Kapitel 20

Der Hügel, an dessen Fuß das Neue Gelobte Land begründet werden sollte, zeichnete sich durch seine exakte runde Form und durch seine Größe aus. Am Fuß des Hügels waren die nahezu vollständig vermoderten und verrotteten Holzgebäude von früheren Siedlern zu erkennen. Hinter den Gebäuden erhoben sich die Grabhügel eines weitläufigen Friedhofs, der recht ungewöhnlich war, da keine Bäume dort wuchsen und es keinen Zaun gab, stattdessen ging er einfach in eine Ebene über, die vielleicht früher einmal ein Feld gewesen war, als hier noch Ackerbauern vom Pflügen und Säen lebten. Auf der anderen Seite des Hügels schlängelte sich ein verspieltes Bächlein dahin, etwa fünfzehn bis zwanzig Schritt breit, und durchschnitt ein von Hügeln durchzogenes Feld, hinter dem ein dichter, tief verwurzelter Wald begann.

Von Archipka-Stepan geführt machten die Menschen hier Halt und beschlossen, dass dies der Ort sei, den sie gesucht hatten. Tatsächlich waren sie bei Tagesanbruch mit letzter Kraft an dem Hügel angekommen. Und da stieg genau hinter der Hügelkuppe die Sonne in den Himmel empor, riesengroß und gelb wie gute Butter, und es wurde so schön ringsum, dass es den Wanderern den Atem verschlug. Sie blieben jäh stehen, da jeder für sich beschlossen hatte, dass dies hier das Neue Gelobte Land war. Offensichtlich stimmte das auch, denn einer der entflohenen Kolchosbauern, die inzwischen schon freie Bauern waren, stieß eine Hacke in die Erde und wunderte sich, wie weich und nachgiebig sie war, rabenschwarz und leicht wie Gänsedaunen. Vor lauter Begeisterung über diese Erde setzte sich der Bauer sogleich ins Gras und begann, die Erde mit seinen rauen Händen zu streicheln, als wäre sie lebendig und könnte die Liebkosung eines Menschen fühlen.

Währenddessen gab Archipka-Stepan das Kommando, den Hügel zu besteigen, um dort endgültig Halt zu machen. Die Menschen erklommen die Hügelkuppe – es war ein breites und ebenes Plateau – und sahen sich um. Und wieder stockte ihnen der Atem vor Begeisterung.

Inzwischen war die Sonne noch höher gestiegen. Die Vögel zwitscherten in ihrem Licht, einige sangen sogar, und all das erfüllte die Luft mit solcher Glückseligkeit, dass selbst das Einatmen süß und angenehm war.

Als die Begeisterung nachgelassen hatte, begannen die Menschen über ihr Leben dort nachzudenken, und der bucklige Buchhalter, der Archipka-Stepans Gehilfe geworden war, ließ die Menschen geordnet antreten und gab jedem eine Anweisung, was er zu tun hatte und wie er es tun sollte. Dabei unterstützte ihn der ehemalige Rotarmist, der jetzt der freie Kämpfer Trofim war. So schickten sie manche in den Wald um Brennholz, andere, um dort Bauholz zu beschaffen, und die dritten zum Fluss, um nachzusehen, ob es darin Fische gab. Die Frauen wurden angewiesen, Essen zu kochen, sodass es für alle reichte. Einige begannen sogleich Kühe zu melken, andere trieben ihre Kühe zum Weiden auf die grünen Hänge des Hügels. Zwischen den Kühen grasten auch zwei schlanke Pferde, beide waren wohlgebaut und hatten kastanienbraunes Fell.

So verging der erste Tag, und als er zu Ende gegangen war, hatte sich auf der Hügelkuppe vieles verändert. Dort wuchs nun ein Stapel gefällter Kiefernstämme empor und genau in der Mitte loderte ein Lagerfeuer, dessen Flammen zischend um einen großen Kessel züngelten, in dem sich das Flusswasser allmählich in eine Erdbeerbrühe verwandelte. Alle Bewohner des Neuen Gelobten Landes saßen um das Feuer herum, die einen näher, die anderen weiter weg. Ihre Freude fand dabei unterschiedlichen Ausdruck, die einen freuten sich still, die anderen laut. Der Engel saß neben der hellblonden Lehrerin Katja, die den warmen, fröhlichen Abend genoss und dem Engel erzählte, dass die Erde rund war und die Sterne in Sternbildern angeordnet waren und eigene Namen hatten. Sie erzählte auch davon, dass in ebensolchen Feuern kluge Menschen von spanischen Inquisitoren verbrannt worden waren und dass sich während der Oktoberrevolution die Rotarmisten auf Wachposten an solchen Lagerfeuern friedlich gewärmt hatten. Ihre liebliche, zarte Stimme klang leise und melodisch und dem Engel war es gar nicht wichtig, worüber sie sprach, da er nicht ihren Worten, sondern nur der Musik ihrer Stimme lauschte.

Archipka-Stepan saß nahe am Feuer, neben dem Buckligen und einem Mann mit einer schmutzigen Wattejacke. Dieser Mann begann immer wieder von einer Bodenparzelle mit Rüben zu sprechen, aber der Bucklige unterbrach ihn jedes Mal mit der Bemerkung, dass niemand eigene Parzellen haben würde, denn sie würden wie eine Familie in einer Kommune leben und das würde bedeuten, dass nichts für den Einzelnen, sondern alles für die Gemeinschaft zu tun sei. Archipka-Stepan nickte dazu. Als der Mann schließlich begriff, dass er keine eigene Parzelle erhalten würde, bekümmerte ihn das nicht allzu sehr, er sagte nur:

„Kann ich dann vielleicht Brigadier werden?“

„In Ordnung!“, nickte der Bucklige. Der Mann schwieg und lächelte erfreut.

An diesem Abend waren die Sterne zu sehen und die Menschen betrachteten sie, während jeder seinen Gedanken nachhing.

Dann tranken sie die Erdbeerbrühe. Es gab nicht genügend Krüge, deshalb tranken sie der Reihe nach, aber niemand war verstimmt, sondern jeder beeilte sich auszutrinken, wobei sich einige sogar die Zunge verbrannten, nur damit diejenigen, die noch nicht getrunken hatten, schneller an die Reihe kamen.

Schon gegen Mitternacht lagen alle um das erloschene Feuer herum und schliefen. Niemand fror, denn die Nachtluft war sommerlich warm. Einige Männer schnarchten, aber niemanden störte das. Der erste Schlaf im Neuen Gelobten Land war ein tiefer und fester Schlaf.


Mit der Morgendämmerung ging das neue Leben weiter. Die Bauarbeiter griffen zu den Äxten und Sägen, man hörte es hämmern und klopfen, und auf den Hügeln entstanden lange, gerade Stallwände. Die ersten Ställe wurden für die Menschen, für die neuen Bewohner dieses Ortes, errichtet – schließlich wussten die Bauarbeiter noch keine Häuser zu bauen. Aber ist ein Kuhstall etwa kein Haus, wenn man Holzbänke darin aufstellt und einen Lehmofen einsetzt? War das etwa kein Haus? Indessen arbeiteten die Bauarbeiter hingebungsvoll und rekordverdächtig, ohne Pause und Schlaf, und auf diese Weise drei Tage lang, bis sie vier Ställe fertiggestellt hatten, von denen drei für die Menschen bestimmt waren und einer für das Vieh.

Auch die Bauern saßen nicht untätig herum. Mithilfe der beiden Pferde der Rotarmisten sowie mit bloßen Händen begannen sie ein Feld umzupflügen, das bis zum Fuß des Hügels an den Friedhof heranreichte. Die Rotarmisten spitzten aus den Ästen der Haselsträucher Fischspeere und fischten damit im Fluss auf der anderen Seite des Hügels. Die gefangenen Fische brachten sie zum Feuer, wo einige Bäuerinnen diese zubereiteten. Und so aßen alle jungen Siedler des Neuen Gelobten Landes drei Tage lang köstliche, herzhafte Fischsuppe.

