19

Obwohl Krasus behauptet hatte, Korialstrasz würde schon bald zu ihnen stoßen, bestand er darauf, in Richtung der Schlacht zu ziehen. Dies tat er nicht, weil er glaubte, die Reise damit verkürzen zu können. Selbst ein alter kranker Drache hätte diese Strecke in wenigen Minuten zurückgelegt. Der junge – und dank des Druiden gesunde – Korialstrasz würde nur eine brauchen.

Nein, sie gingen in diese Richtung, weil der Drachenmagier nur so seine Ungeduld unter Kontrolle halten konnte. Er wollte die Reise unbedingt beschleunigen. Aber nach der letzten Katastrophe wagte er nicht, ein neues Portal zu öffnen. Also konnte er nur auf sein jüngeres Ich warten. Doch das fiel ihm schwer, denn die Ereignisse spitzten sich zu. Korialstrasz musste sie so schnell wie möglich zum Schlachtfeld bringen, dann hatten sie vielleicht noch eine Chance.

„Meister Krasus!“, unterbrach der Nachtelf seine Gedanken. „Hinter uns ist etwas.“

Er drehte sich um und betete, dass es kein weiterer Wächter Neltharions war. Eine gewaltige Gestalt flog ihnen in gerader Linie entgegen, hatte sie offensichtlich entdeckt. Krasus spürte, wie etwas seinen Geist berührte. Er lächelte. „Es ist Korialstrasz.“

„Welch ein Glück!“

Die Schwingen des roten Riesen schlugen kraftvoll. Mit jeder Bewegung schien er Meilen zu überbrücken. Korialstrasz wurde rasch größer. Bald schon konnte man sein Gesicht erkennen. Er wirkte sehr erleichtert.

„Da seid ihr ja!“, rief der Drache, als er hinter ihnen landete. „Mein Flug schien ewig zu dauern, obwohl ich mich beeilt habe.“

„Ich freue mich, dich zu sehen“, sagte der Magier.

Korialstrasz neigte den Kopf und betrachtete Krasus eingehend, so als sähe er ihn zum ersten Mal. „Ist es wirklich wahr?“

Krasus begriff sofort, was die Frage bedeutete. Korialstrasz wusste nun offenbar, wen und was er wirklich darstellte.

„Ja“, antwortete er. „Es ist wahr.“

„Und du…“ Der Drache wandte sich an Malfurion. „Ich stehe für immer in deiner Schuld, Nachtelf.“

„Das tust du nicht.“

Der Leviathan schnaufte. „Das behauptest du. Du bist ja nicht beinahe gestorben.“

Krasus’ Augen wurden schmal. „Du wurdest angegriffen, nicht wahr?“

„Ja, von zwei Schergen des Erdwächters. Sie waren vom Wahnsinn befallen. Ich konnte einen töten, aber der andere hat mich erwischt. Er ist aber jetzt auch tot.“

„Das hatte ich befürchtet.“ Der Magier konnte nicht mehr sagen. Der Zauber hinderte ihn daran. Frustriert wandte er sich einem Thema zu, über das er sprechen konnte. „Wir müssen zu Rhonin und den anderen zurückkehren. Kannst du uns zu ihnen bringen?“

„Steigt auf, dann machen wir uns auf den Weg.“

Die beiden folgten der Aufforderung. Sie ließen sich auf seinen Schultern nieder, dann spreizte Korialstrasz die Flügel und hob vorsichtig ab. Zweimal kreiste er über die Ebene, dann flog er der Schlacht entgegen.

Während des Fluges sah sich Krasus ständig um. Er befürchtete, jeden Moment würden die Drachen hinter ihm auftauchen. Doch noch waren sie nicht zu sehen. Das gab ihm Hoffnung. Vielleicht gelang es ihm ja, Neltharions Verrat abzuwenden, bevor es zu spät war. Wenn man die Scheibe aufhielt – oder besser noch, wenn jemand sie benutzte, der den Makel des Bösen noch nicht in sich trug –, konnten die Dämonen besiegt und sein Volk vor seinem langen Abstieg bewahrt werden.

