Das Geborgene Land, Königreich Idoslän, in den Höhlen Toboribors, 6241. Sonnenzyklus, Spätsommer.


Ingrimmsch neigte den Oberkörper etwas nach vorn und warf einen schnellen Blick um die Ecke. Der Gang dahinter, den sie bislang nicht weiter erforscht hatten, lag dunkel und verlassen vor ihnen. Oder besser gesagt, er erweckte den Eindruck, verlassen zu sein.

»Was machen wir, wenn wir auf Elben treffen, Gelehrter?«, fragte er und sprang um die Ecke, den Krähenschnabel zur Abwehr vor sich haltend.

»Es kommt darauf an, wie sie sich uns gegenüber verhalten. Wenn sie uns angreifen, werden wir uns wehren«, antwortete er. »Aber ich will keinen sehen, der die Waffe zuerst gegen sie erhebt«, warnte er seine Begleiter. Er führte einen der Trupps an, die nach zehn Umläufen am weitesten in das einstige Orkreich vorgestoßen waren. Bei ihm befanden sich außer Ingrimmsch, Goda und Sirka fünfzig schwer gerüstete, erfahrene Krieger, die bereits bei den Schlachten am Schwarzjoch, gegen die Avatare und gegen die Orks im Grauen Gebirge gekämpft hatten. Unerschrockene Veteranen, die keine Gefahr fürchteten und sich gegen Tion selbst werfen würden.

Auf Lot-Ionan mussten sie verzichten. Ihnen war Dergard mitgegeben worden, der dazu diente, eventuelle Zauber der Unauslöschlichen oder eines Elben unschädlich zu machen. Den Kampf übernahmen die Zwerge. Ingrimmsch stieß mit seiner Stiefelspitze einen länglichen Gegenstand an. »Schweinchenknochen. Nicht zu alt, aber auch nicht neu.« Er bückte sich und hob auf, was er gefunden hatte. »Ein Oberschenkel. Mit einem einzigen Hieb durchtrennt.« Der Schnitt war glatt und nicht ausgefranst. »Eine sehr, sehr scharfe Klinge«, sagte er anerkennend. »Kein Schwert und schon gar keine Axt, wie sie die Schweinchen benutzen.« »Die Ubariu?«, meinte Goda vorsichtig. »Sind sie heimlich in die...«

»Nein.« Tungdil ging vorsichtig weiter, die Rechte um den Griff der Feuerklinge geschlossen. »Die Unauslöschlichen. Sie haben die Orks in den Höhlen umgebracht.«

Sein Freund wackelte mit dem Kopf. »Denkst du, sie würden ihre letzten Verbündeten einfach so vernichten?« »Nein, nicht einfach so. Aber sie würden. Vielleicht hatten sie ihre Aufgabe erfüllt und wurden nicht länger benötigt.«

Vor ihnen zischte es laut. Zwei große grüne Punkte leuchteten in der Dunkelheit vor ihnen auf. Es rumpelte, als die Furcht erregende Kreatur aus Tionium einen ihrer metallenen Füße hob und auf sie zuging.

»Das muss das Ding sein, das König Ortger beschrieben hat«, rief Ingrimmsch und hob den Krähenschnabel. »Weiß noch jeder von euch, wo sich die Stelle befindet, an der diese Ausgeburt aus Mechanik und Magie besonders anfällig ist?«

»Nein, greift diesen Punkt nicht an«, widersprach Tungdil. Wenn Furgas wirklich die treibende Kraft gewesen war, würde es die Schwachstellen nicht geben. Sicher war sicher. »Bringen wir ihn anders zu Fall.« Dergard schob sich nach vorn, hob die Hände und setzte zu einer Formel an, aber Tungdil verbot es ihm. »Bewahrt Eure Kraft für den Augenblick auf, in dem uns die Unauslöschlichen gegenüberstehen«, bat er. »Vergesst nicht, dass einige Teile an den Scheusalen die Legierung enthalten, die Eure Kraft ableitet.« »Ihr habt Recht.« Dergard senkte die Arme. »Es würde ihnen mehr nutzen als schaden.« Sein Blick wanderte zur Decke. »Aber gegen einen Steinschlag sind sie vermutlich machtlos?«