Der Oberdeserteur sammelte im Wald hinter dem Fluss Pilze, von denen er viele fand und sogleich auf den Hügel brachte, wo er aus drei Zweigen eine Vorrichtung zum Trocknen anfertigte und sie dort auf eine Schnur gefädelt aufhängte.

Archipka-Stepan streifte auf dem Hügel umher und dachte nach. Manchmal, wenn ihn die geistige Erschöpfung überwältigte, legte er sich ins Gras und döste, und niemand störte ihn dabei, denn alle wussten, dass, wenn es ihn nicht gegeben hätte, sie nicht hierhergekommen wären und dieses neue Leben voller Freude für sie nicht begonnen hätte.

Der Engel versuchte, den Bauarbeitern zu helfen, sah aber schnell ein, dass er ihnen keine große Hilfe war. Er versuchte, mit dem Speer Fische zu fangen, aber das rief bei den geschickten ehemaligen Rotarmisten nur Gelächter hervor. Zu den Bauern ging er gleich gar nicht mehr, da er ahnte, dass man ihn auch dort auslachen würde. Deshalb half er ein wenig beim Feuer, auf dem die gemeinsamen Mahlzeiten gekocht wurden. Er trug Brennholz und Wasser, und nur dort spürte er dankbare Blicke auf sich, vielleicht auch nur aus Neugier, jedenfalls lag in diesen gutmütigen Blicken kein Spott.

Der bucklige Buchhalter beschaffte sich von irgendwoher ein dickes Büroheft und einen Bleistift und ging umher, um die Namen der Siedler aufzuschreiben, ihren Beruf und Ähnliches. Als er alle aufgeschrieben hatte, was am zweiten Tag der Fall war, ging er daran zu überprüfen, woran wer arbeitete, und er behelligte die Siedler mit verschiedensten Fragen. Manchmal fragte er die Lehrerin Katja um Rat, die in der Sonne saß, ihre klugen Bücher las und darüber nachdachte, wie sie alle unterrichten würde. Er kam zu ihr, um sie etwas über die Natur zu fragen oder über die Wissenschaft der korrekten Berechnung, und er freute sich immer ganz außerordentlich über jede Antwort, sogar wenn er die Antwort nicht ganz verstehen konnte.

Am vierten Tag begannen die Bauarbeiter, Bänke zusammenzunageln, und ein Bauer namens Sachar, ein erfahrener Ofensetzer und Räuchermeister, machte sich daran, Lehmöfen für die Ställe der Menschen herzustellen. Er ging mit drei Männern zum Fluss und zeigte ihnen, wo sie nach Lehm suchen sollten. Und tatsächlich – die Männer gruben ein- oder zweimal und stießen auf guten, bläulich schimmernden Lehm. Sie begannen ihn abzutragen, andere Männer brachten ihn auf den Hügel und Sachar modellierte daraus Öfen, und diese Arbeit ging ihm schnell von der Hand. Man beschloss, in jedem Stall für Menschen drei Öfen aufzustellen. Bei den Bauarbeiten fand sich noch ein Rohrblech, aus dem sie ein Rauchfangrohr formten, und gegen Abend wurde bereits der erste Ofen angeheizt, aber nicht wegen der Wärme, sondern um ihn mit dem Feuer von innen abzuhärten – Lehm war schließlich nicht Ziegelstein. Vor dem Schlafengehen schon feierten die müden Siedler den ersten rauchenden Ofen, und als sie in ihrem Stall im Halbdunkel der fensterlosen Behausung saßen, waren sie ihres Lebens wieder froh. Krüge mit Selbstgebranntem gingen von Hand zu Hand, aber nicht jeder probierte davon. Die jedoch, die ihn probierten, stöhnten laut auf und tasteten sogleich nach etwas, was man dazu essen könne. Wenn sie aber nichts fanden, verdross sie das nicht, denn die allgemeine Stimmung war außergewöhnlich fröhlich und jeder war jedermanns Bruder oder Schwester.

Der Engel saß neben Katja und blickte auf das Holz, das im Lehmofen brannte. Er schwieg. Auch Katja schwieg, wenn sie auch nichts gegen ein Gespräch gehabt hätte, aber der Engel schien ihr kein guter Gesprächspartner zu sein, da er nicht gerade redselig war und so manche direkte Frage von ihr überhaupt nicht beantwortete, obwohl er kluge Augen hatte. Zwar hätten sich hier viele gefunden, die gerne mit Katja gesprochen hätten – zum Beispiel der bucklige Buchhalter –, aber sie alle waren ungehobelte Menschen. Von diesem schweigsamen Engel jedoch ging eine gütige, menschliche Wärme aus, die Katja in ihren Bann zog.

„Also, wo hast du früher gewohnt?“, fragte sie ihn leise und machte damit ihr Vorhaben zunichte, das Gespräch nicht von sich aus zu beginnen.

„Im Paradies…“

Katja biss sich auf die Lippen. Diese Antwort war ihr unangenehm, denn sie stand im Widerspruch zu ihren Gedanken und Überzeugungen. Aber da entdeckte sie ein neues Gefühl in sich – sie spürte, dass sie vollkommen ruhig bleiben konnte bei der Antwort dieses seltsamen Menschen, der sich in Zeiten des weltweiten Atheismus als Engel bezeichnete. Und für sich selbst völlig unerwartet fragte sie ihn wieder:

„Und wie lebt man dort?“

„Gut“, antwortete der Engel, während er das Feuer im Ofen anstarrte.

„Und was gibt es dort Gutes?“, drang Katja weiter.

„Es gibt keine Kriege, alle lieben einander… viele Früchte… die Luft ist so rein, fast süß… das ganze Jahr über ist es warm…“

„Und wenn es dort so schön ist, warum bist du dann hierhergekommen? Hm?“, fragte die hellblonde Lehrerin nicht ohne ein wenig Gehässigkeit.

Der Engel zuckte die Achseln. Er schwieg ein paar Minuten.

„Aus Neugier…“, gestand er. „Es kam mir seltsam vor, dass aus diesem Land niemand nach dem Tod ins Paradies gelangt.“

„Was meinst du damit?“

„Das bedeutet, dass alle schreckliche Sünder sind“, erklärte er.

„Bei uns?! Sünder?!“, empörte sich Katja leise, aber gleich darauf veränderte sich ihre Stimme wieder, und, ruhig geworden, sagte sie bestimmt:

„Aber sie kommen nicht ins Paradies, weil es das Paradies nicht gibt!“

„Und die Hölle gibt es?“, fragte der Engel.

„Auch die Hölle gibt es nicht!“

„Und wohin kommen sie dann nach dem Tod?“

„Na in die Erde! Wir begraben sie, sie zerfallen in der Erde und helfen bei der Bildung der Schwarzerde.“

„Nein“, entgegnete der Engel ruhig. „Du sprichst hier vom Körper und ich von etwas anderem – von der Seele. Ihr begrabt doch nicht die Seele!“

„Nein, natürlich nicht, wie soll man sie denn begraben, wenn es sie gar nicht gibt!“, stimmte ihm Katja zu.

Jemand drückte dem Engel einen Krug in die Hand. Der Engel hob ihn hoch und roch daran, aber von dem grauenvollen Geruch drehte sich ihm der Magen um. Er reichte den Krug im Halbdunkel weiter, den ihm irgendeine Hand abnahm.

„Aber wenn es die Seele nicht gibt, wie kann man dann sprechen, denken, lieben?“

Da zögerte Katja kurz.

„Aber braucht man dafür etwa eine Seele?“, fragte sie nach einem Augenblick. „Wir sprechen doch mit dem Mund, und der ist ein Teil des Körpers. Wir denken mit dem Kopf – und der ist ebenfalls ein Teil des Körpers und zwar ein sehr wichtiger… und wir lieben… dafür hat auch jeder einen Körperteil… Wozu braucht man da eine Seele?“

Darauf antwortete der Engel nicht.

