XIV


Das Geborgene Land, Königreich Gauragar, Schwarzjoch, 6241. Sonnenzyklus, Spätsommer.


Limasar stand vor den schwarzen, verkohlten Resten des Tafelberges, aus dem die Eoil und ihr Heer des Lichtes ins Geborgene Land gekommen waren. Sie hatten den finsteren Berg in Brand gesteckt, um den Völkern ihre Macht zu beweisen, die selbst Unbrennbares in hellen Flammen stehen ließ.

Ehrfürchtig berührte der Elb einen der Felsbrocken und kratzte die Rußschicht ab. Darunter kam weißer, blanker Stein zum Vorschein, dem die Macht der Eoil die Bosheit ausgetrieben und der sich in pure Reinheit verwandelt hatte. Nur dieses Material war dazu geeignet, die neuen Heiligtümer und Paläste zu formen. »Ein wundervoller Ort zum Rasten«, sagte Itemara neben ihm. Sie gehörte zu seiner Abteilung Krieger, die nach Toboribor reisten, dem Befehl ihrer Fürstin gehorchend. »Es ist unglaublich, dass noch niemand sonst diese Schönheit entdeckt hat.«

»Wie sollten sie auch?« Limasar, der Anführer der Truppe, schaute zur Elbin. »Sie halten es für einen verfluchten Ort. Doch es gibt keinen reineren als ihn. Er ist geläutert, bis in die Tiefen des Erdreichs hinab.« Er hob die Arme. »Kannst du dir vorstellen, wie prächtig der Palast sein wird, den wir hier den Eoil und Rejalin erbauen werden?«

»Ja, Limasar«, sagte Itemara ergriffen. »Es ist der Mittelpunkt eines reinen...« Sie brach ab, schwankte und starrte auf den Armbrustbolzen, der bis zur Hälfte zwischen ihren Brüsten steckte.

Limasar verstand und duckte sich hinter den Felsbrocken. »Zu den Waffen!«, schrie er seinen Kriegern zu, die einhundert Schritt von ihm unter einem großen Felsüberhang lagerten. Selbst Wesen wie sie, welche die Sonne der Nacht bevorzugten, suchten Schutz vor den sengenden Mittagsstrahlen.

Itemara riss sich das Geschoss heraus, als sei es ein kleiner Splitter; ihr Blut sprühte aus dem Loch auf den Stein und sickerte daran herab. »Woher kommt...« Erst dann fiel die Elbin zu Boden.

Im Gegenlicht erkannte Limasar kaum, was die Elben, die er aus dem Roten Gebirge in den Südwesten des Geborgenen Landes führte, da taten. Schließlich sah er, dass sie aufsprangen.

Im selben Augenblick tauchten auf dem Überhang etwa fünfzig kleine Gestalten mit gewaltigen Metzhämmern auf, die sie mit beiden Händen führten.

»Zwerge?« Limasar presste sich an den Stein. »Über euch«, schrie er seinen Leuten zu.

Die Warnung erreichte sie nicht mehr rechtzeitig. Die Zwerge schlugen an bestimmten Stellen gegen den Stein, und das Knirschen vernahm Limasar noch auf diese Entfernung.

Krachend brach der gewaltige Vorsprung in einem einzigen Stück ab und begrub die Krieger unter sich. Das tonnenschwere Felsdach zerquetschte die Elben und Pferde wie ein Kelter die Weintrauben. Siebzig seiner vierhundert Krieger entkamen dem Anschlag oder krochen aus Hohlräumen hervor, andere steckten fest und schrien schwer verletzt um Hilfe.

Die Luft war erfüllt von Schwirren und Sirren, gleich darauf ging ein Bolzenschauer auf sie nieder und brachte dreißig von ihnen den schnellen Tod.

