Das Geborgene Land, Königreich Idoslän, in den Höhlen Toboribors, 6241. Sonnenzyklus, Spätsommer.


Der Tod stand vor ihm. Er wollte ihn schrecken, denn er hatte die Form einer Furcht erregenden Kreatur angenommen. Er war das Abbild des Albs, den sie auf der Insel gesehen hatten und der ihnen entkommen war. Stolz ragte er vor dem Liegenden auf, den schweren Panzerhandschuh um den Schaft eines schmalen Speers mit dünner Klinge geschlossen, der andere Arm hing locker am schlanken, teils gerüsteten, teils nackten Körper herab.

Die Schwärze in seinen Augenhöhlen ruhte auf dem Zwerg. »Du wirst nicht sterben, Tungdil Goldhand«, sagte der Tod freundlich zu ihm, beugte sich zu ihm herab. Die langen schwarzen Haare umrahmten das schmale, grausame und zugleich anziehende Gesicht. Er legte ihm die rechte Hand auf die Brust. »Ich brauche dich noch.« Die albischen Symbole auf der Rüstung auf seiner Waffe schimmerten grünlich, und ein warmes Gefühl durchströmte Tungdils Körper. Die Kälte wurde zurückgedrängt, sein Herz dankte es mit lautem, heftigem Pochen, und das Blut rauschte in seinen Ohren.

»Nagsor Inäste ist entkommen und hat den Diamanten, den ihr zu erlangen sucht, mit sich genommen«, offenbarte ihm der Tod mit klarer Stimme. »Er wird zur Insel zurückkehren, um den Tunnel zu erreichen, den Furgas geschaffen hat. Er stand kurz vor seiner Vollendung, bevor ihr den Magister getötet habt. Wenn Nagsor Inäste ihn erreicht und vollendet, kann er ins Jenseitige Land flüchten. Dann ist der Stein für immer verloren.« Der Tod richtete sich auf. »Nagsor Inäste wird mit einem Heer zurückkehren, wie es das Geborgene Land noch nicht gesehen hat. Weder ihr noch die fremden Orks könnten es aufhalten.«

Tungdil öffnete den Mund, war aber nicht in der Lage zu sprechen.

Der Tod wandte sich von ihm ab. »Halte ihn und seine schrecklichen Söhne auf, Tungdil Goldhand.« Er trat in den Schatten und verschwand darin.

Tungdil versuchte, den Kopf zu heben, doch eine Schmerzenswelle sandte ihn bewusstlos auf den Boden... »Einmal kam der Tod zu einem Zwerg und wollte ihn mit sich nehmen, doch der Zwerg stemmte sich fest mit den Stiefeln gegen den Fels, auf dem er stand, senkte widerspenstig die Stirn und sagte nein. Da ging der Tod wieder.«

Tungdil kannte die Weisheit aus dem Süden Sangreins, und er kannte auch die Stimme, die da sprach. Er versuchte die Augen zu öffnen, was ihm aber nur bei dem rechten gelang. Das Linke bestand aus reinem Schmerz und weigerte sich, ihm zu gehorchen.

»Seht Ihr? Seht Ihr das?«, jubelte eine zweite Stimme laut. »Oh, habe ich es nicht gesagt, dass Vraccas uns wenigstens einen Helden lässt, um das Geborgene Land vor dem Untergang zu bewahren? Ein Hoch auf Eure Kunst, Lot-Ionan.«

Heller Lichtschein drang zu Tungdil, er blinzelte und sah Rodario, Sirka und Lot-Ionan vor sich. »Wo bin ich?«, krächzte er und hob die Hand, um nach seinem linken Auge zu tasten.

Der Magus hielt sie fest. »Nein, Tungdil. Nicht.«

»Ein Pfeil«, sagte Rodario und zeigte ihm das Geschoss, an dem Blut haftete. »Wir haben ihn aus deinem Kopf gezogen. Lot-Ionan kam gerade noch rechtzeitig, um deinen Tod zu verhindern. Den Göttern gebührt Dank, dass sie dich leben ließen.«

»Aber dein Auge konnte ich nicht retten«, sagte Lot-Ionan bedauernd.

Schlagartig kehrte die Erinnerung zurück, und Tungdil richtete sich mit der Unterstützung seiner Freunde auf. Er bemerkte, dass er eine Binde quer über dem Gesicht trug, welche die linke Augenhöhle bedeckte. »Vorsichtig, vorsichtig«, warnte ihn Sirka. »Eben noch standest du mit einem Bein vor deinem Gott.« Er befand sich immer noch in der Höhle, in der sich nun geschätzt einhundert Zwerge aufhielten, die sich um die Verwundeten kümmerten. »Wie geht es Ingrimmsch und Goda?«, fragte er und stützte sich auf die Untergründige.

»Wir haben sie zum nächsten Lager schaffen lassen«, teilte ihm Rodario mit.

»Wie es ihnen geht, will ich wissen!«

»Sie leben. Godas Wunde ist nicht lebensgefährlich, aber unseren Freund mit dem heißen Blut hat es übler erwischt. Eure Heiler sagten, sie würden erst in einigen Umläufen sagen können, ob er es überstehen wird.« Rodario hatte seine Heiterkeit verloren. »Niemals hätte ich geglaubt, dass die Elben so etwas tun würden.« Tungdil ballte die Fäuste und nahm das getrocknete Blut auf seiner Haut und der Kleidung wahr. Es konnte nicht alles von ihm stammen. »Nicht die Elben«, verbesserte er, auch wenn es ihm sehr schwer fiel, den Unterschied zu machen. »Die Atär. Esdalän hat mit diesem Irrsinn nichts zu tun.« Er sah die Überreste der Albin. Sie war achtlos neben den Altar geworfen worden, ihr abgeschlagener Kopf lag zwei Schritte neben ihr, das Gesicht wurde von den langen Haaren bedeckt.

Sirka hatte seinen Blick bemerkt. »Das Werk der Elben, bevor sie Bekanntschaft mit dem zweiten Unauslöschlichen machten.« Sie deutete nach links, wo die Leichen der Elben in ihrem Blut lagen. Unter den Toten, die durch glatte, mörderische Schnitte gestorben waren, befand sich auch Rejalin. Die Macht des Diamanten hatte sie nicht gerettet.

»Wir haben die Höhleneingänge sperren lassen, aber...«

Tungdil winkte ab. »Es ist sinnlos. Er und seine verbliebenen Kinder sind auf dem Weg nach Weyurn.« »Die Quelle? Was sollte er bei der magischen Quelle, wo er doch den Diamanten besitzt?«, wunderte sich Rodario. »Andererseits, wenn er vor uns davonläuft, fehlt ihm wohl der richtige Zauber, um an diese Energie zu gelangen.«

Tungdil vermisste seine Feuerklinge; suchend blickte er sich um und fand sie nirgends. Auch auf seine Nachfrage hin wusste keiner zu sagen, wo die Axt abgeblieben war. Daraus schloss er, dass der Unauslöschliche sie mitgenommen hatte, denn der Tod war mit leeren Händen gegangen. Nun gab es mindestens zwei Gründe, den Unauslöschlichen zu verfolgen.

»Ich weiß, weswegen. Für... die Dritten haben einen Tunnel begonnen, der ins Jenseitige Land führen sollte«, berichtete er. Den Namen des Magisters verschluckte er, weil er Bandilors Behauptungen nach wie vor nicht glaubte. Furgas konnte einfach nicht hinter dem Plan stecken. »Sie wollten heimlich einen Durchgang schaffen, durch den Tions Horden unbemerkt einfallen könnten. Er stand kurz vor seiner Fertigstellung.« Die anderen starrten ihn an; in ihren Blicken standen Verwunderung und ein unausgesprochener Vorwurf, jetzt erst davon zu hören.

