Gneiss hörte, wie die frisch entzündeten Kohlepfannen in der Ratskammer knisterten, dann seufzten und langsam und stetig zu glühen begannen. Er massierte seine Schläfen, und dabei fiel ihm auf, daß er sich daran genauso gewöhnt hatte wie an seine Kopfschmerzen. Der Grund für die Kopfschmerzen, die schon viel zu lange Thema der Ratssitzungen waren, wartete in dem Tal vor Südtor. Es waren die achthundert Flüchtlinge. Ihre Abgesandten, die er beim Betreten der Ratskammer nur kurz gesehen hatte, waren ein Halb-Elf und eine große, schöne Frau aus den Ebenen. Gneiss rieb sich etwas sanfter die Schläfen. Die beiden warteten jetzt in einem Vorraum auf die Entscheidung des Rats. Auf Befehl des Rats würden sie entweder ihre Achthundert woanders hinführen oder – Gneiss seufzte ergeben – sich mit ihnen in Thorbardin einnisten.
Der Daewar blickte einmal in die Runde an dem breiten, ovalen Tisch. Keiner der anderen anwesenden Lehnsherren wirkte glücklicher als er.
Tufa betrachtete die Oberfläche des polierten Granittischs und verfolgte Muster in dem grauen Stein, die nur er sehen konnte. Er hatte geschwiegen, seit der Rat zur Ordnung gerufen worden war. Bulp, der Gossenzwerg, trommelte mit den Stiefelabsätzen gegen sein Stuhlbein. Als ob er ein vages Verständnis von der Wichtigkeit des heutigen Treffens hätte, versuchte er, wach zu bleiben.
Wenn man jemanden wach nennen kann, dachte Gneiss mißmutig, der jede zweite Minute gähnt!
Die zwei Derro-Lehnsherren, Ranze von den Daergars und Realgar, der Theiwar, hielten sich in den Schatten wie ein Fisch, der im Wasser bleibt. Ranze entfernte sich in letzter Zeit nie weit von dem Theiwar. Die beiden waren so miteinander verbunden wie ein Floh mit dem Hinterteil eines Hundes.
Hornfell, dessen Augen seine schlaflosen Nächte verrieten, erhob sich von seinem Platz am Kopfende des Tischs.
»Wir waren einer Meinung, daß nicht mehr darüber diskutiert werden soll, ob die Flüchtlinge nach Thorbardin gelassen werden.« Ranze holte Luft, um sich einzumischen. Als wenn Hornfell das nicht bemerkt hätte, fuhr er ohne Pause fort. »Die Abgesandten der Flüchtlinge erwarten unsere Entscheidung. Ich werde sie nicht länger warten lassen. Dieser Rat hat sich auch noch um andere Dinge zu kümmern.«
Eine gedankenschwere Stille senkte sich über die Kammer. Bulp setzte sich so hin, daß seine Beine in der Luft strampeln konnten und die Hacken nicht mehr gegen den Stuhl bumsten.
»Wir stimmen ab.« Hornfell wandte sich an den Klar. »Tufa, sag deine Entscheidung.«
Der Lehnsherr der Klar lehnte sich mit langsamem Kopfschütteln an. »Meine Einstellung hat sich nicht geändert. Ich beuge mich dem Ratsbeschluß.« Er warf einen schnellen, für ihn trotzigen Blick auf Realgar. »Wie auch immer dieser Beschluß ausfällt.«
Gneiss seufzte. Wenn jetzt keiner von den anderen anders stimmte als bisher, würde sein Wort wirklich den Beschluß des Rates entscheiden. Wie Hornfell schon bei den Befestigungsanlagen von Südtor gesagt hatte, hatte er seine Entscheidung getroffen. Auch wenn er mit niemandem darüber gesprochen hatte, war es das Beste, das er sich vorstellen konnte.
Hornfell schloß die Augen, holte Luft und nickte dann dem Gossenzwerg zu. »Bulp, wegjagen oder reinlassen?«
Bulp richtete sich mitten im Gähnen auf und hörte auf, sich zu kratzen. Er zwinkerte. Dann grinste er breit. »Reinlassen.« Er kniff die Augen zusammen und sah aus, als würde er es sich noch mal überlegen.