»Spart Euch den Gedanken für den Notfall. Wir versuchen etwas anderes.« Er deutete auf die Zwerge, welche die Ausrüstung schleppten, die sie für eventuelle Kletterpartien mit sich führten. »Nehmt die Seile. Wir binden ihm die Füße zusammen und bringen ihn zum Sturz.«

Die übergroße Rüstung rückte näher und näher, rasselnd und fauchend schob sie sich vorwärts. Die übergroßen eisernen Hände öffneten und schlössen sich klickend, als freuten sie sich, Zwerge zu zerdrücken. Mittlerweile erkannten sie das Gesicht des Monstrums hinter dem bullaugenartigen Glas in Höhe der Brust. Es tobte und schrie lautlos, die Geräusche der Mechanik schluckten seine Laute.

»Kommen wir so nahe heran, ohne dass er merkt, was wir vorhaben?«, warf einer der Krieger ein. Tungdil lächelte finster. »Wir bringen ihn zu euch. Seid vorbereitet.«

»Hussa, das ist nach meinem Geschmack«, lachte Boindil und schwang den Krähenschnabel zur Probe. »Klopfen wir mal. Vielleicht macht uns das Ding darin ja auf und freut sich über unseren Besuch.« »Reizt ihn und bringt ihn dazu, dass er uns folgt. Aber gebt Acht. Wir wissen nicht, ob das, was uns Ortger erzählt hat, alles ist, was die Maschine vermag«, schärfte Tungdil ihnen ein. »Wir wechseln uns mit den Angriffen ab.«

»Ich übernehme den ersten«, verlangte Ingrimmsch auf der Stelle und rannte los, die Hälfte der Zwerge folgte ihm. Angespannt verfolgten die Zurückgelassenen, wie die erste Scheinattacke ablief.

Die Kreatur war für ihre gewaltigen Ausmaße erstaunlich wendig. Tödlich wendig.

Einen Angreifer kostete die Unvorsicht sein Leben. Der Tritt des Eisenstiefels beförderte ihn weit durch die Luft, und er kollidierte hart mit der Tunnelwand; sein Genick war gebrochen.

Öffnungen über der Brust wurden sichtbar, das Monstrum neigte sich nach vorne und sandte einen Hagel Geschosse gegen die Zwerge. Glücklicherweise trafen sie nicht.

Ingrimmsch machte seine Sache gut. Obwohl die Kampfglut durch seine Adern raste und er mit leuchtenden Augen auf die Stiefel und die Gelenke eindrosch, behielt er genügend Übersicht, um sich gelegentlich zurückzuziehen und die lebendig gewordene Rüstung hinter sich her zu locken.

»Wir sind an der Reihe«, rief Tungdil und hob die Feuerklinge. Es würde sich zeigen, was sie gegen diesen Gegner ausrichtete oder ob die Legierung auch vor ihrer Wirkung schützte.

Sirka neigte den Kopf und küsste Tungdil ohne nähere Erklärung, danach lächelte sie ihn an. »Nur, falls einer von uns beiden diese Höhlen nicht verlassen sollte«, meinte sie, ihren Kampfstab wirbelnd. »Können wir?« Er nickte und stürmte voran. Die wenigen Worte von Sirka hallten in seinen Gedanken nach und drohten, die Aufmerksamkeit auf den Kampf zu verdrängen. Mühsam riss er sich zusammen und entging knapp den zuschnappenden Fingern der Maschine. Er duckte sich, spürte den Luftzug und schlug mit der Feuerklinge zu. Zu seiner großen Erleichterung leuchtete der Axtkopf auf und sammelte Kraft, um sie beim Zusammenprall mit dem Feind abzugeben.