Die Zwerge sprangen brüllend von der Steinplatte. Sie stürzten sich mitleidslos auf die Verwundeten und Eingeklemmten, scherten sich nicht um die Rufe und waffenlos gereckten Finger. Die Metzhämmer, die eben noch Stein zerschlugen, brachen die Knochen der schlanken Elbleiber von den Beinen bis zu den Köpfen. Immer mehr Zwerge erschienen, dieses Mal trugen sie ihre Äxte, Beile, Streitkolben und Schilde mit sich. Diejenigen aus Limasars Einheit, die sich zu wehren vermochten, sahen sich einer Übermacht gegenüber. »Verfluchte Zwerge!«, schrie er und rutschte im Schutz des Gerölls vorwärts. »Sitalia möge sie alle vernichten.« Über sich hörte er Schritte über den Stein eilen, ein Schatten huschte über ihn hinweg, und dann landete ein breit gebauter Zwerg mit feuerrotem Bart und Schopf vor ihm. »Was kriecht denn da feige im Dreck?«, lachte er grimmig. »Steh auf, Spitzohr. Ich bin Ginsgar Ungewalt aus dem Clan der Nagelschmieds vom Stamm des Ersten, Borengar.« Er hielt ein zweiköpfiges Beil und einen Schild vor sich. »Du wirst denen folgen, die du in den Untergang geführt hast.«

Limasar erhob sich und zog sein Schwert. »Wie könnt ihr es wagen, uns anzugreifen?«

»Ihr seid entlarvt! Ihr alle, du und deine Fürstin, die unseren Großkönig heimtückisch ermordet hat.« Er schlug zu, und der Elb wich dem Beil aus. »Wir kennen eure Pläne. Eoil, ha! Wir haben sie vernichtet, und so halten wir es mit euch.«

Limasar stach nach dem Zwerg und traf seinen Schild. »Ihr? Die Zwerge wollen uns vernichten?«, lachte er ihn aus. »Nicht heute und nicht morgen und nicht am Ende der Welt!«

Ginsgar hackte nach seiner rechten Seite und schlug, als er sah, dass der Elb parierte, gleichzeitig mit der Schildkante nach dem Kopf. Sie traf und sandte Limasar trudelnd gegen einen Felsblock. »Du irrst dich, wie du siehst.« Er rammte die flache Seite des Schildes gegen die Faust, mit welcher der Elb sein Schwert hielt, presste sie gegen die Wand und brach ihm die Finger; die Waffe fiel klirrend auf den Boden.

Limasar schrie auf und zog mit seiner anderen Hand den Dolch. »Ihr könnt nicht gegen unsere Reinheit bestehen.«

Ginsgar drosch dem Elben das Beil in die Brust, ehe der Dolch ihn erreichte. Die schwere Klinge durchbrach die Panzerung und den darunter liegenden Brustkorb. Er sackte kraftlos am Stein zu Boden.

»Bringt mir einen Hammer!«, rief Ginsgar, setzte dem Elben einen Fuß gegen die Schulter und zog sein Beil mit einem Knirschen aus der Wunde. »Stirb noch nicht, Spitzohr. Mein Hammer möchte dein eingebildetes Gesicht zu gern küssen«, lachte er. »Er hat schon so lange darauf gewartet.«

Fünf Zwerge kamen angerannt, einer brachte Ginsgar die verlangte Waffe. An ihrer Kleidung haftete das Blut zahlloser Elben, und auch der Kopf des Hammers war Rot und voller feiner Haare.

»Sag mir deinen Namen«, verlangte Ginsgar von Limasar, der schwach den Kopf schüttelte. »Nun, dann behalte ihn für dich und nenne ihn deinen falschen Göttern, wenn du vor sie trittst.« Er schwang den Hammer und ließ ihn senkrecht von oben auf den Schädel des Verletzten krachen. Der Knochen konnte dem Eisen und der Kraft nicht widerstehen; er barst, und das Blut schoss aus den Ohren, den Augen, der Nase und dem Mund, ehe der Kopf zu einem unkenntlichen Ding zerdrückt wurde. »Das ist für Gandogar!«, sagte er zu dem verstümmelten Leichnam und spie auf ihn, dann schulterte er den Hammer und ging zu dem abgebrochenen Überhang.

Auf dem Stein hatten sich etliche Blutlachen gebildet, teils sickerte der Lebenssaft unter der Steinplatte hervor, teils rann er aus den Leichen der Erschlagenen und Erschossenen.

