Krieg der Ahnen 2 Richard A. Knaak Die Dämonenseele

Für Thomas „Sonny“ Garrett, erfolgreicher Autor und Freund.

1

Während er sich durch die große Höhle bewegte, wisperten die Stimmen in seinem Kopf. Anfangs hatten sie nur gelegentlich gesprochen, jetzt schwiegen sie gar nicht mehr. Selbst im Schlaf konnte der gewaltige schwarze Drache ihnen nicht entkommen, und er hatte sie nun schon so lange ertragen, dass sie zu einem Teil seiner Selbst geworden waren, unzertrennlich verbunden mit seinen eigenen wirren Gedanken.

Die Nachtelfen werden die Welt zerstören

Die Quelle ist außer Kontrolle geraten

Du kannst niemandem trauen… sie wollen deine Geheimnisse, deine Macht

Malygos will an sich reißen, was dir gehört

Alexstrasza will dich beherrschen

Sie sind nicht besser als die Dämonen

Du musst sie bezwingen wie Dämonen

Ständig wiederholten die Stimmen ihre düsteren Prophezeiungen, warnten ihn vor Doppelzüngigkeit und Verrat. Er konnte nur noch sich selbst trauen. Die anderen hatten sich von den niederen Völkern beflecken lassen. Sie würden seine Entscheidung als Gefahr betrachten – nicht als das, was sie war: die einzige Hoffnung, die der Welt noch blieb. Der Drache stieß eine Wolke aus giftigem Rauch aus. Schnaufend dachte er an den Verrat derer, die einst seine Kameraden gewesen waren. Zwar verfügte er über die Macht, um alles zu retten, aber er musste vorsichtig sein; wenn sie die Wahrheit zu früh entdeckten, konnte es zur Katastrophe kommen.

Sie dürfen das Geheimnis erst erfahren, wenn sich nichts mehr daran ändern lässt, dachte er. Ich kann es erst offenbaren, wenn der Zauber gewoben ist. Ich werde nicht zulassen, dass sie meine Arbeit vernichten!

Die gewaltigen Klauen des geschuppten Giganten zerkratzten den Felsboden, als er sein Allerheiligstes betrat. Trotz seiner Größe wirkte der Riese winzig in dem Gewölbe. Durch die Mitte floss ein Lavastrom. Kristall Strukturen säumten die Wände. Große Stalaktiten hingen wie Schwerter des Schreckens von oben herab. Stalagmiten reckten sich aus dem Boden empor. Sie waren scharf und spitz, so als warteten sie nur auf ein Opfer, um es aufzuspießen.

Bei einem war das tatsächlich der Fall.

Mit gebleckten Zähnen blickte der große schwarze Drache auf die winzige Gestalt, die sich zu befreien versuchte, obwohl ein steinerner Speer ihre schwer atmende Brust durchbohrt hatte. Die Überreste eines zerrissenen, schwarzroten Gewandes und die Fragmente einer reich verzierten Goldrüstung hingen an dem seltsam geformten Körper des Unglückseligen. Dünne, ziegenartige Hörner ragten aus seinem Schädel empor. Das dunkelrote Gesicht war lang gezogen, der Mund breit und voller spitzer Zähne. Die Augen waren dunkle Abgründe, die sofort versuchten, den Drachen in ihren Bann zu ziehen, aber sie waren machtlos gegen den Willen ihres Wärters.

Die gehörnte Gestalt war nicht nur aufgespießt worden, man hatte sie zusätzlich mit schweren Eisenketten an den Höhlenboden gekettet. Die Eisen saßen fest. Sie drückten den Dämon gegen den Stalagmit und zogen seine Gliedmaßen nach unten.

Der Mund des Gefangenen bewegte sich unablässig. Er brüllte wütend, aber es war kein Laut zu hören. Trotzdem versuchte er es, als er den schwarzen Leviathan näher kommen sah.