Die Klinge traf oberhalb des eisernen Knöchels, es blitzte grell, und die Runen auf der Rüstung erstrahlten in dunklem Grün. Ein Ruck lief durch die Maschine, und ein neues Geräusch erklang aus dem Innern, das an das Zerreißen einer Bogensehne erinnerte.

»Es lebt noch, Gelehrter!«, schrie ihm Ingrimmsch aus der Entfernung zu. »Das Ding in dem Glaskasten lebt. Und ich glaube, es lacht!«

Wütend riss Tungdil seine Waffe zurück, aber wenigstens haftete dunkelgrünes, fast schwarzes Blut an der Schneide. Also war er sehr wohl in der Lage, das Wesen mit der Feuerklinge zu verletzen. Da sah er die Elbenrune. Sie prangte auf der rechten Brust und verkündete Tode, wenn er sich recht an die Bedeutung entsann. »Vorsicht«, warnte ihn Sirka, allerdings ein Blinzeln zu spät.

Die flache Eisenhand traf ihn und katapultierte ihn davon. Er verlor durch den Zusammenprall seinen Helm, und auch sein Gürtel lockerte sich, sodass er sich um die Stiefel wickelte. Wie ein gefesselter Gugul lag er kopfüber im Gang und sah das Monstrum heranstampfen. Aus dieser Perspektive erkannte er die vielen kleinen Eisenspitzen auf der Unterseite der eisernen Stiefel, zwischen denen Knochensplitter und Rüstungsfragmente aus früheren Begegnungen mit Feinden hingen.

»Komm her und ich zerschneide dir dein Blech!«, schrie er dem Koloss entgegen und hob die Axt. Dann war Sirka neben ihm, packte ihn am Gürtel und zerrte ihn hinter sich her. Ihr riesiger Gegner folgte ihnen - und tappte in die Falle.

Kaum waren Sirka und Tungdil vorbei, wurde das Seil gespannt und die Enden um die Felsen geschlungen. Der eiserne Fuß des Monstrums verfing sich darin, sein Schritt verzögerte sich. Zwar riss das Seil mit einem lauten Knall, aber es gelang der Bestie nicht mehr, das verlorene Gleichgewicht wiederzuerlangen. Gerade noch bekam sie die beiden Arme nach vorn, um den Sturz abzufangen und zu verhindern, dass sie auf das Bullauge fiel.

»Jetzt!«, brüllte Ingrimmsch, sprintete los und nutzte den dadurch entstehenden Schwung, um den Krähenschnabel mit brachialer Gewalt nach oben zu dreschen.

Die stumpfe Spitze traf gegen das schützende Glas, hinter dem das Gesicht des Ungeheuers zu sehen war. Es klirrte leise, und vier dicke Sprünge entstanden. Godas Treffer mit dem Nachtstern machte die Zerstörung vollkommen. Die drei klingenbewehrten Eisenbälle zertrümmerten die gewölbte Scheibe, Splitter fielen auf sie und Ingrimmsch herab.

Sirka hatte in der Zwischenzeit Tungdil von seiner ungewollten Fessel befreit. »Alles in Ordnung? Oder habe ich dir die Haut von den Knochen geschürft?«

»Nein. Du hast mein Herz geraubt.« Dieses Mal stahl er sich einen Kuss von ihren Lippen, bevor er aufsprang und Boindil beistand, vor dessen wütenden Augen sich die Maschine aufrichtete.

»Wirst du wohl unten bleiben, Eisenkübel?«, tobte Ingrimmsch und schlug gegen die Eisenarme, um sie zum Brechen oder Einknicken zu bringen, ungeachtet der Tatsache, dass er sich unter dem schweren Körper befand. »Du hast heute deinen letzten Zwerg getötet!« Er traf eines der Ellbogengelenke.