»Bandilor hat es mir während des Kampfes erzählt«, erklärte er. »Ich hielt den Tunnel für nicht so wichtig, der Diamant hatte Vorrang.«

»Und woher weißt du, dass der Unauslöschliche ausgerechnet dorthin möchte?« Rodario rieb sich über das Kinnbärtchen. »Ich bin kein Stänkerer, sondern ein äußerst Verwunderter. Haben sie es dir gesagt, bevor sie gegangen sind?«

»Ja«, log er. »Der Unauslöschliche verriet es mir, weil er dachte, ich würde meine Verletzungen nicht überleben. Ich sollte in Verzweiflung sterben.« Er schaute sie entschlossen an. »Sie sind auf dem Weg dorthin. Wir müssen ihnen nach, ehe die Elben davon erfahren und sich an der Jagd beteiligen.« Er bewegte die Finger, und das getrocknete Elbenblut blätterte ab. Am liebsten wäre er auf der Stelle in einen Bottich mit heißem Wasser gestiegen, um sich den Schmutz abzuwaschen.

»Sie haben andere Sorgen.« Lot-Ionan winkte einen Wagen zu sich, vor den zwei Ponys gespannt worden waren. In den gesicherten Gängen kamen sie zum Einsatz, um ihnen lange Wanderungen zu ersparen. So benötigten sie bis zur Oberfläche höchstens einen halben Umlauf. »Uns erreichte die Nachricht, dass zwei Abordnungen der Elben, die Rejalin vor ihrem Tod nach Toboribor befahl, auf ihrem Weg angegriffen und vernichtet wurden.« »Die Ubariu?«

»Nein. Dein Volk«, sagte Rodario vorwurfslos. »Ein gewisser Ginsgar Ungewalt vom Stamm der Ersten hat sich dazu berufen gefühlt, den Tod des Großkönigs rächen zu müssen. Er zieht mit einem Heer gegen Älandur. Und angeblich laufen ihm die Freiwilligen aus den Zwergenreichen in Scharen zu. Die Atär ernten den Sturm, den sie gesät haben.«

Sie nahmen auf dem Karren Platz, und ihre Fahrt nach oben begann.

»Ich möchte nicht unken, Tungdil, aber wenn ihr nicht sehr aufpasst und diesem Ginsgar gelingen sollte, was er beabsichtigt, habt ihr einen neuen Großkönig, ohne dass die geschätzte Xamtys und ihre anderen herrschaftlichen Würdenträgerfreunde zu einer Wahl zusammenkommen müssen.« Rodario wartete auf eine Antwort. Lot-Ionan nickte. »Ich bin zu dem gleichen Gedanken gekommen. Und es ist nicht gut, wenn die Zwerge von einem Großkönig geführt werden, dessen Sinn nach Krieg steht. Wer weiß, vielleicht wendet er sich gegen die Freien, von denen du mir berichtet hast? Oder gegen die Dritten?«

Das war Tungdil alles zu viel. Sein Auge - oder was immer davon übrig geblieben war - schmerzte, sein bester Freund rang mit dem Tod, er hatte den Diamanten und die Axt verloren. Und dann auch noch der offene Krieg gegen Älandur...

»Gebt Ruhe«, verlangte Sirka, die seine Miene richtig gedeutet hatte. »Haltet euch etwas zurück und lasst ihn schlafen.« Sie bot ihm ihren Schoß als Kissen an.

Müde bettete er sein Haupt hinein und wünschte sich, dass bei seinem Aufwachen alles so wäre wie früher. Ganz früher, als er nichts anderes als ein Schmied in den Diensten des Magus gewesen war.

Aber Vraccas tat Tungdil den Gefallen nicht, das Rad der Zeit zurückzudrehen und ihm ein anderes, sorgenfreieres Schicksal zuzugestehen.

Er erwachte im Freien, es war später Nachmittag, und die Sonne brannte heiß vom Himmel. Das Gestirn ahnte, dass sich der Herbst näherte, und spendete noch einmal Wärme, als gäbe es sie morgen nicht mehr. Tungdil fühlte sich etwas ausgeruhter und besuchte Ingrimmsch an seinem Krankenbett. Goda saß neben ihrem Meister, die Augen waren gerötet, die Nägel hatten Spuren in den Handballen hinterlassen. Tungdil sah sie an und verstand. Weiterer Beweise für die tiefe Sorge um Boindil und dafür, dass sie mehr für ihn empfand, bedurfte es nicht.

Der Anblick des verwundeten Freundes brachte die Erinnerung an den schrecklichen Tod seines Zwillingsbruders Boendal wieder. »Vraccas, zeige Großmut mit deinen Helden«, bat er leise und legte der Dritten die Hand auf den Rücken. »Goda, verzeih mir meine harschen Worte und mein Misstrauen dir gegenüber. Ich habe keinerlei Zweifel mehr an deiner Aufrichtigkeit.« Sie hob den Kopf, schaute Tungdil an und brach in Tränen aus. »Ich fürchte um sein Leben«, weinte sie. »Ist es nicht verrückt? Ich kam einst mit der Absicht, ihn zu töten. Zu Ehren von Sanda.« Sie schluchzte, ihre geheim gehaltenen Gefühle überwältigten sie und erlaubten ihr kein Versteckspiel mehr. »Jetzt ist er dem Tode nahe, den ich ihm früher so gewünscht habe. Und das ist das Schrecklichste, was ich mir vorstellen kann.« Schüchtern berührte sie Ingrimmschs Hand und senkte den Kopf.

Schnell wischte sich Tungdil eine verstohlene Träne von der Wange. »Vraccas wird ihn nicht zu sich holen.« Seine Hand wanderte auf ihre Schulter, drückte sie. »Ich habe vorhin den leibhaftigen Tod in der Höhle gesehen. Wir sprachen miteinander, und er sagte mir nichts davon, dass er Ingrimmsch besuchen wolle.« Sie lächelte matt. »Danke, dass du deine Zuversicht mit mir teilst. Du bist nicht überrascht von dem, was ich dir eben sagte?«

»Nein. Balyndis hat mir von eurer Unterhaltung erzählt. Ich habe niemals angenommen, dass du einen von uns heimtückisch ermorden würdest.« Er wandte sich zum Ausgang. »Ich fürchtete nur um die Geheimnisse. Zu Unrecht, wie ich ein für alle Mal erkannt habe.« Er deutete auf den Zwerg. »Wenn er erwacht, werden Sirka, Rodario, Lot-Ionan und ich fort sein. Du bleibst bei ihm. Achte darauf, dass er das Bett hütet, und sage ihm, dass ich ihn brauche, wenn ich ins Jenseitige Land ziehe.« Er sah ihr erschrockenes Gesicht und lächelte beruhigend. »Nur als Eskorte und Wegbegleiter. Ich möchte ihn dir nicht auf ewig wegnehmen. Eine letzte Reise, dann ist es genug. Er hat es mehr als alle anderen verdient, eine Gefährtin zu finden.« Rasch ging er hinaus. Goda legte die Stirn gegen Ingrimmschs Handrücken, schloss die Augen und betete inbrünstig zu Vraccas, wie sie es vorher nur einmal getan hatte: als sie um den Tod des Mörders von Sanda Feuermut gefleht hatte.