Der Drache betrachtete seinen Gefangen für einen Moment, dann blinzelte er.

Sofort hallte die raue, verschlagen klingende Stimme der Kreatur durch die Höhle. „Das ist Sargeras! Dein Blut wird fließen! Er wird deine Haut wie einen Mantel tragen! Dein Fleisch wird er seinen Hunden verfüttern! Deine Seele wird er in einem Glaskolben aufbewahren, damit er sie quälen kann, wann immer es ihm beliebt! Er – “

Der Drache blinzelte erneut und brachte seinen Gefangenen wieder zum Schweigen. Die dämonische Gestalt schrie ihm trotzdem stumme Drohungen und Beleidigungen entgegen, bis der schwarze Leviathan schließlich seine mächtigen Kiefer öffnete und ausatmete. Eine heiße Dampfwolke hüllte den Gefangenen ein. Die Gestalt schüttelte sich voller Schmerzen.

„Du wirst Respekt lernen. Du hältst dich in der Gegenwart des ruhmreichen Neltharion auf“, donnerte der Drache. „Ich bin der Erdwächter. Du wirst mir mit der Ehrfurcht begegnen, die mir gebührt.“

Der lange Reptilienschwanz des Dämons schlug gegen die Felsen. Er öffnete den Mund und stieß weitere stumme Flüche hervor.

Neltharion schüttelte den Kopf. Er hatte mehr von dem Eredar erwartet. Diese Hexenmeister gehörten angeblich zu den Anführern der Brennenden Legion.

Sie waren Dämonen, die nicht nur Zauber weben konnten, sondern sich auch auf Kriegstaktiken verstanden. Der Drache hatte eine wesentlich intellektuellere Unterhaltung von solch einem Wesen erwartet, aber der Eredar hätte ebenso gut eine aggressive Höllenbestie sein können. Diese brennenden Moloche mit ihren Schädeln wurden als Rammböcke oder Geschosse eingesetzt. Die Höllenbestie, die er vor dem Eredar geprüft hatte, war kaum intelligenter als ein Stein gewesen.

Auf der anderen Seite hatte Neltharion seinen Clan auch nicht auf die Jagd nach Dämonen geschickt, weil er deren Konversationskünste schätzte. Nein, die Gefangenen erfüllten einen anderen Zweck, dienten einem hohen Ziel, das sie leider niemals zu schätzen wissen würden.

Der Eredar hier war gleichzeitig der Letzte und der Wichtigste. Durch seine besonderen magischen Fähigkeiten war er zur Schlüsselfigur im ersten Teil von Neltharions Plan geworden.

Es ist so weit… flüsterten die Stimmen. Es ist so weit

„Ja“, antwortete der Erdwächter abwesend. „Es ist Zeit…“

Der Drache streckte seine gewaltige Pranke aus und konzentrierte sich. Eine goldene Aura bildete sich auf seiner Handfläche. Sie leuchtete so hell, dass sogar der gefangene Dämon seine Schreie unterbrach, um das Objekt zu betrachten, das Neltharion erschaffen hatte.

Es war eine winzige Scheibe, die ebenso golden wie die Aura war, die ihr Erscheinen angekündigt hatte. Abgesehen davon wirkte sie sehr schlicht. Sie war so winzig, dass sie selbst die Handfläche eines wesentlich kleineren Wesens – eines Nachtelfen beispielsweise – nicht ausgefüllt hätte.

Die Scheibe sah wie eine große ungeprägte Goldmünze aus, deren Ränder abgerundet und ohne Kratzer waren. Neltharion hatte absichtlich dafür gesorgt, dass sie so unspektakulär wirkte. Der Talisman konnte seine Aufgabe nur erfüllen, wenn er einen harmlosen Eindruck vermittelte.

Er richtete ihn auf den Eredar, damit sein Gefangener sehen konnte, was ihn erwartete. Der Dämon wirkte jedoch unbeeindruckt. Er betrachtete zuerst die Scheibe, dann den Drachen. In seinen Augen funkelte der Spott.

