Kapitel 13

Der Schlaf, der Dobrynins Verstand und Körper während des Fluges in Bann hielt, war so stark wie der berühmte Gewichtheber Schabotinskij, aber seine Kräfte reichten dennoch nicht aus, den Volkskontrolleur bis zur Landung zu umarmen. Daran war zum Teil auch das Pferd Grigorij schuld, das von Zeit zu Zeit Futter verlangte, in der Hauptsache aber die übermäßige Länge des Fluges. Die Stunden verflogen jedoch wie Minuten. Zweimal bemerkte der wach gewordene Dobrynin, wie der Pilot, der schräg vor ihm am Steuer saß, plötzlich seine Tätigkeit unterbrach und die Armbanduhr nachstellte. Unten, jenseits des runden Flugzeugfensters, war etwas Weißes und Formloses zu sehen. Trotz allem empfand Dobrynin in seinen wachen Momenten einen merkwürdigen Stolz auf sich. Er war stolz darauf, dass er auf Anordnung der Führung des Sowjetlandes so weit gekommen war, im Auftrag des Vaterlandes, das jetzt gerade konturlos unter ihm lag und entweder von Wolken und Atmosphäre bedeckt oder tatsächlich so formlos und weiß war.

Die Gedanken an das Heimatland wurden in ihrem Umfang immer kleiner, in dem Sinne, dass das Heimatland in ihnen immer kleiner wurde, bis Dobrynin begriff, dass er nun an sein Heimatdorf Kroschkino dachte, das ebenfalls seine Heimat war, aber eben nur seine kleine, sehr kleine Heimat, die Miniaturheimat sozusagen. Und da tauchte in seinem halbwachen Bewusstsein ein vertrautes Bild auf, das sowohl das Stück Straße mit seinem Haus und Hof zeigte, als auch seine Frau Manjascha, die den Säugling stillte, während sie auf der Bank neben dem Tor saß, sowie Dmitrij, Mitka, seinen geliebten Köter, diesen zärtlichen und schwanzwedelnden, gutmütigen Kerl mit der ständig zerkratzten, feuchten Schnauze und diesem klangvollen Bellen. Und da wurde ihm so warm und behaglich in seinem Halbschlaf, dass Dobrynin die geschlossenen Augen noch fester zudrückte.

„He, du!“, holte ihn ein Zuruf des Piloten zurück.

„Was ist?“, brüllte Dobrynin etwas unzufrieden zurück, um mit seiner Stimme das Dröhnen des Motors zu übertönen.

„Komm her, halt das Steuer fest, ich muss nämlich aufs Klo…“, erklärte ebenfalls brüllend der Pilot, in seinen Worten, aber nicht ohne Respekt.

Pawel ging nach vorne, der Pilot ließ ihn sich auf seinen Platz setzen, zeigte ihm, wie man das Steuer halten musste, und kletterte in das Heck des Flugzeugs, dorthin, wo sich das Pferd befand. Er blieb etwa fünf Minuten lang weg. Dobrynin schliefen die Hände ein und er begriff, dass das Halten des Steuers Schwerarbeit war. Denn erst, wenn man das Steuer in Händen hielt, spürte man das Vibrieren der riesigen Maschine, und man vibrierte mit ihr.

„Genug jetzt, du bist entlassen!“, schrie der Pilot, der wieder vor seinem Platz stand, aber Pawel war es völlig unmöglich, seine Hände vom Steuer zu lösen; sie waren wie angeklebt.

Schließlich half der Pilot Dobrynin, er nahm seine Hände vom Steuer und setzte sich vor die Instrumente.

„Und wo ist hier die Toilette?“, wollte der Volkskontrolleur wissen, der das Vibrieren immer noch in seinen Händen fühlte.

„Dort hinter dem Pferd steht ein Kübel…“, erklärte der Pilot, während er die schwankenden Zeiger der Geräte aufmerksam studierte.

Im Halbdunkel des Frachtraums im Heck des Flugzeugs gelang es Dobrynin nicht sofort, den entsprechenden Kübel ausfindig zu machen. Zuerst wäre er beinahe hingefallen, als er über die Beine des Pferdes Grigorij stolperte, das sich ausgestreckt hatte, aber dann, als sich seine Augen ein wenig an das Halbdunkel gewöhnt hatten, fand er ihn. Nachdem er sein Geschäft verrichtet hatte, kehrte er in die Kabine zurück.

„Wir gehen hinunter!“, rief der Pilot, drehte sich um und deutete mit dem Finger nach unten.

Dobrynin sah wieder aus dem Fenster, konnte aber unten nichts erkennen. Außer, dass sich das unförmige und weiße Etwas, das eine Wolke oder ein Teil des Vaterlandes hätte sein können, tatsächlich vergrößert hatte.

Dobrynin wusste nicht, was der Pilot mit dem Steuer machte, aber das Flugzeug wurde bald auf die Seite geschleudert. Das Pferd Grigorij wieherte erschrocken auf, ja und auch Pawel selbst nahm es den Atem und ihm wurde schwindlig. Es dauerte recht lange, bis Dobrynin sich wieder einigermaßen erleichtert fühlte, und während er noch immer einen bitteren Geschmack im Mund hatte, beugte er sich zum Fenster und blickte nach unten. Dort, gleich unterhalb des Flugzeugs, erstreckten sich Schneefelder und Hügel, und eine Tierherde kreuzte den Weg des Vogels aus Stahl. Ein Stück daneben schlängelte sich eine bläulich wirkende winzige Straße oder ein Band, und, was am erstaunlichsten war, kein einziger Baum und kein einziger Strauch waren zu sehen.

„Wo sind wir denn hier?“, rief Dobrynin dem Piloten zu. Der drehte sich um.

„Bulunajba!“, antwortete er.

„Was?“

„Die Stadt heißt so!“, rief der Pilot.

Wieder sah Dobrynin aus dem Fenster und begann unten eine Stadt zu suchen, aber dort dehnte sich nach wie vor eine Schneewüste aus, und sogar die Tierherde, die vorhin unterhalb des Flugzeugs gelaufen war, hatte sich irgendwo verborgen. Schon wollte er den Piloten noch einmal fragen, diesmal aber strenger, damit dieser nicht wieder mit einer unzureichenden Antwort auf die Frage des Volkskontrolleurs davonkam, aber da erblickte er im Schnee drei kreisförmige Bauten und dachte, dass das die ersten Häuschen der Stadt sein müssten. Die Häuschen blieben jedoch hinter ihnen zurück und vor ihnen glänzte wieder nur die weiße Wüste ohne irgendwelche Anzeichen von menschlichem Leben.

„Und wo ist die Stadt?“, fragte Dobrynin wieder.

„Wir sind daran vorbeigeflogen!“, antwortete der Pilot.

„Ich hab sie gar nicht gesehen!“ Dobrynin zuckte enttäuscht die Achseln.

„Da waren drei Häuser!“, rief der Pilot.

„Die hab ich gesehen!“, schrie ihm Pawel als Antwort zu.

„Das war doch die Stadt!“

„Drei Häuser sind eine Stadt?“ Dobrynin bedachte den ihm zugewandten Piloten mit einem erstaunten Blick.

„Ja“, rief dieser. „Drei Häuser sind eine Stadt, zwei Häuser eine Ortschaft, ein Haus ein Dorf. Wir sind hier in Jakutien, das ist da so üblich…“

„Da so üblich?“, wiederholte der Volkskontrolleur für sich und hatte Schwierigkeiten mit dem jakutischen Begriff einer Stadt.

Er warf noch einen Blick nach unten, dann schaute er nach, ob sich sein Reisesack noch unter dem Sitz befand, und begann beruhigt und geduldig die angekündigte Landung abzuwarten.

Es verging noch etwas Zeit und dann erbebte das Flugzeug, als es auf die heimatliche Erde aufsetzte, und raste ratternd und holpernd über das Schneefeld.

Dobrynin erschrak kurz, aber gleich nach dem Aufsetzen verwandelte sich der Schreck in Neugier, und der Kontrolleur drehte den Kopf wie ein Vogel und versuchte, in zwei Richtungen zugleich zu schauen: aus dem seitlichen Flugzeugfenster sowie aus dem vorderen Fenster, durch das man eigentlich nichts sehen konnte. Vor dem Seitenfenster tauchte ein kleines Häuschen mit einem Windsack auf, wie er ihn bereits vom Moskauer Flughafen her kannte. Gleich neben dem gestreiften Windsack wehte eine rote Fahne und vom Dach aus ragte ein schmales, nach oben enger werdendes Eisenrohr weit empor. Aus dem Haus trat ein Mann, von mittlerer Größe, aber ziemlich breit, und solange das Flugzeug noch nicht ganz nahe an das Häuschen herangerollt war, vermochte Dobrynin nicht zu begreifen, warum der Mann so dick war. Als das Flugzeug jedoch angehalten hatte, wurde dem Volkskontrolleur klar, dass es an seiner Kleidung lag.

Schließlich verstummte der Flugzeugmotor, der Pilot erhob sich von seinem Platz und trat ein wenig schwankend hinter Dobrynin. Das Eisen quietschte, als er die Ausstiegsluke an der Seitenwand öffnete. Pawel selbst fühlte ein unangenehmes Gären im Bauch und eine allgemeine Schwäche machte sich in ihm breit. Die Beine wollten seinen Gedanken nicht gehorchen, mit denen er seinem Körper befahl, sich aufzurichten.

„Na los, stehen Sie auf!“, sagte der Pilot allzu laut, als würde in seinen Ohren immer noch der Motor dröhnen.

Dobrynin spannte seine Muskeln an, stützte sich auf den Armlehnen ab und stand auf.

Pawel sprang hinter dem Piloten auf die Erde und konnte das Gleichgewicht kaum halten. Ihm war schwindlig und wenn der Mann, der sie abholte, ihm nicht kräftig die Hand geschüttelt hätte, wäre er wohl auf der gefrorenen, von Schnee bedeckten Erdkruste gelegen.

„Herzlich willkommen! Herzlich willkommen!!“ Der Mann in der warmen Kleidung schüttelte freudig die Hand des Kontrolleurs.

