19

Tyorl lief durch den gefrorenen Matsch am Flußufer. Der Wind über dem Wasser wehte kalt aus den Bergen im Osten heran. Der Elf fand, daß es nach Schnee roch. Sein Instinkt verriet ihm, daß die Nacht zwar noch viele Stunden entfernt war und daß sie auch wirklich eine gute Strecke von diesem verwünschten Ort fortkommen mußten, aber daß sie auch Feuer, Essen und einen Platz für Stanach brauchten, wo er bis zum Morgengrauen soviel Kraft wie möglich sammeln konnte.

Er wollte Stanach irgendwie auf die Beine bringen. Der einäugige Theiwar konnte immer noch irgendwo lauern. Er war zwar allein, doch er war das, was die Zwerge Derro nannten. Tyorl hatte genug Zeit an der Grenze zu Thorbardin verbracht, um über einen gewissen Wortschatz auf Zwergisch zu verfügen. Derro bedeutete halb verrückt und offenbar dazu fähig, allein von Haß zu leben. Er war Zauberer und dazu ein gefährlicher.

Tyorl trat einen kleinen Stein ins Wasser, was er in dem Moment bereute, wo er ihn aufplatschen hörte. Kindisches Benehmen wie das hier bringt uns alle noch vor dem Morgen um, dachte er. Kindisches Benehmen wie das hier und der unerwartete Umschwung seiner Gefühle Kelida gegenüber. Im Tunnel hatte er sich ihretwegen zurückgehalten, weil er sich um sie sorgte. Lavim hätte seine Hilfe gebraucht, und wenn er sie geleistet hätte, wäre der Theiwar jetzt kein Problem mehr; er wäre tot.

Verdammt! Diese Frau läuft nicht durch den Wald und setzt ihr Leben aufs Spiel, weil Hauk dir wichtig ist! Sie macht das, weil er ihr wichtig ist. Hauk hatte das Tenny’s ohne sein Schwert, aber mit dem Herzen des Schankmädchens verlassen. Wußte er das?

Tyorl schüttelte den Kopf. Er glaubte nicht, daß Hauk noch lebte und es wußte. Um seines Freundes willen hoffte er, daß er nicht mehr am Leben war.

Der Elf unterdrückte mit zusammengebissenen Zähnen einen Fluch und begann zu rennen. Der tote Theiwar lag genau vor der Flußkrümmung.

Ein Pfeil ragte aus der Brust des Zwergs. Vier dünne, blaue Streifen kennzeichneten den Pfeil eine Daumenlänge über dem Ansatz der Befiederung. Er kannte das Zeichen gut und die graue Befiederung mit der schwarzen Hahnenfeder um so besser. Finn!

Er sah sich rasch um. Der unablässig murmelnde Fluß verlief links von ihm. Schwarze Schatten und noch schwärzere Bäume des Waldes standen auf dem Hang zur Rechten. Tyorl zog dem Zwerg den Pfeil aus der Brust und stand auf. Dann stieß er das schrille »Kiii-jiiir!« des rotschultrigen Falken aus, das von der Baumwand des Waldes zurückgetragen wurde. Es gab nur eine Antwort auf diesen Schrei, das durchdringende, aufsteigende Lied der Drossel. Tyorl hörte es fast augenblicklich und lachte laut vor Erleichterung.

Groß und dünn wie ein Zaunpfosten stand Finn zwischen zwei Bäumen auf dem Hang. Tyorl sah sein Lächeln nicht, aber er hörte es aus der Frage heraus. »Wo warst du, Elf?«

»Ich habe dich gesucht, Herr, und gehofft, daß du mich findest.« Er trat gegen den Körper, der neben seinen Füßen lag. »Hast du noch mehr von denen gesehen?«

»Nur den da. Er hat die Armbrust zu schnell hochgerissen, als er mich sah. Ließ mir keine Zeit, nach anderen zu fragen.«

Finn kam den Abhang heruntergesprungen. Zwei nachtschwarze Schatten lösten sich vom Wald und folgten ihm. Lehr überholte den Anführer der Waldläufer; Kernbal, sein Bruder, kam hinterher.