„Wir müssen gleich da sein“, rief Malfurion. „Der Himmel zieht sich zu.“

Kurz darauf drangen sie in den dichten grünen Nebel ein, der die Dämonen stets umgab. Korialstrasz flog so tief, dass sein Körper beinahe über den Boden schrammte. Eine Weile hielt er das durch, dann wurde der Flug zu anstrengend. „Ich muss höher steigen. Vielleicht endet der Nebel dort oben irgendwo.“

Die drei stiegen durch den Nebel aufwärts. Krasus kniff die Augen zusammen, konnte aber trotz aller Bemühungen nicht weiter als bis zum Kopf seines jüngeren Ichs sehen. Bei dieser schlechten Sicht musste sich Korialstrasz auf seinen Geruch und andere Sinne verlassen.

„Das muss doch irgendwann aufhören“, fluchte der Drache. „Ich werde das Schlachtfeld finden, und wenn ich – “

Eine geflügelte Gestalt erschien plötzlich vor ihnen. Es war eine Verdammniswache, die im Nebel verschwand, als sie den Drachen sah.

Korialstrasz setzte sofort zur Verfolgung an. Krasus und Malfurion mussten sich festhalten.

„Lass sie in Ruhe!“, rief der Magier. „Die Schlacht ist wichtiger!“

Doch der starke Wind, den Korialstrasz’ Flügel auslösten, riss ihm die Worte vom Mund. Krasus schlug seine Faust in den Nacken des Drachen, aber die Schuppen waren so dick, dass Korialstrasz nichts davon bemerkte.

„Soll ich einen Zauber versuchen?“, rief Malfurion. „Damit wir seine Aufmerksamkeit erregen?“

Krasus hatte die gleiche Idee gehabt, sich aber dagegen entschieden. „Wenn wir ihn erschrecken, zuckt er vielleicht und wirft einen von uns ab. In diesem dichten Nebel würde er uns bei einem Sturz nicht auffangen können.“

Die beiden überließen Korialstrasz schweren Herzens seiner Verfolgung. Sie hofften, dass der Drache den Dämon entweder rasch fand oder aufgab. Doch Krasus wusste, wie hartnäckig er in jungen Jahren gewesen war. Daher befürchtete er, dass Korialstrasz nicht so schnell aufgeben würde. Seine Sturheit war ein Problem.

Der Magier runzelte die Stirn. Die Verdammniswachen waren sehr listig und konnten sich im Nebel besser orientieren als ihre Feinde. Der Dämon hätte Korialstrasz, dem die Suche sichtlich schwer fiel, längst abschütteln können. Warum flog er nur einen so geraden Kurs?

Krasus erkannte plötzlich die Ursache für diese Taktik. „Malfurion, pass auf! Wir werden gleich angegriffen!“

Der Druide sah sich um und suchte im Nebel nach einem Feind.

Eine Sekunde später sah er mehr als ihm Recht war.

Die geflügelten Krieger stürzten sich von allen Seiten auf die drei. Ein halbes Dutzend stieg unter Krasus auf und griff die Brust und den Bauch des Drachen an. Andere stießen von oben herab und versuchten die beiden Reiter entweder zu töten oder vom Rücken des Drachen zu werfen. Weitere Verdammniswachen tauchten vor und hinter ihnen auf.

Korialstrasz brüllte und sandte seinen Angreifern einen Feuerstoß entgegen. Die meisten Dämonen flatterten rechtzeitig zur Seite. Nur einen erwischte er und verbrannte ihn sekundenschnell zu Asche.

Der Rote schwang seinen Schwanz wie einen riesigen Kriegshammer. Drei Verdammniswachen wurden von ihm hinweggefegt. Die anderen griffen mit ihren furchtbaren Klingen an und fügten den Schuppen sogar kleine Schnitte zu.

Auf dem Drachen begannen auch Krasus und Malfurion, sich zur Wehr zu setzen. Der Drachenmagier ließ einen leuchtend orangefarbenen Schild um sie herum entstehen, aber die Dämonen stürzten sich voller Wut darauf und schwächten, was er erschaffen hatte.

Der Nachtelf griff in seine Gürteltasche und nahm kleine Samen heraus, die er den Dämonen entgegenwarf. Dort, wo sie ihre Ziele berührten, platzten sie auseinander und wurden zu Efeu, der sich rasch nach allen Richtungen ausbreitete.

Die Dämonen zogen an den Pflanzen und hackten darauf ein, aber der Efeu wuchs schneller als sie ihn bekämpfen konnten.