Neben ihnen sprach noch jemand. Eine männliche und eine weibliche Stimme waren zu hören. Sie führten ein sehr lebhaftes Gespräch und es ging im Großen und Ganzen darum, ob man junge Stiere kastrieren solle, um aus ihnen bessere Zugkraft zu gewinnen.

In dieser Nacht schliefen die Siedler bereits auf echten Holzbänken, allerdings waren sie hart und ohne Bettzeug, also ohne Unterlage aus Heu oder Gras, und so krochen viele von ihnen spät in der Nacht, als der Ofen schon erloschen und alles von Schnarchen erfüllt war, heimlich auf den weichen Erdboden hinunter und schliefen schließlich dort ein, nachdem sie sich ein wenig herumgewälzt hatten. Viele mussten überhaupt auf dem Boden schlafen, da sich in dieser Nacht alle in dem einen Stall zusammendrängten. Die anderen Ställe waren unbewohnt, weil es noch keine Lehmöfen darin gab.

Aber schon bald errichtete Sachar unter der Mithilfe von anderen Männern auch in den restlichen Ställen Öfen, sogar in den Ställen, die für das Vieh bestimmt waren, mit der Begründung, dass das Vieh ebenso wie der Mensch Wärme und Zärtlichkeit liebe, und wenn dies fehle, dann verende es umso leichter.

Auf dem Hügel und ringsum wurde unaufhörlich gearbeitet. Es gab niemanden, der sich aus Faulheit oder aus einem anderen Grund vor der Arbeit zu drücken versuchte. Allenfalls Archipka-Stepan schlenderte herum und dachte die ganze Zeit nach, aber das war schließlich auch Arbeit, ja sogar noch schwierigere als die der anderen, da sie dem Kopf große Anstrengung abverlangte und nicht jeder zu so einer Anstrengung fähig war.

Die Bauern säten bereits aus, und nachdem sich der bucklige Buchhalter einen Gehilfen ausgesucht und aus drei Stäben ein Vermessungsgerät gebaut hatte, vermaß er, wie viel Boden ihnen allen insgesamt zur Verfügung stand, damit er sich mit dessen optimaler Nutzung auseinandersetzen konnte. Für alle Fälle vermaß er auch den Friedhof und musste dabei den Kopf schütteln – der Friedhof nahm viel Bodenfläche ein.

Die Rotarmisten beschlossen, dass es noch anderes zu essen geben müsse, und so nahmen sie die Gewehre und gingen in den alten, dichten Wald, der hinter dem Fluss begann. Im Laufe des Tages waren von dort Schüsse zu vernehmen, aber diese jagten niemandem Angst ein, da alle wussten, dass es sich um friedliche Schüsse handelte. Und je mehr davon fielen, um so reicher würde das Abendessen ausfallen und vielleicht auch noch das Frühstück! Und daher fanden sogar die Bauersfrauen Gefallen an der Knallerei, die aus dem Wald herüberschallte.

Der Engel, der den Frauen half, bekundete keinerlei Freude über die Schüsse, stattdessen grübelte er über Verschiedenes nach, so natürlich auch über die Menschen, die Siedler, mit denen er hierhergekommen war, um ein gerechtes und glückliches Leben zu führen. Im Grunde verlief ja alles gut, die Siedler waren glücklich und er war auch froh, aber vieles an diesem menschlichen Leben verwirrte ihn, obwohl auch einiges leicht zu erklären war: Offenbar hatten diese Menschen über Generationen nach solchen Gesetzen gelebt, anders war es ihnen gar nicht möglich. Um etwas zu essen, musste jemand umgebracht werden: ein Fisch, ein Hase oder eine Kuh. Was machte das schon aus?! Nichts außer unangenehmen Gedanken. Schließlich waren sie Menschen und keine Engel, die einfach und spartanisch lebten. Auch war ihr Leben doch um ein Vielfaches schwieriger und grausamer als das Leben im Paradies. Selbst das Wetter war hier anders, es gab andere Gesetze, und Steine fielen vom Himmel, und bestimmt gab es noch viele andere Gefahren. So ließ sich der Engel in seinen Überlegungen leicht vom Unangenehmen ablenken, und rechtfertigte ebenso leicht alles am Leben der Menschen, was ihm nicht gefiel.

Er ging also vom Fluss hinauf, mit zwei Eimern in Händen, die mit Wasser gefüllt waren. Er ging nun schon zum gut dreißigsten Mal, und eine angenehme Erschöpfung breitete sich über seine Schultern aus. Seine Arme schienen von der Anstrengung kräftig zu werden und manchmal hörte er sogar auf, sich als Engel zu fühlen, und in ihm erwachte etwas anderes, etwas Russisches. In manchen Momenten kam es ihm so vor, als würde in ihm eine enorme Kraft stecken, mit deren Hilfe er den Fluss ganz allein aufstauen, den Hügel einebnen und noch vieles mehr – Nützliches als auch Sinnloses – tun könne. Von all dem jedoch, was sich da in ihm regte – vermutlich aus Erschöpfung und aufgrund der Arbeit, die für ihn fremd war –, war der Wunsch am schrecklichsten, der Lehrerin Katja zu gefallen, die sich von allen Frauen im Neuen Gelobten Land nicht nur durch ihr Äußeres unterschied, sondern natürlich auch durch ihren intelligenten Blick, ihre gleichmäßigen Bewegungen und – das Erstaunlichste – die deutliche Gegenwart einer Seele, deren Existenz sie so vehement leugnete! Der Engel war überzeugt davon, dass ihn ebenjene Gegenwart ihrer Seele anzog, denn gemeinsam mit dieser Seele strahlte sie ein wunderbares Leuchten aus, das nur mit unsichtbaren Sonnenstrahlen zu vergleichen war. Allerdings enthielt dieses Leuchten einen schwachen purpurroten Schimmer, der den Engel irgendwie erschreckte und bestürzte. Er fühlte jedoch, dass dieser Schimmer nicht stark und möglicherweise nur vorübergehend war. Und so wartete der Engel auf jedes Zusammentreffen mit dem hellblonden Mädchen, denn er wartete darauf, dieses Leuchten auf sich zu spüren, um sich an ihrer Seele zu wärmen. Bis zu jedem Treffen aber, bis zu jedem späten Abend, wenn die Siedler ihre Arbeiten beendeten, musste man sich abplagen und abmühen, ohne an die Müdigkeit oder gar an etwas anderes, etwas Ernsthaftes zu denken.

Und auch an diesem Tag wurde es nur langsam Abend. Nachdem der Engel einen riesigen Kessel mit Wasser gefüllt hatte, ging er wieder zum Fluss, diesmal aber um Reisig für das Feuer zu holen. Eine rundliche, noch junge Frau mit einem Gesicht, so rund wie eine Untertasse und von Sommersprossen übersät, erbot sich, ihn zu begleiten.

„Warum sollst du so oft gehen, wenn wir das Holz gemeinsam schneller hinauftragen können!“, sagte sie und in ihren Worten steckte eine ganz alltägliche Wahrheit, vielleicht war es auch einfach der Wunsch, dem seltsamen Mann zu helfen, den es zur Frauenarbeit verschlagen hatte und der sich nicht den Männern – den Bauarbeitern, Bauern oder Rotarmisten – angeschlossen hatte.

Gemeinsam stiegen sie den Hügel hinab und begegneten dabei den Rotarmistenjägern, die gerade wieder zurückkehrten. Jeder trug ein Stück Wild, darunter Hasen, die an den Hinterpfoten zusammengebunden waren, als auch ein paar Füchse und Rebhühner und anderes Geflügel. Die Rotarmisten waren fröhlich und zufrieden, in ihren Augen glänzte der Stolz über ihre Beute. Ihr Stolz war so offensichtlich, dass der Engel für einen Augenblick ihnen gegenüber Neid verspürte, er erschrak jedoch sogleich über dieses fremde Gefühl. Woher kam das nur?! Worauf war er neidisch? Man konnte doch auf keinen Fall stolz darauf sein, zu töten und lebendige Geschöpfe Gottes zu erschießen?!