Neltharion bemerkte seine Reaktion. Es gefiel ihm, dass der Eredar die Stärke der Scheibe nicht erkannte. Das bedeutete, dass auch andere die Wahrheit erst begreifen würden, wenn es bereits zu spät war.

Der Erdwächter gab einen stummen Befehl, und die Scheibe schwebte langsam aus seiner Handfläche nach oben. Einen Moment lang verharrte sie dort, dann glitt sie auf den Gefangenen zu.

Auf dem monströsen Gesicht des Hexenmeisters waren zum ersten Mal Zweifel zu lesen. Als sich die Scheibe herabsenkte, begann er an seinen Ketten zu zerren.

Der goldene Talisman berührte die Stirn des Dämons. Ein roter Blitz hüllte dessen Gesicht ein, dann verband sich die Scheibe mit seinem Fleisch.

Sprich… drängten die Stimmen. Sag die Worte… vollende die Tat

Das lippenlose Maul des Drachen stieß Worte in einer Sprache hervor, deren Ursprung jenseits der Welt der Sterblichen lag. In jedem Wort lag etwas so Böses, dass selbst der Dämon erschauderte. Für den Erdwächter klang es jedoch wundervoll, wie eine perfekte, harmonische Melodie… wie die Sprache der Götter.

Während Neltharion redete, begann die Scheibe zu leuchten. Ihr Licht erfüllte die gewaltige Grotte, wurde mit jeder Silbe heller und heller.

Dann blitzte sie plötzlich auf.

Der Eredar-Hexenmeister öffnete seinen Mund in einem stummen Schrei. Sein Gesicht verzerrte sich. Aus seinen Augen liefen blutige Tränen, und sein Schwanz hämmerte wild gegen die Felsen. Er riss mit solcher Kraft an seinen Eisen, dass er das Fleisch an seinen Handgelenken und Knöcheln abschabte. Doch für den Dämon gab es kein Entrinnen.

Die Haut des Eredar begann zu verfaulen. Sie fiel von seinem aufgebäumten, gepeinigten Körper ab. Das Fleisch des Dämons wurde uralt und verwandelte sich in Asche.

Die Augen sanken in ihre Höhlen. Der Schwanz verdorrte. Der Hexenmeister zerfiel, bis nichts mehr übrig blieb außer seinen Knochen und den rasch verfaulenden Eingeweiden. Trotzdem schrie er immer weiter, denn Neltharion und die Scheibe hatten ihm noch nicht die Gnade des Todes gewährt.

Schließlich zerfielen sogar die Knochen. Der Kiefer klappte herab, die Rippen rollten auseinander. Mit grausamer Effizienz brachte die Macht, die von der Scheibe entfesselt worden war, die Überreste des Dämons zum Verschwinden. Von den Füßen aufwärts, über die Beine bis zum Oberkörper zerfiel er zu Staub, bis nur noch der Kopf übrig blieb.

Erst dann schwieg der Eredar.

Das Licht versiegte. Die Ketten, die eben noch den Dämon gehalten hatten, hingen leer am Fels.

Der schwarze Drache beugte sich wie ein stolzer Vater über den Talisman und entfernte ihn sanft mit nur zwei Klauen von dem Schädel, der sich im gleichen Moment in Asche verwandelte. Graues Pulver regnete zu Boden.

Beeindruckt betrachtete Neltharion sein Werk. Selbst er konnte die außergewöhnlichen Kräfte, die sich jetzt in der Scheibe befanden, nicht spüren, aber er wusste, dass sie da waren – und wenn die Zeit gekommen war, würden sie ihm zur Verfügung stehen.