Langsam erhielt Dobrynin sein Gleichgewichtsgefühl wieder, und während er ein gequältes Lächeln aufsetzte und gleichzeitig herauszufinden versuchte, was gerade mit seiner Gesichtshaut passierte, sagte er zu dem Mann:

„Guten Tag… Danke…“

Schon fühlte er, wie die Haut seiner Wangen immer mehr spannte, und auch sein Gesicht ließ das erkennen, denn der Mann wurde plötzlich ernst, stürzte in das Häuschen und kam nach einer halben Minute mit einer Dose wieder.

„Einen Augenblick“, sagte er im Tonfall eines Arztes, während er mit zwei Fingern etwas Salbe aus der Dose holte und sie auf dem Gesicht des Gastes verstrich. „Das ist schließlich ein physikalisches Gesetz… in der Wärme dehnt sich alles aus und in der jakutischen Kälte zieht sich alles zusammen… so… ist es jetzt besser?“

Dobrynin nickte kaum merklich.

„Walerij Palytsch!“, rief der Mann dem Piloten zu. „Komm herein, wärm dich mit Tee auf“, und dann fuhr er an Dobrynin gewandt fort, „also, wie gesagt, in dieser Kälte zieht sich alles zusammen… vor einem Jahr kam ein Flugzeug an und brachte eine Treibhausgurke, die hatte man mir von zu Hause mitgeschickt, und sie war unglaublich lang, müsst ihr wissen… Als wir sie dann gleich hier draußen zum Herzeigen hervorgeholt hatten, schrumpfte sie vor unseren Augen zusammen und wurde klein wie ein Taubenschnabel. Das war schrecklich anzusehen! Was soll’s, genug davon. Kommt ins Haus!“

Als sie im Haus waren, reichte der Hausherr Pawel einen dicken Pelz aus weißem Rentierfell.

„Ziehen Sie den an, Sie werden sich an das Klima gewöhnen. Übrigens, ich habe noch gar nicht gesagt, dass ich Fjodor heiße.“

„Pawel Dobrynin“, stellte sich der Volkskontrolleur vor und zog den Mantel an.

Walerij Palytsch, der Pilot, schüttelte den schwach brennenden Petroleumkocher, auf dem ein blitzblank geputzter Kupferkessel thronte.

Das Haus bestand aus einem Zimmer mit einem kleinen eisernen Ofen, der aus einem Benzinfass gemacht war. Der Ofen stand genau in der Mitte, damit sich die Wärme gleichmäßig verteilen konnte, und vor dem einzigen Fenster stand ein Tisch.

Dobrynin, der bereits am Tisch saß und den Pelz bis obenhin zugeknöpft hatte, griff sich an die Wange; die Haut hatte sich ein wenig beruhigt und schmerzte nicht mehr.

„Eine gute Salbe“, sagte Pawel, der dem Gastgeber etwas Nettes sagen wollte.

„Ja“, nickte Fjodor. „Eine Militärsalbe, für den Krieg im Polargebiet. Es gibt hier in der Nähe ein Lager…“

„Heißt das, dass hier in der Nähe Truppen stationiert sind?“, wollte Pawel wissen.

„Nein, hier in der Nähe ist gar nichts, außer drei jakutischen Städten. Da ist nur ein Militärlager für den Fall eines Krieges. Als es warm war, war ich einige Male dort…“

„Wird es denn hier auch warm?“, wunderte sich Dobrynin.

„Natürlich kommt das auch vor, manchmal bekommt es hier im Juli null Grad, aber normalerweise hat es im Sommer minus sieben bis minus zehn…“

„Fedja, was ist mit deinem Kocher los?“, unterbrach der Pilot den Hausherrn. „Ich plage mich damit herum…“

Fjodor drehte sich um, sah auf den Petroleumkocher, schwieg eine Minute und fragte dann:

„Vielleicht hat er kein Petroleum mehr?“

Der Pilot sah nach. Fjodor hatte recht, es gab kein Petroleum mehr, und Walerij Pawlowitsch musste mit einer schmutzigen Dose zum Flugzeug gehen, um aus einem Kanister etwas Treibstoff hineinzuleeren.

Schließlich war der Tee fertig und wurde in Blechtassen eingeschenkt, auf denen ein Flugzeug sowie die Aufschrift „OSOAWIACHIM“ eingeprägt waren. Zum Tee reichte Fjodor Militärgebäck aus der Konserve, das man vor dem Verzehr fünfzehn Minuten in warmes Wasser einweichen musste.

„Ich habe auch Zwieback dabei“, fiel Pawel ein. Der Pilot ging wieder zum Flugzeug und brachte Dobrynins Reisesack.

Als der Kontrolleur den Zwieback aus dem Säckchen auf den Tisch leerte, stellte sich heraus, dass zwei Zwiebackstücke angebissen waren.

„Von einem hat Genosse Kalinin abgebissen“, antwortete Pawel auf Fjodors fragenden Blick.

Die beiden angebissenen Stücke legte er wieder zurück in das Säckchen.

„Morgen kommt Sie der Komsomolze Zybulnik mit dem Propellerschlitten abholen“, sagte Fjodor und blies dabei auf seinen Tee. „Er wird Ihnen alles erklären… Sie fahren mit ihm in die Stadt Chulajba.“

Pawel trank Tee, nickte und versuchte zu ergründen, warum er Unruhe verspürte. Plötzlich fiel es ihm ein.

„Genosse Pilot“, wandte er sich an Walerij Pawlowitsch. „Dort im Flugzeug ist noch immer das Pferd… Es muss gefüttert werden und sich ein wenig aufwärmen…“

Der Pilot überlegte.

„Übrigens, Walerij Pawlowitsch“, wandte sich Fjodor an den Piloten. „Hast du mir Brennholz mitgebracht?“

„Wo denkst du hin, Fedja! Natürlich! Sowohl Birke als auch Kiefer!“, lächelte der Pilot über das ganze Gesicht. „Womit heizt du denn jetzt?“

„Mit Flechten“, antwortete Fedja. „Am wärmsten Tag hab ich sie mitsamt den Wurzeln mit der Schaufel abgeschert, die Erde ein bisschen abgekratzt, sie dann getrocknet, und seht, sie brennen ein bisschen. Obwohl der Geruch unerträglich ist…“

Dobrynins Miene verdüsterte sich, er ärgerte sich, dass man sein Pferd vergessen hatte. Er bedachte den Piloten mit einem unfreundlichen Blick. Aber der Pilot war ein guter Bursche, nur ein wenig zerstreut, deshalb hatte er auch vergessen, auf Pawels Frage zu antworten. Als er nun den wenig freundlichen Blick auf sich spürte, wusste er gleich, worum es ging.

„Ja“, nickte er und sah Dobrynin an. „Wir müssen das Pferd ausladen… Gleich, trinken wir noch den Tee aus…“

Und tatsächlich, sobald sie den Tee aus den sympathischen Osoawiachim-Tassen geleert hatten, stand der Pilot auf, nickte Fjodor zu und bat ihn, ob er mithelfen könne. Und sie gingen zurück in die Kälte.

Nach ein paar Metern spürte Pawel wieder die Kälte auf den Wangen, aber es schmerzte schon weniger und auch der Tee wärmte von innen. So schenkte er also der Härte des nördlichen Klimas wenig Beachtung.

Beim Flugzeug blieben alle drei stehen und überlegten laut, wie man das Pferd am besten herausholen könne. Trieb man es heraus, dann könnte es sich die Beine brechen. Zwar war es nicht weiß Gott wie hoch, aber ein Pferd war kein Mensch und solche Sprünge nicht gewohnt. Schließlich holten sie den Tisch aus dem Häuschen, stellten ihn direkt unter die Ausstiegsluke, stiegen selbst ins Flugzeug und schoben das Pferd Grigorij mit vereinten Kräften zum Ausgang. Dort bockte es zehn Minuten lang, wahrscheinlich wegen der eisigen Luft, doch schließlich sprang es auf den Tisch und weiter auf die Erde und schlug dabei mit einem Huf ein Loch in die Tischplatte. Dann wandte es sich um, schüttelte den riesigen Kopf und wieherte.

„Offensichtlich ist ihm kalt“, sagte Pawel besorgt, fasste Grigorij an den Zügeln und führte ihn ins Haus.

Fjodor und der Pilot trugen den beschädigten Tisch hinterher.

Pawel kam es vor, als wäre es während ihrer Abwesenheit im Häuschen kühler geworden. Er wollte das Pferd dazu bringen, sich vor die freie Wand zu legen, das Pferd weigerte sich jedoch entschieden und Dobrynin gab auf.

Fjodor ging Flechtenstücke holen und brachte einen ganzen Berg herein. Er trocknete sie an den Außenwänden des Hauses auf Nägeln, die reichlich in die Balken der Wände eingeschlagen worden waren.

Der Ofen zischte fröhlich auf, als er neuen Brennstoff bekam. Pawel ließ das Pferd in Ruhe, nahm den Kochtopf, kratzte hinter dem Haus etwas Schnee zusammen und stellte den Topf damit neben den Ofen. Sobald der Schnee geschmolzen war, würde das Pferd Wasser trinken können.

„Vielleicht laden wir auch gleich das Holz aus?“, schlug der Pilot Fjodor vor.

„Ach, wozu die Eile! Du bleibst doch noch einige Tage hier!“, antwortete Fjodor darauf.

Sie tranken noch Tee, dann ging Fjodor zu einem Apparat, der auf einem Tischchen in der Ecke stand, und hantierte daran herum. Im Zimmer ertönte ein Piepsen.

„Was ist das?“, wollte der Volkskontrolleur wissen.

„Ein Funkgerät!“, antwortete der Hausherr stolz. „Ich muss schließlich funken, dass Sie angekommen sind!“

„Nach Moskau? Dem Genossen Kalinin?“, freute sich Dobrynin. „Können Sie ihn vielleicht von mir grüßen lassen?“

„Nein“, schüttelte Fjodor den Kopf. „Es gibt hier eine Rangordnung… Ich funke nach Chulajba, das ist die nächste Stadt, etwa dreihundert Kilometer von hier. Von dort wird nach Jakutsk gefunkt, von dort nach Chabarowsk, von Chabarowsk nach Moskau und schließlich von Moskau in den Kreml. So ist das!“

„Man kann auch direkt nach Moskau funken“, sagte der Pilot, der merkte, dass Dobrynin ein wenig betrübt wurde. „Es ist nur nicht erlaubt, dafür kann Fedja entlassen werden.“

„Aha, verstehe“, sagte Pawel langsam. „Das ist also Vorschrift.“

„Ja“, nickte Fjodor, „das ist Vorschrift.“ Und zur Bekräftigung hob er bedauernd die Schultern.