Lehrs dunkle Augen leuchteten vor Freude, und sein struppiges, schwarzes Haar war vom Wind zerzaust, als er Tyorl zur Begrüßung auf die Schulter schlug. »Wo ist Hauk? Er schuldet mir seit über einer Woche drei Goldstücke oder zwölf Stahlmünzen. Ich dachte schon, ihr würdet absichtlich nicht kommen, weil er sie in der Stadt nicht ergattern konnte.« Tyorl schüttelte den Kopf. Die Freude des Wiedersehens verflog. »Er ist nicht da, Lehr.« Er zeigte zu der Höhle am Fluß. »Kern, du wirst da hinten gebraucht. Aber paß auf deine Sachen auf. Da drin ist ein Kender, der angeblich vier Zwerge getötet hat.«

Tyorl betrachtete den Pfeil, den er noch in der Hand hielt. »Ich weiß, daß er drei umgebracht hat. Drei oder vier. Wahrscheinlich wird es ihm bald langweilig, stolz auf sich zu sein, und dann wird er sich nach neuen Schwierigkeiten umsehen, in die er sich stürzen kann.«

Lehr lachte, aber sein Bruder nickte nur und ging zur Höhle.

»Begleite ihn, Lehr«, sagte Finn ruhig. Als sie allein waren, nahm der Anführer der Waldläufer seinen Pfeil von Tyorl entgegen und überprüfte die Federn. Sie waren noch gut, deshalb steckte er den Pfeil wieder in den Köcher. »Schön, dich zu sehen, Tyorl.«

Der Elf sah zum Wald zurück. »Ganz meinerseits, Herr. Sind die anderen bei dir?«

»Nein, ich habe sie sechs Meilen nördlich zurückgelassen. Lehr fand gestern deine Spur. Wir wären früher gekommen, aber Verminaard scheint seinen Grenzkrieg vorantreiben zu wollen. Wir hatten die letzten drei Tage zu tun.« Finn lächelte kalt. »Versorgungstrupps überfallen.«

»Hatten wir Verluste?«

»Nein, obwohl Kern vor ein paar Minuten wegen dem Gestank von da drüben sein Innerstes nach außen gekehrt hat. Wo kam das her? Wenn du sagen würdest, aus dem Abgrund, würde ich es dir wahrscheinlich sogar glauben.«

Tyorl seufzte, als ihm plötzlich klar wurde, wie müde er war und was für eine merkwürdige Geschichte er zu erzählen hatte. »Das ist eine sehr lange Geschichte.«

»Zweifellos.« Finn sah ihn scharf an. Dann wurde sein Blick milder. »Tyorl, wir haben keine Spuren von Hauk gefunden. Ist er tot?«

»Ich weiß es nicht. Ich glaube, er ist in Thorbardin.« Finn sagte einen Moment gar nichts, sondern sah nur über den Fluß zu den Vorbergen im Osten hinüber. Thorbardin war fast hundert Meilen entfernt. »Komischer Platz für ihn, ob tot oder lebendig, hm?«

Komisch? O ja, dachte Tyorl, verdammt komisch. »Ich warte auf deinen Bericht!«

»Gut, Herr, aber du wirst mir vielleicht nicht alles glauben.« Finn trat von dem toten Theiwar zurück und hockte sich hin. »Erzähl.«

Tyorl setzte sich neben ihn. Er sah den Wind über die dunkle Wasseroberfläche streichen und durch das braune Haar und den Bart des Zwergs wehen und hatte den Eindruck – wie in der ersten Nacht in Qualinesti –, daß Takhisis, die Königin der Finsternis, auf Krynn Einzug hielt.

Drachenkönigin hieß sie in Istar und Ergod. Das Volk von Eismauer kannte sie als die Verderbte. In Thorbardin nannten die Zwerge sie Tamex, das Unedle Metall.