Schon kehrten die Bauern vom Feld zurück. Die Bauarbeiter kamen nach getaner Arbeit zum großen Kessel, aus dem sie zum Lohn für ihre Mühen zu essen bekommen würden. Und die Rotarmisten, die nicht weit entfernt Platz genommen hatten, reinigten eifrig ihre Gewehre und sprachen dabei mit gedämpfter Stimme über die Annehmlichkeiten dieses Lebens. Gemeinsam mit einem anderen Soldaten zog Trofim den Füchsen und Hasen die Felle ab.

Auch der Ofensetzer Sachar kam zum Kessel. Er bat um etwas Wasser, um sich die Hände zu waschen, und teilte ganz nebenbei mit, dass alle Öfen fertig wären und nur noch von innen erhitzt werden müssten. Ab dem nächsten Tag, setzte er fort, werde er Schüsseln aus Lehm herstellen, damit jeder in der Kommune eine eigene haben könne, und erst dann werde sich sein größter Traum erfüllen – unten am Fluss einen großen Räucherofen aufzustellen, den er selbst erfunden hatte. Das werde auf der ganzen Welt der einzige Ofen dieser Art sein und man werde darin sowohl einen ganzen Bären, als auch einen ganzen Elch räuchern können! Wer sein Versprechen vernommen hatte, schluckte gierig und blickte Sachar mit großem Respekt an.

An diesem Abend gab es Eintopf aus verschiedenen Getreidesorten, die von den Bauern in Bündeln und Säcken gesammelt und mitgebracht worden waren.

Es wurde gierig und mit Appetit gegessen, und im Eintopf war alles reichlich vorhanden – Salz ebenso wie getrocknete Petersilie und noch etwas anderes, das zum Geschmack des Gerichts beitrug.

Der Abend senkte sich auf die Erde herab und der Hügel war unmerklich in den Schatten geraten. Die Siedler blieben mit einer einzigen Lichtquelle zurück – dem großen Feuer, über dem der riesige Kessel hing mit einem Nachschlag von dem Eintopf für alle, die sich von Herzen gern den Bauch vollschlugen.

Wieder saßen der Engel und Katja nebeneinander und aßen aus einer Blechschüssel, die ihnen jemand gab, der seine Ration bereits gegessen hatte. Erneut schwiegen sie und warfen einander nur hin und wieder Blicke zu. Um sie herum flackerten Gespräche wie Funken des Lagerfeuers auf und erloschen. In diesen Gesprächen wurde jeder Traum und jedes Märchen zu einer wahren Geschichte, sodass der Geschmack des Eintopfs sich plötzlich verlor und zum Geschmack der Vergangenheit wurde, von etwas, das seit langem in Vergessenheit geraten war, zum Zeichen eines seit alters her bestehenden Elends, nach dem nun ein neues, in Freude und Gerechtigkeit erblühendes Leben anbrach.

Der bucklige Buchhalter saß nicht weit entfernt, löffelte ebenfalls seinen Eintopf und schmatzte und schlürfte dabei laut. Neben ihm aß eine große und schöne Bäuerin mit vollem Haar, das am Scheitel zu einem straffen braunen Knoten zusammengebunden war. Und irgendwie gelang es dem buckligen Buchhalter zu essen und zugleich, ohne sein Schmatzen dabei zu unterbrechen, mit dieser Bäuerin zu sprechen, sie anzulächeln und ihr darüber hinaus noch zuzuhören. Der Umstand, dass beide lächelten und sich manchmal sogar die mit Eintopf vollgestopften Bäuche vor Lachen hielten, zeugte von ihrer guten Stimmung und von ihrem einfachen, aber wahrhaftigen Glück. Und das Gleiche konnte man von vielen sagen.

Nachdem der Eintopf aufgegessen und zwei Eimer Wasser zum Ausspülen in den Kessel gegossen worden waren, standen die meisten auf, nahmen Reisig von einem dort liegenden Haufen und gingen zu ihren neu gebauten Ställen, um sich in der Behausung eine Bank und einen Ofen auszusuchen, der ihnen am gemütlichsten erschien.

Der Engel und Katja gingen in den ersten Stall, eben dorthin, wo sie am Tag zuvor neben dem einzigen geheizten Ofen gesessen hatten. Dieses Mal waren weniger Menschen im Stall. Auf einigen Bänken hatten aufmerksame Hände bereits abgemähtes Gras oder gesammeltes Heu ausgebreitet, und auf einer Bank lag sogar eine dem Anschein nach angenehm weiche Matratze. Ein frisches Feuer brachte alle drei Öfen von innen heraus zum Leuchten – offenbar waren diese gerade erst angeheizt worden. Es roch nach feuchtem Lehm, und in diesem Geruch lag etwas Angenehmes, denn der luftige Beigeschmack des Lagerfeuers mischte sich darin.

Auch Archipka-Stepan befand sich hier, er hatte sich auf eine Bank gelegt, die dem ersten Ofen am nächsten stand. Er starrte in das Feuer, das man sehen konnte, weil bei den Lehmöfen jegliche Türchen fehlten. Seine Lippen bewegten sich stumm, was bedeutete, dass er immer noch über etwas nachsann, vielleicht über die Vergangenheit, vielleicht aber auch über die Zukunft.

Durch die sperrangelweit geöffnete Stalltür fiel der Mondschein auf den Erdboden. Offenbar zog Luft durch die Tür herein, denn das Feuer im Ofen loderte plötzlich auf und die Flammenzungen neigten sich wie im Tanz bald in die eine, bald in die andere Richtung. Dann wieder hielten sie inne, senkten sich zum brennenden Reisig herab und wurden zu roten Zwergen, die zart und schwach über das Holz glitten.

Der Engel und Katja wählten zwei Bänke aus, die mit dem Kopf zur Holzinnenwand standen und sich genau hinter jener Bank befanden, die jetzt Archipka-Stepan einnahm. Nun konnten also auch sie das Feuer im Ofen sehen.

Jeder saß auf seiner Bank und sie hatten einander das Gesicht zugewandt. Zwischen ihnen lagen nicht mehr als anderthalb Schritte, vielleicht sogar weniger. Da ergriff den Engel plötzlich ein Gefühl von Fürsorglichkeit für Katja, und nachdem er ihr auf merkwürdige Weise zugenickt hatte, verließ er den Stall und beschloss, Gras oder etwas anderes Weiches für ihre Bänke zu besorgen.

Die Sterne leuchteten in dieser Nacht so intensiv, als wäre die Sonne in kleine Stückchen zersplittert. Ihr Glanz war so stark, dass das hohe Gras davon Schatten warf. Am Hang mähten einige Männer Gras, offenbar ebenfalls für ein bequemeres Nachtlager.

„He, Engel, bist du das?“, ließ sich eine bekannte Stimme vernehmen.

„Ja“, nickte der Engel.

„Bist du etwa auch Gras holen gekommen?“, fragte die Stimme. „Aber warum denn ohne Sense?“

„Ich habe keine“, gestand der Engel und sogleich fiel ihm ein, dass er, selbst wenn er eine gehabt hätte, nicht so geschickt wie die Bauern hätte Gras für sich und Katja abmähen können.

„Na, komm her, nimm das, was ich schon gemäht habe! Ich mähe noch mehr für mich! Ich liebe diese Arbeit!“, bot die Stimme an.

Der Engel ging auf den Mann zu, doch konnte er sein Gesicht nicht erkennen, da dieser auf den Boden sah und daher nicht einmal die strahlenden Sterne sein Gesicht beleuchteten.

Als er schon ganz nah war, erkannte der Engel den Rotarmisten Trofim, und der Engel wunderte sich darüber, nahm jedoch das große Bündel Gras und dankte Trofim aufrichtig.