»Was verlangst du von mir, Vraccas, damit dein Held Boindil überlebt?«, raunte sie unglücklich. »Ich will seinen Untergang nicht mehr, hörst du, Schöpfer aller Zwerge? Gewähre ihm sein Leben und nimm mir meines.« »Das wird Vraccas sein lassen«, ächzte Ingrimmsch leise und drückte ihre Hand. »Behalte dein Leben.« Goda riss die Augen auf und stieß einen unterdrückten Freudenschrei aus. »Meister!«, flüsterte sie überglücklich, und im nächsten Augenblick fragte sie sich, wie lange er wohl schon bei Bewusstsein war. Sie errötete, versuchte, ihre Hände von seiner zu lösen, aber er gab ihre Finger nicht frei.

»Du wolltest mich tatsächlich töten?«, fragte er sie; die Schwäche zwang ihn, langsam und gedämpft zu sprechen. Goda schluchzte. »Nein, nicht weinen... Ich verstehe, weswegen du mir nach dem Leben getrachtet hast. Und glaube mir, es gab Zeiten, in denen ich ernsthaft daran dachte, mir mein Ende selbst zu bereiten.« Er schluckte. »Vraccas weiß, wie viele Nächte ich mir Vorwürfe wegen Sandas Tod machte. Ich habe eine großartige Zwergin getötet. Wie schon einmal.« Ingrimmsch überwand sich, die alte, schmerzende Begebenheit zu erzählen. Er wollte keine Geheimnisse vor ihr haben. »Sie hieß Smeralda, war ein wenig jünger als du. Wir mochten uns sehr, aber unsere Liebe endete jäh. Ich erschlug sie in meinem Kampfwahn während eines Gefechts an der Hohen Pforte.« Nun rannen die Tränen aus seinen Augen. »Ich hielt sie in meinem Wüten für ein Ungeheuer...« Er brach ab, sammelte sich und fand erst nach einer Pause seine Stimme wieder. »Seitdem glaubte ich nicht mehr daran, eine Zwergin zu finden. Eine Gefährtin zu finden. Bis du kamst.« Er seufzte. »Ich weiß, dass wir nicht beinander sein können, Goda. Meine Schuld wiegt zu schwer.«

Goda stand auf und setzte sich auf das Bett. »Ich sehe die Qualen in deinen Augen, Meister. Und sie stammen nicht von den Wunden, sondern dem Leiden deiner Seele. Ein aufrichtigeres Bedauern wird es im gesamten Geborgenen Land nicht geben.« Sie hatte seine Hand nicht losgelassen. »Ich wollte dich nicht lieben, auch wenn du dich in meine Gedanken stahlst. Mit jedem Fluch über all die Übungen, die du mir auferlegtest, mochte ich dich mehr und wollte es mir nicht eingestehen. Ich verbot es mir selbst, den Zwerg zu lieben, der Sanda tötete. Ich tarnte mich mit Schroffheit und Ablehnung. Bis zu diesem Umlauf, an dem ich dachte, ich hätte dich verloren.« Ihre Schultern bebten. »Als ich dich von den Pfeilen durchbohrt niedersinken sah, hätte alles in mir jubeln müssen.« Sie blickte ihm fest in die Augen. »Das Gegenteil war der Fall. Ich wünschte mir, ich stünde an deiner Stelle.« Ingrimmschs Kehle zog sich vor Rührung zusammen.

»Auch wenn die Seele meiner Urgroßmuhme in Vraccas' Ewiger Schmiede toben wird, ich kann nicht anders«, sagte sie leise, doch bestimmt. »Ich möchte von ganzem Herzen mehr als deine Schülerin sein, Boindil Zweiklinge aus dem Clan der Axtschwinger vom Stamm der Zweiten.« Ihr Blick war bei diesem Geständnis feierlich und aufrichtig. »Wenn ich dich durch meine bittere Art der vergangenen Umläufe nicht zu sehr verprellt habe, wäre ich glücklich, lange an deiner Seite sein zu dürfen. Es ist mir dabei gleich, ob wir in einen Kampf ziehen oder ein Zuhause teilen.«

»Ich auch«, krächzte er heiser. »Ich wäre auch sehr glücklich«, wiederholte er deutlicher, während ein Gefühl der Hochstimmung durch seinen Körper jagte, das ihn alle Schmerzen vergessen machte. Er sah Godas hübsches Gesicht vor sich und wie ihr dünner blonder Flaum im Licht der Kerzen matt aufleuchtete, während aus ihren braunen Augen unverhohlene Liebe sprach. Er wagte es kaum, an das zu glauben, was geschehen war. Noch bestand die Gefahr, dass er einem Fiebertraum erlegen war. Wenn es so war, hoffte er, dass er dieses Fieber lange in seinem Körper behielt.

Goda hob seine Hand an ihren Mund und küsste sie zärtlich. »So sei es, Boindil. Aber versprich mir eines: Lass uns den Zweikampf austragen, wie ich es am Ende meiner Lehrzeit von dir verlangt habe.« Er sah sie erstaunt an. »Wieso...«

»Ich bitte dich darum«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich habe es Sanda geschworen. Wenigstens diesen Eid möchte ich nicht brechen, wenn ich schon mein eigenes Wort aufgebe und dir meine Gefühle gestehe.« Ingrimmsch nickte, und sie atmete erleichtert auf. »Dann lasse ich dich nun schlafen.« Sie machte Anstalten, sich von seinem Lager zu erheben.

Er hielt sie hastig fest. »Bleib«, bat er. »Bleib, bitte.« Ingrimmsch streichelte ihre Wange.

Goda setzte sich, hielt seine Hand, bis der Zwerg eingeschlafen war.

Sie lächelte, während ihr eine Träne der Verzweiflung aus dem Auge rann. Sie hatte soeben ihre Urgroßmuhme verraten und fühlte sich dennoch unendlich glücklich. So unendlich glücklich wie noch nie. Sirka wartete vor dem Zelt auf Tungdil. »Hast du noch Kraft für ein weiteres Treffen?«

Er nickte, und sie führte ihn in Prinz Mallens Zelt, wo der blonde Ido vor der Karte des Geborgenen Landes stand. Am Tisch saßen die Königinnen und Könige der Menschenreiche; weder Zwerge noch Elben befanden sich unter ihnen.

Mallen kam auf die beiden zu und verneigte sich vor Tungdil. »Mehr kann ich nicht tun, um dir meine Anerkennung und meinen großen Respekt zu zeigen«, sagte er. Alle anderen Männer und Frauen erhoben sich von ihren Sitzen und taten das Gleiche. Bei Isika, Ortger und Wey war es zugleich eine Entschuldigung für ihre früheren Reden. Das schlechte Gewissen nagte noch immer an ihnen.