Dann setzte er sich auf den Hocker vor das Funkgerät, stellte es ein, indem er ein schwarzes Ding nach links und rechts drehte, setzte die Kopfhörer auf, und das Piepsen des Morsecodes erfüllte das ganze Zimmer – sogar das Pferd Grigorij spielte mit den Ohren, da es diese Laute nicht kannte.

Fasziniert sah Dobrynin Fjodor zu und Walerij Palytsch beobachtete den Volkskontrolleur mit Interesse. Er beeindruckte den Piloten durch seine Einfachheit und durch sein Amt, das dieser Einfachheit nicht entsprach. Draußen wurde es bereits dunkel.

Fjodor nahm die Kopfhörer ab und legte sie auf das Funkgerät. Irgendetwas hatte ihn verstimmt.

„Was gibt es dort?“, fragte der Pilot.

„Alles in Ordnung, ich hab’s gemeldet“, winkte Fjodor ab. „Ich habe Poltoranin gebeten, mir etwas aus den neuesten Zeitungen durchzufunken, aber Kriwizkij hat es ihm nicht erlaubt!“

„Ach ja“, murmelte der Pilot teilnahmsvoll. Dann ging er zum Fenster. „Es wird schon dunkel… Und ich hab schon wieder vergessen, dir Zeitungen mitzubringen.“

„Und wann wird es hier hell?“, fragte Dobrynin.

Sowohl der Pilot als auch Fedja sahen ihn mit einem kaum merklichen Schmunzeln an.

„In etwa fünf oder sechs Monaten“, sagte Fjodor ruhig.

„Was?!“, brach es aus dem Kontrolleur heraus. „Wie das?“

„Die Polarnacht“, sagte der Pilot bedeutungsvoll. „Hier ist alles länger, sowohl die Nacht als auch der Tag.“

„Das heißt also, dass es jetzt ein halbes Jahr lang dunkel sein wird?“, fragte Pawel nach.

„Ja“, nickte der Pilot. „Es gibt anscheinend Pläne, hier hochleistungsfähige Elektrizitätswerke zu errichten, um das sowjetische Polargebiet in der Nacht zu beleuchten, aber das ist erst für den siebenten Fünfjahresplan vorgesehen.“

„Das ist nicht allzu bald…“, nickte der Volkskontrolleur.

Er bemerkte, dass das Wasser im Topf geschmolzen war, nahm ihn vom Ofen und stellte ihn direkt vor das Maul des Pferdes. Grigorij beugte sich hinab und begann gierig zu trinken.

„Und was geben wir ihm als Futter…“, fragte Pawel ratlos. „Haben Sie Heu?“

„Ja, woher denn?!“, antwortete Fjodor betrübt. „Hier gibt es doch gar keine Pferde!“

„Hör zu.“ Plötzlich lebte Walerij Palytsch auf. „Hast du vielleicht ein Ersatzhufeisen?! Das könnte man hier über der Tür aufhängen!“

„Nein“, antwortete Pawel mit einem Seufzen. „Man hat mir keines mitgegeben.“

„Das ist schlecht“, schüttelte der Pilot den Kopf. „Es hätte dort als Glücksbringer hängen können. So wie bei mir zu Hause.“

„Das macht nichts, uns wird schon etwas einfallen“, beruhigte Fjodor Dobrynin. „Er wird Trockenkekse fressen, man muss sie nur aufweichen. Ich hab hier zehn Dosen und dort im Militärlager gibt es sie in Unmengen.“

Nachdem der Kontrolleur noch einen halben Topf voll Schnee geschmolzen hatte, schüttete er drei Konservendosen Hartkekse hinein. Dann setzten sie sich zu dritt an den Tisch, um Domino zu spielen. Das Loch, das Grigorij mit dem Huf geschlagen hatte, verdeckten sie mit einer Petroleumlampe, die sie anzünden mussten, da die Dunkelheit durch das Fenster hereindrang. Den bis zum Rand mit Schnee gefüllten Teekessel stellten sie wieder auf den Petroleumkocher und legten ein trockenes braunes Flechtenstück im Ofen nach.

Das Pferd stand still da, so als würde es verstehen, dass man es füttern würde, sobald das möglich war. Dabei schielte es mit einem Auge nach dem an den Ofen gerückten Kochtopf, in dem die schwärzlichen, runden Trockenkekse schwammen, aufquollen und sich allmählich in etwas Essbares verwandelten.

Dobrynin lebte beim Spiel auf und seine Laune verbesserte sich. Er hatte im Dorfklub Domino spielen gelernt, ein junger Mathematiklehrer hatte es ihm beigebracht, der zum Kampf gegen den Analphabetismus zu ihnen ins Dorf geschickt worden war. Und jetzt, da er versuchte, die anderen zu blockieren, erinnerte sich Dobrynin dankbar an jenen weißblonden, schmalen Burschen mit der runden Brille, der etwa gleich alt gewesen war wie er. Fast ein ganzes Jahr war er bei ihnen in Kroschkino geblieben, dann hatte man ihn in die tiefste Einöde versetzt, in irgendein Dorf, wo es, so hatte es geheißen, nicht einen einzigen Bewohner gab, der lesen und schreiben konnte.

Fjodor und Walerij Palytsch spielten eher schwach, das spürte Dobrynin sofort, und bereits nach zehn Minuten gewann er das erste Spiel, indem er seine geliebte Blockade mit dem Doppelsechser legte.

Auf dem Funkgerät leuchtete plötzlich ein grünes Lämpchen auf, und Fjodor stürzte zum Tischchen, setzte die Kopfhörer auf und ließ sich auf dem Hocker nieder. Dann morste er etwas durch, offenbar eine Antwort auf die Nachricht.

„Na, was gibt es dort?“, fragte der Pilot, als Fjodor an den Tisch zurückkehrte.

„In Chulajba hat ein Schneesturm begonnen, es könnte sein, dass er auch zu uns kommt“, antwortete Fjodor.

Walerij Palytsch stand auf.

„Ich werde das Flugzeug dichter ans Haus stellen“, sagte er, stülpte sich die warme Fliegermütze über und ging hinaus.

Fjodor und Dobrynin spielten zu zweit und hörten, wie der Pilot die Propeller anwarf, wovon die einzige Fensterscheibe des Häuschens zu klirren begann. Nach fünf Minuten wurde es wieder still.

Nachdem Walerij Palytsch zurückgekehrt war, klopfte er sich den Schnee von den Füßen, nahm die Mütze vom Kopf, setzte sich zum Ofen und hielt die Hände über das heiße Eisen.

„Wir haben Ostwind“, sagte er. „Ich habe das Flugzeug hinter dem Haus abgestellt, sonst wird es noch zugeweht, und bei einer Windböe kann es sogar umgeworfen werden. Ich kenne doch diese Schneestürme.“

Bald beschlossen sie, schlafen zu gehen. Fjodor warf um den Ofen herum einige gute Rentierpelze auf den Boden.

„Die hab ich vom Militärlager mitgenommen, nützliche Dinger!“, erklärte er.

Sie legten sich im Dreieck um den Ofen und deckten sich mit weiteren Pelzen zu. Dann löschten sie die Petroleumlampe und versperrten die Tür mit einem gusseisernen Riegel.

Dobrynin wollte Fjodor fragen, vor wem sie sich denn einschlossen, aber er schwieg, da er für sich entschied, dass das wohl die Vorschrift war, und Vorschriften standen nicht zur Diskussion.

Anfangs war es auf dem Boden etwas kalt, und Pawel, der so ein Nachtlager nicht gewohnt war, bewegte sich Millimeter um Millimeter näher zum Ofen hin, aber irgendwann wurde ihm heiß und er rückte wieder etwas weg. Auf diese Weise fand er den gemütlichsten Platz für einen guten Schlaf.

Er träumte von Hundegebell und von seinem Heimatdorf. Und davon, wie er in der Nacht hinters Haus ging, um ein Geschäft zu verrichten, und vom Himmel fielen vor seinen Augen einsame Sternschnuppen herab und landeten irgendwo im Bezirk Manajenkowsk oder aber auf der anderen Seite, aber sie vermieden es aus irgendeinem Grund, auf sein Dorf zu fallen. Vielleicht war das auch besser so, da Pawel die tatsächliche Größe dieser Sterne nicht kannte und daher, wenn sie aufs Haus oder auf die Saat gefallen wären, den möglichen Schaden nicht hätte voraussehen können. Das Entscheidende aber war, dass sie unglaublich schön anzusehen waren, und diese hellen Schweife, die sie hinter sich herzogen, faszinierten Dobrynin und brachten ihn dazu, über etwas Höheres nachzudenken, über den Himmel, aber da Dobrynin fast nichts über den Himmel wusste, fiel ihm das Nachdenken über dieses Thema schwer. Manchmal ging er nachts zu Mitkas Hütte und betrachtete gemeinsam mit seinem Hund die Sterne, und der Hund, der dumm wie Stroh war, schaute ebenfalls zu den Sternen und bellte sie so laut an, bis er heiser war, wovon Manjascha zu früh erwachte und Pawel dann sanft für den sinnlosen Lärm rügte.


Auch das Aufwachen hier war für Pawel ungewohnt. Die Dunkelheit schwächte seinen Blick und lähmte ihn. Um das Haus herum heulte der Schneesturm, vor dem man sie über Funk gewarnt hatte, aber er konnte das doppelte, kräftige Schnarchen von Fjodor und dem Piloten nicht übertönen.

Dobrynin stand auf, zündete die Petroleumlampe an, stellte den Kochtopf, in dem das Militärgebäck zu Brei geworden war, vor Grigorij, dann setzte er sich an den Tisch am Fenster und versuchte, irgendetwas davor zu erkennen. Aber draußen herrschte eine Dunkelheit, die so schwarz war, wie er es noch nie in seinem Leben gesehen hatte.

