Kapitel 23

In dieser Nacht konnte der Engel nicht schlafen. Er wälzte sich lange herum, drehte sein Gesicht mal zur schlafenden Katja, deren Atemzüge deutlich zu hören waren, dann wieder zum halblaut schnarchenden Semjon Gusew, dem ehemaligen Helden von Perekop, der jetzt für den „Versammlungshammer“ zuständig war, welcher mit einer Kette neben der Eisenschiene an der Stallwand befestigt war. Da er weder Ruhe noch Schlaf fand, stand der Engel auf, warf etwas Reisig in den offenen Schlund des Lehmofens und verließ die Behausung.

Der sanfte Atem der Nacht munterte ihn auf. Die Stille lenkte ihn von seinen Gedanken ab. Der Mondschein bedeckte die schlafende Erde wie Samt.

Die Wärme des Sommers war jedoch schon abgeklungen, und vom glänzenden Samt der nächtlichen Erde stieg kühle Luft herauf.

Plötzlich erklang vom Fluss her das schallende Lachen einer Frau, und es schwang solch reine Freude darin, dass der Engel unweigerlich lächeln musste. Er blickte in die entsprechende Richtung, konnte aber dort niemanden sehen. Er ging auf die andere Seite des Hügels, dorthin, wo ein neuer Pfad zum Fluss führte.

Das Lachen verstummte, dann machte es einen Platsch, als ob ein großer Fisch mit seiner Schwanzflosse gegen die Wasseroberfläche geschlagen hätte.

Der Engel blieb an der Böschung stehen – im samtenen Halbdunkel glänzte der Fluss und spiegelte die Sterne und den Mondschein wider.

Da sah er, dass eine Frau verspielt und heiter im Licht des Mondes schwamm, sie plätscherte und spritzte im Wasser herum und versuchte gar, den Mondschein anzuspritzen oder zu vertreiben, als handle es sich um Seerosen oder Tang.

Das Schauspiel versetzte den Engel in Staunen. Auf einmal drang nun auch eine männliche Stimme an sein Ohr, die leise und etwas rau war, was sie aber sagte, war unmöglich zu verstehen. Der Engel sah genauer hin und erblickte einen kleingewachsenen Mann, der vorsichtig in den Fluss stieg. Dabei war er vollkommen nackt. Er lachte und murmelte etwas.

Und da schwimmt die Frau aus dem Schein des Mondes heraus und näher an den bis zum Bauch im Fluss stehenden Mann heran, schöpft mit ihrer hohlen Hand Wasser und spritzt ihn an.

„Ah! Oh!“, schreit der Mann mit vor Freude zitternder Stimme und geht einen Augenblick später in die Hocke, um bis zum Hals in das Wasser einzutauchen.

Halb gehen sie, halb schwimmen sie gemeinsam auf den Mondschein zu, und dieses Schauspiel bereitet dem Engel solche Freude, dass er alles andere vergisst und einfach nur zusieht. Die beiden verhalten sich so, als ob sie allein auf der ganzen Welt wären.

Der Engel ließ sich im Gras nieder, machte es sich bequem und stützte sich mit den Händen auf der kühlen Erde ab, die jedoch nicht kalt war, und er beobachtete das fröhliche Glück gewöhnlicher Menschen. Und mit einem Mal kam ihm ein ganz unnötiger Gedanke. Er stellte sich Katja und sich selbst dort im Fluss vor, wie sie beide planschten, lachten und wie sie beide nackt waren. Und da regte sich in seinem Inneren, in seinem Herzen, ein Gefühl, das zugleich bitter und süß war. Sein Mund wurde trocken und seine Lippen verzogen sich, als ob es sie nach Wasser oder nach einem Kuss verlangte. Da wurde sich der Engel der ganzen Sündhaftigkeit seiner Fantasie bewusst und er biss sich so fest auf die Unterlippe, dass er auf der Zunge Blut schmeckte. Aber nicht der Schmerz, sondern ebendieser Geschmack lenkte ihn von seinen Gedanken an Katja ab, und daran, wie er neben ihr planschte.

Die beiden stiegen aus dem Wasser, warfen sich etwas über und gingen auf dem Weg hinauf zur Hügelkuppe. Der Engel erschrak, er wollte nicht, dass die beiden Glücklichen dachten, er habe sie vorsätzlich und aus Neugier beobachtet. Deshalb warf er sich auf den Boden, hielt den Atem an und horchte auf ihre näher kommenden Schritte.

Sie gingen schweigend, als ob sie fürchteten, mit ihren Stimmen und ihrem Lachen jemanden im Neuen Gelobten Land aufzuwecken. Als sie vorbeigegangen waren, ohne den auf dem Boden liegenden Engel zu bemerken, stützte er sich auf die Ellbogen und blickte ihnen hinterher. Und er erkannte den Mann – es war der bucklige Buchhalter.

Einige Zeit später, als die Nacht immer noch andauerte und der Mond gerade noch über dem Fluss hing, bevor er zum Horizont abstieg, stand der Engel auf und ging den Weg hinauf. Er war schon an der offenen Stalltür angelangt, da hörte er jemanden flüstern. Und wieder wollte der Engel nicht gesehen werden, deshalb bog er um die Ecke und versteckte sich dort. Dieses Mal kamen drei Rotarmisten mit Waffen aus dem Stall. Sie blieben stehen und blickten aufmerksam in die Nacht zu den Sternen und hinaus in die Welt, die stillstand, dann stiegen sie den Abhang zum umgepflügten Friedhof hinunter.

Lange stand der Engel da und sah ihnen nach. So lange, bis sie weit draußen im Feld verschwunden waren und sich mit dem Horizont oder auch mit den Farben der nächtlichen Erde vereinigt hatten.

Erst dann kehrte der Engel zu seiner Bank zurück. Im Stall war es still, wenn man vom Schnarchen des Rotarmisten Semjon Gusew absah. Der Engel legte sich hin, drehte sich so weit zur Seite, dass er die schlafende Katja sehen konnte, und schlief schließlich ein, während sein Blick auf ihr ruhte. In dieser Nacht blieb ihm nur wenig Zeit zum Schlafen, nur etwa drei Stunden.

Kurz vor der Dämmerung kehrten die drei Rotarmisten in den Stall zurück, wobei sie versuchten, leise zu sein. Jeder von ihnen trug einen großen, schweren Sack. Sie durchquerten den Stall bis zum hintersten Winkel, stellten dort ihre Säcke auf den Holzboden und legten sich zum Schlafen nieder.

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