Hornfell sagte rasch: »Ranze.«
»Nein! Nein! Und nein!«
»Das dachte ich mir«, meinte Hornfell trocken. »Realgar?«
Der Theiwar zuckte mit den Schultern. »Ich erspare dir die Mühe, meine Gedanken zu lesen, Hornfell. Schick sie weg. Wir haben keinen Platz für sie, wir mögen sie nicht, und wir brauchen sie nicht.«
Gneiss sah auf, um Realgar fest in die Augen zu schauen. Dasselbe, dachte er, könnte man von dir sagen, Theiwar. Laut sagte er nur: »Wir können sie in den östlichen Ackerhöhlen unterbringen. Die sind seit drei Jahren unbestellt. Weil wir diese Menschen nicht kennen, wissen wir nicht, ob wir sie mögen oder nicht, also spielt das keine Rolle. Brauchen wir sie?« Er sah kurz alle Anwesenden an. »Wir können immer Bauern gebrauchen. Und das sind diese Leute. Ich sage, laßt sie rein, und laßt sie für ihren Aufenthalt arbeiten. Sie sollen wie Pächter dafür bezahlen.«
Wieder sah Gneiss Hornfell an. »Und deine Stimme?«
In Hornfells Stimme lag stiller Triumph. »Einlassen.«
Bei diesen Worten erhob sich Realgar lautlos und katzenartig und verließ den Ratssaal. Ranze folgte dem Theiwar auf dem Fuß, wobei er grimmige Flüche ausstieß. Die beiden Derro-Lehnsherren konnten nichts mehr dagegen tun, daß die achthundert Menschen eingelassen wurden.
Der Rat hatte abgestimmt, und daran hielt sich sogar Realgar. Vorläufig.
Gneiss sah den beiden nach. Tufa und Bulp folgten ihnen. Er seufzte, während er mit halbem Ohr zuhörte, wie Bulp sich fragte, wie die Abstimmung ausgegangen war. Dann sagte er zu Hornfell: »Du hast deinen Willen bekommen, mein Freund.«
Hornfell nickte, sah aber nicht aus wie einer, der gerade einen Sieg errungen hat.
»Was jetzt noch? Dachtest du vielleicht, deine zerlumpten Achthundert sollten den Winter mit Schlafen und Faulenzen verbringen?«
Hornfell beachtete den Sarkasmus nicht. »Sag mir, Gneiss, wie sollen wir aus kranken, hungrigen Menschen Freunde und Verbündete machen, die wir gerade als Tagelöhner auf unsere Felder geschickt haben?«
Gneiss seufzte müde. »Sie müssen doch nicht gleich anfangen, Hornfell. Nimm, was du gewonnen hast, und sag deinen Flüchtlingen, daß sie hier überwintern können. Wenn es zum Krieg mit der Außenwelt kommt, wird es ihnen längst gutgehen, und sie sind wahrscheinlich glücklich, wenn sie den Ort verteidigen können, an dem sie leben. Wenn es in Thorbardin zur… Revolution kommt, hast du meine Daewars und die Klar. Wir brauchen niemand anders.«Doch noch während er das sagte, erinnerte sich Gneiss an den katzenhaften Ausdruck in Realgars Augen. Er fühlte eine unangenehme Kälte seinen Rücken hochkriechen. »Sagst du es ihnen jetzt?«
Hornfell trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. »Ich möchte eine Minute Luft schnappen.«
»Luft schnappen? Also, geh schon. Aber paß auf, wo du das machst. Die Miene des Theiwaren gefällt mir zur Zeit überhaupt nicht.«
»Mir auch nicht«, antwortete Hornfell. Da begriff Gneiss, daß sein Freund nicht nur wegen der Flüchtlinge schlaflose Nächte hatte.
Hornfell gab acht, wo er Luft schnappte. Er ging in den Garten vor dem Rat der Lehnsherren. Dort lief er gemessenen Schritts über die feinkörnigen Kieswege.
Er freute sich über den Sieg, den er errungen hatte. Und, nein, er hatte nicht vor, ›seine zerlumpten Achthundert‹ den Winter verschlafen und verbummeln zu lassen. Ebensowenig wollte er etwas anbieten, was auch für ihn wie ein vertraglich festgelegter Dienst aussah. So gewann man keine Verbündeten, und er wußte, daß er bald Verbündete brauchen würde. Soviel hatte er heute in Realgars Augen gelesen.
Er unterbrach sein gemessenes Schreiten. Der Rundgang durch den Garten führte ihn zu den größten Beeten. Hier blühten die farbenprächtigen Sommerblumen der Berge das ganze Jahr über im sorgfältig kontrollierten Klima der unterirdischen Gärten.