Zusammen mit dem enormen Gewicht und dem wohl gezielten Schlag gab das Material nach. Ein Haltebolzen brach, und der rechte eiserne Unterarm riss ab. Die Maschine geriet in Schieflage und würde sich aus eigener Kraft nicht mehr aufrichten können.

»Du Wahnsinniger!«, rief Tungdil. »Komm unter dem Ding hervor.«

Aber Ingrimmsch hörte ihn in seinem Kampfrausch nicht. »Ich behandele deine hässliche Nase und den Rest dazu«, versprach er dem Scheusal und schlug ihm den Krähenschnabel ins Gesicht. Das Blut spritzte, die verformten Züge des Wesens verschwanden in einem Meer aus schwarzer Flüssigkeit. Die Maschine erzitterte und weckte den Eindruck, das Leid der Kreatur in ihrem Inneren zu teilen. »Hussa! Jetzt hat es sich ausge...« Der linke Arm gab nach, der drei Schritt lange Oberkörper raste nach unten. Das Verhängnis nahm seinen Lauf. Tungdil sah seinen Freund unter der riesenhaften schwarzen Rüstung verschwinden. Sein Entsetzensschrei wurde von dem dröhnenden Scheppern verschluckt, der Lärm jagte nach allen Seiten durch die Tunnel davon. Er wagte nicht, den Blick auf den Boden zu senken und nach einer Blutlache Ausschau zu halten. »Wir müssen es anheben, um...«

»Das war knapp«, hörten sie Boindil lachen. Gleich darauf erschien sein Helm auf dem Rücken der Riesenrüstung, dann stand er oben und schwang den Krähenschnabel. »Ho, das sieht Vraccas gern!«, rief er glücklich. »Jetzt haben die Unauslöschlichen schon zwei ihrer Bestien verloren.« Er stampfte auf den eisernen Rücken. »Es war zwar nicht die eingezeichnete Schwachstelle des Magisters, die ihn zu Fall gebracht hat, aber es ging auch so, oder?«

Tungdil deutete neben sich. »Komm da oben runter, bevor dir die Höhenluft weiter zu Kopf steigt und du noch mehr selbstmörderische Dinge tust.« Er verbarg seine Erleichterung hinter den harsch klingenden Worten. »Ich eile, Gelehrter.« Ingrimmsch tätschelte seine Waffe. »Krähenschnabel und ich sind gerade in bester Stimmung, um noch eines von diesen Monstren zu fällen.« Er schaute zwischen seine Füße. »Hier ist so etwas wie ein Schloss«, sagte er. »Sollen wir es aufbrechen? Es führt bestimmt zu den Innereien aus Zahnrädern.« Mit einem schrillen Pfeifen entwich heißer Dampf aus einem Ventil knapp neben Ingrimmsch. »Nein, wir gehen weiter.« Tungdil gefiel der Ton gar nicht. Die Dampfmaschinen seines Volkes besaßen Überdruckventile, falls sich die Kraft des Dampfes zu sehr staute. Ob diese Gebilde welche hatten, wusste er nicht. »Wenn der Kessel hochgeht, möchte ich nicht daneben stehen.«

»Überredet.« Er spazierte über die eiserne Hüfte den Oberschenkel entlang hinab bis zum Fuß und sprang auf den Boden. In seinen braunen Augen leuchtete es, Raserei und Schalk wechselten sich ab und schufen eine Mischung aus Leichtsinn, Übermut und unerschütterlichem Selbstvertrauen. »Weißt du, was ich denke? Wir werden heute noch eines erlegen.«

»Du bist unverbesserlich«, sagte Tungdil und beließ es dabei. »Weiter.«

»Natürlich bin ich unverbesserlich. Aber Zaudern nützt nichts.« Er zwinkerte Goda zu, die ihn bewundernd anstrahlte. Sie war sehr stolz, ihn als Meister zu haben. In diesem Augenblick vergaß sie ihre Unterredung in der Scheune.