Die Pflanzen legten sich um die Kehle eines Dämons und zogen zu. Es gab ein knackendes Geräusch, dann sackte die Verdammniswache zusammen und stürzte in die Tiefe.

Andere Dämonen konnten ihre Gliedmaßen und ihre Flügel nicht mehr bewegen. Zwei fielen schreiend dem Tod entgegen.

Krasus schrie auf, als ein Dämon, der den Schild überwunden hatte, auf seine Schulter einstach. Wütend zischte der Magier ein einzelnes, mächtiges Wort. Der Dämon begann zu jaulen, als sein Fleisch flüssig wie Wachs wurde und durch seine Flammenrüstung tropfte. Seine Knochen fielen in sich zusammen und verschwanden in der Tiefe.

Doch noch immer war die Luft voller Dämonen. Krasus hatte den Eindruck, dass sie absichtlich abgestellt worden waren, um entweder Korialstrasz’ Rückkehr abzuwarten oder die Ankunft eines anderen Drachen. Wären sie Neltharion begegnet, hätten sie ihn vielleicht so lange aufgehalten, dass Krasus ihn hätte besiegen können. Aber das war nicht geschehen.

Korialstrasz konnte sich wegen der Reiter auf seinem Rücken nicht so frei bewegen, wie er es gerne gewollt hätte, aber er setzte seine Fähigkeiten trotzdem mit großem Geschick ein. Ein Dämon kam ihm zu nahe und landete zwischen Korialstrasz’ Gebiss. Der Drache spuckte seine Überreste aus und schüttelte den Kopf.

„Die schmecken ja fürchterlich!“

Krasus sah sich misstrauisch um. Die Brennende Legion griff immer in mehreren Wellen an.

Er entdeckte vier Verdammniswachen, die nebeneinander flogen. Sie trugen etwas zwischen sich, das er im ersten Moment für ein langes und dickes Seil hielt. Als sie näher kamen, erkannte er jedoch, dass es kein Seil, sondern ein dehnbarer Metalldraht war.

Er blickte in die andere Richtung. Auch von dort näherten sich vier Verdammniswachen. Sie schienen sich auf Korialstrasz’ Flügel stürzen zu wollen.

„Malfurion, sieh mal!“

Der Druide folgte der Aufforderung und runzelte die Stirn. „Was haben die damit vor?“

„Wahrscheinlich wollen sie die Drähte um seine Flügel wickeln. Korialstrasz ist abgelenkt. Wir müssen uns etwas einfallen lassen.“

Der Magier bemerkte zwei weitere Gruppen, die sich ebenfalls mit den Drähten bewaffnet hatten. Die Dämonen hatten sich gut vorbereitet.

Die neuen Angreifer kamen immer näher. Die anderen Verdammniswachen kämpften umso heftiger, lenkten von der Bedrohung ab. Krasus und der Nachtelf versuchten sich zwar darauf zu konzentrieren, doch das ließ die Brennende Legion nicht zu.

Eine plötzliche Windböe trieb die höllischen Krieger auseinander. Malfurion atmete tief durch. Der Zauber hatte ihn angestrengt. Aber er hatte Krasus damit genügend Zeit verschafft.

Der Drachenmagier dachte an den Angriff, mit dem der Druide Hakkar getötet hatte. Dann betrachtete er die erste Dämonengruppe. Der Draht, den sie zwischen sich trugen, schwebte bereits über Korialstrasz’ linkem Flügel. Es durfte ihnen nicht gelingen, ihn einzuwickeln, denn mit nur einem Flügel konnte sich der Drache nicht in der Luft halten.

Der Blitz, den Krasus auslöste, traf zwar nur einen der Dämonen, doch der Draht, den sie alle festhielten, übertrug die tödliche Energie auf alle. Die monströsen Angreifer schrien und wanden sich in Krämpfen, dann ließen sie das Metall los und taumelten haltlos in den Nebel hinein.

Eine Gruppe hatte Krasus zwar aufgehalten, aber es gab mindestens fünf weitere, die den gleichen Plan hegten.

„Ich muss euch um einen Gefallen bitten“, rief der rote Drache. „Haltet euch fest, als hinge euer Leben davon ab, denn das tut es.“

Die beiden Reiter gehorchten. Krasus sagte: „Klemm deine Füße unter eine Schuppe, Malfurion! Beeil dich!“

Der Nachtelf befolgte die Anweisung. Im gleichen Moment drehte sich Korialstrasz auf den Rücken.