Dünnblättrige Glockenheide und Strohblumen mit ihren graugrünen Stengeln blühten Seite an Seite. Königsfarn breitete seine weiten, hohen Farnwedel aus, die mehr goldfarben als grün waren. Kräftiger, gelbblühender Ginster drängte sich durch den dichten Farn, als würde er sich wenig um die Vorrechte der Krone scheren, und am Rand kroch Oleander in niedrig wachsenden Matten empor.
Hornfell berührte eine der zarten Oleanderblüten mit dem Finger. Die rosa Blütenblätter waren dem Licht zugewandt, das aus den vielen Kristallschächten drang, die zur Oberfläche führten. Die empfindliche Oleanderblüte zitterte leicht.
Hornfell zog die Hand zurück und sah zu dem Lichtschacht hoch, der fast genau über ihm hing. Der Lavendelglanz der anbrechenden Dämmerung flutete in den Garten, doch tagsüber nährte ein diffuses, goldenes Licht die Pflanzen.
Dasselbe System aus Kristallsäulen beleuchtete die sechs Städte, als ob sie im Sonnenlicht lägen, und brachte ihnen auch das Licht, das die Pflanzen auf den Feldern brauchten.
Mag sein, daß wir die Berge und all ihre verborgenen Geheimnisse lieben, dachte Hornfell, aber wir lieben auch das Licht. Zumindest einige von uns.
Ein leichter Schritt und ein geräuschvolles Räuspern erschreckten Hornfell. Er drehte sich langsam um, um seine Überraschung nicht zu zeigen. Als er in die schwarzen Augen des Theiwar-Lehnsherrn blickte, hatte Hornfell den Eindruck, daß Realgar ihn schon einige Zeit beobachtet hatte. Er konnte seine dunklen Gedanken von Realgars Gesicht ablesen. Seine Nackenhaare sträubten sich, als würde der Winterwind durch den Garten stöhnen.
»Deine… Gäste erwarten dich«, sagte der Derro-Zauberer. Er sagte das Wort, als würde er von einer Seuche reden. Mit verächtlichem Lächeln verließ ihn der Theiwar so leise wie er gekommen war.
Dunkle Gedanken und helle Wut, dachte Hornfell. Realgar hatte in der langen, erschöpfenden Ratssitzung bis zum letzten Augenblick gekämpft und darauf beharrt, daß es nichts Gutes bringen konnte, wenn sie Menschen in das Gebirgskönigreich einließen.
Hornfell hatte immer geglaubt, daß er der erste wäre, den Realgar schnellstmöglich umbringen würde. Jetzt dachte er, daß Realgar ihn ganz sicher ermorden würde, wenn er die Gelegenheit dazu bekam. Aber erst nach Gneiss, dessen Zögern den Flüchtlingen genauso endgültig die Türen geöffnet hatte wie eine klare Zusage.
Hornfell nahm an, daß sie nur deshalb noch lebten, weil Realgar das Königsschwert noch nicht hatte. Wie lange würde das noch dauern? Oder wann würde er das Warten satt haben und seine Revolution ohne die Waffe anzetteln.
Hornfell war nicht mehr davon überzeugt, daß das Schwert auftauchen würde. Die Nachricht, daß Sturmklinge gesehen worden war, war zu viele Tage her. Gestern gegen Mitternacht hatte Hornfell zu überlegen angefangen, was er tun sollte, wenn Kyan, Pfeifer und Stanach tot waren, wenn Sturmklinge wieder verloren war. All seine Gedanken zielten auf Verteidigung ab.
Gneiss, erkannte er, mußte dieselben Gedanken wälzen. Drei von Gneiss’ Daewarkriegern schienen immer in der Nähe zu sein. Aber wie würden sie ihn gegen Magie verteidigen, falls Realgar von seinem üblichen Weg mit Assassinen und Dolchen in der Dunkelheit abwich?
Überhaupt nicht, dachte Hornfell bitter, als er die Gärten verließ und sich darauf vorbereitete, seine lumpige Gastfreundschaft anzubieten.
Gneiss’ Wachen betraten nicht mit Hornfell den Rat der Lehnsherren, sondern blieben in Rufweite an der Tür stehen. Drei andere warteten mit griffbereiten Waffen im Ratssaal. Sie täuschten keine Höflichkeit vor, sondern standen unmittelbar neben den Abgesandten der Flüchtlinge.
Hornfell musterte die beiden Botschafter sorgfältig, während er die große, lange Halle durchschritt. Der eine, ein rotbärtiger Halb-Elf, drehte sich beim Klang seiner Schritte um. Er hatte ein Schwert an der Hüfte und einen Langbogen über der Schulter. Seine grünen Augen waren hart und aufmerksam.