Er hatte den Gedanken kaum beendet, als er eine neue Präsenz in seinem Geist spürte. Die Stimmen schwiegen abrupt, als hätten sie Angst, von dem Eindringling entdeckt zu werden. Der Erdwächter unterdrückte sofort seine geheimen Wünsche.

Neltharion kannte die Präsenz nur zu gut. Einst hatte er sie für eine Freundin gehalten. Heute wusste der dunkle Leviathan, dass er ihr auch nicht mehr vertrauen konnte als allen anderen.

Neltharion… ich muss mit dir sprechen

Was ist dein Begehr, liebste Alexstrasza? Der Erdwächter sah sie in Gedanken vor sich, eine schlanke feuerfarbene Drachengestalt, die noch ein wenig imposanter wirkte als er selbst. Er verkörperte den Aspekt der unbelebten Welt, Alexstrasza repräsentierte das Leben, das auf ihr, in ihr und über ihr gedieh.

Erneut haben sich gefährliche Kräfte um den Palast der Nachtelfen-Königin versammelt… wir müssen bald eine Entscheidung treffen

Hab keine Angst, antwortete Neltharion beruhigend. Es wird getan werden, was getan werden muss

Ich hoffe, dass du Recht hast… Wann kannst du deine Reise zur Kammer antreten?

Der Erdwächter dachte an den von ihr genannten Ort, an die riesige Höhle, gegen die seine eigene eher dem Tunnel eines winzigen Wurms glich. Die niederen Drachen nannten sie respektvoll die Kammer der Aspekte. Sie war rund und vollkommen glatt, so als habe jemand in tiefster Vergangenheit – lange vor der Ankunft der Drachen – eine Kugel in Bewegung gesetzt, die jede Unebenheit und jeden Riss, den man sonst in Höhlen fand, glättete. Nozdormu, den alles Geschichtliche faszinierte, vertrat die Meinung, die Schöpfer der Welt hätten sie erschaffen, aber auch er konnte das nicht beweisen. Die Kammer verbarg sich hinter einem magischen Feld, das sie von der Welt der Sterblichen trennte. Kein Ort war sicherer und geschützter.

Bei diesem Gedanken zischte der schwarze Drache erwartungsvoll. Der Blick seiner roten Augen fiel wieder auf die Scheibe. Vielleicht sollte er jetzt dorthin begeben. Die anderen würden ebenfalls da sein. Es konnte gelingen…

Nein… noch nicht, sagten die Stimmen kaum hörbar in seinem Unterbewusstsein. Der Zeitpunkt muss richtig gewählt sein, sonst werden sie stehlen, was dein ist

Das konnte Neltharion nicht zulassen. Zu dicht stand er vor seinem Triumph. Noch nicht, sagte er schließlich dem roten Drachen, aber bald… Ich verspreche, dass es bald so weit ist

Das muss auch so sein, antwortete Alexstrasza. Ich fürchte, dass es nicht anders geht.

Sie verließ seine Gedanken so schnell, wie sie sie betreten hatte. Neltharion zögerte und fragte sich, ob er ihr vielleicht unabsichtlich einen Hinweis auf seine Pläne gegeben hatte. Die Stimmen beruhigten ihn jedoch. Er hatte nichts verraten. Er hatte sich genau richtig verhalten.

Noch einmal betrachtete der schwarze Drache die Scheibe, bevor er sie mit einem zufriedenen Blick aus glühenden Augen zurück an den Ort versetzte, wo er sie vor allen, sogar vor seinem eigenen Clan, verborgen hielt.

„Bald…“, flüsterte er mit einem breiten Grinsen. „Sehr bald. Das habe ich schließlich versprochen.“


Der mächtige Palast stand am Rande einer Bergkette, die sich über einem großen, unruhigen See erhob. Dessen Wasser war so dunkel, dass es vollkommen schwarz aussah. Bäume, die man auf magische Weise aus festen Stein geformt hatte, bildeten hohe, geschwungene Türme. Die gewaltigen Gebäude waren von Mauern aus Vulkangestein umgeben, und zusammen gehalten wurden sie von monströsen Lianen und Baumwurzeln. Hundert riesige Bäume hatten die Erbauer miteinander verflochten, um die Balken des Haupthauses zu erschaffen. Anschließend hatten sie das kuppelartige Gebäude mit Steinen und Lianen bedeckt.