Gemeinsam folgten sie dem Gang, der sich alsbald gabelte. Tungdil setzte die drei Elbenrunen zusammen. In der Reihenfolge Eure Tode haben ergaben sie den besten Sinn. Fehlten noch zwei der Kreaturen, um das Rätsel zu lüften.

»Und nun?« Dergard wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die schwüle Hitze war für ihn am schwersten zu ertragen, und Tobori bor war in dieser Gegend ein sehr heißer Landstrich, hervorgerufen durch die vielen köchelnden Tümpel, auf die sie unterwegs immer wieder stießen. Auch den Zwergen gefiel es nicht sonderlich. Es stank noch immer zu sehr nach Orks.

Tungdil zeigte auf den Gang, aus dem unvermittelt kühlere Luft strömte. »Da hinein.« Er setzte sich an die Spitze.

Mit jedem Schritt kühlte es um sie herum ab. Feuchtigkeit schlug sich auf ihren warmen Kettenhemden nieder, und die willkommene Erfrischung brachte Dergard nach einer gewissen Zeit zum Frösteln. »Es ist, als beträten wir eine Gruft«, sprach er seine Gedanken aus. »Und ich gebe ehrlich zu, dass ich mich nicht sehr wohl fühle.«

»Wer von uns fühlt sich denn wohl?«, gab Ingrimmsch erstaunt zurück. »Nur weil ich ein Kind des Schmieds bin, bedeutet es nicht, dass ich mich in diesem Schweinestall wohl fühle. Höhle ist nicht gleich Höhle, ehrenwerter Magus.«

Tungdil hatte eine Kaverne erreicht und in dem schwachen Licht erkannt, dass Dergard mit seiner Vermutung nicht sehr falsch lag. »Seid still«, zischte er über die Schulter hinweg. Ein unbestimmbares Gefühl warnte ihn, diesen Raum zu betreten, doch es musste sein. Der Diamant konnte überall auf die Zwerge warten. »Vorwärts, aber seid leise.«

Die Höhle war gut fünfzig mal fünfzig Schritt breit und lang, die Wände schwangen sich kuppelgleich in die Höhe und liefen gleich einem Gewölbe in vierzig Schritt Höhe zusammen. Genau in ihrem Mittelpunkt hing ein düsterer Stalaktit von der Länge zwei erwachsener Menschen und dem Durchmesser eines sehr alten Baumes. Seine Spitze zielte auf eine Frau mit langen schwarzen Haaren, die auf einem Basaltaltar ruhte, die Hände über dem Bauch gefaltet und die Augen geschlossen. Sie trug schwarze Seidengewänder, die rechts und links zu Boden hingen und die albischen Ornamente auf dem Stein teilweise verdeckten.

Auf ihrem Leib und unter ihren Händen lagen zwei lange schlanke Schwerter, die Tungdil sofort erkannte. Mit ähnlichen Waffen hatten die Unauslöschlichen beim Kampf auf dem Turm die Eoil angegriffen. Das bläuliche Licht stammte von dem Diamanten, der auf ihrer Brust lag und mit mattem Glanz erstrahlte. Gelegentlich huschte ein silbernes Flirren über die Zeichen und das Antlitz der Liegenden.

Sie hatten die Unauslöschliche und den gestohlenen Stein gefunden.

Auf dem Boden lagen die Gebeine von Orks; es waren die Überreste von fünfhundert oder mehr Scheusalen. Die Schnittspuren an den Knochen ließen keinen anderen Schluss zu: Sie starben alle durch die gleiche scharfe Klinge.

»Bei Samsusin!«, wisperte Dergard gebannt und konnte die Augen nicht von der Albin nehmen. »Schaut, wie unendlich wundervoll sie ist«, raunte er und schluckte ergriffen. Selbst so, wie sie da lag, strahlte sie in ihrer Starre mehr Anmut, mehr Eleganz, mehr Schönheit aus als Rejalin.