So saß er recht lange tatenlos am Tisch, bis Fjodor aufwachte, der auch gleich Walerij Palytsch wachrüttelte.

Fjodor nahm dem Pferd Grigorij den leeren Topf weg, stellte ihn für einen Augenblick vor die Tür hinaus und holte ihn gleich wieder mit Schnee gefüllt herein. Er stellte ihn zum Ofen und begann sich die rote Hand zu reiben, die aussah, als ob sie verbrüht worden wäre.

„Na, so ein Sturm!“, sagte er. „Bei Ihnen gibt es so etwas wahrscheinlich nicht.“

„Jetzt gibt es so etwas nicht mehr“, antwortete Pawel. „Aber vor der Revolution kam das oft vor, das hat mir meine Mutter vor ihrem Tod erzählt.“

„Nun, vor der Revolution gab es so einiges“, stimmte Fjodor zu. „He, Palytsch, unter dem Funkgerät sind ein Säckchen mit Hirse und eine Dose mit Salz. Reich mir das doch bitte herüber!“

Der Pilot gab ihm das Gewünschte. Fjodor schüttete zwei Osoawiachim-Tassen mit Hirse und eine Handvoll Salz in den Kochtopf und stellte das Ganze auf den Petroleumkocher.

Das Pferd schnaubte und machte damit auf sich aufmerksam. Es atmete seltsam, irgendwie heiser, und Dobrynin dachte, dass sich das Tier möglicherweise erkältet hatte.

„Man müsste ihm einen Tee machen!“ Fjodor deutete auf das Pferd. „Obwohl, ich weiß gar nicht, ob Pferde überhaupt Tee trinken!?“

Pawel zuckte mit den Schultern. Auf diese Frage wusste er auch keine Antwort.

„Vielleicht sollte man einfach Wasser mit den Breiresten warm machen?“, schlug der Pilot vor.

„Nun, Wasser können wir warm machen“, stimmte Fjodor zu, „ich fürchte nur, dass wir keine Breireste haben werden – schließlich haben wir gestern nichts Ordentliches gegessen.“

Fjodor sollte recht behalten. Der Brei reichte nicht einmal mehr für sie. Dobrynin fühlte, dass er mindestens noch eine solche Portion vertragen hätte. Der Pilot meinte, dass das nicht einmal ein Drittel einer Fliegerration gewesen sei.

Sie gaben den Teekessel auf den Petroleumkocher, füllten den Kochtopf wie zuvor mit Schnee und stellten ihn wieder zum Ofen, um für das Pferd Wasser zu wärmen.

So begann das Warten auf das Ende des Schneesturmes.

Vor dem Fenster heulte und tobte die unkontrollierbare Naturgewalt des Nordens und erschütterte die Wände, während im Inneren des Hauses in gewöhnlicher Weise Menschen lebten, die mit Schwierigkeiten vertrauten waren, Essen zubereiteten und Wasser für das Pferd Grigorij wärmten, das das Wasser nicht verschmähte, aber trotzdem heiser atmete und schnaubte.

Die Gegenwart des Pferdes veränderte den Geruch in der Unterkunft, aber alle drei Bewohner verhielten sich gelassen und ohne Aufregung, sie kehrten nur von Zeit zu Zeit die Pferdeäpfel in die hinterste Ecke des Hauses. Sie tranken Tee, spielten Domino und unterhielten sich über Verschiedenes.

So vergingen drei Tage, und die Langeweile begann Dobrynin zu überwältigen, was er freilich nicht zugab. Wie gewohnt, tranken sie seit dem Morgen Tee, saßen am Tisch neben dem Fenster, mischten die Dominosteine und begannen zu spielen. Das Licht der Petroleumlampe war nicht hell, aber es spiegelte sich im dunklen Fenster und verstärkte sich dadurch und das gefiel Pawel.

„Wer hat den Doppel-Einser?“ Er stellte die Frage, die in den vergangenen drei Tagen sicherlich schon dreißig Mal oder öfter ausgesprochen worden war.

Fjodor legte den entsprechenden Doppelstein auf den Tisch.

Das Spiel verlief gewissermaßen mit allzu großem Ernst, ohne die übliche Leidenschaft in hitzigen Wortgefechten, ohne zu scherzen und die Steine auf den Tisch zu donnern. Das Spiel lief so sachlich ab, als ob die drei mit einer ernsthaften Arbeit beschäftigt wären. Und das Gespräch, das am Tisch geführt wurde, betraf das Spiel nicht im Geringsten.

„Ich bin hier schließlich die meiste Zeit allein“, sagte Fjodor. „Na, wenn hier Sommer ist, also nicht allzu kalt, dann bin ich immer draußen, schau die Sonne an, finde manchmal ein aufgetautes Stück Erde, und dort wächst immer irgendein Pflänzchen. Das schau ich dann an, und das ist so angenehm, dass einem davon ganz warm wird. Und wenn ich spazieren gehen möchte, dann geh ich zu Fuß zu diesem Militärlager. Ich stöbere herum und finde immer etwas Brauchbares, das ich hierherschleppe, damit sich der Spaziergang gelohnt hat. Einmal habe ich einen ovalen Block aus einer speziellen harten Paste zum Polieren glänzender Dinge gefunden, so heißt es jedenfalls in der Anleitung. Also habe ich etwa dreihundert Gramm abgeschlagen, hierhergebracht, und immer, wenn das Wetter nicht sehr schön ist, sitze ich hier am Tisch und poliere damit den Teekessel und die Gürtelschnalle.“

Dobrynin warf einen Blick auf den Teekessel, der natürlich nicht umsonst so vornehm glänzte, was den Volkskontrolleur auch gewundert hatte, als er ihn zum ersten Mal sah.

„Sechs-drei.“ Der Pilot legte einen Stein und schielte ebenfalls mit einem Auge auf den Teekessel. „Ich stelle ihn noch mal auf, ist noch etwas Tee da?“

„Ja, es ist noch eine Menge Aufguss da“, antwortete Fjodor. „Schade, dass wir nichts zum Naschen haben… Ja, und von den Trockenkeksen ist auch nur mehr eine Dose übrig. Das Pferd hält es heute noch aus, und morgen hört vielleicht schon der Schneesturm auf, dann gehen wir gemeinsam zum Lager und nehmen so viel mit, dass ich damit ein halbes Jahr auskomme…“

Pawel wollte sich schon für sein Pferd einsetzen, dann aber beschloss er, dass Fjodor recht hatte. Immerhin waren doch die Menschen das Wichtigste im Leben, das Pferd aber kam irgendwann an dritter Stelle nach dem Hund, der bekanntermaßen der beste Freund des Menschen war.

Das Pferd schnaubte wieder, als ob es verstanden hätte, dass sie von ihm redeten. Aus seinem Schnauben war Unzufriedenheit herauszuhören.

„Wie ist das, wohnen dort Menschen?“, fragte Dobrynin, ohne den Blick von seinen Steinen zu nehmen.

„Wo?“, verstand Fjodor nicht.

„Im Lager…“

„Nein“, antwortete der Hausherr. „Dort wohnt niemand.“

„Aber wird es denn nicht bewacht?!“ Aus Pawels Stimme sprach Verwunderung.

„Ja, vor wem sollte es denn bewacht werden, wenn rundum nur ich allein wohne… Und wie viel kann ich von dort schon mitnehmen, wenn ich kein Geländefahrzeug und keinen Propellerschlitten habe?“ Fjodor schwieg einen Augenblick, legte zwei Doppelsteine zugleich an, einen Sechser und einen Dreier, und fuhr dann fort: „Früher gab es dort zwei Soldaten, aber sie sind erfroren.“

„Und warum?“, fragte Walerij Palytsch, nachdem er seinen Zug gemacht hatte.

„Wegen mangelhafter Zündhölzer, hieß es. Man hat sie direkt vor Beginn eines Schneesturms mit einem Geländewagen dorthingebracht, ihnen eine ganze Kiste mit Zündhölzern abgeworfen, aber es stimmte irgendetwas mit dem Schwefel nicht, sie rauchten, fingen aber nicht an zu brennen. So konnten sie also den Ofen nicht anheizen… Und die guten Zündhölzer lagen im verschlossenen Bestand des Lagers, aber die Schlüssel zu diesem Bestand hatte nur Oberst Baranin. Also sind sie erfroren, es stürmte genauso wie jetzt, vielleicht sogar noch stärker…“

In Gedanken bedauerte Pawel die unglücklichen Soldaten und kam zu dem Schluss, dass, wenn es in jener Zündhölzerfabrik Volkskontrolleure gegeben hätte, diese nicht zugelassen hätten, dass solche Zündhölzer ausgeliefert würden… So fand sich in Dobrynins Gedanken ein anschauliches Beispiel für einen unverschuldeten Tod aufgrund von Gewissenlosigkeit und dem Fehlen von Kontrolle. Er erinnerte sich auch daran, wie innig und respektvoll Genosse Kalinin über die Kontrolleure gesprochen hatte, und er wurde sich ein weiteres Mal seiner Verantwortung bewusst. Er wollte nichts mehr, als endlich aus dieser Sturmgefangenschaft auszubrechen und an irgendeinen Ort zu gelangen, um sich dem vom Vaterland erteilten Auftrag zu widmen.

„Fertig!“, sagte Walerij Palytsch recht sachlich und ohne jede Freude.

Pawel zählte seine Augen – eine Kleinigkeit, elf. Nichts zum Aufschreiben.

Fjodor hatte nicht so viel Glück, bei ihm kamen fünfunddreißig Augen zusammen und der Pilot schrieb diese Ziffer in die entsprechende Spalte, die auf ein Blatt aus dem „Heft zur Aufzeichnung von Funkmeldungen“ gemalt war.

„Was ist, Zeit für das Mittagessen, oder?“ Der Pilot sah seine Genossen an.

Man war einverstanden, aber buchstäblich eine Minute später verkündete Fjodor mit trauriger Stimme, dass nur noch eine halbe Tasse Hirse übrig war.

Zur gleichen Zeit heulte der Sturm vor dem Fenster langgezogen auf, was Fjodors Worte in der Tat kummervoll klingen ließ.