Einst hatte jeder den Palast und seine Umgebung für eines der Weltwunder gehalten, doch das hatte sich vor allem in jüngerer Zeit geändert. Jetzt fehlte die obere Hälfte des ersten Turms, und nur die Ruß geschwärzten Steinfragmente und herabhängenden Lianen erzählten von der gewaltigen Explosion, die ihn zerfetzt hatte. Das allein hatte noch nicht gereicht, um den Palast in einen Ort der Alpträume zu verwandeln, doch der Anblick, der ihn an drei von vier Flanken – nur die Seeseite war unberührt geblieben – umgab, hatte dafür gesorgt.

Es war eine wundervolle Stadt gewesen, die Krone der Herrschaft der Nachtelfen. Sie hatte sich über die Landschaft ausgedehnt und war doch ein Teil von ihr geblieben. Die hohen Baumhäuser und großzügigen Anwesen hatten eine atemberaubende Kulisse für den Palast gebildet. Hier hatte man Zin-Azshari – „der Ruhm von Azshara“ – erbaut, die Hauptstadt der Nachtelfen. Hier hatte eine lebendige Metropole gestanden, deren Bewohner sich jeden Abend erhoben, um ihrer geliebten Königin die Ehrerbietung zu erweisen.

Und hier hatte sich, abgesehen von einigen wenigen abgetrennten Bereichen am Rande des Palasts, das größte Massaker Unschuldiger abgespielt, das die Welt je gesehen hatte.

Zin-Azshari lag in Trümmern. Das Blut der Opfer bedeckte immer noch die verbrannten Ruinen ihrer Behausungen. Die hoch aufragenden Baumhäuser waren zu Boden gerissen worden und die Hütten, die man in die Erde gegraben hatte, waren untergepflügt worden. Ein dichter grüner Nebel hing über der Alptraumlandschaft. Der Gestank des Todes lag in der Luft – Hunderte Leichen lagen unberührt und langsam verwesend zwischen den Ruinen. Es gab keine Aasfresser. Weder Krähen noch Ratten, nicht einmal Insekten nährten sich von den Leichen, denn auch sie waren entweder mit den wenigen Überlebenden geflohen oder bei dem Angriff umgekommen, der die Stadt vernichtet hatte.

Die zurückgebliebenen Bewohner von Zin-Azshari schienen das Blutbad nicht zu bemerken. Die großen schlaksigen Nachtelfen, die immer noch in der Stadt lebten, gingen ihren Aufgaben in und um dem Palast nach, als habe sich nichts verändert. Mit ihren extravaganten, vielfarbigen Gewändern und ihrer purpurdunklen Hautfarbe wirkten sie wie Besucher eines großen Fests. Sogar die grimmigen Wachsoldaten, die in ihren waldgrünen Rüstungen auf den Mauern und Türmen patrouillierten, wirkten deplatziert, denn sie blickten ohne jede Reaktion auf die Verwüstungen. In keinem Gesicht sah man auch nur einen Hauch von Erschütterung.

Niemand wirkte verängstigt oder schockiert, als groteske Riesen durch die Trümmer zu ziehen begannen, um nach Überlebenden und Spionen zu suchen.

Mehrere hundert gepanzerte Dämonenkrieger der Brennenden Legion plünderten Zin-Azshari; Hunderte anderer marschierten aus den Toren des Palasts, um jene zu unterstützen, die sich abseits der Hauptstadt aufhielten. Sie hatten das Reich unterworfen, und sie brannten darauf, auch den Rest der Welt zu erobern und alle zu töten, die sich ihnen in den Weg stellten.