Tungdil und die anderen Zwerge ertrugen den Anblick ihres Antlitzes nicht länger. Es war, als versuche man, in eine gleißende Spiegelung auf einem Barren Gold zu schauen oder nahe an einen Hochofen heranzugehen. Beides gelang nicht.

Letztlich musste auch Dergard den Blick senken. Aber die Faszination hatte ihn deswegen nicht verlassen. Blind für jegliche Gefahr, ging er vorwärts auf den Altar zu, die Hände hoben sich zitternd und in dem Verlangen, die dunkle Göttin zu berühren. Knirschend zerbrachen die Knochen unter seinen Sohlen.

»Lass die Schöpferin zufrieden«, ertönte eine gebirgsquellklare Stimme von überall her. »Sie ist schon so lange müde.«

Dergard blieb stehen, schaute nach rechts und links, ohne jemanden zu entdecken. »Ich möchte ihr nichts tun«, sagte er verzückt. »Nur... in ihrer Nähe sein. Vor ihr knien und sie betrachten«, rief er.

»Kann es sein, dass das Spitzohr unseren Magus um den Verstand gebracht hat, Gelehrter?«, fragte Boindil besorgt.

Wie gern hätte Tungdil damals die Inschriften auf den Türen des Thronsaals in Dsön Balsur übersetzt, aber das Albische beherrschte er nicht. Vermutlich wäre es von Vorteil gewesen. »Ich fürchte es fast«, gab er leise zurück.

»Sollen wir ihn wegzerren?«, schlug Goda vor.

»Nein. Bleibt zusammen. Und tut nichts, was Dergard reizen könnte.« Er fürchtete, dass sich der Magus mit Magie zur Wehr setzen könnte.

Dergard hatte sich dem Altar zwei weitere Schritte genähert. Er hob scheu den Blick. Der Diamant beleuchtete die unsäglich makellosen Züge, ihr Anblick brannte sich in das Gehirn des Magus. Er weinte vor Freude wie ein kleines Kind, schluchzte und ließ sich auf die Knie nieder, um durch das Knochenmeer näher an die Unauslöschliche heran zu kriechen. Der schauerliche Schmutz störte ihn nicht.

»Du sollst die Schöpferin in Ruhe lassen«, peitschte ihn die Stimme zurück.

»Aber ich kann nicht anders«, bettelte Dergard voller Furcht, dass er sich wieder entfernen müsste. Sie hörten das Ticken von Zahnrädern, das Klacken von Eisen, das Rattern eines mechanischen Antriebs und drohendes Zischen. Aus einer finsteren Ecke der Kaverne stob eine weiße Qualmwolke auf und waberte ziellos umher. Tungdil dachte an den Nebeldämon, der von Nudin Besitz ergriffen hatte.

»Ich werde nicht zulassen, dass du sie störst«, sagte die elbenhafte Stimme und fügte ein lähmendes Fauchen hinzu. Schon nahte die nächste Schöpfung aus Furgas' überlegenem und zugleich krankem Verstand. Ihre vielen Räder zermalmten die Überreste der Orks zu Staub.

Tungdil schaute auf die Mischung aus Wagen und schwer gerüsteter Bestie, die unterhalb der Hüfte in dem kastenähnlichen Gefährt verschwand. Er suchte die Elbenrune und fand sie auf der Vorderseite der Panzerung: Gesichter.

Sie hatte das Visier ihrer Vollrüstung nach oben geschoben, ihre gelben Augen blickten von oben auf Dergard herab. »Verschwinde!«

»Wenn es nicht so grausam und gefährlich wäre, was Furgas da ersonnen hat, müsste man ihn für seinen Einfallsreichtum bewundern und ihm einen Orden verleihen«, raunte Ingrimmsch.

Seine Worte wurden von dem Wesen vernommen. Es hob ruckartig den Kopf und blickte zum Eingang. »Ihr seid gekommen, um die Schöpferin zu stören.« Die gepanzerte Linke hob sich und schloss das Visier. »Das erlaube ich nicht.«

Der Wagen beschleunigte und raste durch die Knochen auf die Zwergengruppe zu.