Schweigend bereiteten sie diesen Rest zu und gaben mehr Salz als nötig hinein. Der Pilot öffnete die letzte Dose mit Trockenkeksen. Und Pawel band die lange Schnur seines Reisesacks auf und holte daraus drei ganze Zwiebackscheiben hervor, für jeden eine.

Sie teilten das Essen zu gleichen Teilen auf und aßen, immer noch schweigend. Nur das Pferd Grigorij bekam nichts zu fressen, aber dafür wärmten sie ihm einen ganzen Kochtopf voll Wasser. Es trank das Wasser langsam und scheinbar lustlos, und wenn es die Menschen ansah, die um den Tisch saßen, dann schlug es mit dem Huf auf den hölzernen Bodenbelag, so als würde es tatsächlich fordern, dass man es besser behandle.

Dieses Mal war der Tee sehr stark geraten, er war schließlich das Einzige, um das es ihnen nicht leid sein musste. Pawel, der einen so starken Teesud nicht gewohnt war und dazu noch ohne Zucker, blies mehr auf seine Tasse, als er davon trank.

Da stieß Grigorij plötzlich den Topf von sich, verschüttete das Wasser über den Fußboden, wich mit einem Satz zur Seite aus, zum Tisch hin, und hätte beinahe den am nächsten sitzenden Piloten verletzt, streifte ihm aber nur mit dem Schweif über das Gesicht.

Walerij Palytsch fuhr in die Höhe.

Pawel, der den richtigen Umgang mit Pferden kannte, stand ebenfalls auf, war mit zwei Schritten bei dem Tier, klopfte ihm mit beiden Händen auf den Hals und begann, es auf den ihm bestimmten Platz zurückzudrängen.

Das Pferd wieherte, gehorchte aber.

Der Pilot setzte sich wieder, blickte vorsichtig auf das rebellierende Pferd und wischte mit dem Ärmel den Tee von der ledernen Pilotenjacke.

Fjodor weichte Dobrynins Zwieback auf, indem er ihn löffelweise in die Tasse einrührte. Der Vorfall hatte ihn, wie es schien, kein bisschen erschreckt, und er beteiligte sich auch in keiner Weise an dem darauffolgenden Durcheinander. Auf einmal zeigte sich die nördliche Natur seines urwüchsigen Charakters.

Vor dem Fenster wirbelte der Propeller immer noch Schnee auf und erfüllte den Raum vor dem Fenster mit einem lautstarken Gemisch von lebhaft heulenden und jammernden Geräuschen.

„Ich denke“, sagte Fjodor ruhig, nachdem er einen Schluck Tee getrunken hatte, „sobald der Sturm nachlässt, müssen wir zum Lager gehen. Was hat es für einen Sinn zu hungern, wenn es ganz in der Nähe alles gibt. Außerdem scheint ein hungriges Pferd gefährlicher als ein hungriger Mensch zu sein.“

„Ist das Lager in der Nähe?“, fragte der Pilot, der sich schon wieder beruhigt hatte, und rückte seine Mütze zurecht, die er nicht einmal nachts abnahm.

„Drei Kilometer etwa, ganz nah… Ich habe einen Kompass, wir packen uns warm ein und in drei bis vier Stunden sind wir zurück.“

Dobrynin wurde nachdenklich. Bei so einem Sturm, selbst wenn er sich etwas beruhigte, mochte er nicht aus dem Haus gehen. Da sagte Fjodor, als hätte er seine Gedanken gehört:

„Nun, ich denke, Genosse Dobrynin sollte hier auf uns warten und ein Auge auf den Ofen haben.“

Pawel nickte zum Zeichen des Einverständnisses. Mit einer solchen Anweisung war er ganz zufrieden.

„Und wie sollen wir alles tragen?“, fragte der Pilot Fjodor.

„Wir müssen nichts tragen“, antwortete der Hausherr. „Ich habe einen Hundeschlitten, wir können ihn beladen und hierherziehen. Er lehnt an der Wand, gleich hinter der Tür.“

Darauf einigten sie sich dann auch. Sie tranken den Tee aus, von dem Pawel ein sehr unangenehmer, bitterer Geschmack im Mund zurückblieb, und sie sprachen noch eine Weile über etwas Belangloses. Dann zog der Pilot seine Armbanduhr auf und teilte seinen Gefährten die Uhrzeit mit – halb zwei. Es vergingen dann noch zwanzig Minuten, während sie diskutierten, ob es nun Nacht oder Tag sei. Sie beendeten den Streit, ohne zu einer Einigung gelangt zu sein, waren aber ziemlich müde und beschlossen deshalb, schlafen zu gehen.

Am nächsten „Morgen“ wachte Fjodor als Erster auf. Er weckte auch die anderen. Die Uhr des Piloten zeigte drei viertel zwölf, aber darüber stritten sie nun nicht mehr.

Draußen war es tatsächlich etwas ruhiger, und sogar die Schneeflocken, die sich an die Scheibe hefteten und gleich wieder vom Wind weggerissen wurden, waren gut sichtbar.

Die Abwesenheit von dem Lärm und Geheule ließ Fjodor aufleben, und er begann sich zu beeilen und wurde ganz zappelig, stellte den Teekessel auf und suchte sogleich seine Pelzstiefel – im Haus trug er hohe Filzstiefel ohne Überschuhe. Der Pilot machte sich schnell fertig, ganz militärisch, indem er über die ziemlich dicke Fliegerjacke den Rentierpelzmantel zog und alle Knöpfe sowie die Häkchen am Kragen zumachte, und noch den Offiziersgürtel umlegte, den er am Boden neben dem Funkgerät gefunden hatte.

Nachdem sie sich angezogen hatten, tranken sie den morgendlichen Tee, jetzt nicht mehr ganz so stark.

Pawel saß entspannt dabei und war stolz auf seine Gefährten. Wieder gab er jedem von ihnen und auch sich selbst eine Scheibe Zwieback – die Trockenkekse waren am Tag davor zu Ende gegangen. Nun knabberte er an seinem Zwieback, fast ohne ihn dazu in Tee einzutauchen, um die Essenszeit zu verlängern. Fjodor und Walerij Palytsch hatten es jedoch eilig. Sie beendeten ihr Frühstück, als Pawel noch einen halben Zwieback und eine halbe Tasse Tee vor sich hatte.

„Na dann, alles Gute“, wünschte ihnen Pawel und begleitete sie zur Tür. „Kommt bald wieder!“

Als sie den Metallriegel zur Seite schoben und die Tür aufstießen, ertönte von hinten ein Gepolter, und als er sich umdrehte, sah Dobrynin, wie sein Pferd Grigorij zum Sprung ansetzte. Der stallmüde Hengst wollte offensichtlich in die Freiheit ausbrechen. Dobrynin stürzte nach vorne, stieß mit seiner Brust mit dem Pferd zusammen, doch im Fallen gelang es ihm, Grigorij mit der rechten Hand am Zügel zu fassen und ihn zum Stehen zu bringen. Pawel kam sogleich wieder auf die Beine, versetzte dem Pferd im Zorn zwei Schläge und drängte es wieder an die gegenüberliegende Wand, wo es zuvor gestanden hatte. Das Pferd gehorchte widerwillig, schnaubte und drehte das Maul hin und her.

„Los, solange ich ihn halte!“, rief Pawel und drehte sich zu seinen Gefährten um, die an der Tür stehen geblieben waren.

Aber da riss sich das Pferd erneut los und Pawel konnte es gerade noch festhalten, indem er die Zügel zu den Knien heranzog. Fjodor schloss die Tür wieder.

„Los, wir überlisten ihn!“, schlug er vor. „Wir spielen Domino, bis er sich beruhigt hat, du könntest ihm ein oder zwei Zwiebackstücke geben… Und sobald er ruhig ist, schlüpfen wir hinaus!“

Sie setzten sich und spielten Domino. Pawel beschloss, Grigorij keinen Zwieback zu geben. Zum einen, weil er ungehorsam gewesen war, und zum anderen betrachtete er Zwieback nicht als Pferdenahrung, umso mehr, als Manjascha diesen Zwieback nicht für ein Pferd getrocknet hatte, sondern für ihn, Pawel.

Sie hatten gerade erst zu spielen und die Steine auszulegen begonnen, als sie bemerkten, dass das Pferd sich einigermaßen beruhigt hatte. Der Pilot und Fjodor gingen mit raschen Schritten zur Tür und schlüpften hinaus, Pawel lief gleich hinterher und schob den Eisenriegel vor. Aber offenbar hatte er sich umsonst beeilt. Das Pferd stand an seinem Platz, hatte das Maul gesenkt und suchte mit großen Augen nach irgendetwas am Boden. Anscheinend wollte es Heu oder Hafer finden, konnte aber natürlich nichts sehen, was es dort nicht gab.

Pawel kehrte zum Tisch zurück, betrachtete noch einmal die Spielsteine, studierte die allgemeine Situation im unterbrochenen Spiel und kam zu dem Schluss, dass alles davon abhing, wer die „fünf-zwei“ hatte. In jedem Fall hatte er gute Chancen, die Partie zu gewinnen.

Draußen heulte es nach wie vor, aber Dobrynin hatte sich daran gewöhnt und schenkte dem Lärm vor dem Fenster keine besondere Aufmerksamkeit.

„Soll es nur heulen“, dachte er. „Wir gewinnen doch! Trotz allem ist der Mensch stärker als die Natur!“

Nachdem er eine Weile tatenlos am Tisch gesessen und im Ofen Flechten nachgelegt hatte, wärmte er sich an dem ehemaligen Benzinfass und erinnerte sich an den Tag, den er in Moskau verbracht hatte, an das Treffen mit dem Genossen Kalinin und natürlich an das Buch, das der Führer des Landes ihm persönlich geschenkt hatte, damit er es lese und sich all das Nützliche aneigne, das in diesem Buch enthalten war.