Die meisten waren knapp drei Meter groß, manche sogar noch gewaltiger. Sie überragten die rund zwei Meter großen Nachtelfen. Jeder Krieger war von einem grünen Feuer umgeben, das ihn jedoch nicht verzehrte. Die untere Hälfte ihrer Körper war merkwürdig dünn, die Brust ungewöhnlich breit. Ihre Häupter bestanden aus Schädeln mit mächtigen Reißzähnen, langen Hörnern und blutroten Augen, die hungrig auf die Landschaft blickten. Die meisten trugen schwere und spitze Schilde, glühende Streitkolben oder Schwerter. Diese Teufelswächter bildeten den Hauptanteil der Brennenden Legion.

Über ihnen kreiste die Verdammniswache mit ihren feurigen Schwingen. Sie sahen ihren Kameraden am Boden ähnlich, waren jedoch etwas kleiner und wirkten intelligenter, wenn sie wie gierige Geier über das Land flogen. Ab und zu steuerten sie die Marschrichtung der Teufelswächter, schickten sie an Orte, wo man versteckte Überlebende vermutete.

Es gab noch andere Kreaturen, die gemeinsam mit den Teufelswächtern jagten, darunter riesige, vierbeinige Monstrositäten, die entfernt an Hunde oder Wölfe erinnerten. Der Rücken dieser ansonsten geschuppten Kreaturen war von dichtem hartem Fell bedeckt. Sie schnüffelten nicht nur mit ihren Nasen am Boden, sondern auch mit zwei sehnigen Tentakeln, die in Saugnäpfen endeten. Die Teufelsbestien liefen aufgeregt durch die Verwüstung und stoppten nur gelegentlich, um an einer der zahlreichen Leichen zu schnüffeln.

All dies geschah jenseits der Palastmauern, doch verborgen in seinem Inneren, im südlichsten Turm, spielten sich ähnlich schreckliche Dinge ab. Dort hatte sich eine Gruppe Hochwohlgeborener versammelt. So nannte man die Nachtelfen, die der Königin direkt unterstellt waren. Sie beugten sich über ein sechseckiges Muster, das in den Boden geritzt worden war. Die Kapuzen ihrer eleganten und reich verzierten, grünlichen Kleidung hingen tief in ihre Gesichter und bedeckten beinahe ihre silbernen, pupillenlosen Augen… Augen, die jetzt verstörend rot zu glühen begannen.

Die Nachtelfen beugten sich über das Muster und murmelten die mächtigen Worte ihres Zaubers. Eine wie Fäulnis schimmernde grüne Aura umgab sie und durchdrang ihre Seelen. Ihre Körper waren von der ständigen Anstrengung gezeichnet, aber sie gaben nicht auf. Diejenigen, die eine solche Schwäche gezeigt hatten, waren längst ausgelöscht worden. Jetzt woben nur noch die Hartgesottensten die dunkle Magie, die sie aus dem See herauf riefen.

„Schneller“, krächzte eine Alptraumgestalt am Rande des glühenden Kreises. „Dieses Mal muss es gelingen…“

Der gewaltige Dämon mit seinen Klauen und den riesigen, zusammengefalteten Flügeln bewegte sich auf vier kräftigen Beinen. Ein Reptilienschwanz, so dick wie ein Baumstamm, schlug immer wieder ungeduldig auf den Boden und hinterließ breite Risse im Stein. Sein krötenartiger, Stoßzahn bewehrter Kopf berührte fast die Decke, wenn er sich zwischen den wesentlich kleineren Teufelswächtern bewegte. Die gingen ihm vorsichtshalber aus dem Weg. Die lange grüne Mähne, die von seinem Kopf bis zu den Hufen seiner vier Beine reichte, schüttelte sich bei jedem donnernden Schritt.