Zurück im Stall bedeckte er die Bänke mit Gras und sie saßen einander wieder gegenüber. Sie schwiegen erneut, da alle beide sich entweder schämten oder gar davor fürchteten, als Erstes zu sprechen. Und so saßen sie einige Zeit da, bis den Engel die Müdigkeit überwältigte, die sich den Tag über in ihm angesammelt hatte. Er lächelte Katja zu, wünschte ihr eine gute Nacht und nachdem er sich hingelegt hatte, schlief er sofort ein.


Die Tage waren ausgesucht schön, sonnig und warm. Jeder brachte etwas Neues in das Leben der Bewohner des Neuen Gelobten Landes mit. Am Fluss stand bereits ein großer Ofen zum Brennen von Schüsseln und anderem Geschirr, und dort drehte der Ofensetzer Sachar unter einem provisorischen Schutzdach eine Töpferscheibe, die aus einem Wagenrad hergestellt worden war, und reichte seinen Gehilfen immer neue Schüsseln, damit sie diese in den Ofen stellten.

Die Rotarmisten jagten wieder im Wald, die Bauern beendeten die Aussaat. Archipka-Stepan wärmte sich an der Sonne und dachte über die Zukunft nach.

Der bucklige Buchhalter ging mit einem dicken Heft und einem Bleistift zwischen den Bewohnern umher und erstellte auf Bitten der Lehrerin Katja eine Liste der Kinder und aller Erwachsenen, die Lesen und Schreiben erlernen wollten. Er fand acht jüngere Kinder, sonst aber gab es niemanden, der lernen wollte.

Der Engel trug wieder Wasser vom Fluss auf die Hügelkuppe hinauf und ging auf diese Weise den Köchinnen zur Hand, die im großen Kessel das Mittagessen für alle zubereiteten. Die Frauen waren wegen irgendetwas besorgt und unterhielten sich die ganze Zeit über mit erregter Stimme miteinander, aber der Engel konnte den Grund für ihre Sorge nicht verstehen. So hing er seinen eigenen Gedanken nach, während er das Wasser trug. Er dachte an die Lehrerin Katja, aber seine Gedanken waren nicht gerade fröhlich, obwohl doch etwas Warmes darin lag.

Als es Zeit war zu essen, stellte sich der Grund für die Unruhe der Köchinnen heraus. Unter denjenigen, die zum Essen gekommen waren, machte sich sogleich Empörung breit, denn in der Speise fehlte das, was für einen Russen am wichtigsten war – das Salz. Um genauer zu sein, es gab überhaupt kein Salz mehr, weil die letzten Vorräte schon am Morgen aufgebraucht worden waren.

Am meisten empörten sich die Rotarmisten. Es entstand wirres Durcheinander, in dem es unmöglich war, sich zurechtzufinden, als Trofim, der eine ziemlich mächtige Stimme besaß, den allgemeinen Lärm der Entrüstung übertönte, indem er rief:

„Zuerst müssen wir herausfinden, wer schuld ist und ob es Sabotage war, und dann erst entscheiden wir, was getan werden muss!“

Die Siedler waren mit Trofims Worten einverstanden, allerdings wussten sie nicht, wie man überprüfen solle, ob es sich um Sabotage handelte. Da erklärte ihnen Trofim, dass man die Gegenstände eines jeden Bewohners überprüfen müsse, und wenn sich bei irgendjemandem eine große Menge Salz finden ließe, dann bedeutete das Sabotage. Wenn aber kein Salz entdeckt würde, dann würde man weiter überlegen müssen.

Nicht alle waren mit einer Durchsuchung ihrer Sachen einverstanden, aber die Mehrheit war dafür, und so teilte Trofim die Rotarmisten sogleich in Dreiergruppen zur Durchsuchung ein, und diese gingen gemeinsam mit den übrigen Bewohnern in die Ställe. Trofim selbst blieb beim Kessel zurück, um die Ergebnisse der Durchsuchung abzuwarten.

„Wenn jetzt etwas gefunden wird, dann salzen wir die Speise und essen sie!“, sagte er den Köchinnen zum Trost, die bereits den Tränen nahe waren aufgrund der Unzufriedenheit der Siedler.

Das Mittagessen war noch nicht kalt, als die Durchsuchenden gemeinsam mit den Durchsuchten mit einer nicht gerade kleinen Menge Salz zurückkehrten. Zuerst warf man Salz in den Kessel, erst dann berichtete man Trofim, dass bei niemandem viel Salz gefunden worden war, dass aber bei fast allen ein wenig Salz vorhanden gewesen war, weshalb man all diese Vorräte für das gemeinsame Mittagessen beschlagnahmt hatte.

„Nach dem Essen müssen wir alles ernsthaft durchbesprechen“, erwiderte daraufhin Trofim.

Nicht genug damit, dass nun mit Verspätung gegessen wurde, stellte sich das Mittagessen nun noch dazu als versalzen heraus und zwar deshalb, weil nicht die Köchinnen das Salz in den Kessel gestreut hatten, die wussten, wie viel davon in eine Speise gehörte, sondern jene Rotarmisten, die das Salz beschlagnahmt hatten. Aber das machte nichts, über ein Zuviel an Salz erregte sich niemand, obwohl die allgemeine Meinung dazu in den Gesichtern geschrieben stand. Als alle fertig gegessen und die schmutzigen Schüsseln beim Kessel abgestellt hatten, ging Trofim zu Archipka-Stepan und schlug vor, eine Versammlung abzuhalten, um alles zu besprechen, was für ein gerechtes Leben wichtig und notwendig war. Archipka-Stepan zuckte die Achseln und nickte.

„Macht das!“, murmelte er leise.

„Du bist der Älteste, du musst die Versammlung abhalten!“, sagte Trofim streng.

„Lasst mich das machen!“, bot der bucklige Buchhalter an, der in der Nähe stand. „Ich bin schließlich sein Gehilfe.“

„Aber vielleicht möchte er es selbst tun?“ Trofim blickte Archipka-Stepan fragend an.

„Nein, er soll es machen!“, nickte der entflohene Kolchosbauer dem Buckligen zu.

„Also!“ In den buckligen Buchhalter kam Leben. „Wo sollen wir die Versammlung einberufen, hier oder im Stall?“

„Hier“, sagten die Siedler, die um sie herumstanden. „Warum im Stall, dort wird es zu eng für alle.“

„Na, dann wollen wir erst einmal alles für die Zusammenkunft vorbereiten“, begann der Bucklige geschäftig, indem er laut nachdachte. „Als Erstes müssen wir ein Signal einführen, um Zusammenkünfte und Versammlungen einberufen zu können, und auch für den Fall eines Brandes… Wir müssen eine Eisenschiene aufhängen und daneben sollte immer ein Hammer an einer Schnur oder an einer Kette hängen. Dann bestimmen wir den Platz für die Vortragenden. Klar?“

Die Menschen nickten, sie stimmten dem Buckligen vollkommen zu, schließlich sprach er so, als ob er über Versammlungen und Zusammenkünfte Bescheid wüsste, und wer, wenn nicht so jemand, der alles wusste, konnte in kurzer Zeit und mit Verstand eine Versammlung abhalten?!

„Nun, vielleicht halten wir die erste Zusammenkunft ohne Schiene ab?“, fragte Trofim mit etwas matter Stimme. „Und erst später so, wie es sich gehört.“

„Nein!“, fiel ihm der Bucklige ins Wort. „Man kann es nicht heute so und morgen anders machen. Wenn wir ordnungsgemäß und gerecht leben wollen, dann müssen wir es auch gleich richtig anpacken. Die Besten unter den Soldaten sollen in verschiedene Richtungen losmarschieren und eine Schiene suchen. Hier sind aus dem zaristischen Regime viele nutzlose Schienen übrig geblieben! Während sie suchen, waschen die Frauen die Schüsseln im Fluss, und die anderweitig Tätigen ruhen sich ein wenig aus.“

Nach diesen Worten kehrte Stille ein. Die Rotarmisten machten sich auf den Weg, um Schienen zu suchen, während einige Bauern, die sich nicht ausruhen wollten, die Feldarbeit fortsetzten und die Bauarbeiter sich ins Gras legten, nachdem sie Bauholz zugeschnitten hatten, um sich eine angenehme Pause zu gönnen.