Seine Gefährtin, eine hochgewachsene Frau in der ledernen Kleidung der Ebenen, legte dem Jäger die Hand auf den Arm, als sie Hornfell kommen hörte. Bei der Bewegung glitzerte ihr Haar im Glanz der frisch entzündeten Fackeln mondsilbern und sonnengold. Sie murmelte nur ein einziges Wort, und schon entspannte sich der Halb-Elf.
Jedenfalls schien das so. Diese grünen Augen wurden wohl nie sanft. Das ist einer, überlegte Hornfell, der nicht gern den Bittsteller spielt! Doch, ja, kann ich dir nicht verdenken, Jäger. Würde mir auch nicht gefallen.
Als Hornfell zum Zeichen des Willkommens die Hände ausstreckte, wichen die Wachen einen Schritt zurück.
»Ich danke Euch für Eure Geduld«, sagte der Zwerg.
Der Halb-Elf setzte zum Sprechen an, doch die leichte Hand auf seinem Arm hielt ihn davon ab. Die Frau sprach, und ihre Stimme war weich und leise. »Wir haben uns an der Schönheit Eurer Halle erfreut.«
Das bezweifle ich, dachte Hornfell. Dein Freund zumindest nicht. Er wies auf einen Alkoven abseits der Haupthalle, der gerade ausreichte für einen Kartentisch aus einem einzigen Stück rosagemasertem Marmor.
»Lady«, sagte er, als er eine Fackel aus einem nahen Halter nahm, »macht es Euch bequem.«
Sie nickte anmutig, und als sie in den schattigen Alkoven trat und Platz nahm, dachte Hornfell, daß er keine Wette eingehen würde, was jetzt die Schatten teilte – die Schönheit der Frau oder das Licht der Fackel. Der Jäger folgte ihr dicht auf dem Fuß wie ein Leibwächter, wiederum gefolgt von den drei Daewars. Hornfell holte ungeduldig Luft, als ihm dieses Getue auffiel. Er befestigte die Fackel an der Wand.
»Ihr«, meinte er zu dem Halb-Elf, »könnt ruhig weiter bei Eurer Dame bleiben, wenn Euch das beruhigt.« Er wies mit dem Daumen auf die Wachen. »Ihr könnt Euch alle mit mir hier reindrängeln oder die Tür bewachen, was immer Euch glücklicher macht.«
Die Daewars waren verwirrt, wußten aber, wie sie auf einen Befehl zu reagieren hatten. Sie verließen den Alkoven. Obwohl der Halb-Elf betreten grinste, stellte er sich hinter seine Dame.
»Bewachen sie Euch vor uns?«
Hornfell schüttelte den Kopf und setzte sich auf einen Stuhl gegenüber der Frau. »Sie bewachen mich, aber das hat nichts mit Euch oder Eurer Dame zu tun. Wir schützen uns nicht vor Freunden.«
Die Frau aus den Ebenen registrierte das und nickte: »Wir sind glücklich, zu den Freunden zu zählen.« Anmutig zeigte sie auf ihren Beschützer. »Das ist Tanis, der Halb-Elf.« Sie lächelte. »Auch wenn ich nicht seine Dame bin, ich könnte nirgends sicherer sein als bei ihm. Ich bin Goldmond, Häuptlingstochter der Que-Shu.« Ihre Augen leuchteten im weichen Dämmerlicht.
»Ich diene der Göttin Mishakal«, sagte sie, »und bin ihre Klerikerin. In ihrem Namen sind wir gekommen, um zu erfahren, ob Ihr denen helfen wollt, die Verminaards Sklaverei entkommen sind.«
Hornfell schüttelte den Kopf. »Lady, seit dreihundert Jahren gibt es keine wahren Kleriker mehr auf Krynn.«
»Das weiß ich, Lehnsherr. Seit der Umwälzung. Aber jetzt schon.«
Der Zwerg schloß die Augen. Mishakal! Mesalax hieß die Göttin bei den Zwergen, und sie liebten sie nicht weniger als Reorx, den sie Vater nannten. Denn wenn er der Schöpfer der Welt war, dann war Mesalax die Quelle, aus der ihre Schönheit entsprang.
Hornfell sah von Goldmond zu dem, der Tanis hieß. War das wahr? Er hielt es für möglich. Jetzt waren die Götter auf Krynn, schenkten Königsschwertern ihr Feuer und ihre Drachen den Drachenfürsten. Warum sollte Mesalax nicht einer Barbarenfrau aus den Ebenen ihre Gunst schenken?