Tungdil vernahm die Kunde über die weiteren Züge der Zwerge unter der Führung von Ginsgar Ungewalt. Es war ihm erstaunlich gleichgültig. »Ich habe keine Zeit, mich mit Älandur zu beschäftigen. Das Wichtigste ist der Diamant, der nicht in den Händen des Albs bleiben darf.« Er berichtete von seinem angeblichen Gespräch mit dem Unauslöschlichen. »Ich bin mir sicher, dass er mich nicht getäuscht hat. Er hat mit den Dritten einen Pakt geschlossen, und vermutlich weiß er sehr genau, was auf der anderen Seite des Tunnels wartet. Als ich gegen den Dritten kämpfte, deutete Bandilor an, dass sie schon lange Kontakt zu den Scheusalen auf der anderen Seite aufgenommen hätten. Im schlimmsten Fall steht dort bereits ein Heer und wartet nur darauf, dass sich der Tunnel ins Geborgene Land öffnet.« Tungdil deutete auf die Karte und auf Älandur. »Ich heiße das Tun von Ginsgar Ungewalt nicht gut. Aber verdenken kann ich es ihm nicht. Er handelt wie ein Zwerg, der eben keinen Unterschied zwischen Elben und Atär macht.«

Mallen schaute den Zwerg an. »Ich sende Ginsgar einen Boten, der Eure Missbilligung ausdrückt, Tungdil Goldhand. Hoffentlich greift Xamtys bald ein, um ihren aufrührerischen Krieger zurückzurufen, denn ich kann nichts unternehmen.«

Bruron machte ein bedauerndes Gesicht. »Mir ergeht es nicht anders. Meine besten Soldaten befinden sich in Toboribor. Ich vermag Ginsgar nicht aufzuhalten.«

»Es ist schade um die wenigen Elben, die nicht von der Verblendung durch die Atär betroffen sind und durch die Äxte Ginsgars fallen, aber es ist nicht zu ändern.« Tungdil biss sich auf die Lippen. »Haltet mich nicht für einen kalten Stein, aber Ihr wisst, was auf dem Spiel steht.«

Flagur betrat in voller Rüstung das Zelt. »Ich habe erfahren, was geschehen ist.« Er sah alles andere als zufrieden aus, seine hellroten Augen drückten seine Aufgebrachtheit aus. »Von nun an erlaubt uns, Euch zu unterstützen. Wir bringen Euch nach Westen. Unsere Reittiere sind allen Pferden des Geborgenen Landes überlegen. Das lässt uns die Insel vor dem Alb erreichen. Sofern er nicht zu fliegen vermag.«

»Nein, das kann er nicht«, sagte Lot-Ionan.

»Noch nicht«, fügte Rodario hinzu. »Solange er nicht an die Magie des Diamanten gelangt oder zufällig die magische Quelle findet.«

»Gewährt mir noch eine Nacht in einem Bett«, bat Tungdil. »Morgen früh brechen wir auf.« »Wie viele Männer benötigen wir?«, erkundigte sich Flagur.

»Was denkt Ihr, wie viele Ihr braucht, um ein Wesen zu vernichten, das dreißig Elben und schätzungsweise dreihundert Orks allein besiegt hat?« Tungdil hätte zu gern gewusst, was sich in der Höhle abgespielt hatte. Und was der Diamant bei der schlafenden Unauslöschlichen sollte.

Flagur blickte zur Zeltdecke. »Es gibt diese Wesen auch bei uns, allerdings lange nicht so gefährlich wie dieses Exemplar. Es ist besser, wenn wir unseren Runenmeister mitnehmen und ein Dutzend unserer besten Krieger«, entschied er.

»Ein Dutzend?«, machte Rodario. »Ihr überschätzt Euch doch hoffentlich nicht? Es fehlen uns noch drei der Scheusale auf der Liste, und die werden ihn sicherlich begleiten.«

Flagur lächelte nur, und allein dieses Lächeln sagte mehr als jede wortreiche Beteuerung.

Isika verfolgte Tungdils Gedanken und sprach sie laut aus. »Ihr habt vorhin geschildert, dass der Stein auf der Brust der Albin lag und sie den Eindruck machte, wie tot zu sein.« Sie richtete ihren Blick auf den Magus. »Wisst Ihr, was das zu bedeuten hat, ehrenwerter Lot-Ionan?«

»Ich kann es auch nur vermuten.« Er überlegte. »Den Unauslöschlichen gelang es, sich mit Magie kurz vor dem Aufgehen des Sterns der Prüfung aus Porista nach Toboribor zu bringen. Ich nehme an, dass dieser Spruch entweder nicht so verlief, wie es sich die beiden erhofft hatten, oder aber er verlangte einen hohen körperlichen Tribut, der zumindest die Albin überforderte. Ich habe von Magi gelesen, die nach einer misslungenen Formel in eine Art Starre verfielen und erst durch gewaltige Anstrengungen wieder ins Leben zurückkehrten. In diesem Fall durch die Macht des Diamanten.«

»Das erklärt ihren Zustand. Aber wäre sie in der Lage, in dieser Stasis Leben zu gebähren?« Isika schaute in die Runde. »Ich meine, irgendwoher müssen diese Bestien gekommen sein, auch wenn sie erst durch das Bad in der magischen Quelle zu gewaltigen Monstren wurden.«

»Und wenn der Unauslöschliche auch in dieser Starre gefangen lag und sich aus eigenen Kräften befreite?«, schlug Rodario vor. Seine Augen fingen an zu leuchten. »Ich stelle es mir vor, wie die beiden in den Höhlen gefunden werden und die Orks, die in den Tiefen überlebten, über die Albin herfallen und sie zum Opfer ihrer tierhaften Begierde machen. Immer wieder schänden sie den Leib der Schönen, der sie verfallen sind. Als der Alb endlich aus der Lähmung erwacht, tötet er die Bestien, verbündet sich mit den Dritten und sendet die Bastarde hinaus in das Geborgene Land, damit sie seinem Willen dienen.« Er schluckte, sein Blick ging in die Ferne, ohne ein Ziel zu erfassen. Es war der Blick des Schauspielers, der bereits die nächste Aufführung plante. »Und dann, um eigenes, reines Fleisch und Blut zu erhalten, nimmt er die Albin und zeugt mit ihr den Alb, den wir auf der Insel sahen. Ein Kind von Bruder und Schwester, reiner als jeder andere Alb und von allerhöchstem Stand. Oh, welch ein Drama.«

Mallen lächelte nachsichtig. »Mit Euch geht wohl die Phantasie des Schauspielers durch, Rodario.« »Nehmt es als eine Variante einer möglichen Wahrheit, denn die wahre Begebenheit werdet Ihr niemals erfahren. Ich denke nicht, dass der Unauslöschliche Euch Rede und Antwort stehen wird.« Rodario verneigte sich. »Mir gefällt diese Geschichte ausnehmend gut.«

»Jedenfalls passt sie zu den Albae«, meinte Tungdil müde. »Ich begebe mich nun zur Ruhe, wenn es recht ist. Betet in der Nacht für uns.«

Der Eingang flog auf, ein Zwerg erschien und verneigte sich vor der Runde. Er trug viel Staub auf seiner Rüstung, roch nach Schweiß, Pferd und Dreck, das Gesicht war von der Sonne verbrannt. »Helft den Vierten, wenn euch das Geborgene Land lieb ist«, keuchte er und reichte Mallen eine Ledertasche. »Ich bin Feldolin Schleifenstein aus dem Clan der Thystfinder vom Stamm der Vierten. Eine Nachricht aus dem Braunen Gebirge. Wir werden von unglaublichen Wesen belagert!«

»Sind sie so groß wie zwei Zwerge, tragen Rüstungen, und ihre Augen leuchten violett?«, fragte Sirka zu ihrer aller Überraschung. »Ihre Stimme ist wie pfeifender Wind und das Grollen von Donner zugleich?« »Bei den Göttern, Ihr beschreibt Djerün!«, entfuhr es Rodario. »Das klingt nach dem Leibwächter Andökais, diesem Gebirge aus Stahl und der Kraft von unzähligen Männern.«

Mallen öffnete die Mappe und nahm eine schriftliche Schilderung der Ereignisse am Hohlweg hervor sowie eine Skizze der Wesen, welche die Silberfeste belagerten. »Noch mehr Freunde, die aussehen wie Feinde?«, merkte er an.