Für dich hat sie sich als trügerisch genug erwiesen, sagte er schweigend zu dem Theiwar. Möge sie sich deinem Meister gegenüber als ebenso trügerisch erweisen!

Leise erzählte Tyorl seine Geschichte vom Königsschwert und von der Revolution, von den Waldläufern und dem Schankmädchen, der Verfolgung und der Flucht.


Am hohen, sternenklaren, kalten Himmel verschmolz das Licht der beiden gerade aufgegangenen Monde, des roten und des weißen, zu einem grellroten Schein. Nachtschwarz schoß wie eine schwarze Lanze durch den Kreis des roten Mondes. Mit Verminaard auf seinen langen, kraftvollen Schultern strich Ember wie ein riesiger Schatten vor Solinari vorbei.

Die Augen gegen die bittere Kälte der Höhe wie auch gegen das Mondlicht halb geschlossen, legte Nachtschwarz seine breiten Schwingen an und schoß unter dem Roten hindurch. Beim Wiederauftauchen rollte der schwarze Drache über und kehrte an Embers Seite zurück, wobei er vor Lachen über die Verachtung des Roten für seine Kapriolen brüllte.

Nachtschwarz war es egal. Die feuchten Wände der Tiefen Höhlen sperrten ihn nicht mehr ein, und er fühlte nur die überschäumende, wilde Freude.

Zehn Meilen vor Thorbardin, am Südwestrand der Ebene der Toten, hatte Nachtschwarz Ember über die Wälder des Ostens gleiten spüren. Mit kräftigen Flügelschlägen hatte er an Tempo zugelegt und den Drachenfürsten mit seinem Reittier über den Bluthügeln eingeholt. Nachtschwarz hatte Ember beiläufig grüßend mit dem Flügel zugewinkt und dem Drachenfürsten die Situation in Thorbardin geschildert.

Die telepathische und gefühlsmäßige Verbindung zwischen Verminaard und Takhisis’ Drachen war so stark, daß der Drachenfürst nicht nur den Sinn von Realgars Plänen verstand, sondern auch eindeutig mitbekam, wie Nachtschwarz ihre Erfolgsaussichten einschätzte.

Genau, bring ihm sein Königsschwert, Nachtschwarz, Hilf ihm, den ersten Streich seiner Revolution zu führen. Verminaards Zufriedenheit drang wie schwarzes Eis in Nachtschwarz’ Kopf ein. Dann bring mir dieses Sturmklinge, wenn du mir seinen Kopf bringst. Sie werden beide einen schönen Wandschmuck abgeben.

Ember krümmte seinen langen Hals, und im hellen Schein eines Flammenstoßes aus seinem schmalen Maul sah Nachtschwarz ihre Schatten klein und deutlich über die Vorberge des Kharolisgebirges ziehen. Der Schwarze legte wieder die Flügel an und stieß tief zu den rollenden, graubraunen Hügeln hinab. Als Nachtwesen sichtete er vor dem Roten, was Ember suchte, und schickte das Bild von einem Haufen Waldläufer direkt zum Drachenfürsten.

Mehrere Meilen südlich von den Waldläufern entdeckte er die dunkle Wolke des Geistes des Grauen Herolds. Nachtschwarz stieß ein donnerndes Brüllen aus, drehte ab und tauchte hinunter.

Unten schoß der Drache die dünne, silberne Linie eines Flusses westlich der Hügel entlang. Bis zur Dämmerung waren es noch mehrere Stunden, und Nachtschwarz rechnete damit, vor Sonnenaufgang wieder im alten Thorbardin zu sein. Noch ehe die Sonne wieder unterging, würde Realgars Triumphschrei durch die Zwergenreiche hallen.


Die Monde wanderten dicht am Horizont über dem Wald nach Westen. Während Tyorl zusah, wie ihr seltsames, purpurrotes Licht die Baumwipfel berührte, dachte er über Finns Reaktion auf seine Geschichte nach. Tyorl wußte, daß der Anführer der Waldläufer nicht glaubte, daß Hauk noch am Leben war. Davon hatte ihn der Elf nicht überzeugen können.