Goldmond lächelte, und es konnte durchaus Mesalax’ eigenes Licht sein, das der Zwerg in ihren Augen erblickte.
Hornfell blickte wieder zu Tanis. Der feste Kiefer des Elfen entspannte sich etwas unter seinem roten Bart, wenn er so wie jetzt die Frau aus den Ebenen betrachtete.
»Lady Goldmond«, sagte Hornfell schließlich, »seid willkommen in Thorbardin.«
Er würde später nachdenken, was mit den Ackerhöhlen geschehen sollte. Er wußte nicht, ob Goldmond wirklich war, was sie zu sein vorgab. Er wußte aber, daß er ebensowenig zulassen würde, daß sie ihr Dasein in einer zusammengezimmerten Pächterhütte fristen würde, wie er erlauben konnte, daß sie in einer Kerkerzelle schmachtete. Und er wußte, daß sie dahin gehen würde, wohin ihre Leute gingen.
Nachtschwarz breitete seine Flügel auf halbe Länge aus, wobei er das Spiel des Schattens bewunderte, das sich die glänzend schwarzen Wände seiner Höhle hochzog und fast die gesamte Breite der hohen, rauhen Decke überspannte. Er streckte seinen Hals lang aus und riß den Kiefer weit auf. Auch wenn er die Wirkung nicht sehen konnte, stellte er sich vor, daß seine Fangzähne im Licht der kleinen Kohlepfanne an der gegenüberliegenden Wand wie Feuermesser aussahen.
Er drehte den Kopf und sprach zu einem Schatten an der Wand.
»Herr, alles in allem ziehe ich die sonnigen Höhlen in den Klippen von Pax Tarkas diesem nassen, kalten Bau unter dem verwünschten Thorbardin vor.«
Das überrascht mich nicht, flüsterte der Schatten. Verminaard warf den Kopf zurück und lachte in seinem Raum in Pax Tarkas. Sein Schattenbild an der Höhlenwand tat dasselbe.
Nachtschwarz peitschte ungeduldig mit dem Schwanz und grollte tief in der riesigen Kehle. Lieber die eiserne, martialische Ordnung in Pax Tarkas unter Verminaards Herrschaft als die Unwetter der Zwergenpolitik in einem Königreich ohne König. »Drachenfürst, ich wünsche mir sehnlichst, daß Realgar endlich seine verdammte Revolution anzettelt und die Sache zu einem Ende kommt, damit ich ihn erledigen kann.«
Der Schatten wurde scharf wie eine Messerklinge. Nachtschwarz konnte Verminaards Augen fast als rote Lichter auf dem Stein sehen.
Verschwendet er immer noch seine Zeit mit diesem Waldläufer?
In all den Tagen, seit er der Gefangene des Theiwaren war, hatte der Waldläufer Realgar noch keine vernünftige Antwort auf die Frage nach dem Verbleib des Königsschwerts gegeben.
»Allerdings, Fürst. Das ist der Unterschied zwischen euch«, fauchte der Drache. »Wenn der Waldläufer dein Gefangener wäre, hätte ich ihm schon vor Tagen das Mark aus den Knochen gesaugt.« So aber mußte Nachtschwarz des Nachts Bergschafe jagen, während Realgar genüßlich mit blutigen Füßen durch die Seele des Waldläufers trampelte.
Nachtschwarz schloß schnaubend die Augen. »Inzwischen macht er es nur noch aus Spaß. Er gibt zu, daß der Waldläufer die Antwort nicht geben wird, wenn es eine gibt. Spaß und süße Rache für die Zeitverschwendung.«
Schattenaugen flammten rot auf. Der Drache kratzte mit den Krallen über den Felsboden der Höhle. Er bezweifelte, daß der Waldläufer je gewußt hatte, wo das Schwert war, und wenn doch, konnte von seinem Verstand inzwischen nichts mehr übrig sein, wo man nach der Antwort fahnden konnte.
»Fürst, wie steht’s mit deinen eigenen Plänen?«
Gut genug. Die Truppen ziehen in die Berge, und der Nachschub ist gesichert. Ember fliegt heute nacht aus, um den letzten Trupp zu sichern.
Ember! Der flog mit Feuer und Drachenangst als Waffe aus, und er steckte hier in diesem dumpfen, feuchten Loch! Nachtschwarz knirschte mit den Zähnen.