Währenddessen ging der bucklige Buchhalter seiner Lieblingsbeschäftigung nach – er schlenderte mit seinem dicken Heft und dem Bleistift zwischen den Menschen auf und ab. Er schrieb allerlei Gedanken und Themen auf, die bei der Kundgebung besprochen werden sollten. Und er fragte auch die anderen nach ihren Vorschlägen, die möglicherweise nützlich sein könnten, aber solche Vorschläge hatten die Siedler nicht und das bekümmerte den Gehilfen von Archipka-Stepan. Auch zur Lehrerin Katja ging er und auf ihren Wunsch notierte er mit Freude die Frage nach der Eröffnung einer Schule im Neuen Gelobten Land, die diskutiert werden sollte. Dann bat er sie um weitere Vorschläge und freute sich gleich wieder, da er nicht das übliche „Nein, keine Vorschläge“ zu hören bekam, sondern sah, wie die Lehrerin ernsthaft nachdachte und bei der angestrengten Gedankenarbeit sogar ihre roten Lippen zusammenpresste.

„Mir ist etwas zur Landwirtschaft eingefallen“, beendete Katja ihr Schweigen. „Ich glaube, es wäre sinnvoll, den Friedhof umzupflügen und in ein Feld umzuwandeln, schließlich wissen wir ohnehin nicht, wer dort begraben liegt. Er nimmt viel Platz ein und die Erde dort müsste nach den Gesetzen der Agrarwissenschaften sehr fruchtbar sein.“

„Daran habe ich auch schon gedacht!“, gab der bucklige Buchhalter zu, während er mit dem Bleistift etwas in sein Heft schrieb.

Dann war der Engel an der Reihe.

„Wir müssen über die Seele sprechen“, schlug der Engel vor und der bucklige Buchhalter notierte in der Spalte mit den Diskussionsfragen gleich unterhalb von „Friedhof umpflügen“ „Über die Seele sprechen“. Dann verließ er den Engel und machte sich auf die Suche nach seinem Vorgesetzten.

Währenddessen döste Archipka-Stepan auf seiner Bank im ersten Stall und träumte, dass er ein großes Haus bewohnte, das von Feldern umgeben war, die ihm gehörten und auf denen ein Meer von Weizen spross. Und hinter den Weizenfeldern graste sein Vieh auf saftigen Weiden, und es waren so viele Tiere an einem Ort versammelt, dass sich die Erde unter ihrer Last bog. Und der Hirte war der Rotarmist Fedka und anstelle eines Stabes hielt er seine kaputte Waffe…

„He!“, platzte unerwartet und deshalb unangenehm die Stimme des buckligen Buchhalters in seinen Traum. „Archipka! He! Schläfst du etwa?“

Archipka-Stepan öffnete die Augen, blickte den Mann, der ihn aufgeweckt hatte, nicht gerade freundlich an, seufzte tief und verabschiedete sich von seinem angenehmen Traum.

„Was willst du?“, fragte er.

Anstelle einer Antwort hielt der Bucklige Archipka-Stepan sein Heft vors Gesicht. Die Seite, auf der es aufgeschlagen war, war zur Hälfte in ungelenker Schrift mit Bleistift vollgeschrieben.

Archipka-Stepan betrachtete die Seite verständnislos, denn für ihn standen alle Buchstaben auf dem Kopf, und so sah er wieder zum Buckligen hoch.

„Vielleicht möchtest du etwas vorschlagen, das wir auf der Versammlung besprechen sollten, also etwas Wichtiges?“

Archipka-Stepan seufzte noch einmal, richtete sich auf seiner Bank auf und kratzte sich hinter dem Ohr.

„Also“, begann er schließlich zu sprechen. „Wir haben doch auf jener Begräbniskundgebung… erinnerst du dich, als so viele gestorben sind… Ach, schreib einfach, dass wir die Kommune nach Fedka nennen sollten.“

„Gut!“, nickte der bucklige Buchhalter und schrieb bereits mit seinem Bleistift. „Und hast du auch Vorschläge zur Verbesserung des allgemeinen Lebens?“

„Verbesserung?“, wiederholte Archipka-Stepan erstaunt. „Ja, wie, lebt irgendjemand schlecht hier? Hat sich jemand beschwert?“

„Nein, nein.“ Der Bucklige schüttelte den Kopf.

„Na, dann nicht“, antwortete Archipka-Stepan.

Der Bucklige verließ den Stall, ließ sich auf einem sonnigen Platz nieder und las sich seine Notizen durch. Es gab ziemlich viele Themen zur Erörterung und das freute den Buckligen. Er war stolz darauf, dass er alle höchstpersönlich befragt und von vielen, wenn nicht gar von allen, etwas in diesem Heft niedergeschrieben hatte. Sogleich blätterte er es durch, um nachzusehen, ob es noch genügend leere Seiten für die Zukunft gab, und er versicherte sich, dass noch viele Seiten übrig waren. Ein Gefühl glückseliger Erwartung regte sich in seinem Herzen und er lächelte sich selbst und der Welt zu.


Allmählich wurde es Abend, als weit draußen auf dem Feld die Rotarmisten auftauchten, die ohne Hast ins Neue Gelobte Land zurückkehrten. Fünf oder sechs von ihnen trugen etwas Schweres, und alle, die sie sahen, begriffen sofort, was das war. Der Rest der Gruppe begleitete sie.

Die Schiene, die die Rotarmisten hatten beschaffen können, war so lang wie ein durchschnittlich großer Mensch und wog etwas weniger als ein solcher. Sie hatten sie von einer Weiche an einer Eisenbahnstrecke abgeschraubt, die sich nicht weit vom Neuen Gelobten Land befand. Die Schiene hatte breite Löcher für große Schrauben zur Befestigung. Durch zwei dieser Löcher fädelten sie ein Seil und hängten die Schiene auf das Vordach eines Stalls, wobei das Vordach mit zwei Kieferpfeilern gestützt wurde.

Die Bauarbeiter brachten sogleich einen Hammer und kurz darauf ertönte ein solcher Lärm, dass sogar der Wald erzitterte und Hunderte von Raben sich über die Baumkronen erhoben.

Der bucklige Buchhalter hastete augenblicklich zu der aufgehängten Schiene, ebenso alle anderen Bewohner des Neuen Gelobten Landes, darunter auch Archipka-Stepan.

Da endlich begann die eigentliche Versammlung. Der bucklige Buchhalter hielt das an der passenden Stelle aufgeschlagene Heft bedeutungsvoll vor seiner Brust und sprach über verschiedene Themen, die allesamt die Siedler und ihr Leben betrafen. Seine Stimme, die zwar etwas dumpf, aber ziemlich laut war, klang feierlich.

„…und jetzt muss noch die Frage, ob wir eine Schule brauchen, entschieden werden“, setzte er seinen Vortrag fort, während er einzelnen Bewohnern des Neuen Gelobten Landes immer wieder messerscharfe Blicke zuwarf. „Wir haben nur acht Kinder für die Schule, und die Erwachsenen möchten gar nicht lesen und schreiben lernen… Sollen wir etwa für acht Kinder eine Schule bauen?“

„Aber es können doch noch mehr zur Welt kommen, kein Problem!“, ertönte die Stimme einer jungen Frau, woraufhin von allen Seiten Gelächter zu hören war.

„Mehr Kinder brauchen wir auf jeden Fall“, entgegnete der bucklige Buchhalter ernst. „Aber wir müssen erst über die Erwachsenen entscheiden. Ich schlage vor, von jeder Gruppe fünf Männer für die Schule auszuwählen: von den Bauern, den Bauarbeitern und auch von den Rotarmisten…“

„Und von den Frauen?“, ließ sich nun eine andere weibliche Stimme vernehmen.

„Aber die können doch sowieso schon lesen und schreiben!“, antwortete der Bucklige. „Machen wir weiter! Alle, die für meinen Vorschlag sind, heben die Hand!“

Der Großteil hob träge die Hand und der mit dem Resultat zufriedene Bucklige machte einen entsprechenden Vermerk in seinem Heft.