Unter schweren, haarlosen Brauen saßen Augen, die im gleichen Grün leuchteten und, ohne zu blinzeln, auf die düsteren Ereignisse vor ihnen blickten. Er, der die Nachtelfen bei ihrer Aufgabe anleitete, war daran gewöhnt, Furcht zu erzeugen, nicht etwa zu spüren. Doch in dieser dunklen Nacht empfand der Dämon Mannoroth eben jenes unangenehme Gefühl. Sein Herr hatte ihm einen Befehl erteilt, aber er hatte versagt. Das war noch nie zuvor geschehen. Schließlich war er Mannoroth, einer der vom Großmächtigen selbst erwählten Kommandanten…

„Nun?“, knurrte der geflügelte Dämon. „Muss ich noch einen Kopf abreißen, armseliges Gewürm?“

Ein vernarbter Nachtelf, der die waldgrüne Rüstung der Palastwache trug, wagte eine Antwort: „Es würde ihr nicht gefallen, wenn Ihr das noch einmal tätet, Mylord.“

Mannoroth drehte sich zu dem vorlauten Nachtelf um. Fauliger Atem strich über das verkniffene Gesicht des behelmten Soldaten. „Würde sie sich ebenso laut beschweren, wenn ich ihr stattdessen deinen Kopf geben würde, Captain Varo’then?“

„Wahrscheinlich“, entgegnete der Nachtelf. Sein Gesicht wirkte völlig gefühllos.

Die fleischige Klaue des Dämons schoss vor. Sie war so groß, dass sie Captain Varo’thens Kopf mitsamt Helm hätte zerquetschen können, aber der Dämon zögerte und ließ die Klaue schließlich wieder sinken. Sein Herr hatte ihm von Anfang an gesagt, dass der Königin und denen, die ihr nahe standen, nichts geschehen durfte. Der Herr der Brennenden Legion brauchte sie.

Im Moment zumindest.

Vor allem Varo’then galt als unantastbar, denn seit dem Tod von Lord Xavius, dem Berater der Königin, war er ihr Vertrauter. Jedes Mal, wenn die ruhmreiche Azshara beschloss, die Hochwohlgeborenen in der Kammer nicht mit ihrer Gegenwart zu ergötzen, nahm der Captain der Wache ihren Platz ein. Alles, was Varo’then sah oder hörte, berichtete er der Königin. Mannoroth kannte Azshara zwar erst seit kurzem, aber er hatte längst begriffen, dass sie sich nicht so einfach manipulieren ließ, wie manche es vermutet hatten. In ihrem Blick lag eine Arglist, die sie zu verbergen suchte, was ihr jedoch nicht immer gelang. Der Dämon fragte sich, was sein Herr mit ihr machen würde, wenn er schließlich diese Welt betrat.

Falls er sie jemals betrat.

Das Portal zu diesem anderen Ort, zu dem Reich zwischen den Welten und Dimensionen, wo sich die Brennende Legion zwischen ihren Raubzügen aufhielt, war bei einem magischen Angriff zusammengebrochen. Die gleiche Macht hatte auch den Turm gesprengt, in dem die Hochwohlgeborenen und die Dämonen gearbeitet hatten. Mannoroth wusste immer noch nicht, was dort wirklich passiert war, aber die Überlebenden der Katastrophe hatten von einem unsichtbaren Feind gesprochen, der den Berater erschlug. Mannoroth ahnte, wer dieser Unsichtbare war. Er hatte bereits Jäger ausgesandt, die nach ihm fahndeten. Er selbst konzentrierte sich auf den Wiederaufbau des Portals – wenn man es wieder aufbauen konnte.

Nein, dachte er. Es wird wieder aufgebaut werden.

Allerdings hatte die leuchtende Energiekugel, die über dem Muster schwebte, außer diesem Licht noch nichts zustande gebracht. Wenn der Dämon hineinblickte, spürte er weder die Ewigkeit, noch die allmächtige Gegenwart seines Herrn. Mannoroth spürte nichts.