»Es sind die Acronta«, erwiderte Flagur. »Wir haben sie gebeten, die Zwerge zu beschäftigen, damit wir mit unserem Heer unbemerkt über den Pass gelangen. Wir wollten nicht in einen Kampf verwickelt werden, weil wir die Zwerge sonst hätten besiegen müssen. Dabei sind auch sie Geschöpfe von Ubar.« Er grinste den Boten an, der den Ubari jetzt erst bemerkte und erschrak. »Sie werden euch nichts tun.«

»Die Acronta«, wiederholte Tungdil. »Wie viele gibt es von ihnen?«

»Wir wissen es nicht. Aber ihr Heer, das uns gegen größere Ausgeburten des Bösen beisteht, umfasst etwa dreitausend Klingen.«

»Ihr Götter«, murmelte Rodario. »Dreitausend von diesen Geschöpfen? Und was für Wesen leben bei Euch im Jenseitigen Land, dass Ihr so viele Acronta benötigt, um sie niederzuwerfen?«

»Ich habe niemals gesagt, dass es einfach ist, in Letefora zu leben.« Flagur spannte die Muskeln an, und jeder Ork wäre vor Neid erblasst. »Aber das ist nichts gegen die Wesen, die aus der Schwarzen Schlucht steigen werden. Um sie abzuwehren, bedarf es Tausender Acronta.«

Tungdil nickte dem Boten zu. »Du hast gehört, was wichtig ist. Bring die erleichternde Botschaft zu den Vierten und deinem...« Er hatte König sagen wollen, als ihm einfiel, dass der König der Vierten Gandogar gewesen war. Sein Leichnam befand sich auf dem Weg ins Braune Gebirge, um bei den anderen toten Herrschern der Vierten seine letzte Ruhe zu finden. Die Seele befand sich bereits in der Ewigen Schmiede und würde ihnen von dort aus zuschauen.

»Der Thron ist nicht verwaist«, sagte Feldolin. »Ihr Name ist Bylanta Schmalfinger aus dem Clan der Silberbärte. Sie ist die Schwester von Gandogar und führte die Geschäfte des Reiches, während er in seinem Amt als Großkönig umherreiste. Sobald sich die Dinge im Geborgenen Land und an unserer Grenze beruhigt haben, wird Gandogar gebührend betrauert und ihre Regentschaft würdig gefeiert.«

Tungdil schritt an ihm vorbei. »Überbringt ihr meine aufrichtigsten Wünsche und den Segen von Vraccas.« Er hob die Hand zum Gruß. »Ich verabschiede mich nun wirklich.«

Er und Sirka verließen das Zelt und schritten durch das Lager des Menschenheeres dorthin, wo immer noch die Zelte der Zwerge standen.

Die hellen Flecke auf dem Gras verrieten, dass einige der Krieger ihre Lager abgebaut hatten und aufgebrochen waren. Vermutlich schlössen sie sich Ginsgar Ungewalt an.

»Du wirst mich in die Schwarze Schlucht begleiten?« Sirka betrachtete den Zwerg von der Seite, während sie ihre Unterkunft betraten.

»Ja. Es ist meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass der Diamant dorthin gelangt, wo er dem Geborgenen Land den meisten Nutzen bringt. Und das ist nicht hier.« Er legte sich vorsichtig auf das karge Feldbett. Sein Kopf schmerzte, die linke Augenhöhle klopfte und pochte grauenvoll und lähmte sein Denken. Er nahm ihre Hand. »Sirka, ich bin der unbeständigste Zwerg, den das Geborgene Land jemals gesehen hat«, gestand er ihr. »Ich spüre große Zuneigung für dich, aber...« Er schwieg und streichelte über ihren kahlen Kopf; die braune Haut bekam durch die Lampen einen goldenen Schimmer.

»Mehr verlange ich nicht von dir, Tungdil«, sagte sie.

»Ich werde dir keine ewige Treue schwören, nicht bis ans Ende meiner Tage.« Er seufzte, »Ich tat diese Lüge einmal Balyndis an, weil ich dachte, dass meine Gefühle niemals ins Schwanken gerieten.« Er klopfte gegen seine Brust. »Diese verfluchte Unruhe steckt in mir! Sie treibt mich davon, und es könnte dir genauso ergehen. Ich werde keiner Frau mehr den Ehernen Bund versprechen.«

»Diese Unruhe ist der Grund, weswegen es deine Heimat überhaupt noch gibt. Ohne Wesen wie dich bliebe die Entwicklung stehen, weil keiner wagte, Neues zu tun, aufzubrechen, alles hinter sich zu lassen. Es ist gut, so wie es ist.« Sie schaute ihn an. »Stimmt es, dass ihr ewig lebt?«

»Was? Nein, wir werden nur sehr alt, Sirka. Ich bin mit meinen siebzig Zyklen noch ein junger Zwerg. Die ältesten von uns können bis zu sechshundert Zyklen sehen, heißt es.« Er erkannte an ihrem Gesicht, dass sie erschrak. »Was ist?«

»Das ist ein Unterschied zu uns«, sagte sie leise. »Wir erreichen höchstens sechzig Sternenzüge. Die meisten von uns vergehen mit fünfzig.«

»Fünfzig?« Die Kunde überraschte ihn. »Wie alt bis du, Sirka?«

»Ich bin einundzwanzig. Meine Nachkommen sind sieben, fünf und drei...«

»Deine Nachkommen.« Er sagte das sachlich und nüchtern. »Und wo sind sie nun?«

»Ich hatte dir gesagt, dass wir uns lieben und uns wieder verlassen, wenn es vorbei ist. Wir zwingen niemanden, an der Seite des anderen zu verharren, wenn die Gefühle kalt und erloschen sind. Wir sind ein leidenschaftliches Volk.« Sie gab ihm einen Kuss. »Meine Kinder leben in Letefora. Sie werden von der Gemeinschaft erzogen, und ich besuche sie regelmäßig.«

»Wissen sie überhaupt, wer du bist?«

»Sie nennen mich ihre Mutter, aber das ist weniger von Bedeutung. Es sind die Kinder aller, jeder kümmert sich um den Nachwuchs der anderen, als wäre es der eigene.« Sie streichelte seine Brust. »Ruh dich aus. Deine Energie ist bewundernswert.« Sie rührte ein helles Pulver in eine Schale Wasser und reichte es ihm. »Trink das. Es wird deine Schmerzen lindern.«

Er tat, wie ihm geheißen, und nicht lange danach wurde das Klopfen in seiner Augenhöhle weniger und erlaubte ihm einzuschlafen.

Zum ersten Mal seit langer Zeit suchten ihn keine Albträume mehr heim.

Er sah das Jenseitige Land vor sich, wie es ihm seine Vorstellungskraft vorgaukelte, voller Schönheit und neuen Wesen und neuen Dingen. Sirka diente ihm als Führerin in diese neue Welt, die ihn lockte und reizte. Auch wenn er vieles erst verstehen würde, wenn er es mit eigenem Auge sah.

Die Herde Befüns, die Reittiere, von denen die Ubariu gesprochen hatten, schien geradezu monströs. Sie sahen aus wie übergroße Orks, die auf vier anstatt auf zwei Beinen liefen, und hatten einen kurzen Stummelschwanz. Der Leib war muskulös und breit wie ein Pferd, der Kopf flach und mit einer platten Schnauze versehen, aus der unzählige Zähne hervorstanden. Sie besaßen wirklich Hände mit drei Fingern, die von einer dicken Hornschicht überzogen waren und mit denen sie große Dinge greifen konnten.