„Nun zu einer landwirtschaftlichen Frage. Es wurde vorgeschlagen, den alten Friedhof umzupflügen, um dort am besten Weizen oder Ähnliches anzubauen.“

Unter den Versammelten breitete sich nachdenkliches Schweigen aus. Die Frauen begannen zu flüstern und aus dem Geflüster war Angst herauszuhören. Die Bauern und die Bauarbeiter runzelten ebenfalls die Stirn, da sie einem solchen Gedanken nicht ganz zustimmen mochten. Die Rotarmisten hingegen zeigten überhaupt keine Regung, sie standen schweigend und mit ausdruckslosen Gesichtern da.

Dem Buckligen gefiel dieses Schweigen nicht. Er suchte den Blick der Lehrerin Katja und sah sie flehend an. Sie begriff sofort. Sie trat nach vorn, nahm eine würdevolle Haltung ein, indem sie die linke Schulter etwas vorschob, und wandte sich an die Siedler:

„Genossen! Bei uns findet man noch vielerlei Aberglauben und viele Vorurteile, und eines davon, das hartnäckigste, ist die Angst vor den Toten… die Verehrung der Gräber: dieser Gruben voller Erde, in denen verstorbene menschliche Organismen liegen und in Stücke zerfallen. Ich unterstütze den Genossen Buchhalter und meine auch, dass alles, also auch der Friedhof, den Lebenden, also uns, Nutzen bringen sollte.“

„Und was für einen Nutzen kann ein Friedhof bringen?“, fragte ein pockennarbiger Rotarmist begriffsstutzig. „Was soll das für ein Nutzen sein?“

„Genau das will ich euch erklären, Genossen!“, fuhr Katja fort. „Ihr alle wisst, dass die beste Erde für die Landwirtschaft die Schwarzerde ist. Aber woher kommt die Schwarzerde? Was ist das genau? Und ganz allgemein, was ist Erde, woher kommt sie? Früher gab es schließlich nur Steine. Also, Genossen, jede Erde, und besonders die Schwarzerde, ist das Ergebnis der jahrhundertelangen Verwesung verschiedenster toter Organismen und Pflanzen. Ich persönlich glaube überhaupt, dass alle Schwarzerdefelder irgendwann Friedhöfe waren und nur deshalb so gute Ernten möglich sind. Und alles, was dumme und ungebildete Menschen erfunden haben, all diese Kreuze und Grabmäler – das alles kann irgendwann zu einer Hungersnot führen, denn wenn wir die Erde unter solchen Friedhöfen horten, dann nehmen wir damit unseren Enkeln und Urenkeln das Brot, versteht ihr?“

Die Siedler schwiegen. In den Augen der Frauen glänzten Tränen. Die Rotarmisten standen mit grimmig zusammengezogenen Augenbrauen da. Wahrscheinlich waren sie verärgert über die Toten, die unter ihrem Hügel begraben lagen.

„Und ich will euch noch etwas sagen: dass ich, wenn ich an Altersschwäche oder etwas anderem sterbe, nicht so begraben werden möchte, dass die Erde über mir lange Jahre nicht verwendet werden kann. Wenn ich sterbe, will ich, und darum bitte ich euch sogar, im Feld nah an der Oberfläche begraben werden, sodass mein toter Körper sich schneller mit der fruchtbaren Schwarzerde vermischen kann und seinen Beitrag zur Fruchtbarkeit des Bodens und zur zukünftigen Saat leisten kann. Und ich hoffe, dass ihr alle es mir gleichtut!“

Nachdem die Lehrerin zu Ende gesprochen hatte, trat sie ergriffen von ihrer eigenen Rede in die erste Reihe der Zuhörer zurück. Die Stille dauerte etwa eine Minute an und war dann plötzlich zu Ende, als einige Menschen laut und eifrig zu klatschen begannen. Da lächelte die Lehrerin kaum merklich und senkte den Kopf, damit niemand ihre feuchten Augen sehen konnte. Weshalb sie feucht waren? Weil sie soeben einen Zustand des Glücks erlebt und ihre eigene Kraft erfahren hatte, die sie, wie sie nun begriff, mit Worten zu den einfachen Menschen durchdringen und sie überzeugen ließ. Der Engel stand eingeklemmt zwischen den Bauarbeitern und den Rotarmisten und sah Katja mit unverwandtem Blick an. In seinen Augen glänzten ebenfalls Tränen. Allerdings war der Grund für diese Tränen ein ganz anderer als bei der Lehrerin.

„Nun also“, ergriff der bucklige Buchhalter wieder das Wort. „Sollen wir abstimmen oder beschließen wir das einfach so?“

„Einfach so!“, ließen sich einige männliche Stimmen vernehmen.

„Also gut, dann betrachten wir diesen Punkt als beschlossen. Jetzt noch eine Frage, hier steht bei mir geschrieben: ‚Über die Seele sprechen‘…“

„Soll das vielleicht ‚Sich etwas von der Seele reden‘ heißen?“, berichtigte Trofim den Buckligen.

„Aber nein, ‚Über die Seele‘ steht da“, bestätigte der bucklige Buchhalter. „Der Engel hat darum gebeten. Also, dann werden wir über die Seele sprechen, nicht wahr?!“

Die Versammelten schwiegen und ihr Blick drückte Befremden über ein solches Ansinnen aus. Sie waren zwar nicht entschieden dagegen, aber nachdem das Umpflügen des Friedhofs besprochen worden war, hatte niemand mehr besondere Lust, über die Seele zu sprechen. Wieder leuchteten die Augen der Lehrerin Katja auf und wieder trat sie nach vorn, und alle sahen sie wie gebannt an, um begierig dem zuzuhören, was sie zu sagen hatte. Offenbar bemerkte Katja das. Sie überlegte fieberhaft, wie sie es so ausdrücken konnte, dass sie sowohl diesen guten und schönen Genossen, der sich für einen Engel hielt, als auch das einfache Volk von dem jahrhundertealten Irrtum eines unvernünftigen Glaubens an die Seele befreien konnte.

„Ich schlage vor, Genossen“, fing Katja zu sprechen an, wobei ihr zartes Stimmchen vor lauter Erregung, die in ihrer Brust aufstieg, zitterte, „ich schlage vor, mit voller Verantwortung abzustimmen und ein für alle Mal zu entscheiden, ob es die Seele gibt oder nicht! Persönlich bin ich fest davon überzeugt, ja, man hat es mir während meiner pädagogischen Ausbildung so beigebracht, dass es keine Seele gibt und gar nicht geben kann, da sie keine Materie ist. Und was nicht materiell ist, gibt es nicht! Nehmen wir doch einen Laib Brot her – wenn ihr ihn seht, ihn angreifen, von ihm abbeißen könnt, dann bedeutet das, dass er materiell existiert, und wenn keiner da ist und ihr vor Hunger aufgedunsen seid und kein Laib in der Nähe ist, dann gibt es kein Brot. Das heißt, es gibt die Bezeichnung dafür, aber es gibt ihn nicht als Materie… So ist das. Und wer von euch hat diese Seele schon einmal gesehen? Hm?! Irgendjemand?“

Keiner trat vor.

Niemand sagte: „Ich habe sie gesehen.“ Alle schwiegen und sahen Katja an, und in den Augen der Menschen lag so viel Vertrauen in diese kleine, schmale, hellblonde junge Frau, dass, wenn man dieses Vertrauen von allen zusammengenommen hätte, sich ein Wort materialisiert hätte, und das Vertrauen wäre zu einem großen und üppigen Laib Brot geworden oder sonst etwas Vertrautem und real Existierendem.

„Ich stimme dafür, dass es keine Seele gibt!“, rief die Lehrerin und streckte ihren dünnen Arm in die Luft.

Und da wurden Hände in die Höhe gehoben, manche schneller, andere langsamer, und sogar der Bucklige, der sich über die so einhellige Abstimmung wunderte, hob die Hand.