»Verteilt euch!« Tungdil sah die langen Tioniumspitzen an der metallenen Außenhaut, mit denen das Gefährt seine Gegner verletzte, und die scharfen Räder, die Liegende mit Sicherheit in Stücke schneiden würden. Den Trick mit dem Seil brauchten sie gegen dieses Monstrum erst gar nicht zu versuchen.

Als das Wesen sah, dass sich die Zwerge aufteilten, klappte es durch einen verborgenen Mechanismus lange Klingen rechts und links aus dem Wagen.

Ingrimmsch grinste. »Nicht jede Konstruktion ist gelungen. Sie stehen zu hoch. Wir können uns leicht...« Klackend senkten sich die Schneiden und befanden sich nun auf Höhe der Körpermitte der Zwerge. »Hätte ich doch bloß meine Klappe gehalten«, ärgerte sich Ingrimmsch.

Dann machte sich das Wesen auf die Jagd. Es dauerte nicht lange, und den ersten der tapferen Krieger traf die Klinge auf der Höhe des Beckens. Die Geschwindigkeit des Vehikels und die Schärfe der Klinge genügten, um Kettenhemd und Knochen zu zerschneiden. Schreiend und blutend fiel er auf die Orkgebeine, während die Hatz weiterging.

Drei Zwerge wurden vollständig zerteilt. Der Rest der Gruppe wich in den schmalen Höhleneingang zurück, durch den die Bestie nicht passte.

Tungdil nutzte die Ablenkung. Er rannte mit einigen anderen Zwergen, Ingrimmsch, Sirka und Goda durch die Höhle und hielt auf den Altar zu, auf dem die Unauslöschliche lag. Ihr Ziel war der Diamant, der unbewacht war. »Ingrimmsch, du nimmst den Diamanten«, wies ihn Tungdil an. »Ich schlage der Albin den Kopf ab.« »Umgekehrt wäre es mir lieber«, sagte er unglücklich. »Warum darf ich es nicht tun?«

»Weil ich nur der Feuerklinge zutraue, das Leben einer Unauslöschlichen zu nehmen«, erklärte er. Goda schaute kurz bevor sie ihr Ziel erreichten über die Schulter. »Es hat uns gesehen und kommt näher«, warnte sie. Sie verlangsamte ihre Schritte und wollte stehen bleiben, um sich dem Wesen zu stellen. »Nein, weiter!« Ingrimmsch packte sie bei der Schulter. »Hinter den Altar, da ist es sicherer. Es würde dich ansonsten einfach überrollen.« Aus dem Lauf drückte er sich ab und sprang mit den Füßen voran auf die Albin zu. Wenn er sie schon nicht köpfen durfte, wollte er sie wenigstens ordentlich verletzen.

Da traf ihn ein grüner Strahl seitlich gegen die Hüfte. Die Magie schleuderte ihn zurück; der umherfliegende Krähenschnabel traf Sirka gegen die Stirn und sandte sie bewusstlos auf den Boden.

Goda wirbelte herum und schaute nach dem neuen Angreifer, fand sich jedoch einem sehr vertrauten Gesicht gegenüber.

Dergard kauerte neben dem Altar, eine Hand auf sie gerichtet. »Ihr dürft sie nicht stören, habt ihr nicht gehört?«, zischelte er. »Wagt es nicht noch einmal!«

Ingrimmsch stemmte sich fluchend auf die Beine. Außer einem Kribbeln im ganzen Leib und ein paar Schürfwunden an den Händen war ihm nichts geschehen. »Kaum hat man einen Magus, macht er einem auch schon Scherereien.« Er sah nach Sirka. »Sie lebt, Gelehrter. Kümmere dich um den Menschen.« Das Maschinenwesen aber walzte wie ein wütender Feuerstier heran und senkte den Speer, den es in der Hand hielt. Die Schneiden schimmerten im bläulichen Licht des Diamanten.

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