Tungdil wunderte sich über die Form des Sattels, denn er besaß eine Rückenlehne, die hoch gezogen und ähnlich wie ein kleiner Baldachin gebogen war. Er fragte Sirka nach dem Grund für diese Konstruktion, während er die Zügel in die Hand gedrückt bekam. Nach Steigbügeln suchte er vergebens.

»Sie richten sich in einem Kampf auf und helfen dem Reiter mit ihren Klauen. Damit es uns nicht auf den Boden wirft«, sie wackelte an der Rückenlehne, »haben wir sie verlängert. Du gleitest wie von selbst in die richtige Lage.«

Rodario machte sich mit seinem Befün vertraut. »Es stinkt, oder?« Er roch an der hellgrauen Haut. »Ich finde, es stinkt sogar sehr.«

»Es kommt von ihren Drüsen. Sie scheiden eine Substanz ab, die ihre Haut zäher werden lässt. Eine Pfeilspitze kann sie nicht verletzen, und selbst ein Schwerthieb eines unserer Krieger richtet kaum etwas gegen sie aus.« Sirka deutete auf eine Stelle auf dem Kopf, die feucht glitzerte. »Daraus entweicht von Zeit zu Zeit Flüssigkeit. Nicht anfassen, wenn Euch Euer Leben lieb ist.« »Ist es Säure?«

»Nein. Es ist ihr Paarungssekret. Wenn Ihr nicht von einem anderen Befün zum Liebesspiel erkoren werden möchtet, gebe ich Euch den Rat, die Finger davon zu lassen.«

»Oha.« Rodario rutschte auf seinem Sattel ganz nach hinten. »Ich bin ja durchaus ein Freund des Liebesspiels, aber nicht unbedingt mit dieser hinreißenden Gattung. Ich würde es vermutlich nicht überleben?« »Nein. Würdet Ihr nicht.« Sirka schwang sich in den Sattel und winkte nach hinten, um die restlichen Soldaten ihrer Truppe zusammenzurufen. Sie rief etwas in einer unbekannten Sprache, die so elegant klang, dass es an Elbisch erinnerte.

Flagur ritt an ihre Seite, sofern man die Bewegungen der Befüns reiten nennen konnte. Es war mehr ein rhythmisches Hopsen, das den Reiter im Sattel und vor allem dessen Rücken und den Magen arg belastete. Dafür bewegten sie sich sehr schnell und wendig. Zusammen mit einem gepanzerten, bewaffneten Ubariu auf dem Rücken war es kein Gegner, den Tundil gegen sich gerichtet haben wollte. »Wir brechen auf«, gab er bekannt. »Wir werden, wenn die Entfernung stimmt, die mir gesagt wurde, in fünf Sternenzügen dort sein.« »Das ist sehr schnell«, sagte Tungdil »Das wären am Tag mehr als zweihundert Meilen!«

Flagur grinste. »Ich vergesse ständig, dass die Dinge im Geborgenen Land sich etwas anders verhalten als bei uns. Die Befüns laufen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, mehr Ruhe zum Schlafen und Fressen benötigen sie nicht. Sie sind ideal für die Bedingungen bei uns zu Hause.« Er schnalzte mit der Zunge und gab ein seltsames Geräusch von sich, und der Befün trabte los.

»Das ist unglaublich! Ich kann es kaum erwarten, den Diamanten in deine Heimat zu begleiten«, sagte Tungdil zu Sirka.

»Und ich kann es kaum erwarten, sie dir zu zeigen.« Sie berührte ihn sanft an der Hand und folgte Flagur nach. Ihr Tross machte sich auf die schnelle und sehr ungewöhnliche Reise, die sie durch den trockenen Norden Sangreins, durch die Ausläufer der Wälder von Ran Ribastur bis nach Weyurn führen würde, um die eintausend Meilen weit. Am ersten Umlauf ihrer Reise ging es durch Idoslän. Der kürzere Weg hätte wohl durch Sangreins heißes Wüstenherz geführt, aber dieses Wagnis wollte Tungdil nicht eingehen: Sandstürme und Trockenheit könnten tödlicher als jeder Alb sein.

Lot-Ionan hatte die größten Schwierigkeiten, sich an das Tier zu gewöhnen. »Ich war sicherlich einst ein guter Reiter und saß sicher in jedem Sattel«, klagte er gegen Mittag Tungdil sein Leid. »Doch diese Befün sind eine schwierige Herausforderung.« Wie alle bewegte er sich in unregelmäßigen Abständen vor und zurück, hin und her; seinen Bart hatte er vorsichtshalber unter den Tragegurt seines Rucksackes geklemmt, damit er ihm nicht ins Gesicht wehte.

Tungdil spürte ebenfalls all seine Knochen im Leib, mehrmals biss er sich auf die Zunge oder die Wange. Nein, wenn man die Tiere nicht gewohnt war, erwies sich der Ritt auf ihnen als äußerst unbequem. Sirka, Flagur und die restliche Truppe beherrschten das Kunststück, dabei auch noch gut auszusehen und Eindruck bei den Menschen zu schinden, an denen sie bei ihrer Reise vorbeikamen.

Ihr ungewöhnlicher Anblick verbreitete nicht nur Befremdung, sondern handfeste Angst und den Wunsch nach Verteidigung. Orks kannte man nur zu gut aus den alten Geschichten, und diese hier sahen noch gefährlicher aus als die alten. Nur das Siegel sowie die Banner von Mallen und Bruron verhinderten, dass sie von aufgeregten Soldaten angegriffen wurden.

Flagur gewährte keine Rast, bis die Sonne versank. Beinahe augenblicklich blieben die Befüns stehen und legten sich wie Hunde zur Ruhe hin; die Sättel blieben, wo sie waren.

Rodario hechtete mehr auf den Boden, als dass er abstieg. »Was, bei den Göttern, hat denn das wieder zu bedeuten?«

»Sie sehen nicht sehr gut in der Dunkelheit, und bei der Dämmerung lässt ihr Augenlicht bereits nach. Damit sie nicht aus Versehen gegen einen Baum oder einen Felsen springen, legen sie sich hin und warten, bis es wieder heller wird.« Sirka nahm ein Netz aus dem Rucksack an ihrem Befün und ging zum Bach. »Kommt einer von euch mit und hilft mir, ihr Fressen zu fangen?«

»Fische?« Tungdil begleitete sie. »Diese Kreaturen fressen Fische? Sie sehen mehr nach Raubtieren aus.« »Sind sie auch. Sie fressen alles«, sagte sie und betonte es so, dass er nicht weiter nachfragte. »Deswegen ist es sehr wichtig, dass sie keinen Hunger bekommen und satt sind. Wenn sie sich selbst auf die Jagd begeben, ist die Umgebung nicht mehr sicher.«

»Ich verstehe.« Er watete ins Wasser. »Wirf ein Ende zu mir. Wir bauen eine Sperre«, schlug er vor. »Lassen wir die Fische und die Strömung die Arbeit tun, anstatt uns beim Werfen der schweren Maschen die Schultern müde zu machen.« Sie willigte ein, und gemeinsam errichteten sie aus Stöcken und Ästen eine Schwimmreuse. Tungdils leere Augenhöhle begann wieder zu schmerzen, und Sirka gab ihm etwas von dem Pulver, das er mit Wasser aus der hohlen Hand schlürfte.