Dobrynin holte das Buch aus dem Reisesack hervor, setzte sich wieder zum Tisch, zog die Petroleumlampe näher heran und schlug die zweite Erzählung auf, die „Lenin am Tannenbaum“ hieß. Der Titel der Erzählung verwunderte den Volkskontrolleur sehr, aber nachdem er eine Weile nachgedacht hatte, kam er zu dem Schluss, dass es in der Erzählung vermutlich um die Kindheit des Führers ging und darum, wie dieser als Kind auf Bäume geklettert war. Um die Richtigkeit seiner Gedanken zu bestätigen, erinnerte sich Dobrynin an seine eigene Kindheit und ihm fiel sogar ein, dass er als etwa sechsjähriger Bengel vom Apfelbaum auf den Nachbarszaun gefallen war und mit dem Rücken zwei Bretter herausgebrochen hatte.

Aber in der Erzählung „Lenin am Tannenbaum“ ging es, wie sich herausstellte, um etwas ganz anderes. In dieser Erzählung besuchte der Führer ein Neujahrsfest für Kinder, das im Kreml veranstaltet wurde. Er kam nicht zufällig zu diesem Fest, sondern um es durch seine Anwesenheit aufzuwerten und noch fröhlicher zu machen. Er tanzte mit den Kindern einen Reigen um die geschmückte Tanne, verteilte Geschenke, Schokoladebonbons und andere Süßigkeiten, die mühevoll in ganz Moskau gesammelt worden waren, und am Ende führte er den Kindern Zaubertricks vor, womit er sie in völlige Zufriedenheit und erstaunliche Fröhlichkeit versetzte.

Nachdem er zu Ende gelesen hatte, schob Dobrynin die Petroleumlampe weg, stellte die Flamme kleiner, damit das Petroleum nicht so schnell zu Ende gehen würde, und begann, über den Sinn und Nutzen der Geschichte nachzudenken. Diese Erzählung kam dem Volkskontrolleur komplizierter vor als die erste, in der Lenin die Suppe aß, die ihm nicht schmeckte. In dieser zweiten Erzählung gab es, wie Dobrynin fand, keinen Hauptgedanken, es gab keine einfache und klare Moral, was getan werden musste oder wie etwas zu tun war. Pawel Aleksandrowitsch dachte noch angestrengter nach und kam zu dem Schluss, dass das Hauptaugenmerk in der Erzählung nicht auf der Tanne lag, um die Lenin einen Reigen tanzte, sondern auf etwas anderem. Dass der Führer den Kindern Zaubertricks vorführte, war zweifellos interessant, aber auch nicht das Wichtigste. Und das bedeutete, fuhr Dobrynin in Gedanken fort, dass der Hauptgedanke darin bestand, dass Lenin diese Feier organisierte und Kinder dazu einlud. Und natürlich, dass es ihm gelungen war, in dieser schweren nachrevolutionären Zeit in Moskau Geschenke und Schokoladebonbons aufzutreiben. Und da begriff Dobrynin, dass er nicht ganz verstand, worüber er nachdachte. Ach natürlich, er verstand nicht, was Schokoladebobons waren, genauer gesagt, er verstand ein Wort nicht – Schokolade. Bonbons hatte er schon ein paar Mal in seinem Leben gegessen, aber Schokoladebonbons… Und Dobrynin dachte noch eine Weile nach und entschied, dass das eine sehr billige und wenig schmackhafte Art von Bonbons sein musste, die nur zur Zeit der Revolution und des Zusammenbruchs in Umlauf waren, warum hätte man sie sonst in der Erzählung erwähnen sollen. Und als Schlussfolgerung seiner Überlegungen kam Dobrynin der Gedanke, dass man Kinder ganz besonders lieben und Feste für sie organisieren solle. Die Bedeutsamkeit dieses Gedankens schien irgendwie zweifelhaft, diesen Verdacht schob er allerdings ganz schnell beiseite, denn ihm war klar, dass Gedanken von zweifelhafter Bedeutsamkeit weder in Büchern noch in Zeitungen abgedruckt würden, und das musste bedeuten, dass er aufgrund der Einfachheit seines Geistes nicht alles begreifen konnte.


Inzwischen waren die Flechten im Ofen verbrannt und Dobrynin warf noch etwas von dem braunen Brennstoff nach, die letzten Stücke, die auf dem Holzboden lagen. Sobald sie verbrannt waren, musste er aus dem Haus, in diesen bereits seit Tagen wütenden Schneesturm, um etwas von Fjodors vorbereiteten Flechtenstücken auf den Wandbalken zu ertasten, sie herunterzuholen, hineinzuwerfen und noch mehr davon zu nehmen als Vorrat für den Fall, dass die Schneegewalt andauerte. Das freute den Volkskontrolleur verständlicherweise nicht, aber man kann sagen, dass es ihn auch nicht bekümmerte, da er seit seiner Kindheit auf Schwierigkeiten und Entbehrungen vorbereitet war, und erst jetzt, so schien es, war die Zeit dafür gekommen.

Das Pferd Grigorij, das bisher geschwiegen und Dobrynins Gedanken nicht gestört hatte, begann heiser zu wiehern und schüttelte sein Haupt.

Pawel ging zu dem Tier und warf einen Blick in den leeren Topf. Er verstand, was los war, und öffnete kurz die Tür, wie er es von Fjodor gelernt hatte, stellte den Topf hinaus und holte ihn voller Schnee nach einer halben Minute wieder herein. Er stellte ihn neben den Ofen und dachte dann für sich, dass es nicht schaden könne, sich schlafen zu legen.

Aber obwohl er schläfrig war, wartete er ab, bis der Schnee aufgetaut und das Wasser für Grigorij ein wenig warm geworden war. Erst als der Topf vor dem Pferd stand, löschte Pawel Aleksandrowitsch die Petroleumlampe und legte sich in die Nähe des Ofens auf den ausgebreiteten Rentierpelz und deckte sich mit einem ebensolchen zu. Er dachte, wie schwer es der Pilot und Fjodor nun haben mussten, die vermutlich noch gar nicht im Militärlager angelangt waren. Er schloss die Augen und horchte noch einige Zeit darauf, wie das Pferd Grigorij Wasser schlürfte. Es war geradezu erstaunlich, dass das Geplätscher des Wassers im Topf zu hören war, offenbar hatte sich der Schneesturm etwas beruhigt, vielleicht hatte er gar, zum Glück für die Natur ringsum, ein Ende gefunden.

In dieser Stille, die nun entstand, auch wenn es vielleicht nur eine scheinbare war, begann Dobrynin zu träumen.

Er träumte, dass er bei sich in der Hütte im Dorf Kroschkino aufwacht, dass er aus dem Fenster sieht und draußen ein Schneesturm tobt. Da klopft es plötzlich an der Tür. Er geht in die Diele, öffnet und da steht Wladimir Iljitsch Lenin, leicht bekleidet, nur in Sakko und Weste. Dobrynin tritt zur Seite, um den Gast ins Haus zu lassen, aber der Gast ist nicht allein. Hinter ihm tritt Genosse Kalinin ein, als Väterchen Frost verkleidet und mit einem großen Sack in der Hand, und hinter diesem tragen zwei Rotarmisten eine geschmückte Tanne herein. Sie schaffen die Tanne ins Zimmer und Wladimir Iljitsch zeigt ihnen einen Platz genau in der Mitte, wo sie die Tanne hinstellen sollen. Sie stellen die Tanne ab, rücken den Tisch in die Ecke und da dreht sich Iljitsch auch schon zu Dobrynin um, lächelt gutmütig und fragt sanft:

„Hast du Kinder?“

„Ja“, antwortet Pawel.

„Und wie viele?“, will der Führer wissen.

„Zwei“, antwortet Dobrynin.

„Zu wenig!“, sagt Iljitsch und gibt den Rotarmisten den Befehl, zu den Nachbarn zu gehen und mindestens fünf Kinder herbeizuholen, zusätzlich zu den zwei bereits vorhandenen. Dann sieht er Dobrynin wieder an und fragt erneut: „Und wo sind sie jetzt?“

„Sie schlafen“, sagt Dobrynin.

„Na, dann weck sie auf!“, sagt der Führer und nickt mehrmals mit dem Kopf.

Da geht Dobrynin zum russischen Herd und zieht den schlafenden Kindern die Decke weg. Sie blicken drein wie gerade erst geborene Kätzchen, reiben sich die verschlafenen Augen und begreifen gar nichts, da sagt Großväterchen Lenin zu ihnen:

„Das neue Jahr steht vor der Tür und ihr liegt immer noch auf dem Herd! Schämt ihr euch gar nicht?!“

Die erschrockenen Kinder klettern herunter und laufen los, um ihre Mama zu suchen. Die ist aber nicht da. Sie fragen:

„Wo ist denn die Mama?“

„Sie besorgt Geschenke für euch!“, sagt Dobrynin. Die Kinder ziehen sich an. Und Iljitsch sagt zu ihnen:

„Stellt euch um die Tanne auf, wir wollen einen Reigen tanzen!“

Der Junge steht auf der einen Seite der Tanne, das Mädchen auf der anderen. Sie stehen und warten. Iljitsch zieht eine Uhr an einer Kette aus seiner Westentasche, wirft einen Blick darauf und seine Miene verfinstert sich. Düster blickt er auf die Dielentür. Da betritt auch schon jemand das Haus. Die Tür öffnet sich, und eine Schar schläfriger Kinder drängt in die Stube, gefolgt von zwei Rotarmisten mit Gewehren.

„Befehl ausgeführt!“, meldet einer von ihnen Lenin.

Der Führer betrachtet die Kinder, zählt sie und fragt:

„Habt ihr den Eltern erklärt, warum die Kinder mitgenommen wurden?“

„Haben wir!“

„Na, dann ist es ja gut!“ Das Gesicht des Führers nimmt einen zufriedenen Ausdruck an, er dreht sich zu den Kindern um, beugt sich ein wenig zu ihnen hinab und fährt fort:

„Nun, liebe Kinder, stellt euch um die Tanne auf, wir wollen einen Reigen tanzen…“

Die Kinder machen einen Kreis, dann wendet sich Lenin an Dobrynin und Kalinin und sagt:

„Was steht ihr denn so herum? Wollt ihr etwa nicht mit uns tanzen?“

Schließlich stellen sie sich alle gemeinsam zum Reigen auf.

Lenin beginnt irgendein Lied zu singen und bestimmt die Richtung des Reigens, und plötzlich, mitten im Tanz, während die Kinder singen, dreht er sich zu den Rotarmisten um und befiehlt ihnen, hinauszugehen und vor dem Haus Wache zu stehen.