Die Taktik überraschte die Brennende Legion. Korialstrasz’ gewaltige Lederschwingen fegten einen Dämon nach dem anderen hinweg. Zwei der Gruppen, die Metalldrähte zwischen sich trugen, fielen den Flügeln zum Opfer.

Noch während der Drehung stieß der rote Drache drei rasche Feuerstöße hervor. Zwei Verdammniswachen verbrannten, die anderen konnten ausweichen.

„Vorsicht!“

Ein Geschoss schlug in die Brust des Drachen. Krasus’ Füße rutschten unter der Schuppe weg. Verzweifelt hielt er sich mit den Händen fest. Der Druide konnte ihm nicht helfen. Er benötigte all seine Kräfte, um sich selbst auf dem Drachen zu halten.

Die brennende Höllenbestie löste sich von ihrem Opfer und ließ sich in den Nebel fallen. Die Entfernung zum Boden interessierte sie nicht. Sie wusste, dass sie den Sturz unverletzt überstehen würde.

Die anderen Angreifer nutzten ihren Vorteil und kamen näher. Krasus trat nach einer Klinge, während er sich hoch zog und neuen Halt auf dem Drachen fand. Malfurion warf ein paar Samenkörner, aber die Dämonen hatten die Bedrohung erkannt und wichen ihnen aus. Nur eine Verdammniswache fiel dem Efeu zum Opfer – kein nennenswerter Verlust.

Krasus sah, dass eine Gruppe begonnen hatte, ihren Draht um seinen rechten Flügel zu wickeln. Er richtete seine Finger auf die vier und sprach einen knappen Befehl.

Seine Fingernägel lösten sich und flogen den Dämonen entgegen. Sie wuchsen, bis sie fast einen halben Meter lang waren und durchbohrten die vier Dämonen. Krasus rieb sich die Finger, an denen bereits neue Nägel zu wachsen begannen, und sah zu, wie die Verdammniswachen in den Tod stürzten.

„Korialstrasz!“, rief Krasus. „Wir müssen uns befreien! Auf diesen Kampf dürfen wir uns nicht mehr einlassen!“

Dieses Mal verstand ihn sein jüngeres Ich. Man sah ihm an, dass er den Kampf nicht abbrechen wollte, doch er ordnete sich Krasus unter.

„Das wird vielleicht schwieriger als du denkst“, antwortete er.

Krasus wusste genau, wie schwierig es sein würde. Die Verdammniswachen waren überall, und der Drache durfte sich wegen seiner Reiter nicht zu hektisch bewegen. Das wusste die Brennende Legion.

Aber sie mussten sich befreien. Sie hatten schon zu viel Zeit verschwendet.

Der Leviathan verbrannte eine unvorsichtige Verdammniswache, dann sagte er: „Ich habe eine Idee. Das hat schon einmal geklappt. Haltet euch fest!“

Weder Krasus noch der Nachtelf hatten ihren Griff gelockert. Trotzdem hielten sie sich jetzt noch krampfhafter an den Schuppen fest.

In diesem Moment hörten Korialstrasz’ Schwingen auf zu schlagen.

Der Drache fiel wie ein Stein und ließ die überrumpelten Dämonen über sich zurück. Als sie sich von ihrer Überraschung erholt hatten, war er bereits weit weg.

Immer tiefer fiel der Drache. Er benutzte seine Schwingen nur, um sich zu stabilisieren und nicht ins Trudeln zu geraten. Seine Passagiere klammerten sich mühsam fest.

Krasus befürchtete, dass sein jüngeres Ich den Boden in dem dichten Nebel nicht rechtzeitig sehen würde. Doch dann geschah etwas Seltsames. Der Nebel verschwand einfach. Es sah aus, als habe ein höheres Wesen einen Keil hineingetrieben. Der Himmel war immer noch ein wenig diesig, aber die Sicht war nun so gut, dass Krasus in weiter Ferne die Hügel erkennen konnte.

„Ha!“, brüllte Korialstrasz triumphierend. Er schlug mit den Flügeln und verwandelte seinen Fall in einen sanften, geraden Flug. Von der Brennenden Legion war nichts zu sehen Korialstrasz wartete auch nicht auf sie. Er flog wieder dem ursprünglichen Ziel entgegen. Seine Geschwindigkeit war so gewaltig, dass kein Dämon ihm folgen konnte.