Die unterschiedlichsten Insekten zirpten ein Ständchen, in das die Abendvögel bald einstimmten. Tungdil wurde bewusst, dass es einer der wenigen Abende war, an denen sie von schlechten Überraschungen verschont wurden. »Keine Albae, keine Orks«, seufzte er erleichtert und sank ins Gras der Böschung.

»So ist es auch in Letefora«, sagte Sirka und stützte sich mit den Ellbogen auf, um die Reuse im Auge zu behalten. »Möge Ubar uns helfen, dass es so bleibt. Es sind schon zu große Opfer erbracht worden, und es wäre zu schrecklich, wenn es uns nicht gelingen würde.« Sie schaute ihn an. »Balyndis, so ist ihr Name?« Er nickte. »Ich möchte aber nicht über sie sprechen.«

Sirka betrachtete sein ernstes Gesicht. »Ich bin sehr glücklich, dass wir beide zueinander gefunden haben. Egal, wie lange es hält.« Sie küsste ihn auf den Mund.

Er streichelte ihren Nacken und zog sie an sich.

Sie legte den Kopf auf seine Brust und lauschte seinem Herzschlag. »Ich kann nichts Ungewöhnliches daran erkennen«, sagte sie nach einer Weile.

»Was dachtest du denn?«

»Ein Herz, das viele hundert Sternenzüge schlägt, sollte anders klingen. Aber das tut es nicht. Es schlägt nicht einmal langsamer.«

Er richtete den Oberkörper auf und drückte sie nach unten, dann legte er sein Ohr auf ihre Brust. Ihr aufregender Geruch stieg in seine Nase, er fühlte die Wärme ihrer braunen Haut auf seiner Wange.

»Und was hörst du?«

»Das gleiche wie bei allen Zwergen«, sagte er und küsste ihren Hals, dann gab es einen stechenden Schmerz in seiner Augenhöhle, und er krümmte sich. Jeglicher Anflug von Begierde erlosch abrupt. »Verdammte Atär«, fluchte er und presste die Hand gegen die Augenhöhle, nur um es damit noch schlimmer zu machen. »Fast möchte ich Ginsgar alles Gute bei seinem Tun wünschen.«

»Es ist das Beste, was man mit den Broka machen kann«, nickte Sirka ernst. »Niemand weint ihnen bei uns eine Träne nach. Und die Eintracht zwischen den Völkern in Letefora ist größer als jemals zuvor. Es gibt keinen, der sich für besser als den anderen hält. Es gibt nur Feinde und Freunde. Aber keine falschen Freunde mehr.« Sie stand auf und kontrollierte den Fang. »Komm, Tungdil. Wir bringen den Befüns ihr Futter, ehe sie Geschmack an Rodario finden.«

In Säcken schleppten sie die erste Ladung Fische zum Lager, ließen das Netz aber im Bach, um noch mehr zu fangen. Später schlüpften sie unter eine Decke und schliefen eng umschlungen neben dem Lagerfeuer ein. »Da haben sich zwei gefunden«, meinte Rodario gähnend. »Ach, was wohl meine Liebste macht?« Flagur schaute ihn an. »Ihr habt ein Mädchen?«

»Ja.«

»Und wie viele Nachkommen habt Ihr mit ihr gezeugt?«

»Mit ihr? Ich glaube, noch keines.« Er grinste dreckig. »Aber im übrigen Geborgenen Land dürfte es ein paar Jungen und Mädchen geben, die eines Tages gute Schauspieler sein werden.« Er wackelte mit den Augenbrauen. »Ich bin ein Freund der Frauen, und Frauen wiederum lieben mich einfach. Ich bin unglaublich unwiderstehlich.«

»Und was sagt Euer Mädchen dazu?«

»Nun: viel Vergnügen«, lachte er. »Sie ist genauso wie ich.«

»Dann haben wir mit den Menschen mehr gemeinsam als mit den Zwergen«, stellte der Ubari fest. »Keine falschen Schlüsse, werter Flagur. Die meisten Menschen des Geborgenen Landes sind der Tradition sehr verbunden und leben in Ehen.« Er lächelte. »Und ich sorge dafür, dass sich junge Eheweiber nicht zu sehr langweilen, oder bereite die Töchter auf die Liebe vor.« Er nahm sich einen Fisch und röstete ihn auf einem Stock über dem Feuer. »Es ist schade, dass uns kaum Gelegenheit bleibt, mehr von Eurer Heimat zu erfahren. Ein oder zwei Geschichten zu hören wäre sehr aufschlussreich.« Er blinzelte. »Aber ich bin einfach zu müde, um noch etwas niederzuschreiben.«

»Warum begleitet Ihr nicht den Zug mit dem Diamanten und seht Euch meine Heimat an?«, unterbreitete Flagur ihm den Gegenvorschlag.

»Oh, mag Euer Volk denn die Schauspielerkunst? Mein Repertoire ist unendlich groß, wenn es um die Darstellung von Helden und ihren Taten geht. Ich habe die besten Requisiten...« Er wurde leiser. »Nein, ich hatte die besten Requisiten, die man benötigte. Magister Furgas hat sie mir gemacht.« Er richtete den Blick auf die Flammen. »Mein Freund ist tot. Unfassbar, oder? Da finde ich ihn nach fünf Zyklen wieder und befreie ihn aus den Händen seiner Entführer, und dann schmilzt er in glühendem Eisen zu nichts. Getötet von den verräterischen Dritten.«

Flagur hörte aufmerksam zu. »Aber Ihr habt ihn nicht vergessen.«

»Nein, ich habe und ich werde ihn nicht vergessen. Niemals.« Er zupfte die garen Fleischstücke von den Gräten und aß sie nachdenklich. Zwischendurch schaute er zu Lot-Ionan, der abseits des Feuers mit dem Runenmeister der Ubariu im Gras hockte und sich leise unterhielt. »Was sie wohl bereden?«

»Ich vermute, sie versuchen zu erkunden, wo die Unterschiede in der Nutzung von Magie liegen.« Flagur nahm seinen Fisch aus dem Feuer, streute ein Pulver darüber, das er aus einem Säckchen nahm, und ließ ihn sich schmecken.

»Darf ich?«, fragte Rodario und deutete auf das hellgelbe Gewürz.

»Sicher.«

Vorsichtig gab der Schauspieler etwas davon auf seinen Fisch, roch daran und kostete behutsam, dann hellte sich sein skeptisches Gesicht auf. »Ich glaube, ich werde Händler«, sagte er be geistert. »Diese Mischung ist... einzigartig! So etwas habe ich noch niemals versucht.«

»Freut mich, dass es Euch schmeckt. Früher haben wir deswegen Kriege geführt.«

»Sehr verständlich«, meinte Rodario. »Und wie hat man sich geeinigt?«

»Wir haben das andere Volk vernichtet.« Flagur hielt ihm das Säckchen hin. »Es wird aus einem besonderen Stein gewonnen, er wird gemahlen, dreimal mit Salzwasser gewässert und zerrieben.«

»Ihr habt ein Volk vernichtet, um an das Gewürz zu kommen?«, fragte er ungläubig.