Die Rotarmisten folgen gehorsam und Dobrynin kommt es so vor, als wären sie ein bisschen betrübt. Auch für sie ist das schließlich ein Festtag, aber zum Reigen hat man sie nicht aufstellen lassen. Schon möchte Dobrynin an ihrer Stelle den Führer bitten, dass er sie in die Stube zurückholen dürfe, aber dann denkt er, dass es wahrscheinlich so vorgeschrieben ist, dass jemand Wache stehen muss, während gefeiert wird, also schweigt er. Und Genosse Kalinin, der als Väterchen Frost verkleidet ist, begibt sich unter die Tanne, knüpft seinen Sack mit Geschenken auf und beginnt, die verschiedenen Bonbons und Geschenke auf dem Boden zu verteilen. Als er damit fertig ist, kehrt er in den Reigen zurück. Sie tanzen immer weiter, Dobrynins Beine tun schon weh, und die Kinder schauen auf die Häuflein von Geschenken und ihnen läuft das Wasser im Mund zusammen, aber sie können nichts sagen, da sie von klein auf an Vorschriften gewöhnt sind. Sie tanzen und warten.

Da hält Iljitsch den Reigen an und sagt:

„Und jetzt, Kinder, werde ich euch Zaubertricks vorführen.“ Und schon dreht er sich zu Dobrynin um und fragt:

„Hast du hier im Haus drei Fingerhüte? Ich brauche sie für den Zaubertrick!“

„Da muss ich Manjascha fragen…“, sagt Pawel zögerlich. „Sobald sie kommt, frag ich sie…“

„Na schön.“ Iljitsch scheint betrübt, verzagt aber nicht, vor allem, da ihn alle Kinder erwartungsvoll ansehen.

„Hast du vielleicht Karten?“, fragt der Führer Dobrynin.

„Ich, ich habe welche!“, freut sich Kalinin, zieht aus einer seiner Brusttaschen ein Kartendeck und reicht es dem Führer.

Der Führer nimmt den Talon und geht in die Hocke. Er mischt die Karten gut, dann zeigt er dem kleinen Nachbarsmädchen Agafja die unterste Karte und sagt:

„Hast du sie dir gemerkt?“

„Ja!“, sagt das Mädchen.

Wieder mischt Iljitsch die Karten, hebt ein paar Mal ab, zieht genau diese Karte – die Pik Sechs – und zeigt sie dem Mädchen.

„Ist sie das?“, fragt er.

„Das ist sie“, nickt das Mädchen.

„So, und jetzt du!“, sagt Großväterchen Lenin zu einem Knaben und führt auch ihm den Zaubertrick vor.

„Aber wie machen Sie das?“, fragt das Nachbarsmädchen Awdotja, das eineinhalb Jahre älter als Agafja ist.

„Das ist ein Geheimnis“, lächelt Großväterchen Lenin. „Das verrate ich nicht.“

Da kommt Manjascha, ganz rot von der Kälte. Sie bringt den Kindern Lebkuchen, aber als sie sieht, was im Wohnzimmer vor sich geht, bleibt sie wie angewurzelt stehen.

„Oh, und jetzt werden wir mit Mama Reigen tanzen!“, freut sich Iljitsch, nimmt Manjascha in den Reigen auf und sie beginnen wieder, im Kreis um die Tanne zu tanzen. Sie tanzen so lange, bis eines der Kinder zu weinen anfängt. Da hält Großväterchen Lenin den Reigen an und sagt, dass jetzt die Geschenke verteilt werden.

Die Kinder stürzen auf die Tanne zu, gerade dass sie sich nicht in die Haare kriegen, weil die Haufen von Geschenken und Bonbons, die über den ganzen Boden verstreut sind, durcheinandergeraten.

„Ach“, der Führer schüttelt mitleidig den Kopf und sieht Genosse Kalinin vorwurfsvoll an. „Wer teilt denn so Geschenke aus?! Du hättest abwarten und ihnen dann sagen müssen, dass sie dir ihre Hände entgegenstrecken und aufhalten sollen. Dann hättest du etwas aus dem Sack herausgeholt und der Reihe nach in jede Hand etwas hineingelegt…“

Genosse Kalinin steht mit niedergeschlagenem Blick da. Der Fehler ist ihm peinlich, aber Großväterchen Lenin ist nicht nachtragend, er klopft Väterchen Frost bereits nach ein paar Minuten auf die Schulter und sagt:

„Was soll’s, wir müssen weitergehen, auf uns warten noch viele Kinder!“

Und nachdem sie sich von Dobrynin und Manjascha verabschiedet haben, gehen sie. Und dann kommen die Rotarmisten in die Stube gelaufen, nehmen die geschmückte Tanne und entfernen sich.

Auch Dobrynin geht hinaus, um ihnen nachzuschauen. Das Schneegestöber hat nachgelassen und er kann sehen, wie alle vier in eine andere Straße einbiegen, während sie sich lebhaft über etwas unterhalten und ziemlich laut lachen.

Schon sind sie weg, Pawel aber steht immer noch dort und der Schneesturm beginnt nach einer kurzen Pause wieder stärker zu werden. Wieder tobt er und heult gedehnt auf und schleudert Pawel ein paar Handvoll trockenen, eisigen Schnee ins Gesicht. Der aber steht da, als würde er die Kälte gar nicht spüren, steht nur da und schläft im Stehen ein, und fühlt dabei, wie ihm innen ganz warm und gemütlich zumute ist, trotz des ganzen Geheules. Er hört es zwar, aber der Lärm dringt wie durch eine dicke Wand zu ihm durch, so als würde er bei sich zu Hause sitzen, während das Schneegestöber draußen wütet. Und da wird ihm, trotz der inneren Gemütlichkeit, langweilig ohne Lenin… Und der Hund Mitka heult von seiner Hütte aus unerträglich jämmerlich das Schneegestöber an, wie ein Waisenkind. Pawel will den geliebten Hund streicheln, er geht zu seiner hölzernen Behausung, steckt die Hand hinein und spürt plötzlich einen scharfen Schmerz in den Fingern, so als ob er sich mit heißem Wasser verbrüht hätte.

„Aaah!“, schrie er im Schlaf und wachte auf, vom Schmerz erschrocken.

Es stellte sich heraus, dass er den Ofen gestreichelt hatte, der zwar fast erloschen, aber noch immer heiß war. Pawel setzte sich daneben, blies auf die Finger der rechten Hand wie auf eine Tasse mit heißem Wasser. Er fühlte sich etwas besser und beruhigte sich. Er bedauerte, dass er weder eine Taschen-, noch eine Armbanduhr besaß, so hätte er ungefähr herausfinden können, wie lange er geschlafen hatte und wie viel Zeit vergangen war, seit Fjodor und der Pilot losgegangen waren.

Draußen heulte es nach wie vor, es tobten die Schneemassen, die der Wind durcheinanderwirbelte.

Dobrynin stand auf, entzündete an einem Stückchen Kohle aus dem Ofen die Petroleumlampe und machte sich bereit, Flechtenstücke zu holen. Für alle Fälle zog er die Axt aus dem Reisesack und wickelte sich noch fester in den Pelz. Dann warf er einen prüfenden Blick auf das Pferd – es stand friedlich da. Er sah sich suchend nach einer Art von Korb für die Flechten um, fand aber nur einen Eimer unter dem Tisch. Er nahm ihn und trat hinaus in den Sturm. Die Hände wurden ohne Fäustlinge ganz steif, denn damit hatte ihn Fjodor nicht ausgestattet. Pawel beachtete den Schnee nicht, der ihm in die Augen wehte, bog nach der Tür rechts ab, ging die Wand entlang und tastete mit den Händen nach den Flechten. Er fand einige gefrorene und an den Balken vereiste Stücke, die er jedoch nicht von der Wand zu reißen vermochte, nicht einmal die Axt half dabei. Pawel mühte sich lange ab, bis er fühlte, dass seine Finger ihm nicht mehr gehorchten. Erst da kehrte er wieder ins Haus zurück und ließ den Eimer irgendwo unterhalb der Außenwand stehen. Er lief ins Zimmer und gleich zum Ofen, um seine Hände zu wärmen. Das tat er lange, und da er bequem mit den durchfrorenen Händen das Metall des ehemaligen Fasses angreifen konnte, erkannte er, dass der Ofen allmählich auskühlte. Er begann, die Nerven zu verlieren, denn ein Schrecken erfasste ihn, wenn er sich vorstellte, dass der Ofen ausgehen könnte und Wände und Fußboden sich mit Eis überziehen würden.

Die Hände waren wieder warm geworden und auch die Finger ließen sich krümmen und strecken, ganz so wie die Natur das vorgesehen hatte. Da fiel Pawel das Brennholz ein, das im Flugzeug für Fjodor mitgeschickt worden war. Es galt also, hinters Haus zu gehen, dorthin, wo Walerij Palytsch seine geflügelte Maschine abgestellt hatte. Es galt, hineinzuklettern, das Brennholz zu suchen und es ins Haus zum Ofen zu schleppen, sonst, Gott bewahre, würden Fjodor und der Pilot, wenn sie zurückkehrten, im Haus nur Frost und zwei Leichen vorfinden: ihn, Pawel, und sein Pferd Grigorij.

Von diesem Gedanken aufgerüttelt ging Pawel wieder zur Tür, wobei er die Axt auf dem Boden neben dem Ofen zurückließ. Er trat hinaus, bahnte sich an der Wand einen Weg entlang und entdeckte den aus den Schneemassen herausragenden Flügel des Flugzeugs. Unterhalb davon gelangte er bis zur Metallverkleidung, ertastete mit den Händen, die wieder ganz klamm geworden waren, die seitliche Einstiegsluke, stieß sie auf und war ganz erstaunt, wie leicht sie aufging, so als hätte der Wind mitgeholfen; vielleicht war das auch tatsächlich der Fall. Pawel zog sich hoch und gelangte ins Flugzeug – dort hinein kam der tosende Wind nicht – und er kroch in der Dunkelheit nach hinten, wo der Toilettenkübel stehen musste. Er kroch ein paar Meter weiter, tastete die Dunkelheit um sich herum ab und war hocherfreut, als er durch die taub gewordene Haut seiner Finger einen rauen und knorrigen Holzscheit fühlen konnte. Er nahm ihn, dann tastete er mit rudernden Armen unter sich und fand so noch einen und noch einen dritten. Pawel presste die Holzscheite mit beiden Händen an seine Brust und kroch zum Ausgang. Von dort sprang er hinunter, ging blindlings auf die Hausmauer zu und gelangte an ihr entlang zur Tür. Er stürzte hinein und ließ dabei die Holzscheite zu Boden fallen. Wieder wärmte er seine Hände ein wenig und nahm sich die Axt vor, nachdem er zuvor den gusseisernen Riegel vor die Tür geschoben hatte. Er zerhackte die drei Holzscheite und warf die kleinsten Holzspäne in den Ofen, damit sie an den glimmenden Flechten Feuer fangen konnten. Und er setzte sich auf den Boden und wartete auf das Knistern. Das Holz fing im Ofen ziemlich schnell zu brennen an.