Hinter Krasus atmete Malfurion tief durch. „Hoffentlich muss ich so etwas nie wieder erleben. Nachtelfen sind nicht zum Fliegen geboren.“

„Nach dieser Reise kann ich deine Gefühle gut verstehen.“ Krasus betrachtete den vor ihnen liegenden Weg. „Das kommt mir sehr vertraut vor… und bereitet mir Sorge.“

„Was ist denn jetzt los? Noch mehr Dämonen?“

„Das wäre ein simples Problem, Druide. Dieses hier ist, fürchte ich, wesentlich komplexer.“

„Was meinst du damit?“

„Beachte diesen Keil aus klarer Luft, der sich in den fauligen Nebel der Brennenden Legion schiebt.“

„Vielleicht steht mein Volk kurz vor dem Sieg, und das ist ein erstes Omen…“

Krasus hätte Malfurions Optimismus gern geteilt. Er hob den Kopf und atmete ein, so wie der Orc es manchmal tat. Doch was der Magier in der Luft wahrnahm, überwältigte ihn beinahe und bestätigte seine Befürchtung.

„Korialstrasz, benutze deine Nase und sag mir, was du riechst.“

Der Drache gehorchte. Sein Gesicht spiegelte Fassungslosigkeit wider. „Ich rieche… ich rieche unser Volk…“

„Einen aus unserem Volk?“

„Nein… viele… so viele, dass ihre Gerüche sich vermengen…“

„Was bedeutet das?“, fragte Malfurion.

Der Drachenmagier zischte. „Das bedeutet, dass die Dämonen, gegen die wir kämpften, mehr Schaden angerichtet haben, als ich angenommen hatte.“

„Aber… wir sind fast unverletzt entkommen…“

Krasus hätte ein paar Wunden liebend gern gegen das eingetauscht, was ihnen nun bevorstand. Die wenigen Minuten, die sie gebraucht hatten, um sich aus der Falle zu befreien, hatten gereicht. Die anderen Drachen waren an ihnen vorbeigezogen.

Er wollte einiges darüber erzählen, doch der Zauber hielt ihn davon ab. Krasus konnte nur eines zu Malfurion sagen, doch das reichte bereits völlig aus. „Die Drachen sind vor uns, Druide… und ich bin sicher, dass er sie anführt.“

Malfurion verstand sofort, was er meinte. Die Drachen flogen der Schlacht entgegen. Sie glaubten, dass sie die Dämonen mit ihrer Wunderwaffe vernichten würden.

Sie ahnten nicht, dass Neltharion, der sie in die Schlacht führte, sie bereits verraten hatte…


Meilen entfernt eilten die Drachen rasch ihrem Ziel entgegen. Neltharion hatte sie in Bodennähe fliegen lassen und mit der Drachenseele den Nebel vertrieben. Das hatte sogar Alexstrasza und die anderen Aspekte beeindruckt. Niemand bezweifelte mehr die Fähigkeiten seiner Schöpfung.

Als er sich seinem bevorstehenden Triumph näherte, begannen die Stimmen wieder in seinem Kopf zu flüstern. Bald ist es so weit, sagten sie. Bald, bald!

In Kürze würden sich alle vor seiner Macht verneigen, und die Welt würde sich ihm unterwerfen.

„Was sollen wir tun?“, fragte Alexstrasza.

Du sollst mir deine Kehle darbieten, dachte der Erdwächter, sagte jedoch: „Ich habe die Anordnung erklärt. Alle sollen sich an der entsprechenden Stelle in der Luft befinden. Den Rest wird die Drachenseele erledigen.“

„Das ist alles?“

Du solltest vor mir niederknien… „Ja, das ist alles.“

Neltharion war froh, dass sie keine weiteren Fragen stellte. Sein Verstand tobte, und ihre Neugier hatte ihn fast dazu getrieben, sich zu verraten.

Die Drachenseele – seine Drachenseele – vertrieb den Nebel vor ihnen. Neltharion blickte über das Land und sah Bewegungen am Boden, so als würden dort Tausende Ameisen entlangkriechen.

Die Schlacht lag vor ihnen. Er konnte seinen Triumph kaum noch verbergen.