Der Engel biss sich auf die Lippen, dass es weh tat, ohne jedoch den Schmerz zu fühlen. Er blickte auf Katja und auf den Wald von Händen um ihn herum und konnte überhaupt nicht verstehen, warum diese Menschen, die ins Neue Gelobte Land gekommen waren, um gerecht und in Liebe zueinander zu leben, einstimmig beschlossen, dass es keine Seele gab. Was gab es dann? Was? Wie gern wollte der Engel selbst in den Kreis hinaustreten und fragen: Was gibt es dann? Aber eine seltsame Kraft hielt den Engel an Ort und Stelle, und er stand in völliger Erstarrung da.

In der Zwischenzeit hatte der bucklige Buchhalter den Siedlern vorgeschlagen, ihre Form des Lebens als Fedka-Kommune zu bezeichnen, nach jenem Rotarmisten der Eskorte, der von einem vom Himmel gefallenen Stein erschlagen worden war. In dieser Frage herrschte jedoch keine solche Übereinstimmung, wie sie die Siedler an den Tag gelegt hatten, als sie gegen die Existenz der Seele stimmten. Die Bauarbeiter gerieten in Bewegung und forderten, dass der Name der Kommune erweitert werden solle. Sie schlugen ihre Variante vor: Fedka-und-Brigadier-Boris-Schubin-Kommune. Aber mit diesem Namen waren die Rotarmisten nicht einverstanden, und so dauerte der Streit zwischen den Bauarbeitern und den Rotarmisten fort, bis der bucklige Buchhalter die Nase davon vollhatte. Nachdem er mit dem in der Nähe stehenden Archipka-Stepan kurz geflüstert hatte, unterbrach er den Streit, indem er sagte:

„Dann schlage ich vor, der Kommune gar keinen Namen zu geben, aber allen Umgekommenen demnächst einen Gedenkstein zu errichten.“

Damit war das Volk einverstanden. Nur Trofim fühlte sich gekränkt und blickte die Bauarbeiter verbittert von der Seite an, vor allem jene, die sich gegen den Namen Fedka ausgesprochen hatten.

Der Abend war bereits im Anzug, er schob sich wie eine dunkle Welle über den Himmel, und dort, wo sie bereits vorbeigezogen war, erstrahlten die Sterne im Glanz, große und kleine. Und die Welle kam an dem Hügel vorbei und eilte weiter auf den Horizont zu, wo seltsamerweise noch eine helle Linie zu sehen war, die das Ende der sichtbaren Welt markierte.

Allen war klar, dass es heute kein Abendessen geben würde, und die Menschen gingen unzufrieden und nachdenklich in ihre Ställe. Jeder hatte seine eigene Meinung, und diese stimmte bei vielen nicht mit der Meinung der Versammlung überein, doch das änderte nun auch nichts mehr. Diejenigen, die für das Heizen der Öfen verantwortlich waren, trugen Reisig und Brennholz zu den Lehmöfen.

Auch der Engel machte sich auf und ließ traurig den Kopf hängen. Er fürchtete nun Katjas Nachbarschaft, denn er konnte sich nicht vorstellen, wie er auf der Bank neben ihr schlafen oder gar auf unvermutete Fragen antworten sollte. Wie konnte er ihr in die Augen sehen, wo er doch wusste, dass vor ihm ein Mensch stand, der sich höchstpersönlich von der Seele losgesagt hatte?! Wo doch schließlich nicht alles in der Macht des Menschen lag. Und da fand der Engel Trost in der Macht des Herrn, denn nur diese Macht konnte den Menschen um seine Seele oder seinen Verstand bringen. Dass aber der Mensch sich mit einem Mal seiner Seele selbst entledigte – sei es aus Dummheit oder aus Naivität! Es war schließlich eine Sache, sich vom eigenen Ohr loszusagen, und eine andere, es abzuschneiden! Das würde nicht jeder tun, schließlich war das Abtrennen eines Ohres sehr schmerzhaft. Aber sich die Seele herauszureißen: Dieser Schmerz war um ein Vielfaches stärker und unerträglicher, und kaum jemand erlitt ihn in seinem Leben. Und so hatte auch Katja, obwohl sie die Existenz der Seele laut ihren eigenen Worten abgelehnt hatte, ihre Seele in Wirklichkeit nicht verloren, ebenso wenig wie diejenigen, die ihr zugehört und zugestimmt hatten, ihre Seelen nicht verloren hatten. Es lag nicht in ihrer Macht, über die eigene Seele zu verfügen! Dem Engel wurde bei diesem Gedanken leichter und er ging ohne Eile zu seinem Stall. Dort ließ ihn eine unerwartete Berührung zusammenfahren, er drehte sich erschrocken um und sah Katja, die ihn am Ellbogen hielt, und er sah auch ein Lächeln auf ihrem Gesicht, das aber gleich darauf wieder verschwand und an dessen Stelle trat Verwunderung als Antwort auf den Schrecken, der sich in seinem Blick widerspiegelte.

„Was ist mit dir?“, fragte Katja erschrocken.

Beide blieben stehen und sahen einander an, ohne zu blinzeln, mit unbeweglichem, aber lebhaftem Blick.

„Was ist mit dir?“, wiederholte sie, und aus ihrer Stimme sprach eine sehr einfache und weibliche Besorgnis. „Bist du etwa krank?“

„Nein“, presste der Engel hervor und wunderte sich über die Sorge, die in der Frage der Lehrerin mitgeschwungen war.

„Bist du etwa gekränkt? Ich weiß doch, dass du gläubig bist… Aber das darf nicht sein, verstehst du, wir werden um jeden Gläubigen kämpfen, um ihn zu den Menschen zurückzubringen.“

„Aber ich bin doch bei euch“, entgegnete der Engel verblüfft.

„Nein, noch nicht ganz. Aber ich glaube daran, dass du zu uns gehören wirst.“ Katjas Stimme ging in ein nervöses Klagen über und der Engel dachte schon: Ist sie etwa krank geworden? Vielleicht von der Hitze, oder hat sie Fieber?

„Und wir werden unbedingt, wir werden sogar ganz sicher zusammen sein. Hier wird es ein ganz anderes Leben geben. Glaubst du mir?!“

Der Engel konnte den Sinn ihrer Worte nicht verstehen, er nickte jedoch, da er an ihre Gesundheit dachte, und sagte nur leise:

„Ich glaube dir.“

Da lächelte Katja über das ganze Gesicht, sah sich neckisch nach allen Seiten um – es war dunkel und die Menschen um sie herum nicht zu sehen – und küsste ihn auf die Wange.

Und wieder blieb der Engel stehen, aber diesmal nicht vor Schrecken, sondern aus einem anderen Gefühl heraus, das fremd war, aber süß, und das ihn seine Vergangenheit und sein ganzes Leben vergessen ließ, und dieses Gefühl trug ihn in den Himmel, aber in einen ganz anderen Himmel, wo es niemanden mehr gab. Und wieder dachte er: Ist Katja krank?, und dieser Gedanke entschlüpfte ihm vor seinen Augen, wie eine Mücke, die auf einmal größer wurde, sich in einen Vogel verwandelte und sich in der Dunkelheit der beginnenden Nacht auflöste.

Auch Katja war stehen geblieben. Sie stand so nah bei ihm, dass dem Engel heiß wurde. Er wollte gehen, davonlaufen, er wusste, dass er von hier wegmusste, aber dieses Gefühl hielt ihn wie eine Fessel zurück und er wusste nicht, was er tun sollte.

Die Arme der Lehrerin schlangen sich um seinen Hals, und obgleich sie warm waren, lief dem Engel ein kalter Schauer über den Rücken, aber seine Arme hörten nicht auf seinen Verstand und auch nicht auf den mahnenden Schauer und sie umschlangen Katja. Sie schmiegten sich aneinander und standen lange Zeit schweigend unter der Himmelsdecke, die die Erde verhüllte.

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