»Ein schöner Anblick«, lachte Ginsgar rau, und die Zwerge stimmten in seine grausame Heiterkeit ein. »War es nicht ein guter Gedanke, den Elben einen Besuch abzustatten und Gandogar unsere Art der Ehrerbietung zu beweisen?«

»Wie gut, dass du sie unterwegs bemerkt hast«, nickte Bilandal Lichthammer aus dem Clan der Hammerköpfe, der sich mit einem Fetzen Tuch das Gesicht vom Blut säuberte. Er glich Ginsgar, nur dass sein Bart braun und nicht rot war. Man hätte sie durchaus für Brüder halten können, wenn sie nicht aus verschiedenen Clans gestammt hätten.

Ginsgar erklomm den nächsten Stein, um sich eine bessere Übersicht zu verschaffen. Er und die fünfhundert Krieger seines Clans waren die Abordnung aus dem Roten Gebirge, die zur Verstärkung der Einheiten in Toboribor entsandt worden war. Die Nachricht vom Tod Gandogars hatte sie unterwegs erreicht. Sein Zwergengemüt entflammte in Zorn und Hass, und seinen Soldaten erging es nicht besser.

Der Anblick der toten Elben kühlte sein Blut noch längst nicht. Ihn verzehrte der Gedanke, dass es noch mehr von den Elben gab. »Was zählen schon diese paar Leichen? Älandur hockt voll mit ihnen«, murmelte er feindselig.

Bilandal hob den Kopf. »Ich teile deine Meinung. Man wird, wenn alles zu Ende war, wieder einen Grund finden, die Spitzohren für ihre Taten nicht so zu bestrafen, wie sie es verdient hätten.«

Ginsgar schaute zu seinem Freund, dann rief er: »Hört mich an, Kinder des Schmieds!« Sie drängten sich vor seinem Stein zusammen und blickten zu ihm auf. Keiner von ihnen zeigte Anzeichen der Reue. »Uns wurde der Großkönig genommen. Und wir kennen das Volk, das für seinen heimtückischen Tod verantwortlich ist. Wir haben gehört, dass die Elben so verblendet wurden wie diese Avatare und die Elbin, die sie anführte.« Er hob seinen Hammer und deutete nach Norden. »Erinnert euch an die Kriege, die unser Volk in den Tausenden Zyklen gegen die Elben führte. Wir wollten diese Kriege niemals und wurden stets von ihnen dazu gezwungen, entweder durch ihre grausigen Taten oder ihre boshaften Worte. Sogar die Albae sind ehrlicher als sie. Ich sage euch: Die Elben trachteten niemals nach Frieden mit uns. Ihr Mord an Gandogar hat ihre Falschheit ans Licht befördert. Wir gaben uns Mühe, eine Aussöhnung zu erreichen, Vraccas ist unser Zeuge, und so wurde es uns gelohnt.« Er schlug mit dem Hammer gegen den Stein. »Doch damit ist Schluss! Gehen wir nach Älandur und reißen die Wurzel des Übels aus, ehe in den Hainen eine weitere Frucht erwächst, die uns nur Kummer bringt?«

Und die Zwerge schrien in ihrem Siegestaumel und Blutrausch frenetische Zustimmung. Sie vergaßen ihren eigentlichen Auftrag.

»Lang lebe Ginsgar!«, rief Bilandal und reckte seinen Morgenstern. »Er soll uns nach Älandur führen! Lasst die einen von uns den Diamanten jagen, und wir sorgen dafür, dass es keinen mehr von den Spitzohren gibt, der seine Hand danach ausstrecken könnte!« Er marschierte vorneweg. »Auf nach Älandur! Rache für Gandogar!« Ginsgar wurde ein Schild als Podest hingehalten, und er betrat die kleine Plattform, die von seinen Kriegern getragen wurde. »Vraccas ist mit uns!«, versprach er ihnen. »Tod den Elben!« Er schwebte über ihnen, die breite Hand um den Griff des Kriegshammers geschlossen und den Schild in seiner Linken.

Wer den eindrucksvollen Zwerg mit dem roten Bart anblickte, erkannte in ihm den kommenden Großkönig eines neuen, unerbittlichen Zeitalters.


Загрузка...