»Es waren hirnlose Phottör. Es gibt keinen Grund, ihnen nachzutrauern«, beruhigte ihn der Ubari. »Aber sie saßen auf dem größten Vorkommen, und da verband sich das Gute mit dem Besten. Gewürz und Fleisch.« Rodario senkte seinen Fisch. »Ihr wollt mir nicht sagen, dass Ihr Orks verspeist?«

»Sicher. Sie schmecken ausgezeichnet, obwohl die Orks, die einst im Geborgenen Land lebten, noch besser mundeten. Ich habe einen von ihnen gekostet, als er sich zu uns verirrte, und ich versichere Euch, einen solch einzigartigen Geschmack habe ich seitdem niemals mehr wieder auf der Zunge gespürt.« Er schloss die Augen. »Mh, ich kann es mir immer noch vorstellen.«

Nun nahm das Gespräch eine beängstigende Wendung. Es gab nicht viele Gelegenheiten, bei denen es den Orks gelungen war, aus dem Geborgenen Land ins Jenseitige zu wandern. »Wann war das, und wo traft Ihr auf ihn?«, erkundigte Rodario sich.

»Das ist schon lange her. Es war auf der anderen Seite der Gipfel, die Ihr Graues Gebirge nennt. Er wollte uns überreden, gegen die Ubariu... also, Eure Zwerge zu ziehen.« Er lachte. »Ein zäher Bursche. Er faselte etwas von Unsterblichkeit, die er aus einer kleinen Flasche trinken konnte.«

Rodario zählte eins und eins zusammen. Es konnte sich nur um eine der Kreaturen des Orkfürsten Ushnotz gehandelt haben, irgendeine versprengte Einheit, der es gelungen war, durch das anfangs nicht gesicherte, leer stehende Reich der Fünften zum Steinernen Torweg zu gelangen.

Bei Palandiell, das Schwarze Wasser, dachte er erschrocken und musterte Flagur unauffällig. Ushnotzs Krieger hatten das Schwarze Wasser getrunken und waren unsterblich geworden. Wurde man durch den Verzehr des Orkfleisches, das mit der Schlechtigkeit durchsetzt war, vielleicht ebenfalls auf die Seite des Bösen gezogen? Täuschte Flagur etwa nur vor, ein Freund zu sein, und wollte in Wirklichkeit den Diamanten für seinen Runenmeister? Plante er mit seinem einhunderttausend Mann starken Heer die Eroberung des Geborgenen Landes, sobald er den Stein besaß?

Der Ubari betrachtete ihn. »Was ist mit Euch, Rodario? Ihr seid so schweigsam geworden?« »Ich bin... müde«, wich er aus. »Verzeiht meine Wortkargheit. Das geschieht immer, wenn... ich Fisch esse.« Er verschlang rasch sein Mahl und verabschiedete sich. Wie durch einen Zufall legte er sich neben Tungdil zur Ruhe und weckte ihn unauffällig.

»Was ist, Unglaublicher?«, murmelte der Zwerg verschlafen.

»Du wirst es nicht glauben, aber...«

»Dann erspare es mir«, unterbrach er ihn und wollte sich umdrehen. »Ich habe Schmerzen.« »Unser Verbündeter hat ein Geheimnis. Er hat einen Ork gefressen, der von dem Schwarzen Wasser trank«, raunte er eindringlich.

Jetzt war Tungdil wach. »Was redest du da? Wieso sollte er das tun?«

»Weil sie gut schmecken. Angeblich.« Rodario schüttelte sich.

Tungdil nahm die Neuigkeit hin und spann den Gedanken weiter. »Aber selbst wenn es so ist, Ushnotz und seine Orkmeute sind schon lange tot.«

»Aber vorher hat Flagur einen gefressen. Er kam aus dem Grauen Gebirge, sagte er«, beharrte der Mime aufgeregt.

Tungdil konnte sich zusammenreimen, unter welchen Umständen das passiert sein mochte. Er hatte damals mit Ingrimmsch einige Kundschafter der Orks am Torweg angegriffen und drei von ihnen bis ins Jenseitige Land verfolgt. Der eine Ork, der ihnen entkommen war, war wohl Flagur in die Arme gelaufen. »Sie verspeisen Orks?«

Abwegig war es nicht. Er erinnerte sich, dass Djerün seinen Nahrungsbedarf mit allen möglichen Scheusalen Tions gedeckt hatte. Die Acronta und die Ubariu besaßen wohl einige Gemeinsamkeiten.

Er schaute auf das Antlitz der schlummernden Sirka und fragte sich, ob die Untergründigen auch einige Gerichte hatten, die auf einer mehr als zweifelhaften Fleischgrundlage beruhten. Wenn sie sich schon auf denselben Gott beriefen...

Die Vorstellung fand er widerlich. Zugegebenermaßen aß sein Volk Kreaturen, die nichts anderes als große Insekten waren, was wiederum bei den Menschen für Unverständnis sorgte. Trotzdem blieb ein Unterschied zwischen einer Made und einem Ork. Nicht nur geschmacklich.

Rodario seufzte. »Was machen wir denn nun, Tungdil? Können wir es wagen, Flagur zu trauen, oder trägt er den Keim des Bösen in sich? Vielleicht ohne es zu wissen?«

Der Zwerg hob den Kopf ein wenig, um den Ubari zu betrachten. Er saß mit dem Rücken zu ihnen vor den Flammen, der schwarze Schemen war breit und beeindruckend. »Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht«, antwortete er dem Schauspieler. »Behalte ihn im Auge und sage es mir, sobald du den Eindruck gewinnst, dass er sich nicht mehr wie ein Verbündeter benimmt.« Er legte den Kopf auf seinen angewinkelten Arm. »Aber ich vertraue ihm, bis wir das Gegenteil beweisen können.« Er lächelte. »Lass ein paar Dinge in den Händen der Götter, Unglaublicher. Sie sollen auch etwas zu tun haben und nicht nur alles den Sterblichen überlassen.« »Wenn du es sagst, Held des Geborgenen Landes«, seufzte Rodario und schloss die Augen. »Hoffen wir, dass die Götter alles sehen.« Er dachte nach. »Nein, alles müssen sie nicht sehen«, schränkte er gleich darauf ein. »Sonst wird der Einzug meiner Seele in den Garten der Schöpferin nicht eben einfach werden.« »Wieso? Hat sie den Menschen verboten, sich so zu benehmen, wie du es tust?«, fragte Tungdil mit geschlossenem Auge.

Rodario lachte leise. »Es kommt auf die Auslegung an. Aber sie findet es nicht gut, wenn man die Liebeskraft Frauen spendet, die eigentlich in die Arme eines anderen gehören.«

Und wieder war er da, der Gedanke an Balyndis.

Frei von ihr, dachte Tungdil nun beinahe öfter an sie als zu der Zeit, in der sie noch ein Paar gewesen waren. Die Schuld nagte an ihm, weil er wusste, wie hintergangen sie sich fühlen musste. Wie feige er sich verhalten hatte. Ein Brief. Mehr nicht.

Da besiegte er die schrecklichsten Ungeheuer des Geborgenen Landes und wagte es nicht, einer Zwergin gegenüberzutreten und ihr zu gestehen, dass er mit ihr nicht mehr zusammenleben wollte. Konnte.

Er öffnete sein gesundes Auge und drehte sich zu Sirka, betrachtete ihre Züge, die im Sternenlicht schwarz aussahen, hörte ihr gleichmäßiges Atmen, roch sie und bildete sich ein, die Wärme zu fühlen, die von ihr ausging.

Jedenfalls würde Sirka weniger leiden, wenn er sie eines Tages verließ. Anscheinend waren die Untergründigen eine ähnlich rastlose Gemeinschaft, wenn es um die Beständigkeit der Gefühle ging. Vielleicht verließ sie auch ihn zuerst.

Und das machte ihm das Herz wieder etwas leichter.


Загрузка...