Dieses Nichts konnte man als Fehlschlag betrachten, und in der Brennenden Legion ahndete man ein Versagen gemeinhin mit dem Tod.

„Sie werden schwächer“, sagte Captain Varo’then offen. „Sie werden wieder die Kontrolle verlieren.“

Mannoroth wusste, dass der Soldat die Wahrheit sagte. Der monströse Dämon biss die Zähne zusammen, öffnete seinen Geist und warf ihn in den Zauber. Sein Eindringen erschütterte die Hochwohlgeborenen, brachte alles durcheinander. Aber Mannoroth riss die Kontrolle über die Gruppe an sich und konzentrierte ihre Kräfte auf die bevorstehende Aufgabe.

Dieses Mal muss es funktionieren…es muss

Unter seiner Anleitung schufteten die Zauberer so hart wie noch nie. Mannoroths Entschlossenheit peitschte sie an wie Wahnsinnige. Ihre pupillenlosen Augen weiteten sich, und ihre Körper begannen, sich unter der körperlichen und magischen Belastung in Krämpfen zu winden.

Mannoroth starrte grimmig auf die Energiekugel. Sie sträubte sich gegen eine Veränderung, weigerte sich, einen Zugang zu seinem Herrn zu öffnen. Gelbe Schweißperlen liefen über die Stirn des Dämons. Schaum stand auf seinen froschartigen, breiten Lippen. Obwohl Mannoroth bei einem Fehlschlag jede Verbindung zu seinem Herrn verlieren würde, war er doch sicher, trotzdem dafür bestraft zu werden.

Niemand entkam dem Zorn von Sargeras.

Der Gedanke spornte ihn noch stärker an. Er entriss den Nachtelfen den letzten Rest ihrer Kraft und hörte, wie sie rundum aufstöhnten.

Und plötzlich entstand ein Punkt völliger Schwärze in der Lichtkugel. Aus ihrem tiefsten Inneren stieg eine Stimme empor und hallte durch Mannoroths Geist. Eine Stimme, die ihm so vertraut wie seine eigene war.

Mannoroth… bist du es…?

Aber es war nicht Sargeras.

Ja, antwortete er zögernd. Der Weg ist wieder frei.

Wir haben zu lange gewartet. Die Stimme klang so kalt, dass selbst der gewaltige Dämon sich unter ihr duckte. Du hast ihn enttäuscht.

Ich habe alles getan, was möglich war!, wollte Mannoroth protestieren, aber eine innere Stimme warnte ihn vor dieser Dummheit.

Das Portal muss vollständig für ihn geöffnet werden. Ich werde dafür sorgen, dass das endlich geschieht. Bereite dich auf mich vor, Mannoroth, ich komme jetzt zu dir.

Im gleichen Moment dehnte sich die Schwärze aus und wurde zu einer großen Leere, die über dem Muster schwebte. Das Portal war anders als das, was die Nachtelfen erschaffen hatten, was aber daran lag, dass nun auch der Dämon auf der anderen Seite es mit seinem Geist stärkte. Dieses Mal würde es nicht zusammenbrechen.

„Auf die Knie!“, brüllte Mannoroth. Die Zauberer, die immer noch unter seiner Kontrolle standen, gehorchten unverzüglich. Die Teufelswächter und Nachtelfensoldaten folgten ihnen einen Moment später. Sogar Captain Varo’then kniete sich rasch nieder.

Der Dämon kniete als Letzter, doch mit größtem Respekt. Er fürchtete diesen Dämon fast so sehr wie Sargeras.

Wir sind bereit, sagte er zur anderen Seite. Mannoroth richtete seinen Blick auf den Boden. Jedes auch noch so geringe Anzeichen von Widerstand konnte seinen sofortigen Tod bedeuten. Wir, die Unwürdigen, erwarten Eure Ankunft… Archimonde

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