»Wenn die Hoffnung des Mädchens jemanden am Leben erhalten kann, doch, dann lebt er.« Finns Augen verrieten Tyorl, daß er schon um Hauk trauerte. »Du willst nach Thorbardin.«

»Richtig, Herr, das will ich.«

Finn hatte lange nichts gesagt, sondern nur von Sturmklinge an Kelidas Hüfte zu Stanachs verstümmelter Hand geschaut, als Kern den notdürftigen Verband abnahm und das Mädchen ernst zu ihrer Arbeit beglückwünschte.

Tyorl stocherte in dem kleinen Feuer herum. Lavim hatte ungefragt Zunder und Brennholz gesucht und das Feuer etwas abseits von der Höhle angezündet. Der Kender hatte Pfeifers Flöte immer noch nicht gefunden.

Verloren, klar, dachte Tyorl. In deinen Taschen verloren, du Kobold! Freu dich ruhig an deinen nächtlichen Ausflügen, Lavim. Bei allen Göttern, ich werde dich festbinden und jeden Beutel und jede Tasche durchsuchen, wenn du zurück bist.

Plötzlich fuhr Tyorl herum, weil ein Stiefel leise an einen Stein gestoßen war und ein Mantel über Lederkleidung rieb. Kelida tauchte zögernd hinter ihm auf. Unter ihren Augen hatte sie dunkle Ringe.

»Störe ich?«

Tyorl schüttelte den Kopf. »Nein. Lehr hat zum Abendbrot ein paar Fische gefangen. Hast du Hunger?«

»Nein. Ich bin nur müde.« Sie setzte sich neben ihn und lehnte sich an die Außenwand der Höhle.

»Wie geht es Stanach?«

»Er schläft. Schläft richtig. Kern hat ihm eine Kräutermischung und ein paar Pulver eingeflößt. Er sagt, damit würde er schneller wieder zu Kräften kommen.«

»Das wird er. Kern ist ein guter Krieger und ein noch besserer Heiler. Ist er jetzt bei ihm?«

Kelida nickte. Sie starrte über den Fluß und lauschte dem Lied des ewig wandernden Wassers. »Du hast viel Zeit an diesen Grenzen verbracht, oder?«

»Ein paar Jahre.«

»Als ich Stanachs Hand gesäubert und verbunden habe, hat er etwas gesagt. Es war in einer Sprache, die ich nicht verstehe.«

»Zwergisch wahrscheinlich.«

»Vielleicht. ›Lit Kwer‹, sagte er.«

»Lyt Chwaer, hm? Kleine Schwester. Nun, er hatte Schmerzen und war vielleicht nicht ganz da. Es ist nicht ungewöhnlich, daß er nach seiner Familie ruft.« Tyorl schüttelte den Kopf. »Stanach hat also eine jüngere Schwester? Er hat gesagt, daß Kyan Rotaxt sein Vetter war, aber irgendwie hatte ich mir nie vorgestellt, daß er Verwandte hat oder irgend etwas außer seinem verwünschten Königsschwert.«

Der Fluß plätscherte am Ufer entlang. Tyorl warf einen Zweig in das kleine Feuer. Er lächelte Kelida an und zeigte auf den untersetzten jungen Mann, der rastlos mit langen Schritten am Ufer Wache ging. »Der da erinnert mich manchmal an Hauk. Finn nennt uns seine Alptraum-Truppe. Wir nennen Lehr ›Finns Alptraum‹.«

»Warum?«

»Weil er impulsiv und rastlos ist, und immer versessen auf einen guten Kampf.«

Der Wind wurde kälter und fegte mit trauernder Stimme über das Wasser. Kelida kroch tiefer in ihren grünen Mantel. »Ist das bei einem Waldläufer nicht wünschenswert?«

Tyorl beantwortete ihre Frage mit einer anderen. »Siehst du keinen Unterschied zwischen ihm und Hauk?«

»Ich kenne Hauk nur von diesem einen Abend im Tenny’s. Aber da habe ich…«

Tyorl starrte ins Feuer. »Was?«

»Ich weiß nicht, Tyorl. Ich dachte, daß er etwas – jemand – wäre, den ich mögen könnte.«

Mögen, fragte er sich, oder lieben?