»Sichern, Fürst? Braucht Ember-« Nachtschwarz hielt inne, der hochmütige Ember würde nie zugeben, daß er Hilfe brauchte. »– Gesellschaft?« Bei der Königin der Finsternis! Seine Beine waren verkrampft, seine Flügel sehnten sich so nach einem Nachtflug!
Der Schatten sah jetzt nicht mehr aus wie ein Schatten, sondern wie ein Bild, das von poliertem Ebenholz widergespiegelt wird. Der Drache sah Verminaards Gesicht: ein Gesicht von kalter Schönheit, mit eisigen Augen, hart wie Stein.
Ember braucht nicht mehr Gesellschaft, als er hier hat, guter Sevrist, und die bin ich. Es geht nur um ein paar Waldläufer.
Er hätte auch sagen können, nur ein paar Mücken. Nachtschwarz seufzte.
Verminaard lachte, was sich wie krachendes Eis auf einem zugefrorenen Fluß anhörte.
Geduld, Nachtschwarz. Bleib noch ein Weilchen bei deinem neuen Herrn.
Und fort war der Schatten. Die roten Lichter verblaßten, als wären sie nie gewesen.
Der schwarze Drache grollte. In Nachtschwarz’ Augen war sein neuer Herr ein Esel. Realgar beherrschte eine Horde Rebellen, und das machte er gut. Es war keine leichte Aufgabe, eine Rasse mordlustiger Derros zu lenken, deren angenehmste Träume von Folterungen, Revolution und Tod handelten. Trotzdem war Realgar ein Esel.
Sevrist dachte nicht politisch und hatte weder das Verständnis noch die Geduld für Realgars Bedürfnis, dieses Königsschwert Sturmklinge zu erlangen. Er seufzte, und die Luft zitterte. Diese Zwerge, und besonders die Theiwaren, waren verrückt nach Talismanen und Symbolen. Realgar würde das Feuer der Revolution erst dann in Thorbardin entfachen, wenn er Sturmklinge in seiner gierigen Hand hielt. Und Verminaard schien das Warten zu akzeptieren.
Was machte es schon, dachte er geringschätzig, ob Realgar das Königsschwert oder irgendeine gewöhnliche, namenlose Klinge schwang. Hornfell mußte sterben, und es war doch wohl völlig gleichgültig, ob er durch den Streich eines Königsschwerts oder durch eine Dolchklinge starb. Sein Mörder würde Geschichte machen. Er konnte den Bericht später nach eigenem Gutdünken umschreiben und sich Prinzregent oder Hochkönig der Zwerge nennen, wenn er wollte.
Genau, so lange es ihm gelang, am Leben zu bleiben. Nachtschwarz lächelte und fühlte sich etwas besser. Das würde nicht lange dauern, ganz egal, welchen Titel Realgar sich zulegte.
Der Drache spürte die federleichten Vibrationen von Schritten auf dem Steinboden der Höhle und hörte etwas weiter entfernt leises Atmen. Er schloß die Augen. Das Atmen kam von Realgar, und der Drache nahm die Aufgeregtheit in seinem Geruch wahr.
Die Königin der Finsternis gebe, daß er das jämmerliche Schwert gefunden hat!
Sevrist öffnete seufzend die Augen. Er hatte es nicht. Oder?
Nachtschwarz sah genauer hin. Doch? Vielleicht.
Realgar kam lächelnd näher – die Lippen über den Zähnen kalt auseinandergezogen. »Ich grüße dich, Nachtschwarz.«
»Und ich dich, Drachenfürst.«
Der Titel erwärmte das Lächeln des neuen Drachenfürsten nicht. Das tat er nie. Hochkönig wollte er genannt werden, und nichts anderes würde ihn befriedigen.
»Das Königsschwert ist gefunden.«
Verminaards Geschenk fuhr mit der gespaltenen Zunge über scharfe Zähne. Ist es nicht, dachte Nachtschwarz’ verächtlich. Inzwischen kannte er diesen Blick. Realgar hoffte nur, daß es gefunden war. Der Drache regte seine Schwingen. »Ja? Soll ich fliegen, mein Fürst?«
Und dann überraschte der Theiwar den Drachen. »Ja, flieg. Der Herold erwartet dich.«
Sevrist dehnte seinen lippenlosen Mund zu einem breiten Grinsen. Er würde fliegen und dabei den einzigen Drachenfürsten, den er anerkannte, davon in Kenntnis setzen, daß es mit seinen Plänen vielleicht schneller voranging, als er selber gedacht hatte.