?« fragte er und fuhr fort, ohne auf meine Antwort zu warten: »Nein, John Carter, Issus wird ihr Eigentum nicht hergeben. Sie weiß, daß du kommst, und ehe ein Vandalenfuß die Gemächer des Tempels von Issus betritt – sollte so ein Unglück je eintreten –, wird Dejah Thoris auch der letzten schwachen Hoffnung auf Rettung entsagen müssen.«

»Du meinst, sie wird getötet werden, nur um meine Pläne zunichte zu machen?« fragte ich.

»Nicht das, sondern etwas anderes als die letzte Zuflucht«, erwiderte er. »Hast du je vom Tempel der Sonne gehört? Dorthin wird man sie bringen. Er liegt weit im Innenhof des Tempels der Issus. Es ist ein kleiner Tempel, dessen dünne Turmspitze weit über die Türme und Minarette des ihn umgebenden großen Tempels reicht. Darunter, in der Erde, liegt der Hauptkomplex des Tempels, bestehend aus sechshundertundsiebenundachtz ig kreisförmigen Kammern, eine unter der anderen. Von den Gruben der Issus führt ein eigener Korridor durch solides Felsgestein zu jeder Kammer.

Da der gesamte Tempel der Sonne sich mit jeder Umdrehung von Barsoom einmal um die Sonne dreht, passiert der Eingang zu jeder einzelnen Kammer jedes Jahr nur einmal die Öffnung des Korridors, der das einzige Verbindungsstück zur Außenwelt bildet.

Dorthin läßt Issus diejenigen bringen, die ihr mißfallen, die sie jedoch in absehbarer Zeit nicht töten lassen will. Vielleicht läßt sie auch einen Edlen des Erstgeborenen zur Strafe für ein Jahr in eine Kammer des Tempels der Sonne bringen. Oft läßt sie einen Scharfrichter mit dem Verurteilten einkerkern, so daß der Tod in einer bestimmten gräßlichen Gestalt an einem gewissen Tag kommt. Oder es wird gerade soviel Essen in die Kammer gebracht, um das Leben für jene Anzahl von Tagen aufrechtzuerhalten, die Issus für die psychische Folter vorgesehen hat.

So wird Dejah Thoris sterben, und ihr Schicksal ist besiegelt, sobald der Fuß eines Fremden zum ersten Mal die Schwelle von Issus übertritt.«

So wurden meine Pläne letzten Endes zunichte gemacht, obwohl ich das Wunderbare vollbracht hatte, und wenngleich ich meiner göttlichen Prinzessin auf nur wenige kurze Momente nahegekommen war, trennte uns doch eine ebenso große Entfernung, als stünde ich achtundvierzig Millionen Meilen von hier am Ufer des Hudson.

Загрузка...