Geduld… murmelten die Stimmen. Geduld

Der schwarze Drache konnte sich ein wenig Geduld leisten. Er konnte warten. Seine Belohnung würde so groß sein, dass ein paar Minuten keine Rolle spielten.

Nur noch ein paar Minuten.


Brox sah sie als erster. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, zog seine Axt aus einer Teufelsbestie und blickte zufällig nach oben. Da sah er die ersten Drachen über dem Schlachtfeld auftauchen. Überrascht blieb er stehen und hätte wegen dieser Unvorsichtigkeit beinahe seinen Kopf verloren. Brox schlug den angreifenden Teufelswächter in drei Teile, dann trat er zurück und sah sich um. Rhonin war nirgends zu sehen.

Der Orc schnaufte. Der Zauberer würde schon bald erfahren, dass die Drachen eingetroffen waren – so wie jeder andere auf dem Schlachtfeld.

Der Kampf, dachte Brox, war gerade um einiges interessanter geworden.

Rhonin war nicht zu Lord Ravencrest vorgedrungen. Der Adlige war in Sichtweite, doch der plötzliche Dämonenangriff verlangte Rhonins volle Konzentration. Er musste die Frontreihen schützen. Mit einigen kurzen Zaubern stabilisierte er die Linien erst einmal, aber allein konnte er den Kampf nicht herumreißen. Die Mondgarde hatte sich zwischen den Soldaten verteilt, abgesehen von den Magiern, die Illidan an sich gebunden hatte. Schließlich brauchte er Kraft für seine spektakulären Zauber.

Malfurions Bruder wurde immer leichtsinniger und rücksichtsloser, und das lag nicht nur an den Umständen. Er warf Zauber, als wären es Kiesel, und es schien ihm egal zu sein, dass er manchmal nur knapp die eigenen Leute verfehlte.

Ein Teil der Front drohte einzubrechen. Drei Höllenbestien, die von Verdammniswachen unterstützt wurden, waren zwischen den Soldaten eingeschlagen und hatten deren Linien aufgerissen. Teufelswächter schoben sich in die Lücke, schlugen und stachen nach allem, das noch Leben in sich trug.

Der rothaarige Zauberer gestikulierte mit einer Hand, aber bevor er den Zauber aussprechen konnte, erschütterte eine Explosion das betreffende Gebiet. Die Höllenbestien zerplatzten. Die Teufelswächter brachen mit zerfetzter Rüstung und zerfetzten Körpern zusammen.

Wäre dies das einzige Ergebnis der Explosion gewesen, hätte Rhonin wahrscheinlich gejubelt. Allerdings bemerkte er, dass zwischen den Dämonen zahlreiche tote Nachtelfen lagen, die das gleiche Schicksal ereilt hatte. Überlebende bettelten um Hilfe. Überall spritzte Blut.

Rhonin fluchte, aber nicht, weil es seine Schuld war. Seinen Zauber hatte er nicht einmal ausgesprochen.

Wütend sah er zu Illidan. Der Zauberer hatte es wirklich getan. Er hatte seine eigenen Leute getötet. Entweder bemerkte er es nicht, oder – es interessierte ihn nicht.

Rhonin vergaß die Brennende Legion. Er schob sich zwischen den Soldaten hindurch auf Malfurions Zwillingsbruder zu. Illidan musste Rechenschaft für diesen Zauber ablegen. So etwas durfte nicht noch einmal passieren.

Das Objekt seines Zorns drehte sich um und grinste ihn triumphierend an. Rhonins Wut stieg.

Doch dann blickte Illidan an ihm vorbei. Seine Augen weiteten sich. Sein Grinsen wurde breiter.

Rhonin wollte sich zwar nicht ablenken lassen, sah dann aber doch hin.

Auch seine Augen weiteten sich. Er fluchte.

Drachen tauchten in dem plötzlich klaren Himmel auf. Hunderte von Drachen.

„Nein…“ Rhonin starrte die fliegenden Gestalten an. An ihrer Spitze entdeckte er einen schwarzen, gewaltigen Drachen. Es war klar, wer das sein musste. Und damit war auch klar, an welchem Punkt der Geschichte sie sich befanden. In ein schlimmeres Ereignis hätten die Nachtelfen nicht geraten können.

„Nein“, flüsterte Rhonin. „Nicht jetzt… nicht jetzt…“

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