Nachdem Pawel sich erholt hatte, schüttelte er den Petroleumkocher, zündete ihn an und stellte obenauf den Teekessel, in dem sich noch viel Wasser befand. Dann kochte er Tee und setzte sich mit einer dampfenden Osoawiachim-Tasse an den Tisch. Er holte die letzten beiden ganzen Zwiebackstücke aus seinem Reisesack, knabberte langsam an ihnen und trank mit kleinen Schlucken den starken, bitteren Tee dazu. Er begann ungeduldig auf die Rückkehr von Fjodor und dem Piloten zu warten und stellte sich vor, wie sie den Schlitten nach Hause brachten, der bis obenhin mit unterschiedlichem Proviant beladen war. Als er die leere Tasse auf den Tisch stellte, verschob er unabsichtlich die lange „Dominoschlange“ und beeilte sich sogleich, die Steine wieder zurechtzurücken, damit nichts durcheinandergeriet und man nach der Rückkehr der Gefährten zu Ende spielen konnte. Genauer, damit er diese Partie gewinnen konnte, obwohl natürlich alles davon abhing, wer den Stein „fünf-zwei“ haben würde.

Es gab nichts zu tun, deshalb brühte Dobrynin wieder Tee auf, holte die beiden heimlich gehegten, im Kreml angebissenen Zwiebackstücke hervor, legte sie vor sich an den Rand der Tischplatte, sah sie lange und forschend an und dachte darüber nach, woran der Mensch so hängen konnte und wie seltsam das doch sei. Und so hing er seinen Gedanken nach, blickte unverwandt auf die Zwiebackstücke und trank dabei etwas Tee. Es war ein erstaunliches Gefühl, das die beiden Zwiebackstücke in Dobrynin weckten, obschon ihr Schicksal, wenn man das, was geschehen war, so nennen durfte, gleichermaßen erstaunlich war und ihn, den Volkskontrolleur, seltsamerweise an sein eigenes Leben erinnerte. Als er seine Gedanken fortsetzte, wurde Dobrynin außerdem klar, dass er diese Zwiebackstücke selbst nicht essen konnte, sogar wenn er vor Hunger sterben müsste. Ihm wurde auch klar, dass er sie bereitwillig dem Genossen Kalinin geben würde, sollte dieser Schwierigkeiten mit Nahrungsmitteln haben, und es könnte sogar geschehen, dass er ein Stück Zwieback seinem Hund Mitka geben würde, aber nur im Falle äußerster Not oder wenn es im Leben des Köters ein offensichtliches Verhängnis geben sollte. An sich selbst dachte er dabei nicht, auch nicht an den Piloten oder an Fjodor, obwohl er Achtung vor ihnen hatte.

Vor dem Fenster heulte wie zum Überdruss nach wie vor der Schneesturm, den Dobrynin zu überhören gelernt hatte. Andernfalls hätte er gar nicht erst nachdenken können.

Vom Tee hatte er genug. Das Brennholz brannte schon wieder nieder, und Dobrynin schielte unzufrieden auf den unersättlichen Ofen und dachte erst gar nicht – darüber nachzudenken war unangenehm –, sondern fühlte, dass er wieder hinter das Haus würde gehen müssen, ins Flugzeug klettern, einige Holzscheite herausholen, welche wieder abbrennen würden, und auf diese Weise würde sich alles wiederholen, aber wie lange? Dobrynin wusste es nicht. Entweder bis zur Rückkehr der Proviant holenden Gefährten oder bis zum Ende des Schneesturms…

Lustlos erhob sich Dobrynin vom Tisch, warf den Rentierpelz wieder um, seufzte tief und ging zur Tür. Er schob den Riegel zurück und hatte soeben mit der Schulter die Tür aufgestoßen, da brach von hinten ein Gepolter los, das physische Gestalt annahm und ihn zu Boden riss, auf die Schwelle der offenen Türe, und über ihn, der gar nicht begriff und dessen rechte Schläfe gegen das kalte Holz gepresst wurde, hinwegfegte. In seinem Kopf begann es so stark zu dröhnen, dass ihm das Geheul des Schneesturms ganz zart vorkam, etwa so wie Laute, die Grashüpfer oder Grillen von sich gaben. Und da drang auch noch die Kälte durch die offene Tür, strömte ins Haus, breitete sich in frostigen Wellen über den in der Türöffnung liegenden Menschen. Und dieser Mensch begriff, dass, wenn er seine Kraft nicht zusammennehmen, zurückkriechen und die Tür schließen würde, er hier für immer so liegen bleiben würde, in jedem Fall aber bis zur Rückkehr seiner Gefährten. Und Dobrynin drehte sich ungelenk um, wobei sich sein Körper seltsam steif anfühlte, kroch weg, zog die Tür zu und verriegelte sie.

Und draußen vor der Tür, vor dem Fenster, jenseits der Wände, heulte nach wie vor der Schneesturm. In diesem Heulen erklang ein paar Mal das Wiehern eines Pferdes, verstummte jedoch bald.

Nachdem Pawel, der von seinem Pferd Grigorij niedergestoßen worden war, wieder ein wenig zu sich gekommen war, setzte er sich an den Tisch und starrte finster auf die beiden ersehnten Zwiebackstücke. Nein, seine Einstellung gegenüber diesen Zwiebackstücken hatte sich nicht verändert. In seinem Leben hatte sich etwas verändert. Etwas hatte sich drastisch verändert und zwar nicht gerade eben, nicht erst seit der Flucht des Pferdes, sondern schon davor, zu einem Zeitpunkt, den er jetzt unmöglich bestimmen konnte.

Im Haus war es merklich kälter geworden, aber Pawel ging nicht zum Ofen, um sich die Hände zu wärmen. Er dachte wieder darüber nach, dass alles, was an diesem Ort mit ihm geschah, ein echter Kampf ums Leben war, gegen einen unsichtbaren Feind, und der war in diesem Moment die Natur. Und als er so über Feinde nachdachte und sich erinnerte, dass das Leben tatsächlich ein Kampf war, verstand Dobrynin, dass das Schwierigste noch vor ihm lag, bis zu seinem Tod, natürlich nur dann, wenn er diesen Schneesturm überlebte. Er ging wieder Brennholz holen und hätte sich dabei fast ein Bein gebrochen, als er mit einem schweren Bündel Holzscheite in der Hand aus dem Flugzeug in die undurchsichtigen Schneemassen sprang. Wieder spaltete er die Holzscheite mit der Axt und wieder saß er eine Weile neben dem Ofen, um sich die Hände zu wärmen. Wieder legte er sich auf dem Boden neben dem Ofen schlafen, rückte aber diesmal näher als vorher an das vom Feuer erhitzte Metall heran. Und er schlief ein, schlief ganz tief und spürte dabei die unglaublich starke Anziehungskraft der Erde. Diese Anziehungskraft, so schien es, wollte Dobrynin in die Erde hineindrücken, durch den Frostboden des Nordens hindurch hineinziehen, ihn tief in ihr Zentrum hineinsaugen oder verschlingen, in ihren feurigen Kern, der das ewig klopfende und pulsierende Herz des Vaterlandes war. Und als er endlich in jenen Zustand des Schlafes eingetaucht ist, in dem alles Scheinbare Wirklichkeit wird, fühlt Dobrynin, wie sein Körper nach unten fällt, in einen dunklen Abgrund, dicht wie Nebel, und dabei fliegt er mit solch einer Geschwindigkeit, dass ihm die Ohren sausen. Und neben ihm fliegt noch etwas anderes, so hell, dass es in seinen Augen schmerzt, und ziemlich groß. Es ist ein Stern, der sich vom Himmel losgerissen hat, und wenn Dobrynin im Fallen versucht, diesen anzusehen, dann wird ihm unerträglich heiß, und er fliegt etwas zur Seite, was allein durch seinen Wunsch oder auch nur durch den Gedanken daran verursacht wird. Aber dennoch fliegen sie gemeinsam, fast nebeneinander, nach unten, und dieser Flug findet kein Ende. Dobrynin möchte gar nicht fallen. Er hat schreckliche Angst davor. Da ist schon besser, endlos lange zu fliegen. Und so fliegt er dahin und bemerkt, wie der Stern zu verblassen beginnt und nach einiger Zeit erlischt, und schließlich sieht Dobrynin nur mehr das schwach glühende Licht eines großen Gegenstands, der neben ihm her fliegt. Und Pawel wird kalt davon, und wieder benutzt er eine Kraft in sich, um sich im Flug diesem sterbenden Stern zu nähern, und er berührt ihn dabei mit der Hand. Und seine Finger fühlen einen kalten und nicht ganz glatten Stein.

In seinen Ohren pfeift und heult es immer noch, und langsam ist Dobrynin von diesem endlosen Fallen erschöpft und als seine Sinne müde geworden sind, hört er auf, Angst zu haben, und schenkt der Kälte, die ihn einhüllt, keine Beachtung mehr. Eine Gleichgültigkeit löst all diese Gefühle ab. Dobrynin ist es inzwischen egal, ob er aufprallen wird oder weiter ins Unbekannte stürzen, das ja schließlich nur seine Zukunft sein kann und die Zukunft des ganzen Landes – eine dunkle und ewige Zukunft, voll von erlöschenden Sternen aus Stein, die neben den Menschen nach unten fliegen.

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