Der Wind drehte und blies jetzt aus Nordosten den Fluß hinauf. Lehr gab sein rastloses Gerenne auf und stand still am Wasser.

»Er ist ein sympathischer Bursche, unser Hauk.«

»Aber ist er auch zu sehr auf Kämpfen aus?«

Tyorl schüttelte den Kopf. »Nein, überhaupt nicht. Normalerweise behält er einen kühlen Kopf. Er ist ein Mann, von dem man sich gern den Rücken decken läßt, aber wie Finns Alptraum da drüben ist er jung. Ich glaube, das ist der eigentliche Grund, warum Lehr mich an ihn erinnert.«

Kelida erinnerte sich an jene, jetzt so ferne Nacht in Langenberg, die Nacht, in der Hauk ihr Sturmklinge gegeben hatte. Sie erinnerte sich daran, wie Tyorl sich in jener Nacht verhalten hatte, nachlässig amüsiert über die extravagante Entschuldigung seines Freundes. Er hatte zugesehen, wie sie die Bier- und Weinflecken von der Theke schrubbte, und sie hatte bei der Arbeit die beiden Waldläufer verglichen: Hauk so dick und mächtig wie ein Bär, Tyorl wie ein leichtfüßiger Hirsch. Damals hatte sie gedacht, daß es schwierig, wenn nicht unmöglich sein mußte, einem Elf sein Alter anzusehen.

Sie sah ihn an. Sein sonnenfarbenes Haar wurde vom kalten Wind zerzaust, die blauen Augen waren weich von sanften Gedanken, die langen Beine kreuzten sich im Schneidersitz, als er sich zum Feuer lehnte. Die Aura eines Waldläufers aus dem Grenzland, Gefahr und Romantik, umgab den schlanken, durchtrainierten Mann. Man konnte sich unmöglich vorstellen, daß er mehr als nur ein paar Jahre älter war als Hauk.

»Ich denke«, sagte sie langsam, »daß wir dir alle jung vorkommen.«

»Nun, manchmal stimmt das. Ich habe einhundert Sommer gesehen, Kelida. Darum kommt ihr mir jung vor, du und Hauk. Bei meinem eigenen Volk bin ich jedoch selbst ein junger Mann.« Er lächelte und zuckte mit den Schultern. »Es verwirrt mich nur, wenn ich nicht bei Elfen lebe. Da sind all die Jahre…«

Er klopfte auf seine Brust, die plötzlich eng war und weh tat. »Und dann ist da dieses Herz, das mich daran erinnert, wie jung ich wirklich bin.«

Lehr verließ seinen Posten und tappte mit gesenktem Kopf wie ein Hund, der Ärger wittert, flußaufwärts nach Norden. Tyorl, der diesen Ausdruck kannte, sprang auf. »Kelida, hol Finn.«

Sie spürte die plötzliche Anspannung in seiner Stimme und erhob sich. Bevor sie eine Frage stellen konnte, war er schon fort und rannte zum Wasser hinunter.

Lavim roch den Rauch gerade, als der Wind umschlug. Auf dem Bauch am Fluß liegend, dachte er an Lagerfeuer und Wärme. Ein bißchen Wärme konnte er jetzt wirklich vertragen. Sein alter, schwarzer Mantel lag neben ihm auf dem Ufer, und er war bis zu den Schultern naß, weil er versucht hatte, Fische mit den Händen zu fangen, wie er es vorher bei Lehr gesehen hatte.

Man sollte doch meinen, sagte er zu sich selbst, daß es genauso einfach ist, wie es aussieht!

Nichts ist so leicht, wie es aussieht, Lavim.

Lavim sagte nichts, sondern tauchte seine Hände wieder in das eisige Wasser. Zu spät! Der Barsch flutschte ihm durch die Finger und kitzelte seine Handfläche, als er aus dem Flachen unter der Böschung zur Flußmitte schoß. Lavim riß seine Hände aus dem eisigen Wasser, schüttelte sie ab und steckte sie unter seine Arme.

Es ist alles eine Frage der Perspektive, Lavim. Wenn du ins Wasser schaust, siehst du nicht, was du zu sehen glaubst. Der Fisch übrigens auch nicht, wenn er nach oben guckt.

»Aaaha«, machte Lavim. »Du weißt das, weil du die meiste Zeit deines Lebens ein Fisch warst, was?«

Um genau zu sein, grummelte Pfeifer, glaube ich, daß jetzt der Falsche von uns empfindlich ist. Ich bin schließlich der, der tot ist. Wenn jemand empfindlich sein darf, dann bin das ich.

»Ich bin nicht empfindlich. Ich versuche, unser Frühstück zu fangen. Pfeifer«, sagte er plötzlich, »es tut mir leid, daß du tot bist. Ich habe dich nicht gekannt, als du gelebt hast, aber – es tut mir leid. Wie fühlt sich das an, Totsein?«

Pfeifer schwieg eine Weile. Es fühlt sich eigentlich nach überhaupt nichts an.

»Wo bist du?«

Ich bin in deinem Kopf und in der Zwischenwelt.

»Wie sieht es da aus?«

Pfeifer lachte. Es ist nebligan beiden Orten. Lavim, da ist ein neuer Fisch für dich.

Eine braune Forelle, die fast so lang und dick war wie der Barsch, glitt durch das stille, seichte Wasser. Ein gemächlicher Schwanzschlag brachte den Fisch in das dicke Gras, das genau unter der Wasseroberfläche wogte. Lavim hob grinsend beide Hände, um erneut zuzuschlagen.

Ziel ein bißchen weiter vor und zur Seite.

»Warum?«

Weil du Forelle zum Frühstück willst.

Da das ein vernünftiger Grund war, tat Lavim das, was Pfeifer ihm geraten hatte.

»Ha!« krähte er, als seine Finger sich um die Forelle schlangen. Er riß den Fisch, der im Mondlicht tropfte und glitzerte, aus dem Wasser. »Ich hab’ dich!« Aber die Forelle zappelte und drückte gegen seine Handflächen, so daß Lavim fasziniert von dem Gefühl von Schuppen in den Händen etwas losließ. Als hätte er Flügel, sprang ihm der Fisch aus den Händen und ins Wasser zurück.

»Verdammt!« Enttäuscht legte sich Lavim auf den Rücken. Es war zu kalt, um seine blaugefrorenen Finger noch einmal ins Wasser zu stecken. Der Geruch nach Feuer wurde im Wind stärker. »Was machen die eigentlich mit dem Feuer? Die werden noch – «

Lavim!

»O Götter, Pfeifer, brüll doch nicht so! Mir platzen gleich die Ohren! Was ist?«

Drachen!

»Wo?« Lavim schnappte Mantel und Hupak und krabbelte auf die Füße, wobei seine Augen den Himmel absuchten. »Wo?«

Im Norden! Zurück zum Lager, Lavim! Einer ist über dem Wald und kommt auf den Fluß zu!

Frohlockend rannte Lavim in das Lager am Fluß. Immer redeten alle über Drachen: rote, schwarze, blaue und grüne, ein ganzer Regenbogen. Lavim hatte erst einmal einen gesehen – den Roten, der jeden Tag hoch über Langenberg geflogen war.

Der Kender lachte laut, als er zur Höhle jagte, wobei er versuchte, Himmel und Erde gleichzeitig im Blick zu behalten. Jetzt würde sich sein Glück wenden.

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